Zitat von RaysonDeswegen glaube ich nicht, dass das Lächeln den vorübergehenden Zustand kennzeichnet, den Churchill als "zu den Füßen" beschreibt, sondern die effektive Übernahme von Sitten und Gebräuchen, die uns durch das Zusammenwachsen von Kulturen als normal erscheinen.
Zum Churchill-Zitat habe ich, lieber Rayson, gerade etwas geschrieben. Ich glaubte nicht, daß er das meinte, was wir hier diskutieren; also das Schwingen des Pendels hin zu dem Pol, den ich mit "freundliche Sensibilität" zu kennzeichnen versucht habe.
Zum amerikanischen Einfluß stimme ich dir zu.
Diese Lockerheit, die die Amis mitbrachten, hat viele Deutsche in den Nachkriegsjahren sehr irritiert. Meine Eltern vermittelten mir, als ich vielleicht fünf oder sechs war, diese Erkenntnisse über die Amis: Sie kauen ständig Kaugummi, die Frauen rauchen und malen sich an, jede Putzfrau hat ein Auto. Und vor allem: Die Amis legen die Füße auf den Tisch.
Ich habe mir das damals vorzustellen versucht, wie die dann essen.
Selbst kennengelernt habe ich die amerikanische Kultur ab dem Alter von sieben oder acht, als wir in eine Stadt zogen, in der es ein Amerikahaus gab. Ich habe das schon mal irgendwo hier geschrieben, wie sich mir da eine neue Welt erschloß. Nicht nur durch die Bücher, die man da ausleihen konnte. Sondern die Freundlichkeit und Lockerheit im Umgang auch mit uns Kindern - das war mir völlig unbekannt gewesen. (In der ersten Klasse hatte ich in einer anderen Stadt noch eine Lehrerin erlebt, die ständig einen Schüler nach vorn rief und ihn mit ihren Stock auf die auszustreckenden Hände hieb, bis er heulte).
Die Reeducation war viel erfolgreicher, als viele es wahrhaben wollten. Nicht nur in der Erziehung, sondern zum Beispiel auch im Pressewesen. Ich habe kürzlich Leo Brawands Geschichte der Entstehung des "Spiegel" gelesen ("Der SPIEGEL - ein Besatzungskind")und das, glaube ich, auch schon erwähnt. Da wurde mir deutlich, was die Amis und auch die Tommys geleistet haben, als sie ein demokratisches Pressewesen in Deutschland aufbauten.
Zitat von Rayson Rheinländer sind Typen, die hinter dir in die Drehtür eintreten, aber vor dir wieder herauskommen - extrem optimistisch, rührselig und mitteilsam.
Lieber Rayson,
meine rheinländische "bessere Hälfte" hat diese Beschreibung ihres "Stammes" herzlich lachend zur Kenntnis genommen. Stimmt wohl alles.
Zitat von RaysonVon den "Neuen Bundesländern" kenne ich zu wenig. Die Mecklenburg-Vorpommerer dürften wie Schleswig-Holsteiner ticken (und wie die Sachsen-Anhaltiner sehr nah bei den Niedersachsen sein), Berliner und Brandenburger nehmen sich nicht viel, meine Stichprobe von Thüringern umfasst nur sehr aufgeschlossene und intelligente junge Männer, Sachsen kenne ich nur als Tourist, ohne ihnen einen einheitlichen Charakter zugestehen zu können (irgendwie erscheint mir der Osten viel individueller aka uneinheitlicher als der Westen).
Na ja, hier gab es ja auch einen heftigen Bevölkerungsaustausch. Die einen sind vor den Russen geflüchtet, während 'ne Menge Flüchtlinge aus Schlesien und Ostpreußen zugezogen sind. Da ist die Struktur halt inhomogener. Außerdem wurde in der DDR ja Brauchtumspflege und Religion nicht unbedingt gefördert. Sowas prägt die Kultur ja auch entscheidend.
Wenn ich mir "meine" Brandenburger so angucke, dann ist da trotzdem wohl so ein wenig preußisch-korrekte Staatsgläubigkeit verankert (ich weiß jetzt nicht, wie ich das anders umschreiben soll), wie man an den Ergebnissen der Linken hier ablesen kann. Ansonsten ist der Märker ein prinzipienfester Zeitgenosse, dessen Wohlwollen man sich als Fremder erst erarbeiten muss. Dann hat man's aber sicher. Man muss aber berücksichtigen, dass mitten im Zentrum der Mark das Zentralgestirn Berlin prangt, welches viel Volk anzieht, und später wieder ins Umland entlässt. Zudem hat die Industriepolitik der DDR jede Menge junge Leute aus ländlichen Gebieten anderer Länder in die schwerindustriellen Ballungszentren Brandenburgs gezogen.
Also viel Mischmasch hier, aber ich mag meine Märker (auch wenn ich sie manchmal nicht verstehe) - is halt mein "Stamm".
Es grüßt ... eine westgalizisch-norddeutsche Koproduktion. Der Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Hmmmja, die deutschen Stämme... Als mich letztes Jahr eine neugierige brasilianische Studentin im Lift gefragt hat, von welchem Stamm ich komme, mußte ich verdammt intensiv nachdenken, ehe ich ihre Frage verstanden habe.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Zitat von CalimeroWenn ich mir "meine" Brandenburger so angucke, dann ist da trotzdem wohl so ein wenig preußisch-korrekte Staatsgläubigkeit verankert (ich weiß jetzt nicht, wie ich das anders umschreiben soll), wie man an den Ergebnissen der Linken hier ablesen kann. Ansonsten ist der Märker ein prinzipienfester Zeitgenosse, dessen Wohlwollen man sich als Fremder erst erarbeiten muss. Dann hat man's aber sicher. (...) Also viel Mischmasch hier, aber ich mag meine Märker (auch wenn ich sie manchmal nicht verstehe) - is halt mein "Stamm".
Mir ist es, lieber Calimero, mit der Mark Brandenburg so gegangen:
Vor 1989 war sie mir auf eine eigenartige Weise zugleich vertraut und fremd. Sie war mir vertraut, weil zwei meiner Lieblingsautoren sie geliebt und immer wieder beschrieben haben: Theodor Fontane und Günther de Bruyn. Aus Fontanes Romanen, natürlich aus seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" hatte ich ein sehr genaues Bild des Märkers - ungefähr so, wie Sie es auch schildern. Mir war von daher auch die Geschichte der Mark vertraut; nach 1989 sind wir mit dem Fontane im Gepäck herumgefahren und haben die Orte aufgesucht, die er beschrieben hat.
Günther de Bruyn ist sein heutiger Nachfahre. Genauso nüchtern wie Fontane, genauso präzise in seinen Schilderungen und auch ein genauso sympathischer, humaner und liberaler Autor. Durch ihn wurde mein Bild von der Mark zur Zeit der DDR geprägt.
Die Literatur war also die eine Quelle, die mir die Mark Brandenburg "wirklich" machte. Die andere war der Augenschein. Meine Frau ist Berlinerin, und bevor wir zusammenzogen, bin ich xfach mit der Bahn nach Berlin gefahren. Da kam ich also durch die Mark, und was ich sah, das war - Sand. Sand und die darauf wachsenden Wäldchen. Mir fiel immer "Des Heiligen Römischen Reichs Streusandbüchse" dazu ein. In so einem kargen Land können keine Leute vom Typ des Rheinländers leben, dachte ich mir.
Es war beklemmend, durch die DDR zu fahren. Wir brauchten ja als Westdeutsche keine Angst zu haben - aber dieser DDR-spezifische Geruch der Züge (man roch sie schon, wenn man noch am Fuß der Treppe zum Bahnsteig war), diese ständige Präsenz der "Staatsmacht", das ergab eine sehr spezifische Stimmung, die sich zB darin äußerte, daß die Leute im Abteil zu einer "Gruppe" zusammenwuchsen und sich mehr miteinander unterhielten, als ich das je sonst in Zügen erlebt habe.
Wenn man dann die Mauer (diejenige, die Westberlin umzingelte) durchfuhr, dann gab es ein allgmeines Aufatmen.
Ab Sommer 1990 waren wir oft in Brandenburg; ich habe ja gelegentlich schon davon geschrieben. Die Leute waren schon ungefähr so, wie ich sie mir anhand von Fontane und de Bruyn vorgestellt hatte und wie Sie sie jetzt beschreiben, lieber Calimero.
Nur in einem Punkt nicht, den ich auch schon oft erwähnt habe: Dieses Vage, diese Scheu, etwas eindeutig zu sagen, sich festzulegen, initiativ zu werden. Ich hatte in Gesprächen oft den Eindruck, auf eine Gummiwand zu stoßen.
Das war natürlich nicht das Erbe Brandenburgs, sondern das des Kommunismus.
Herzlich, Zettel
PS: Schade, daß Libero sich aus dem Forum - überhaupt aus der liberalen Blogosphäre - zurückgezogen hat. Er würde zu diesem Thema bestimmt Interessantes beizusteuern wissen.
Zitat von ZettelDa kam ich also durch die Mark, und was ich sah, das war - Sand. Sand und die darauf wachsenden Wäldchen. Mir fiel immer "Des Heiligen Römischen Reichs Streusandbüchse" dazu ein. In so einem kargen Land können keine Leute vom Typ des Rheinländers leben, dachte ich mir.
Kärgliches Land? Wäldchen auf Sand? Also bitte!
Ich habe vorhin mal spaßeshalber "Google-Earth" angeworfen und man sieht dort perfekt, wie sattgrün die Mark ist. Wenn Canetti Recht hat (und ich glaube ihm), dass der Wald das deutsche Massensymbol darstellt, dann muss die Mark eigentlich deutsches Traumland sein.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Zitat von CalimeroKärgliches Land? Wäldchen auf Sand? Also bitte!
Ich habe vorhin mal spaßeshalber "Google-Earth" angeworfen und man sieht dort perfekt, wie sattgrün die Mark ist. Wenn Canetti Recht hat (und ich glaube ihm), dass der Wald das deutsche Massensymbol darstellt, dann muss die Mark eigentlich deutsches Traumland sein.
Zu meinen jedenfalls gehört sie, lieber Calimero. Weniger wegen des Waldes als wegen der Seen. Und natürlich wegen Fontane und de Bruyn; auch wegen dem alten Fritzen.
Nur ist unter dem Wald halt der Sand, wie die Seen eine Hinterlassenschaft des letzten Glazials. Und nur fehlt diesem Land, in dem erst der preußische Landadel und dann die Kommunisten über Landarbeiter herrschten, halt die Dynamik der Sachsen und die Westorientierung der Thüringer, die sich so wenig als "Ostdeutsche" verstehen (das grüne Herz Deutschlands!), wie die Tschechen sich (Ungelt? Jana?) jemals als Osteuropäer verstanden haben.
Es sollte aus meiner Sicht viel mehr auf Fremdenverkehr setzen, dieses schöne und traditionsreiche Land. Ich meine mich zu erinnern, daß es immer noch viele Westdeutsche gibt, die noch nie in einem der Neuen Länder waren.
Lange Zeit ja verständlich. Als wir in den neunziger Jahren oft dort waren, gab es zwar viel guten Willen, aber auch noch viel DDR-Mentalität. (Ich werde nie das Restaurant vergessen, idyllisch an einem See gelegen, wo wir etwas bestellen wollten, nur kam kein Kellner auf die Terrasse. Als ich mich dann ins Innere aufgemacht habe, fand ich die ganze Brigade friedlich schmausend an einem Tisch sitzen. Auf meine Frage hin, wann wir denn bedient werden würden, kam die Antwort: Wenn wir mit Essen fertig sind. Fragen Sie nochmal in einer halben Stunde).
Aber damit ist es jetzt, lieber Calimero, vermutlich vorbei. Nur fürchte ich, daß das viele Westdeutsche noch nicht wissen und dann doch lieber in der Lüneburger Heide Urlaub machen, wo es zwar längst nicht so toll ist wie im Spreewald (dort spielte sich diese Szene ab), aber man weiß, daß der Service OK ist.
ich musste grad breit grinsen und dachte spontan an ein Restaurant in der Stadt, in welcher ich meine Kindheit verbrachte denken (ich bin ja im Spreewald aufgewachsen). Das erste Haus am Platze, also die günstigste Platzierung ... alle kommen da an, wenn sie in den Spreewald starten wollen, auch zu DDR-Zeiten schon. Da wird man halt arrogant, so ohne wirkliche Konkurrenz.
Leider sprechen sie ja von einem Lokal an einem See. Da fällt mir spontan nix ein. Können sie den Ort noch benennen?
Herzlich, Calimero
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Zitat von CalimeroLeider sprechen sie ja von einem Lokal an einem See. Da fällt mir spontan nix ein. Können sie den Ort noch benennen?
Nein, lieber Calimero; höchstens vielleicht unter Hypnose.
Wir hatten den Wohnwagen damals auf einem Platz südlich von Berlin stehen und sind von dort kommend in den Spreewald gefahren, über Lübben nach Lübbenau und dann erst einmal zum Kahnfahren. Später dann haben wir ein Lokal zum Essen gesucht, und es gab die geschilderte Szene. Vielleicht war es auch nicht an einem See, sondern an einem anderen Wasser.
Diese Stakfahrt durch die Tiefe des Spreewalds - von Lehde aus, kann das sein? - war übrigens sehr schön, obwohl es Standard-Touristik war, also alle auf Bänkchen sitzend, und man fuhr uns dahin, wo wir Gurken etc kaufen sollten. Wir haben aber manche dieser Kähne gesehen, bei denen in der Mitte nur ein Tisch mit Stühlen aufgebaut ist und wo sich kleine Gruppen, eine Familie o.ä. offenbar kulinarisch verwöhnen lassen, während sie durch den Spreewald gestakt werden. Das wollte ich immer auch mal ausprobieren; ist aber bisher nix daraus geworden.
die Kähne im Spreewald sind sowas wie Reisebusse auf dem Wasser. Ein Einzelkahn mit Tischchen ist sowas wie Limousinenservice. Die einzig "wahre" Variante ist die, sich ein Paddelboot zu mieten und damit selbstverantwortlich die Fließe zu erkunden (Verirren und Verfahren inklusive ). Einen Rucksack mit Decke und Verpflegung dabei, und dann auf einer Wiese picknicken ... oder einfach das Boot irgendwo festmachen und was Leckeres essen und trinken - herrlich! Aber Anti-Mücken-Spray nicht vergessen!
Beste Grüße, Calimero
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