In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, der Meinung zu sein, dass der 1.9.1939 als Anfang des Zweiten Weltkriegs verkürzend und zu eurozentristisch ist. Mit mindestens der gleichen Rechtfertigung könnte man diesen Anfang auf 1937 (Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke) oder sogar 1935 (Abessinienkrieg) legen, so verständlich 1939 aus deutscher Sicht ist.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von HajoWeiterhin möchte ich anmerken, daß die Siegermächte in Versailles, allen voran der gute Herr Wilson aus Washington, der hier die Fäden in der Hand hielt, genau wußten was sie taten, als sie zwei Millionen Deutsche vom Reich abtrennten und die Deutsche Frage aus der Taufe hoben.
Hätte Wilson doch die Fäden in der Hand gehalten! Aber das hat er eben nicht.
Es gab unter den Siegermächten zwei einander ausschließende Konzepte von der zukünftigen Ordnung in Europa. Wilson wollte das Nationalitätenprinzip durchsetzen, weil er sich davon ein friedliches Europa versprach. War nicht der Weltkrieg dadurch ausgelöst worden, daß die Serben sich im Habsburger Reich unterdrückt gefühlt hatten? Hätte erst einmal jedes Volk seinen Staat, möglichst ohne nationale Minderheiten, und würde man erst einmal den Völkerbund haben, dann wäre Europa befriedet. Dachte Woodrow Wilson.
Georges Clemenceau, ganz ein Mann des Neunzehnten Jahrhunderts (er begann seine politische Karriere in der Pariser Commune!), glaubte nicht an solchen Schnickschnack. Ihm ging es darum, Deutschland eine Revanche unmöglich zu machen. Da der Krieg so gut wie nicht auf deutschem Territorium stattgefunden hatte, war Deutschlands Infrastruktur intakt geblieben. Also rechnete Clemenceau damit, daß es innerhalb weniger Jahre wieder stark genug sein würde, um neu aufzurüsten und Revanche zu üben.
Dies zu verhindern war das Ziel von Clemenceau. Und das paßte nun leider gar nicht mit den Vorstellungen von Wilson zusammen. Denn Clemenceau pfiff auf das Nationalitätenprinzip. Er wollte Deutschland nicht noch größer werden lassen, als es ohnehin war; also kein Anschluß Österreichs, kein Heim ins Reich der Sudentendeutschen usw. Er wollte auch kein starkes Ungarn und wollte deshalb den ungarischen Staat bis auf einen Rest zerschlagen.
Was dabei herauskam, hat Churchill klarer als irgendwer beschrieben: Man konnte sich nicht entschließen, Deutschland wirklich niederzuhalten (das hätte Wilson nicht mitgemacht), man demütigte es aber und belegte es mit Beschränkungen (sonst hätte Clemenceau nicht zugestimmt). Damit war der Boden für einen Hitler bereitet, der einerseits die Demütigungen für seine Propaganda ausnutzen, der andererseits aber die "Fesseln von Versailles" sprengen konnte.
Insofern, lieber Hajo, habe ich Ihnen ja zugestimmt, daß es Faktoren gab, die in Versailles begründet waren und die den Zweiten Weltkrieg begünstigten. Aber hätte die Weimarer Republik Bestand gehabt, dann hätte niemand in Deutschland eine Kriegspoltiik betrieben. Dann wären die Restriktionen von Versailles allmählich gelockert worden, und dann wäre Deutschland schließlich ein gleichberechtigtes Mitglied der europäischen Gemeinschaft geworden.
Ohne Hitler hätte der Geist von Aristide Briand und von Gustav Stresemann sich durchsetzen können. Der Zweite Weltkrieg war keine Zwangsläufigkeit. Daß die Völker Europas sich verständigen müssen, statt einander abzuschlachten, das hatten alle aus dem Ersten Weltkrieg gelernt. Eine weitere Lektion hätte niemand gebraucht.
Zitat von ZettelFür die deutsch-polnische Versöhnung könnten Tusk und Merkel einmal das sein, was Adenauer und de Gaulle für die deutsch-französische Versöhnung waren.
Ich würde mir das sehr wünschen. Es ist schmerzhaft und skandalös, wie wenig dieses wichtige Nachbarland in Deutschland geschätzt wird, wie wenig darüber berichtet wird, wie sehr immer noch Vorurteile und Geringschätzung üblich sind (Schröder war da ein besonderer Tiefpunkt). Eine echte Versöhnung mit Polen (bisher gab es nur oberflächliche Lippenbekenntnisse) wäre ein weiterer wichtiger Grund, daß schwarz-gelb die Wahl gewinnen sollte. Mit Steinmeier und Genossen ist das nicht möglich, Brandts Vermächtnis ist da längst vergessen.
Eine echte Versöhnung mit den Polen wäre heute, vor dem Hintergrund eines zusammenwachsenden Europa, nötiger denn je. Es mag in Deutschland da starke regionale Unterschiede geben, was das Polenbild angeht. Hier im Ruhrgebiet etwa, wo es die Kaminskis, Kowalskis und so weiter im Dutzend gibt, hat es da nie Probleme gegeben. Im Osten, wo man es nicht mit assimilierten Polen sondern dem Original zu tun hat, scheint das anders zu sein. Letztlich, und ich glaube an diesem Punkt schreiten Sie zu schnell voran, ist das Bild in Deutschland doch noch um Dimensionen besser, als es umgekehrt der Fall in Polen ist. Was es dort, aus welchen Gründen auch immer, noch an antideutschem Ressentiment gibt, hätte ich in Zeiten europäischer Integration schlicht nicht für möglich gehalten. Solange man in Polen an Vorhaltungen mehr interessiert ist als an Versöhnung, und dies ist mein Eindruck, den etwa auch die aktuelle Rede des gemäßigten Präsidenten Tusk gefestigt hat, werden die Dinge so bleiben wie sie sind.
Wenn man mal Herrn Schröder - wie man es öfters tun sollte - und auf der anderen Seite teilweise die beiden Zwillinge ausblendet, sind die deutsch-polnischen Beziehungen sowie die Aussöhnungspolitik auf politischer Ebene extrem gut vorangeschritten. Auf der symbolischen Ebene möchte ich nur erwähnen, dass sowohl der amtierende Bundespräsident als auch - so glaube ich - die amtierende Kanzlerin ihre Antrittsbesuche jeweils ihre ersten Auslandsreisen nach Polen getan haben. Auch auf der zwischenmenschlichen Ebene habe ich bislang eigentlich überwiegend positive Erfahrungen machen können, was sowohl das Polenbild der Deutschen als auch das Deutschenbild der Polen angeht. Ich bin auch nicht unbedingt einverstanden, was die Berichterstattung angeht. Bei neun Nachbarländern plus EU plus USA plus Afghanistan plus Russland plus Nahost plus... sehe ich es als relativ schwierig an, Polen stärker in den Hauptnachrichtenquellen zu platzieren. (Auch Frankreich kommt ja bei uns im Gegensatz zum umgekehrten Fall gar nicht wirklich in den Medien vor. Ich denke, Zettel sieht das ähnlich.) Ansonsten sind die dritten Programme und die anderen Bildungsprogramme meines Erachtens voll mit irgendwelchen Entdeckungsfahrten in das heutige Schlesien, Masuren etc. pp. Ich sehe es so, dass es, wie für alle unsere Nachbarländer, in der Bevölkerung ein wohlwollendes Desinteresse vorherrscht. Dass das Elsass eine historisch eigentlich deutschsprachige Region ist, wenn auch die Sprache in den nächsten dreißig Jahren fast aussterben wird, wissen wahrscheinlich 75 Prozent der Bevölkerung ebensowenig wie 90 Prozent nicht wissen werden, dass es in Belgien eine deutsche Minderheit gibt, die eine der "Staatsnationen" ist.
Ich hoffe Sie verstehen es nicht als mangelnde Würdigung Ihrer Mühen, wenn ich Ihnen in aller Kürze antworte.
Die Frage, ob Hitler aus einer rassischen oder weltanschaulichen Differenzierung heraus agierte, halte ich für eine Frage von nebensächlicher Bedeutung. Mir erscheint die Frage wesentlich wichtiger, inwiefern er selbst frei agieren konnte und bis zu welchem Grad er ein Getriebener der geopolitischen Entwicklung war.
Nebenbei bemerkt: Die Begrifflichkeit einer Alleinschuld würde meinem Verständnis nach aber bedingen, daß Hitler allein agierte, aus welcher Motivation heraus auch immer, während der Rest Europas in einem Raum begrenzter Entscheidungsfreiheit agierte, obendrein mit dem Ziel der Friedenssicherung. Dies indes erscheint mir aus angeführten Überlegungen heraus aber als wenig wahrscheinlich.
Zitat von Gorgasal Ich analysiere auch gerne kühl und objektiv die Wirtschaftspolitik der Nazis, oder auch die soziale Situation, aus der heraus sie überhaupt an die Macht kamen, um derlei Fehler in Zukunft vermeiden zu helfen. Und ich bin mir nicht ganz sicher, inwiefern eine kühle Analyse von Auschwitz bei vernünftigem Handeln hilft. Ich bin da ganz unaufgeklärt der Meinung, dass man diese Bestialitäten gar nicht so genau analysieren muss, um zu entscheiden, dass (und wie) man dagegen vorgehen muss.
Man kann aber vielleicht erfolgreicher dagegen vorgehen, wenn man verstanden hat, wie es dazu kommen konnte.
Ich bin, generationsbedingt, sozusagen von Auschwitz mein Leben lang begleitet worden. Es stimmt ja nicht, daß die Verbrechen der Nazis in der Adenauerzeit verdrängt oder gar geleugnet worden wären. Sie waren allgegenwärtig. Ungefähr 1957 oder 1958 habe ich als Schüler mit Eugen Kogon diskutiert, dem Verfasser des damaligen Standard-Werks "Der SS-Staat", der in unserer Schule einen Vortrag gehalten hatte. Kein Fernseherlebnis hat mich so erschüttert wie die Ausstrahlung von Nuit et Brouillard von Alain Resnais; das dürfte um die gleiche Zeit gewesen sein. Dann kam der Auschwitz-Prozeß. Und so ging es weiter, bis zum Buch von Goldhagen und der Debatte um Martin Walsers Paulskirchen-Rede.
Ein halbes Jahrhundert nur Entsetzen und Empörung? Das geht nicht, bei mir jedenfalls nicht. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie so etwas passieren konnte, und bin bis heute enttäuscht darüber, daß das nicht wirklich erforscht wird. Es gibt wohlfeile Antworten, die von "es gibt nun einmal das Böse im Menschen" über "die Deutschen waren schon immer Antisemiten und Befehlsempfänger" bis zu "es war halt Krieg, da passiert eben Schreckliches" reichen.
Ich habe keine Antwort und glaube auch nicht, daß es eine einzige Antwort gibt. Vielleicht war am wichtigsten eine Ideologie, die Menschen nicht mehr als Menschen, sondern als Schädlinge betrachtete. Es spielte wohl eine Rolle, daß diejenigen, die die Entscheidungen trafen, nicht mit denjenigen identisch waren, die die Taten ausführten. Sadismus spielte sicher auch eine Rolle; eine Grausamkeit, die die ganze Weltgeschichte durchzieht. Und andere Faktoren.
Aber wie schon geschrieben - das läßt sich nüchtern erst aus historischer Distanz erforschen. Goldhagens Buch war gut gemeint, aber es wurde meines Erachtens seinem Gegenstand überhaupt nicht gerecht.
In Antwort auf:(Wenn ich mich richtig erinnere - ich habe es jetzt nicht noch einmal nachgelesen - , dann sprach er immer nur vom Osten, ohne zwischen Polen, der Ukraine, Weißrußland und Rußland zu unterscheiden).
Ich glaube, es war anders. Polen war im ursprünglichen Hitlerschen Programm eher als eine Art Hilfsvolk einkalkuliert (wie auch die Ungarn, Tschechen, etc.). Der eigentliche Lebensraum-Gewinn sollte schon in Russland stattfinden. Der Angriff auf Polen war aus Hitler-Perspektive eher so eine Art Notlösung (ebenso wie z.B. der Krieg mit England nicht in das eigentliche "Hitler-Programm" passte). (Meine Quelle ist hier Sebastian Haffner, "Anmerkungen zu Hitler").
In Antwort auf: Hitlers Überlegung war die folgende:
Deutschland - und das war für ihn die "germanische Rasse" - hat ein naturgegebenes Recht, kraft seiner rassischen Überlegenheit eine Großmacht zu sein.
Dazu muß es an Bevölkerung wachsen.
Das kann es aber nur, wenn es mehr Menschen ernähren kann.
Diese können aber nicht auf dem jetzigen (also damaligen) Boden des Deutschen Reichs ernährt werden. (Der moderne Ackerbau hatte damals ja noch nicht begonnen; für Hitler war die fruchtbare Agrafläche der entscheidende das Bevölkerungswachstum begrenzende Faktor).
Dies ist sicher eine richtige Zusammenfassung von Hitlers Weltbild.
Aber: Dieses Weltbild war falsch. (Ich meine hier nicht nur moralisch falsch, sondern auch kontrafaktisch und anachronistisch). Schon zu Hitlers Zeiten kam der Wohlstand der Nationen nicht mehr primär aus der Landwirtschaft. Wäre es anders, dann hätte China zu Hitlers Zeiten die dominierende Weltmacht sein müssen. Nein: Auch schon zu Hitlers Zeiten kam nationale Macht vor allem aus der industriellen und intellektuellen Basis. Und dieser Sachverhalt war auch schon zu Hitlers Zeiten allgemein anerkannt. Das von Hitler (insgeheim) bewunderte britische Weltreich kam ja wohl ganz offensichtlich NICHT zustande, weil England so eine tolle landwirtschaftliche Basis hatte.
Und noch ein Detail von Hitlers Plan war EXTREM anachronistisch: Seit der Völkerwanderung hat man in Europa eigentlich keine Kriege mehr um "Lebensraum" geführt. Klar, es wurden Kriege um Ländereien geführt. Aber der neue Herrscher hat die dort ansässige Bevölkerung einfach mit übernommen. Völkerbewegungen haben gewonnene oder verlorene Kriege in Europa in den letzten 1400 Jahren keine mehr ausgelöst. Und zwar aus gutem Grund. Wohlstandsvermehrend wäre ein solches Manöver für die siegreiche Nation nämlich kaum.
Nur mal angenommen, Deutschland hätte den 2. Weltkrieg gewonnen und hätte gemäß dem Hitlerplan den "Lebensraum" im Osten besiedelt. Ist es wirklich plausibel, dass das Verpflanzen von Millionen Deutschen nach Osten das deutsche BIP erhöht hätte? Wohl kaum. Auch eine Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion ist kaum wahrscheinlich. Die Böden in Russland sind wohl kaum besser als die (schon damals nur extensiv genutzen) Böden in Ost- oder Westpreußen.
Es gibt durchaus Erklärungsansätze, die sich z.B. auf den sog. "Rademacher-Plan" stützen, der, wenn man so will, die langfristige strategische Vorläufer von Wannsee war, wo es ja in der Hauptsache im Operatives ging. Diesem Dokument nach ist die Reichsführung davon ausgegangen, daß Juden in den USA und Großbritannien über beträchtlichen Einfluß verfügten, weswegen man die im deutschen Einflußbereich befindlichen Juden als Geisel genommen hat, um so die angelsächsische Diaspora dazu zu nötigen, sich für einen Separatfrieden Britanniens bzw. einen Nichteintritt der USA in den Krieg stark zu machen. Als klar war, daß beides nicht erfolgen würde, begann im Zeitraum von wenigen Wochen die organisierte und langsame Tötung der Geiseln.
Eine andere Erklärung, bei der diesem ganzen Verbrechen eine gewisse Logik innewohnt, habe ich bisher noch nirgends gelesen. Vielleicht sollte man sie auch nicht lesen, weil sie dieser Monströsität eine aus deutscher Sicht gewisse Sinnhaftigkeit zukommen ließe, wonach der organisierte Mord an Juden ein Vehikel gewesen wäre, um das Reich vor einer aussichtslosen Übermacht zu retten.
Zitat von HajoDie Frage, ob Hitler aus einer rassischen oder weltanschaulichen Differenzierung heraus agierte, halte ich für eine Frage von nebensächlicher Bedeutung. Mir erscheint die Frage wesentlich wichtiger, inwiefern er selbst frei agieren konnte und bis zu welchem Grad er ein Getriebener der geopolitischen Entwicklung war.
Ich bin mir nicht sicher, lieber Hajo, was Sie mit "geopolitischer Entwicklung" meinen.
Was Europa angeht, so hatten alle vom Krieg dermaßen die Schnauze voll, daß sie nur eins wollten: Frieden. Die einzigen Störenfriede waren die Kommunisten und eben Hitler. Es gab für seine Kriegspolitik nicht die geringste objektive Rechtfertigung; es sei denn, man sieht es als legitimes Ziel an, aus Rassenwahn heraus den Anspruch auf die Herrschaft über Europa zu erheben.
Zitat von HajoNebenbei bemerkt: Die Begrifflichkeit einer Alleinschuld würde meinem Verständnis nach aber bedingen, daß Hitler allein agierte, aus welcher Motivation heraus auch immer, während der Rest Europas in einem Raum begrenzter Entscheidungsfreiheit agierte, obendrein mit dem Ziel der Friedenssicherung. Dies indes erscheint mir aus angeführten Überlegungen heraus aber als wenig wahrscheinlich.
Ja, Hitler war derjenige, der agierte. Das macht ja für viele bis heute seine Faszination aus.
Wieder mit Ausnahme der Kommunisten (und Mussolinis) hatten alle nur das Ziel, den Status Quo zu erhalten; auch Francos Putsch war ja im Grunde auf die Erhaltung des Bestehenden gerichtet gewesen.
Hitler wollte Europa umkrempeln, und das ging nur mit einem Krieg. Die Kommunisten wollten Europa auch umkrempeln, setzten aber viel eher auf Revolutionen und ggf. Bürgerkriege.
Herzlich, Zettel
PS: Kurze Antworten sind völlig OK; ich komme manchmal a bisserl ins Schreiben, sehe das aber keinesfalls als vorbildlich an.
Zitat von HajoEs gibt durchaus Hypothesen, die sich z.B. auf den sog. "Rademacher-Plan" stützen, der, wenn man so will, die langfristige strategische Vorläufer von Wannsee war, wo es ja in der Hauptsache im Operatives ging. Diesem Dokument nach ist die Reichsführung davon ausgegangen, daß Juden in den USA und Großbritannien über beträchtlichen Einfluß verfügten, weswegen man die im deutschen Einflußbereich befindlichen Juden als Geisel genommen hat, um so die angelsächsische Diaspora dazu zu nötigen, sich für einen Separatfrieden Britanniens bzw. einen Nichteintritt der USA in den Krieg stark zu machen.
Von diesem Plan habe ich noch nie etwas gehört; er kommt mir auch reichlich abwegig vor. Wenn man wirklich solche Überlegungen angestellt hätte, dann wäre es doch logisch gewesen, die Ausreise dieser Menschen anzubieten, statt sie in Viehwagen zu setzen und in den Osten zu verfrachten. In seiner Gewalt als "Geiseln" hatte der Nazi-Staat sie doch auch, wenn sie in Berlin oder Hamburg lebten.
Haben Sie einen Link zu diesem Plan oder zu Literatur darüber?
Zitat von HajoAls klar war, daß beides nicht erfolgen würde, begann im Zeitraum von wenigen Wochen die organisierte und langsame Tötung der Geiseln.
Und warum? Man hätte sie doch in ihre Wohnungen zurückkehren lassen können; wenn man schon dieser abstrusen Geisel-Logik folgen will.
Mir scheinen solche Theorien Versuche zu sein, den Nazis in Bezug auf ihren Antisemitismus Rationalität zu unterstellen. Die gab es aber nicht. Man wollte die Juden beseitigen, weil man in ihrer Existenz die Wurzel allen Übels auf der Welt sah. Daß man so krank denken kann, erscheint uns heute abwegig; aber so dachten diese Leute eben.
Und dann hatte man die kranke Idee, sie nicht einfach zu ermorden, sondern sie sich zum Nutzen der deutschen Kriegsanstrengung zu Tode arbeiten zu lassen. Es ist ja kein Zufall, daß die Deportationen in großem Umfang begonnen wurden, als Goebbels seinen "totalen Krieg" durchgesetzt hatte. Das war die Umstellung der gesamten Volkswirtschaft auf Kriegszwecke; und da hinein paßte eben auch diese perverse Idee, die Ermordung der Juden in diesen totalen Krieg zu integrieren.
Zitat von ZettelHaben Sie einen Link zu diesem Plan oder zu Literatur darüber?
Ich muß gestehen, daß ich diese Theorie (mal wieder) in einem asiatischen Forum gelesen habe. Meine eigenen Nachforschungen diesbezüglich beschränken sich ebenfalls auf das Medium Internet. Im Original ist besagtes Dokument von Franz Rademacher mit dem Titel "Die Judenfrage im Friedensvertrag" von 1940. Teilweise ist es in einem Text verarbeitet, den die Emory University (was auch immer das sein mag) in der Auseinandersetzung mit Holocaust-Leugnern veröffentlich hat. Es war mir bis jetzt auch leider nicht möglich den Text im Original einmal einsehen zu können.
Ansonsten teile ich Ihre Beobachtungen, daß es sich hier darum dreht dem praktizierten Antisemitismus einen rationalen Aspekt abzuringen. Für manche, mich eingeschlossen, ist es eben kaum möglich zu begreifen, daß all dies aus Laune und Ressentiment heraus unternommen worden sein soll.
Zitat von ZettelHaben Sie einen Link zu diesem Plan oder zu Literatur darüber?
Ich muß gestehen, daß ich diese Theorie (mal wieder) in einem asiatischen Forum gelesen habe. Meine eigenen Nachforschungen diesbezüglich beschränken sich ebenfalls auf das Medium Internet. Im Original ist besagtes Dokument von Franz Rademacher mit dem Titel "Die Judenfrage im Friedensvertrag" von 1940. Teilweise ist es in einem Text verarbeitet, den die Emory University (was auch immer das sein mag) in der Auseinandersetzung mit Holocaust-Leugnern veröffentlich hat.
Ah so. Also, das Dokument stammt aus dem Prozeß, den David Irving gegen Deborah Lipstadt angestrengt hatte, weil er der Meinung war, sie hätte ihn zu Unrecht bezichtigt, ein Holocaust-Leugner zu sein. Dieser Prozeß wurde mit einer ganz ungewöhnlichen Gründlichkeit geführt. Beide Seiten haben zahlreiche historische Dokumente in den Prozeß eingeführt, um ihre Position zu belegen.
David Irving hat damals, als der Prozeß lief, die Wortprotokolle nahezu zeitgleich ins Netz gestellt; ich habe das mit Interesse mitgelesen. Die Emory University (übrigens eine der angsehendsten amerikanischen Unis mit Schwerpunkt auf Forschung) hat hier einen Text dokumentiert, den die Anwälte von Deborah Lipstadt in den Prozeß eingeführt haben. Der Autor ist Heinz Peter Longerich, ein deutscher Zeithistoriker mit Schwerpunkt Holocaust-Forschung, der u.a. auf die Erschließung von Archivmaterial spezialisiert ist.
In dem Text geht es um das bekannte Madagaskar-Projekt, das einige Nazis, darunter Radermacher, eine Zeitlang für die "Endlösung der Judenfrage" erwogen haben. In diesem Zusammenhang steht die Notiz von Radermacher, auf die Sie sich bezogen haben.
Mit dem Holocaust und mit der Deportation der Juden hat das also nichts zu tun. Radermacher hat als "Argument" für die Deportation von vier Millionen Juden nach Madagaskar die Idee aufgeschrieben, man könne sie dann ja vielleicht als Geiseln für das "Wohlverhalten ihrer Rassegenossen" in den USA verwenden. Soweit es aus den zitierten Stellen (Anmerkungen 109 und 110) hervorgeht, wollte Radermachen aber nicht etwa jemanden ausreisen lassen, sondern die "Geiseln" sollten ggf. bestraft werden, wenn die Juden in den USA das "Wohlverhalten" vermissen ließen.
Was Sie "Radermacher-Plan" genannt haben, ist jedenfalls nichts anderes als der Madagaskar-Plan. Dessen Absurdität wurde nach meiner Erinnerung übrigens auch von den Nazis erkannt, als jemand mal ausgerechnet hat, wieviele Schiffe man eigentlich braucht, um vier Millionen Menschen nach Madagaskar zu transportiern.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich habe das wiedergegeben, weil diese Theorie als einzige eine Rationalität unterstellt, und mir keinesfalls zu eigen gemacht. Auch die Bezeichnung stammt nicht von mir. Nach meinem Verständnis war der von Rademacher eingebrachte Teil eine Untermenge des Madagaskar-Plans, aber nun sind wir endgültig auf einem Nebengleis angelangt.
In Antwort auf:(Wenn ich mich richtig erinnere - ich habe es jetzt nicht noch einmal nachgelesen - , dann sprach er immer nur vom Osten, ohne zwischen Polen, der Ukraine, Weißrußland und Rußland zu unterscheiden).
Ich glaube, es war anders. Polen war im ursprünglichen Hitlerschen Programm eher als eine Art Hilfsvolk einkalkuliert (wie auch die Ungarn, Tschechen, etc.). Der eigentliche Lebensraum-Gewinn sollte schon in Russland stattfinden. Der Angriff auf Polen war aus Hitler-Perspektive eher so eine Art Notlösung (ebenso wie z.B. der Krieg mit England nicht in das eigentliche "Hitler-Programm" passte). (Meine Quelle ist hier Sebastian Haffner, "Anmerkungen zu Hitler").
Wenn das der von mir sehr geschätzte Haffner so schreibt, dann wird es wohl stimmen. Ich werde gelegentlich einmal in "Mein Kampf" nachsehen.
Zitat von FlorianDies ist sicher eine richtige Zusammenfassung von Hitlers Weltbild. Aber: Dieses Weltbild war falsch. (Ich meine hier nicht nur moralisch falsch, sondern auch kontrafaktisch und anachronistisch). Schon zu Hitlers Zeiten kam der Wohlstand der Nationen nicht mehr primär aus der Landwirtschaft.
Ja, selbstverständlich, lieber Florian.
Er war ja ein völlig ungebildeter Mensch, der sich hauptsächlich in seiner Wiener Zeit, als er außer dem gelegentlichen Malen von Postkarten nichts zu tun hatte, wahllos durch alle möglichen Bücher fraß. Das eine oder andere blieb hängen - er hatte wohl ein sehr gutes Gedächtnis -, und daraus mixte er seine "Weltanschauung".
In dieser stand schon deshalb die Landwirtschaft ganz oben, weil für ihn Blut und Boden zusammengehörten. Was die Bevölkerungsentwicklung anging, war er über Malthus wohl nicht hinausgekommen. Er dachte halt in solchen Kategorien.
Andererseits muß man sehen, daß er keineswegs technikfeindlich war; ganz im Gegenteil.
Und natürlich erkannte er auch die Bedeutung anderer Ressourcen als des Bodens. Aber das war der ältere Hitler, der in vielem ja Pragmatiker und kalkulierender Machtpolitiker geworden war.
Seine verstiegenen, seine kriminellen Ideen waren früher entstanden, in Wien. Und von dieser "Weltanschauung" ließ er nicht mehr ab.
Zitat von Zettel Ich habe mich immer wieder gefragt, wie so etwas passieren konnte, und bin bis heute enttäuscht darüber, daß das nicht wirklich erforscht wird. Es gibt wohlfeile Antworten, die von "es gibt nun einmal das Böse im Menschen" über "die Deutschen waren schon immer Antisemiten und Befehlsempfänger" bis zu "es war halt Krieg, da passiert eben Schreckliches" reichen. Ich habe keine Antwort und glaube auch nicht, daß es eine einzige Antwort gibt. Vielleicht war am wichtigsten eine Ideologie, die Menschen nicht mehr als Menschen, sondern als Schädlinge betrachtete. Es spielte wohl eine Rolle, daß diejenigen, die die Entscheidungen trafen, nicht mit denjenigen identisch waren, die die Taten ausführten. Sadismus spielte sicher auch eine Rolle; eine Grausamkeit, die die ganze Weltgeschichte durchzieht. Und andere Faktoren.
Lieber Zettel
Ich frage mich das auch immer wieder. Und ich wundere mich auch, daß es nicht erforscht wurde. Eigentlich glaube ich das nicht, vielleicht habe ich über die Forschung nur nichts gelesen.
Inzwischen empfehle ich zu diesem Thema "Wie konnte das geschehen" gerne das Buch "Zeit der Macheten" von Jean Hatzfeld. Der Autor interviewte Täter des Völkermordes in Ruanda.
Der Völkermord an den Tutsi war als effektive, langfristige Lösung eines Problems (Knappheit von Ackerland) entstanden. (Ich bin der Meinung daß vieles moralisch unmögliche auf der Problemebene tatsächlich eine mögliche Lösung ist. Und daß man bei der Überlegung, wie man das Problem lösen kann, diese Wege als technisch mögliche Lösungen denken muß. Danach schließt man sie aus, weil man sie moralisch nicht vertreten will.)
Die Hutu hatten "schon immer" Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den Tutsi. Sie sind der Meinung, die Tutsi sehen besser aus. Die Tutsi üben im Gegensatz zu den Hutu Viehzucht aus. Die nicht eingezäunten Kühe zertrampeln öfter Hutu-Felder. Wenn ich das recht verstanden habe, kann man durch die Viehzucht wohlhabender werden als durch den Ackerbau. Dennoch lehnten die Hutu es ab, selbst Kühe zu halten. Bis zu einer Verachtung der Viehzucht ging das allerdings nicht. Aus all dem sind die Hutu der Meinung, die Tutsi wären arrogant und reich. Ein aufstrebender Hutu heiratet gerne eine Tutsi um seinem Wohlstand Ausdruck zu verleihen.
Es gab immer wieder sporadische Massaker. Der Plan, die Tutsi auszurotten wurde zentral gefasst. Er wurde persönlich an wenige die die Ausführung leiten sollten im ganzen Land kommuniziert. Die letzten Glieder des Leitungsnetzes erfuhren von dem Plan einige Wochen vor Ausführung. Das Netz war schon zu anderen Zwecken (Verwaltungszwecken?) aufgebaut gewesen. Doch wenn ich das richtig interpretiert habe, wurde dafür gesorgt, daß ideologisch zuverlässige und charakterlich für die Leitung der Mordkampagne geeignete Leute an den Endpunkten eingebunden waren.
Monate (Jahre? - ich schreibe aus der Erinnerung) vorher begann im Radio eine Diskreditierungskampagne der Tutsi.
Das war der Teil der Planung, der mich ursprünglich nicht interessierte - doch wenn ich bedenke, wie einfach der Plan war und wie reibungslos er funktionierte, enthalten wohl auch diese Punkte Antworten auf die Frage "Wie konnte das geschehen". In dieser Vorbereitungsphase ist nichts enthalten, was nicht auch im dritten Reich bei der Vorbereitung des Holocausts zutreffend gewesen wäre.
Bei Betrachtung der Ausführung sind vor allem die Unterschiede erhellend. - Es waren direkte Morde, mit Macheten und Blut. - Es waren gemeinschaftliche Morde. (Die Täter zogen in einer Gruppe los, Opfer zu finden und zu töten.) Das Ziel (Ausrottung der Tutsi) und der Weg dahin (alle arbeitsfähigen Hutu Männer ziehen täglich los und ermorden Tutsi) wurden kommuniziert und waren allen Ausführenden und auch den Nichtbeteiligten (wenigstens in den Dörfern) bekannt. - Die Morde waren zumeist bis auf die Grausamkeit des Tötens nicht zusätzlich grausam. (Es kam den Wenigsten auf die Erniedrigung oder das Quälen der Opfer an. Vergewaltigte jemand, wurde es toleriert, doch nicht für gut befunden. ) - Der einzelne Mörder zog hohen wirtschaftlichen Nutzen aus seinen Taten. Dies geschah durch die Plünderung des Eigentums der Getöteten. - Die Arbeitskraft der Getöteten wurde vor ihrer Ermordung nicht ausgepresst.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Folgende auch Gemeinsamkeiten sind: - Die Täter wußten, daß sie etwas taten, was andere falsch fanden. - Die Täter hatten und haben im Allgemeinen keine Schuldgefühle.
Ich habe immer noch keine Antwort, doch seit diesem Buch frage ich mich, ob es nicht sehr archaische, einfache Mechanismen/Gründe sind: Das tötende Volk hat oder glaubt an Mangel an Land. Die Planung verstärkt den schon vorhandenen Neid auf das Volk, das ermordet werden soll. (Arrogant und reich).
Eine Entmenschlichung der Opfer ist nicht nötig.
Wenn das aufgrund unserer archaischen Einstellung und ihrer Instrumentalisierung geschehen konnte, kann ein Völkermord immer wieder sehr einfach initiiert werden. Die Schutzmaßnahmen gegen einfache archaische Anlagen sind gerade nicht einfach. Aber möglich. Nur muß man dazu wissen, was man genau verunmöglichen will. Nicht welches Ergebnis, sondern welchen Wirkungsweg.
Kaa
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt
dein Beitrag wirft für mich viele Fragen auf. Ich werde wahrscheinlich in mehreren einzelnen Beiträgen darauf eingehen.
Jetzt nur ein Gedanke, der mir beim Lesen der Schilderung des Massenmords an den Tutsi gekommen ist; ich hatte die Details nicht gekannt.
Es scheint bei solchen Massenmorden so etwas wie ein Grundmuster zu geben:
Erstens fühlen die Mörder sich den Opfern unterlegen, von ihnen ausgebeutet usw. Das war so in der Bartholomäusnacht (die Hugenotten waren überwiegend wohlhabend), in der Französischen Revolution, beim Roten Terror gegen die russische Oberschicht. Es ist das Muster bei fast allen Pogromen: Sie richten sich in der Regel ja nicht gegen beliebige Minderheiten, sondern gegen solche, die (meist wirtschaftlich) überlegen sind; Juden in Europa, Chinesen in Asien. Der eliminative Antisemitismus basierte auf der Wahnidee, daß "die Juden" überall ihre Finger im Spiel hätten, ob als Kapitalisten oder Kommunisten, ob in der Kunst oder in der Wirtschaft, und daß man ihnen hilflos ausgeliefert sei.
Zweitens unterscheiden sich die Mörder und die Ermordeten meist ethnisch im weiteren Sinn. Die Opfer sehen anders aus, sie haben andere Sitten, eine andere Religion, sprechen eine andere Sprache. Wenn man einander ähnlich ist, gibt es in der Regel keine solchen Mordexzesse.
Bei den Hutu und den Tutsi ist das deutlich: Die Tutsi waren aus dem Norden eingewandert. Ein anderes Volk, größer und schlanker als die Hutu; und eben ethnisch in jeder Hinsicht verschieden.
Mit ethnisch "im weiteren Sinne" meine ich, daß auch innerhalb desselben Volks quasi-ethnische Unterschiede bestehen können. Die französische Aristokratie von 1789 hatte nichts mit dem Volk gemein - nicht die Kleidung und die Nahrung, nicht die Interessen, nicht die Ausdrucksweise. Die russische Aristokratie war 1917 noch weiter vom Volk entfernt; sie sprach ja sogar überwiegend immer noch (meines Wissens) eine andere Sprache, nämlich Französisch. Auch unterschiedliche Religion kann in diesem weiteren Sinn als ein ethnischer Unterschied verstanden werden. Die "ethnischen Säuberungen" in Ex-Jugoslawien trafen überwiegend Menschen einer anderen Religion.
Drittens findet der Massenmord geplant und weitgehend emotionsfrei statt. Das beschreibst du ja sehr instruktiv in Bezug auf die Hutus. Es ist kein rasender Mob, der mordet. Es geschieht geschäftsmäßig: Einer nach dem anderen kommt auf die Guillotine. In der Bartholomäusnacht wurden Listen planmäßig abgearbeitet.
Dieses letztere Merkmal war beim Holocaust besonders ausgeprägt. Auch das Merkmal des Unterlegenheitsgefühls und der ethnischen Verschiedenheit gab es. Diese allerdings nur noch schwach; die meisten der Juden, die abgeholt und ermordet wurden, waren ja assimiliert; oft gute Nachbarn mit den Christen im Wohnviertel.
Das mag eine der Erklärungen für den Hauptunterschied zwischen dem Holocaust und allen anderen Fällen sein: Die Täter waren nicht die Deutschen. Der Massenmord mußte vor den Deutschen ja sogar geheimgehalten werden. Die Täter waren eine kleine Gruppe von Menschen mit einer perversen Weltanschuung, die die Macht okkupiert hatten und andere zwangen, ihnen bei der Ausführung ihrer Wahnsinnstaten zu helfen.
Lassen sich die drei Merkmale auf einen Nenner bringen?
Vielleicht sollte man fragen, warum Menschen eigentlich in der Regel nicht solche Massenmorde begehen. Es muß da wohl eine Hemmung geben, und diese Hemmung wird - denke ich - von Schopenhauers Ethik besser erklärt als von der Kants. Es ist, scheint mir, Mitleid mehr als die Achtung vor dem Gesetz.
Mitleid hat viel damit zu tun, daß wir uns mit jemandem identifizieren; mit Empathie. Je mehr er ethnisch verschieden ist, umso schwerer wird das. Je mehr wir ihn als Ausbeuter wahrnehmen, umso mehr wird das Mitleid durch seinen Gegenspieler, den Haß, gehemmt. Und je sachlich-geschäftsmäßiger das Morden abläuft, umso mehr geht ebenfalls unser Mitleid verloren.
Danke für diesen erhellenden Beitrag. Die Hintergründe zu Ruanda kannte ich nicht.
Ein Detail:
In Antwort auf: doch seit diesem Buch frage ich mich, ob es nicht sehr archaische, einfache Mechanismen/Gründe sind
Beim Lesen des Beitrags kam mir in den Sinn, dass der Gegensatz von Ackerbauern und Viehzüchtern eigentlich DER archaische Gegensatz schlechthin ist. Schon der allererste "dokumentierte" Mord überhaupt basierte auf diesem Gegensatz: Der Ackerbauer Kain erschlägt den Viehzüchter Abel.
Der wirtschaftliche Hintergrund ist eigentlich nachvollziehbar: Beide Gruppen möchten den Boden wirtschaftlich nutzen und die beiden Nutzungen schließen sich gegenseitig aus. Mehr noch: zumindest in archaischer Form bedingen sie auch unterschiedliche Herangehensweisen an die Frage, ob es individuelles Eigentum an Boden gibt. Für den Ackerbau ist das quasi Voraussetzung. Für die Viehzucht (oder die Jagd) nicht bzw. kann sogar hinderlich sein. Natürlich ist moderne Viehzucht auch auf eingezäunten Weiden (bzw. ganz modern sogar ausschließlich in Ställen) möglich. Die archaische Variante ist jedoch das Nomadentum. (Und ich gehe jetzt mal davon aus, dass das bis zuletzt in Ruanda so praktiziert wurde).
Man kann vielleicht auch den Kampf der weißen Bauern gegen die Ureinwohner der Prärie Nordamerikas oder Australiens in diese Kategorie einordnen. Dass die Ureinwohner z.T. kein Individual-Eigentum an Boden kannten, lag eben auch an ihrer Wirtschafsform. (Übrigens gab es später im amerkianischen Westen auch Reibereien zwischen weißen Viehzüchtern und weißen Ackerbauern. Viele Western greifen diesen Topos auf. Zwar führte das nicht zu Massenmorden, aber wohl schon zu einigen Gewaltexzessen).
auf ihre angekündigten Beiträge zu diesem Thema freue ich mich schon sehr.
Da sie ja immer hervorragend recherchieren, gehe ich von sehr lehrreichen historischen Betrachtungen ihrerseits aus. Ich möchte aber auch die Frage stellen, inwieweit wir im heutigen Europa vor solchen archaischen Gefahren gefeit sind.
Immerhin brennen schon die Autos "der Reichen" in Frankreich und Berlin. Auch die Gewalt gegen Inländer nimmt zu, wenn der Ausländeranteil zu groß wird ... anscheinend europaweit.
Die Tätergruppe, hier wie dort, fühlt sich unterlegen, aber spürt genau, wann sie eine kritische Masse erreicht hat und gefahrlos zuschlagen kann. Es gibt ja sogar schon no-go-areas für die Polizei. Was denken sie darüber? Udo Ulfkotte warnt ja schon vor einem Bürgerkrieg in Europa.
Herzlich, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
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