In diesem Artikel geht es anfangs um lächelnde Politiker und dann um den deutschen Nationalcharakter und seinen Wandel.
Wahrscheinlich wird bei dem Wort "Nationalcharakter" mancher Leser unwillig reagieren. Ja, gibt es das denn überhaupt? Ist nicht jeder Mensch anders? Gibt es nicht in der einen Nation wie der anderen Brutale und Friedfertige, Freiheitsfreunde und Obrigkeitsgläubige, Gourmets und Gourmands?
Ja, gewiß. Und doch weiß jeder, der in verschiedenen Ländern gelebt hat, wie verschieden die Mentalitäten sind. Nicht die aller Menschen, aber doch die einer Mehrheit.
Über den französischen Nationalcharakter zum Beispiel habe ich das eine oder andere in der Serie "Gedanken zu Frankreich" geschrieben; beispielsweise über die Franzosen als konformistische Individualisten und als staatsfromme Revolutionäre.
Und wie sieht es mit unserem deutschen Nationalcharakter aus? Das Pendel hat sich seit der Wiedervereinigung bewegt, behaupt ich. Hin zu einem Pol, den man mit "freundliche Sensibilität" bezeichnen kann.
Er ist was fürs Herz. Auch zum Nachdenken, zuallererst macht er mich aber heiter.
Es kommt mir auch so vor, als hätten sich meine Mitmenschen, die zufälligen Begegnungen, im Laufe der letzten 20 Jahre verändert. An der Verwandtschaft und Bekanntschaft kann man das ja schwerer feststellen, weil man sie als Einzelfälle betrachtet.
Die Kinder haben keine Furcht mehr vor Erwachsenen. Oft auch keinen Respekt, an der Feineinstellung müssen wir noch schrauben, doch Kinder ohne Furcht aufwachsen zu lassen ist eine Basis, auf der Gutes entstehen kann.
Die Leute auf der Straße sind freundlich. Wenn jemand mal unfreundlich oder komisch ist, dann sind die anderen meist amüsiert erstaunt und nicht verärgert. Auch bei den Erwachsenen fehlt noch was kulturbildendes, sie müßten noch irgendeine Eigenschaft haben, die auf einer bewußt gepflegten Haltung beruht. Interesse, Hilfsbereitschaft, Fleiß, Bildungswillen. Zur Zeit kommen wir mir charakterlich ein bißchen vor wie ein freundliches Naturvolk in Zeiten des Überflusses.
Ich war mir längere Zeit nicht sicher, ob meine Beobachtung darauf beruht, daß ich selbst mich verändert habe, oder vielleicht einfach darauf, daß ich in andere Bundesländer gezogen bin. Und zwar jeweils in Landstriche mit einer Urbevölkerung von jeweils offenerer Mentalität. Von Bayern nach Berlin und dann nach Rheinhessen. Aber auch in meiner Geburtsheimat Bayern sind die Leute nicht mehr so verschlossen und biestig.
Es ist schön zu lesen, lieber Zettel, daß Du diese Beobachtungen auch machst.
Liebe Grüße
Kaa
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt
das Land des Lächelns ist aber auch ein Land der Seichtigkeit und des furchtsamen Raushaltens wie das Weblog Sicherheitspolitik beschreibt und dann Carl Schmitt zitiert
In Antwort auf:Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.
Zitat von Thomas Paulidas Land des Lächelns ist aber auch ein Land der Seichtigkeit und des furchtsamen Raushaltens wie das Weblog Sicherheitspolitik beschreibt und dann Carl Schmitt zitiert
In Antwort auf:Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.
Tja, lieber Thomas, das ist die Kehrseite der Medaille. Ich habe den Artikel auch a bisserl in der Erwartung geschrieben, daß genau dieser Punkt diskutiert wird.
Auch ich bin da ambivalent. Insgesamt sehe ich die in dem Artikel skizzierte Entwicklung positiv. Daß sie in eine, sagen wir, heitere Wurschtigkeit führen könnte und vielleicht teils schon geführt hat (Maxime: Die Amis schützen uns, und wir genießen die so gesicherte Freiheit), ist mir schon sehr bewußt.
Es ist mal wieder ein Fall für meinen liberalkonservativen Vermittlungsausschuß, den ich gerade in einem anderen Beitrag in einem ganz anderen Zusammenhang erwähnt habe.
Den Verweis auf Carl Schmitt und dessen Zitat halte ich allerdings für sehr problematisch. Als Grundkategorie des Politischen sah Schmitt bekanntlich "Freund-Feind" an. Wenn er auch (jedenfalls bald) kein Nazi (mehr) war, hatte sein erzkonservatives Denken doch viele Berührungspunkte mit dem Sozialdarwinismus der Nazis.
Ich denke nicht, daß Schmitts "Grundkategorie" oder sein Denken in Völkern zum Verständnis der heutigen Probleme von Nutzen ist. Die Auseinandersetzungen finden heute nicht mehr zwischen Völkern statt, sondern zwischen Freiheit und Unfreiheit. Sie nehmen ganz unterschiedliche Formen an - von der Diplomatie über wirtschaftlichen Druck bis hin zum Einsatz militärischer Machtmittel. Und es geht nicht mehr darum, daß ein Volk sich behauptet, sondern es geht - aus meiner Sicht - darum, ob die Werte der Aufklärung, also der Kern unserer westlichen Kultur, weltweit übernommen werden: oder ob sich der Totalitarismus gleich welcher Spielart durchsetzt.
Zitat von KaaIch war mir längere Zeit nicht sicher, ob meine Beobachtung darauf beruht, daß ich selbst mich verändert habe, oder vielleicht einfach darauf, daß ich in andere Bundesländer gezogen bin. Und zwar jeweils in Landstriche mit einer Urbevölkerung von jeweils offenerer Mentalität. Von Bayern nach Berlin und dann nach Rheinhessen. Aber auch in meiner Geburtsheimat Bayern sind die Leute nicht mehr so verschlossen und biestig.
Mein - sehr subjektiver und gar nicht repräsentativer - Eindruck ist, daß die Menschen in keinem deutschen Landstrich freundlicher sind als in Baden; womit ich Südbaden meine und nicht etwa die Pfalz (... ähäm, liest da jemand noch mit? ).
Vielleicht liegt es am fast schon mediterranen Klima, vielleicht am guten Essen und der Kultur des Weintrinkens, vielleicht auch an den verwandschaftlichen Banden mit dem Elsaß - jedenfalls ist man, so mein Eindruck, in Baden freundlich, weil es einem so gut geht; und es geht einem unter anderem deshalb so gut, weil man freundlich ist.
Der verbiesterste deutsche Volksstamm unter denen, die ich kennengelernt habe, sind die Schwaben. Ständig unter Druck, alles richtig zu machen; und ständig darauf bedacht, daß auch die anderen alles richtig machen.
Am sympathischsten sind mir die Menschen des Ruhrgebiets, wo ich lange gelebt habe. Nicht eigentlich ein deutscher Stamm, sondern eine eigene Kultur der Toleranz, des nüchternen Lebensgenusses, auch eines trockenen Witzes, zu der sich das Gemisch aus Westfalen und Polen (sowie anderen Zuwanderern) zusammengefunden hat. Locker wie die Badener, nur nicht so kultiviert und elegant.
Zu den Hessen, meinem eigenen deutschen Stamm, habe ich ein ambivalentes Verhältnis. Es geht ruppig und direkt zu in Hessen; der Babba Hesselbach und Heinz Schenk sind da schon repräsentativ gewesen.
Andererseits hat diese uralte Grenzlandbevölkerung - nämlich seit der Zeit des Limes - das Grundmotto "Leben und leben lassen". Großzügig sind sie, die Hessen; keine Spur von schwäbischer Verbiestertheit. Man durfte es halt weder mit den Römern noch mit den Germanen verderben.
Nationalcharakter ist ein unglaublich interessantes Thema. Und mich fasziniert immer wieder, wie stabil manche Charakterzüge eines Volkes sich über viele Jahrhunderte und Generationen erhalten bleiben.
Bei den Deutschen eben diese beiden: Einerseits das Freundliche, Friedliche - und andererseits das Fanatische, Militaristische. Die friedlichen Phasen sind m. E. deutlich vorherrschend, aber die Ausnahmen bleiben natürlich stärker im Gedächtnis.
Und bezeichnend (und andere Völker immer wieder irritierend), daß beide Positionen sehr stark ausgeprägt sind, und zwischen beiden sehr abrupt (und bei denselben Leuten) gewechselt werden kann.
Churchill soll das angeblich so beschrieben haben: "Die Deutschen hat man entweder zu den Füßen oder an der Gurgel."
Da ist viel dran. Die Deutschen haben wenig übrig für Zwischentöne, vage und ungeklärte Zustände - es muß alles deutlich (und offiziell) sortiert sein: Krieg oder Frieden. Erlaubt oder verboten. Und wenn für eine der beiden Möglichkeiten entschieden wurde (und sei es auch nur durch ein minimales Detail), dann wird das konsequent durchgezogen, dann gibt es kein Maßhalten und keine Verhältnismäßigkeit. Da wird dann die freundliche, hilfsbereite Nachbarin zur Furie, die wegen eines Maschendrahtzauns die höchstmöglichen Gerichtsinstanzen bemüht.
Sehr schön sieht man das übrigens an einem aktuellen Beispiel, dem Afghanistaneinsatz. Es wird eigentlich ausschließlich darüber diskutiert, ob dies nun als Krieg zu bezeichnen ist oder nicht. Eine Frage, die keine der übrigen Nationen auch nur die Bohne interessiert. Aber die eigentlichen Fragen, d.h. Sinn und Zweck des Einsatzes, bestmögliche Strategie, die Konsequenzen verschiedener Optionen - die spielen in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle.
Zitat von ZettelDer verbiesterste deutsche Volksstamm unter denen, die ich kennengelernt habe, sind die Schwaben. Ständig unter Druck, alles richtig zu machen; und ständig darauf bedacht, daß auch die anderen alles richtig machen.
Falsch! So verbiestert sind wir Schwaben gar nicht. Wo Sie schon auf die Leichtathletik-Weltmeisterschaft gekommen sind: der neue deutsche Frohsinn brach am 13. August 1993 aus, nämlich bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart. Damals gab ein perfekt lockeres Publikum die präzisesten La-Ola-Darbietungen aller Zeiten!
da haben sie wieder einmal einen sehr schönen Artikel publiziert, zu dem ich weder etwas ergänzen, noch etwas erwidern kann (geht mir hier häufig so).
Aber er hat mir ein Erlebnis ins Gedächtnis zurückgerufen, welches ich auch heute noch als absurd empfinde. Es müsste vor ca. 10 Jahren gewesen sein, als ich auf irgendeinem Flughafen der südlichen Hemisphäre in einer Wartehalle stand, und mir zum ersten und bisher einzigen Male mit Zorn und Empörung vorgeworfen wurde, dass ich mich "typisch deutsch" verhalte.
Was war passiert? Die Sitzreihen waren so besetzt, dass wir (ich und meine Freundin nebst Gepäck) keinen vernünftigen Sitzplatz finden konnten. Also stellten wir uns etwas abseits. In regelmäßigen Abständen hingen an den Stützpfeilern der Halle Rauchverbotsschilder und darunter standen gut gefüllte Aschenbecher. Keine Abfalleimer, sondern echte Aschenbecher mit Kippen darin. Vorn, wo die meisten Reisenden saßen waren sie weniger benutzt, hinten, wo wir nun standen, quollen sie geradezu über.
Nach einer langen Zeit des Wartens zog ich nun meine Ziggis aus der Tasche und zündete mir eine an. Ich war ja weitab der anderen Wartenden und würde so niemanden belästigen. Plötzlich sprang ein Männlein, Typ frühpensionierter Sozialkundelehrer aus einer Sitzreihe auf, überwandt die ca 20 Meter von seinem Sitz- zu meinem Stehplatz und stellte mich zur Rede. "Ob ich die Schilder nicht gesehen hätte?" fragte er zornbebend. Ich: "Doch, klar." Er: "Und warum zünden sie sich hier eine Zigarette an?" Ich: "Na ja, das scheint hier ja nicht so eng gesehen zu werden..." und deutete auf die überfüllte Kippenurne neben mir. "Außerdem belästige ich ja keinen, weil hier außer uns ja keiner steht."
Wenn er nicht einen Kopf kleiner und nur halb so breit wie ich gewesen wäre, hätte er mich wahrscheinlich am Schlaffitchen gepackt und vor die Tür gezerrt. So blieb ihm nur ein zornbebendes "Das ist ja wiedermal typisch deutsch!", woraufhin er sich wieder zu seiner Gattin begab.
Ich war erstmal perplex und dann ging mir die Absurdität des Ganzen auf. Ich hatte ein Verbot übertreten und auch nach nachdrücklicher Aufforderung nicht von meinem schändlichen Tun abgelassen. Mein Widerpart wäre mir in bester VoPo- oder Blockwartstradition am liebsten an die Gurgel gegangen und schalt mich dann mit Ekel in der Stimme als "typisch deutsch" - anscheinend Ausdruck seiner höchsten Verachtung. Absurd, nicht wahr?
Herzlich, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Zitat von Zetteldaß die Menschen in keinem deutschen Landstrich freundlicher sind als in Baden;
Interessant. Würde ich nicht bestätigen, Baden ist für mich gerade mal guter Durchschnitt.
In Antwort auf:womit ich Südbaden meine und nicht etwa die Pfalz
Oha, gerade die Pfälzer würde ich als sehr freundlich bezeichnen.
In Antwort auf:... ähäm, liest da jemand noch mit?
VolkerD, übernimm' das mal ;-)
In Antwort auf:Der verbiesterste deutsche Volksstamm unter denen, die ich kennengelernt habe, sind die Schwaben.
Da ist viel dran. Obwohl die Begründung schwierig ist - denn den Schwaben geht es ja mindestens so gut wie den Badenern.
In Antwort auf:Am sympathischsten sind mir die Menschen des Ruhrgebiets
Die sind vielleicht manchmal etwas nervig (sie haben so gar kein Gefühl dafür, daß man vielleicht auch manchmal etwas Distanz haben möchte), aber auf jeden Fall sind sie sehr herzlich und locker im Umgang.
In Antwort auf:Es geht ruppig und direkt zu in Hessen ...
Oh ja.
Da fällt mir (gerade im Kontrast zu den Sätzen kurz vorher) folgender Witz ein: Zieht jemand aus dem Ruhrgebiet nach Darmstadt, und steigt morgens in die Straßenbahn. Und begrüßt alle mit einem freundlichen "Guten Morgen zusammen". Keine Reaktion der übrigen Fahrgäste. Auch am nächsten Tag die gleiche Szene - der freundlichen Begrüßung antwortet eisiges Schweigen. Und als sich das am dritten Tag wiederholt, hört man von ganz hinten eine alte Dame tief befriedigt murmeln: "Das setzt sich bei uns nicht durch!".
Alles natürlich im jeweiligen Dialekt, ein hiesiger Kabarettist bringt das ganz wunderbar. Man muß aber auch sagen, daß er damit begeisterte Reaktionen erntet - die Hessen sind sich ihrer Defizite bewußt und arbeiten daran ;-)
In Antwort auf:Andererseits hat diese uralte Grenzlandbevölkerung ...
Nein, das paßt nicht. Der Limes ist nicht nur lange her, sondern sein Fall löste ja eine heftige Wanderungsbewegung aus. Die Hessen als Volksgruppe haben sich erst danach gebildet, ihr "Nationalbewußtsein" ist eher davon geprägt, daß sie immer mitten drin lebten, weitgehend ohne Kontakte zu Nachbarvölkern. Wieso daraus nun die unhöfliche Großzügigkeit geworden ist, kann ich auch nicht erklären.
Zitat von ZettelDer verbiesterste deutsche Volksstamm unter denen, die ich kennengelernt habe, sind die Schwaben. Ständig unter Druck, alles richtig zu machen; und ständig darauf bedacht, daß auch die anderen alles richtig machen.
Falsch! So verbiestert sind wir Schwaben gar nicht.
Tja, vielleicht sind die Schwaben, wie überhaupt die Deutschen, ja auch nicht mehr das, was sie mal waren.
Meine Erfahrungen stammen, um ehrlich zu sein, hauptsächlich aus den sechziger Jahren, als ich in Tübingen studiert habe (plus einigen rezenteren Erfahrungen mit entfernten Verwandten aus Schwaben).
Gewiß, der Schwabe an sich hat auch seine sentimentalen (freilich dann eher melancholischen als fröhlichen) Seiten; vor allem dann, wenn er sein fünftes Viertele schlozt. Aber dominierend für meinen Eindruck waren doch diese soziale Kontrolle und diese Leistungsmotivation.
Ein Beispiel: Ich war mit einem Kommilitonen aus der Gegend von Stuttgart befreundet. Eines Tages zeigte er mir einen Brief seiner Mutter. Daran erheischte sie Auskunft darüber, ob er in seinen Studienleistungen seinen "Konkurrenten Zettel" jetzt endlich übertroffen hätte.
Zitat von KalliasWo Sie schon auf die Leichtathletik-Weltmeisterschaft gekommen sind: der neue deutsche Frohsinn brach am 13. August 1993 aus, nämlich bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart. Damals gab ein perfekt lockeres Publikum die präzisesten La-Ola-Darbietungen aller Zeiten!
Treffend als mit diesem Oxymoron "perfekt locker" kann man die Schwaben, so wie ich sie kennengelernt habe, nicht kennzeichnen. Und die "präziseste La-Ola-Darbietung aller Zeiten" als Beweis für Lockerheit ist auch köstlich. Kallias at his best
In Antwort auf:Andererseits hat diese uralte Grenzlandbevölkerung ...
Nein, das paßt nicht. Der Limes ist nicht nur lange her, sondern sein Fall löste ja eine heftige Wanderungsbewegung aus. Die Hessen als Volksgruppe haben sich erst danach gebildet, ihr "Nationalbewußtsein" ist eher davon geprägt, daß sie immer mitten drin lebten, weitgehend ohne Kontakte zu Nachbarvölkern. Wieso daraus nun die unhöfliche Großzügigkeit geworden ist, kann ich auch nicht erklären.
Erzählen Sie mir nichts über den Limes, lieber R.A.
Ich habe ihn eigenhändig ausgegraben. Naja, nicht den ganzen, und auch nicht allein.
Aber 1962 habe ich bei der Ausgrabung des Kastells Echzell gejobbt. Der abgebrochene Hals einer Amphore, den ich damals entdeckt habe und den ich behalten durfte, ziert noch jetzt meinen Schreibtisch.
Also, lieber R.A., mir gefällt die Grenzlandbevölkerungstheorie. Die Gene der damaligen Chatten, oder wer immer da in der Wetterau saß, leben doch in den heutigen Hessen weiter! Und damals überlebten nur diejenigen, die gut mit den Römern konnten, ohne es mit den Germanen zu verderben.
Der Limes war ja weniger ein Verteidigungswall - dazu war er gar nicht geeignet - als so etwas wie eine befestigte Zollgrenze; jedenfalls hat uns das damals der Grabungsleiter erklärt. Statt daß wild zwischen Römern und Germanen gehandelt wurde, konnten so die Händler kontrolliert, konnten sie erkennungsdienstlich erfaßt und vor allem mit einem kräftigen Zoll belegt werden.
Natürlich kam es auch mal vor, daß Germanentrupps à la Hägar der Schreckliche Raubzüge ins Römerland unternahmen. Die wurden dann von den Soldaten in den Kastellen, wie etwa der Ala Indiana Antoniniana in Echzell, in die Mangel genommen.
Also, die Theorie von den Hessen als Leuten, die einerseits in dieser unruhigen Grenzregion ihre Ruppigkeit erworben haben und andererseits ihre Großzügigkeit, weil sie mit allen leben mußten, die gefällt mir.
Übrigens erklärt das auch eine andere sehr hessische Eigenschaft: Das Mißtrauen. Ein richtiger Hesse fragt sich immer, was der andere wohl im Schilde führt.
Zitat von CalimeroIch war erstmal perplex und dann ging mir die Absurdität des Ganzen auf. Ich hatte ein Verbot übertreten und auch nach nachdrücklicher Aufforderung nicht von meinem schändlichen Tun abgelassen. Mein Widerpart wäre mir in bester VoPo- oder Blockwartstradition am liebsten an die Gurgel gegangen und schalt mich dann mit Ekel in der Stimme als "typisch deutsch" - anscheinend Ausdruck seiner höchsten Verachtung. Absurd, nicht wahr?
Schöne Anekdote.
Es ist eben typisch deutsch, alles Mögliche als typisch deutsch zu bezeichnen.
Zitat von ZettelErzählen Sie mir nichts über den Limes, lieber R.A.
Ist ok - da würde ich wohl wirklich Eulen nach Athen tragen.
Aber ich habe ja etwas über die Zeit NACH dem Limes erzählt.
In Antwort auf:Also, lieber R.A., mir gefällt die Grenzlandbevölkerungstheorie.
Das ist ein gutes Argument. Sie stimmt aber trotzdem nicht ;-)
In Antwort auf:Die Gene der damaligen Chatten, oder wer immer da in der Wetterau saß, leben doch in den heutigen Hessen weiter!
Nein. In der Wetterau saß ein Völkergemisch aus allen möglichen Ecken des römischen Reichs, durchaus natürlich mit vielen Germanen, wohl auch Chatten. Aber die sind während der Völkerwanderung ziemlich komplett vertrieben oder getötet worden, die heutigen Hessen stammen im wesentlichen von Chatten, Cheruskern bzw. deren fränkischen Erben ab, die sich im eroberten römischen Gebiet niederließen. Plus natürlich alle späteren Einwanderer, gerade im Rhein-Main-Gebiet ist deren Anteil erheblich. Eine kulturelle Kontinuität, die einen Nationalcharakter formen kann, gibt es in ganz Deutschland erst seit dem Mittelalter.
Zitat von R.A.In der Wetterau saß ein Völkergemisch aus allen möglichen Ecken des römischen Reichs, durchaus natürlich mit vielen Germanen, wohl auch Chatten. Aber die sind während der Völkerwanderung ziemlich komplett vertrieben oder getötet worden, die heutigen Hessen stammen im wesentlichen von Chatten, Cheruskern bzw. deren fränkischen Erben ab, die sich im eroberten römischen Gebiet niederließen. Plus natürlich alle späteren Einwanderer, gerade im Rhein-Main-Gebiet ist deren Anteil erheblich.
Eine kulturelle Kontinuität, die einen Nationalcharakter formen kann, gibt es in ganz Deutschland erst seit dem Mittelalter.
Och, lassen Sie mir doch meine schöne Theorie, lieber R.A.
In Antwort auf:In Antwort auf: -------------------------------------------------------------------------------- Der verbiesterste deutsche Volksstamm unter denen, die ich kennengelernt habe, sind die Schwaben. -------------------------------------------------------------------------------- Da ist viel dran. Obwohl die Begründung schwierig ist - denn den Schwaben geht es ja mindestens so gut wie den Badenern.
Im Gegenteil, die Begründung für diese (m.E. zutreffende) Beobachtung ist ganz einfach: Badener sind Katholiken, Schwaben sind Protestanten (und zwar häufig ganz besonders piätistische Protestanten).
Am "schaffe, schaffe Häusle baue und it nach de Mädle schaue" bei den Schwaben wirklich viel dran. Was sich eben aus einer besonders ausgeprägten protestantischen Ethik erklären ließe.
womöglich wird es keinen hier verwundern, wenn ich deine Beschreibungen der Badener und der Schwaben teile. Schließlich bin ich Wahlbadener (zwar kein Wahlsüdbadener, aber auch kein Wahlpfälzer) und eingetragenes KSC-Mitglied. Eines KSC übrigens, der seinen Auswärtssieg bei 1860 mit Trikots in den badischen Landesfarben errungen hat... Aber wenn der VfB zu Gast ist, zieht vor meinem Balkon (ich wohne nicht allzu weit vom Stadion entfernt und sehr nahe am "KSC-Fanprojekt") eine Gruppe von schwarzgekleideten jungen Menschen vorbei, die gerne mal skandiert "Ein Baum, ein Strick, ein Schwabengenick"... Dann hat es sich mit der Freundlichkeit, der ich aber ansonsten allerorten begegne. Und ich bin schon relativ weit 'rumgekommen in Deutschland. Aber schon der Dialekt der Badener ist so drollig, der lässt eigentlich nur Liebenswürdigkeit zu. Das gilt übrigens nicht für das von dir gelobte Südbaden, wo ja weniger Badisch als Alemannisch gesprochen wird, das wiederum dem Schwyzerdütsch sehr ähnlich ist.
Aber ich sehe es auch so: Hier herrscht eine von der Natur (Wetter, Rhein, Schwarzwald) begünstigte gute Laune vor, die einem unverständlich erscheinen lässt, warum es zwischen Deutschland und Frankreich um den Rhein Gebietskonflikte gegeben hat. Elsässer und Badener sind vom selben Schlag und können prächtig miteinander.
Ansonsten kann ich folgendes zu deutschen "Stämmen" beitragen (alles natürlich mit einem ganzen Salzbergwerk dabei):
Bayern sind eingebildet, stur und ignorant, aber mit einem z.T. begnadeten Zynismus gesegnet. Berliner sind frech und unsicher. Niedersachsen sind zwar herzensgut, aber nach außen stur und eigenbrötlerisch; zur effektiven Kommunikation mit ihnen erfordert es ein Einflößen harter Alkoholika. Hamburger sind arrogant, zurückhaltend und verlässlich. Hessen sind gewitzt (negativ: verschlagen), haben einen Hang zur Gemütlichkeit und sind extrem kritisch. Westfalen sind bodenständig, langsam und wortkarg, aber eine Seele von Mensch. Rheinländer sind Typen, die hinter dir in die Drehtür eintreten, aber vor dir wieder herauskommen - extrem optimistisch, rührselig und mitteilsam.
Von den "Neuen Bundesländern" kenne ich zu wenig. Die Mecklenburg-Vorpommerer dürften wie Schleswig-Holsteiner ticken (und wie die Sachsen-Anhaltiner sehr nah bei den Niedersachsen sein), Berliner und Brandenburger nehmen sich nicht viel, meine Stichprobe von Thüringern umfasst nur sehr aufgeschlossene und intelligente junge Männer, Sachsen kenne ich nur als Tourist, ohne ihnen einen einheitlichen Charakter zugestehen zu können (irgendwie erscheint mir der Osten viel individueller aka uneinheitlicher als der Westen).
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Man sollte einen wichtigen Einflussfaktor nicht zu gering schätzen: das Fernsehen, das uns über viele Serien und Filme eine amerikanische Alltagskultur vermittelt. Deutschland hat sich zu großen Teilen amerikanisiert. Das "Feiern" von Halloween ist ein Symptom.
Deswegen glaube ich nicht, dass das Lächeln den vorübergehenden Zustand kennzeichnet, den Churchill als "zu den Füßen" beschreibt, sondern die effektive Übernahme von Sitten und Gebräuchen, die uns durch das Zusammenwachsen von Kulturen als normal erscheinen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von Rayson"Ein Baum, ein Strick, ein Schwabengenick"
Oder auch:
Zitat von Badnerlied (inoffizielle Strophen)In Konstanz ist der Rhein noch blau, bei Mannheim wird er grau; da fliesst der Neckar in den Rhein, die alte Schwabensau.
Bei Sipplingen ist Pumpstation, da pumpet's Wasser 'naus, doch vorher brunsle Badner nei, und d´ Schwabe saufet's aus.
Schöne Grüße von einem weiteren Wahlsüdbadener
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von RaysonBayern sind eingebildet, stur und ignorant, aber mit einem z.T. begnadeten Zynismus gesegnet.
Mit der Beschreibung kann ich leben, allerdings nicht damit, die Bayern insgesamt über einen Kamm zu scheren. Meistens sind ja mit der Beschreibung "Bayerns", wenn sie außerhalb der Freistaatsgrenzen vergeben wird, nur die idealtypischen, also Ober- und Niederbayern gemeint. Wir haben aber auch Schwaben, Oberpfälzer und diverse Arten von Franken, von denen manche mindestens halbe Hessen sind.
Von den beschriebenen Eigenschaften würde ich lediglich die Sturheit allen zusammen zuschreiben. Das eingebildet sein trifft natürlich vor allem auf die Oberbayern zu, wobei man als solcher einfach den Stolz auf seine Herkunft in die Wiege gelegt bekommt. Die Ignoranz trifft meiner Meinung nach am meisten auf die Franken zu. Und was den begnadeteten Zynismus angeht, habe ich eine herrliche Anekdote aus meinem (immer vergessenen) Wahlheimatbezirk, die auch schön in den anderen Thread passen würde. Fragt man einen Oberpfälzer, warum er damals gegen den Bau der WAA in Wackersdorf war, wird er antworten: "Wenns was Gscheids waar, hedns as in Minga (München) bauat!"
Zur Erklärung: Meine hundertprozentig zu pauschale Charakterisierung (eben nicht nur cum grano, sondern mit ganzem Bergwerk) beruht auf Münchner Erfahrungen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonZur Erklärung: Meine hundertprozentig zu pauschale Charakterisierung (eben nicht nur cum grano, sondern mit ganzem Bergwerk) beruht auf Münchner Erfahrungen.
Gella :-). Außerhalb München gibts auch noch ein bißchen Bayern. Ignorant sind meiner Meinung nach alle Menschenschläge. Bei denen mit ner glatten Benutzeroberfläche merkt man das nur nicht so. Die sagen nicht: "Wos! Wos soll'n dös sein". Sondern die sagen: "Hört sich interessant an. Übrigens, hab ich dir schon erzählt ...".
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt
Zitat von R.A.Churchill soll das angeblich so beschrieben haben: "Die Deutschen hat man entweder zu den Füßen oder an der Gurgel."
Mit "Churchill-Zitaten" ist das ja immer so eine Sache, lieber R.A. Ich habe das schon mal geschrieben - als ich mal viele nachgesehen habe, stellte sich heraus, daß sie in der Regel innerhalb ihres Kontexts anders gemeint waren, als sie isoliert klingen.
Also habe ich jetzt auch hier mal nachgesehen. Laut Wikiquote gibt es dieses Zitat:
Zitat von WikiquoteBy its sudden collapse, ... the proud German army has once again proved the truth of the saying, 'The Hun is always either at your throat or at your feet'.
Speech before a Joint Session of Congress (May 19, 1943), Washington, D. C., in Never Give In! : The best of Winston Churchill’s Speeches (2003), Hyperion, p. 352 ISBN 1401300561
Hier geht es also nicht um den deutschen Nationalcharakter, sondern um die damalige (1943) militärische Lage. Vielleicht hat Churchill auf 1918 angespielt, als der plötzliche deutsche militärische Zusammenbruch ja für die Westmächte nicht weniger überraschend kam als für die deutsche "Heimatfront".
Also, der Sinn des zitierten Satzes scheint mir im Kontext zu sein: Die Deutschen ("Hunnen") kämpfen entweder wie ein Bullterrier, den du an der Gurgel hast, oder sie gehen in die Knie wie ein Hund, der sich winselnd zu Boden wirft.
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