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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 37 Antworten
und wurde 2.492 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.02.2010 14:48
Marginalie: Buchmarkt Antworten

Der Autor und Verleger André Thiele war mir bisher von der schönen WebSite zu Peter Hacks bekannt. Jetzt bin ich ihm unversehens in einem ganz anderen Zusammenhang begegnet.

Was er zu den Auswirkungen von Großversendern wie Amazon auf den deutschen Buchmarkt schreibt, scheint mir interessant zu sein.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.02.2010 15:57
#2 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
... herrscht bei der Preisbindung in Zeiten der Gratis- Netzkultur der Eindruck vor, man habe es mit Auslaufmodellen zu tun, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bevor sie verschwänden.


Der Eindruck ist berechtigt.
So etwas Archaisches wie die Buchpreisbindung werden die Lobbies nicht unbegrenzt lange verteidigen können.

Zitat
Die jetzigen gebundenen Preise entsprechen dem, was auch dem kleinen Sortimenter in Wolfratshausen oder Brunsbüttel noch sein Auskommen sichert.


Aber nein.
Die jetzigen Preise entsprechen dem, wovon sich der Verlag den größtmöglichen Gewinn verspricht. Also billig genug um sich gegen die konkurrierenden Angebote zu behaupten, und hoch genug, um eine ausreichende Marge zu ermöglichen.
Ob das nun zur Kostenstruktur in Wolfratshausen paßt ist dem Verlag recht egal und er kann es auch gar nicht beurteilen.
Und für das Auskommen des Buchhandels ist ja nicht der absolute Endverkaufspreis wichtig, sondern die Spanne zwischen diesem und dem Verlagsabgabepreis.

Das sieht man sehr gut am zitierten Kleinverleger Thiele:

Zitat
Denn Amazon verlangt von mir 55 % Rabatt statt den im Buch- und Zwischenhandel üblichen 30 bis 40 %.


Die verlangen das, hmmm. Und er gibt es ihnen, nun ja.
Aber im Umkehrschluß heißt das wohl: Dem klassischen Buchhandel gibt er die 55% nicht, der kriegt nur die 30-40%.
Mit anderen Worten: Dem Kleinverleger Thiele nimmt - wie die meisten Verlage - überhaupt keine Rücksicht auf den Buchhändler in Wolfratshausen.

Ansonsten lösen die Behauptungen Thieles bei mir sofort ein gewisses Alarmkribbeln aus - die scheinen mir nur begrenzt glaubhaft.

Es ist bekannt, daß Amazon höhere Rabatte fordert von den Verlagen - bei einem Großabnehmer ist das auch verständlich.
Aber wenn Thiele behauptet, Amazon würde letztlich fast doppelt so viel fordern (und bekommen), dann fragt man sich schon, wieso sie das durchsetzen können. Inzwischen repräsentieren sie zwar fast 10% des Gesamtumsatzes. Das ist aber nicht genug, um solche Forderungen durchdrücken zu können. Da wäre es nämlich für jeden Verlag günstiger, auf die Belieferung über Amazon zu verzichten.

Und wenn es nun Amazon nicht gäbe, und Thiele auch die 10% zu normalen Konditionen abgeben könnte - dann wären seine Bücher insgesamt um 20% billiger? Mit Verlaub, das glaube ich ihm nicht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.02.2010 16:42
#3 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von R.A.

Zitat
Die jetzigen gebundenen Preise entsprechen dem, was auch dem kleinen Sortimenter in Wolfratshausen oder Brunsbüttel noch sein Auskommen sichert.


Aber nein.
Die jetzigen Preise entsprechen dem, wovon sich der Verlag den größtmöglichen Gewinn verspricht.



Und dazu gehört eben bei den jetzigen Vertriebsstrukturen auch, daß der Sortimenter in Wolfratshausen sein Auskommen hat. Denn der Verlag braucht ihn, um seine Bücher abzusetzen.

Bei den jetzigen Vertriebsstrukturen, die bröckeln. Wenn der Verlag achtzig oder neunzig Prozent seines Sortiments über Großanbieter umsetzt, dann kann ihm der Sortimenter egal sein.

Zitat von R.A.
Und für das Auskommen des Buchhandels ist ja nicht der absolute Endverkaufspreis wichtig, sondern die Spanne zwischen diesem und dem Verlagsabgabepreis.


Die üblicherweise 30 oder 40 Prozent des EVP ist, also direkt von diesem abhängig.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.02.2010 16:57
#4 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von Zettel
Und dazu gehört eben bei den jetzigen Vertriebsstrukturen auch, daß der Sortimenter in Wolfratshausen sein Auskommen hat.


Der Verlag ist aber nicht an eine konkrete Vertriebsstruktur gebunden. Wenn es jetzt mehr Minisortimenter gäbe und keine Großbuchhandlungen, oder wenn plötzlich der Verkauf aus dem Handkarren üblich würde - könnte den Verlagen erst einmal egal sein.

Zitat
Die üblicherweise 30 oder 40 Prozent des EVP ist,


sagt Herr Thiele

Zitat
... also direkt von diesem abhängig.


Eigentlich nicht.
Es ist nur eine Üblichkeit, daß so abzubilden.
Letztlich ist es Verhandlungssache zwischen Verlagen und Händlern, wieviel Spanne gegeben wird (10% Unterschied sind da schon eine Menge!).

Und auch der Händler ist nicht blind an einem möglichst hohen Endpreis interessiert, denn an dem hängt ja die Verkäuflichkeit des Buchs.

stuffi Offline



Beiträge: 27

18.02.2010 17:04
#5 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Ich glaube, daß dem Buchmarkt große Umwälzungen bevorstehen. Die Buchpreisbindung ist ein Anachronismus und immer schwieriger rechtzufertigen.

Klar werden dabei Geschäftsmodelle (und auch Geschäftsleute) scheitern, aber das ist in Zeiten der Internet-economy ja nichts neues.

Leiden werden wohl die Verlage, während Leser und auch Autoren tendenziell profitieren werden - die meisten der Veränderungen im Handel während der letzten Jahre liefen auf eine Marginalisierung oder einen Ersatz der "Mittelsmänner" hinaus. E-books können theoretisch vom Autor selbst verkauft werden, oder er lagert dies an einen Online-Händler aus, der dann auch gleichzeitig "print-on-demand" anbieten kann.

Bücher werden auch weiterhin geschrieben und gelesen werden, und das ist die Hauptsache.

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 17:29
#6 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Mir ist natürlich der Schreck in die Glieder gefahren, nach langen Jahren des Lesens von Zettels Raum hier plötzlich ein Thema geliefert zu haben.

Ich stehe dazu gern Rede und Antwort, es ist ja allgemein interessant und betrifft nicht nur meinen "Laden", sondern das Buchwesen insgesamt.

Ich möchte vorausschicken, dass ich mich nicht zur Buchpreisbindung geäußert habe: Die steht auf einem anderen Blatt, was meine Argumentation betrifft.

Lieber R.A., was ich bei Ihnen vermisse, das sind Begründungen. Sie glauben mir einiges nicht, nun gut, das ist Ihr gutes Recht. Etwas anderes ist aber, die Äußerung, man glaube einem Menschen etwas nicht, einfach so stehen zu lassen. Was lässt Sie zweifeln? Kennen Sie mich als Lügner? Sagen alle Kleinverleger Ihrer Erfahrung nach die Unwahrheit? Haben Sie bei mir Widersprüche gefunden? Haben Sie zuverlässige andere Informationen? Das alles sagen Sie nicht. Sie sagen nur: Glaube ich nicht. Das ist ein sehr dünnes Argument; nein, halt, wir wollen nicht schludern: es ist gar keines. Und kein Argument zu haben macht sich in einer Argumentation irgendwie schlecht, finden Sie nicht?

Meine Zahlen betreffs mein Verhältnis zu Amazon sind akkurat. Ich habe eher untertrieben.

Zu Ihrem einen zentralen Punkt: Warum macht man das mit?

Sehr einfach: Be there or be gone. Amazon ist die Wikipedia des Buchwesens. Wer dort nicht vorkommt, den gibt es quasi nicht. Die Leser, die das Internet benutzen, klicken, wenn die Neuronenbahn "Buchkauf" aktiviert wird, auf "Amazon". Das ist für diese Leser keine Firma, das ist eine im Internet befindliche Dienstleistung, ein Gebilde, ein "Dorfmarkt" oder "Hof". Dort wird nachgesehen, was man eben in der Zeitung, im Radio oder im Fernsehen gefunden hat. Es wird nicht unbedingt dort gekauft, sondern bloß "nachgehorcht" oder "gecheckt". Und wer dort nicht steht, bei Amazon, der gehört schon fast nicht mehr dazu.

Es ist nicht die reale Dienstleistungsfunktion von Amazon, die es für den Buchmarkt so wichtig macht, sondern dieser Imagefaktor: Gar kein Gewerbe mehr zu sein, sondern die Sache selbst; wie Google das geschafft hat, oder eben Wikipedia.

Es gibt für einen Verlag nun zwei Möglichkeiten: Er kann Mitglied im Amazon Advantage Programm werden, das ist das, was ich gemacht haben, mit den genannten Konsequenzen; oder er kann es lassen. Dann wird Amazon, wenn die Bücher des Verlages gewisse Nachfragewerte bei Amazon erzielen, die Bücher trotzdem in sein Verzeichnis aufnehmen, denn es ist ein doppeltes Spiel: Die Verlage müssen bei Amazon sein, aber Amazon muss natürlich auch die Bücher haben, die gefragt sind. Also, Amazon stellt die Titel dann ein und bezieht sie vom Zwischenhändler zu dessen Bedingungen, die für mich deutlich günstiger sind als die des Amazon Advantage Programms.

Aber: Amazon hat nun die Bücher eben nicht auf Lager. Zwar werden die vom Zwischenhändler normalerweise binnen 24 Stunden an Amazon geliefert; Amazon hat aber, soweit mir bekannt, in der Anzeige des Produktes nur drei Lieferzeitstufen: Auf Lager, also verfügbar; nicht auf Lager, aber sofort lieferbar, dann weisen die, soweit ich weiß, eine Lieferzeit von zwei bis drei Wochen aus; oder nicht auf Lager, erst mit Verzögerung lieferbar, dann weisen die, soweit ich weiß, eine Lieferzeit von sechs und mehr Wochen aus. Selbst wenn mein Zulieferer die Titel am nächsten Tag bei Amazon vor die Tür liegt: Dem Kunden wird angezeigt, die Lieferzeit betrage eine erhebliche Zeit.

Und das deutet der Internet-Kunde als: Der Verlag kann nicht liefern, der Titel ist derzeit nicht verfügbar - schade und tschüss.

Selbst Buchhändler schauen bei Amazon nach, ob ein Buch verfügbar ist. Fragen Sie mich nicht, warum, es ist so.

Sie fragen, lieber Herr R.A., und ich muss Ihren Mut zum forschen Urteil wirklich bewundern, Amazon mache 10 % des Umsatzes auf dem Buchmarkt aus, warum also verzichtet Kleinverleger T. nicht auf die? Nun, einen Teil der Antwort habe ich gegeben: Das Internet ist eine Imagemaschine, da gelten Gesetze, die man besser befolgt, wenn man weiterkommen will. Abgesehen davon, Sie scheinen kein Großmeister der Auswertung statistischer Ereignisse zu sein. Dass der Gesamtanteil von Amazon am Buchmarkt 10 % beträgt, sagt Ihnen doch nicht das Geringste darüber, welchen Anteil Amazon am Umsatz meines Verlages hat. Sie deduzieren da Dinge, die doch nur anhand konkreter Zahlen irgendeinen Aussagewert haben könnten. Abgesehen davon: Wir wollen doch einmal den ollen Marx zitieren; der sagt irgendwo, derjenige Unternehmer überlebt, der 5 % besser ist als die anderen. Sie scheinen mir ein waschechter Salon-Liberaler zu sein, so großzügig wie Sie mit den 10 % Anteilen meines Umsatzes um sich werfen ...

Abschließend zur Frage, würde Kleinverleger Thiele die Preise senken, wenn Amazon nicht wäre?

Sagen wir es so: Sicher ist, ich habe Preise erhöht, weil ich weiß, dass ich auf der Basis des Amazon-Verkaufs kalkulieren muss, dass ich also die Einnahmen von dort als bottom line der Herstellungskalkulation nehmen muss. Wenn ich auf der Kalkulation von rd. 1/3 des Buchpreises die Herstellungskosten decken muss, dann bedeutet jeder 1 EUR, den ich mehr haben muss, eine Preissteigerung für den Verbraucher von rd. 3 EUR. Das müsste nicht sein, denn die Herstellungskosten für Bücher in meinem Segment sind drastisch gesunken.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

18.02.2010 18:06
#7 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele
Mir ist natürlich der Schreck in die Glieder gefahren, nach langen Jahren des Lesens von Zettels Raum hier plötzlich ein Thema geliefert zu haben.



Warum erst so spät als Schreiber im kleinen Zimmer? Lesenswerter und erhellender Beitrag ihrerseits. Danke.

Herzlich, Calimero

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Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 18:10
#8 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Warum erst so spät als Schreiber im kleinen Zimmer?




Ach, wissense, dafür hat der Gott des Internets die Pseudonyme erfunden!

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.02.2010 18:23
#9 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele
Lieber R.A., was ich bei Ihnen vermisse, das sind Begründungen.


Das überrascht mich jetzt, denn die habe ich ja gegeben, und auf die haben Sie ja auch geantwortet.
Und für diese Antwort möchte ich mich bedanken, ich lerne auch immer gerne dazu.

Zitat
Zu Ihrem einen zentralen Punkt: Warum macht man das mit?
Sehr einfach: Be there or be gone.


Nun, das muß ich jetzt mal akzeptieren, weil Sie der Branchenkenner sind. Aber ist das wirklich nachgeprüft worden? Weiß man z. B., wie sich der amazon-Verzicht von Diogenes auf deren Absatz ausgewirkt hat?

Ich kann nicht so ganz nachvollziehen, warum dieser Präsenzeffekt so stark sein soll. Ich kaufe ja nun viele Bücher, und bin sein starker Internet-Nutzer.

Eigentlich gibt es doch zwei Möglichkeiten, sich für ein Buch zu interessieren:
Man stöbert durch die Buchhandlung und hat eine vage Vorstellung, daß es ein Krimi, ein Kochbuch, ein Reiseführer sein soll - und sucht sich dann unter dem Angebot eins aus. Da spielt Amazon keine Rolle.
Oder aber man will ein bestimmtes Buch. Weil es ein Freund empfohlen hat, weil der Autor es auf der Homepage hat, weil man eine Rezension gelesen hat - wie auch immer. Und dann will man genau dieses Buch, und wenn Amazon das nicht hat, dann nimmt man halt die Bezugsquelle einen Google-Link weiter unten. Auf ein Buch, für das man sich speziell genug interessiert um eine Recherche zu starten, zu verzichten nur weil Amazon nicht grün zeigt - das dürfte doch die Ausnahme sein.

Und das müßte doch besonders für einen Verlag wie den Ihren gelten. Sicher haben Sie einen höheren Online-Anteil als der Durchschnitt - weil Sie eben ein spezielles Programm haben, das nimmt man nicht am Grabbeltisch mit und das kaufen eher Leute mit Internet-Anschluß.

Aber wenn ich z. B. auf die Idee gekommen bin, von Ferenc Máté "Die Hügel der Toskana" zu lesen. Dann ist das doch keine Drei-Sekunden-Idee, von der ich sofort wieder abspringe, wenn der erste Link nichts bringt.
Per Google bekomme ich für diesen Titel "libri.de", ""weltbild.de", "buecher.de" (übrigens mein üblicher Lieferant - hoffentlich ist der nicht so wie amazon) und dann erst "amazon.de".

Zitat
Dass der Gesamtanteil von Amazon am Buchmarkt 10 % beträgt, sagt Ihnen doch nicht das Geringste darüber, welchen Anteil Amazon am Umsatz meinen Verlages hat.


Richtig.
Deswegen habe ich hier ja von Verlagen allgemein gesprochen. Wenn man deutlich mehr als 10% hat, ist das natürlich schwierig.
Aber entsprechend gibt es ja auch Verlage, die haben 10% oder noch deutlich weniger. Und ob das für die ökonomisch sinnvoll ist, über Amazon zu gehen?

Denn die Umsätze, die man nicht über Amazon macht, sind ja nicht ganz verloren - einen guten Teil macht man dann über andere Vertriebswege, die deutlich mehr Marge bringen.
Wenn der normale Vertrieb zwei Drittel des Endpreises beim Verlag läßt, und Amazon nur ein Drittel, dann müßte man ja nur die Hälfte des Amazon-Umsatzes über die anderen Vertriebswege schaffen, um ähnliche Einnahmen zu haben.

Zitat
Sicher ist, ich habe Preise erhöht, weil ich weiß, dass ich auf der Basis der Amazon-Plattform kalkulieren muss, dass ich also die Einnahmen von dort als bottom line der Herstellungskalkulation nehmen muss.


Eben. Das heißt dann umgekehrt, daß die eigentlich Verlagseinnahmen nur über die anderen Vertriebswege zustande kommen!

Zitat
Wenn ich auf der Kalkulation von rd. 1/3 des Buchpreises die Herstellungskosten decken muss, dann bedeutet jeder 1 EUR, den ich mehr haben muss, eine Preissteigerung für den Verbraucher von rd. 3 EUR.


Aber doch nur, wenn Sie komplett über Amazon verkaufen würden.
Letztlich ist es wohl eine Mischkalkulation. Je mehr ein Verlag über Amazon verkauft, desto höher muß er die Preise setzen - wer möglichst wenig über Amazon verkauft, kann günstig bleiben.

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 19:01
#10 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Ich fange einmal unten an.

Mischkalkulation ist schwierig bei einem Kleinverlag, da muss man jeden Verkaufsort für sich nehmen und keiner darf wirklich Minus machen; natürlich kann man da mal etwas querrechnen, aber das geht nur sehr bedingt, weil alles insgesamt zu schwach ist für Ausgleichsrechnungen. Darum bestimmt der schlechteste Absatzort auch die die Kalkulation dermaßen.

Der Absatz schwankt bei mir auch noch sehr stark, es gibt keine Basislinie; mal macht Amazon 10 % des Umsatzes aus, mal sind es 40 oder 50 %, gerechnet auf den Monat, einmal waren es 70 %. Das kann man dann nicht mehr kompensieren.

Mein Verlags-Programm ist speziell und auf den bewussten Leser ausgerichtet, da haben Sie recht, und das kommt dem Vertriebsweg Internet sehr entgegen. Das ist aber auch ein schwerer Nachteil bei den Buchläden, die eben solche Literatur nicht so gern auslegen, weil das wertvollen Raum wegnimmt, der für die Umsatzträger gebraucht wird. So ist der Vorteil im Internet, und bei dessen Nutzern, in den Buchhandlungen wieder hin. Umso härter muss ich mit dem Internetvertrieb und damit auch mit Amazon rechnen.

Diogenes ist im Vergleich zu mir ein Gigant. Deren Entscheidungen haben ihre eigene Gesetzmäßigkeit, vor allem ist Diogenes in den Buchhandlungen sehr stark vertreten, gerade bei Leuten, die eher Internet-kritisch sind. Da will ich natürlich hin, dazu aber müssen die Buchhandlungen noch vorhanden sein, wenn ich einmal Titel und Rang habe. In Deutschland sind die Buchhandlungen beim Publikum tief verankert; wenn aber die Buchpreisbindung fällt und Amazon et al. mit ihren geringen Fixkosten und hohen Rabattspannen ein oder zwei Jahre Tiefstpreise durchsetzt, dann wird es eng. Das fängt das Qualitätssegment nicht auf.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

18.02.2010 19:26
#11 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Ich verstehe das Problem nicht. Oder andersherum: Die Sache ist doch völlig klar. So lange es eben diese Buchpreisbindung gibt, kann es immer nur darum gehen, wie auf Anbieterseite dieser Kuchen aufgeteilt wird. Darüber, zu welchen Preisen ein Wegfall der Preisbindung letztlich führen würde, sagt all das überhaupt nichts aus. Denn erst dann besteht eine Chance, dass alle Zwischenstufen "die Hosen herunterlassen" müssen, bis das Produkt "Buch" den Leser auf die effizienteste Art und Weise erreicht.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 19:33
#12 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Das gilt nur dann, wenn der Begriff der Effizienz bei Büchern insgesamt einen Sinn macht. Belletristik z.B. ist immer ineffizient. Den "Zauberberg" kann man weiß Gott auch kürzer fassen. Für das Buch brauchen wir notfalls keinen Präsenzhandel, da langt der Versandhandel.

Das Buch als Ware ist dem Effizienzbegriff zugänglich, nicht aber das Buch als Träger von Ideen.

Die Konsequenz der Aufhebung wird ja nicht sein, dass die Buchpreise sinken, sondern dass sie in einigen Segmenten sinken und in anderen drastisch steigen. Und die Konsequenz wird sein, dass die Preise instabil resp. dynamisch werden.

Ich z.B. würde gern so verfahren: Ich werfe ein Buch mit kleiner Auflage und niedrigem Preis auf den Markt. Wenn ich merke, das läuft, dann hebe ich den Preis leicht an. Läuft es gut, vielleicht sogar sehr gut, dann steigere ich drastisch.

Alle scheinen zu denken, dass die Buchpreisbindung die Preise hoch hält. Das ist naiv. Sie hält die Buchpreise mindestens ebenso unten.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

18.02.2010 19:34
#13 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Auch, wenn ich es wie R.A. auch aus eigener Praxis nur schwer nachvollziehen kann, was Herr Thiele da über das Verhalten der Amazon-Nutzer schreibt, scheint doch Amazon aus Sicht eben dieser Nutzer einen Service zu bieten, den sie woanders nicht bekommen. Dass dieser Service aus Sicht der Verleger ein Ärgernis ist, interessiert den Kunden nicht. Es ist also im Grunde gar nicht Amazon, das Verlegern wie Herr Thiele das Leben schwer macht, es sind vielmehr diese dummen Kunden. Wie meistens, wenn sich Anbieter über etwas ärgern.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

18.02.2010 19:45
#14 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Amazon hat nun die Bücher eben nicht auf Lager.



Verstehe ich nicht. Wenn ich früh genug am Tag bestelle, habe ich das Buch von Amazon am nächsten Tag - da kann ja nicht noch der Weg vom Verlag oder Großhändler drin sein. Und ich erinnere mich, etwas über ein gigantisches Lager in Hersfeld gelesen zu haben?

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 19:49
#15 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Es ist also im Grunde gar nicht Amazon, das Verlegern wie Herr Thiele das Leben schwer macht, es sind vielmehr diese dummen Kunden. Wie meistens, wenn sich Anbieter über etwas ärgern.



Na, das ist nun wirklich Unfug. Sie argumentieren wie ein altgewordener Linker, gelangweilt, stereotypisierend, von oben herab.

R.A. hat es richtig beschrieben: Ob das bestehende System "Buchhandel" sich verändert oder nicht, ob es zusammenbricht oder nicht, das macht für mich wenig Unterschied. Sollte die Buchpreisbindung aufgehoben werden, werden zwei Anbieter sicher gewinnen: Die ganz großen und die ganz kleinen. Die Großen setzen sich über die neuen Vertriebswege durch, die Kleinen werden an die verkaufen, die ihr spezielles Angebot zu finden wissen. Ich habe kein Buchhändler-Netzwerk, das mir wegbrechen könnte.

Schlimm ist es für zwei Bereiche, den Präsenzhandel und die mittleren Verlage, die einen ganz anderen overhead haben als ich.

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 19:53
#16 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Verstehe ich nicht.



Nicht jedes Buch, das Amazon im Online-Katalog hat, ist bei Amazon auf Lager.

Wenn der Verlag am Advantage Programm teilnimmt, dann ist (fast) jedes Buch von ihm bei Amazon (a) gelistet und (b) auf Lager. Ist der Verlag nicht im Advantage Programm, entscheidet Amazon, wahrscheinlich nach der reinen Verkaufszahl, welches Buch beim Barsortimenter bezogen wird und dann eingelagert wird. Meistens aber werden solche Bücher von nicht-Advantage-Teilnehmern eben nicht gelagert, sondern erst bei Bestellung von Amazon beim Barsortimenter geordert.

Die beiden großen Barsortimenter, Libri und KNV, stellen übrigens bei Großkunden durchaus ggf. noch am selben Tag zu.

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

18.02.2010 20:00
#17 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Das müsste nicht sein, denn die Herstellungskosten für Bücher in meinem Segment sind drastisch gesunken.



Als Autor im Bereich der wissenschaftlichen Literatur habe ich eine ganz andere Frage, die aber hier anschließt: Wenn schon in einem kleineren Verlag die Herstellungskosten für Bücher sogar "drastisch" sinken, dürfte das wohl für die "Giganten" erst recht gelten. Trotzdem habe ich bei der Veröffentlichung in einer renommierten Reihe folgende Erfahrungen gemacht:

a) Ein Druckkostenzuschuss in knapp fünfstelliger Höhe war fällig.
b) Der Verkaufspreis ist ordentlich hoch, dass zumindest junge Wissenschaftler eher das Bibliotheksexemplar nutzen statt eines eigenen.
c) Das Lektorat erfolgte durch eine Arbeitsstelle an einer der wissenschaftlichen Akademien in Deutschland.
d) Die druckfertige Vorlage musste von mir kommen.
e) Die Arbeit des Verlags beschränkte sich nach meinem Eindruck darauf, meine nach Vorgaben und Formatvorlage gefertigte Vorlage in eine Druckdatei umzuwandeln, davon Druckfahnen zu erstellen und schließlich zu drucken. Ganz offensichtliche Rechtschreibfehler hat man im Verlag nicht gefunden, woraus ich schließe, dass bei der Erstellung der Druckdatei auch niemand im Verlag mein Werk gelesen hat. Dann erwähne ich noch am Rande, dass ich ein paar hundert Seiten Druckfahnen jeweils in weniger als einer Woche korrigiert habe, das Eintragen von vielleicht ein paar Dutzend Tipp- und Druckfehlern in die Datei beim Verlag aber jeweils zwei Monate dauerte (bei mir hätte ich ein paar Dutzend Druckfehler einem halben Nachmittag in Word korrigiert).

Gut, den Druckkostenzuschuss musste glücklicherweise nicht ich tragen. Aber ich habe mich schon gefragt, worin die eigentliche Tätigkeit des Verlags noch besteht - außer in der rein technisch-materiellen Herstellung der Bücher, der Werbung und dem Vertrieb? Das, was ich früher für klassische Verlagsaufgaben gehalten habe, das Lektorat und die Betreuung, die sind ja an den Autor bzw. die Akademie outgesourct?

Nach diesen Erfahrungen als Autor verstehe ich als Buchkäufer noch weniger die Buchpreise, vermute ich doch nach den eigenen Erfahrungen bei den (überwiegend wissenschaftlichen oder spezielleren) Titeln, die ich kaufe, dass auch hier der Autor auch Financier, Lektor und Setzer in einer Person war oder doch zumindest dass der Autor nichts oder nur minimal etwas von dem Geld bekommt, das ich bezahle.

[Edit: Typo; letzter Absatz]

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 20:15
#18 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Wenn schon in einem kleineren Verlag die Herstellungskosten für Bücher sogar "drastisch" sinken, dürfte das wohl für die "Giganten" erst recht gelten.



Ja und nein. Große Verlage hatten immer den Vorteil, dass sie ihre Bücher in Großauflagen drucken lassen konnten. Da seit den Fünfziger Jahren die Hauptkosten des Drucks in der Einrichtung der Druckmaschine bestanden, war es nach deren Einrichtung ziemlich egal, ob man 1000, 5000 oder 10000 Bände drucken ließ.

Ich arbeite oft mit Minderauflagen, d.h. mit Auflagen unter 1.000 Stück. Dafür musste man früher ebenso hohe Einrichtungskosten kalkulieren wie für 5.000 oder 10.000 Exemplare. D.h. das lohnte sich zumeist gar nicht. Das ist vorbei. Heute kann ich im Digitaldruck, aber auch im Offsetdruck, in fast beliebig niedriger Auflage zu bester Qualität drucken lassen. Natürlich gibt es immer noch Unterschiede in den Stückkosten, aber die sind nicht mehr exponentiell, nur noch linear.

Zitat
Den hohen Buchpreis nach sehr hohem Autorenzuschuss, den verstehe ich überhaupt nicht.



Nun, das ist ein heikles Thema. Es gibt zwei Gründe, warum ein seriöser Verleger einen Druckkostenzuschuss nimmt - eigentlich ist das alles sehr stark negativ besetzt. (1) Der Autor wünscht eine Ausstattung, die sich für den Verlag nicht lohnt. Er will zum Beispiel Dünndruck mit Fadenheftung oder Illustrationen einer teuren Künstlerin. Da kann man sagen, okay, lieber Autor, das machen wir, aber die Differenz zwischen meiner Ausstattung und der von Dir gewünschten, die musst Du zahlen. (2) Gerade im Bereich der Wissenschaften oder von Liebhabereien gibt es Bücher, die kann kein Verlag ernsthaft verkaufen; trotzdem wäre es gut, die zu machen. Das sind z.B. Dissertationen, typischerweise, oder z.B. Regionalforschungen. Da wird jeder Verleger ein oder zwei Projekte im Jahr einfach mal machen, mehr aber geht nicht, dann muss er ablehnen. Da hilft es, wenn der Autor sagt, er kauft einen Teil der Auflage. Dann kann ein wertvollen Buch gemacht werden, obwohl es unrentabel ist. Hierhinein gehören auch die Fälle wo man Fördermittel beantragt, von Stiftungen oder Behörden.

Die Grenze ist aber überschritten, wenn der Verlag daraus ein Geschäftsmodell macht. Das ist dann ein Druckkostenzuschussverlag, der gilt grundsätzlich als unseriös.

Was Sie beobachtet haben, erklärt sich sehr einfach: Diese Verlage haben kein Interesse daran, ernsthaft Käufer zu finden. Sie setzen auf den institutionellen Bucheinkauf, also auf Bibliotheken. Zum Teil sind die Bibliotheken aufgrund gewisser Aufgabenzuweisungen gezwungen, Fachbücher zu kaufen. Das gilt auch für Doktoranden oder andere Wissenschaftler: Die müssen in ihren Arbeiten auf dem neuesten Stand sein, gezwungenermaßen, also haben die Angst, einen wichtigen Titel zu üebrsehen und kaufen dann das Buch - zu fast jedem Preis. Also bietet der Verlag diese Bücher zu horrenden Preisen an, weil er weiß, die müssen das kaufen, so oder so.

Finger weg. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Man ruiniert sein Portemonnaie und seinen Ruf. Und nach dem, was Sie schreiben, auch noch seine Nerven.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.083

18.02.2010 21:13
#19 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele
Finger weg. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Man ruiniert sein Portemonnaie und seinen Ruf. Und nach dem, was Sie schreiben, auch noch seine Nerven.


Weswegen wissenschaftliche Bücher immer mehr nur im Internet erscheinen. Die Verlage bieten einfach keine Mehrwertdienstleistung mehr an. Und der Autor verdient typischerweise am gedruckten Buch eh nichts (oder muss eben noch einen Zuschuss zahlen), ist aber typischerweise als universitärer Wissenschaftler auch nicht darauf angewiesen.

Bei Fachzeitschriften koordinieren die Verlage noch das Peer Review. Das ist der einzige Faktor, der hier die reine Internetpublikation noch ein wenig aufhält. Aber auch das wird zunehmend von den Wissenschaftlern in eigener Regie übernommen.

--
La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

18.02.2010 21:19
#20 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Sehr geehrter Herr Thiele,
danke für Ihren Beitrag.

Zitat
Dafür musste man früher ebenso hohe Einrichtungskosten kalkulieren



Welche Rolle spielen die Einrichtungskosten noch, wenn dank Word, Formatvorlagen und pdf der Autor die Einrichtung weitgehend übernimmt?

Zitat
(1) Der Autor wünscht eine Ausstattung, die sich für den Verlag nicht lohnt. Er will zum Beispiel Dünndruck mit Fadenheftung oder Illustrationen einer teuren Künstlerin. Da kann man sagen, okay, lieber Autor, das machen wir, aber die Differenz zwischen meiner Ausstattung und der von Dir gewünschten, die musst Du zahlen.



Verständlich, aber im Fall der wissenschaftlichen Literatur dürfte das keine Rolle spielen (in der Regel).

Zitat
(2) Gerade im Bereich der Wissenschaften oder von Liebhabereien gibt es Bücher, die kann kein Verlag ernsthaft verkaufen; trotzdem wäre es gut, die zu machen. Das sind z.B. Dissertationen, typischerweise,



Gut, da weiß man ja auch, dass es solche und solche Dissertationen gibt, diejenigen, die als "rite" in den "Europäischen Hochschulschriften" als Nr. Fünftausendirgendwas erscheinen, aber auch diejenigen, deren Qualität durch Begutachtung durch führende in- und ausländische Fachwissenschaftler garantiert ist.

Zitat
Die Grenze ist aber überschritten, wenn der Verlag daraus ein Geschäftsmodell macht. Das ist dann ein Druckkostenzuschussverlag, der gilt grundsätzlich als unseriös.



Einem führenden Wissenschaftsverlag mit Sitz in Deutschland und im Ausland will ich nicht unterstellen, ein unseriöser Druckkostenzuschussverlag zu sein, will also annehmen, dass er Gründe hat, sowohl 10.000 Euro zu nehmen als auch noch einen Verkaufspreis von 70 Euro festzulegen. Trotzdem verstehe ich nicht, worin die offenbar so teure Tätigkeit des Verlags besteht.

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 22:32
#21 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Internetpublikation von Texten gerade wissenschaftlicher Art hat noch einen ganz wichtigen Vorteil: Die Statik des Druckes ist weg.

Ich habe zum Beispiel eine Bibliographie im Programm, ein Verzeichnis aller Schriften von einem Autor und zu diesem Autor. Das ist eine typische wissenschaftliche Fleißarbeit, die gemacht werden muss, für die Wissenschaft eine zentrale Sache. Bisher gab es zwei limitierende Faktoren: Man brauchte Jahre der Forschungsarbeit und ein großes Team, das herumrannte und die letzten Quellen durchsuchte, ob irgendwo noch etwas zu diesem einen Autor stand. Wir haben das mit Hilfe eines Wiki-Systems gemacht, also in einem geschützten Bereich im Internet als Gruppe von Leuten, die an ganz verschiedenen Orten saßen und ganz unterschiedlichen Zugang zu Quellen hatten und diese nach Art von Wikipedia in Artikeln sammelten und systematisierten. Wir waren auch alle im ganz konventionellen Sinne sehr fleißig unter Leitung des eigentlichen Autors, aber wir konnten eben auch täglich sehen, wer hat was gefunden, was kann ich da ergänzen, gibt's neue Hinweise, wo sind Fehler. Herausgekommen nach einem Jahr der Forschung ist eine Bibliographie, die sich sehen lassen kann, dafür brauchen fest besoldete Literaturwissenschaftler normalerweise etliche Jahre. Eine Zeit lang haben wir das auch öffentlich gemacht, da konnte jeder vorbeikommen und zusehen.

Also, dieses "Kammerjäger-Dasein" alter Forschergenerationen, das ist weg.

Und nun kommt der eigentliche Vorteile der neuen Medien: Bisher lief es so, dass die Bibliographie veröffentlicht wurde, hübsch gebunden und mit Lesefädchen, sehr schick, und dann veraltete die. Jedes Jahr kamen neue Artikel und Bücher hinzu, die nicht mehr in der Bibliographie erfasst waren. Manche Bibliographie wurde dann lustige 20 oder 30 Jahre alt, kaum mehr zu gebrauchen. Oder es gab Nachdrucke, die teuer gekauft werden mussten; möglich waren auch Loseblattsammlungen, die ergänzt werden konnten.

Wir werden die Bibliographie noch einmal ganz überarbeiten und neu aufsetzen, dann wird es die auch in elektronischem Format geben. Mit dem Kauf der gedruckten Version (oder zusätzlich) erwirbt man die elektronische, und die wird dann vom Verlag jährlich ergänzt werden, im Abonnement. Einfacher geht es für den Wissenschaftler nicht mehr, auch nicht für den Verlag: Man lädt die Bibliograhie auf Kindle oder iPad, hat sie "immer dabei", soweit das sinnvoll ist; der Verlag wieder muss nicht das Buch neu setzen, vorfinanzieren, ausliefern, sondern arbeitet die Änderungen unkompliziert elektronisch ein und vertreibt die Datei; und: der Wissenschaftler hat nicht mehr die Ausrede, es gäbe ja keine Neuausgabe, sondern jeder weiß, die Nachlieferung ist jährlich für wenig Geld zu haben. Das garantiert einen Basisabsatz, der beachtlich sein wird.

André Thiele Offline



Beiträge: 23

18.02.2010 22:46
#22 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat
Welche Rolle spielen die Einrichtungskosten noch, wenn dank Word, Formatvorlagen und pdf der Autor die Einrichtung weitgehend übernimmt?



Manuskripte werden in äußerst unterschiedlicher Qualität abgegeben, da gibt es keine Regel. Entsprechend verschieden fällt der Aufwand für Lektorierung und Korrektur aus.

Sie müssen sehen, dass die Datenbasis von Textverarbeitungsprogrammen und von Satz-Programmen, die Verlage für den Druck einsetzen, eine ganz andere ist. Der Unterschied entspricht etwa dem zwischen einem Modellflugzeug und einem Jumbo-Jet. Der Satz eines sauber gemachten Buches ist eine Wissenschaft für sich und sehr aufwendig. Sie können das nicht vergleichen mit book-on-demand-Angeboten.

Zitat
im Fall der wissenschaftlichen Literatur dürfte das keine Rolle spielen



Im Gegenteil, gerade dort: Denken Sie an Graphiken, Kurven, Tabellen, Photos. Biologen und Mediziner z.B. würden am liebsten alles, was sie mal unter dem Mikroskop hatten, irgendwo abdrucken. Andere wollen ein Papier, das man im Labor auch mal mit irgendwelchen klebrigen Flüssigkeiten betropfen kann, ohne dass es sich gleich auflöst.

Zitat
10.000 Euro



Ich sattle um.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.083

18.02.2010 23:03
#23 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von Gansguoter

Zitat
(2) Gerade im Bereich der Wissenschaften oder von Liebhabereien gibt es Bücher, die kann kein Verlag ernsthaft verkaufen; trotzdem wäre es gut, die zu machen. Das sind z.B. Dissertationen, typischerweise,


Gut, da weiß man ja auch, dass es solche und solche Dissertationen gibt, diejenigen, die als "rite" in den "Europäischen Hochschulschriften" als Nr. Fünftausendirgendwas erscheinen, aber auch diejenigen, deren Qualität durch Begutachtung durch führende in- und ausländische Fachwissenschaftler garantiert ist.



Das mag von Fach zu Fach unterschiedlich sein. In den Naturwissenschaften wird dennoch niemand eine Dissertation kaufen - alles Relevante wird ohnehin als Artikel publiziert, der dann auch zitierfähig ist. Dass das IPCC in seinen Berichten Dissertationen zitiert, wird völlig zu Recht angeprangert. Bei einer Dissertation kann man sich die Gutachter aussuchen und nimmt typischerweise solche mit einem guten Draht zum Doktorvater. Wieviel die Begutachtung dann noch wert ist, kann man sich ausrechnen. Seit ich das selbst durchgemacht habe, habe ich noch den letzten Rest von Respekt vor einer Promotion verloren

--
La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

18.02.2010 23:36
#24 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Zitat von André Thiele
Na, das ist nun wirklich Unfug. Sie argumentieren wie ein altgewordener Linker, gelangweilt, stereotypisierend, von oben herab.



Wenn ich ein psychologisches Urteil haben will, gehe ich ganz sicher nicht zu einem Verleger. Was sich im Ergebnis dieses untauglichen Versuchs auch wieder beweist. Aber um so besser trifft es sich, dass danach auf meine Argumentation gar nicht eingegangen wird. Das macht das Bild rund.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.02.2010 23:39
#25 RE: Marginalie: Buchmarkt Antworten

Willkommen im kleinen Zimmer, lieber André Thiele! Sie haben ja auf Anhieb eine Diskussion von der Art angestoßen, wie sie dieses Forum ziert.

Und unter welchem anderen Nick Sie denn schon hier geschrieben haben, das frage ich natürlich nicht.

Herzlich, Zettel

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