Online findet man die Beratungen leider nicht, aber ich habe mir die Beratungen des Hauptausschusses heute in der Bibliothek ausgeliehen. Da sie sehr lang sind, zitiere ich nur auszugsweise.
Vorsitzender Dr. Schmid: [...]Wir kommen nun zu Abschnitt VI Der Bundespräsident Zunächst haben wir uns darüber schlüssig zu werden, welche Vorlage wir der Erörterung zu Grunde legen wollen. Ich habe vor mir eine Sammlung von Beschlüssen des Organisationsausschusses, Stand vom 10. November 1948(PR. 11. 48 - 303), und ein kleines Blatt, das zwei Artikel in der Formulierung des Allgemeinen Redaktionsausschusses enthält. - Herr Zinn, ist das alles, was der Redaktionsausschuss uns zur Verfügung stellen kann?
Zinn(SPD): Im Augenblick, ja. Wir wußten nicht, daß der Abschnitt VI Der Bundespräsident schon heute behandelt werden soll.
[...] Vorsitzender Dr. Schmid: Unter diesen Umständen schlage ich vor, als Vorlage die Beschlüsse des Organisationsausschusses zu nehmen; sie sind jedenfalls die vollständigeren.Ich nehme an, es wird noch eine Reihe von Abänderungsanträgen kommen. Ich rufe auf
Artikel 75 (1) Der Bundespräsident wird durch übereinstimmenden Beschluss des Bundestags und der Länderkammer gewählt. Es wird zunächst im Bundestag, sodann in der Länderkammer abgestimmt. Gewählt ist, wer in beiden Kammern die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder erhält. (2) Ist die Übereinstimmung beider Kammern auch in einem zweiten Wahlgang nicht zu erziehlen, so tritt eine besondere Wahlversammlung zusammen, die aus den Mitgliedern der Länderkammer und aus einer durch den Bundestag aus seiner Mitte gewählten gleichen Zahl von Vertretern besteht. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder erhält, aus denen sich diese Versammlung zusammensetzt. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen nicht erreicht, so findet ein dritter Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. (3) Wählbar ist jeder Bundesangehörige, der das 40. Lebensjahr vollendet hat und nicht vom Wahlrecht zum Bundestag ausgeschlossen ist.
Dr. Katz(SPD):Ich weiß nicht, ob der Vertreter der FDP sich zu Wort melden und den Antrag begründen wird, den seine Fraktion vorgelegt hat. Die Fraktion der SPD ist bereit, dem Artikel 75 in der Fassung der FDP zuzustimmen. Ich möchte den Antrag nicht verlesen, weil er ja nicht von uns gestellt ist, sondern nur erklären, daß meine Fraktion ihm zustimmt[...Außerdem Vorschlag das Amt als Übergangsbestimmung bis zu einer Einführung durch einfaches Bundesgesetz vakant zu lassen...]
Dr. Dehler(FDP): Der Vorschlag des Organisationsausschusses und der Entwurf von Herrenchimsee sieht für die Wahl des Bundespräsidenten folgende Form vor: getrennte Abstimmung im Bundestag und in der Länderkammer[...] Wir halten diese Regelung nicht für glücklich und auch politisch nicht für zweckmäßig. Ein Bundespräsident soll ein breiteres Fundament haben. Wenn schon kein plebiszitärer Bundespräsident erwünscht ist, so soll er doch - darin sind wir uns wohl alle einig - von dem Vertrauen einer größeren Zahl von Vertretern des Volkes getragen werden. Daher schlagen wir vor, dass ein Nationalkonvent, eine Bundesversammlung zusammentritt [...] Wenn Klarheit über den Bundesrat besteht, kann man die Formulierung des Redaktionsausschusses (PR. 11. 48 - 283) unserer Beratung zu Grunde legen Sie lautet: (1) Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung ohne Aussprache gewählt. (2) Die Bundesversammlung besteht aus
a) den Mitgliedern des Bundestages b) den Mitgliedern des Bundesrates c) von den Volksvertretungen der Länder gewählten Mitgliedern, deren Zahl der Mitgliederzahl des Bundestages, vermindert um die Mitgliederzahl des Bundesrates entspricht. Wählbar ist, wer das Wahlrecht zum Bundestag hat. Das nähere regelt ein Gesetz.
Walter(CDU): Die Fraktion der CDU lehnt in Übereinstimmung mit den übrigen Fraktionen die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk ab. [...] wie in anderen großen Staaten, z.B. wie in Frankreich von einer Art Nationalkonvent gewählt wird [...] Fassung [...] Organisationsausschuss [...] jedoch erscheint ihr die Wahlbasis etwas zu schmal [...] Falls [...] keine Mehrheit [...] bereit [...] endgültige Stellungnahme [...] vorbehalten [...] erst heute Morgen bekommen [...] von Herrn Dehler soeben verlesenen Vorschlag des Redaktionsausschusses beizutreten. [...] Antrag [...] auf je 150000 Einwohner ein Abgeordneter [...] voraussichtlich ablehnen.
Vorsitzender Dr. Schmid: Es liegt zunächst ein Abänderungsantrag der FDP-Fraktion vom 18. November 1948 (PR. 11. 48-296) vor: (1) Der Bundespräsident wird von einem National-Konvent gewählt,, der sich aus den Mitgliedern des Bundestages und gewählten Vertretern der Länder zusammensetzt. (2) Die Vertreter der Länder zum National-Konvent werden von den Landtagen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt. Auf je 150000 Einwohner eines Landes sowie auf die letzten überschießenden mindestens 75000 Einwohner entfällt dabei ein Vertreter. (3) Zum Bundespräsidenten gewählt ist, wer die Mehrheit der gesetzlichen Stimmenzahl erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen nicht erreicht, so findet ein dritter Wahlgang statt, in dem derjenig gewählt ist, der die meisten Stimmen erhält. Bei Stimmengleichheit entscheidet da Los. (4) Wählbar ist jeder Bundesangehörige, der das 40. Lebensjahr vollendet hat und nicht vom Wahlrecht zum Bundestag ausgeschlossen ist.
Dr. Katz: Die Fraktion der SPD macht sich den Vorschlag der FDP zu eigen, mit einer ganz geringfügigen Änderung. In Absatz 3 soll der letzte Satz "Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los" gestrichen werden. [...] unwürdig [...] weitere Wahl stattfinden muss [...] nehme an [...] FDP [...] einverstanden ist.
Dr. Finck(CDU) : [...] drei Anträge [...] Klarheit über die Zusammensetzung der Länderkammer [...] Voraussetzungen noch nicht geklärt [...] Diskussion über den Artikel 75 zurückstellen [...]
Schönfelder(SPD):[...]Vorschlag des Organisationsausschusses [...] großen Fehler [...] Mitglieder des Bundestages sollen aus seiner Mitte gewählt werden. Es müsste näher bestimmt werden, wie. Sonst könnte eine Bundestagsmehrheit nur Anhänger einer Richtung wählen. Damit wäre die Wahl des Bundespräsidenten bereits entschieden
[...]
Vorsitzender Dr. Schmid:Dann lasse ich über den Antrag auf Aussetzung der Beschlussfassung abstimmen. - Der Antrag ist mit 8 Stimmen bei Stimmenthaltung der übrigen Mitglieder angenommen. [...] Organisationsausschuss [...] heute nachmittag [...] und daß am Freitag vormittag weiterberaten und abgestimmt wird.[...]
2 Sitzungen später:
Vorsitzender Dr. Schmid: [...] Ich schlage vor, dass wir nunmehr die beiden Artikel aus dem Abschnitt VI Der Bundespräsident behandeln[...]
Dr. Katz(SPD): Der Organisationsausschuss [...] neue Fassung [...] möglichst breite, volkstümliche Basis [...] Recht der Länder gesichert [...] Der Vorschlag des Organisationsausschusses (PR. 11. 48 - 304) lautet: Artikel 75: (1) Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt (2) Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. (3) Das nähere regelt ein Bundesgesetz (4) Die Bundesversammlung tritt spätestens dreißig Tage vor Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach diesem Zeitpunkt zusammen. Sie wird von dem Präsidenten des Bundestages einberufen. (5) Ist die Wahlperiode des Bundestags abgelaufen oder der Bundestag aufgelöst, so beginnt die Frist des Absatzes 4 Satz 1 mit dem erstmaligen Zusammentritt des Bundestages (6) Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder der Bundesversammlung erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen von keinem Bewerber erreicht, so findet ein dritter Wahlgang statt, in dem derjenige gewählt ist, der die meisten Stimmen erhält. (7) Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und das 40. Lebensjahr vollendet hat. [...] Entscheidung durch das Los gestrichen [...] weiteren Wahlgang [...] Das braucht im Grundgesetz gar nicht erwähnt zu werden [...] nicht einstimmig, sondern mit 7 gegen 5 Stimmen gefasst hat [...] 12 stimmberechtigte Mitglieder.
Walter(CDU):[...] Wir halten die Mitwirkung des Bundesrats bei diesem äußerst wichtigen Staatsakt für unbedingt notwendig. Es bestand unter allen Parteien Einmütigkeit darüber, daß der Bundesrat bei der Wahl des Bundespräsidenten mitbestimmen soll, sei es in einem eigenen Wahlkörper, sei es in dem Nationalkonvent. Ich weiß eigentlich nicht, welche Gründe die Antragsteller und die Mehrheit des Organisationsausschusses veranlaßt haben, den Bundesrat aus dem Wahlakt auszuschalten. Je breiter die Basis ist, desto besser. [...]
Dr. Heuss(FDP):[...] Der Bundesrat ist, wenn er so gestaltet wird, wie er hier gedacht ist, eine an die Instruktionen gebundene Vertretung. Er ist seiner Struktur nach etwas von den Elektoren, von den Abgeordneten, vollkommen verschiedenes. Der Bundesrat ist ziffernmäßig verglichen mit der Gesamtzahl des Nationalkonvents unbedeutend. Damit wird sein Ansehen in der größeren Versammlung von vornherein geschwächt. Er tritt zwischen die vielen frei gewählten Leute. Die Ausweitung der Basis für die Wahl des Bundespräsidenten hat auch den Zweck, ihn etwas stärker von den Organen der Legislative abzuheben. Auch die innere Logik scheint mir dafür zu sprechen, daß der Bundesrat bei der Wahl des Bundespräsidenten nicht von den Länderregierungen gelenkt wird. Nicht die einzelne Landesregierung, sondern das Land soll durch von seinem Landtag gewählte Mitglieder vertreten sein. [...]
[...]
Dr. Lehr(CDU): [...]In der jetzigen Fassung hat die zweite Kammmer an Gewicht entschieden verloren. Ich halte das nicht für richtig. Ich halte Grundsätzlich die Vollberechtigung der zweiten Kammer in jeder Beziehung für notwendig. [...] Zusatz, daß der Bundespräsident des ausdrücklichen Vertrauens des Bundesrates bedarf[...]
Dr. Heuss(FDP): Was passiert nun, wenn der Bundesrat dem Bundespräsidenten das Vertrauen nicht ausspricht? [...]
[...]
Vorsitzender Dr. Schmid: Das ist wohl der weitestgehende Antrag. Er lautet:
Der Bundespräsident wird durch übereinstimmenden Beschluß des Bundestags und des Bundesrats gewählt. Es wird zunächst im Bundestag, sodann im Bundesrat abgestimmt. Gewählt ist, wer in beiden Kammern die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder erhält.
Ich lasse abstimmen. - Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Es folgt die Abstimmung über den Antrag von Dr. Seebohm, der nach der Mitteilung des Antragsstellers nunmehr lautet:
Der Bundespräsident bedarf zu seiner Amtsübernahme der Zustimmung des Bundesrats.
Der Antrag bedeutet, daß zwei Kurien tätig werden sollen: die Wahlkurie und die Zustimmungskurie, welch letztere damit praktisch ein negatives Stimmrecht hat. Ich lasse darüber abstimmen. - Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. [...] Ich lasse über den Antrag auf Einfügung von b: "den Mitgliedern des Bundesrats" abstimmen. - Der Antrag ist mit 11 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Fassung des Organisationsausschusses für Artikel 75 Absatz 1 bis 3.
Renner (KPD): Ich möchte eine Erklärung abgeben. Ich stimme für diese Fassung nur deshalb, weil ich die Mitwirkung des Bundesrats für unmöglich halte.
Vorsitzender Dr. Schmid: Wir können über diese drei Absätze zusammen abstimmen, zumal die anderen Bestimmungen technischer Natur sind. - Die Absätze 1 bis 3 sind mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. Ich darf annehmen, dass die weiteren Absätze des Artikels 75 allgemeine Zustimmung finden. (Zustimmung) Damit ist Artikel 75 in der Fassung des Organisationsausschusses nach dem Stande vom 24. November 1948 angenommen. [...]
Das ist ziemlich genau ihre Vorstellung von der Bundesversammlung. Die Frage, wen die Landtage wählen würden scheint allerdings gar nicht bedacht worden zu sein.
Zitat von gelegentlicher BesucherOnline findet man die Beratungen leider nicht, aber ich habe mir die Beratungen des Hauptausschusses heute in der Bibliothek ausgeliehen. Da sie sehr lang sind, zitiere ich nur auszugsweise.
Ganz herzlichen Dank, lieber gelegentlicher Besucher, für die außerordentliche Mühe, die Sie sich mit dem Besorgen und der Aufarbeitung des Textes gemacht haben!
Daß ich mit meinem Urteil über die Motive dafür, dieses Verfassungsorgan Bundesversammlung so zu konstruieren, einigermaßen richtig lag, freut mich natürlich zusätzlich.
Es ist bemerkenswert, wie sachbezogen damals im Parlamentarischen Rat diskutiert wurde; wie man bereit war, auch die Argumente aus anderen Fraktionen nicht nur anzuhören, sondern ihnen auch zu folgen, wenn sie überzeugten.
Daß der Gedanke eines "Nationalkonvents" wesentlich aus der Fraktion der FDP kam, ist Grund zu einer zusätzlichen Freude. Er wurde laut dem Protokoll ja vor allem von Thomas Dehler verfochten, dem nach meinem Urteil bedeutendsten Liberalen der Nachkriegszeit.
Zitat von ZettelIm aktuellen "Spiegel" (23/2010; Titelgeschichte ab S. 18) wird der Ablauf genauso geschildert ... In dem sehr gut recherchierten "Spiegel"-Artikel ist von einem solchen Kuhhandel nicht die Rede ...
Wenn der Spiegel Behauptungen aufstellt, was angeblich hinter den Kulissen besprochen und vereinbart wurde - dann muß das noch lange nicht wahr sein.
Ob Merkel hier nun führungsstark war oder Getriebene, welchen Preis Westerwelle für die FDP-Zustimmung bekommen hat, ob Zensurulla jemals ernsthafte Kandidatin war - das wissen nur ganz wenige Leute, und die erzählen es weder dem Spiegel noch uns.
Zitat von R.A.Ob Merkel hier nun führungsstark war oder Getriebene, welchen Preis Westerwelle für die FDP-Zustimmung bekommen hat, ob Zensurulla jemals ernsthafte Kandidatin war - das wissen nur ganz wenige Leute, und die erzählen es weder dem Spiegel noch uns.
So sollte es eigentlich sein, lieber R.A. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so. Im politisch-journalistischen Komplex - ich habe dazu in anderen Beiträgen schon etwas geschrieben - wird alles ausgeplaudert. Der "Spiegel" zitiert in der aktuellen Ausgabe sogar wörtlich die SMS, die Gabriel an Merkel geschickt hat.
Die Medien liegen in immer härterer Konkurrenz, an solche Informationen zu kommen. Die Politiker hängen einerseits immer mehr von den Medien ab und sind deshalb bereit, für eine freundliche Berichterstattung so ungefähr jede Information herauszurücken. Und natürlich stecken die Politiker den Journalisten auch Informationen, von deren Verbreitung sie sich etwas versprechen.
Zitat von ZettelIm politisch-journalistischen Komplex - ich habe dazu in anderen Beiträgen schon etwas geschrieben - wird alles ausgeplaudert.
Es wird viel ausgeplaudert, sehr viel manchmal - aber nicht alles! Und das war nicht ausgeplaudert wird, das macht einen großen Unterschied.
Jeder Politiker will ja seine persönliche Sicht der Dinge in die Medien bringen. Und um die glaubhaft rüberzubringen, wird er den Journalisten möglichst viel authentisches Material bieten, incl. Insiderinformationen aller Art. Aber dabei läßt er natürlich weg, was der von ihm gewünschten Sicht widersprechen würde.
Beispiel Gabriel-SMS. Mal abgesehen davon, daß die als "Beweis" wenig taugt. Gabriel kann ja den Spiegel-Leuten sein Handy zeigen - das heißt noch nicht, daß er die SMS wirklich abgeschickt hat. Im konkreten Fall mag das aber durchaus der Fall gewesen sein.
Aber ich bin mir recht sicher, daß Gabriel den Journalisten eine andere Information verschwiegen hat. Nämlich daß er VOR Absenden der Mail schon ziemlich sicher sein konnte, daß die Kanzlerin sich schon festgelegt hat und ein anderer Kandidat als Gauck definiert war.
Denn eines ist ja klar: Gabriel ging es nicht darum, den besten Kandidaten für das Amt zu finden oder gar darum, eine Gemeinsamkeit der Demokraten zu finden. Er wollte der Regierung schaden. Falls Merkel Gauck vorgeschlagen hätte, hätten SPD (und Grüne) dieser Kandidatur vehement widersprochen. Denn der Verzicht auf eine eigene Kandidatur hätte bei der rot/grünen Basis Ärger gegeben, und außerdem wäre Gauck dann von links als reaktionärer, altbackener Antikommunist bezeichnet worden. Wenn Gauck Regierungskandidat geworden wäre, dann hätten SPD/Grüne die Frauenkarte gezogen.
Gabriels SMS mag authentisch sein - lenkt aber eigentlich von der SPD-Taktik ab. Was vom Spiegel natürlich gerne unterstützt wird.
Zitat von RA Denn eines ist ja klar: Gabriel ging es nicht darum, den besten Kandidaten für das Amt zu finden oder gar darum, eine Gemeinsamkeit der Demokraten zu finden.
Das ist auch so eine seltsame Sache. Gauck wurde aus parteitaktsichem Kalkül heraus nominiert wie wahrscheinlich kein anderer Kandidat zuvor. Und trotzdem kann sich Rot-Grün unwidersprochen hinstellen als habe sie über Parteigrenzen hinweg sehen wollen.
Zitat von R.A.Er wollte der Regierung schaden. Falls Merkel Gauck vorgeschlagen hätte, hätten SPD (und Grüne) dieser Kandidatur vehement widersprochen. Denn der Verzicht auf eine eigene Kandidatur hätte bei der rot/grünen Basis Ärger gegeben, und außerdem wäre Gauck dann von links als reaktionärer, altbackener Antikommunist bezeichnet worden. Wenn Gauck Regierungskandidat geworden wäre, dann hätten SPD/Grüne die Frauenkarte gezogen.
Gabriels SMS mag authentisch sein - lenkt aber eigentlich von der SPD-Taktik ab. Was vom Spiegel natürlich gerne unterstützt wird.
Ich stimme Ihnen zu, halte aber jedenfalls diesen "Spiegel"-Artikel nicht für einseitig.
Ob Gabriel und Trittin, der den Trick ausgeheckt hat (laut "Spiegel" ) noch hinter ihren Vorschlag zurückgekonnt hätten, wenn Merkel ihn angenommen hätte, weiß ich nicht; ich halte es für unwahrscheinlich.
Aber mir geht es auch mehr um das ganze Verfahren - auf beiden Seiten -, die Kandidaten für das höchste Staatsamt im kleinsten Kreis hinter verschlossenen Türen auszukungeln. Und ich sehe einen Zusammenhang mit dem politisch-journalistischen Komplex, weil eben jeder längere Diskussionsprozeß durch Intrigen und Indiskretionen gestört wird.
Das, lieber R.A., ist meine These in diesem Artikel: So kritisierenswert das ist - ich habe es ja hart kritisiert -, es könnte die Antwort auf dieses Berliner Biotop sein.
Zitat "Er spricht von der Vergangenheit immer als Totalitarismus. Er setzt links und rechts gleich und verharmlost damit das Hitler-Regime“, sagte die Linke-Abgeordnete Katja Kipping am Donnerstag. Damit verharmlose der Bundespräsidentschaftskandidat von SPD und Grünen, Joachim Gauck, den Nationalsozialismus.
Zitat von ZettelIch stimme Ihnen zu, halte aber jedenfalls diesen "Spiegel"-Artikel nicht für einseitig.
Zum Artikel selber wollte ich gar nichts sagen - den habe ich nämlich nicht gelesen ;-) Aber auch der Spiegel kennt eben nicht die komplette Geschichte, es fehlen ihm wesentliche Details - aber in üblicher Manier konstruiert er dennoch eine durchgängige Geschichte. Bestimmt interessant zu lesen, aber man sollte es nicht 1:1 glauben.
Zitat Ob Gabriel und Trittin, der den Trick ausgeheckt hat (laut "Spiegel" ) noch hinter ihren Vorschlag zurückgekonnt hätten, wenn Merkel ihn angenommen hätte ...
Wohl nicht. Aber ich bin mir recht sicher, daß sie den Vorschlag erst dann geschickt haben, als im Kanzleramt schon alles entschieden war und Merkel bei Wulff und anderen im Wort stand. Die genaue zeitliche Einordnung der Gabriel-SMS in der Gesamtkommunikation ist m. E. wichtiger als der Wortlaut.
Wobei ich ja nicht weiß, wie die Kommunikationswege in Berlin üblicherweise sind. Aber wenn der Oppositionsführer der Kanzlerin in einer so wichtigen Sache einen ernst gemeinten Vorschlag macht - dann halte ich eine SMS für völlig unangemessen. Die Methode zeigt für mich schon, daß der Vorschlag nur ein taktisches Manöver war.
Zitat Aber mir geht es auch mehr um das ganze Verfahren - auf beiden Seiten -, die Kandidaten für das höchste Staatsamt im kleinsten Kreis hinter verschlossenen Türen auszukungeln.
Ein interessanter Aspekt. Wobei das natürlich nicht neu ist - ALLE bisherigen Kandidaten sind so ausgekungelt worden. Ich bin daher skeptisch, ob einer andere Vorgehensweise realistisch wäre.
Zitat von R.A.ALLE bisherigen Kandidaten sind so ausgekungelt worden. Ich bin daher skeptisch, ob einer andere Vorgehensweise realistisch wäre.
Ein solches Verfahren, wie es beide Seiten jetzt praktiziert haben, habe ich noch nicht erlebt. Die erste Kür eines Bundespräsidenten, die ich bewußt miterlebt habe, war die von Heinrich Lübke. Das war ein monatelanger, öffentlicher Prozeß.
Adenauer wollte Bundespräsident werden und hatte das öffentlich angekündigt Dann ließ er sich juristisches Material nach Cadenabbia in den Urlaub schicken, das ihn zu dem Ergebnis brachte, daß er das Amt nicht so politisch würde gestalten können, wie er sich vorgestellt hatte.
Dann brachte Adenauer Erhard öffentlich ins Spiel und lancierte, dieser hätte einer Kandidatur bereits zugestimmt, was glatt die Unwahrheit war. Erhard sollte als potentieller Kanzler und Nachfolger Adenauers aus dem Rennen geworfen werden. Erhard dementierte empört. Dann sollte, wenn ich mich recht erinnere, der getreue Heinrich Krone ran, und am Ende wurde Lübke der Kandidat der Union.
Auch bei den anderen Wahlen gab es Diskussionsprozesse zumindest innerparteilich. An einen Fall, daß der Kanzler oder daß zwei Partei- bzw. Fraktionsvorsitzende selbstherrlich entscheiden, kann ich mich nicht erinnern.
Zitat von ZettelEin solches Verfahren, wie es beide Seiten jetzt praktiziert haben, habe ich noch nicht erlebt.
Das liegt aber daran, daß wir noch nie einen solchen Zeitdruck hatten. Durch Köhlers völlig unerwarteten Rücktritt und die kurzen Fristen mußte vergleichsweise schnell entschieden werden. Nicht zuletzt, weil ja auch andere wichtige Sachen auf der Agenda stehen.
Es war aber immer so, daß der Bundespräsident letztlich von einer Handvoll wichtiger Leute ausgeschnapst wurde. Manchmal ging das recht geräuschlos. So z. B. als Rau sich von Schröder das Amt als Preis dafür zusichern ließ, endlich in NRW das Feld zu räumen. Das hat Schröder dann so entschieden und der grüne Koalitionspartner hatte das zu schlucken. Umgekehrt war es 1994 - da mußte Kohl seinen Erstkandidaten Heitmann zurückziehen und Herzog schicken. Mit viel öffentlicher Diskussion. Aber entschieden haben letztlich Kohl und wenige Unions-Größen.
Zitat von R.A.Das liegt aber daran, daß wir noch nie einen solchen Zeitdruck hatten. Durch Köhlers völlig unerwarteten Rücktritt und die kurzen Fristen mußte vergleichsweise schnell entschieden werden.
Das Grundgesetz, lieber R.A., schreibt vor, daß Kandidaten erst in der Bundesversammlung und aus dieser heraus nominiert werden.
Zitat von R.A.Umgekehrt war es 1994 - da mußte Kohl seinen Erstkandidaten Heitmann zurückziehen und Herzog schicken. Mit viel öffentlicher Diskussion. Aber entschieden haben letztlich Kohl und wenige Unions-Größen.
Jedenfalls wurde diskutiert. Nein, lieber R.A., ich bleibe bis zum Nachweis des Gegenteils dabei: Noch nie wurden die Kandidaten für das höchste Staatsamt so selbstherrlich von ein paar Leuten im Hauruck-Verfahren ausgeguckt. Und ich bleibe dabei, daß das eine Schande ist.
Es ist ein Zeichen dafür, wie die Entscheidungsprozesse auf den Kopf gestellt werden. Die Stränge verlaufen nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Selbst die Bundestagsfraktionen dürfen nur noch abnicken, was ihre Oberen beschlossen haben.
Zitat von ZettelEs ist ein Zeichen dafür, wie die Entscheidungsprozesse auf den Kopf gestellt werden. Die Stränge verlaufen nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Selbst die Bundestagsfraktionen dürfen nur noch abnicken, was ihre Oberen beschlossen haben.
Zitat von Wikipedia (Hervorhebungen: Herr)In der DDR verstand man unter demokratischem Zentralismus auch die Organisationsform der Massenorganisationen und des Staates in bewusstem agitatorischem Kontrast zum Führerprinzip und zur bürgerlichen Demokratie. Als Prinzipien wurden folgende Punkte beschrieben: - Wählbarkeit der Leitungen von unten nach oben - Auswahl der wählbaren Kandidaten durch die Leitung - Rechenschaftspflicht und Absetzbarkeit aller Leitungsorgane - ständige Kontrolle dieser Leitungsorgane durch die Wähler - Weisungsbefugnis übergeordneter gegenüber nachgeordneten Organen - Mitwirkung aller bei der Lösung aller grundlegenden Aufgaben
Scheint dem Politikverständnis von Frau Merkel recht nahe zu kommen.
Zitat von ZettelDas Grundgesetz, lieber R.A., schreibt vor, daß Kandidaten erst in der Bundesversammlung und aus dieser heraus nominiert werden.
Und das wird bestimmt auch korrekt passieren. Da das GG weiterhin vorschreibt, daß anschließend OHNE Aussprache gleich gewählt wird, geht das GG m. e. schon davon aus, daß die wesentlichen Klärungen vorher durchgeführt wurden und die Bundesversammlung das nur noch bestätigt.
Ich könnte mir jedenfalls nicht vorstellen, daß nach GG-Vorstellung in der Bundesversammlung irgendwelche Namen genannt werden, die vielleicht gar nicht jeder kennt und die für die Abstimmenden überraschend kämen ...
Zitat Nein, lieber R.A., ich bleibe bis zum Nachweis des Gegenteils dabei: Noch nie wurden die Kandidaten für das höchste Staatsamt so selbstherrlich von ein paar Leuten im Hauruck-Verfahren ausgeguckt.
Bei Hauruck stimme ich zu, aber das hat eben mit dem unüblichen Zeitdruck zu tun. Was "selbstherrlich" betrifft - die Kandidatur Rau war im Endeffekt eine einsame Entscheidung Schröders. Die wurde dann wohl im SPD-Bundesvorstand abgenickt, den Grünen wurde es nur mitgeteilt. Das halte ich schon für die maximale Form von Selbstherrlichkeit, da kommt selbst Merkel jetzt nicht mit. Ähnlich gilt das für einige von Kohl betriebenen Kandidaturen. Da mußte er sich teilweise ja nicht einmal mit einem Koalitionspartner abstimmen, weil die Union eine eigene Mehrheit hatte. Kohl war wirklich nicht für seinen basisdemokratischen Stil bekannt - insbesondere in solchen Personalfragen. Dito Adenauer, Sie haben die Vorgänge ja beschrieben. Da gab es etwas Hin und Her (wg. Prüfung der Machtbefugnisse), aber entschieden hat am Ende der Kanzler.
Zitat Und ich bleibe dabei, daß das eine Schande ist.
Ich kann das nachvollziehen, sehr glücklich bin ich mit diesen Prozessen auch nicht.
Aber wie schon dargelegt sind das keine neuen Vorgänge, sondern schon immer üblich. Und vielleicht auch nötig, eben weil es eine sehr sensible Personalentscheidung ist. Man kann es ja umgekehrt auch problematisch finden, wenn öffentlich alle möglichen Namen durchgehechelt werden und die Betroffenen dabei durchaus ohne eigenes Zutun beschädigt werden können.
Zitat Es ist ein Zeichen dafür, wie die Entscheidungsprozesse auf den Kopf gestellt werden. Die Stränge verlaufen nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten.
Da stimme ich grundsätzlich zu. Aber das ist ein allgemeines Problem unserer aktuellen Parteiendemokratie. Und es stört mich weniger in so einer Personalfrage (wo es eben vielleicht die beste Lösung sein könnte), als bei den Sachfragen - da wäre öffentliche Diskussion absolut nötig und eine Beschlußfassung von unten nach oben gerechtfertigt.
Zitat von ZettelDas Grundgesetz, lieber R.A., schreibt vor, daß Kandidaten erst in der Bundesversammlung und aus dieser heraus nominiert werden.
Und das wird bestimmt auch korrekt passieren. Da das GG weiterhin vorschreibt, daß anschließend OHNE Aussprache gleich gewählt wird, geht das GG m. e. schon davon aus, daß die wesentlichen Klärungen vorher durchgeführt wurden und die Bundesversammlung das nur noch bestätigt. Ich könnte mir jedenfalls nicht vorstellen, daß nach GG-Vorstellung in der Bundesversammlung irgendwelche Namen genannt werden, die vielleicht gar nicht jeder kennt und die für die Abstimmenden überraschend kämen ...
Hat es alles gegeben. 1954 wurden zum Beispiel Karl Dönitz, Prinz Ernst August von Hannover und Louis Ferdinand von Hohenzollern aus der Versammlung heraus nominiert. Sie bekam jeweils eine Stimme, vermutlich diejenige des sie Nominierenden.
Aber Sie haben natürlich Recht. Es wird Klärungen im Vorfeld geben müssen. Aber es bestand keine Notwendigkeit zu diesen Blitzentscheidungen auf beiden Seiten. Man hätte ruhig diskutieren und dann ein, zwei Wochen vor der Wahl die Kandidaten nominieren können. Wenn eben der politisch-journalistische Komplex nicht wäre, der einen solchen Diskussionsprozeß vermutlich in ein Intrigenspiel verwandelt hätte.
Herzlich, Zettel
PS: Man vergleiche das mit dem demokratischen Verfahren, über das in den USA die Präsidentschaftskandidaten gekürt werden. Natürlich hat der amerikanische Präsident mehr Macht als der deutsche Bundespräsident, aber das ist für das Selektionsverfahren nicht entscheidend.
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