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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 37 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Rayson Offline




Beiträge: 2.367

18.02.2010 23:43
#26 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele
Belletristik z.B. ist immer ineffizient. Den "Zauberberg" kann man weiß Gott auch kürzer fassen.



Herrje, es geht doch nicht darum, an den Inhalt von Büchern Effizienkriterien anzulegen, sondern daran, wie ein bestimmtes Buch zu denen gelangt, die es gerne lesen möchten.

Zitat von André Thiele
Die Konsequenz der Aufhebung wird ja nicht sein, dass die Buchpreise sinken, sondern dass sie in einigen Segmenten sinken und in anderen drastisch steigen.



Wahrscheinlich. Schaun mer mal.

Zitat von André Thiele
Ich z.B. würde gern so verfahren: Ich werfe ein Buch mit kleiner Auflage und niedrigem Preis auf den Markt. Wenn ich merke, das läuft, dann hebe ich den Preisleicht an. Läuft es gut, vielleicht sogar sehr gut, dann steigere ich drastisch.



Von mir aus gerne.

Zitat von André Thiele
Alle scheinen zu denken, dass die Buchpreisbindung die Preise hoch hält. Das ist naiv. Sie hält die Buchpreise mindestens ebenso unten.



Das Problem an der Buchpreisbindung ist nicht, wie sie die Preise hält, sondern dass sie sie hält.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

André Thiele Offline



Beiträge: 23

19.02.2010 08:05
#27 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Herrje, es geht doch nicht darum, an den Inhalt von Büchern Effizienkriterien anzulegen, sondern daran, wie ein bestimmtes Buch zu denen gelangt, die es gerne lesen möchten.



Und Sie glauben, Sie können das trennen? Wenn Sie an Bücher Effizienzkriterien anlegen, dann legen Sie die an deren Inhalt an. So lesen sich diese Bücher dann auch.

André Thiele Offline



Beiträge: 23

19.02.2010 08:10
#28 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Sie haben ja auf Anhieb eine Diskussion von der Art angestoßen, wie sie dieses Forum ziert.



Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist ...

Sie haben eine charaktervolle Mischung hier! Das findet man selten.

André Thiele Offline



Beiträge: 23

19.02.2010 08:15
#29 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Wenn ich ein psychologisches Urteil haben will, gehe ich ganz sicher nicht zu einem Verleger.



Aber lieber Rayson ... Ich verstehe schon. Psychologie ist ineffizient! Die Gebührenordnungen für Psychologen müssen weg, das sollen Heiler und Patient direkt miteinander aushandeln. Da haben wir nämlich auch eine Übervorteilung des Kunden durch die Anbieterseite.

Weg, weg, weg! Dann wird alles besser.

Nils Offline



Beiträge: 53

19.02.2010 09:20
#30 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele

Zitat
Herrje, es geht doch nicht darum, an den Inhalt von Büchern Effizienkriterien anzulegen, sondern daran, wie ein bestimmtes Buch zu denen gelangt, die es gerne lesen möchten.


Und Sie glauben, Sie können das trennen? Wenn Sie an Bücher Effizienzkriterien anlegen, dann legen Sie die an deren Inhalt an. So lesen sich diese Bücher dann auch.




Ich glaube, Sie beide missverstehen sich. Natürlich ist es Unsinn, an den Inhalt von Büchern Effizienkriterien anzulegen. Die "wahre" Effizienzfrage ist folgende:
Angenommen, ich habe mich entschieden, ein bestimmtes Buch haben zu wollen (Das kann entweder ein konkretes sein, oder auch ein generisches - ich habe mich also z.B. entschieden, ein Buch zu lesen in dem Drachen, große Raumschiffe und betrunkene Vampire vorkommen ). Wie ich zu dieser Entscheidung gekommen bin, ist einer Effizienzanalyse unzugänglich. Sinnvoll ist aber die Frage, wie dieser Wunsch am effizientesten erfüllt werden kann. Möglichkeiten umfassen.

- Ich frage meine Freunde, ob sie ein solches Buch kennen, und versuche dann es mir zu leihen oder, falls niemand es hat, es zu kaufen.
- Ich gehe in die Bibliothek und suche da.
- Ich gehe in eine Buchhandlung
- Ich suche bei Amazon
- Ich google
Oder eine Kombination von alledem.

Für mich persönlich erachte ich die Amazon-Variante (evtl. mit googlen) i.A. als am effizientesten. Übersichtliche Website, kostenloser und schneller Versand, ich muss nicht mal aus dem Haus gehen, um das Buch zu bekommen.

Und hier liegt (möglicherweise) das Problem der Buchpreisbindung: Amazon und die Buchhandlung nehmen zwangweise denselben Preis für das Buch. Ohne Buchpreisbindung wäre also vermutlich der Amazon-Preis höher als der in der Buchhandlung. Amazon wäre so eine Art Buch-Premium-Service, wo man mehr bezahlt, aber besseren Service als in der Buchhandlung bekommen. Die Buchpreisbindung unterbindet diese Preis-Anpassung, sie benachteiligt also den Buchhandlungs-Käufer gegenüber dem Amazon-Käufer. Ob bei Wegfall der Buchpreisbindung eher der Buchandlungspreis sinken oder der Amazon-Preis steigen würde, weiß ich nicht, weil es von der Preiselastizität anhängt, und die kennen wir ja nicht.
Insgesamt ist das Problem, wie Rayson schon richtig sagte, dass die Preise festgehalten werden, und nicht, wo. Sie benachteiligt immer einen Anbieter im Vergleich zu den anderen (und entsprechend deren Kunden, je nachdem welchem Anbieter sie eher zuneigen).

André Thiele Offline



Beiträge: 23

19.02.2010 11:57
#31 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Lieber Nils, Dank für den Ruf zur Ordnung. Ich hatte, was Sie exemplifizieren, aber auch so verstanden.

Ich selbst nutze Amazon, nicht oft, aber immer mal wieder. Ich sitze zB spätabends am Rechner, stolpere über irgendeinen Zusammenhang, will dazu etwas lesen und bestelle das Buch dann gleich. Ebenso am Wochenede. Vor allem hat Amazon für mich einen Vorteil: Ich kann dort Bücher und DVDs aus England und den USA bestellen. Zwar muss ich die versteuern, soeben wieder dem Zoll 49 EUR bezahlt!, aber sie kommen schnell und zuverlässig. (Anders sieht es aus, wenn ich dort etwas zurückgeben will, das ist praktisch unmöglich.)

Amazon schließt eine Lücke. Ich mag Amazon. Aber der Kauf bei Amazon hat eben auch Folgen. Z.B. sagen Sie, der Versand sei kostenlos. Nein, der Versand ist nicht kostenlos, den zahlt zunächst der Verleger, über den immensen Rabatt, dann, wenn der Verleger die neuen Preise für das kommende Programm macht, Sie, über gestiegene Bücherpreise.

Nils Offline



Beiträge: 53

19.02.2010 13:20
#32 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Lieber Herr Thiele,

Zitat von André Thiele
Z.B. sagen Sie, der Versand sei kostenlos. Nein, der Versand ist nicht kostenlos, den zahlt zunächst der Verleger, über den immensen Rabatt, dann, wenn der Verleger die neuen Preise für das kommende Programm macht, Sie, über gestiegene Bücherpreise.



Da haben Sie natürlich teilweise recht, da habe ich mich ungenau ausgedrückt. Der Versand ist aber kostenlos, in dem Sinne, dass "Versand" genausoviel kostet wie "kein Versand", nämlich nichts. Natürlich bezahle ich dennoch über den Buchpreis (zumindest teilweise, s.u.) dafür, aber die Grenzkosten für den Versand sind Null.

Ich erinnere mich noch, dass vor einigen Jahren Amazon nicht mit Grenzkosten Null versandt hat. Da hat es für mich durchaus noch Sinn gemacht, zwecks Ersparnis der Versandkosten in die Buchhandlung zu gehen und da zu kaufen.
Dann fielen irgendwann die expliziten Versandkosten für Bücher weg. Damit war auf einen Schlag Amazon für mich immer der bessere Anbieter als die Buchhandlung: Nicht teurer, und besserer Service. Gekniffen war durch die Buchpreisbindung die Buchhandlung, denn die konnte ja die Bücher nicht verbilligen. Ergebnis der Buchpreisbindung: Amazon gewinnt, Buchhandlung verliert. Selbst wenn jetzt die Verlage den Buchhandlungen einen größeren Rabatt einräumen würden, würde Amazon gewinnen, und die anderen beiden gemeinsam verlieren (das wäre nur Umverteilung von Verlagen zu Buchhandlungen).
Anders gesagt: Den Versand meiner Bücher von Amazon bezahle ich nur teilweise. Der Rest wird indirekt von Buchhandlungen und ihren Kunden bezahlt.

Es ist also vermutlich wahr, dass Amazon Buchhandlungen und ihren Kunden schadet - aber den Kunden nur deshalb, weil es die Buchpreisbindung gibt.

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

19.02.2010 22:02
#33 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Das mag von Fach zu Fach unterschiedlich sein. In den Naturwissenschaften wird dennoch niemand eine Dissertation kaufen - alles Relevante wird ohnehin als Artikel publiziert, der dann auch zitierfähig ist.



Das ist in der Tat von Fach zu Fach unterschiedlich. In den Geisteswissenschaften sind Dissertation nicht grundsätzlich nicht zitierfähig (was mich auch etwas absurd vorkommt), sondern wir gehen da nach Qualität. Manche Arbeiten sind zitierfähig, andere nicht. Manche Artikel sind zitierfähig, andere nicht. In kleineren geisteswissenschaftlichen Fächern läuft viel Forschung über Dissertationen - worüber sonst? Da werden dann Doktoranden auf halben BAT IIa-Stellen eingestellt, arbeiten in der Forschung und verfassen dabei auch ihre Dissertation.

Zitat
Bei einer Dissertation kann man sich die Gutachter aussuchen und nimmt typischerweise solche mit einem guten Draht zum Doktorvater. Wieviel die Begutachtung dann noch wert ist, kann man sich ausrechnen.



Auf manche Fälle trifft das sicher zu, auf andere nicht. Innerhalb des Faches weiß man sehr wohl, welche Doktorväter auch mit ihrem Namen für Qualität stehen.

Ich meinte übrigens nicht das Promotionsverfahren, sondern die Begutachtung zur Veröffentlichung, was ja ein bisschen etwas anderes ist. In meinem Fall: Nach abgeschlossener Promotion Vorauswahl der Diss. durch eine Akademie der Wiss. Aufnahme in ein Begutachtungsverfahren, Begutachtung durch drei Lehrstuhlinhaber (mir im laufenden Verfahren nicht bekannt), einer im Ausland, und nur bei positivem Votum aller Aufnahme in eine führende Publikationsreihe des Faches. Ich behaupte einmal, dass DIESE Begutachtung schon einen gewissen Wert hat. Ich dachte auch glatt, das wäre das, was die Naturwissenschaften peer review nennen.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

20.02.2010 01:27
#34 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele
Psychologie ist ineffizient!



Was spricht dafür?

Zitat von André Thiele
Die Gebührenordnungen für Psychologen müssen weg, das sollen Heiler und Patient direkt miteinander aushandeln.



Das wäre in der Tat sehr sinnvoll.

Zitat von André Thiele
Da haben wir nämlich auch eine Übervorteilung des Kunden durch die Anbieterseite.



Die Wohlfahrtsverluste durch rigide Preisordnungen sind vielfältig und betreffen nicht nur die konkreten Kunden.

Zitat von André Thiele
Weg, weg, weg! Dann wird alles besser.



Auf die meisten Wirtschaftseingriffe des Staates trifft das sicher zu. Schön, dass wir uns da einig sind. Die Informations- und Lenkungsfunktion von Preisen ist schließlich das Kernelement von Marktwirtschaften.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

20.02.2010 01:31
#35 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele
Wenn Sie an Bücher Effizienzkriterien anlegen, dann legen Sie die an deren Inhalt an.



Nicht an Bücher, sondern an die Distribution von Büchern. Stand schon vorher so da. Oder macht es mit dem Strohmann mehr Spaß? Und was die Distribution gerade von Büchern mit deren Inhalt zu tun haben soll, gerade wo der bei Transport und Lagerung nicht beschädigt und nicht verdorben werden kann, erschließt sich mir beim besten Willen nicht.

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

20.02.2010 04:51
#36 Dissertationen, Peer Reviewing Antworten

Zitat von Gansguoter

Zitat
Das mag von Fach zu Fach unterschiedlich sein. In den Naturwissenschaften wird dennoch niemand eine Dissertation kaufen - alles Relevante wird ohnehin als Artikel publiziert, der dann auch zitierfähig ist.


Das ist in der Tat von Fach zu Fach unterschiedlich. In den Geisteswissenschaften sind Dissertation nicht grundsätzlich nicht zitierfähig (was mich auch etwas absurd vorkommt), sondern wir gehen da nach Qualität.



Soweit ich das weiß, lieber Gansguoter, ist "Zitierfähigkeit" traditionell ein terminus technicus, der nicht unmittelbar etwas mit Qualität zu tun hat. Er stammt, wie anders, aus der Zeit vor dem Internet.

"Zitierfähig" war das, was der Leser nachprüfen konnte. Also das, was in allgemein zugänglichen Zeitschriften oder als Monographie publiziert war. Für Dissertationen war das in Deutschland eingeschränkt der Fall, weil der Promovend eine bestimmte Zahl an "Pflichtexemplaren", auf eigene Kosten gedruckt, den Universitätsbibliotheken zur Verfügung stellen mußte. (Bei mir waren es 200, wenn ich mich recht erinnere). In den USA war das nicht üblich; da existierten Dissertationen manchmal nur in wenigen Exemplaren; so wie bei uns Diplom- oder Magisterarbeiten.

Hinsichtlich der Zitierfähigkeit waren Dissertationen also (mit der genannten Einschränkung in Deutschland) der sogenannten grauen Literatur gleichgestellt - Institutsberichte, Technical Reports, Gutachten, unveröffentliche Mss und so fort. Die "Gutachterin" für die Sicherheit von KKWs Oda Becker, die einmal die Heldin eines Artikels in ZR war, hatte überhaupt nur solche graue Literatur produziert. Für die Beurteilung akademischer Leistungen, etwa in Berufungsverfahren, zählt sie so gut wie nicht.



Erst seit wenigen Jahrzehnten ist es auch in Deutschland üblich, auf das Merkmal peer reviewed zu achten. Man überschätzt allerdings oft dessen Bedeutung.

In jedem Fach gibt es eine Hierarchie von Fachzeitschriften. Die besten sind meist die von der betreffenden wissenschaftlichen Gesellschaft herausgegebenen oder solche, die sich durch hohe Ablehnungsraten im Lauf der Zeit einen Namen gemacht haben. Ganz unten sind die Zeitschriften, die alles nehmen, aber nur gegen deftige Bezahlung (meist so getarnt, daß man eine bestimmte Zahl von Sonderdrucken kaufen muß).

Auch diese Zeitschriften ganz unten haben aber formal ein peer reviewing. Das wird halt dem Niveau entsprechend gehandhabt - auf dem Editorial Board sind keine Spitzenwissenschaftler, sondern vielleicht Professoren an kleinen Colleges. Und die wissen, was man von ihnen erwartet: Sie legen großzügige Maßstäbe an und empfehlen nur im Extremfall die Ablehnung.

Peer reviewed sagt also so gut wie nichts über die Qualität einer Arbeit aus. Man muß sich ansehen, wo etwas publiziert ist. Beurteilen kann das nur derjenige, der in der betreffenden Disziplin zu Hause ist.

Übrigens kommt es - freilich selten - vor, daß auch eine erstklassige Arbeit in einer viert- oder fünftklassigen Zeitschrift erscheint. Das ist dann der Fall, wenn jemand aus irgendeinem Grund etwas sofort publizieren möchte. Bei den guten Zeitschriften liegt der publication lag bei teilweise mehr als einem Jahr. Diejenigen, die sich das bezahlen lassen, publizieren bei Bedarf schnell.

Durch das Internet ist dieses ganze System ins Rutschen gekommen. Erst begannen die Zeitschriften, die Artikel auch ins Internet zu stellen. Jetzt boomen die Zeitschriften, die überhaupt nur noch im Web publizieren. Wir haben ja darüber, wenn ich mich recht erinnere, einmal diskutiert.

Zitat von Gansguoter
In meinem Fall: Nach abgeschlossener Promotion Vorauswahl der Diss. durch eine Akademie der Wiss. Aufnahme in ein Begutachtungsverfahren, Begutachtung durch drei Lehrstuhlinhaber (mir im laufenden Verfahren nicht bekannt), einer im Ausland, und nur bei positivem Votum aller Aufnahme in eine führende Publikationsreihe des Faches. Ich behaupte einmal, dass DIESE Begutachtung schon einen gewissen Wert hat. Ich dachte auch glatt, das wäre das, was die Naturwissenschaften peer review nennen.


Das würde ich auch so bezeichnen, lieber Gansguoter. Mit der Aufnahme in die Publikationsreihe wurde die Dissertation ja auch zu einer Monographie, also selbstverständlich auch in dem oben erläuterten formalen Sinn zitierfähig. Das Kriterium ist die ISBN.

In den Naturwissenschaften setzt sich zunehmend auch in Deutschland das durch, was es in anderen Ländern schon lange gibt: Die kumulative Dissertation. Sie besteht zB in Holland aus einer Reihe von Publikationen in guten oder erstklassigen Zeitschriften, die zu einer Monographie zusammengebunden und oft durch ein Eingangs- und ein Schlußkapitel ergänzt werden. Das ist also wie in Deutschland die kumulative Habilitation, die es ja schon lange gibt.

Das hat zwei Vorteile: Erstens ist durch das peer reviewing von Gutachtern guter Zeitschriften die Qualität gesichert. Zweitens, und wichtiger, muß man in den Naturwissenschaften Ergebnisse so schnell wie möglich publizieren. Wenn jemand zwei oder drei Jahre an seiner Diss strickt, dann sind seine Resultate in der Regel schon veraltet, wenn sie endlich in Druck gehen. Oder noch schlimmer: Ein anderer hat inzwischen dasselbe publiziert.

Ich habe das am eigenen Leib erlebt: Während ich an meiner Diss arbeitete, habe ich auf einer Tagung einem Kollegen (der allerdings schon Professor war) von einer bestimmten Methode erzählt, die ich entwickelt hatte. Naiv wie ich war, habe ich ihm das beim abendlichen Bier in allen Einzelheiten geschildert, stolz auf sein Interesse an mir. Der Betreffende eilte aber nach der Tagung in sein Labor, wendete meine Methode an und hatte längst etwas publiziert, bevor ich mit der Diss fertig war.

Herzlich, Zettel

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

20.02.2010 14:35
#37 RE: Dissertationen, Peer Reviewing Antworten

Zitat
Das Kriterium ist die ISBN.



Lieber Zettel, genau das ist meiner Ansicht nach kein Kriterium. Spätestens seit es book on demand gibt, kann jeder, der will, unabhängig von jeder Qualität, für einen dreistelligen Betrag eine Kleinauflage mit ISBN und damit Lieferbarkeit über den Buchhandel erstellen. Umgekehrt spricht auch das Fehlen einer ISBN nicht gegen die Zitierfähigkeit.

Zitat
Für Dissertationen war das in Deutschland eingeschränkt der Fall, weil der Promovend eine bestimmte Zahl an "Pflichtexemplaren", auf eigene Kosten gedruckt, den Universitätsbibliotheken zur Verfügung stellen mußte. (Bei mir waren es 200, wenn ich mich recht erinnere).



Das macht heute ja quasi niemand mehr, weil es zu teuer ist: 300 Seiten à 4 Cent = 12 Euro; Bindung 4 Euro, macht 16 Euro das Exemplar, macht 3200 Euro für die 200 Pflichtexemplare. Dafür gibt es immer einen Dissertationsverlag, das das Ganze fürs selbe Geld mit ISBN druckt. Oder man wählt Internetveröffentlichung und zehn gedruckte Pflichtexemplare, dann ist man mit 160 Euro dabei.

Zitat
Soweit ich das weiß, lieber Gansguoter, ist "Zitierfähigkeit" traditionell ein terminus technicus, der nicht unmittelbar etwas mit Qualität zu tun hat.



In dem geisteswissenschaftlichen Bereich, dem ich entstamme, d.h. Geschichts-, Literatur- und Sprachwissenschaft, bezieht sich dies wohl auf die Qualität. Äußere Indizien sind

a) die Frage, ob Druck oder Internet (bei Internetveröffentlichungen sitzt der Vorbehalt tief: "Der hat wohl keinen Verlag gefunden, das lässt ja schon tief blicken),
b) die Frage, ob maschinenschriftlich vervielfältigt oder Verlag (Argument wie vorstehend; gilt aber nur für Veröffentlichungen der letzten 30 oder 40 Jahre)
c) der Verlag selbst (der Verlag mit der Endlosreihe der "Europäischen Hochschulschriften" gemahnt zu Vorsicht [was sich natürlich nicht generalisieren lässt], da dort mehr oder weniger alles gedruckt wird (so zumindest der Ruf); Verlage wie Oldenbourg, Schmidt, de Gruyter, Böhlau lassen à priori erst einmal
sprechen für Qualität)
d) die Aufnahme in eine renommierte Reihe (wegen externer Begutachtung)
e) der Doktorvater
f) der Autor selbst (wenn der sich zwischenzeitlich einen Namen gemacht hat)

Nach diesen Kriterien ergibt sich oft eine gewisse erste, vielleicht fast intuitive Einschätzung und Rangfolge, wonach man zuerst oder erst später greifen wird.

Entscheidend ist aber letztlich die innere Qualität, und wer zu einem Thema arbeitet, erwirbt nach und nach ein gewisses Handlungswissen, was im Sinne der Qualität zitierfähig ist und was nicht. Dass Dissertation grundsätzlich nicht zitierfähig seien, stimmt also nicht, und niemand würde Dissertation in meinem Bereich pauschal der "grauen Literatur" in einer Reihe mit Greenpeace-Heften zuweisen.

Gerade aus den 1920er und 1950er Jahren fallen mir sofort eine Reihe von Dissertationen ein, die zu dem jeweiligen Thema bis heute maßgeblich sind (weil etwa eine Frage erschöpfend behandelt worden ist oder weil sich seither keiner mehr für diesen Themenbereich interessiert hat), die liegen maschinenschriftlich auf Durchschlagpapier vor, existieren in zwei oder drei Exemplaren, aber sind inhaltlich exzellent. Die Überprüfbarkeit ist dank Fernleihe oder Microverfilmung auch gegeben, und entsprechend ist es ein Muss, sie zu zitieren (und ein faux pas, diese nicht zu berücksichtigen).

Zitat
In jedem Fach gibt es eine Hierarchie von Fachzeitschriften.



Schon klar, ich war lange genug in dem Betrieb.

Zitat
Ganz unten sind die Zeitschriften, die alles nehmen, aber nur gegen deftige Bezahlung (meist so getarnt, daß man eine bestimmte Zahl von Sonderdrucken kaufen muß).



Das ist wieder anders; eine Zeitschrift, für die der Autor zahlt (auch nicht so getarnt), fällt mir in meinem Bereich nicht ein.

Ich denke, man muss hier zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften deutlicher differenzieren.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.083

20.02.2010 21:07
#38 RE: Dissertationen, Peer Reviewing Antworten

Zitat von Gansguoter
Ich denke, man muss hier zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften deutlicher differenzieren.


Ich denke, damit fassen Sie das Thema völlig richtig zusammen. Meine Ausführungen oben zielten auch ganz entschieden nicht auf die Geistes-, sondern auf die Naturwissenschaften ab. Wie Zettel schon ausgeführt hat: in diesem Bereich wird alles Wichtige sofort als Artikel publiziert, die Dissertation ist nur die Langfassung oder die Zusammenfassung mehrerer Artikel. Die Publikation einer Dissertation ein einer Reihe (der Prozess, den Sie beschreiben, ist in der Tat adäquates peer review) ist denkbar unüblich, eben weil alles schon als Artikel erschienen ist.

Diesen Teil des Grabens zwischen den zwei Kulturen illustriert auch sehr schön der Fall eines frisch gewählten Rektors an einer deutschen Universität vor kurzem, seines Zeichens Chemiker: er verlautbarte, auf Bücher in der Publikationsliste würde er bei der Bewertung von Wissenschaftlern überhaupt nichts geben. Dieses Kriterium passt in die Naturwissenschaften. Die Geisteswissenschaftler verbrannten ihn in effigie.

--
La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

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