Es ist schon Tradition, daß in ZR zum Reformationstag ein Beitrag zu Luther erscheint. Diesmal befasse ich mich mit Luther als einem deutschen Denker, als dem Denker, der das deutsche Selbstverständnis mehr geprägt hat als irgendein anderer.
Eine kleine Charakterisierung von Luther gehört in einen solchen Artikel. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich darauf hinweisen, daß dies der Luther ist, so wie er mir in meiner Jugend nahegebracht wurde; so wie wahrscheinlich die meisten Deutschen ihn sehen. Ob das dem historischen Luther gerecht wird, vermag ich nicht zu beurteilen.
Ja, Luther, der Farbige, der Derbe und der Deutliche - wie verhuscht kommt dagegen der heutige Protestantismus daher! Sehe ich die heutigen evangelischen Kirchen, fällt mir ein Wort meines ehemaligen Chefs ein: "Wir sind nach allen Seiten so offen, daß man sich fragen muß, ob wir noch ganz dicht sind!" Luther würde's schaudern!
Zitat von Thomas PauliJa, Luther, der Farbige, der Derbe und der Deutliche - wie verhuscht kommt dagegen der heutige Protestantismus daher! Sehe ich die heutigen evangelischen Kirchen, fällt mir ein Wort meines ehemaligen Chefs ein: "Wir sind nach allen Seiten so offen, daß man sich fragen muß, ob wir noch ganz dicht sind!" Luther würde's schaudern!
Ja, lieber Thomas, das Wuchtige Luthers ist dem deutschen Protestantismus wohl abhanden gekommen; vermutlich schon, als die Kirche in den protestantischen Ländern zur Staatskirche wurde. (Ich hatte einen Onkel, der noch vom - natürlich längst im Zustand der Abdankung befindlichen - Fürsten seines Sprengels ins Amt eingeführt wurde).
Übrigens scheint mir diese Tradition wichtig zu sein, wenn man das Verhalten der "Kirche im Sozialismus" richtig verstehen will. Im Grunde setzte man die Staatsnähe fort, die schon seit Jahrhunderten bestanden hatte. Die Kirche als der geistliche Arm der Obrigkeit.
Hinzu kommt die Verwissenschaftlichung der Theologie. Mit Herr habe ich ja kürzlich darüber diskutiert, inwiefern das sola scriptura Luthers sozusagen an der Wiege der heutigen textkritischen Bibelphilologie stand.
Wer sich seinem Gegenstand mit der kühlen Rationalität des Wissenschaftslers nähert (etwas, das ich natürlich befürworte), dem dürfte es nicht leicht werden, ihn zugleich mit dem kindlichen Vertrauen des Gläubigen zu sehen.
Wenn die heutige evangelische Kirche sich so sehr um die Gesellschaft, ja um die Politik kümmert, dann könnte darin wohl auch der Versuch liegen, dem Glauben, der sich nicht mehr selbst trägt, irgendwie eine Grundlage zu geben. Er wird dann instrumentell, als die Rechtfertigung und Überhöhung politischen Engagements. Das ist es, glaube ich, was diesen Eindruck des Blutleeren erzeugt.
In Antwort auf:Es ist mit diesem Selbstbild eine Gefahr verbunden, die es mit vielen Autostereotypen teilt: Sie gewinnt ihr Leben, ihre plastische Konkretheit erst vor dem Hintergrund von Fremdstereotypen. Je mehr wir Deutschen uns als bieder und ehrlich verstehen, umso mehr tendieren wir dazu, bei den anderen Hinterlist und Verstellung zu wittern.
Danke, das war sehr erhellend. Ein sehr guter Artikel.
Zitat von ZettelÜbrigens scheint mir diese Tradition wichtig zu sein, wenn man das Verhalten der "Kirche im Sozialismus" richtig verstehen will. Im Grunde setzte man die Staatsnähe fort, die schon seit Jahrhunderten bestanden hatte. Die Kirche als der geistliche Arm der Obrigkeit.
Hehe, da muss ich doch als Antwort einen Kommentar aus der FAZ zitieren:
Zitat von Heike Schmoll in der FAZDie Befreiung aus der Vormundschaft der Kirche ist das kulturgeschichtliche Ereignis der Reformation, das in seiner Bedeutung für die Geschichte der Individualisierung meist unterbewertet wird. Es ist für moderne Menschen schlechterdings nicht mehr vorstellbar, was es für den Einzelnen hieß, nicht mehr priesterlichen oder kirchlichen Weisungen unterworfen zu sein. Den Menschen direkt Gott gegenüberzustellen war ein geradezu revolutionärer Akt Luthers.
Erinnert mich ein wenig an das alte Chesterton-Zitat: wenn die Leute nicht mehr an Gott glauben, fangen sie an, an alles mögliche zu glauben. Und so erwächst aus der Rebellion wider die kirchliche Autorität ein munterer Etatismus.
(Ja, ich weiß, dass das verkürzt ist...)
Aber Frau Schmoll bringt noch einige andere lustige Sentenzen:
Zitat von Heike SchmollLuthers Befreiungsakt liegt die Einsicht zugrunde, dass Kirche und Theologie prinzipiell irren können.
Gut, dass Frau Schmoll mich darüber aufklärt, dass meine ganze Vorstellung darüber falsch war, was scholastische Theologen, Universitäten und Konzilien so trieben. Die haben ja sicher nicht über Glaubenslehren diskutiert - wenn man vor Luther "die Theologie" für unfehlbar hielt, dann musste man ja nur den theologischsten Theologen fragen und wusste alles.
-- Las ideas tontas son inmortales.
Cada nueva generación las inventa nuevamente. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von Zettelkindlichen Vertrauen des Gläubigen
Du kannst es nicht lassen, was, mein lieber Zettel?
Klar, es gibt dieses "kindliche Vertrauen" unter Gläubigen, aber ich wage zu bezweifeln, dass es auf die Mehrheit zutrifft. Das Vertrauen des Kindes ist ungetrübt, und es wird im Laufe des Älterwerdens durch Zweifel erschüttert. Aber es gibt auch ein anderes Vertrauen, eins, das sich dem Zweifel immer wieder aussetzt, ihn dann aber doch überwindet.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Jedenfalls bin ich überrascht, mit welch negativer Brille man den Beitrag von Heike Schmoll, die so protestantisch ist, wie man im positiven Sinn nur sein kann, lesen kann. Wie man aus dem von dir zitierten Absatz uf das Chesterton-Zitat kommen kann, erschließt sich mir nicht, jedenfalls nicht, wenn man sich selbst als Christen sieht. Auch der Sprung hin zum Etatismus als quasi notwendiger Folge einer "Befreiung des Christenmenschen" verblüfft mich. Dass du in deiner Signatur Gómez Dávila zitierst, erklärt natürlich vieles , aber ich weigere mich anzunehmen, dass jemand wie du dessen meines Erachtens etwas übertrieben-verschrobene Grundhaltung propagieren möchte.
Ich nehme an, es hat einen Grund, dass du in deiner Kritik des zweiten Schmoll-Zitats nur auf die Theologie abhebst. Aber was ist mit der Kirche?
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Zitat von RaysonDu bist Rom-Katholik, oder, mein lieber Gorgasal?
Ist das so offensichtlich?
Zitat von RaysonJedenfalls bin ich überrascht, mit welch negativer Brille man den Beitrag von Heike Schmoll, die so protestantisch ist, wie man im positiven Sinn nur sein kann, lesen kann. Wie man aus dem von dir zitierten Absatz uf das Chesterton-Zitat kommen kann, erschließt sich mir nicht, jedenfalls nicht, wenn man sich selbst als Christen sieht. Auch der Sprung hin zum Etatismus als quasi notwendiger Folge einer "Befreiung des Christenmenschen" verblüfft mich.
Ach, nehmen Sie mich doch nicht zu ernst. Ich fand den Beitrag von Frau Schmoll auch gar nicht so schlimm, wie es oben vielleicht klingt; nur der Satz mit der irrenden Theologie hat mich amüsiert. Ich hatte nur kurz hintereinander Zettels Beitrag (die protestantische Kirche mit ihrer häufigen Staatsnähe) und Schmolls Kommentar (die Reformation als die große Befreiung von - zugegebenermaßen kirchlichen - Autoritäten) gelesen. Der Kontrast gefiel mir so gut, wie ein süß-saures chinesisches Gericht. Und ich hatte ja darauf hingewiesen, dass mir völlig klar war, dass das alles sehr vereinfacht ist.
Zitat von RaysonDass du in deiner Signatur Gómez Dávila zitierst, erklärt natürlich vieles , aber ich weigere mich anzunehmen, dass jemand wie du dessen meines Erachtens etwas übertrieben-verschrobene Grundhaltung propagieren möchte.
Oh, das ist interessant. Wieso denn?
Zitat von RaysonIch nehme an, es hat einen Grund, dass du in deiner Kritik des zweiten Schmoll-Zitats nur auf die Theologie abhebst. Aber was ist mit der Kirche?
Natürlich ist es schwierig, hier zwischen Theologie und Kirche zu unterscheiden, aber es gibt viele Beispiele von seitens Vertretern der Kirche vertretenen Ansichten, die beispielsweise auf Konzilien als irrig bezeichnet wurden. Auch die Kirche entwickelt sich weiter, und sie tat das auch schon vor Luther. Und hier verkürzt Schmoll.
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Zitat von RaysonDass du in deiner Signatur Gómez Dávila zitierst, erklärt natürlich vieles , aber ich weigere mich anzunehmen, dass jemand wie du dessen meines Erachtens etwas übertrieben-verschrobene Grundhaltung propagieren möchte.
Oh, das ist interessant. Wieso denn?
Und vielen Dank für die Erinnerung daran, wieder einmal das Signaturzitat zu wechseln...
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Herzlichen Dank, lieber Zettel, für die kleine Luther-Würdigung am Reformationstag! Irgendwie ist es dann sehr nahe liegend, auf den Zustand des heutigen Protestantismus zu sprechen zu kommen.
In Antwort auf:Wenn die heutige evangelische Kirche sich so sehr um die Gesellschaft, ja um die Politik kümmert, dann könnte darin wohl auch der Versuch liegen, dem Glauben, der sich nicht mehr selbst trägt, irgendwie eine Grundlage zu geben. Er wird dann instrumentell, als die Rechtfertigung und Überhöhung politischen Engagements. Das ist es, glaube ich, was diesen Eindruck des Blutleeren erzeugt.
Das ist wunderbar formuliert! Ich war schon fast getröstet, dass heute in der Tagesschau Bischöfin Käßmann mit dem Hinweis auf die Rechtfertigung allein aus Glauben als die Grundlage evangelischen Glaubens zitiert wurde, nachdem sie sich nach ihrer Wahl zu so geistlich und theologisch bedeutsamen Themen wie Kita-Plätzen und Ganztagsschulen geäußert hatte. Der linksprotestantische moralisierende Aktionismus kann dem Glauben, meine ich, kaum Halt geben. Tendenziell ersetzt er die Rechtfertigung aus dem Glauben wieder durch eine Rechtfertigung aus den Werken (des Gutmenschen).
Interessant finde ich auch Ihre und anderer Diskutanten Beobachtungen zur Staatsnähe bzw. Etatismus des deutschen Protestantismus. Luther hat ja in seiner Zwei-Reiche-Lehre einerseits das geistliche Regiment gewissermaßen aus der Kirche in die Herzen der Gläubigen verlegt, das weltliche Regiment aber um so mehr gestärkt und auch kirchenpolitisch für seine Zwecke eingespannt.
Luther ist aus heutiger Sicht ein konservativer Vertreter eines starken Staates. Von den großen Staatsphilosophen steht ihm wahrscheinlich Hobbes am nächsten.
Als Erklärungsmuster für die "Kirche im Sozialismus" taugt das dennoch nur begrenzt. Eher für die Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus. Dieser hatte ja im Protestantismus viel stärkeren Rückhalt als in den katholischen Milieus. Mit dieser Lehre der Geschichte im Gedächtnis haben sich die Kirchen in der DDR mehr oder weniger stark jeglicher ideologischer Vereinnahmung durch den Staat entziehen oder widersetzen können (Ausnahme die Stasi-unterwanderte thüringische Landeskirche). Diesseits seiner weltanschaulichen Totalansprüche konnte sie sich freilich mit diesem wie mit jedem Staat bis zu einem gewissen Grad arrangieren. Wie weit das zu gehen hatte, darüber gab es immer ein breites Spektrum von Meinungen.
In Antwort auf:Wer sich seinem Gegenstand mit der kühlen Rationalität des Wissenschaftslers nähert (etwas, das ich natürlich befürworte), dem dürfte es nicht leicht werden, ihn zugleich mit dem kindlichen Vertrauen des Gläubigen zu sehen.
Tja, das ist der Spagat, in dem ich mich seit Jahren versuche Und bei dem ich immer noch meine, auch von Luther lernen zu können, der zwar kein theologischer Florettfechter war, aber ein äußerst scharfsinniger und genauer Exeget, Interpret und Anwender der Heiligen Schrift war - und ein kindlich frommer Mensch.
über Ihre positive Reaktion habe ich mich gefreut; ich war, ehrlich gesagt, a bisserl gespannt darauf, wie Sie als Berufener die Überlegungen eines Nichtberufenen kommentieren würden.
Zitat von HerrDer linksprotestantische moralisierende Aktionismus kann dem Glauben, meine ich, kaum Halt geben. Tendenziell ersetzt er die Rechtfertigung aus dem Glauben wieder durch eine Rechtfertigung aus den Werken (des Gutmenschen).
Ja, das scheint mir auch so. Und ich frage mich halt, ob es nicht etwas mit der Verwissenschaftlichung der Theologie im Protestantismus zu tun hat.
Ich sehe das ein bißchen ähnlich wie die, sagen wir, Empirisierung anderer normativer Wissenschaften. Man hat im 19. Jahrhundert die Logik und die Mathematik zu psychologisieren versucht; Husserl hat seinen Ansatz wesentlich aus einer Kritik an diesem Psychologismus entwickelt. Ebenso wollte man die Ästhetik auf Kunstsoziologie oder Kunstpsychologie zurückführen; und in der Jurisprudenz sollten die Normen sich durch ihre empirische Bewährung rechtfertigen.
Mathematik ist aber keine abstrahierte Denkpsychologie. Die Gesetze der Ästhetik sind kein soziologisches Phänomen. Wer die Jurisprudenz empirisieren will, der verkennt das Wesen von Normen; man landet dann bei einem Konsequenzialismus, in dem die Normen den Tatsachen hinterherhecheln.
Und so, denke ich mir, könnte es auch in einer Theologie sein, die einerseits die Glaubensschriften in Gegenstände philologischer Analysen verwandelt und die andererseits den Glauben als ein gutes Mittel versteht, die Menschen zu prosozialem Verhalten zu animieren.
Zitat von HerrLuther ist aus heutiger Sicht ein konservativer Vertreter eines starken Staates. Von den großen Staatsphilosophen steht ihm wahrscheinlich Hobbes am nächsten.
Eine interessante Parallele, die mir noch nicht in den Sinn gekommen war. Ich lese gerade Adam Smith; von daher bietet sich ein kleiner Regressus in Richtung Hobbes ja an.
Ich muss bei Luther an einen amüsanten Roman denken, den ich vor langer Zeit erworben habe (aber dann und wann immer noch gerne lese): "Aufruhr der Engel" von Anatol France (geschrieben kurz vor dem ersten Weltkrieg)
In diesem Roman geht es darum, dass sich Engel gegen die Herrschaft Gottes auflehnen wollen und sich deswegen mit einem ehemaligen Engel verbünden wollen, der das schon mal gemacht hatte: mit Satan. Dieser denkt lange darüber nach und lehnt dann ab, denn er will nicht die Stelle Gottes einnehmen. Er sieht dessen Position übrigens nicht als "gut" an, ist der christliche Gott doch Leiter einer finsteren, untoleranten und fanatischen Organisation.
In einer etwas anderen - satirisch überspitzten - Geschichte des christlichen Glaubens wird die Rolle Luthers beschrieben als eine Person, die den Katholizismus, der gerade dabei war, menschlich zu werden, durch seinen Fanatismus wiederum in die Richtung des katholischen Fanatismus (die Gegenreformation) zu treiben. Oder kürzer: Wäre Luther nicht gekommen, wäre der christliche Glauben eine viel entspanntere und vor allem unwichtigere Angelegenheit geworden und hätte schon viel früher eine entsprechend niedrigere Priorität im Weltbild des Menschen gefunden.
Eine Ansicht, der ich mich nicht ganz verschliessen kann.
Lieber Zettel, vielen dank für diesen schöne Artikel.
Und passend auch der Verweis auf den "deutschen Michel".
Da haben wir als Volk als Nationalheiligen nicht irgendeinen "normalen" Heiligen oder Märtyrer, sondern einen Erzengel, den obersten der Engel sogar. Und machen daraus einen Zipfelmützenträger ...
Nur ist der Michel eben nicht der Engel sondern eine Karrikatur auf den deutschen Kleinbürger. Und ich wage zu bezweifeln, daß es Erzengel deutscher Staatsangehörikeit gibt.
Ich persönlich mag den Michel. Mit seiner Guggl ist er mir richtig symphatisch.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
In Antwort auf:Und ich wage zu bezweifeln, daß es Erzengel deutscher Staatsangehörikeit gibt.
Jetzt wollen wir doch nicht über das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht streiten ;-)
Doch! Und ich bin Blogger. Ich habe recht!
Zitat von R.A. Aber der Erzengel Michael ist nun mal unser Nationalheiliger, ganz offiziell kirchlich abgesegnet.
Und deswegen ist der Name Michel ja auch so verbreitet und eignet sich hervorragend als Etikett für Deutsche Witzfiguren. Ebenso wie früher mal der Name Kasper.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Ist doch immer wieder vergnüglich, manche Wikipedia-Artikel zu lesen (vor allem wenn sie aus dem nicht-technischen Bereich kommen:
In Antwort auf:In der Wissenschaft hat sich heute allgemein die Ansicht durchgesetzt, dass es sich bei der Redewendung „ein teutscher Michel“ um eine Geburt der Renaissance handelt.
Eigentlich weiß die Wissenschaft nur, daß sie vorher noch keine schriftlichen Zeugnisse dafür gefunden hat. Was wohl eher daran liegt, daß solche (noch dazu deutschsprachigen) Bezeichnissen in handgeschriebenen Klosterschriften wenig zu suchen haben. Das Stichwort wäre also weniger Humanismus als Buchdruck ...
Aber dann kommts:
In Antwort auf:Der Humanismus in Deutschland hatte sich das Latein zur Sprache gewählt.
Eher müßte man wohl sagen, daß die Humanisten in der Regel an dieser jahrhundertealten Tradition festgehalten haben. Wenn sie sich nicht mit Griechisch versucht haben, DAS war der neue Trend.
In Antwort auf:Dadurch entstand zwischen der Sprache der Bildung und der des Volkes eine Kluft.
Während bekanntlich die mittelalterlichen Bauern in fließendem Latein mit den Gebildeten parlierten ...
In Antwort auf:Dies führte zu einer geistigen Kultur, die den Anschluss an das Ausland suchte.
Was nur will uns der Wikipedia-Autor damit sagen? Daß die verzweifelten deutschen Gelehrten plötzlich anfangen mußten, den Franzosen Briefe zu schreiben, weil sie sich mit ihren Landsleuten nicht mehr unterhalten konnten?
Ist doch irgendwie goldig, gerade wenn man erahnt, was er eigentlich sagen wollte
Zitat von R.A.Ist doch immer wieder vergnüglich, manche Wikipedia-Artikel zu lesen (vor allem wenn sie aus dem nicht-technischen Bereich kommen
Gut gebrüllt, Löwe! Ich hatte mir für meinen Artikel diesen Wikipedia-Eintrag natürlich auch angeguckt und habe ihn so beurteilt wie Sie jetzt.
Ich kann nur immer wieder empfehlen, wenn irgend möglich die internationale Wikipedia heranzuziehen. Ein guter Artikel entsteht meist erst, wenn viele Autoren mitarbeiten und korrigierend eingreifen. Das schafft eine nationale Wikipedia in vielen Fällen nicht.
In der internationalen Wikipedia ist der Artikel "Deutscher Michel" zwar kurz; aber es steht wenigstens nicht ein solches Gerede darin.
Zitat von ZettelIch kann nur immer wieder empfehlen, wenn irgend möglich die internationale Wikipedia heranzuziehen.
Das kommt aufs Thema an. Die englische Wikipedia (sie ist eigentlich nicht "internationaler" als die anderer Sprachen) ist umfangreicher, in manchen Bereichen auch besser, hat aber natürlich auch ihre Schwächen.
Insbesondere natürlich bei speziellen nationalen Themen. Auch wenn in der deutschen Version das Humanismus-Geschwafel stört, insgesamt ist der Artikel schon ausführlicher und in vielen Punkten besser, alleine die Verweise auf den General Obentraut, Grimmelshausen oder den Vormärz sind schon gut.
Die englische bietet dafür einen recht unwesentlichen Verweis auf die Hamburger Kirche "Michel" und für den englisch-sprachigen Leser hätte die Karikatur übersetzt und erklärt werden müssen.
Interessant finde ich die sinnvolle Differenzierung zwischen Nationalcharakteren à la "Deutscher Michel", "John Bull" oder "Uncle Sam" im Gegensatz zu Allegorien wie der Germania, der Britannia etc.
Leider wird dann in der Tabelle der Nationalpersonifikationen wieder alles durcheinandergeworfen. Die französische Marianne gehört für mich ja eher zu den Allegorien. Ich kenne keine Figur, die in Frankreich dem "Deutschen Michel" entsprechen würde. Paßt wohl nicht so zum französischen Nationalstolz .
Zitat von ZettelIch kann nur immer wieder empfehlen, wenn irgend möglich die internationale Wikipedia heranzuziehen.
Das kommt aufs Thema an. Die englische Wikipedia (sie ist eigentlich nicht "internationaler" als die anderer Sprachen) ist umfangreicher, in manchen Bereichen auch besser, hat aber natürlich auch ihre Schwächen.
Ich würde sie, lieber R.A., schon die internationale nennen wollen. Nicht nur, weil es Dutzende von Ländern gibt, in denen Englisch die Amts- oder doch zumindest die Verkehrssprache ist. Sondern auch deshalb, weil sie international von allen konsultiert wird, die Englisch lesen.
Sie haben allerdings Recht, daß man zu spezifisch nationalen oder die eigene Kultur betreffenden Themen in der deutschen Wikipedia oft ausführlichere Artikel findet. Aber gerade die ausführlichen sind oft schlecht. Manchmal hat man den Eindruck, daß da ein einziger Autor sich mal richtig vom Herzen geschrieben hat, was er immer schon einmal sagen wollte.
Zitat von R.A.Interessant finde ich die sinnvolle Differenzierung zwischen Nationalcharakteren à la "Deutscher Michel", "John Bull" oder "Uncle Sam" im Gegensatz zu Allegorien wie der Germania, der Britannia etc. Leider wird dann in der Tabelle der Nationalpersonifikationen wieder alles durcheinandergeworfen. Die französische Marianne gehört für mich ja eher zu den Allegorien. Ich kenne keine Figur, die in Frankreich dem "Deutschen Michel" entsprechen würde. Paßt wohl nicht so zum französischen Nationalstolz .
So ganz trennscharf scheint mir diese Differenzierung auch nicht zu sein. Die Germania und die Britannia sind sicherlich Allegorien, aber die Marianne?
In der französischen () Wikipedia kann man erfahren, daß die Marianne ursprünglich keine Allegorie war, sondern als Name in Liedern der Revolution vorkam. Der Hintergrund ist wohl, daß die Aristokraten nur den Namen "Marie Anne" kannten und das "Marianne" die volkstümliche Form davon war (ähnlich Michael - Michel). Zuerst hatte also die Marianne einen ähnlichen Status wie der Deutsche Michel; in Karikaturen findet man sie ja auch heute noch zusammen mit ihm, Uncle Sam usw.
Dann wurde die Marianne allmählich zur Allegorie erhöht, mit allerlei Symbolischem (die phrygische Mütze soll zB das Volk bedeuten, die nackte Brust die Ernährung, aber auch die Emanzipation (!) usw.). Heute ist sie so etwas wie ein offizielles Symbol der Republik, erscheint auf Briefmarken usw.
Ist doch immer wieder vergnüglich, manche Wikipedia-Artikel zu lesen (vor allem wenn sie aus dem nicht-technischen Bereich kommen
Das Geschwafel überlese ich mittlerweile recht routiniert. Ich ziehe beim Überfliegen die wichtigen Namen und Fakten raus, soweit es sich um überprüfbare Sachen zu handeln scheint. Das sind bei einem längeren Absatz nur zwei, drei Wörter, manchmal gar nichts. Der Rest pfeift als Trägersignal einfach durch. Wenn man längere Zeit literatur- und kulturwissenschaftliche Texte lesen mußte, lernt man zu filtern.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von GorgasalAch, nehmen Sie mich doch nicht zu ernst. Ich fand den Beitrag von Frau Schmoll auch gar nicht so schlimm, wie es oben vielleicht klingt; nur der Satz mit der irrenden Theologie hat mich amüsiert. Ich hatte nur kurz hintereinander Zettels Beitrag (die protestantische Kirche mit ihrer häufigen Staatsnähe) und Schmolls Kommentar (die Reformation als die große Befreiung von - zugegebenermaßen kirchlichen - Autoritäten) gelesen. Der Kontrast gefiel mir so gut, wie ein süß-saures chinesisches Gericht. Und ich hatte ja darauf hingewiesen, dass mir völlig klar war, dass das alles sehr vereinfacht ist.
Na, da bin ich aber beruhigt ;-) Aber da bin ich dann doch zu sehr Rückenmarksliberaler, als dass ich davon ausgehen würde, dass der Mensch immer nach Autoritäten sucht. Mancher, der befreit wurde, hat sich nämlich auch nicht wieder einfangen lassen. Das ist dann aus meiner Sicht auch das übertrieben-verschrobene von Davila, dass er Zuflucht bei der verknöchertsten Institution sucht, die er finden kann, und zwar tatsächlich hauptsächlich nur wegen ihrer Eigenschaft, sich nicht anzupassen, und nicht etwa aufgrund eines Glaubens, einfach weil er sämtliche neueren Entwicklungen verabscheut, fast wie ein Salafist das Ideal in der Vergangenheit suchend. Du bedienst immerhin einen Computer, das gibt mir Hoffnung
Übrigens wäre heutzutage die protestantische Kirche, jedenfalls soweit es die Mehrheit der in der EKD vertretenen Kirchen betrifft, m.E. nicht wegen zu großer Staatsnähe, sondern eher wegen zu großer Zeitgeistnähe zu kritisieren. Deswegen muss ich aber nicht zum Davila werden
Zitat von GorgasalNatürlich ist es schwierig, hier zwischen Theologie und Kirche zu unterscheiden, aber es gibt viele Beispiele von seitens Vertretern der Kirche vertretenen Ansichten, die beispielsweise auf Konzilien als irrig bezeichnet wurden. Auch die Kirche entwickelt sich weiter, und sie tat das auch schon vor Luther. Und hier verkürzt Schmoll.
Wann wurde denn das letzte Mal eine Meinung des Papstes auf einem Konzil als "irrig" bezeichnet? Und wann vielleicht sogar verworfen? Heutzutage ist es doch eher so, dass missliebigen Theologen die Lehrerlaubnis entzogen wird, so dass vor allem die Theologie als solche gilt, die in Rom vertreten wird. Wenn Schmoll darauf abzielte, was ich vermute, trifft sie auch. Dass sich Kirche auch schon vor Luther verändert hat, will ich nichts bestreiten, wahrscheinlich auch je älter, je öfter. Aber schon bei Änderungen der römisch-katholischen Kirche nach Luther ist es ja höchst fraglich, ob diese jeweils ohne Luther zustande gekommen wären.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonWann wurde denn das letzte Mal eine Meinung des Papstes auf einem Konzil als "irrig" bezeichnet? Und wann vielleicht sogar verworfen? Heutzutage ist es doch eher so, dass missliebigen Theologen die Lehrerlaubnis entzogen wird, so dass vor allem die Theologie als solche gilt, die in Rom vertreten wird. Wenn Schmoll darauf abzielte, was ich vermute, trifft sie auch. Dass sich Kirche auch schon vor Luther verändert hat, will ich nichts bestreiten, wahrscheinlich auch je älter, je öfter. Aber schon bei Änderungen der römisch-katholischen Kirche nach Luther ist es ja höchst fraglich, ob diese jeweils ohne Luther zustande gekommen wären.
Sehen Sie, lieber Rayson, das kommt davon, wenn man den Päpsten die weltliche Macht wegnimmt! Nicht umsonst ist das Unfehlbarkeitsdogma kurz nach der Besetzung des Kirchenstaates verabschiedet worden . Im übrigen ist das Bild, das Sie von den Konzilien zeichnen so ungefähr das eines Parteitags unter Kohl. Wenn man aber gerade das II. Vaticanum betrachtet (das einzige, mit dem ich mich einigermaßen auskenne), so ist es gerade sehr wenig von den beiden Päpsten, die es erlebt hat, dominiert worden, sondern von zwei Fraktionen innerhalb der Bischöfe, einer konservativen und einer progressiven. Und dass über diesem Konzil der Geist Luthers geschwebt hat, wage ich sehr zu bezweifeln!!! Genauso war z. B. die Hinwendung zur sozialen Frage (mit den Sozialenzykliken, die unter Leo XIII. begonnen haben) eine rein katholische Angelegenheit, während die Evangelen noch tief ins 20. Jahrhundert hinein im Bündnis von Thron und Altar verharrten.
Du meinst, lieber Meister Petz, man hätte dem Papst ein wenig Staat als Spielzeug überlassen sollen, und es wäre nie zu dem Dogma gekommen, dem meine Kirche ihre Existenz verdankt? Hm, wenn dort jederzeit Ein- und Ausreise möglich gewesen wären, hätte ich als Liberaler dagegen nur wenig einzuwenden
Wenn Du aber davon sprichst, dass sich im II. Vaticanum sozusagen die mittlere Führungsebene frei austoben konnte, so liegt das doch wohl eher daran, dass die Päpste sie haben machen lassen. Oder kennst Du ein Beispiel dafür, dass ein Papst seine Position im Verlauf des Konzils hat räumen müssen? Ich bezweifle das. Wenn Küng recht hat, dann strahlt besagtes Dogma, obwohl an und pfirsich an enge Bedingungen gebunden, auf das kirchliche Alltagsgeschäft derart ab, dass Widerworte gegen den Papst nicht von Dauer sein können.
Ob nun gerade der Geist Luthers das II. Vaticanum beseelt hat, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Aber ob es ohne die Existenz Luthers und die Konsequenzen daraus auch so stattgefunden hätte... Auch das bezweifle ich, wiewohl solche Überlegungen natürlich immer im Spekulativen bleiben müssen.
Dass die römisch-katholische Kirche schneller zur sozialen Frage kam, ist vielleicht nicht nur der Staatsnähe der protestantischen Kirchen geschuldet, sondern auch gewissen Überzeugungen, etwa solchen, wie sie Max Weber in seiner berühmten Schrift dargelegt hat. Oder, dass sie mehr in den südlichen Ländern zu Hause ist, denen das ganze pietistische G'schaffe schon immer zuwider war
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Zitat von RaysonDas ist dann aus meiner Sicht auch das übertrieben-verschrobene von Davila, dass er Zuflucht bei der verknöchertsten Institution sucht, die er finden kann, und zwar tatsächlich hauptsächlich nur wegen ihrer Eigenschaft, sich nicht anzupassen, und nicht etwa aufgrund eines Glaubens, einfach weil er sämtliche neueren Entwicklungen verabscheut, fast wie ein Salafist das Ideal in der Vergangenheit suchend.
Hm, vielleicht kennen Sie Gómez Dávila besser als ich, aber ich wäre vorsichtig mit Aussagen darüber, warum jemand seine Zuflucht bei der Kirche sucht. Vor allem, wenn von demjenigen nicht viel mehr Quellen als eine Sammlung von Aphorismen zur Verfügung steht.
Zitat von RaysonDu bedienst immerhin einen Computer, das gibt mir Hoffnung
Aber ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich meine emails ausdrucke und abhefte
Zitat von RaysonWann wurde denn das letzte Mal eine Meinung des Papstes auf einem Konzil als "irrig" bezeichnet?
Ich sag's mal gaaanz sachte: die (römisch-)katholische Kirche besteht nicht nur aus dem Papst. Und auch päpstliche Ansichten entwickeln sich; Meister Petz hat schon die Soziallehre angeführt.
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