Zitat von GansguoterBryan Ward-Perkins in "The Fall of Rome: And the End of Civilization" hat jetzt ein deutlich pessimistischere (und wie mir prima vista scheint, realistischere) Sicht auf das Ende des Röm. Reiches. Eine Lektüre für die Weihnachtsferien.
Ich hoffe nicht allzuviel des Lesevergnügens vorwegzunehmen, wenn ich hier den letzten Satz dieses in der Tat aufschlußreichen Buches zitiere.
Zitat von Bryan Ward-Perkins"The end of the Roman West witnessed horrors and dislocation of a kind I sincerely hope never to have to live through; and it destroyed a complex civilization, throwing the inhabitants of the West back to a standard of living typical of prehistoric times. Romans before the fall were as certain as we are today that their world would continue for ever substantially unchanged. They were wrong. We would be wise not to repeat their complacency."
was Sie ansprechen, ist ein Thema, das mich seit der Lektüre Spenglers mit fünfzehn Jahren beschäftigt. Vor ein paar Jahren habe ich seine Werke, die ich damals nur aus der Stadtbibliothek hatte entleihen können, antiquarisch gekauft und wieder gelesen.
Die alte Faszination war wieder da; so, wie wenn man in fortgeschrittenen Alter einer Jugendliebe wieder begegnet. Der Mann war ein Narziß wie Marx, ein Verführer wie Marx.
Der Erfolg seines Buchs beruhte darauf, daß er zwei Urängste angesprochen hat: Die vor dem Untergang und die vor der Überfremdung: Fremde Horden überfallen uns, und alles geht verloren.
Später dann habe ich den Gibbon gelesen; gerade lese ich Toynbee über den Untergang von Kulturen. Mir erscheinen diese Ängst zunehmend irrational.
Ich finde deshalb diese Diskussion sehr spannend; vielleicht schreibe ich in ZR etwas zu diesem Thema.
Zitat von ZettelMir erscheinen diese Ängst zunehmend irrational. Ich finde deshalb diese Diskussion sehr spannend; vielleicht schreibe ich in ZR etwas zu diesem Thema.
Au ja, tun Sie das.
Ich blättere dafür vielleicht noch einmal durch Treadgolds "History of the Byzantine State and Society" und schreibe etwas darüber. In Anbetracht von 1453 (und der vorherigen Eroberung des Heiligen Landes, und Ägyptens, und Nordafrikas, und Anatoliens) kann ich nämlich nicht nachvollziehen, wie man diese Befürchtungen ("Ängste" liebe ich nicht, das hat etwas Pathologisierendes, in diesem Kontext Zirkeliges) irrational finden kann.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von UngeltIch würde es aber zusätzlich für gefährlich halten, wenn ein allseits anerkannter "Multiplikator" öffentlich die Meinung vertreten würde, die "Stärke der westlichen Zivilisation wird sich in diesem Konflikt quasi automatisch durchsetzen". Als ob es schon entschieden wäre. Das genaue Gegenteil wäre nötig, um am Ende das von uns allen gewünschte Ergebnis zu bekommen. Auch wenn man bei der Endabrechnung in diesem Fall dann möglicherweise nicht das letzte Wort behält ;-)
Das ist ein sehr bedenkenswertes Argument, lieber Ungelt. Sollte man etwas um des richtigen Ziels willen sagen, das man nicht für wahr hält? Meine Meinung dazu finden Sie hier. Ich schreibe nur das, wovon ich nach bestem Wissen überzeugt bin. Oder sagen wir, was ich für hinreichend wahrscheinlich halte, um es aufzuschreiben.
Sehr geehrter Zettel,
Ich möchte Sie nicht dazu animieren, das Gegenteil Ihrer Überzeugung zu schreiben. Wenn ich schrieb, daß "das genaue Gegenteil nötig wäre". dann meinte ich es im Wortsinn so - es kommt mir nicht so sehr darauf an, daß gerade Sie vor der Islamisierung warnen - es reicht auch, wenn es die Mitdiskutanten ausgiebig tun. ;-)
Ich kann Ihre Position in diesem Punkt aber eigentlich nicht verstehen, und ich bitte Sie, diese Aussage nicht dies als ein rhetorisches Stilmittel einzuordnen: Sie sagen ohne Umschweife und jederzeit, daß Sie z.B. von der Klimatologie oder auch dem "Islam an sich" nicht genug wissen, um sich dazu ein zuverlässiges Urteil zu bilden. (Für mich absolut nachvollziehbar, ein blutiger Laie wie ich kann es sich schon eher leisten, seine Meinung auch mal ungefiltert abzusondern. ;-) Auf der anderen Seite sind Sie sich aber offenbar absolut sicher, daß von diesem Ihnen "unbekannten" Islam keine Gefahr ausgeht. Sonst könnten sie doch nicht von einer "Wahnidee" sprechen. Wobei doch Zukunftsprognosen bei komplexen Systemen schon an sich sehr problematisch sind, ich glaube, man spricht da von diesen "chaotischen Systemen", die jederzeit "durch den Flügelschlag eines Schmetterlings" kippen können.
Gegen eine "Gefahr", die ja nach meinem Verständnis nicht etwa das Ergebnis eines möglichen Konfliktes schon vorwegnimmt und eine ganze Skala von möglichen Ausprägungen beinhaltet, von "kaum vorhanden(1)" bis "unabwendbar(999)", setzen sie eine Null, niente, Wahnidee.
Wie gesagt, das verstehe es nicht.
Die Schopenhauerische Parabel(?) zur Instrumentalisierung der "Wahrheit" möchte ich verwegenerweise auch noch etwas sagen: Seine Aussage stimmt meiner Meinung nach möglicherweise in einem geschlossenem System mit ausreichender "Lebensdauer". Dann gibt es diese "Wahrheitsdividende" wahrscheinlich. In existenziellen Konflikten gibt es aber möglicherweise kein "später" mehr, den Zeitpunkt, an dem die Wahrheitsliebe Früchte tragen kann. Dort endet dann der "Geltungsbereich" dieser Empfehlung. Klar, wenn Sie davon ausgehen, daß keine Bedrohung vorhanden ist, gibt es in diesem Sinne aber genug Zeit.
Zitat von ZettelDer Erfolg seines Buchs beruhte darauf, daß er zwei Urängste angesprochen hat: Die vor dem Untergang und die vor der Überfremdung: Fremde Horden überfallen uns, und alles geht verloren.
Ich habe das Buch anders gelesen. Ich glaube nicht, dass es ihm um das Schüren von Angst geht. Denn er beschreibt diesen Untergang als eine Art wissenschaftliche Notwendigkeit und letztlich auch als etwas - historisch gesehen - positives: der Anfang von etwas Neuem. Darin also in der Tat Marx sehr ähnlich; der Vergleich drängt sich ja auch in diesem Sinne fast auf. Aber dann müsste man ja auch Marx so deuten, dass er vor dem Ende des Kapitalismus warnen bzw. "Angst schüren" wollte. Das ist zwar ein interessanter psychologischer Gedanke, dürfte aber nicht besonders weit tragen. Diese "Notwendigkeit" - so verstehe ich Spengler - ließe sich nur durch eine innere Erneuerung und Wiederbelebung der westlichen Kultur aufhalten (eine Reaktion, die er sich offensichtlich als Folge seiner Schrift gewissermaßen erhofft zu haben scheint), die dem radikalen Verfall ersetzen könnte. Historisch wäre dies aber einzigartig und dieser Gedanke wird von ihm auch in seiner Schrift nur sehr am Rande verfolgt. Im Prinzip hätte man Spenglers UA auch die Einleitung von Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, mit den ganzen Ausführungen über Krankheit und Tod und deren stärkende und erneuerende Kraft, voranstellen können (die aber erst etwas später erschienen ist).
Zitat von ZettelDer Erfolg seines Buchs beruhte darauf, daß er zwei Urängste angesprochen hat: Die vor dem Untergang und die vor der Überfremdung: Fremde Horden überfallen uns, und alles geht verloren.
Ich habe das Buch anders gelesen.
Ich auch, lieber Robin. Meine Bemerkung bezog sich nicht auf das, was Spengler in dem Buch schrieb, sondern auf die Gründe für dessen Erfolg; es war ja ein regelrechter Bestseller.
Es wäre weniger mißverständlich gewesen, wenn ich "beruhte darauf, daß es zwei Urängste angesprochen hat" geschrieben hätte.
Zitat von RobinDiese "Notwendigkeit" - so verstehe ich Spengler - ließe sich nur durch eine innere Erneuerung und Wiederbelebung der westlichen Kultur aufhalten (eine Reaktion, die er sich offensichtlich als Folge seiner Schrift gewissermaßen erhofft zu haben scheint), die dem radikalen Verfall ersetzen könnte.
Hat er das wirklich erhofft oder erwartet? Ich habe ihn immer als einen von diesen illusionslosen Konservativen wie Benn gesehen, die den Niedergang, aber auch den Aufstieg des Neuen, kühl und mit sozusagen bitterer Gelassenheit analysieren. Schüler Nietzsches ja beide.
Zitat von RobinIm Prinzip hätte man Spenglers UA auch die Einleitung von Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, mit den ganzen Ausführungen über Krankheit und Tod und deren stärkende und erneuerende Kraft, voranstellen können (die aber erst etwas später erschienen ist).
Ja, diese Gemeinsamkeit sehe ich auch. Es gibt auch eine Gemeinsamkeit in dem, was Spengler den "physiognomischen Blick" nannte, dieses oft verblüffene Erfassen von Gemeinsamkeiten des Stils, des "Geistes der Zeit" über die Grenzen von Kategorien hinweg.
Allerdings war Friedell halt ein Wiener Kaffehausliterat und kein deutscher Studienrat. Bei Spengler ist alles wuchtiger, bei Friedell eleganter. Degen gegen Florett. Meister der Sprache waren sie beide.
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