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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 45 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Daniel Drungels Offline



Beiträge: 2

22.07.2009 09:33
#26 RE: Zitat des Tages: Verbraucherschutz Antworten

Lieber Zettel,

ein Leser meines Blogs machte mich darauf aufmerksam, dass auch Sie dieses Thema bearbeiten. Ich kann Ihnen nur zustimmen. Auch mir scheint es so, als dienten diese mühsam konstruierten „Skandale“ allein der Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes.

Ich selbst habe in meinem Blog zwei Beiträge verfasst, die Sie und Ihre Leser möglicherweise interessieren könnten. In dem ersten Beitrag geht es um die von der Verbraucherzentrale Hamburg aufgespürten Plagiatoren. Der zweite Beitrag thematisiert die vermeintlich fehlerhafte Kennzeichnung von ESL-Milch bzw. Frischmilch.

Herzlich,

Daniel Drungels

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

22.07.2009 12:58
#27 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von Zettel
Keine Regierung handelt gesetzwidrig, nicht im Bund und nicht in den Ländern.

Das ist leider falsch. Besonders die Bundesregierung (aber öfters auch Landesregierungen) handelt regelmäßig rechtswidrig. Sie ignoriert Gerichtsurteile, beschließt bewußt verfassungswidrige Gesetze und hält sich sehr häufig nicht an di eigenen Gesetze.
(Letzteres liegt zum Teil daran, daß unser Gesetzesdickicht teilweise so wirr und widersprüchlich ist, daß weder Staat noch Bürger 100% gesetzeskonform handeln können!).

In Antwort auf:
Kein Richter beugt das Recht.

Falsch, das kommt regelmäßig vor. Weil Richter auch nur Menschen sind und entsprechend fehlerhaft handeln.

In Antwort auf:
Wenn Übergriffe der Polizei vorkommen, werden sie gnadenlos verfolgt.

Ab und zu. Es gibt hier eine recht widersprüchliche Gefechtslage: Manchmal werden geringe Formfehler zu großen Skandalen aufgebauscht, manchmal selbst massive Verstöße ignoriert.

Das hat auch viel wieder mit schlecht gemachten Gesetzen zu tun. Da viel zu viel geregelt wird, oft auch sehr naiv-gutmenschlich, wäre eine erfolgreiche Polizeiarbeit bei strikter Befolgung aller Regeln nicht mehr möglich. Also hat sich ein Graubereich entwickelt, was denn an läßlichen Sünden praktiziert werden kann.

In Antwort auf:
Die Presse ist frei, es herrscht Meinungsfreiheit. Wahlen werden penibel kontrolliert.

Volle Zustimmung, aber hier sind wir schon bei den Freiheitsrechten, nicht mehr beim Rechtsstaat.

Andererseits kommen zu den angesprochenen Mängeln noch einige hinzu: Filz zwischen Justiz und Politik, schwere organisatorische Mängel im Justizapparat und die Möglichkeit staatlichen Fehlhandelns in Bereichen, wo es keine Rechtsmittel gibt.


Trotzdem stimme ich im Gesamturteil weitgehend zu: Die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat, und immer noch ein überdurchschnittlich guter.

Aber von vorbildlich würde ich nicht mehr sprechen. Ich finde Llarians Skala nicht schlecht und würde wie er die "8" nehmen.
Die "10" wäre das Ideal, wie es auf Erden nicht zu erreichen ist.
Vorbildlich wäre die "9", ein Rechtsstaat, der so dicht dran ist am Ideal, wie es vernünftig und menschenmöglich ist. Diesen Zustand hatten wir vor 20-30 Jahren wohl fast erreicht.
Inzwischen aber ist der Rechtsstaat in einigen Bereichen erodiert, vor allem ist das Rechtsbewußtsein wegen schlechter Gesetzgebung massiv zurückgegangen.
Daher derzeit nur noch eine "8" (die im internationalen Maßstab immer noch ordentlich ist) und die Hoffnung, daß wir nicht in den nächsten Jahren auf die "7" abrutschen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

22.07.2009 13:27
#28 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von R.A.
Zitat von Zettel
Keine Regierung handelt gesetzwidrig, nicht im Bund und nicht in den Ländern.

Das ist leider falsch. Besonders die Bundesregierung (aber öfters auch Landesregierungen) handelt regelmäßig rechtswidrig. Sie ignoriert Gerichtsurteile, beschließt bewußt verfassungswidrige Gesetze und hält sich sehr häufig nicht an di eigenen Gesetze.

Beispiele? Wer hat die Gesetzwidrigkeit in den betreffenden Fällen festgestellt? Handelte es sich um Offizialdelikete? Wurde also Anklage erhoben. Oder waren es Antragsdelikte? Wer hat dann Anzeige erstattet?

Wer ist in diesen Fällen "die Bundesregierung"? Es muß ja Verantwortliche geben. Welche Strafe stand auf den betreffenden Gesetzesbruch und zu welchen Strafen wurden sie verurteilt?

Wann hat die Bundesregierung bewußt verfassungswidrige Gesetze "beschlossen"? (Sie kann ja nur einen Gesetzesentwurf bechlossen haben; also muß auch der Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes die Verfassung gebrochen haben). Wer hat festgestellt, daß schon zum Zeitpunkt der Vorlage bzw. Verabschiedung des Gesetzes dessen Verfassungswidrigkeit bekannt gewesen war?

Das sind, lieber R.A., keine rhetorischen Fragen. Ich weigere mich bis zum Beweis des Gegenteils, zu glauben, daß wir von Kriminellen regiert werden.

Denn das wäre der Fall, wenn Sie Recht hätten. Wenn die Regierung bewußt die Gesetze und die Verfassung bricht und wenn die Verantwortlichen dafür nicht hinter Gitter wandern, dann leben wir in der Tat nicht in einem Rechtsstaat.

Achtzig Prozent oder so etwas gibt es da nicht. Entweder unterliegen auch die Regierenden den Gesetzen und der Rechtsprechung, dann handelt es sich um einen Rechtsstaat. Oder es ist so, wie Sie schreiben. Dann leben wir in einem Unrechtsstaat. Tertium non datur.
Zitat von R.A.
In Antwort auf:
Kein Richter beugt das Recht.

Falsch, das kommt regelmäßig vor. Weil Richter auch nur Menschen sind und entsprechend fehlerhaft handeln.

Fehlurteile sind keine Rechtsbeugung. Diese liegt erst dann vor, wenn der Richter wider besseres Wissen sich nicht an die Gesetze hält.

Wenn Sie meinen, daß das vorgekommen ist: Welches Gericht hat die Rechtsbeugung festgestellt? Was geschah mit den Richtern, die das Recht gebeugt haben? Natürlich gibt es in jedem Beruf Kriminelle. Entscheidend ist, daß sie verfolgt und bestraft werden; auch wenn es Richter sind.



Lieber R.A., nehmen Sie mir diese Fragen nicht übel, die vielleicht a bisserl inquisitorisch klingen. Aber Sie erheben so schwerwiegende Vorwürfe, daß man das wirklich im Einzefall belegen muß.

Wenn ein Links- oder Rechtsextremist solche Vorwürfe erhebt, dann nehme ich das nicht ernst. Wenn Sie als Liberaler es tun, dann beunruhigt mich das. Und zwar sehr.

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

22.07.2009 14:32
#29 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

In Antwort auf:
Ein Rechtsstaat ist Deutschland meines Erachtens ohne jede Einschränkung.


Sehr geehrter Zettel,

in diesem Ausnahmertikel der SZ finden sie genug Anhaltspunkte dafür, daß das obige Statement viel zu optimistisch ist. Bedenken Sie dabei bitte auch, daß hinter jedem der geschilderten rechtsfreien Räume sehr viele Menschen stehen, sowohl innerhalb, als auch außerhalb. Im Recht zu sein, und sich zu trauen es durchzusetzen, sind zwei total verschiedenen Dinge. Wobei es hier nicht nur um die eigene Person geht, sondern auch um die sehr konkrete Gefährdung der eigenen Familie.

Denken Sie bitte auch an die, die aus dem Umkreis dieser Gebiete rechtzeitig der eigenen Kinder wegen geflüchtet sind (und weiter flüchten müssen), weil sie schon vor Jahren die Lage und die kommende Entwicklung durch tägiche Beobachtung richtig eingeschätzt haben. Wie sollten sich diese Menschen Ihrer Meinung nach ihr Recht verschaffen, in einer für ihre Kinder sichern Stadt wohnen zu dürfen? Ist es zumutbar, es darauf ankommen zu lassen, und das eigene Leben und das der eigenen KInder zum Testobjekt bzw. Beweismittel umzufunktionieren? Jeder. der es sich irgendwie leisten kann, tut es nicht. Und das Schicksal derer (bzw. deren Kinder), die es nicht können, ist vorgezeichnet und oft tragisch.

Ich kenne diese Situation sehr genau, da ich vor Jahren genau vor dieser Entscheidung stand. Es war keines der von der SZ genannten Krisengebiete, aber schlimm genug und wie jedes dieser Gebiete im starken Wachstum begriffen. Sicher, in ländlicher Idylle sieht das Ganze wesentlich weniger drammatisch aus, das Fernsehen belästigt einen ja nicht unbedingt mit entsprechendem Material.

Ich kann keine Note vergeben, weil es sehr stark von der Perspektive abhängt. Sie können möglicherweise durchaus zehn Punkte für Ihre Wohngegend vergeben, ein Klanführer in einem der angesprochenen Gebiete oder ein für dieses Gebiet zuständige Polizist würde Sie aber dafür auslachen. Was nützt es mir, wenn es Gebiete gibt, in denen es streng rechsstatlich zugeht, wenn ich das Pech habe nicht dort zu wohnen?

Grüße, Ungelt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

22.07.2009 15:19
#30 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Lieber Ungelt,

was dieser Artikel beschreibt, ist ein Beispiel für das allgemeinere Problem, daß es in Deutschland zunehmend Bereiche gibt, in denen es immer schwerer wird, dem Recht Geltung zu verschaffen. "National befreite Zonen" sind ein anderes Beispiel, "besetzte Häuser", in denen die Polizei kaum tätig werden kann, waren lange Zeit ein ähnliches Problem. Diebesbanden aus Zigeunern, die überwiegend strafunmündige Kinder "arbeiten" lassen, sind ein anderes Beispiel. Das Klau-Kid wird festgenommen und zu seiner Familie gebracht; das war's. Auf zur nächsten Klautour.

Da könnte man noch viele Beispiele nennen. Aber aus meiner Sicht ist das nicht eine Frage der Rechtsstaatlichkeit. Ich hatte eine Unterscheidung vorgeschlagen.

Erstens Rechtsstaatlichkeit: "Keine Regierung handelt gesetzwidrig, nicht im Bund und nicht in den Ländern. Kein Richter beugt das Recht. Wenn Übergriffe der Polizei vorkommen, werden sie gnadenlos verfolgt. Die Presse ist frei, es herrscht Meinungsfreiheit. Wahlen werden penibel kontrolliert". Weil das so ist (ich hoffe, R.A. kann das nicht durch Belege für seine Position erschüttern), ist Deutschland ein vorbildlicher Rechtsstaat.

Zweitens hatte ich vorgeschlagen, davon zu trennen den Umfang der Freiheitsrechte. Nicht bei der Rechtsstaatlichkeit, aber im Umfang der Freiheitsrechte gibt es in Deutschland seit Jahren - ich denke, seit dem Beginn der rotgrünen Koalition 1998 - den Versuch einer Einschränkung hier, einer Einschränkung da.

Das, worauf Sie jetzt aufmerksam machen, lieber Ungelt, scheint mir eine dritte Dimension zu sein: Die Durchsetzung von Recht und Ordnung.

Der Rechtsstaat ist wenig wert, wenn nicht alle Bürger gezwungen werden können, sich an die Gesetze zu halten. Das Dumme ist nur, daß eine konsequente Durchsetzung von Recht und Ordnung oft mit den Freiheitsrechten in Idealkonkurrenz tritt. Der Kampf gegen das Verbrechen erfordert die Einschränkung der Freiheit der Verbreche. Viele Liberale - ich gehöre nicht dazu - fürchten, daß damit auch die Freiheitsrechte der gesetzestreuen Bürger eingeschränkt werden.

Ich bin entschieden für härteres Durchgreifen gegenüber der Kriminalität, vor allem der Organisierten Kriminalität, zu der auch der von Ihnen geschilderte Bereich gehört. Man muß dazu meines Erachtens von allen Möglichkeiten der Abschiebung Gebrauch machen; wie auch bei kriminellen Zigeunern. Aber das gibt es halt die Befürchtung, daß es sofort eine Kampagne gibt und daß die "linksliberale" Presse sich auf die Seite der Täter stellt.

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

22.07.2009 15:24
#31 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

In Antwort auf:
Wann hat die Bundesregierung bewußt verfassungswidrige Gesetze "beschlossen"? (Sie kann ja nur einen Gesetzesentwurf bechlossen haben; also muß auch der Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes die Verfassung gebrochen haben). Wer hat festgestellt, daß schon zum Zeitpunkt der Vorlage bzw. Verabschiedung des Gesetzes dessen Verfassungswidrigkeit bekannt gewesen war?

Ich beschränke mich nur auf das gerade vom BVG kassierte EU-Zustimmungsgesetz. Glauben Sie wirklich, daß es den an der Formulierung des Gestzes Beteiligten nicht klar war, daß es problematisch sein könnte, Gesetze aus den Händen der gewählten Volksvetreter zu nehmen und einer nicht gewählten EU Bürokratie zu überantworten? Und was halten Sie davon, daß der Bundestag vermutlich mit überwältigender Mehrheit ein solches Gesetz verabschiedet, das dessen eigene Mitwirkungsrechte dramatisch beschneidet? Ein Gesetz, das dann vom BVG einstimmig verworfen wird? Ich kann es für den einzelnen Abgeordneten schon nachvollziehen. Die Abhängigkeiten sind so gestrickt, daß es um seine eigene Zukunft geht, sollte er sich aus der Deckung wagen.

Sagen Sie bitte nicht, "jeder hat doch die Möglichkeit das BVG anzurufen". Ich persönlich verlange von der Politik, daß sie nicht versucht hart an der Grenze des Möglichen oder darüber hinaus ein grundgesetzwidriges Gesetz durchzudrücken. Jeder Autofahrer, jeder Konstrukteur, jeder Statiker ist verpflichtet genügen Sicherheitsabstand einzukalkulieren - alles Andere ist eine strafbare Handlung! Für die Politik soll das nicht gelten?

Die CSU schlägt jetzt vor, aus welchen Gründen auch immer, die Forderungen des BVG auf nachvollziebare Weise umzusetzen. Die Regierung ist aber, soweit ich das beurteilen kann, schon wieder auf einem zweifelhaften Kurs. Man kann das Ganze ja so lange widerholen, bis irgendwann die renitenten Bürger und/oder das BVG ermattet sind...

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

22.07.2009 16:04
#32 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von Ungelt
In Antwort auf:
Wann hat die Bundesregierung bewußt verfassungswidrige Gesetze "beschlossen"? (Sie kann ja nur einen Gesetzesentwurf bechlossen haben; also muß auch der Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes die Verfassung gebrochen haben). Wer hat festgestellt, daß schon zum Zeitpunkt der Vorlage bzw. Verabschiedung des Gesetzes dessen Verfassungswidrigkeit bekannt gewesen war?

Ich beschränke mich nur auf das gerade vom BVG kassierte EU-Zustimmungsgesetz. Glauben Sie wirklich, daß es den an der Formulierung des Gestzes Beteiligten nicht klar war, daß es problematisch sein könnte, Gesetze aus den Händen der gewählten Volksvetreter zu nehmen und einer nicht gewählten EU Bürokratie zu überantworten? Und was halten Sie davon, daß der Bundestag vermutlich mit überwältigender Mehrheit ein solches Gesetz verabschiedet, das dessen eigene Mitwirkungsrechte dramatisch beschneidet? Ein Gesetz, das dann vom BVG einstimmig verworfen wird?

Ich verstehe, lieber Ungelt, jetzt die Logik nicht ganz. Meinen Sie, diejenigen, die im Bundestag zustimmten, hätten gewußt, wie die Entscheidung des BVerfG ausfallen würde? Aber dann müßten die doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein - ein Gesetz zu verabschieden, von dem sie schon wissen, daß es beanstandet werden wird. Daß es Klagen vor dem BVerfG geben würde, war ja schon klar.

Kassiert worden ist das Gesetz ja auch nicht; die EU-Befürworter waren im Gegenteil erleichtert, weil die Ratifizierung nicht in Frage gestellt wurde. Das BVerfG verlangt nur bestimmte Korrekturen. Daß es diese verlangen würde - also ich hätte das nicht vorhersagen können. Ich war mir völlig unsicher, wie das BVerfG entscheiden würde.

In jedem Fall, lieber Ungelt, eignet sich dieses Beispiel aus meiner Sicht nicht dazu, in irgendeiner Weise die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik in Frage zu stellen.

Wäre es immer offensichtlich, was verfassungskonform ist und was nicht, dann brauchten wir ja kein BVerfG. Wir brauchen es just deshalb, weil vieles Auslegungssache ist.

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

22.07.2009 16:54
#33 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

In Antwort auf:
Ich hatte eine Unterscheidung vorgeschlagen...

Sehr geehrter Zettel,

mir geht es nicht um Begriffe, alles "gschenkt", wie der Bayer sagt. Sie mögen mit Ihrer Analyse recht haben, oder auch nicht, ich kann es nicht beurteilen.

Wenn sie aber einen 0815/Bürger, der durch solche Zustände einen dauerhaften Schaden erleidet fragen ob er sich vom Staat ausreichend geschützt fühlt - was hören Sie dann? Diese feinen Differenzierungen werden ihn ebenfalls nicht interessieren, und sie sind ihm, denke ich, in seine Lage auch kaum zuzumuten.

Ihn interessiert das Endergebnis, und das ist für ihn leider negativ. Er ist nicht dazu da, es so zu organisieren, daß es funktioniert. Dafür sind andere zuständig und die werden auch dafür bezahlt, und zwar wesentlich besser als er. Und sie wohnen in einer besseren Gegend.

Das mag ziemlich "populistisch" klingen, aber es ist leider nur die nackte Wahrheit. Und wenn sich auf dieser Basis noch mehr Zündstoff angesammelt hat, werden möglicherweise eines Tages Parteien gewählt, die die Lösung genau dieses Problems versprechen. Mit allen Nebenwirkungen, leider.

Schönen Gruß, Ungelt

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

22.07.2009 17:03
#34 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von Zettel
Wer hat die Gesetzwidrigkeit in den betreffenden Fällen festgestellt?

Ich ;-) (Oder diverse andere kundige Beobachter)
Und bevor jetzt Einwände kommen, das zu beurteilen stehe mir nicht zu: Jeder von uns hat schon Fälle erlebt, wo jemand gesetzwidrig handelt, ohne bestraft zu werden. Und das kann man oft auch ohne rechtskräftiges Urteil feststellen. Wenn ich z. B. ein Auto falsch durch die Einbahnstraße fahren sehe, kann ich rechtswidriges Verhalten konstatieren. Auch wenn der Betreffende straflos davonfährt.
Das bedeutet nicht automatisch, daß der Rechtstaat untergegangen wäre ...

Wohlgemerkt: Wir sprechen hier NICHT über rechtskräftige Verurteilungen. Sondern selbstverständlich über rechtswidriges Handeln, daß nicht geahndet wurde.

Insofern gehen natürlich Ihre Fragen weitgehend am Problem vorbei:
In Antwort auf:
Handelte es sich um Offizialdelikete? Wurde also Anklage erhoben. Oder waren es Antragsdelikte? Wer hat dann Anzeige erstattet?

Ein GG-widriges Gesetz zu beschließen ist nicht strafbar, also gibt es auch weder Anklagen noch Urteile.
Und es gibt allgemein viele Gesetze, an die sollte man sich halten, aber wenn man es nicht tut, droht keine Strafe.

In Antwort auf:
Wann hat die Bundesregierung bewußt verfassungswidrige Gesetze "beschlossen"?

Wie man an der BVerfG-Urteilen sieht: Häufig.
Und meist gab es vorher sehr heftige Warnungen fachkundiger Juristen, die wurden bewußt ignoriert.

Wobei klar ist, daß auch ein mit besten (verfassungsgemäßen) Absichten gemachtes Gesetz dann überraschend vor dem BVerfG scheitern kann. Aber das sollte die Ausnahme bleiben.

M. E. war das früher deutlich anders. Eine Niederlage vor dem BVerfG bedeutete einen schweren Gesichtsverlust für die verantwortlichen Politiker (insbesondere den Justizminister). Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, ob das schon mal direkt zu einem Rücktritt führte - aber die "Schuldigen" waren auf jeden Fall deutlich angekratzt.
Heute dagegen gibt es regelmäßig solche Niederlagen, die werden mit Nonchalance hingenommen und der schuldige Minister kündigt meist an, sein Ziel haarscharf am Urteil vorbei mit einer leichten Umformulierung zu erreichen.
Das ist verfallendes Rechtsbewußtsein, von ganz oben anfangend, und das führt dann zu einem entsprechenden Verfall bundesweit.

In Antwort auf:
Ich weigere mich bis zum Beweis des Gegenteils, zu glauben, daß wir von Kriminellen regiert werden.

Von "Kriminellen" würde ich auch überhaupt nicht reden.
Aber von Leuten, die den Rechtsstaat nicht ernst nehmen und alle Lücken zu ihrem Vorteil nutzen.

Mal ein Beispiel aus persönlicher Erfahrung: Die hessische Gemeindeordnung gibt der Opposition das Recht, kritische Verwaltungsvorgänge mit einem Akteneinsichtsausschuß zu kontrollieren. Damit dieses Minderheitsrecht überhaupt greifen kann, kann dieser Ausschuß von einer Fraktion auch gegen die Parlamentsmehrheit erzwungen werden.

Nun hatten wir den Fall, daß ein fragwürdiges Grundstücksgeschäft des OB untersucht werden sollte. Der Untersuchungsausschuß wurde eingesetzt. Und in der ersten Sitzung erklärte der Magistrat, es wäre alles in Ordnung. Darauf erklärte die Mehrheitsfraktion, damit wäre für sie die Sache erledigt, sie müßten keine Akten mehr einsehen. Und beschlossen mit Mehrheit, den Ausschuß wieder zu beenden.
Und wieso konnten sie das?
Weil gegen diesen eindeutigen Gesetzesverstoß nicht eine einzelne Fraktion klagen kann, sondern nur das Parlament - mit der Regierungsmehrheit.

Ein recht typischer Fall: Völlig rechtswidriges Vorgehen, verstößt klar gegen die sinnvollen Bestimmungen des Gesetzes - kann aber aus formalen Gründen nicht geahndet werden. Politiker, die den Rechtsstaat respektieren, halten sich auch an Gesetze, wenn sie keine Klage befürchten müssen. Aber solche Politiker werden weniger.

Und solange solche Sachen möglich sind, regelmäßig vorkommen, und auch immer stärker als normal empfunden werden - solange sehe ich beim Rechtsstaat in Deutschland noch gehörige Defizite.
Ohne deswegen in eine Fundamentalkritik einzustimmen.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

22.07.2009 17:30
#35 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Lieber Ungelt,

sie sprechen da genau einen Punkt an, der mich auch am "Rechtsstaat" zweifeln lässt. Es genügt nicht, wenn es Gesetze gibt, bei deren Übertretung man auch klagen kann. Es genügt auch nicht, dass es eine Polizei und Justiz überhaupt gibt.
Ein wirklicher Rechtsstaat muss die Einhaltung der geltenden Gesetze auch kompromisslos durchsetzen. Dies ohne Anschauen der Person!

Ich zitiere mal Zettel:

Zitat von Zettel
Sie können im heutigen Deutschland auf Nachsicht, wenn nicht gar Beifall rechnen. So sehr ist in unserem Land das allgemeine Rechtsbewußtsein in eine Schieflage geraten.
Spontan hier gefunden.

Dieser Staat ist auf dem linken Auge blind. Er ist nachsichtig bei "guten Absichten" (vor allem bei links-grünen Absichten). Er verfolgt im "Kampf gegen rechts" gnadenlos Leute, die lediglich nicht opportune Klamotten tragen und schützt nicht diejenigen, die solche Klamotten verkaufen wollen (Fall: Thor Steinar). Er lässt gewalttätige Aktionen gegen demokratisch zugelassene Parteien zu und lädt Gewalttäter sogar dazu ein (Fall: Pro Köln). Er (vielmehr seine Vertreter) lässt Wandbilder übermalen, weil der Künstler eventuell politisch rechts neben der CDU anzusiedeln ist (Fall: Chemnitz, hier auch bei Zettel).
Andererseits werden Fälle migrantischer Gewalt nicht konsequent geahndet, wie im SZ-Artikel oben ja beschrieben. Jugendliche Gewalttäter mit -zig (bewiesenen!) Rechtsverstößen laufen immer noch frei rum, und kriegen ab und an ein paar Sozialstunden, oder ein paar Monate auf Bewährung aufgebrummt. Kennzeichnet so etwas einen Rechtsstaat?

Dieser, unser Rechtsstaat bringt mich mittlerweile dazu, die Vertreter eines mir nicht nahestehenden politischen Spektrums gegenüber den staatlichen Gesinnungs-Übergriffen zu verteidigen! Rechtsstaat? Ja, auf dem Papier mit Sicherheit, aber wenn schon besonnene Mitforisten diesem lediglich eine 8 von 10 geben können? Sorry, dass sind 80%; ... 50% sind wahrscheinlich "Bananenrepublikniveau" (fifty-fifty, ob man Recht bekommt).

Nee, also ein Rechtsstaat sieht für mich anders aus.

Gruß, Calimero

----------------------------------------------------
... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.

Llarian Offline



Beiträge: 6.943

22.07.2009 18:54
#36 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

In Antwort auf:
Keine Regierung handelt gesetzwidrig, nicht im Bund und nicht in den Ländern. Kein Richter beugt das Recht. Wenn Übergriffe der Polizei vorkommen, werden sie gnadenlos verfolgt.

Keinen dieser Punkte würde ich so unterschreiben. Sondern, wie ich bereits andeutete, eher sagen: Im Prinzip ja, im Einzelfall leider oft nicht. Die meisten Gesetze, die beschlossen werden sind wohl verfassungskonform. Einige sind es nicht. Einige werden gar beschlossen, OBWOHL die Poltiker sehr wohl wissen, dass sie gegen die Verfassung handeln (siehe die einschlägigen Aussagen der SPD Fraktion bei der Telekommunikationsüberwachung). Deswegen: Im Prinzip ja, im Einzelfall nein.
Zu den Richtern ist eins zu sagen: Noch nie (oder fast nie) wurde ein Richter wegen Rechtsbeugung verurteilt. Was sagt uns das ? Das Richter vor allem ihre Kollegen decken. Rein aufgrund normaler Statistik müsste es erheblich mehr Fälle von Rechtsbeugung geben. Und dennoch gibt es keine Urteile. Nachtigall, ick hör Dir trapsen ! Von meinen eigenen Erfahrungen vor Gericht kann ich nur sagen: Ich habe NIE einen solch selbstherrlichen und arroganten Schlag Mensch gesehen (es gibt Ausnahmen). Da kommen nicht einmal Gymnasiallehrer mit. Und die Liste der abstrusen Urteile ist lang. Angefangen von Urteilen wie gegen Horst Mahler oder andere Rechtsextremisten (die man nicht mögen muss, um die skandalösen Urteile zu sehen), über ein "Sorgerecht", dass inzwischen die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz nur noch pervertiert bis zu "jugendlichen" "Intensivtätern", die man nicht einmal einsperrt, wenn sie jemanden totfahren.
Und was die Polizei angeht, nun, auch da könnte ich von positiven wie negativen Erfahrungen berichten. Die durchaus belegen, dass auch Polizisten sich gegenseitig sehr gut decken können.

Ich stampfe wegen alledem den Rechtsstaat nicht völlig ein (eben mit dem Blick auf andere Staaten), aber gerade die Sicht der so hehren Richterschaft kann ich nicht im Ansatz teilen. Es ist nach meinem Dafürhalten ein ganz fataler Fehler in der deutschen Justiz, dass Richter sich gegenüber niemandem ausser sich selbst verantworten müssen. Unser wirklich stellenweise absurdes Täterstrafrecht kann ein Lied davon singen.

Llarian Offline



Beiträge: 6.943

22.07.2009 18:57
#37 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

In Antwort auf:
Er lässt gewalttätige Aktionen gegen demokratisch zugelassene Parteien zu und lädt Gewalttäter sogar dazu ein (Fall: Pro Köln).

Ich muss zugeben, lieber Calimero, wenn ich beim Verfassen meiner Zeilen diesen Fall gerade noch im Kopf gehabt hätte, hätte ich vielleicht doch eher die sieben gewählt. Aber noch ist das ein (wenn auch unglaublicher) Einzelfall gewesen. Und ich gehe davon aus, dass nicht die ganze Republik Bürgermeister vom Schlage eines Schrammas auf dem Thron hat.

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

23.07.2009 02:13
#38 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

In Antwort auf:
Ich verstehe, lieber Ungelt, jetzt die Logik nicht ganz. Meinen Sie, diejenigen, die im Bundestag zustimmten, hätten gewußt, wie die Entscheidung des BVerfG ausfallen würde?

Ich schrieb ja, wenn ich die Fragestellung weglasse, daß es "den an der Formulierung des Gestzes Beteiligten", also den der Regierung zur Verfügung stehenden Juristen klar sein mußte, daß das Gesetz zumindest problematisch ist. Es würde ja gegen jede Erfahrung sprechen, wenn ein konkretes Problem betreffend, eine Gruppe von Fachleuten geschlossen die eine Position vertritt, und eine andere Gruppe geschlossen das Gegenteil.

Es liegt daher zumindest für mich nahe, daß sich die Regierung, die sich ein aus EU-Sicht unproblematisches Gesetz gewünscht hatte, über solche Bedenken hinweggesetzt hatte. Sie möchte es ja noch immer mit möglichst minimalen Korrekturen durchbringen, obwohl jetzt die CSU in dieser Frage umgeschwenkt ist. (Und damit eine weitere Klage riskieren.) Sie will doch offensichtlich die vom BVG geforderte Beteiligung des Parlamentes an europäischen Gesetzen nicht. Berechtigterweise natürlich, aus ihrer Sicht, denn damit wäre die geräuschlose und schnelle Generierung solcher Gesetze gefährdet.

Zu den Abgeordneten und der Abstimmung:

Kennen Sie diese peinliche "Panorama" (glaube ich) Befragung der EU-Abgeordneten vor der Abstimmung über den Lisabon Vertrag? (Wenn nicht, werde ich gerne den Link dazu suchen.) Die Abgeordneten im Bundestag werden auch nicht alle Gesetze kennen und eben mit der eigenen Fraktion abstimmen.

Dann gibt es noch die, die sich mit dem Thema tatsächlich befaßt haben. Die haben die Möglichkeit, die "Chance zu Schweigen zu verpassen" und sich als "profilierungssüchtige Quertreiber" zu präsentieren. In der Regel werden sie sich aber eher für den sicheren Listenplatz entscheiden, erst recht, wenn sie der Meinung sein sollten, das BVG behebt den Schaden noch.

In Antwort auf:
Aber dann müßten die doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein - ein Gesetz zu verabschieden, von dem sie schon wissen, daß es beanstandet werden wird.


Es mögen etliche Motive mitzuspielen, beim Abstimmungsverhalten der Abgeordneten. Der mögliche "Erfolg" beim BVG zählt, denke ich, zu den weniger gewichtigen. Warum sollte sich auch ein fachfremder Abgeordneter über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes Sorgen machen, das von sicher vorzüglichen Regierungsjuristen abgesegnet worden ist? Und das ihn, den Abgeordneten, darüber hinaus in seinen Kompetenzen beschneidet? Wenn mich mein Chef kündigen möchte, werde ich ihm doch auch keine Tipps geben, um die Kündigung auch wirklich wasserdicht zu machen. Dann wäre ich wirklich klammerbeutelgepudert
In Antwort auf:
Kassiert worden ist das Gesetz ja auch nicht; die EU-Befürworter waren im Gegenteil erleichtert, weil die Ratifizierung nicht in Frage gestellt wurde.

Diese "Erleichterung" wurde doch für die Medien geheuchelt, bevor die Glücklichen überhaupt wissen konnten, welche Folgen das Urteil überhaupt haben wird. Wenn die Deutschen in Zukunft bei EU-Absprachen immer zuerst bei dem eigenen Parlament nachfragen müssen, wird manches wohl nicht so geschmeidig über die Bühne gehen, wie geplant. Und ob die Anderen dieses exklusive Vetorecht so ohne weiteres akzeptieren werden, ist auch noch fraglich. Dann wären wir aber in dieser Beziehung dort, wo wir jetzt bereits sind.
In Antwort auf:
Das BVerfG verlangt nur bestimmte Korrekturen.

Das klingt sehr harmlos, ob es das auch sein wird, wird sich zeigen.
In Antwort auf:
In jedem Fall, lieber Ungelt, eignet sich dieses Beispiel aus meiner Sicht nicht dazu, in irgendeiner Weise die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik in Frage zu stellen.

Wäre es immer offensichtlich, was verfassungskonform ist und was nicht, dann brauchten wir ja kein BVerfG. Wir brauchen es just deshalb, weil vieles Auslegungssache ist.

Dazu hat schon R.A. (17:03) vollständig in meinem Sinne gesprochen.

Ich halte es aber in diesem speziellen Fall auch für sehr wesentlich, daß Gesetze von gewählten Abgeordneten beschlossen werden, und nicht von ungewählten EU-Bürokraten. Das leuchtet sogar mir ein, und das BVG bestätigte mich darin Es handelte sich, wenn man es genau nimmt, um den Versuch die Macht des Parlamentes auszuhebeln. Ein Abgrund von Landesverrat, um das schönes Zitat zu benutzen

Schönen Gruß, Ungelt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.07.2009 12:19
#39 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Lieber Ungelt,

Zitat von Ungelt
Wenn sie aber einen 0815/Bürger, der durch solche Zustände einen dauerhaften Schaden erleidet fragen ob er sich vom Staat ausreichend geschützt fühlt - was hören Sie dann? Diese feinen Differenzierungen werden ihn ebenfalls nicht interessieren, und sie sind ihm, denke ich, in seine Lage auch kaum zuzumuten.

Dem stimme ich zu. Aber wir diskutieren doch darüber, ob die Bundesrepublik ein Rechtsstaat ist. Auch in einem Rechtsstaat gibt es Kriminalität. Mängel bei der Verbrechensbekämpfung machen einen Staat nicht zum Unrechtsstaat.

Und dann bitte ich Sie, lieber Ungelt, noch das schon Angemerkte zu bedenken: Eine härtere Gangart bei der Verbrechensbekämpfung wird von Liberalen häufig als Einschränkung der Freiheit gesehen. Oder sogar der Rechtsstaatlichkeit. Man könnte zum Beispiel viel gegen die Bandenkriminalität tun, wenn man straffällig gewordene Ausländer konsequent abschieben würde. Aber darin sehen Kritiker einen Verstoß gegen Menschenrechte, Flüchtlingskonvention usw.
Zitat von Ungelt
Das mag ziemlich "populistisch" klingen, aber es ist leider nur die nackte Wahrheit. Und wenn sich auf dieser Basis noch mehr Zündstoff angesammelt hat, werden möglicherweise eines Tages Parteien gewählt, die die Lösung genau dieses Problems versprechen. Mit allen Nebenwirkungen, leider.

Diese Gefahr sehe ich auch. Deshalb bin ich auf der Linie Schäubles. Aber Sie wissen ja, lieber Ungelt, wie viele auch hier im Forum das ganz anders sehen.

Und nochmal: Mit der Frage, ob Deutschland ein Rechtsstaat ist, hat das aus meiner Sicht nichts zu tun.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.07.2009 12:49
#40 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von R.A.
Zitat von Zettel
Wer hat die Gesetzwidrigkeit in den betreffenden Fällen festgestellt?

Ich ;-) (Oder diverse andere kundige Beobachter)
Und bevor jetzt Einwände kommen, das zu beurteilen stehe mir nicht zu: Jeder von uns hat schon Fälle erlebt, wo jemand gesetzwidrig handelt, ohne bestraft zu werden. Und das kann man oft auch ohne rechtskräftiges Urteil feststellen. Wenn ich z. B. ein Auto falsch durch die Einbahnstraße fahren sehe, kann ich rechtswidriges Verhalten konstatieren. Auch wenn der Betreffende straflos davonfährt.

Hm, lieber R.A., das erscheint mir zur Rechtfertigung eines so schweren Vorwurfs, wie Sie ihn gegen die Regierung erheben, aber a bisserl dünn; nehmen Sie's mir nicht übel. Sie hatten geschrieben:
Zitat von R.A.
Besonders die Bundesregierung (aber öfters auch Landesregierungen) handelt regelmäßig rechtswidrig. Sie ignoriert Gerichtsurteile, beschließt bewußt verfassungswidrige Gesetze und hält sich sehr häufig nicht an di eigenen Gesetze.

Das ist der Vorwurf eindeutig kriminellen Verhaltens. Sie behaupten damit, daß wir nicht in einem Rechtsstaat leben, sondern in einer Bananenerpublik, in der die Regierenden sich nicht um die Gesetze und um Gerichtsurteile scheren.

Und als Beleg führen Sie jetzt an, daß Sie schon Leute gesehen haben, die falsch herum durch eine Einbahnstraße gefahren sind.
Zitat von R.A.
Wohlgemerkt: Wir sprechen hier NICHT über rechtskräftige Verurteilungen. Sondern selbstverständlich über rechtswidriges Handeln, daß nicht geahndet wurde.

Und wieso wurde es nicht geahndet, wenn es rechtswidrig war? Weil nur Sie, lieber R.A., die Rechtswidrigkeit erkannt haben, und nicht die zuständige Staatswanwaltschaft?
Zitat von R.A.
Und es gibt allgemein viele Gesetze, an die sollte man sich halten, aber wenn man es nicht tut, droht keine Strafe.

Aber es hat doch zumindest Folgen. Disziplinarrechtliche zum Beispiel. Als Mindestes die Nichtigkeit der betreffenden gesetzwidrigen Handlung oder Entscheidung.

Können Sie nicht wenigstens einige Beispiele für ein soches Verhalten von Regierungsmitgliedern nennen? Ich glaube schlicht nicht, daß Sie Recht haben.
Zitat von R.A.
In Antwort auf:
Wann hat die Bundesregierung bewußt verfassungswidrige Gesetze "beschlossen"?

Wie man an der BVerfG-Urteilen sieht: Häufig.

Und meist gab es vorher sehr heftige Warnungen fachkundiger Juristen, die wurden bewußt ignoriert.

Ich habe dazu schon Ungelt geantwortet: Wäre die Verfassungswidrigkeit schon vor Anrufung des BVerfG offensichtlich, dann brauchte man gar kein BVerfG.

Natürlich gibt es immer fachkundige Juristen, die warnen, und andere, die dasselbe Gesetz für unbedenklich halten. Sonst würde ja nicht die Regierung immer auch hochkarätige Juristen zur Verteidigung ihrer Position vor dem BVerfG finden.

Ich halte es, lieber R.A., für eine wirklich durch nichts belegte Unterstellung, daß die Regierung bewußt verfassungswidrige Gesetze einbringt und der Bundestag sie beschließt. Das würde bedeuten, daß die Regierung die Verfassung vorsätzlich bricht; wiederum wie in einer Bananenrepublik.

Aber Sie belegen es ja in keiner Weise. Sie behaupten es einfach, weil Sie offenbar diesen Eindruck haben. Ich kann Ihnen, so leid es mir tutm wirklich überhaupt nicht folgen, oder vielmehr auch hier nur mit Kopfschütteln.
Zitat von R.A.
In Antwort auf:
Ich weigere mich bis zum Beweis des Gegenteils, zu glauben, daß wir von Kriminellen regiert werden.
Von "Kriminellen" würde ich auch überhaupt nicht reden.

Aber von Leuten, die den Rechtsstaat nicht ernst nehmen und alle Lücken zu ihrem Vorteil nutzen.

Lücken zu nutzen ist etwas anderes als daß man "regelmäßig rechtswidrig" handelt. Ob jemand den Rechtsstaat nicht ernst nimmt, kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur beurteilen, ob er sich an Recht und Gesetz hält oder Gesetze bricht.
Zitat von R.A.
Mal ein Beispiel aus persönlicher Erfahrung: Die hessische Gemeindeordnung gibt der Opposition das Recht, kritische Verwaltungsvorgänge mit einem Akteneinsichtsausschuß zu kontrollieren. Damit dieses Minderheitsrecht überhaupt greifen kann, kann dieser Ausschuß von einer Fraktion auch gegen die Parlamentsmehrheit erzwungen werden.
Nun hatten wir den Fall, daß ein fragwürdiges Grundstücksgeschäft des OB untersucht werden sollte. Der Untersuchungsausschuß wurde eingesetzt. Und in der ersten Sitzung erklärte der Magistrat, es wäre alles in Ordnung. Darauf erklärte die Mehrheitsfraktion, damit wäre für sie die Sache erledigt, sie müßten keine Akten mehr einsehen. Und beschlossen mit Mehrheit, den Ausschuß wieder zu beenden.
Und wieso konnten sie das?
Weil gegen diesen eindeutigen Gesetzesverstoß nicht eine einzelne Fraktion klagen kann, sondern nur das Parlament - mit der Regierungsmehrheit.
Ein recht typischer Fall: Völlig rechtswidriges Vorgehen, verstößt klar gegen die sinnvollen Bestimmungen des Gesetzes - kann aber aus formalen Gründen nicht geahndet werden.

Worin bestand die Rechtswidrigkeit? So, wie Sie es schildern, war dieses Vorgehen der Mehrheitsfraktion doch legal.

Man kann bedauern, daß die Geschäftsordnung das erlaubt. Dann sollte man versuchen, die Geschäftsordnung in diesem Punkt zu verbessern. Aber etwas Rechtswidriges kann ich wirlich in Ihrem Beispiel nicht entdecken; nur einen parlamentarischen Trick, wie sie doch gang und gäbe sind. Gegen das, was ich zu Juso-Zeiten erlebt habe, ist dieses Beispiel noch harmlos.

Herzlich, Zettel

PS: Entschuldigen Sie bitte meinen in diesem Fall wenig konzilianten Ton; das ist ein Thema, bei dem es bei mir ans Eingemachte geht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.07.2009 14:01
#41 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von Calimero
Dieser Staat ist auf dem linken Auge blind. Er ist nachsichtig bei "guten Absichten" (vor allem bei links-grünen Absichten). Er verfolgt im "Kampf gegen rechts" gnadenlos Leute, die lediglich nicht opportune Klamotten tragen und schützt nicht diejenigen, die solche Klamotten verkaufen wollen (Fall: Thor Steinar). Er lässt gewalttätige Aktionen gegen demokratisch zugelassene Parteien zu und lädt Gewalttäter sogar dazu ein (Fall: Pro Köln). Er (vielmehr seine Vertreter) lässt Wandbilder übermalen, weil der Künstler eventuell politisch rechts neben der CDU anzusiedeln ist (Fall: Chemnitz, hier auch bei Zettel).

Das ist, lieber Calimero, aber doch nicht "der Staat". Es sind bestimmte Personen, bestimmte Gremien in bestimmten Städten.

Ganz überwiegend werden auch Rechtsextreme streng nach Recht und Gesetz behandelt. Sie dürfen demonstrieren, sie dürfen ihre abstrusen und inhumanen Parolen auf ihre Plakate schreiben. Die Polizei schützt sie dabei vor Gegendemonstranten. Wenn ihnen Auflagen in Bezug auf Demonstrationen nicht rechtens erscheinen, können sie klagen und bekommen oft genug von den Gerichten Recht.

Sie erwähnen, lieber Calimero, "Pro Köln". Ich bin einmal in Köln gewesen, als eine von deren Veranstaltungen (es war ein "Pressefest" der von Manfred Rouhs herausgegebenen Zeitschrift) stattfand. Ich wollte mir das mal mit eigenen Augen ansehen und habe mich erst unter die Gegendemonstranten gemischt und mit ihnen diskutiert und bin dann zu dem "Pressefest" gegangen und habe versucht, mit den dort Anwesenden zu diskutieren (was, anders als bei den Linken, nicht funktionierte - man reagierte überwiegend mit abweisendem Schweigen).

Wie verhielt sich die Polizei? Sie schützte die Veranstaltung vor den Gegendemonstranten. Der Einsatzleiter achtete darauf, daß die Auflagen eingehalten wurden, und wenn er - ich stand in der Nähe und habe das hören können - Bedenken hatte, dann hat er das einem der Verantwortlichen ruhig und höflich mitgeteilt. Die Veranstaltung mußte dann wegen schlechten Wetters abgebrochen werden (die Gruppe, die eigentlich Musik machen sollte, fürchtete um ihre Instrumente). Die Polizei hat daraufhin die Teilnehmer gebeten, sich an einem Hintereingang des Platzes zu versammeln und sie auf Umwegen so vom Ort des Geschehens hinwegeskortiert, daß die Gegendemonstranten nicht an sie herankommen konnten.

Die Polizei hat sich nach meinem Eindruck fair und korrekt verhalten. Wie auch, soweit ich das verfolgt habe, bei dem diesjährigen "Anti-Islamisierungskongreß" (anders als beim ersten Mal). Schramma hat sich unmöglich benommen und ist in der Tat nicht den Pflichten seines Amts gerecht geworden.

Aber solche Verfehlungen, wie auch das, was ich damals über Chemnitz geschrieben habe, kann man doch, lieber Calimero, nicht mit "unserem Staat" gleichsetzen.

Ja, es gibt eine zu große Toleranz gegenüber dem Linksextremismus. So, wie der Rechtsexremismus behandelt wird, ist es aus meiner Sicht richtig: Geschützt durch alle Rechte eines freiheitlichen Rechtsstaats (den die Rechtsextremen vernichten wollen), aber darüber kein Millimeter an Zugeständnissen. So wünsche ich mir auch die Politik gegenüber dem Linksextremismus.

Aber das ist eben eine Frage der Politik, des gesellschftlichen Klimas. Mit der Frage, ob wir in einem Rechtsstaat oder in einem Unrechtsstaat leben, hat das aus meiner Sicht nichts, wirklich nichts zu tun.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

23.07.2009 15:45
#42 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von Zettel
... das erscheint mir zur Rechtfertigung eines so schweren Vorwurfs, ... aber a bisserl dünn

Da habe ich wohl mißverständlich formuliert: Es ging beim Einbahnstraßenbeispiel keineswegs um Rechtfertigung. Es sollte nur demonstrieren, daß man Rechtswidrigkeit (auch als Nicht-Jurist) oft eindeutig beurteilen kann, auch wenn kein Gerichtsurteil vorliegt.

In Antwort auf:
Das ist der Vorwurf eindeutig kriminellen Verhaltens.

Nein. Kriminell wäre ein Verstoß gegen das Strafrecht, das ist weit mehr als die von mir behaupteten Gesetzesverstöße.
Ich möchte überhaupt vermeiden, so stark in schwarz-weiß zu unterscheiden. Wenn ich sage, daß unser Rechtsstaat Mängel hat, dann behaupte ich noch lange nicht, daß er eine Bananenrepublik mit Kriminellen in der Regierung wäre. Zwischen diesen beiden Extremen ist viel Platz ...

In Antwort auf:
Und wieso wurde es nicht geahndet, wenn es rechtswidrig war?

Aus verschiedenen Gründen. Man darf nicht vergessen: Ein Gesetzesverstoß führt nicht automatisch zu Ermittlungen, viele Gesetze sind überhaupt nicht strafbewehrt.

Und wenn wir über den politischen Bereich sprechen darf man auch nicht vergessen, daß die Gerichte zwar eine gewisse Unabhängigkeit haben - die Staatsanwaltschaften aber nicht! Und deswegen ist es oft eine Sache des jeweiligen Justizministers, ob gegen Politiker ermittelt wird oder nicht.

Um mal ein prominentes Beispiel zu nennen: Alle damaligen Parlamentsparteien verwendeten in den 70er Jahren Parteifinanzierungspraktiken, die gesetzwidrig waren. Das wurde während der Flick-Affäre klar festgestellt, betroffen waren letztlich sehr viele Politiker aller Parteien.
Die Staatsanwaltschaft (im SPD-regierten NRW) ermittelte aber ausschließlich gegen die beteiligten FDP-Politiker, alle anderen Parteien wurden geschont, das war ein rein politischer Prozeß.

In Antwort auf:
Ich habe dazu schon Ungelt geantwortet: Wäre die Verfassungswidrigkeit schon vor Anrufung des BVerfG offensichtlich, dann brauchte man gar kein BVerfG.

Da die Strafbarkeit von Diebstahl offensichtlich ist - brauchen wir dann keine Strafgerichte mehr?

Natürlich gibt es immer wieder Grenzfälle, wo erst die BVerfG-Klärung Rechtssicherheit schafft. Aber das erklärt nicht die Masse an Entscheidungen der letzten Jahre, in denen der Bundesregierung ihre Gesetze förmlich um die Ohren gehauen wurden.

In Antwort auf:
Aber Sie belegen es ja in keiner Weise.

Das ist leider richtig.
Mir ist diese Sichtweise ganz selbstverständlich, weil mir in den letzten Jahren wieder und wieder Beispiele dafür begegnet sind (die durchaus in der Presse auch so gesehen wurden). Beispiele z. B. dafür, daß die Regierung ein beim BVerfG durchgefallenes Gesetz durch eine Neufassung ersetzte, die formal etwas anders gestrickt war, aber in den entscheidenden Punkten den gerügten Kurs weiterverfolgte. Und bis die Neufassung dann wieder in Karlsruhe liquidiert wird, sind ja einige Jahre Zeit gewonnen.

Offenbar sind Ihnen diese Beispiele nicht aufgefallen oder sie haben sie anders interpretiert. Und ich habe leider kein Archiv parat, um konkrete Fälle präsentieren zu können. Und beim Googlen habe ich auf die Schnelle zwar Fälle rechtstaatlich fragwürdigen Handelns gefunden (z. B. hier: http://www.welt.de/finanzen/article40577...ervorteile.html), aber mehr noch nicht.

Ich kann also eben kein Material präsentieren, daß Sie überzeugen könnte. Und nur darum bitten, daß Sie mir abnehmen, daß meine Darstellung nicht willkürlich oder undurchdacht ist. Ich werde dann Beispiele liefern, sobald Sie mir wieder über den Weg laufen - für eine große Recherche dazu fehlt mir die Zeit.

In Antwort auf:
Worin bestand die Rechtswidrigkeit?

Daraus, den Ausschuß faktisch zu verhindern.

In Antwort auf:
So, wie Sie es schildern, war dieses Vorgehen der Mehrheitsfraktion doch legal.

Nein. Es wäre auch vor jedem Verwaltungsgericht inhaltlich durchgefallen - wenn eine Klage möglich gewesen wäre!

Wo kein Kläger (bzw. keine Klageberechtigung), da kein Richter. Das ist im politischen Bereich keine unübliche Konstellation: Die Gesetze mögen da sein, aber es fehlt der Hebel, sie durchzusetzen.

In Antwort auf:
PS: Entschuldigen Sie bitte meinen in diesem Fall wenig konzilianten Ton; das ist ein Thema, bei dem es bei mir ans Eingemachte geht.

Keine Angst, das kommt bei mir schon richtig an. Einen Teil der Schärfe hoffe ich oben herausgenommen zu haben - ich spreche von Defiziten beim Rechtsstaat, nicht von Kriminalität.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.07.2009 17:19
#43 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Lieber R.A.,

vielleicht sollte ich erklären, warum mir dieses Thema so wichtig ist und warum ich da so hartnäckig bin.

Es hat in der deutschen Geschichte niemals rechtsstaatlichere Verhältnisse gegeben als in der Bundesrepublik, niemals weniger korrupte Regierungen, niemals mehr Transparenz. Allein die heutigen Möglichkeiten des investigativen Journalismus lassen Politiker davor zurückschrecken, sich auch nur dem Verdacht auszusetzen, sie könnten etwas Rechtswidriges tun.

Auch im internationalen Vergleich rangiert Deutschland ganz vorn. Politiker wirtschaften nicht in die eigene Tasche oder die ihrer Partei, wie es fast überall üblich ist; selbst in Frankreich. Kein deutscher Spitzenpolitiker war in solche Skandale verwickelt wie zB Chirac. Die Sozialisten sind nicht besser; es war lange Zeit gang und gäbe, zB Mitrarbeiter der eigenen Partei aus öffentlichen Mitteln zu bezahlen, wenn man an der Macht war.

Also, wir brauchen uns in Deutschland in dieser Hinsicht wirklich nicht zu schämen; ebenso, wie wir vorbildlich demokratische Verhältnisse haben.

Aber Medien, die zunehmend von der Kritik an "denen da oben" leben, dazu seit zwanzig Jahren die Propaganda einer "kapitalismuskritischen" Partei haben es fertiggebracht, bei immer mehr Bürgern den Eindruck entstehen zu lassen, wir lebten in einer Bananrepublik. Die Zustimmung zu unserem demokratischen Rechtsstaat schwindet in erschreckender Weise, obwohl es dafür wirklich keine objektiven Gründe gibt.

Nicht nur die extreme Linke, sondern natürlich auch die extreme Rechte schlachten das weidlich aus und suchen es zu befördern; irgendwann, so erwarten sie es, ist der demokratische Rechtsstaat sturmreif geschossen.

Und wenn dann auch Sie, ein Liberaler, dessen Kompetenz und dessen Meinungen ich hochschätze, ins selbe Horn bläst - dann hat mich das erst erschreckt und dann herausgefordert.

Herzlich, Zettel

Charly Offline



Beiträge: 14

23.07.2009 18:24
#44 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Mein Einblick in die Deutsche Innenpolitik habe ich zu einem Großteil aus diesem und anderen Blogs sowie von einem in Bayern lebenden Freund (jedoch auch Österreicher).

Was vieles hier für mich interessant macht ist das nicht nur Mode und Musik sehr oft von Deutschland nach Österreich kommt sondern auch Politisches. Darum habe ich diese Diskussion sehr aufmerksam gelesen. Ich denke dass die Situation in Österreich ähnlich ist. Ich würde ebenfalls niemals die Rechtsstaatlichkeit in Frage stellen wenn gleich es auch hier genügend Fälle gibt wo Weisungen und Erlässe gegen geltendes Recht verstoßen. Wobei ich aber immer von mir aus gehe und so ein Erlass von einer kleinen Politischen Instanz ausgesprochen gegen ein „höheres“ geltendes Bundesgesetz verstößt. Durch die Föderale Organisation unseres Staates ist so etwas durchaus normal denke ich.

Aber auch bei uns wird immer wieder versucht aus solchen Pannen einen Verfall des Rechtsstaates zu konstruieren, was auf den ersten nur schwarz und weiß sehenden Blick auch so zu sein scheint. Außerdem verlangt es dem Beobachter ein großes Maß an Aufmerksamkeit ab den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren. Das Augenmaß geht dabei aber selbst unseren Nationalratsabgeordneten verloren, wie die aktuelle Spionageaffäre wieder zeigt. Denn meiner Meinung nach rechtfertigt der Sachverhalt in keiner Weise einen Untersuchungsausschuss. Aber als Mittel politischen Ränkespiels und auch hierzulande befinden wir uns schon im Vorwahlkampf was eine solche Plattform sehr interessant macht.

Für Österreich würde ich auf der oben angegebenen Skala ebenfalls eine 8 vergeben wenn es auch oberflächlich Betrachtet eher wie 7 aussieht. Insofern schätzen sie sich glücklich, nur dass wir (noch) neutral sind empfinde ich als erheblichen Vorteil.

Mit freundlichen Grüßen aus Österreich, Charly.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.07.2009 11:46
#45 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Lieber Zettel, in Ihrer Gesamtsicht stimme ich Ihnen völlig zu. Insbesondere im internationalen Vergleich stehen wir (immer noch) hervorragend da. Und Perfektion kann man ohnehin nie erwarten.

Aber es gibt eben auch Staaten, die noch besser dastehen (z. B. die Schweiz) und vor allem glaube ich, daß wir schon besser waren. Und daß wir uns in einer Richtung bewegen, die gefährlich ist und die Fundamente des Rechtsstaats unterhöhlt.

Die von mir beschriebenen Beispiele sind also per se nicht ein Beleg, daß wir in einer "Bananenrepublik" leben - dafür sind sie noch zu selten und auch meist nicht wirklich schlimm in den Auswirkungen. Sie sind also auch kaum Anlaß, Ihrer Einschätzung zu widersprechen.
Aber sie sind für mich Warnsignale für die Fehlentwicklung der letzten Jahre (10-20 Jahre), es droht die Gefahr, daß wir künftig nicht mehr einen guten Rechtsstaat-Zustand haben, wie Sie ihn beschreiben.


Ich sehe die Gefahr in zwei Bereichen.

Einmal schreibt Calimero zu Recht:

In Antwort auf:
Ein wirklicher Rechtsstaat muss die Einhaltung der geltenden Gesetze auch kompromisslos durchsetzen.

Das "kompromißlos" hätte ich jetzt nicht so krass formuliert, ansonsten aber ist es essentiell, daß Gesetze auch durchgesetzt werden, daß man schon beim Erlaß von Gesetzen/Verordnungen darauf achtet, daß sie durchsetzbar und machbar sind.

Das ist immer weniger gegeben. Wir haben weite Bereiche, da wird Symbolpolitik gemacht - Paragraphen werden in die Welt gesetzt, um sich zu profilieren, völlig ohne Rücksicht darauf, ob das auch gelebt werden kann.
Wir haben Bereiche (vor allem in der Umweltpolitik), da sind die Gesetze gutmenschenhaft jenseits der Realität, da werden Grenzen definiert ohne Überlegung, ob sie machbar sind.
Und wir haben Bereiche (vor allem im Steuerrecht), da sind die Gesetze so kompliziert, wirr und widersprüchlich, daß man sie de facto nicht einhalten kann. Eine wirklich vollständig korrekte und alle Regeln beachtende Steuererklärung kann man bei nicht völlig trivialen Einkommensverhältnissen schlicht nicht mehr abgeben. Auch Steuerberater und Finanzbeamte können dies nicht mehr.

Und das alles führt letztlich dazu, daß sich so ein Fatalismus der Art "legal - illegal - scheißegal" einstellt. Man wurschtelt sich so durch und gesetzestreues Handeln wird zur Nebensache.


Zum Zweiten kommt uns (m. E. eine Folge der 68er) der nötige Respekt vor Regeln abhanden. Bei zu vielen Menschen geht es nicht um die Frage: "Mache ich das Richtige", sondern nur noch um "Kann ich erwischt werden"?
Da spielen Politiker eine ganz üble Vorreiterrolle, vielen gilt eigentlich alles als legitim, was nicht zu direkten strafrechtlichen Folgen führt.

Und ein Rechtsstaat kann nicht existieren, wenn nicht ein breiter Konsens besteht, ihn mit Anstand zu leben. Es ist unmöglich, überall Polizisten und Richter zu positionieren (und zu überwachen!), die Masse der Bevölkerung muß bereit sein, auch ohne Überwachung und Sanktionen gesetzestreu zu handeln. Und das tun die meisten nur, wenn sie sich auch darauf verlassen können, daß die anderen das auch tun. Dieses Vertrauen sehe ich stark erodiert, und das ist gefährlich für den Bestand des Rechtsstaats.


Zettel Offline




Beiträge: 20.200

24.07.2009 12:39
#46 RE: Rechtsstaat, Freiheit, Etatismus Antworten

Zitat von R.A.
Und ein Rechtsstaat kann nicht existieren, wenn nicht ein breiter Konsens besteht, ihn mit Anstand zu leben. Es ist unmöglich, überall Polizisten und Richter zu positionieren (und zu überwachen!), die Masse der Bevölkerung muß bereit sein, auch ohne Überwachung und Sanktionen gesetzestreu zu handeln. Und das tun die meisten nur, wenn sie sich auch darauf verlassen können, daß die anderen das auch tun. Dieses Vertrauen sehe ich stark erodiert, und das ist gefährlich für den Bestand des Rechtsstaats.

Darin sehe ich auch den Kern des Problems, lieber R.A.

Ein Gemeinwesen kann nur funktionieren, wenn alle (mit Ausnahme natürlich der Kriminellen, die es in jeder Gesellschaft gibt), die Normen und Gesetze akzeptieren, und zwar freiwillig, aus Einsicht.

Woher kommt die Erosion des Rechtsbewußtseins? Sie nennen die 68er Bewegung, und da scheint mir in der Tat eine der Wurzeln zu liegen.

Nicht so sehr darin, daß offen der Gesetzsbruch proklamiert wurde ("Gewalt gegen Sachen", "Klau mich" usw.), sondern in der Mentalität, die damals entstande: An Gesetze braucht man sich nur dann zu halten, wenn sie einem passen. (Wir hatten ja hier im Forum dazu auch einmal eine Diskussion).

Man hatte das Schreckensbild des Untertanen vor Augen und stellte sich nun einen "mündigen Bürger" vor, der "Autoritäten hinterfragt", der seine "Interessen vertritt" usw. Das haben die Leute in den Jahrzehnten danach gelernt ("verinnerlicht") - rücksichtslos ihre eigenen Interessen zu vertreten, ohne Blick auf das Gemeinwohl. Man kann es in diesen Tagen am Streik der Kindergärtnerinnen sehen.

Man bildete sich ein, eine "solidarische Gesellschaft" zu schaffen und hat als Ergebnis eine in Gruppen zerfallende Gesellschaft bekommen, in der jeder nur noch sein Partikularinteresse verfolgt.



Das zweite ist meines Erachtens der Wandel der Medien.

Das gute alte TV, die führenden Zeitungen und Zeitschriften waren bis in die siebziger Jahre vielleicht betulich und a bisserl verstaubt, aber sie waren auch um Sachlichkeit bemüht.

Es gab fürs Schreierische die "Bildzeitung" und für das Aufdecken von Schmutz den "Spiegel". Das war's dann aber auch schon.

Heute ist jede Zeitung, jede politische Sendung des TV von der Art, wie damals der "Spiegel" war. Es wird aufgedeckt, es wird angeklagt, es geht ständig um Machenschaften, um die Gier der Reichen, um die Lügen der Politiker usw. usw.

Es wird das Bild von einem Sumpf entworfen, in dem wir angeblich leben. Ich habe mir längst abgewöhnt, Sendungen wie "Panorama", "Fakt", "Monitor" usw. zu sehen. Das Fazit jedes Beitrags kennt man schon, bevor er angefangen hat: Die Reichen, die Mächtigen, kurz "die da oben" haben Dreck am Stecken.

Ein Volk, das über Jahrzehnten dieses Bild von den Verhältnissen vermittelt bekommt, sagt sich logischerweise: Und da soll ausgerechnet ich, der Kleine Mann, gesetzestreu sein? Die Reichen hinterziehen, so wird suggeriert, allesamt die Steuern, warum soll es auch nicht der Kleine Mann mal probieren? Nicht einmal die Regierung hält sich an die von ihre selbst verabschiedeten Gesetze - warum soll also ich, der kleine Mann, mich daran halten? Man darf sich nur nicht erwischen lassen.

Das ist die Mentalität, die um sich greift, lieber R.A.

Herzlich, Zettel

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