Diskussionen über einen EU-Beitritt der Türkei kreisen meist um die Frage, ob die Türkei "schon reif" für Europa sei, was die Menschenrechte, was die demokratischen Freiheiten und Ähnliches angeht.
Als ob es darum ginge. Es geht darum, ob Europa ein Interesse an der Aufnahme der Türkei hat.
Sie wäre das bevölkerungsreichste Land der EU; ein Land mit einer schnell weiter wachsenden Bevölkerung, das eine wesentliche Rolle im Machtspiel des Nahen Ostens spielt und das wesentlichen Einfluß auf die Turkvölker der ehemaligen Sowjetunion hat.
Ein Machtfaktor also in der EU. Und dazu noch ein Land mit einer Fünften Kolonne in Ländern wie Deutschland. Denn die türkischen Einwanderer nach Deutschland sind aus Premier Erdogans Sicht auch dann, wenn sie deutsche Staatsbürger geworden sind, weiter Türken, die lediglich außerhalb der Türkei siedeln.
Nachzulesen in dem Bericht von "Spiegel-Online", dem ich dieses Zitat des Tage entnommen habe.
Ich habe diesen Artikel auch gelesen und er hat mich etwas verwirrt zurückgelassen. Es mag an meiner Perspektive liegen, aber wenn ich mir die Positionen der Bündnisgrünen, der Linkspartei oder des migrationsbewegten Flügels der SPD angucke, dann wüsste ich nicht, wie sie die Interessen Ankaras noch deutlicher über die deutschen Interessen stellen könnten.
Wer ist denn für die doppelte Staatsbürgerschaft, die diesen ganzen Zauber erst ermöglicht hat? Wer war für die Umstellung von ius sanguis auf ius soli? Wer ist für die Aufnahme der Türkei in die EU? Wer will denn eine "bunte" Gesellschaft und findet Assimilation und sogar Integration unerträglich? Wer hat denn in den letzten Jahrzehnten den de facto völlig unkontrollierten Zuzug befördert?
Was könnte Erdogan noch mehr verlangen? Es will mir partout nichts einfallen...
Zitat von HajoWas könnte Erdogan noch mehr verlangen? Es will mir partout nichts einfallen...
Zum Beispiel, dass Deutschland 100.000 Armenier aufnimmt, die er nicht mehr in der Türkei haben will, seitdem die Schweden den Genozid von 1915 beim Namen nennen?
Zitat von Erdogan auf BBCThere are currently 170,000 Armenians living in our country. Only 70,000 of them are Turkish citizens, but we are tolerating the remaining 100,000.
If necessary, I may have to tell these 100,000 to go back to their country because they are not my citizens. I don't have to keep them in my country.
Nein, ich verstehe auch nicht so ganz, warum die Türkei in die EU soll.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von Hajo Wer ist denn für die doppelte Staatsbürgerschaft, die diesen ganzen Zauber erst ermöglicht hat? Wer war für die Umstellung von ius sanguis auf ius soli? Wer ist für die Aufnahme der Türkei in die EU? Wer will denn eine "bunte" Gesellschaft und findet Assimilation und sogar Integration unerträglich? Wer hat denn in den letzten Jahrzehnten den de facto völlig unkontrollierten Zuzug befördert?
Man sollte dabei allerdings nicht vergessen, daß die CDU und die FDP an dieser Entwicklung fleißig mitgearbeitet haben.
Fairerweise muß man weiter daraufhinweisen, daß in Deutschland keineswegs das ius soli gilt, sondern eine Mischform. Nur in D geborene Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil einen unbefristeten Aufenthaltstitel besitzt, erwerben die doppelte StA, müssen sich aber bis zum 23.Lebensjahr für die eine oder die andere StA entscheiden. Das soll ja nun gekippt werden, was man unschwer von Anfang an hätte voraussagen können.
Die doppelte StA ist auch nicht verantwortlich, denn idR kann ein türkischer StA-Bürger nicht gleichzeitig die deutsche haben. Der Assoziationsratsbeschluß 1/80 der EU allerdings gewährt den Türken deutliche Vorteile gegenüber anderen Drittstaatsangehörigen. Die Rechtsprechung des EuGH ist eine weiterer Punkt, der die Stellung der Türken stärkt. Selbst wenn es also die doppelte StA nicht gäbe, wäre der Zuzug immer noch wesentlich einfacher als bei anderen Ausländern.
Das Kernproblem sind mE nicht die Türken, sondern die Inkompetenz und das Versagen unserer Führungsschicht (lieber Zettel, das ist bestimmt wieder maßlos? ), die stur an ihren Lebenslügen in Sachen Migration festhält.
Seufz, da könnte ich mich stundenlang in Rage reden, zumal ich beruflich seit 20 Jahren mit Migration zu tun habe....
Zitat Zitat Zettel Und bei diesem Streben sollen der Türkei, wird sie denn in die EU aufgenommen werden, die "Auslandstürken" offenbar gute Dienste leisten.
Und ebenfalls im Spiegel, lieber Zettel, war dies zu finden:
Zitat SPIEGEL: Nur 17 Prozent der Deutschen wollen einen türkischen EU-Beitritt.
Bagis: Glauben Sie mir, der Tag wird kommen, an dem die Europäer um die türki- sche Öffentlichkeit werben. Denn Europa hat Probleme. Sagen Sie mir, wie die EU ohne türkische Hilfe die Energiekrise bewältigen will; ein großer Teil künftiger Energieressourcen, die Europa braucht, fließt durch die Türkei. Und sagen Sie mir, wie Sie Ihre wirtschaftlichen und demografischen Probleme lösen wollen; das Durchschnittsalter in Europa beträgt 40 Jahre, in der Türkei sind es 28. Woher wollen Sie Ihre Arbeitskräfte holen, wer soll Ihre Pensionen bezahlen?
Das sagt kein geringerer als: Egemen Bagis, türkischer Staatsminister für Europa und Verhandlungsführer in den Beitrittsgesprächen mit der EU, in einem Interview mit dem SPIEGEL.
Ich hab es immer wieder geschrieben, die Türkei ist sich ihrer Stellung im Energie-Transport sehr wohl bewußt und hat zielgerichtet darauf hingearbeitet und zwar in alle Richtungen.
Zitat von NolaBagis: Glauben Sie mir, der Tag wird kommen, an dem die Europäer um die türki- sche Öffentlichkeit werben. Denn Europa hat Probleme. Sagen Sie mir, wie die EU ohne türkische Hilfe die Energiekrise bewältigen will; ein großer Teil künftiger Energieressourcen, die Europa braucht, fließt durch die Türkei. Und sagen Sie mir, wie Sie Ihre wirtschaftlichen und demografischen Probleme lösen wollen; das Durchschnittsalter in Europa beträgt 40 Jahre, in der Türkei sind es 28. Woher wollen Sie Ihre Arbeitskräfte holen, wer soll Ihre Pensionen bezahlen?
Ja, so sieht das die Regierung Erdogan, und auch deshalb darf die Türkei nicht in die EU aufgenommen werden.
Solange in Deutschland die Union regiert und in Frankreich die UMP, wird das auch nicht geschehen. Mein Sorge ist, daß man die Verhandlungen auf Sparflamme laufen läßt und bis zu dem Augenblick wartet, wo einmal sowohl in Deutschland als auch in Frankreich die Volksfront an der Regierung ist. Dann kann man die Türkei kurzfristig aufnehmen, und keine spätere konservative Regierung wird das wieder rückgängig machen können.
Zitat von NolaIch hab es immer wieder geschrieben, die Türkei ist sich ihrer Stellung im Energie-Transport sehr wohl bewußt und hat zielgerichtet darauf hingearbeitet und zwar in alle Richtungen.
Keine verantwortliche Regierung darf es zulassen, daß die nationale Energieversorgung von irgendwem abhängig wird. Es gehört zu den größten Verantwortungslosigkeiten der Regierung Schröder, daß sie das für Rußland in die Wege geleitet hat (und Schröder ist ja dafür belohnt worden). Kommt auch noch eine ähnliche Abhängigkeit von der Türkei dazu, dann wird es wirklich gefährlich.
Die einzige rationale Antwort wäre ein Ausbau der nationalen Atomenergie. Frankreich ist von niemandem erpreßbar, weil man konsequent auf Atomenergie gesetzt hat. Ich schreibe, liebe Nola, "wäre", weil das nicht passieren wird.
Nicht in einem Land, das der Welt das Wort "Angst" geschenkt hat.
Kritik an der von Herrn Erdogan vorgebrachten Haltung ist natürlich angebracht. Nur darf man sie eben nicht auf Herrn Erdogan und seine Partei personalisieren, denn daß was er fordert ist ja nichts anderes als die Realität der letzten Jahrzehnte.
Die doppelte Staatsbürgerschaft ist dafür nicht Voraussetzung, wenn sie auch die Sache wesentlich beschleunigen kann - wenn die entsprechenden Jahrgänge mal politisch relevant werden.
Erdogan fordert da nichts neues sondern nur die Ausweitung des ganzen, weil die Zahl der politisch wirkmächtigen Türken doch bisher eher begrenzt ist.
Aber was tun denn bisher Herr Vural Öger, MdEP (SPD), Frau Lale Akgün, MdB (SPD), die Soziologin Necla Kelek und die Feministin Seyran Ateş, die meines Wissens nicht unter Nutzung des neues Rechtes eingebürgert wurden.
Und wenn man nun sagt, letztere bereiteten bestimmt nicht die Islamisierung Deutschlands vor, dann stimmt das zwar, kapriziiert sich aber auf einen Punkt unter Ignorierung anderer. Diese beiden haben sich in keinster Weise integriert sondern wollen einfach das politische System der Ata-Türk'schen Republik auf Deutschland übertragen, was eine mindestens genauso inakzeptable Untergrabung unserer Verfassungsordnung ist.
Ohnehin ist eine Zuspitzung auf Herr Erdogan, dessen Regierung immerhin in einigen Bereichen sonst seltene Schritte auf eine "Normalisierung" der türkischen Verhältnisse (im Sinne deutscher bzw. europäischer Standards) einleitet - zuletzt durch die Ankündigung, das orthodoxe Priesterseminar nun doch wieder zu öffnen - und den ich deshalb zusammen mit Turgut Özal als einen der beiden überhaupt akzeptablen türkischen Regierungschefs ansehen würde.
Der EU-Beitritt wurde lange vor dem Regierungsantritt der AKP eingeleitet. Auch damalige Premiers haben Gift und Galle gespuckt (wer erinnert sich noch an Herrn Yilmaz und seine Gerede von "deutscher Lebensraumpolitik"?), das aggressive Leugnen des Völkermordes an den Armeniern ist auch nichts neues.
Beim Türkeibeitritt gibt es noch ein weiteres Problem: niemand in Europa hat den Schneid, sich offen dagegenzustellen. Natürlich wird eine solche Ablehnung türkischerseits erstmal als Beleidigung aufgenommen, aber danach wird man sich schon wieder einkriegen. Immerhin kann man einen Beitritt mit guten Gründen auch ablehnen, ohne die Türken herunterzumachen, denn allein ihre Größe reicht aus (Rußland will ja auch niemand aufnehmen) - bringt man das nicht fertig, ist das aber nicht Grund genug, durch eine solche Aufnahme die EU zu zerstören (wenn mir wohl hier auch einige Leser widersprehen dürften, weil ihnen genau das ja zupaß käme).
Und was das Wort "Assimilation" angeht - da kann man sich lange und genüßlich drüberstreiten, aber es ist nunmal schlecht angesehen. "Integration" dagegen kann man jedoch verlangen. Allerdings muß auch etwas da sein, in das integriert werden kann und nicht nur die Deutschland AG & Fußball KG.
Zitat von HajoWas könnte Erdogan noch mehr verlangen? Es will mir partout nichts einfallen...
Zum Beispiel, dass Deutschland 100.000 Armenier aufnimmt, die er nicht mehr in der Türkei haben will, seitdem die Schweden den Genozid von 1915 beim Namen nennen?
Zitat von Erdogan auf BBCThere are currently 170,000 Armenians living in our country. Only 70,000 of them are Turkish citizens, but we are tolerating the remaining 100,000. If necessary, I may have to tell these 100,000 to go back to their country because they are not my citizens. I don't have to keep them in my country.
Zitat von NolaBagis: Glauben Sie mir, der Tag wird kommen, an dem die Europäer um die türki- sche Öffentlichkeit werben. Denn Europa hat Probleme. Sagen Sie mir, wie die EU ohne türkische Hilfe die Energiekrise bewältigen will; ein großer Teil künftiger Energieressourcen, die Europa braucht, fließt durch die Türkei. Und sagen Sie mir, wie Sie Ihre wirtschaftlichen und demografischen Probleme lösen wollen; das Durchschnittsalter in Europa beträgt 40 Jahre, in der Türkei sind es 28. Woher wollen Sie Ihre Arbeitskräfte holen, wer soll Ihre Pensionen bezahlen?
Ja, so sieht das die Regierung Erdogan, und auch deshalb darf die Türkei nicht in die EU aufgenommen werden.
Nein, so sahen das alle türkischen Regierungen. Die Regierung Erdogan ist nur ihrem Ziel ein Stück näher, weil sie selbst eine unterdrückte Schicht vertritt und deshalb wenigstens ein paar Verbesserung in Richtung europäischer Standards eingeleitet hat.
Zitat Solange in Deutschland die Union regiert und in Frankreich die UMP, wird das auch nicht geschehen.
Das mag glauben wer nicht, doch am Ende werdne Frau Merkel und Herr Sarkozy butterweich umfallen oder sich die Sache irgendwie abkaufen lassen (so wie Österreichs Wolfgang Schüssel seinen Widerstand immerhin damals mit dem Kandidatenstatus Kroatiens hat abkaufen lassen) - wenn die beiden dann überhaupt noch regieren, was eher zweifelhaft ist. Und selbst wenn, regiert ja zumindest Frau Merkel nicht allein und wie wir alle wissen war Herr Westerwelle neulich in der Türkei.
Zitat von lois janeDa könnte man aber auch armenischerseits sagen, daß diese Türken mitsamt ihrem Staat aus ihrem (der Armenier) Land verschwinden sollten.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von lois janeOhnehin ist eine Zuspitzung auf Herr Erdogan, dessen Regierung immerhin in einigen Bereichen sonst seltene Schritte auf eine "Normalisierung" der türkischen Verhältnisse (im Sinne deutscher bzw. europäischer Standards) einleitet - zuletzt durch die Ankündigung, das orthodoxe Priesterseminar nun doch wieder zu öffnen - und den ich deshalb zusammen mit Turgut Özal als einen der beiden überhaupt akzeptablen türkischen Regierungschefs ansehen würde.
Da scheint ein Verb zu fehlen, aber ich will auch, liebe Lois Jane, ohnehin nur etwas zum Relativsatz sagen:
Gewiß tut Erdogan viel für die ich würde nicht sagen Normalisierung, sondern für die Modernisierung der Türkei. Aber jeder Staatsmann, der eine Vormachtstellung anstrebt, versucht sein Land zu modernisieren.
Ich wundere mich immer wieder, daß Reformen z.B. im Bereich des Rechts sozusagen als Zugeständnis der Türkei an Europa interpretiert werden, damit diese die Türkei gnädig aufnimmt. Sie sind aber aus türkischer Sicht wohl eher Maßnahmen zur Stärkung der Türkei selbst. Rechtssicherheit ist zum Beispiel eine wichtige Voraussetzung für ausländische Investitionen. Ebenso liegt es im Interesse der Türkei auf dem Weg zur Großmacht, sich das Kurdenproblem möglichst vom Hals zu schaffen.
Die Türkei ist im Augenblick u.a. deshalb in einer starken Position, weil sie die Wahl hat, sich in Richtung Europa zu orientieren oder aber die Option zu wählen, zur Vormacht des Nahen Ostens aufzusteigen.
Über das Letzere haben wir hier schon wiederholt diskutiert. Ich halte diese Option für real (was nicht heißt, daß die Türkei sich für sie schon entschieden hat). Siehe diesen und diesen Artikel in ZR.
Zitat von lois janeOhnehin ist eine Zuspitzung auf Herr Erdogan, dessen Regierung immerhin in einigen Bereichen sonst seltene Schritte auf eine "Normalisierung" der türkischen Verhältnisse (im Sinne deutscher bzw. europäischer Standards) einleitet - zuletzt durch die Ankündigung, das orthodoxe Priesterseminar nun doch wieder zu öffnen - und den ich deshalb zusammen mit Turgut Özal als einen der beiden überhaupt akzeptablen türkischen Regierungschefs ansehen würde.
Da scheint ein Verb zu fehlen,
Ein Adjektiv. "schlecht" oder "falsch".
Zitat Gewiß tut Erdogan viel für die ich würde nicht sagen Normalisierung, sondern für die Modernisierung der Türkei. Aber jeder Staatsmann, der eine Vormachtstellung anstrebt, versucht sein Land zu modernisieren.
Das ist doch gar nicht wahr, daß "jeder Staatsmann" versucht sein Land zu modernisieren. Und ich habe bewußt "normalisiert" gesagt und angefügt in welchem Sinne ich das meine, denn schließlich ist Atatürk der große Modernisierer der Türkei, doch eben gerade kein Normalisierer im gemeinten Sinn, sondern der Schöpfer zahlreicher Grundübel. Ich hätte auch Verbesserer sagen können.
Zitat Ich wundere mich immer wieder, daß Reformen z.B. im Bereich des Rechts sozusagen als Zugeständnis der Türkei an Europa interpretiert werden, damit diese die Türkei gnädig aufnimmt. Sie sind aber aus türkischer Sicht wohl eher Maßnahmen zur Stärkung der Türkei selbst. Rechtssicherheit ist zum Beispiel eine wichtige Voraussetzung für ausländische Investitionen. Ebenso liegt es im Interesse der Türkei auf dem Weg zur Großmacht, sich das Kurdenproblem möglichst vom Hals zu schaffen.
Das eine schließt das anderer ja gar nicht aus. Und im Falle Erdogans geht es wohl weder um Investititionen noch um Großmachtallüren - beide Motive haben eine gewisse Schäbigkeit - sondern ganz ehrlich um die Verbesserung der rechtlichen Situation. Vergessen wir nicht, daß Erdogan selbst ein Opfer der türkischen Gesinnungsjustiz war und zunächst nicht kandidieren durfte. Ich sehe auch nicht, wo etwa die Wiederöffnung des Priesterseminares eine machtpolitische Bedeutung hätte angesichts der Vehemenz mit der sich die Erweiterungsbeauftragten der EU für die Rechte von Minderheiten einsetzen. (Achtung, Sarkasmus!)
Zitat Die Türkei ist im Augenblick u.a. deshalb in einer starken Position, weil sie die Wahl hat, sich in Richtung Europa zu orientieren oder aber die Option zu wählen, zur Vormacht des Nahen Ostens aufzusteigen.
Sagen wir eher, sie kann das eine oder das andere Ziel verfolgen. Ich halte aber das zweite Ziel für illusorisch.
Zitat von lois janeOhnehin ist eine Zuspitzung auf Herr Erdogan, dessen Regierung immerhin in einigen Bereichen sonst seltene Schritte auf eine "Normalisierung" der türkischen Verhältnisse (im Sinne deutscher bzw. europäischer Standards) einleitet - zuletzt durch die Ankündigung, das orthodoxe Priesterseminar nun doch wieder zu öffnen - und den ich deshalb zusammen mit Turgut Özal als einen der beiden überhaupt akzeptablen türkischen Regierungschefs ansehen würde.
Da scheint ein Verb zu fehlen,
Ein Adjektiv. "schlecht" oder "falsch".
Na gut, wenn wir schon beckmessern wollen: Es fehlt die adjektivische Vervollständigung des Hilfsverbs zu einem Prädikat.
Zitat von lois jane
Zitat Gewiß tut Erdogan viel für die ich würde nicht sagen Normalisierung, sondern für die Modernisierung der Türkei. Aber jeder Staatsmann, der eine Vormachtstellung anstrebt, versucht sein Land zu modernisieren.
Das ist doch gar nicht wahr, daß "jeder Staatsmann" versucht sein Land zu modernisieren.
Ja, habe ich das denn geschrieben? Da wir schon dabei sind, uns in Grammatik zu üben: Lesen Sie, liebe Lois Jane, bitte auch eingeschobene Relativsätze.
Zitat von lois jane
Zitat Ich wundere mich immer wieder, daß Reformen z.B. im Bereich des Rechts sozusagen als Zugeständnis der Türkei an Europa interpretiert werden, damit diese die Türkei gnädig aufnimmt. Sie sind aber aus türkischer Sicht wohl eher Maßnahmen zur Stärkung der Türkei selbst. Rechtssicherheit ist zum Beispiel eine wichtige Voraussetzung für ausländische Investitionen. Ebenso liegt es im Interesse der Türkei auf dem Weg zur Großmacht, sich das Kurdenproblem möglichst vom Hals zu schaffen.
Das eine schließt das anderer ja gar nicht aus. Und im Falle Erdogans geht es wohl weder um Investititionen noch um Großmachtallüren - beide Motive haben eine gewisse Schäbigkeit - sondern ganz ehrlich um die Verbesserung der rechtlichen Situation.
Hm, woher wissen wir das, ganz ehrlich? Siehe das Zitat unten.
Zitat von lois janeVergessen wir nicht, daß Erdogan selbst ein Opfer der türkischen Gesinnungsjustiz war und zunächst nicht kandidieren durfte.
Er wurde verurteilt, weil er öffentlich zustimmend zitiert hatte: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten."
Ich bin zwar auch nicht dafür, Feinde der Freiheit hinter Gitter zu bringen, allein weil sie Feinde der Freiheit sind. Aber "Gesinnungsjustiz" ist das so sehr oder so wenig, wie wenn in Deutschland jemand wegen Volksverhetzung verurteilt wird.
Zitat von lois janeOhnehin ist eine Zuspitzung auf Herr Erdogan, dessen Regierung immerhin in einigen Bereichen sonst seltene Schritte auf eine "Normalisierung" der türkischen Verhältnisse (im Sinne deutscher bzw. europäischer Standards) einleitet - zuletzt durch die Ankündigung, das orthodoxe Priesterseminar nun doch wieder zu öffnen - und den ich deshalb zusammen mit Turgut Özal als einen der beiden überhaupt akzeptablen türkischen Regierungschefs ansehen würde.
Da scheint ein Verb zu fehlen,
Ein Adjektiv. "schlecht" oder "falsch".
Na gut, wenn wir schon beckmessern wollen: Es fehlt die adjektivische Vervollständigung des Hilfsverbs zu einem Prädikat.
Ich beckmessere grundsätzlich nicht.
Zitat
Zitat von lois jane
Zitat Gewiß tut Erdogan viel für die ich würde nicht sagen Normalisierung, sondern für die Modernisierung der Türkei. Aber jeder Staatsmann, der eine Vormachtstellung anstrebt, versucht sein Land zu modernisieren.
Das ist doch gar nicht wahr, daß "jeder Staatsmann" versucht sein Land zu modernisieren.
Ja, habe ich das denn geschrieben? Da wir schon dabei sind, uns in Grammatik zu üben: Lesen Sie, liebe Lois Jane, bitte auch eingeschobene Relativsätze.
Auch mit Relativsatz scheint es mir eine, sagen wir, mutige Behauptung ohne Beleg.
Zitat
Zitat von lois jane
Zitat Ich wundere mich immer wieder, daß Reformen z.B. im Bereich des Rechts sozusagen als Zugeständnis der Türkei an Europa interpretiert werden, damit diese die Türkei gnädig aufnimmt. Sie sind aber aus türkischer Sicht wohl eher Maßnahmen zur Stärkung der Türkei selbst. Rechtssicherheit ist zum Beispiel eine wichtige Voraussetzung für ausländische Investitionen. Ebenso liegt es im Interesse der Türkei auf dem Weg zur Großmacht, sich das Kurdenproblem möglichst vom Hals zu schaffen.
Das eine schließt das anderer ja gar nicht aus. Und im Falle Erdogans geht es wohl weder um Investititionen noch um Großmachtallüren - beide Motive haben eine gewisse Schäbigkeit - sondern ganz ehrlich um die Verbesserung der rechtlichen Situation.
Hm, woher wissen wir das, ganz ehrlich? Siehe das Zitat unten.
Da kann ich nur mit einem Wehnerzitat antworten: "Ich weiß nichts und sie wissen nichts..."
Vermuten und spekulieren können wir beide, beide gleichermaßen unbelegt - nur halte ich eben meine Überlebung für begründeter als sich monokausal zu versteifen. Großmachtpolitiker hatte die Türkei nie zu knapp - die Reformen erfolgten aber nicht.,
Zitat
Zitat von lois janeVergessen wir nicht, daß Erdogan selbst ein Opfer der türkischen Gesinnungsjustiz war und zunächst nicht kandidieren durfte.
Er wurde verurteilt, weil er öffentlich zustimmend zitiert hatte: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten." Ich bin zwar auch nicht dafür, Feinde der Freiheit hinter Gitter zu bringen, allein weil sie Feinde der Freiheit sind. Aber "Gesinnungsjustiz" ist das so sehr oder so wenig, wie wenn in Deutschland jemand wegen Volksverhetzung verurteilt wird.
Natürlich handelt es sich hier um Gesinnungsjustiz, denn hier wurde jemand für nichts weiter verurteilt (und nicht zu knapp bestraft), als daß er seine Meinung geäußert bzw. ein Gedicht rezitiert hat. Mag sein, daß es das in Deutschland auch gibt, aber das würde es keineswegs besser machen. Allerdings wüßte ich nicht, daß jemandem in Deutschland schon mal das Wahlrecht entzogen wurde! Wer eine solche Justiz hat, der brauch nach "Feinden der Freiheit" nicht mehr fahnden, denn sie sitzen in Amt und Roben.
Zitat von lois janeVermuten und spekulieren können wir beide, beide gleichermaßen unbelegt - nur halte ich eben meine Überlebung für begründeter als sich monokausal zu versteifen.
Ihre Überlebung, liebe Lois Jane, ist nicht nur begründet, sondern - jedenfalls von mir - in diesem Forum höchst erwünscht.
Mal versteift man sich mal, mal geht es lockerer zu. So sollten Diskussionen sein.
Zitat von lois janeVermuten und spekulieren können wir beide, beide gleichermaßen unbelegt - nur halte ich eben meine Überlebung für begründeter als sich monokausal zu versteifen.
Ihre Überlebung, liebe Lois Jane, ist nicht nur begründet, sondern - jedenfalls von mir - in diesem Forum höchst erwünscht. Mal versteift man sich mal, mal geht es lockerer zu. So sollten Diskussionen sein. Herzlich, Zettel
Die Türkei stimmt heute (12.09.2010) nach 30 Jahren in einem Volksentscheid über neue Verfassung ab. Über die Verfassungsänderung (26 Artikel) kann nur als ganzes Paket abgestimmt werden.
Zitat Zitat Zettel: Nach Aussage von Toprak wurde auf der Veranstaltung offen gesagt, daß "Deutsch-Türken die Interessen des türkischen Staates vertreten sollten".
Braucht Erdogan die Stimmen der zig-Millionen Türken und Türkdeutschen in Deutschland und Europa? Die türkische Verfassungsabstimmung so die Prognosen, wird voraussichtlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Da Herr Erdogan seines Zeichens wirklich ein, wenn auch emotionaler, Vollblutpolitiker/Machtmensch ist und (übrigens auch Ehrenbürger von Teheran) wird er nichts dem Zufall überlassen wollen.
Ein wesentlicher Punkt soll sein, den Einfluss des Militärs auf Politik und Justiz zu verringern. ( Dieses putschte sich zuletzt am 12. September 1980 zum dritten Mal an die Macht und verhängte Kriegsrecht über das Land, wechselnde politische Koalitionen, politische und wirtschaftliche Instabilität und Terrorakte durch extrem rechte und linke waren hierbei der Auslöser).
Über die Verfassungsänderung streiten sich erbittert und emotional die kemalistisch und laizistisch Orientierten und die regierende religiös-konservative AKP .
Es wird befürchtet, das der Einfluss des Parlaments auf die obersten Richter und Staatsanwälte mit der Verfassungsänderung gestärkt werden, denn einige Artikel betreffen die Justiz. Erdogan verkauft in seinen Reden das komplette Paket als Standbein für einen Beitritt in die EU und diese soll schon gelobt haben für einen "Schritt in die richtige Richtung".
Das wird sich aber erst noch erweisen, wenn die neue Verfassung komplett zu lesen ist (ich habe da noch nichts gefunden) und wenn die Umsetzung alle Vor- und Nachteile aufzeigt.
Da wäre zum Beispiel Religion und Staat weiterhin von einander zu trennen, was das türkische Verfassungsgericht bis jetzt sehr genau befolgt. (U.a. keine Kopftücher an höheren Bildungseinrichtungen) Wohl ein Grund warum Erdogan seine Tochter im Ausland studieren lies. Alle Bemühungen der AKP das Kopftuchverbot zu kippen waren erfolglos. Angeblich soll mit der neuen Verfassung nun ein weiterer Anlauf genommen werden.
Der für den heutigen Sonntag zur Abstimmung gestellte Verfassungsvorschlag der AKP beinhaltet Paragraphen zur stärkeren demokratischen Kontrolle von Justiz und Militärführung vor. Bisher können Generäle, autoritäre kemalistische Parteien und Richter Menschen- und Bürgerrechte der Bevölkerung jederzeit außer Kraft setzen. Bürger- und Menschenrechtsbewegungen werden diese Änderung sicher begrüßen, aber „was man mit der „Vorderfront aufbaut, kann ganz schnell mit der „Rückhand“ wieder eingerissen werden und diese Befürchtung besteht eben bei einer Abstimmung, die nur über ein Gesamtpaket stattfindet. Deshalb ist ein Abstimmungsergebnis bis jetzt total offen. Eins steht jedenfalls fest, wenn die türkischen Bürger heute mit "evet" oder "hayir" - ja oder nein abstimmen, hat es so oder so große Folgen.
Ein denkwürdiger Sonntag in der Türkei. Die Volksabstimmung ist zugunsten der AKP (besser gesagt zugunsten von Erdogan) entschieden. Knapp wie vorausgesagt, aber mit Sieg für die Verfassungsänderungen. Bezeichnend war schon der Druck, den Erdogan im Vorfeld über seine Landsleute ausübte für das "Ja-Kreuz".
Nach Auszählung fast aller Stimmen konkretisierten sich in der Nacht zum Montag Hochrechnungen, laut denen 58 Prozent der Abstimmenden sich für die Pläne von Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) ausgesprochen haben.(...) Kritiker: Wahre Vorhaben der Regierung verschleiert Dennoch haben die EU und westliche Verfassungsrechtler die geplanten Änderungen insgesamt als positive Entwicklung bezeichnet, die zu einer Demokratisierung der Türkei führen werden. Die innenpolitischen Gegner der im Islam verwurzelten AKP führten hingegen an, die harmlosen Abschnitte der Verfassungsänderungen seien nur Girlanden, die das Vorhaben der Regierenden verschleiern sollen, sich Zugriff auf die bisher kemalistisch dominierte Justiz zu verschaffen.(...) Laut den Hochrechnungen ließ sich bei dem Referendum das schon von Parlaments- und Lokalwahlen bekannte Muster erkennen: Im Westen der Türkei, so in der Stadt Izmir, wo die AKP bisher auch bei Parlamentswahlen keinen Erfolg hatte, sprach sich eine Mehrheit gegen die Änderungen aus. Im den Hochburgen der AKP in Anatolien war die Zustimmung hingegen eindeutig. Anders sah es in kurdisch dominierten Gegenden Südostanatoliens aus, wo lokale Führer zu einem Boykott aufgerufen hatten. Obschon der Aufruf offenbar weitgehend befolgt wurde, war die Wahlbeteiligung bemerkenswert hoch. Sie betrug laut vorläufigen Angaben vom Montag um die 76 Prozent.
Erhebliche Machtkämpfe im Vorfeld, die in unseren Medien weitgehend ignoriert wurden, zeigen eine gespaltene Ansicht der Parteien und auch der Bevölkerung. Eine weibliche türkische Wählerin in Istanbul ist nicht von der neuen Verfassung überzeugt, weil, es gibt keine Absätze über die Rechte der Kurden, es gibt keine Absätze über Minderheitenrechte, es gibt keine Absätze über die kurdische Sprache, und auch über die Menschenrechte. Es gibt keine Absätze über die Abschaffung des obligatorischen Religionsunterrichts." Es steht zu befürchten, das die Fundamentalisten innerhalb des türkischen Islam, die von Kemal Pascha abgeschaffte Oberhoheit durch die Verfassungsänderung über Erdogan und seine AKP wieder eingerichtet wird. Hier galt bisher das mächtige Militärs als eine weitere Bastion der säkularen Kräfte.
Ja zu Reformen, diese sind längst überfällig, und politische Beobachter sind sich da einig, nur wer dem Land schon einmal den fundamentalen Islam und die Scharia aufzwingen wollte, dem glaubt man heute schwerlich eine Demokratie einzurichten, nahe den EU-Vorgaben. Das Erdogan sein eigenes "Süppchen kocht" ist wohl mittlerweile jedem klar geworden, nur weis noch keiner wie sie schmecken wird.
Während Herr Schäuble dem Herrn Erdogan nach der Rede in Köln 2008 eine demokratische Überzeugung bescheinigt, (mir fällt da grad der "lupenreine Demokrat" wieder ein), kam dagegen von Schäubles Parteikollegen Maria Böhmer und Armin Laschet Kritik, sowie auch CSU-Chef Erwin Huber. Hier noch mal zum nachlesen: n24
Was Herr Erdogan von Demokratie hält, wird indes auch hier deutlich:
Schon seit längerem sind die Medien des Dogan-Konzerns in der Auseinandersetzung um eine Islamisierung des Landes durch die regierende AKP zur wichtigsten Opposition gegen Ministerpräsident Tayyip Erdogan geworden. Das gespannte Verhältnis zwischen Erdogan und der Dogan-Holding spitzte sich Anfang des Jahres noch einmal dramatisch zu, als die Zeitungen des Konzerns, allen voran Hürriyet, groß über einen Korruptionsskandal berichteten, in den auch Personen aus dem engeren Umfeld Erdogans verwickelt sein sollen. Es ging um den Verein Leuchtturm, einen Ableger einer islamischen Wohltätigkeitsorganisation in Deutschland, der unter Migranten Millionen für wohltätige Zwecke eingesammelt hatte, die dann in großen Teilen zweckentfremdet wurden, wie es ein Frankfurter Gericht befand. Erdogan ging Aydin Dogan, den Chef der Holding, daraufhin öffentlich an und rief seine Anhänger dazu auf, keine Zeitungen des Konzerns mehr zu kaufen. Als Hürriyet von diesem Aufruf unbeeindruckt blieb, kam im Februar zum ersten Mal das Finanzamt. Weil angeblich Steuern, die bei einem Verkauf von Anteilen an den Axel-Springer-Konzern angefallen waren, einige Tage zu spät gezahlt worden sein sollen, erhielt Dogan Medien bereits damals einen Strafbescheid in Höhe von knapp 500 Millionen Euro. Als der Konzern daraufhin klagte, wurde er gezwungen, mehr als die umstrittene Summe auf einem Sicherungskonto zu hinterlegen, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Das hatte bereits zu erheblichen Liquiditätsengpässen geführt, auch angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise bei der Dogan-Holding.
... und auch hier, denn es war keine gewöhnliche "offizielle" Einladung von der auch die Botschaften gewußt hätten, geschweige denn Zutritt erhielten:
Zitat Aufregung um Treffen in Istanbul Erdogan umgarnt deutsch-türkische Politiker
"Das war eine ganz klare Lobbyveranstaltung der türkischen Regierung" Teilnehmer berichteten SPIEGEL ONLINE weiter, dass der türkische Premier dann den Satz wiederholte, der schon vor zwei Jahren bei seiner Rede in Köln 2008 für heftige Kritik gesorgt hatte. "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Und eine noch schärfere Formulierung hatte die türkische Regierung den Angaben von Ali Ertan Toprak, stellvertretender Vorsitzender der Alevitischen Gemeinde in Deutschland, zufolge parat: "Wir müssen die europäische Kultur mit der türkischen impfen." Welches Verständnis die türkische Regierung von deutschen Abgeordneten hat, wurde schon in der Einladung zu der Veranstaltung deutlich, die im Auftrag des türkischen Staatsministers Çelik geschrieben wurde. Deutsche Parlamentarier wurden dort als "meine verehrten Abgeordneten" angesprochen, Erdogan als "unser Premierminister" bezeichnet. Türkischstämmige Politiker und Religionsvertreter in Deutschland üben jetzt deshalb scharfe Kritik an Ankara: "Das war eine ganz klare Lobbyveranstaltung der türkischen Regierung", sagt Ali Ertan Toprak, der bei dem Essen war.
(...)Der Augenzeuge Ali Ertan Toprak, Vizepräsident der Alevitischen Gemeinde Deutschlands, berichtete, dass den 1500-2000 anwesenden Politikern eingeflößt wurde, die europäische Kultur mit der türkischen zu "impfen". Um diese Länder zu "türkisieren". Es kam nur ein Redner aus Deutschland zu Wort, und zwar der stellvertretende Generalsekretär von Milli Görüs, Mustafa Yeneroglu. Müßig zu erwähnen, dass diese Organisation in Deutschland vom Verfassungsschutz wegen demokratiegefährdenden Aktivitäten überwacht wird. Erdogan stellte unmissverständlich klar, dass aus seiner Sicht "Islamophobie" ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sei. Mit der Erfindung dieses Kampfbegriffs durch Ayatollah Khomeini soll die Islamkritik im Keim erstickt werden. Ein wichtiger Bestandteil für Erdogans Gesamtstrategie, um Deutschland von der Türkei aus islamisieren und türkisieren zu können.(...) Der strenggläubige Moslem Erdogan darf mit Sicherheit als Fundamentalist eingeordnet werden. Als Jugendlicher war er Mitglied in der radikalen islamistischen Organisation Akincilar Dernegi. Erdogan gilt als politischer Ziehsohn Necmettin Erbakans und gehörte auch der Milli-Görüs-Bewegung an. Von 1994-1998 war er Istanbuls Bürgermeister und stellvertretender Vorsitzender der Wohlfahrtspartei RP, der Sympathien zum Dschihad und zur Einführung der Scharia vorgeworfen wurden. Diese Partei wurde 1998 vom türkischen Verfassungsgericht verboten. Erdogan wurde mit lebenslangem Politikverbot belegt und wanderte für zehn Monate in den Knast. Der Grund für die Verurteilung war eine Rede mit den legendären Sätzen: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten".(...)
Und auch diese neuerliche Aussage von Herrn Erdogan ist bezeichnend:
Nach dem Streit um neue Völkermord-Resolutionen hat der türkische Ministerpräsident Erdogan 100 000 illegal im Land lebenden Armeniern mit Ausweisung gedroht. Er sagte: „Ich muss sie nicht in meinem Land dulden." In einem Interview mit dem türkischen Programm der BBC sagte der Regierungschef, die jüngsten Resolutionen würden vor allem Armenien selbst schaden. Der Stockholmer Reichstag und der Auswärtige Ausschuss im US-Repräsentantenhaus hatten die Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich als Genozid bewertet und damit das Verhältnis zur Türkei belastet.
„Schauen Sie, in meinem Land leben etwa 170 000 Armenier. Davon sind 70 000 meine Bürger, die anderen 100 000 sind nur zeitweise in unserem Land“, sagte Recep Tayyip Erdogan in dem Interview, über das türkische Medien am Mittwoch berichteten. „Was werde ich machen? Wenn es nötig ist, sage ich diesen 100 000: Los, zurück in euer Land. Das werde ich machen. Warum? Sie sind nicht meine Bürger. Ich muss sie nicht in meinem Land dulden.“
Was auch immer die Verfassungsänderung bewirken mag, wir werden als 5. Kolonne betroffen sein.
Ergänzend zur Abstimmung in der Türkei möchte ich noch den Artikel, von der von mir sehr geschätzten Dr. Gudrun Eussner, ans Herz legen. Sie bringt es viel besser auf den Punkt, als ich es je könnte.
Zitat (...) Das Pressebüro des Recep Tayyip Erdogan listet die Fürsprecher auf. Wie zum Hohn für die Verlierer der Abstimmung führt das Generaldirektorat für Presse und Information der Regierung in der Kopfzeile, rechts oben in der Ecke, den zeitunglesenden Mustafa Kemal Atatürk. Es ist nicht zufällig, daß in keinem der folgenden Beiträge das Abstimmungsverhältnis genannt wird, es beträgt 57,6 Prozent für die Verfassungsänderung. Wer nun meint, wenigstens in den deutschen und französischen MSM den Prozentsatz der Neinstimmen zu finden, der darf lange suchen.(...)
(...) Nun ist die US-Regierung belehrt, das Abstimmungsergebnis habe geholfen, den Nebel in Washington aufzulösen, wer die Reformen als enger Verbündeter leiten wird, nämlich die AKP und Recep Tayyip Erdogan. Das Nein der Türkei im UN-Sicherheitsrat, in der vierten Runde der Sanktionen gegen den Iran, und die sich verschlechternden Beziehungen Ankaras zu der Hard-Liner Regierung Israels würden es Barack Obama schwer machen, die Skeptiker im Kongreß zur Lieferung von dringend benötigten Hochtechnologie-Waffen an die Türkei zu überzeugen. (...)
(...)Der Autor ruft die USA zur Ordnung, beide Seiten sollten zur Vernunft kommen, und da die Türkei soeben bewiesen hat, daß sie schon zur Vernunft gekommen ist, sind die USA in der Situation der Bringeschuld. Das ist islamische Politik, wie sie reiner nicht sein könnte: Forderungen an die andere Seite, gefolgt von Drohungen, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden. Die amerikanischen Freunde sollten aufhören in den "gloreichen alten Tagen" zu leben, in denen beide Länder in fast allem übereingekommen sind. Die USA stellten Forderungen, und die Türkei erfüllte sie. Damit ist nun Schluß. (...)
Zitat Da wäre zum Beispiel Religion und Staat weiterhin von einander zu trennen, was das türkische Verfassungsgericht bis jetzt sehr genau befolgt. (U.a. keine Kopftücher an höheren Bildungseinrichtungen) Wohl ein Grund warum Erdogan seine Tochter im Ausland studieren lies. Alle Bemühungen der AKP das Kopftuchverbot zu kippen waren erfolglos. Angeblich soll mit der neuen Verfassung nun ein weiterer Anlauf genommen werden.
Ja und nun ist es auch soweit. Herr Erdogan hat sich beeilt und ein "Herzensanliegen" nach Jahren erfolgreich abgeschlossen. Die Distanz zwischen Staat und Kirche wird wohl scheibchenweise verkürzt.
Umstrittene Verfassungsänderung Türkisches Parlament hebt Kopftuchverbot an Unis auf
Das türkische Parlament hat mit einer Verfassungsänderung das Kopftuchverbot an Hochschulen gekippt. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte in insgesamt vier Wahlgängen für eine Initiative der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und der nationalistischen Oppositionspartei MHP. Zehntausende demonstrieren in Ankara Die von der AKP seit Jahren geforderte Aufhebung des Kopftuchverbots stößt in der Türkei auch auf heftigen Widerstand - unter anderem den der mächtigen Armee. Die Gegner werfen der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor, eine schleichende Islamisierung zu betreiben und die von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk verfügte Trennung von Staat und Religion aufzuweichen. Zeitgleich zur Abstimmung im Parlament demonstrierten in Ankara zehntausende Menschen gegen die Aufhebung des Verbots. Die Demonstranten forderten, Staat und Religion müssten weiterhin getrennt bleiben.
Zitat von NolaJa und nun ist es auch soweit. Herr Erdogan hat sich beeilt und ein "Herzensanliegen" nach Jahren erfolgreich abgeschlossen. Die Distanz zwischen Staat und Kirche wird wohl scheibchenweise verkürzt.
Es gibt für Erdogan keine Distanz und erst recht keine Kirche.
Wir sollten allerdings bei aller Kritik an Erdogan nicht übersehen, dass die Islamisierung der Türkei von der EU und den USA gewünscht und auch finanziert wird. Es ist grotesk, dass die europäischen Türken, die gegen die Verfassungsreform gestimmt haben, von den Regierungen Europas allein gelassen werden. Diese Entwicklung wird noch weiter vorangetrieben werde. In diesem Licht betrachtet bedeutet die Rede Wulffs zur Deutschen Einheit auch der Wunsch einer beschleunigten Aufnahme der Türkei in die EU.
Zitat Da wäre zum Beispiel Religion und Staat weiterhin von einander zu trennen, was das türkische Verfassungsgericht bis jetzt sehr genau befolgt. (U.a. keine Kopftücher an höheren Bildungseinrichtungen) Wohl ein Grund warum Erdogan seine Tochter im Ausland studieren lies. Alle Bemühungen der AKP das Kopftuchverbot zu kippen waren erfolglos. Angeblich soll mit der neuen Verfassung nun ein weiterer Anlauf genommen werden.
Ja und nun ist es auch soweit. Herr Erdogan hat sich beeilt und ein "Herzensanliegen" nach Jahren erfolgreich abgeschlossen. Die Distanz zwischen Staat und Kirche wird wohl scheibchenweise verkürzt.
"Staat und Kirche" finde ich in diesem Zusammenhang eine unglückliche Formulierung. Abgesehen davon finde rechtliche Regelungen, die ohne Unterschied das sichtbare Tragen aller religlösen Symbole in öffentlichen Einrichtungen untersagen (wie es in französischen Schulen zu gelten scheint), absolut inakzeptabel, zumal wenn es im Kern der Sache um Kopftücher geht, der Gesetzgeber aber aus fadenscheinigen Gründen und mit hohlen Phrasen ("Trennung von Staat und Kirche") gleich mal alle andere Symbole mit verbietet.
Zitat ...die Islamisierung der Türkei von der EU und den USA gewünscht und auch finanziert wird.
Liebe C., das ist mir neu! Welches Interesse sollten EU und USA an so einer Entwicklung haben? Herzlich, Thomas
Ich verweise auf einen Artikel von Boris Kálnoky (dessen Meinung ich meistens nicht teile, der aber trotzdem gelegentlich ein paar Lichtblicke hat:
Zitat von KálnokyEiner der wichtigsten Gründe ist, dass sich die strategische Bedeutung der Türkei für die USA geändert hat. In der Zeit des Kalten Krieges, als kommunistische Agitatoren gezielt versuchten, das Nato-Land zu destabilisieren, sah Washington im türkischen Militär einen Stabilitätsgaranten. Vor diesem Hintergrund konnte das Militär gewählte Regierungen stürzen, viermal seit 1960.
Inzwischen hat sich die Welt geändert – der Kalte Krieg und dessen Logik sind Geschichte. An dessen Stelle ist ein globaler Konflikt der USA mit dem radikalen Islam getreten. Amerika braucht ein Vorzeigeland, ein Modell, um zu zeigen, dass der Islam nicht radikal sein muss, dass islamische Gesellschaften erst dann auch wirtschaftlich erfolgreich sein werden, wenn sie sich reformieren, demokratisch werden und sich mit Amerika verbünden. Wenn sie also so werden wie die moderne Türkei.
Damit das Beispiel überzeugt, müsste die Türkei natürlich ein tatsächlich islamisch geprägtes Land werden. Bislang war sie eher ein Beispiel dafür, wie man den Islam mit autoritären Mitteln politisch kastriert und danach ein einigermaßen erfolgreiches Land wird. Das war Atatürks Sichtweise.
Zitat von DWDie Europäische Union hat den Sieg der islamisch-konservativen AKP bei der Parlamentswahl in der Türkei begrüßt. Auch der Vatikan und die radikalislamische Palästinenserbewegung Hamas zeigten sich zufrieden.
Den einzigen von Kenntnis getrübten Kommentar gibt die Hamas ab:
Zitat Auch die islamistische Palästinenserbewegung Hamas begrüßte das Ergebnis. Damit zeige sich, dass die Menschen und Völker der Region sich wieder dem Islam anschlössen, sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri am Montag in Gaza. Die "islamische Nation" sei überzeugt, dass sie keine Zukunft habe, wenn sie sich nicht für den Weg des Islam entscheide, hieß es weiter.
Wer sich etwas tiefergehend mit Erdogan und der AKP beschäftigt, wird feststellen, dass es hier nicht um eine moderate Form des Islam handelt, den Erdogan auch brüsk abstreitet, sondern dass die Annäherung an die EU benutzt wird, um das Militär auszuschalten, die einer Islamisierung im Weg steht.
über Erdogan mache ich mir keine Illusionen. Den Standpunkt der Hamas und Konsorten kann ich leicht verstehen, den des Vatikans mit Mühe, denn er scheint den Islam als Religion, wie es das Christentum auch sein sollte, im Kampf mit dem Säkularismus zu sehen. Die EU hingegen scheint der Ansicht zu sein, daß der Wahlerfolg der AKP die Demokratie in der Türkei gefestigt habe und nicht einer radikalen Partei die Macht über die Justiz gegeben hätte; die übliche rosa Brille halt. Die Amerikaner scheinen die Türkei als Verbündeten in dieser explosiven Region zu sehen, als letzten Verbündeteten Israels. Um dies zu zementieren erfolgte der große Druck auf die EU, die Türkei aufzunehmen. Soweit, so logisch. Aber ist dies noch eine stimmige Strategie? Wird sie noch verfolgt? Kann es denn so etwas geben wie eine von einer radikalislamischen Partei dominierte Republik? Kálnoky schreibt "...Wenn sie also so werden wie die moderne Türkei." Müßte man nicht ergänzen "...gestern noch war."?
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