Bei den Kollegen vom B.L.O.G. hat R.A. berichtet, daß im Politik-Unterricht seines Sohns das Thema Bundestagswahl behandelt wurde.
Es gab ein Quiz. Je drei Fragen zur Union und zur SPD, je eine zur FDP und den Grünen. Und vier zur Partei "Die Linke".
Als ich mich erforscht habe, um meine Meinung dazu zu erfahren - ich wollte den Beitrag kommentieren -, stellte sich heraus, daß das mal wieder eine Frage für meinen liberalkonservativen Vermittlungsausschuß ist.
Der Konservative in mir sagt:
Der Staat hat strikte weltanschauliche Neutralität zu wahren. Lehrer dürfen ihre politische Meinung noch nicht einmal durchblicken lassen; geschweige denn bei den Lehrinhalten bestimmte Parteien bevorzugen.
So war es in der vielgescholtenen Adenauerzeit, als ich zur Schule ging.
Wir hatten (in verschiedenen Bundesländern; meine Familie ist oft umgezogen) einen ausgezeichneten Sozialkunde-Unterricht (so hieß es damals).
Aber darin ging es strikt um solche Themen wie Gewaltenteilung, Wahlrecht, das Verfahren der Gesetzgebung, die Wahl des Bundeskanzlers usw. (Ich habe in der Quarta zum Beispiel gepaukt, welche Rechte der Bundespräsident hat, wenn auch im dritten Wahlgang bei der Wahl des Kanzlers niemand die absolute Mehrheit erhält).
Nie habe ich auch nur erfahren, welche politische Neigung der Lehrer hatte. Bei einem ahnten wir Schüler es: Das war ein Assessor, von dem gemunkelt wurde, daß er katholisch-konservativ sei. Er hat penibel darauf geachtet, das nicht in den Unterricht einfließen zu lassen.
So sollte es sein, sagte der Konservative in mir.
Der Liberale aber sagt:
Der Lehrer muß frei sein, wie er seinen Unterricht gestaltet. Wir können doch nicht Aufpasser in die Klassen schicken, die prüfen, ob der Unterricht auch weltanschaulich neutral ist. Oder gar die Schüler auffordern, es zu melden, wenn ein Lehrer sich daran nicht hält. Dann hätten wir ja fast schon DDR-Verhältnisse.
Ein Lehrer ist auch erst dann glaubwürdig für die Schüler, wenn er zu dem steht, wovon er überzeugt ist. Nur in extremen Fällen von Indoktrination zugunsten einer Partei darf eingegriffen werden; dann aber disziplinarrechtlich.
Was meinen Sie?
Calimero
(
gelöscht
)
Beiträge:
26.08.2009 11:16
#2 RE: Politische Neutralität im Politikunterricht?
Was das angeht, bin ich absolut konservativ. Kinder und Jugendliche sind noch zu leicht beeinflussbar, da kann der Lehrer als Respektsperson leicht indoktrinierenden Einfluss ausüben. Dies steht ihm, als zufällig an dieser Schule Angestelltem nicht zu.
In einer Diskussion über politische Ausrichtungen hätte der Lehrer automatisch die Funktion des Moderators. Diese könnte er nicht ausüben, wenn er vorher schon seine politischen Ansichten klar kundgetan hat. Da er auch für die Notenvergabe zuständig ist, würden die Schüler sich zu opportunem Verhalten genötigt fühlen.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Ich stimme Calimero da voll und ganz zu. Der Lehrer muss sich mit seinen politischen Ansichten zurückhalten.
Das Problem ist natürlich, wie man das durchsetzt. Ich fürchte, dass die Überzeugung, die politische Neutralität im Unterricht sei positiv zu werten, mittlerweile deutlich weniger verbreitet ist als noch vor Jahrzehnten. Die Lehrer fühlen sich möglicherweise gerade dazu berufen, Kinder "für Ungerechtigkeit zu sensibilisieren" oder "Verständnis für den Umweltschutz zu wecken" oder wie auch immer man es nennen möchte. Und wie will man in einer Schule, in der Lehrer das Problem der Indoktrination gar nicht mehr wahrnehmen, Neutralität durchsetzen? Ich fürchte, das wird einfach nicht gehen.
Ich plane, meine Kinder abends zu fragen, was ihnen ihre Lehrer tagsüber beigebracht haben, ihre Schulbücher anzuschauen und sie gegebenenfalls auf Argumente für die Gegenposition aufmerksam zu machen. Und ich habe Angst davor, dass sie damit Probleme mit manchen Lehrern bekommen werden.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von CalimeroWas das angeht, bin ich absolut konservativ. Kinder und Jugendliche sind noch zu leicht beeinflussbar, da kann der Lehrer als Respektsperson leicht indoktrinierenden Einfluss ausüben. Dies steht ihm, als zufällig an dieser Schule Angestelltem nicht zu. In einer Diskussion über politische Ausrichtungen hätte der Lehrer automatisch die Funktion des Moderators. Diese könnte er nicht ausüben, wenn er vorher schon seine politischen Ansichten klar kundgetan hat. Da er auch für die Notenvergabe zuständig ist, würden die Schüler sich zu opportunem Verhalten genötigt fühlen.
Ich halte das auch für wünschenswert, lieber Calimero. Nur - wie will man es durchsetzen, ohne in die Unterrichtsfreiheit einzugreifen und die Lehrer ständig zu überwachen?
Ich hatte zunächst nur den Aspekt gesehen, den Sie beschreiben. Dann fragte ich mich, wie das denn praktisch bewerkstelligt werden sollte.
Der Liberale in mir sagt, daß der Lehrer frei sein muß, wie er den Unterricht gestaltet, sofern die Schüler frei sind, zu einem anderen Lehrer zu gehen. Solange man Schüler zwingt, in die Schule zu gehen, darf man sie den Lehrern nicht schutzlos ausliefern.
Zu meiner Zeit, in den 70er-Jahren, machten die Lehrer einen neutralen Unterricht ohne die persönliche Meinung zu verstecken. Sie praktizierten so etwas wie die Trennung von Bericht und Kommentar in der Presse. Wenn sie im Indoktrinationsmodus waren, trafen sie stets auf heftigen Widerspruch, je nachdem von den linken Schülern, die sehr zahlreich waren, oder von den wenigen, aber lautstarken Kämpfern von der Schülerunion.
Es kommt alles auf die Checks and Balances an. Ich weiß nicht, wie es heute in den Schulen aussieht; wenn Lehrer, Schulleitung, Schüler und Eltern alle ungefähr das Gleiche glauben, dann sollte man den Unterricht besser auf die neutralen Fakten beschränken. Wenn aber Gegenpositionen ausreichend energisch vertreten werden, braucht man niemand zum Leisetreten zu zwingen.
Zum Beispiel erinnere ich mich an Plakate in den Klassenzimmern, wo für die friedliche Nutzung der Kernenergie geworben wurde. Das ging schon ziemlich weit, aber diese Form der Indoktrination durch die konservative Schulleitung hatte gegen die meist linken Lehrer und Schüler keine Chance; also was soll's?
Zitat von KalliasWenn sie im Indoktrinationsmodus waren, trafen sie stets auf heftigen Widerspruch, je nachdem von den linken Schülern, die sehr zahlreich waren, oder von den wenigen, aber lautstarken Kämpfern von der Schülerunion. Es kommt alles auf die Checks and Balances an.
Exakt. Die gab es in den siebziger Jahren, weil es keine dominierende Weltanschauung gab. Es war eben eine Übergangszeit zwischen der konservativen Dominanz in der Adenauerzeit und der ökoroten Dominanz seit den, sagen wir, späten Achtzigern.
Was aber, wenn das ganze Kollegium rotgrün ist, und wenn vielleicht achtzig Prozent der Schüler es mehr oder weniger sind? Wie schützt man dann die Minderheit der Schüler?
Ich weiß es nicht, lieber Kallias. Ich würde mir wünschen, daß der Unterricht strikt neutral ist, so wie ich es als Schüler erlebt habe. Aber könne vor Lache, sagt der Hesse: Wie setzt man das durch, ohne die Lehrer zu überwachen wenn nicht gar zu bespitzeln?
Noch etwas zur Adenauerzeit: Damals gab es in der Öffentlichieit zwar diese konservative Dominanz. Aber das "Geistesleben" war, bis hinein ins Feuilleton der FAZ und der "Welt", fest in linker Hand. Ich habe das hier mal zu beschreiben versucht.
Herzlich, Zettel
Calimero
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gelöscht
)
Beiträge:
26.08.2009 13:41
#7 RE: Politische Neutralität im Politikunterricht?
Zitat von ZettelNur - wie will man es durchsetzen, ohne in die Unterrichtsfreiheit einzugreifen und die Lehrer ständig zu überwachen? Ich hatte zunächst nur den Aspekt gesehen, den Sie beschreiben. Dann fragte ich mich, wie das denn praktisch bewerkstelligt werden sollte.
Sowas geht nur über interessierte Eltern, die erlernten Stoff auch kritisch hinterfragen. Da m.W. Eltern aber kaum eine Wahlfreiheit, die Schule ihrer Kinder betreffend, haben, funktioniert das Ganze halt nicht. Da bleibt vielleicht nur Gorgasals Hausunterricht.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Zitat von ZettelWas aber, wenn das ganze Kollegium rotgrün ist, und wenn vielleicht achtzig Prozent der Schüler es mehr oder weniger sind? Wie schützt man dann die Minderheit der Schüler?
Wenn es sich so verhält, dann ist wohl nicht viel zu machen, weil die Indoktrination dann schon als Neutralität gesehen wird. Wie Gorgasal schreibt:
Zitat von GorgasalKinder "für Ungerechtigkeit zu sensibilisieren" oder "Verständnis für den Umweltschutz zu wecken"
Das ist doch keine politische Indoktrination, sondern moderne Werteerziehung, nicht wahr, die man von den Schulen verlangen kann, da sie von den Elternhäusern immer weniger geleistet wird.
Es gibt leider keinen Ersatz für die lautstarke Kontroverse.
es wäre schon interessant zu erfahren, welcher fragentyp da gewählt wurde. ob also zb (werbend) gefragt wurde "was will die linke?" oder "welche folgen wären in der konkreten umsetzung zu erwarten" oder etwa "wie sollte sich eine wehrhafte demokratie zum nachfolger der staatspartei eines autoritären regimes stellen?" etc etc.
ich fände das beschriebene ungleichgewicht hinsichtlich der anzahl der fragen gerechtfertigt, wenn es aus der wahrnehmung entstanden wäre, dass in keiner bundestagsfraktion derart extremistisches gedankengut (bis hin zu gesprächskontakten mit allerlei terrorgruppen) vertreten wird wie in der linken; wenn also die fragen gestellt worden wären, die sich ganz grundsätzlich im umgang mit dieser partei stellen.
ich bin mir allerdings nicht sicher, ob diese vorstellung angesichts des politischen profils der deutschen lehrerschaft speziell in den "weichen" fächern realistisch ist.
Zitat von Zettel...ohne in die Unterrichtsfreiheit einzugreifen
Lieber Zettel
Die Unterrichtsfreiheit hast Du wohl gerade automatisch von der Freiheit der Lehre auf die Schule übertragen. Von Unterrichtsfreiheit habe ich noch nie was gehört. Der Lehrer hat einen Lehrplan und Rahmenbedingungen, wie man guten Unterricht gestaltet. Innerhalb des Rahmens ist er frei, die Lehrinhalte zu rüberzubringen, wie es ihm liegt oder angemessen erscheint. Aber er ist nicht frei zu entscheiden, was er lehrt.
Und meiner Meinung nach ist er auch nicht frei, seine persönliche Meinung auf die Kinder zu übertragen. Er handelt im staatlichen Auftrag und nicht im persönlichen. Die Kinder werden ihm nur überantwortet, weil der Staat das so fordert. Der Erziehungsauftrag des Staates geht nicht in einen persönlichen Erziehungsauftrag des Lehrers über, nach dem er seine Werte vermitteln könnte.
Zu meiner Schulzeit durften ja DKP-Mitglieder nicht Lehrer sein. Ich war damals der Meinung, sie sollten schon Lehrer sein dürfen, wenn sie denn ihre politische Anschauung nicht im Unterricht vermitteln. Und genauso bin ich der Meinung, daß die politische Anschauung des Lehrers heute im Unterricht nichts zu suchen hat. Auf jeden Fall nicht wenn sie undemokratisch ist. Bei den demokratischen Ansichten ist das schwieriger, denn in einer Gesprächsrunde, die ja im Klassenzimmer auch entstehen, kann es wichtig sein, daß die Kinder erfahren, was der Lehrer denkt. Weil sie ja auch einen Menschen kennenlernen wollen. Doch im reinen Unterricht haben Ansichten eines Lehrers nichts zu suchen. Nicht auf Arbeitsblättern, nicht an der Tafel, und schon gar nicht in Prüfungsaufgaben oder bei deren Bewertung.
Liebe Grüße
Kaa
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt
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