In Antwort auf: In der Regel wird man gefeuert, wenn man Überstunden aufschreibt. In der Regel beträgt die tatsächliche Arbeitszeit im Schmuck- und Uhrenhandel 10-12 Stunden am Tag. In der Regel wird auf die Minute genau kontrolliert, wie lange man am Tag für Pinkelpausen gebraucht hat. Diese Zeit ist nachzuarbeiten. In der Regel wird man bei Krankmeldung gefeuert. In der Regel wird man gefeuert, wenn man seinen kompletten vertragsgemäßen Urlaub in Anspruch nimmt. In der Regel steht man ohne Ablösung oder Freizeitausgleich jeden verkaufsoffenen Sonntag im Laden. Und selbstverständlich ohne Zuschlag. In der Regel bekommt man in der weiteren Region keine Arbeit mehr, wenn man wegen der obigen Punkte gefeuert wurde. Natürlich kann man klagen. Dann spart sich die ARGE Geld in Höhe der Anfindung.
Nichts für ungut, aber das ist Blödsinn. Ich habe mein Leben lang im Einzelhandel gearbeitet, in verschiedenen Betrieben (und kenne die Praxis in etlichen weiteren Unternehmen gut genug).
Die Regel ist, dass ein Verkäufer eine tarifliche Arbeitszeit hat (37,5 Stunden), gelegentlich wird in Arbeitsverträgen auch 40 Stunden vereinbart. Aber nicht mehr. Überstunden werden ausgeglichen, üblich sind 8 bis max. 9 Stunden pro Tag. 1 Stunde Sonntagsarbeit wird als 2 Stunden Arbeitszeit gerechnet. Selbstverständlich bekommt man Urlaub und selbstverständlich darf man auch krank werden. Üblich ist (in etwa) Tariflohn. Teilweise darüber, teilweise auch darunter, aber - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - für Einzelhandelskaufleute immer deutlich über dem, was z.Z. in anderen Branchen als Mindestlohn diskutiert wird. Und die Vorstellung, alle Einzelhändler einer Region würden eine Art verstecktes Beschäftigungskartell betreiben, ist total abstrus.
Sie sollten vielleicht nicht die Horrorgeschichten eines Einzelfalls als "üblich" voraussetzen.
Der EINZIGE Punkt, in dem Sie recht haben: Pinkelpausen werden in der Tat oft relativ knausrig gehandhabt.
Auch von Arbeitgeberseite gibt es hier übrigens keine eindeutige Front.
Die Ausweitung der Öffnungszeiten bringt oft genug einfach zusätzliche Kosten ohne zusätzlichen Umsatz. (Oder, wenn man nicht mitmacht: geringeren Umsatz bei gleichbleibenden Kosten).
Die offizielle Position der meisten Einzelhandelsverbände ist mittlerweile zwar für eine Ausweitung der Öffnungszeiten Mo-Sa (aber nicht Sonntag). Allerdings gibt es viele Verbandsmitglieder, die zu dieser Position in Oppposition sind.
Calimero
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01.12.2009 16:30
#28 RE: Marginalie: Kein unbegrenztes Shopping im Advent
Bevor ich ihren Artikel las, hatte ich die Meldung schon früh im Autoradio gehört. Meine Meinung, als selbst betroffener Schichtarbeiter sollte eigentlich sein: „Hey, ich muss auch am Wochenende ran, und nachts, und an Feiertagen … warum sollen die das nicht auch können?“
Es hat aber nur ca. eine Minute gedauert, bis mir klar wurde, dass ich dieses Sonntagsshopping weder brauche, noch will.
Der Grund ist, dass der Sonntag, als Tag der Ruhe, meiner Woche noch ein wenig Struktur gibt. Wenn ich z.B. einen Kollegen vertreten muss, reiße ich manchmal 10 Tage am Stück runter, und das teilweise in wechselnden Schichten. Da weiß ich manchmal gar nicht mehr, welcher Wochentag überhaupt ist.
Das Wochenende, und insbesondere der Sonntag verlangt aber Vorbereitung. Da müssen z.B. die Vorräte aufgestockt werden, damit es auch was zu futtern gibt. Für meine Freundin bedeutet das WE Entspannung, für mich halt öfters auch 12-Stunden-Schichten. Auf jeden Fall ist es ein Highlight in der Woche und bringt Struktur in das Ganze.
Die Inflation verkaufsoffener Sonntage würde auch diese letzte Bastion der „Normalo-Welt“ einreißen, dann wäre alles nur noch „Wischi-Waschi“ und beliebig. Ein ewiggleich dahinfließender Strom von Lebenszeit…
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
kann es nicht sein, dass nicht die Religionen Ursache des freien Tages sind, zu dem hierzulande der Sonntag als bleibend erklärt wurde, sondern dass die Religionen lediglich das Transportmittel archaischer Erkenntnisse in unsere Zeit sind? 'Seele baumeln lassen' oder 'seelische Erhebung', beides steht möglicherweise für einen für den Menschen wichtigen zyklischen Regenerationsprozess. Dass dies nicht ein beliebiger Tag in der Woche sein kann, hängt wohl damit zusammen, dass zum Regenerieren die Gemeinschaft gehört, zumindest in der Regel.
Ich erinnere mich an ein Gespräch über die Schwierigkeit, Köche zu finden: Der junge Koch hat sich für einen Berufswechsel entschieden, weil durch seine Arbeitszeiten die gemeinschaftlichen Tätigkeiten mit den Freunden verloren gingen.
Sieht man den freien oder frei verfügbaren Tag und die Gemeinschaft als primären Beitrag des Sonntags, und das GG als Taktgeber, dann erübrigt sich auch die Diskussion über die konkrete Tätigkeit an diesem Tag. Es ist so mit vielem Selbstverständlichen: Niemand weiß den Wert zu schätzen, weil das rationale verlorengegangen ist. 'Seelische Erhebung' verklausuliert da wohl nur dieses rationale.
Da ich davon ausging, dass ich nicht der einzige bin, der sich Gedanken in dieser Richtung macht, habe ich mal in Internet gesucht und einen ganz netten und in Manchem zutreffenden Aufsatz gefunden, der so ungefähr zu meinen Gedanken passt: http://www.institutfuerglaubeundwissensc...xte/Sonntag.pdf
Zitat von CalimeroFür meine Freundin bedeutet das WE Entspannung, für mich halt öfters auch 12-Stunden-Schichten. Auf jeden Fall ist es ein Highlight in der Woche und bringt Struktur in das Ganze.
Ja, das habe ich auch immer so gesehen, lieber Calimero, bevor ich in den Ruhestand ging und nun auch aufpassen muß, daß die Woche sich für mich strukturiert.
Aber wäre denn die Strukturierung schlechter, wenn der Sonntag bedeuten würde: "Endlich mal Ruhe, um in aller Gemütlichkeit einkaufen zu können" statt "Der Tag, an dem alles geschlossen ist"?
Was mich bei diesem Urteil wundert: Selbst wenn man, wie das BVerfG, der Meinung ist, dass Arbeitnehmer vor zu vielen (aufeinander folgenden) verkaufsoffenen Sonntagen geschützt werden müssen, so berührt das doch überhaupt nicht die Selbstständigen. Das BVerfG hat sein Urteil, zumindest nach den Online-Artikeln, die ich heute dazu gelesen habe, ausdrücklich mit dem Schutz der abhängig Beschäftigten begründet. Der Besitzer eines kleinen Plattenladens, eines Tabakgeschäftes etc. kann die Arbeit am Kunden auch gut alleine schultern (viele haben nicht mal Mitarbeiter) und er hat die volle Kontrolle darüber, wann er wie viel und wie lange arbeitet. Den hat das BVerfG mit diesem Urteil nun vor sich selbst geschützt, aber sollte das seine Aufgabe sein?
Zitat von MarcelWas mich bei diesem Urteil wundert: Selbst wenn man, wie das BVerfG, der Meinung ist, dass Arbeitnehmer vor zu vielen (aufeinander folgenden) verkaufsoffenen Sonntagen geschützt werden müssen, so berührt das doch überhaupt nicht die Selbstständigen. Das BVerfG hat sein Urteil, zumindest nach den Online-Artikeln, die ich heute dazu gelesen habe, ausdrücklich mit dem Schutz der abhängig Beschäftigten begründet. Der Besitzer eines kleinen Plattenladens, eines Tabakgeschäftes etc. kann die Arbeit am Kunden auch gut alleine schultern (viele haben nicht mal Mitarbeiter) und er hat die volle Kontrolle darüber, wann er wie viel und wie lange arbeitet. Den hat das BVerfG mit diesem Urteil nun vor sich selbst geschützt, aber sollte das seine Aufgabe sein?
Die Leitsätze des Urteils, lieber Marcel, stehen jetzt im Web; ich habe den Artikel entsprechend ergänzt.
Ich habe selten so verwaschene, weitschweifige und unpräzise Aussagen in einem Urteil des BVerfG gelesen. Man kann sich da dies oder auch jenes herausklauben.
Der Kerngedanke scheint aber nicht zu sein, die Interessen von Arbeitnehmern zu schützen, sondern uns allen zur Besinnung zu verhelfen. Warum auch immer.
Herzlich, Zettel
PS: Willkommen als Aktiver! Ich freue mich immer besonders, wenn jemand, der schon eine Zeitlang angemeldet ist, den Schritt tut, sich an unseren Diskussionen zu beteiligen.
Calimero
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gelöscht
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01.12.2009 22:57
#33 RE: Marginalie: Kein unbegrenztes Shopping im Advent
Zitat von Zettel Aber wäre denn die Strukturierung schlechter, wenn der Sonntag bedeuten würde: "Endlich mal Ruhe, um in aller Gemütlichkeit einkaufen zu können" statt "Der Tag, an dem alles geschlossen ist"?
Hm, ich bin ein schichtarbeitsbedingter Sonderfall, was ich manchmal in Diskussionen vergesse. Für mich ist es halt normal, auch an irgendeinem Werktag in aller Gemütlichkeit einkaufen gehen zu können weil ich da planmäßig frei habe.
Für "nine-to-five"-Angestellte wäre jeder verkaufsoffene Sonntag natürlich sehr hilfreich. Samstagsshopping in großen Einkaufszentren vermeide ich selbst tunlichst, denn ... es ist die Hölle!
Okay, ich stelle also hiermit mein Minderheitsbedürfnis nach Strukturierung zurück und wünsche der "normalarbeitenden" Bevölkerung weniger Stress und verkaufsoffene Sonntage ... gerade vor Weihnachten.
Herzlich, Calimero
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Zitat von califaxDie Bischöfe zitterm vorm Untergang des Abendlandes. Kruzifixurteil, verkaufsoffene Sonntage, Massenaustritte aus der Kirche, private Tanzveranstaltungen an Allerheiligen, Hexen im Kino und in Schulbüchern, Halloween, dieses unheimliche Interdingsbumsnet und dann auch noch allgemeiner Wohlstand und Einkaufsfreuden anläßlich einer ehemals heidnischen Festivität. Die Menschen leiden einfach nicht mehr genug. Davon geht die Welt unter.
Abgesehen davon weiß man in der christlichen Hilfsarbeit aber auch um die sehr ernsten Probleme der Verkäuferinnen.
Wenn Sie das eine oder andere Smiley verwenden würden, dann wüssten wir, welchen der beiden Absätze Sie ernst und welchen ironisch meinen. Oder sind beide ernst? Oder beide ironisch? Naja, so können wir ja alle selbst darüber nachdenken.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von Gorgasal Wenn Sie das eine oder andere Smiley verwenden würden, dann wüssten wir, welchen der beiden Absätze Sie ernst und welchen ironisch meinen. Oder sind beide ernst? Oder beide ironisch? Naja, so können wir ja alle selbst darüber nachdenken.
Ironie mit Warnschild ist keine.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von ZettelAber was in aller Welt versprechen sich die Kirchen davon, den Leuten das sonntägliche Shopping im Advent zu vermiesen? Glauben sie im Ernst, daß dadurch auch nur ein einziger Deutscher zur inneren Einkehr gebracht, in die "seelische Erhebung" hineingetragen, für das Christentum gewonnen werden kann? Sie treiben die Leute doch förmlich aus dem Christentum heraus, diese Kirchenoberen.
Sie haben aber schon gelesen, dass es nicht nur um die Shopper geht, sondern auch um die Leute an der Kasse?
Man kann ja califax' Argument gelten lassen oder auch nicht, die Mitarbeiter im Einzelhandel seien in einer so schwachen Verhandlungsposition, dass sie gesetzliche Unterstützung brauchen, um den Sonntag zu bekommen. Aber es völlig auszublenden und sich nur darauf zu versteifen, den Konsumenten werde das sonntägliche Shopping im Advent vermiest, das ist schon ein wenig einseitig.
Und: ich kann mir durchaus vorstellen, dass das eine oder andere katholische oder evangelische Schäfchen sich jetzt freut, seinen Messbesuch nicht mehr um die Launen des Chefs herumlegen zu müssen. Das nur, um ins Gedächtnis zu rufen, dass es tatsächlich noch so Exoten wie gottesdienstbesuchende Christen gibt. Das geht hier ein wenig unter.
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In Antwort auf:Jedenfalls gibt es diesen Charakter des Festlichen auch in unserer Gesellschaft. Und dazu gehört beispielsweise ausgedehntes Shopping mit allem, was dazugehört.
Shopping als etwas Festliches? Seelisch Erhebendes? - Bei allem Respekt, das erscheint mir doch etwas abwegig.
Zitat von Gorgasal Sie haben aber schon gelesen, dass es nicht nur um die Shopper geht, sondern auch um die Leute an der Kasse? Man kann ja califax' Argument gelten lassen oder auch nicht, die Mitarbeiter im Einzelhandel seien in einer so schwachen Verhandlungsposition, dass sie gesetzliche Unterstützung brauchen, um den Sonntag zu bekommen. Aber es völlig auszublenden und sich nur darauf zu versteifen, den Konsumenten werde das sonntägliche Shopping im Advent vermiest, das ist schon ein wenig einseitig.
Und dabei hab ich gar nicht für gesetzlichen Schutz argumentiert. Jedenfalls nicht für verfassungsrechtlichen. Ich würde mir eher punitiv damages als gerichtlichen Schutz wünschen, da dann die Opfer wenigstens einen praktischen Vorteil aus ihrer Gegenwehr ziehen könnten wärend asoziale Arbeitgeber da getroffen würden, wo es wehtut. Aber doch schön, daß sich überhaupt noch jemand für die Diener am Gelage interessiert und damit für die Gründe des Urteils interessiert.
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Soweit ich Ihre Argumentation, werter Zettel, und die vieler anderer Foristen hier verstehe, geht es ja weniger um den konkreten Fall des Einzelhandels, sondern eher um die allgemeinere Verankerung des Sonntags als Ruhetag im GG.
Wenn das Adventsshoppen am Sonntag so wichtig ist, wäre es dann nicht viel wichtiger, man könnte auch Behördengänge am Sonntag erledigen? Wenn ich wochenends meine Steuererklärung erledige, dann sollte ich da auch beim Finanzamt anrufen und eine Auskunft erhalten können, oder? Und wenn eine Dienstreise ansteht, dann ist es nur recht und billig, wenn ich auch Sonntags meinen Pass verlängern kann. Also: Ansprechpartner bei Behörden am Wochenende! Ebenso natürlich in Schulen (wann kommt man unter der Woche mal dazu, mit dem Klassenlehrer des Kindes zu sprechen? Elternsprechstunde am Samstagnachmittag!), Universitäten (Prüfungseinsicht am Sonntag!) und so weiter.
Offen gestanden kann ich mit einem gesellschaftlich verbindlichen Ruhetag am Sonntag ganz gut leben. Und irgendwo muss halt die Grenze gezogen werden. Ich kann die Argumente hier gut verstehen (und arbeite auch zu häufig sonntags), aber gar so echauffieren über das Urteil kann ich mich nicht.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von ZettelAber was in aller Welt versprechen sich die Kirchen davon, den Leuten das sonntägliche Shopping im Advent zu vermiesen? Glauben sie im Ernst, daß dadurch auch nur ein einziger Deutscher zur inneren Einkehr gebracht, in die "seelische Erhebung" hineingetragen, für das Christentum gewonnen werden kann?
Sie treiben die Leute doch förmlich aus dem Christentum heraus, diese Kirchenoberen.
Sie haben aber schon gelesen, dass es nicht nur um die Shopper geht, sondern auch um die Leute an der Kasse?
Ja, die müssen dann an den Adventssonntagen arbeiten. Nicht alle an allen, aber die meisten an einigen.
So, wie die Busfahrer, die Leute in den Kraftwerken, die Krankenschwestern. Wo ist das Problem?
Zitat von GorgasalSie haben aber schon gelesen, dass es nicht nur um die Shopper geht, sondern auch um die Leute an der Kasse?
Ja, die müssen dann an den Adventssonntagen arbeiten. Nicht alle an allen, aber die meisten an einigen. So, wie die Busfahrer, die Leute in den Kraftwerken, die Krankenschwestern. Wo ist das Problem?
Ich denke, zwischen der Dienstleistung von Krankenschwestern und der von Einzelhandelskaufleuten gibt es einen Unterschied. Ich kann ganz gut mit meinen Einkäufen bis Montag warten. Mit meinen kranken Kindern nicht. Aber vielleicht sehen Sie das anders.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von GorgasalSie haben aber schon gelesen, dass es nicht nur um die Shopper geht, sondern auch um die Leute an der Kasse?
Ja, die müssen dann an den Adventssonntagen arbeiten. Nicht alle an allen, aber die meisten an einigen. So, wie die Busfahrer, die Leute in den Kraftwerken, die Krankenschwestern. Wo ist das Problem?
Ich denke, zwischen der Dienstleistung von Krankenschwestern und der von Einzelhandelskaufleuten gibt es einen Unterschied. Ich kann ganz gut mit meinen Einkäufen bis Montag warten. Mit meinen kranken Kindern nicht. Aber vielleicht sehen Sie das anders.
Ja, lieber Gorgasal, das sehe ich anders. Ich kann nicht erkennen, warum die Angehörigen bestimmter Berufe gegenüber den Angehörigen anderer Berufe bevorzugt werden sollten.
Wir könnten den Sonntag heiligen wie orthodoxe Juden den Sabbat. Es müssen sonntags nicht unbedingt Züge fahren, die Kinos müssen nicht spielen, das TV könnte Pause machen, die Tankstellen könnten geschlossen bleiben. So wie die Theater, die Freizeitparks, die Museen.
Warum machen wir das nicht? Und warum wird ausgerechnet beim Einzelhandel ein Problem gesehen, wo keins ist?
Was mich immer noch erstaunt, ist, daß scheinbar noch niemand mit der jüdisch-christlichen Tradition argumentiert hat. Das wundert mich wirklich. Jeder Blödsinn wird damit verteidigt: vom Zwang, religiöse Symbole im Klassenzimmer aufzuhängen, bis zum Betverbot für Moslems. Aber eine einfache Übereinkunft über einen gemeinsamen Ruhetag, der nicht nur auf den Kern der semitischen Religiosität zurückgeht, sondern auch ganz praktisch Familie und Gottesdienst begünstigt, kommt nicht in diesen Genuß. Hat schon jemand bemerkt, daß wir über die Adventssonntage reden? Ich bin ja kein Theologe. Aber wenn ich sehe, was so an meinem Fenster vorbei zur Kirche marschiert, scheinen diese vier Sonntage doch für die praktizierenden Christen etwas wichtiger zu sein als irgendwelche anderen Tage im Jahr.
Dasselbe für das Grundgesetz: Im Prinzip ganz toll, speziell da, wo auf christliche Traditionen verwiesen wird - es sei denn, da steht was drin, das mich am Shoppen hindert.
Irgendwas stimmt da nicht an diesen Protesten.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von califaxHat schon jemand bemerkt, daß wir über die Adventssonntage reden?
Hier vielleicht nicht. Aber in der FAZ:
Zitat von Georg Paul HeftyDas Berliner Ladenschlussgesetz war von vornherein auf Verfassungswidrigkeit angelegt. Denn es berührte christliche Regelungen, ohne deren religiösen Kern zu achten. Ungeniert, aber eindeutig erlaubte das mit rot-roter Mehrheit beschlossene Gesetz die Öffnung von Verkaufsstellen aller Art „an Adventssonntagen“. Die Wortwahl „Advent“ ergibt aber nur nach christlichen Maßstäben einen Sinn. Für den staatlichen Gesetzgeber wie für den gewinnorientierten, ansonsten wert- und weltanschauungsfreien Handel hätte es eigentlich „Dezembersonntage“ heißen müssen – wäre da nicht die Gier gewesen, auch noch den ersten Adventssonntag geschäftlich zu nutzen, der allerdings oft in den November fällt. Wer aber an religiösen Tagen ein besonders ertragreiches Geschäft tätigen will, muss hinnehmen, dass die Vertreter der ausgenutzten Religion auf deren Ursprungsidee bestehen – und ihre Betroffenheit durch das staatliche Zuwiderhandeln geltend machen.
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Zitat von ZettelJa, lieber Gorgasal, das sehe ich anders. Ich kann nicht erkennen, warum die Angehörigen bestimmter Berufe gegenüber den Angehörigen anderer Berufe bevorzugt werden sollten. Wir könnten den Sonntag heiligen wie orthodoxe Juden den Sabbat. Es müssen sonntags nicht unbedingt Züge fahren, die Kinos müssen nicht spielen, das TV könnte Pause machen, die Tankstellen könnten geschlossen bleiben. So wie die Theater, die Freizeitparks, die Museen. Warum machen wir das nicht? Und warum wird ausgerechnet beim Einzelhandel ein Problem gesehen, wo keins ist?
Sie waren Professor, nicht wahr? Was hätten Sie davon gehalten, wenn die beiden freien Tage jeder Woche am Anfang des Semesters per Los festgelegt werden? Oder besser noch: Vorlesungen Mittwoch bis Sonntag, mit verpflichtenden Veranstaltungen samstags und sonntags - damit auch mal die arbeitende Bevölkerung die Gelegenheit hat, sich in eine Vorlesung zu setzen.
Würde ich auch gerne mal wieder. Leider lesen die Professores nur zu Zeiten, wo ich auch arbeiten muss. Also: Einführung ins Hethitische am Samstagnachmittag!
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Zitat von Georg Paul HeftyDas Berliner Ladenschlussgesetz war von vornherein auf Verfassungswidrigkeit angelegt. Denn es berührte christliche Regelungen, ohne deren religiösen Kern zu achten. Ungeniert, aber eindeutig erlaubte das mit rot-roter Mehrheit beschlossene Gesetz die Öffnung von Verkaufsstellen aller Art „an Adventssonntagen“. Die Wortwahl „Advent“ ergibt aber nur nach christlichen Maßstäben einen Sinn. Für den staatlichen Gesetzgeber wie für den gewinnorientierten, ansonsten wert- und weltanschauungsfreien Handel hätte es eigentlich „Dezembersonntage“ heißen müssen – wäre da nicht die Gier gewesen, auch noch den ersten Adventssonntag geschäftlich zu nutzen, der allerdings oft in den November fällt. Wer aber an religiösen Tagen ein besonders ertragreiches Geschäft tätigen will, muss hinnehmen, dass die Vertreter der ausgenutzten Religion auf deren Ursprungsidee bestehen – und ihre Betroffenheit durch das staatliche Zuwiderhandeln geltend machen.
In Antwort auf:Jedenfalls gibt es diesen Charakter des Festlichen auch in unserer Gesellschaft. Und dazu gehört beispielsweise ausgedehntes Shopping mit allem, was dazugehört.
Shopping als etwas Festliches? Seelisch Erhebendes? - Bei allem Respekt, das erscheint mir doch etwas abwegig.
Für mich ist Einkaufen ein Horror. Ich hasse es regelrecht. Aber damit bin ich Angehöriger einer kleinen Minderheit. Die meisten Menschen finden es toll, von Geschäft zu Geschäft zu gehen, sich Sachen zeigen zu lassen, sie zu kaufen oder auch nicht.
Es ist für sie etwas Festliches, lieber Herr. So, wie es für mich etwas Festliches ist, ein Bücherpaket auszupacken oder ins Theater zu gehen.
Festlich - das bedeutet und bedeutete in allen Kulturen, die Mühsal des Alltags hinter sich zu lassen. Das Lustprinzip kurzzeitig über das Realitätsprinzip siegen zu lassen, um es mit Freuds Terminologie auszudrücken.
Ein schöner Artikel, den ich ausgesprochen lustvoll gelesen habe.
Sie machen mir, lieber Herr, richtig Lust auf Luther. Ich habe vor Jahrzehnten das eine oder andere von ihm gelesen; in meiner Bibliothek stehen nur ein paar armselige Taschenbücher. Was sollte ich bestellen, um Luther kennenzulernen?
Zitat von ZettelIch bin, lieber Petz, inzwischen als Agnostiker der Meinung, daß in Deutschland das Christentum gestärkt werden sollte. Es ist ein wichtiger Teil unserer Kultur, und diese Kultur müssen wir pflegen und befördern.
Rein interessehalber: wie soll diese Stärkung Ihrer Meinung nach konkret aussehen? Die Sonntagsruhe scheint ja Ihr Ding nicht zu sein, und wahrscheinlich ebensowenig christliche Feiertage. Höhere Kirchensteuer? Mehr "Worte zum Sonntag" im ÖR-Rundfunk? Verpflichtender Unterricht in den Grundlagen des Christentums in der Schule?
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Zitat von GorgasalSie waren Professor, nicht wahr?
Ich bin es noch; den Titel wird man ja nicht los.
Zitat von Gorgasal Also: Einführung ins Hethitische am Samstagnachmittag!
Ja, warum denn nicht?
Wie die Meisten habe ich als Hiwi angefangen. Das Experimentelle Praktikum, an dem ich mitwirken durfte, fand damals - Anfang der sechziger Jahre - samstags statt. Vier Stunden am Vormittag. Es hätte von mir aus auch der Nachmittag sein können.
Da wir bei der Wissenschaft sind, lieber Gorgasal: Viele kleinere Kongresse und Workshops finden über das Wochenende statt. Der Standard ist Anreise am Freitag; am Abend gemütliches Beisammensein oder vielleicht schon ein Abendvortrag. Dann ganztägig am Samstag die Referate und Diskussionen. Sonntag Vormittag weitere Referate und/oder Abschlußdiskussion.
Ich habe so etwas xfach organisiert. Nie hat sich jemand beklagt, daß seine Sonntagsruhe nicht eingehalten werden würde. Beklagt hat man sich immer nur darüber, mit seinem Vortrag schlecht plaziert zu sein.
Unwillkommen ist der Freitag, weil da viele noch nicht angereist sind. Dann der Samstag gegen Abend, weil sich die Termine meist verschieben und die Zuhörer müde sind. Am schlimmsten ist der Sonntag gegen Mittag.
Ich habe immer die Vorträge, von denen ich wenig erwartet habe, auf diese ungünstigen Termine gelegt. Und die, von denen ich dachte, daß sie wichtig sein würden, auf den Samstag zwischen zehn und vier.
Zitat von ZettelIch bin, lieber Petz, inzwischen als Agnostiker der Meinung, daß in Deutschland das Christentum gestärkt werden sollte. Es ist ein wichtiger Teil unserer Kultur, und diese Kultur müssen wir pflegen und befördern.
Rein interessehalber: wie soll diese Stärkung Ihrer Meinung nach konkret aussehen? Die Sonntagsruhe scheint ja Ihr Ding nicht zu sein, und wahrscheinlich ebensowenig christliche Feiertage. Höhere Kirchensteuer? Mehr "Worte zum Sonntag" im ÖR-Rundfunk? Verpflichtender Unterricht in den Grundlagen des Christentums in der Schule?
Nein, nichts davon, lieber Gorgasal, außer das Letzte.
Philosophie als Pflichtfach in den Gymnasien, mit einer ausführlichen Befassung mit der christlichen Philosophie. Gründliche Befassung mit dem Christentum im Geschichstsunterricht, im Kunstunterricht.
Auf einer ganz anderen Ebene: Ausweitung der Finanzierung der Kirchen mit öffentlichen Geldern. Es ist eine Schande, daß in unserem reichen Land Kirchengebäude zweckentfremdet werden, weil die Gemeinden sie nicht mehr finanzieren können.
Ich kenne einen Fall, wo eine Kirche in ein Restaurant umgewandelt wurde. Man kann da also richtig heilig essen. Ich habe mich geweigert, da hineinzugehen, zum großen Erstaunen meiner liberaler Freunde.
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