Es gibt wenige Kommentatoren, mit denen ich so oft übereinstimme wie mit wie Charles Krauthammer. Das ist auch bei der WikiLeaks-Affäre wieder so.
Wie man zum Diebstahl der Dokumente und ihrer Ausschlachtung durch die Medien steht, ist die eine Seite. Das diskutieren wir hier ausführlich in zwei anderen Threads.
Daß diese Affäre die Hilflosigkeit der Regierung Obama in einem solchen Ausmaß vorführt, wie es sich immer mehr abzeichnet, das hätte selbst ich mit meiner pessimistischen Einschätzung des Präsidenten nicht für möglich gehalten.
Seit mehr als einer Woche beherrscht diese Affäre jetzt die Schlagzeilen, und Obama hat sich dazu noch immer nicht in einer Rede an die Nation oder wenigstens einer Pressekonferenz geäußert.
Diese Regierung wirkt wie gelähmt. So ruiniert man Vertrauen.
Werter Zettel, ich kann ihre Schlüsse in diesem Fall nicht nachvollziehen.
Zitat Erschreckend ist die Hilflosigkeit einer Supermacht, die nicht nur ihre eigenen Geheimnisse nicht schützen kann
Wie "geheim" sind diplomatische Berichte, auf die wohl zum Teil mehr als 2 Millionen Personen zugreifen konnten und die inhaltlich nicht brisanter sind als eine gewöhnliche Presseschau? Bei dem, was mir bislang zu Gesicht gekommen ist, kann ich die ganze Aufregung nicht nachvollziehen. Korrupte Regime sind korrupt, die Araber mögen die Iraner nicht (und schon gar nicht mit Atombombe) und die Wahl Niebels zum Entwicklungshilfeminister ist etwas "schräg": Wer hätte das gedacht? Wohl jeder aufmerksame Zeitungsleser. Mit den USA verbündete Diktatoren können nun also nachlesen, dass nicht nur westliche Journalisten sie für so korrupt halten, wie sie sind, sondern auch die US-Diplomaten. Wo soll da jetzt der Schaden sein?
Zitat sondern die auch noch der Welt zeigt, daß es keine Konsequenzen hat, wenn jemand ihre Geheimnisse verletzt - massiv, mutwillig und bösartig.).
Was hätte man denn tun sollen? Das Spiegel-Hochhaus bombadieren? Oder ein paar Redakteuren die gewohnte al-Masri-Behandlung angedeihen lassen? Und dafür, dass die gesamte US-Diplomatie tatenlos zugesehen hat (und nicht schon vorab persönlich versucht hat die Wogen zu glätten), gibt es keinen Anhaltspunkt. Das sind tausende gut ausgebildete Mitarbeiter, die Vollzeit dafür bezahlt werden, sowas wieder einzurenken. Haben die in der letzten Woche alle ihren Resturlaub abgefeiert?
Zitat Im Irak laufen Sunniten, die sich während des surge unter den Schutz der USA gestellt hatten, scharenweise zur Kaida über, weil sie um ihr Leben fürchten.
Und sie würden wohl genauso schnell wieder zur Baath-Partei überlaufen, falls die wieder an die Macht kommt.
Zitat Daß die Dokumente gestohlen werden konnten, hat den USA schwer geschadet. Es hat sie gedemütigt. Es hat - darauf weist Krauthammer besonders hin - ihre diplomatischen Möglichkeiten massiv beeinträchtigt
Welche diplomatischen Möglichkeiten sind denn nun nicht mehr vorhanden? Man kann den Iran bombadieren oder ihn weiter ungestört an seiner Bombe basteln lassen. Für beides Bedarf es weder der Zustimmung Ägyptens, noch Afghanistans noch Saudi-Arabiens. Und chinesische Einwände kann man ebenso gut ignorieren wie bei der Bombadierung Serbiens im Kosovo-Krieg. Eine friedliche Lösung des Palästinakonfliktes ist auch nicht unwahrscheinlicher geworden. Kaschmir ud Taiwan sind bisher nicht betroffen, um mal ein paar andere potentiell ungemütliche Orte zu nennen. Wo also genau sind jetzt den USA Möglichkeiten verwehrt, die vorher bestanden?
Zitat In Afghanistan regiert ein Präsident, der einmal ein Verbündeter der USA gewesen war und der sich zunehmend dorthin orientiert, wo nach deren Abzug die Macht sein wird - in Richtung Iran, in Richtung Peking.
In Afghanistan regiert eine von den USA eingesetzte Marionette. Seit diese seine Korruption (bzw. die seines Bruders und sonstiger Höflinge) nicht mehr uneingeschränkt decken, sucht er halt nach moralisch weniger anspruchsvollen Freunden (oder blufft zumindest mit der Möglichkeit). Ich wünsche ihm damit viel Vergnügen.
Zitat In Korea besteht die Gefahr eines Kriegs deshalb, weil Nordkorea zu der Überzeugung gelangt sein könnte, daß Südkorea im Fall eines Angriffs sich ebenso wenig auf Obama würde verlassen können, wie Maliki es im Irak kann und Karsai in Kabul. Wenn man den Süden erobern will, dann muß man das vor 2012 versuchen. Wer der nächste Präsident sein wird, ist ja ungewiß.
Falls die nordkoreanische Führung tatsächlich glaubt, den Süden militärisch erobern zu können, dann leidet sie an Realitätsverlust. Natürlich könnte man viel kaputtschlagen - vor allem, weil Seoul in Artilleriereichweite liegt -, aber eine Eroberung des Südens ist so wahrscheinlich wie ein Sieg Katars bei der WM 2022. Daher besteht auch keine wirkliche Gefahr eines echten Krieges: Der Süden will nicht, weil zuviel dabei kaputtgehen könnte und der Norden nicht, weil das Regime es nicht überleben würde. Der Austausch von Artilleriesalven ist letztlich auch nicht mehr als das Hornberger Schiessen: Folklore, hier mit ein paar Toten garniert. Es gab schon wesentlich schwerwiegendere Zwischenfälle mit mehr Opfern, vor allem auf See (z.B. hier: http://en.wikipedia.org/wiki/Second_Battle_of_Yeonpyeong, zu Zeiten des 2. Bush, der nun wirklich nicht als Appeasementpolitiker bekannt ist).
Zitat Seit mehr als einer Woche beherrscht diese Affäre jetzt die Schlagzeilen, und Obama hat sich dazu noch immer nicht in einer Rede an die Nation oder wenigstens einer Pressekonferenz geäußert. Diese Regierung wirkt wie gelähmt. So ruiniert man Vertrauen.
Ich weiß nicht, worauf Sie Vertrauen in Regierungen begründen. Ich vertraue ihnen Grundsätzlich nicht. Die französische Regierung hat Bombenanschläge in Neuseeland durchgeführt, die israelische bei einem Mordanschlag in Norwegen mal aus Versehen einen unschuldigen Kellner erlegt - das sind die "Demokratien", also "die Guten". Lybien, Nordkorea, Rußland & Co. traue ich auch noch ganz andere Dinge zu, wofür diese auch schon Beweise geliefert haben. Ihr Vertrauen zumindest in die US-Regierung scheint größer gewesen zu sein. Warum eigentlich? Und warum wird dieses nicht durch Lügen, Krieg und Terror erschüttert, die von dieser Regierung ausgehen, sondern durch das Ausbleiben von Pressekonferenzen?
Alles in allem kann ich Ihre inzwischen gehäufte Superlativierung bei der Ablehnung Obamas nachvollziehen. Ich kann verstehen, wenn man sich einen anderen Präsidenten gewünscht hätte oder gewisse Elemtente seiner (Außen- wie Innen-)Politik für falsch hält - das tue ich auch. Aber warum nun das Durchsickern von ein paar Außenamtsunterlagen ein GAU (=Größter anzunehmender Unfall) sein soll - pardon, nicht das Durchsickern, sondern die Reaktion des Präsidenten darauf -, das verstehe ich nun wirklich nicht. Mossadegh-Sturz, Schweinebucht, Tonking-Golf, USS Liberty, Pinochet, Iran-Contra, Angriffe auf Pharmafabriken (http://en.wikipedia.org/wiki/Al-Shifa_pharmaceutical_factory)... und der größte Schaden der US-Diplomatie sollen diese lächerlichen Wikileaksberichte sein?
Obama ist ein Präsident, der als innenpolitischer Held in die Geschichte eingehen will. Als derjenige, der die USA endlich zu einem sozialdemokratischen Land gemacht hat. Die Außen- und Sicherheitspolitik ist deshalb für ihn eher ein lästiges Pflichtprogramm, dessen Lasten nach Möglichkeit reduziert werden sollen. (Wenn ich mich recht erinnere stammt von Krauthammer in diesem Zusammenhang die These vom "decline as as choice" - der bewusste außenpolitische Rückzug setzt die Ressourcen frei, mit denen Obama sein innenpolitisches Wohlfahrtsprogramm alimentieren will. Eine Strategie, die ja auch die Europäer praktizieren.)
Leider läuft es innenpolitisch überhaupt nicht gut für Obama: Die Zwischenwahlen ein Desaster, der Arbeitsmarkt eine Katastrophe, der Haushalt auf Jahrzehnte ruiniert. Die eigenen Anhänger sind demoralisiert, das ganze Land wartet, ob und wie der Präsident sich jetzt neu aufstellt: Zieht er seinen bisherigen Kurs durch oder macht er den Clinton und schwenkt zur Mitte?
In dieser Situation ist das Thema Wikileaks wahrscheinlich PR-technisch kein Gewinnerthema. Die Hälfte der US-Wähler hat von den Details noch gar nichts mitbekommen und interessiert sich auch nicht dafür - Sottisen über die Westerwelles dieser Welt sind ja doch rund um den Pariser Platz tausendmal aufregender als in Illinois oder Ohio. Die andere Hälfte kennt das Problem, ist sich aber in der Beurteilung nicht einig; der Riss geht hier ja nicht nur durch das liberal-konservative Lager, sondern auch durch die Linke. Es ist also sehr fraglich, ob Obama innenpolitisch irgendetwas gewinnen kann, wenn er sich hier einmischt.
Ist das verantwortungslos? Natürlich. Aber den Friedensnobelpreis hat er ja schon.
Zitat von ForentouristWie "geheim" sind diplomatische Berichte, auf die wohl zum Teil mehr als 2 Millionen Personen zugreifen konnten und die inhaltlich nicht brisanter sind als eine gewöhnliche Presseschau? Bei dem, was mir bislang zu Gesicht gekommen ist, kann ich die ganze Aufregung nicht nachvollziehen. Korrupte Regime sind korrupt, die Araber mögen die Iraner nicht (und schon gar nicht mit Atombombe) und die Wahl Niebels zum Entwicklungshilfeminister ist etwas "schräg": Wer hätte das gedacht? Wohl jeder aufmerksame Zeitungsleser. Mit den USA verbündete Diktatoren können nun also nachlesen, dass nicht nur westliche Journalisten sie für so korrupt halten, wie sie sind, sondern auch die US-Diplomaten. Wo soll da jetzt der Schaden sein?
Ich habe das schon in meinen Artikeln zu beantworten versucht; auch wieder im jetzigen. Der Schaden liegt erstens in der Demütigung der USA, die "in Unterhosen" dastehen (der Ausdruck von Roger Köppel). Er liegt zweitens, was Krauthammer betont, darin, daß man weltweit jetzt keine offenen Gespräche mit US-Diplomaten mehr führen wird.
Viele arabische Staatsmänner sind zum Beispiel in einer schwierigen Situation. Sie fürchten den Iran und haben nichts gegen Israel, müssen aber auf die Stimmung in ihrem Land Rücksicht nehmen. Zitat aus Krauthammers Kolumne; es geht um den Schaden durch die Veröffentlichung:
Zitat First, quite specific damage to our war-fighting capacity. Take just one revelation among hundreds: The Yemeni president and deputy prime minister are quoted as saying that they're letting the United States bomb al-Qaeda in their country, while claiming that the bombing is the government's doing. Well, that cover is pretty well blown. And given the unpopularity of the Sanaa government's tenuous cooperation with us in the war against al-Qaeda, this will undoubtedly limit our freedom of action against its Yemeni branch, identified by the CIA as the most urgent terrorist threat to U.S. security.
Zitat von Forentourist
Zitat sondern die auch noch der Welt zeigt, daß es keine Konsequenzen hat, wenn jemand ihre Geheimnisse verletzt - massiv, mutwillig und bösartig.).
Was hätte man denn tun sollen? Das Spiegel-Hochhaus bombadieren? Oder ein paar Redakteuren die gewohnte al-Masri-Behandlung angedeihen lassen? Und dafür, dass die gesamte US-Diplomatie tatenlos zugesehen hat (und nicht schon vorab persönlich versucht hat die Wogen zu glätten), gibt es keinen Anhaltspunkt. Das sind tausende gut ausgebildete Mitarbeiter, die Vollzeit dafür bezahlt werden, sowas wieder einzurenken. Haben die in der letzten Woche alle ihren Resturlaub abgefeiert?
Auch dazu zitiere ich der Einfachheit halber Krauthammer selbst (was Sie zitieren, ist ja meine Übersetzung aus seiner Kolumne):
Zitat At a Monday news conference, Attorney General Eric Holder assured the nation that his people are diligently looking into possible legal action against WikiLeaks. Where has Holder been? The WikiLeaks exposure of Afghan war documents occurred five months ago. Holder is looking now at possible indictments? This is a country where a good prosecutor can indict a ham sandwich. Months after the first leak, Justice's thousands of lawyers have yet to prepare charges against Julian Assange and his confederates?
Throw the Espionage Act of 1917 at them. And if that is not adequate, if that law has been too constrained and watered down by subsequent Supreme Court rulings, then why hasn't the administration prepared new legislation adapted to these kinds of Internet-age violations of U.S. security? It's not as if we didn't know more leaks were coming. And that more leaks are coming still.
Welche rechtlichen Mittel es gibt, kann ich nicht beurteilen, lieber Forentourist. Ein Staat, der so mit sich umspringen läßt, wie das Asssange und Konsorten mit den USA tun, ohne sich mit allen rechtlichen Mitteln zu wehren - ein solcher Staat macht sich zum Gespött.
Was nicht das Schlimmste ist. Er zeigt aber vor allem Schwäche; was für eine Weltmacht tödlich ist. Er läßt sich auf der Nase herumtanzen wie ein Lehrer von unflätigen Schülern.
Zitat von Forentourist
Zitat Im Irak laufen Sunniten, die sich während des surge unter den Schutz der USA gestellt hatten, scharenweise zur Kaida über, weil sie um ihr Leben fürchten.
Und sie würden wohl genauso schnell wieder zur Baath-Partei überlaufen, falls die wieder an die Macht kommt.
In einem gebeutelten Land wie dem Irak kann man niemanden übelnehmen, wenn er zunächst einmal daran denkt, sein Leben und das seiner Angehörigen zu erhalten.
Hätte Obama die Politik von Präsident Bush fortgesetzt, der nie einen Zweifel daran gelassen hat, daß die USA nur dann abziehen werden, wenn das Land hinreichend stabil geworden ist, dann wäre eine Entwicklung zu (nach arabischen Maßstäben) demokratischen Verhältnissen möglich gewesen. Dann hätte der Irak sich auch des Iran erwehren können, der ja nicht gerade ein Bruderstaat ist.
Jetzt steht eines fest: Demnächst werden die letzten US-Truppen weg sein; egal, wie es dann im Irak aussieht. Also suchen alle ihr Heil in Allianzen; die Schiiten mit dem Iran und die Sunniten mit der Kaida.
Der Bürgerkrieg ist vorprogrammiert, und es wird Obamas Krieg sein. Ein Chirurg, der einen Patienten mit offenem Bauch liegen läßt, ist für dessen Tod verantwortlich. Auch wenn er die Operation nicht gewollt hatte und den Patienten von einem Kollegen übernommen hat.
Zitat von Forentourist
Zitat Daß die Dokumente gestohlen werden konnten, hat den USA schwer geschadet. Es hat sie gedemütigt. Es hat - darauf weist Krauthammer besonders hin - ihre diplomatischen Möglichkeiten massiv beeinträchtigt
Welche diplomatischen Möglichkeiten sind denn nun nicht mehr vorhanden?
Wie gesagt: Man wird weniger oder keine offenen Gespräche mit US-Diplomaten führen.
Zitat von Forentourist
Zitat In Afghanistan regiert ein Präsident, der einmal ein Verbündeter der USA gewesen war und der sich zunehmend dorthin orientiert, wo nach deren Abzug die Macht sein wird - in Richtung Iran, in Richtung Peking.
In Afghanistan regiert eine von den USA eingesetzte Marionette. Seit diese seine Korruption (bzw. die seines Bruders und sonstiger Höflinge) nicht mehr uneingeschränkt decken, sucht er halt nach moralisch weniger anspruchsvollen Freunden (oder blufft zumindest mit der Möglichkeit). Ich wünsche ihm damit viel Vergnügen.
Nennen Sie es, wie Sie wollen. Im Interesse der USA und in unserem Interesse liegt es, daß Afghanistan sich nach Westen orientiert und nicht in den Einflußbereich des Iran und/oder Chinas gerät. Es liegt in unserem Interesse, daß dort nicht die Taliban an die Macht zurückkehren und wieder einen safe haven für die Kaida bieten.
Zitat von Forentourist
Zitat In Korea besteht die Gefahr eines Kriegs deshalb, weil Nordkorea zu der Überzeugung gelangt sein könnte, daß Südkorea im Fall eines Angriffs sich ebenso wenig auf Obama würde verlassen können, wie Maliki es im Irak kann und Karsai in Kabul. Wenn man den Süden erobern will, dann muß man das vor 2012 versuchen. Wer der nächste Präsident sein wird, ist ja ungewiß.
Falls die nordkoreanische Führung tatsächlich glaubt, den Süden militärisch erobern zu können, dann leidet sie an Realitätsverlust.
Daran leidet sie vermutlich. Er dürfte nicht so weit gehen, daß man meint, es mit den USA aufnehmen zu können. Er könnte sehr wohl so weit gehen, zu glauben, daß man (mit der Atomwaffe und mit einer in nahezu allen Belangen überlegenen konventionellen Streitmacht) den Süden niederringen kann.
Ich habe ja nicht geschrieben, lieber Forentourist, daß das wahrscheinlich ist. Aber möglich ist es. Auch Hitler hatte solche Allmachtsvorstellungen, warum nicht die Dynastie Kim?
Zitat von Forentourist
Zitat Seit mehr als einer Woche beherrscht diese Affäre jetzt die Schlagzeilen, und Obama hat sich dazu noch immer nicht in einer Rede an die Nation oder wenigstens einer Pressekonferenz geäußert. Diese Regierung wirkt wie gelähmt. So ruiniert man Vertrauen.
Ich weiß nicht, worauf Sie Vertrauen in Regierungen begründen.
Ich meinte das Vertrauen der Amerikaner in die Fähigkeit ihrer Regierung, sie gegen Bedrohungen zu schützen. Ich meinte das Vertrauen von Verbündeten in die Bereitschaft der USA, sie zu schützen.
Herzlich, Zettel
PS: Das Wort vom GAU stammt nicht von mir. Googeln Sie einmal nach GAU WikiLeaks
Ich fürchte, dass die Außenpolitik fast genauso wichtig für Obama ist. Wohlgemerkt für Obama als Person, nicht als Präsident der Vereinigten Staaten. Er möchte derjenige sein, der mit pathetischen Reden nicht nur Frieden im Nahen Osten schafft, nein nichts geringeres als die Aussöhnung zwischen westlicher Welt (vor allem den USA) und der muslimischen Welt. Ihm ist der Applaus von Intellektuellen wichtiger als das Ergebnis an sich. Vielleicht ist ihm deshalb Diplomatie so egal, vielleicht sogar verhasst, den gute Diplomate zeigt sich in ihrer Wirkung und nicht umjubelnden Reden. Gute Diplomate liefert Ergebnisse, macht aber den Diplomaten nicht berühmt und bewundernd, all das was Obama braucht wie die Luft zum Atmen. Vielleicht ist ihm die WikiLeaks-Affäre deshalb so egal, vielleicht sogar willkommen, denn jetzt wird weniger im geheimen geredet, was mehr Spielraum lässt für große pathetische Reden - und das er diese liebt, ja das kann ich nach diesem höchst spekulativen Beitrag mit Fug und Recht behaupten.
ich stimme Ihnen völlig zu. So wenig ich Obama mag, so sehr kann ich sein "So what?" in dieser Sache nachvollziehen. Wie viel Vertrauen hat man eigentlich in eine Supermacht, wenn man sie durch ein paar veröffentlichte Depeschen gefärdet sieht?
Wenn man Zettels Maßstäbe anlegt, so hat es dieser Herr hier besser gemacht. Mir stellt sich hier eher die Frage, wer hier am Ende wirklich geschwächt wurde.
Eine weitere Sache, die mich wundert ist die, dass wikileaks-Veröffentlichungen wie diese (YouTube-Anmeldung erforderlich) hier überhaupt nicht erwähnt werden, auf Depeschen und Obama dafür umso mehr herumgeritten wird.
ich kann Ihren, bzw. Krauthammers Beitrag nur schwer nachvollziehen, außer Sie erklären, mit welchen Mitteln die Regierung Obama eine Veröffentlichung der Diplomatenpost hätte verhindern sollen. So ganz angenehm ist mir der Gadanke nicht, wenn eine 'Supermacht' mehr oder weniger offen aufgefordert wird, ihre Muskeln spielen zu lassen wegen einer Sache, die anscheinend eh so normal ist (Wesen der Diplomatie), dass sie kaum der Erwähnung wert zu sein scheint. Und die Muskeln spielen lassen wegen offensichtlich unfähigen US-Regierungen, die bis heute nicht in der Lage waren ein einigermaßen abgeschottetes System für ihre elektronisch verschickte Diplomatenpost zu installieren. Sollten tatsächlich zwei Mio User Zugriff auf die Diplomatenpost gehabt haben, dann ist es naiv, auf confidential/secret - Kennzeichnungen zu setzen oder pochen. Wer Informationen geheim halten will, darf seine Post nicht offen herumliegen lassen.
Das alles ist aber nicht von der Regierung Obama verbockt worden. Das sollte man fairerweise ab und zu erwähnen.
Lieber Herr Zettel, nachdem ich nun etwas tiefer in Ihre Gedanken- und Gefühlswelt eingetaucht bin, muß ich leider erkennen, daß ich hier wohl keine Zukunft habe. Konservativ und konservativ können eben sehr unterschiedlich sein. So mancher wird in seinem "Elfenbeinturm" doch recht lebensfremd. Ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft und wünsche Ihrer Arbeit alles Gute. "Hier wendet sich der Gast mit Grausen: "So kann ich hier nicht ferner hausen, Mein Freund kannst du nicht weiter sein. Die Götter wollen dein Verderben; Fort eil' ich, nicht mit dir zu sterben." Und sprach's und schiffte schnell sich ein." Mit freundlichen Grüßen "Nonkonformist" (Dies ist übrigens der Spottname, den man mir 1959 in der Abi-Zeitung verpaßt hat, in einem extrem katholisch-spießigen Milieu).
Ich schliesse mich dem Beitrag von Forentourist weitgehend an und erlaube mir die folgende Perle aus Krauthammer's Artikel der wie gewoehnlich reich an gut klingenden Formulierungen und duenn an wirkluchen Empfehlungen/Loesungen ist, herauszugreifen:
"The Yemeni president and deputy prime minister are quoted as saying that they're letting the United States bomb al-Qaeda in their country, while claiming that the bombing is the government's doing. Well, that cover is pretty well blown. And given the unpopularity of the Sanaa government's tenuous cooperation with us in the war against al-Qaeda, this will undoubtedly limit our freedom of action against its Yemeni branch, identified by the CIA as the most urgent terrorist threat to U.S. security."
OK, wir fassen also zusammen: Im Yemen befindet sich der "most urgent terrorist threat to U.S. security" und die Antwort der USA besteht darin dort Ziele zu bombardieren und diese Aktionen als von der Regierung des Yemen ausgefuehrt darzustellen? Was uebrigens auch vor Wikileaks kaum jemand geglaubt haben duerfte. Denn wie Krauthammer selber schreibt besteht ja "the unpopularity of the Sanaa government's tenuous cooperation with us in the war against al-Qaeda" - die Regierung des Yemen nahm es angeblich also ohne Druck und Hilfe von aussen (= USA) auf sich eine hoechst unpopulaere Politik zu verfolgen? Und das sollte erst durch Wikilekas bekannt geworden sein? Well, that cover couldn't be blown because it never existed in the first place. Und wie viel mehr "limited" kann der Handlungsspielraum der USA im Yemen sein wenn er auch bislang bereits nur auf vordergruendig der oertlichen Regierung in die Schuhe geschobenen Bombardierungen erstreckt? Und wir duch die Veroefftlichung des wahren Sachverhalts nicht eine viel effektivere Nachricht an die Terroristen im Yemen gesandt: "Wir die USA wissen wo ihr seid und werden euch bombardieren bis ihr keine Bedrohung mehr darstellt?" Ist es nicht diese Art von markiger Ansage die George W Bush angeblich so gut draufhatte und Obama laut Zettel, Krauthammer et al gar nicht hinkriegt?
Ansonsten: SIPRNET war eine Einrichtung der Bush-Administration bei der ein einfacher Obergefreiter der 10th Mountain Division Zugriff auf tausende von vertraulichen Dokumenten hatte. Wer glaubte dass dies gutgehen konnte? Und wie anders als durch Wikileaks waeren bspw Videos von US-Helikoptercrews die Zivilisten zum Spass niederschiessen in die Oeffentlichkeit gelangt?
Zitat von Martinich kann Ihren, bzw. Krauthammers Beitrag nur schwer nachvollziehen, außer Sie erklären, mit welchen Mitteln die Regierung Obama eine Veröffentlichung der Diplomatenpost hätte verhindern sollen.
Ich glaube eher nicht, lieber Martin, daß er dazu die Möglichkeit gehabt hätte. Er hätte sich aber so verhalten können, wie ich das mit meiner fiktiven Bush-Rede angedeutet habe.
Zitat von MartinSo ganz angenehm ist mir der Gadanke nicht, wenn eine 'Supermacht' mehr oder weniger offen aufgefordert wird, ihre Muskeln spielen zu lassen wegen einer Sache, die anscheinend eh so normal ist (Wesen der Diplomatie), dass sie kaum der Erwähnung wert zu sein scheint.
Die Sache ist normal, die Folgen der Publikation sind für die USA verheerend.
Seit einer Woche ist dies das Hauptthema nicht nur in den deutschen Medien ("Spiegel-Online" speist sich ja Tag für Tag daraus), sondern auch in den USA; zum Beispiel in der NYT (die übrigens von Assange den bevorzugten Zugriff auf sein Diebesgut nicht gewährt bekommen hat; es wird spekuliert, weil dort ein unfreundlicher Artikel über ihn erschienen war).
Es ist für eine Weltmacht von entscheidender Bedeutung, daß man sie ernst nimmt, daß sie nicht zum Gespött wird. Die USA werden nackt ausgezogen, und Obama wirkt so, als wolle er auch noch die andere Backe hinhalten.
Natürlich hat das keine sofortigen Folgen. Aber langfristig überlegt sich eben jeder Staatsmann, auf wen er setzt. Daß die USA nicht geliebt werden, ist nicht weiter schlimm. Wenn sie verachtet werden, dann ist fast schon alles verloren.
Zitat von MartinUnd die Muskeln spielen lassen wegen offensichtlich unfähigen US-Regierungen, die bis heute nicht in der Lage waren ein einigermaßen abgeschottetes System für ihre elektronisch verschickte Diplomatenpost zu installieren. Sollten tatsächlich zwei Mio User Zugriff auf die Diplomatenpost gehabt haben, dann ist es naiv, auf confidential/secret - Kennzeichnungen zu setzen oder pochen. Wer Informationen geheim halten will, darf seine Post nicht offen herumliegen lassen.
Es hatten Diplomaten Zugriff und Offiziere. Manning war ein Sonderfall; er hatte eine spezielle Funktion und bekam dadurch Zugriff, obwohl er kein Offizier war.
Ein Staat muß seinen Diplomaten und Offizieren vertrauen. Natürlich hängt der Grad des Vertrauens von der jeweiligen Geheimhaltungsstufe ab. Top Secret-Dokumente wurden ja nicht in diese Datenbank gestellt. Man hat es hingenommen, daß feindliche Dienste das ausspionieren konnten; das wäre nicht weiter schlimm gewesen.
Schlimm ist das öffentliche Vorführen der USA und deren schwächliche Reaktion darauf. Feinde der USA und des Westens freut das zu Recht; Assange, der ein geschworener Feind der USA ist, dürfte mit sich selbst im Reinen sein und über Obamas Nicht-Reaktion jubeln.
Zitat von MartinDas alles ist aber nicht von der Regierung Obama verbockt worden. Das sollte man fairerweise ab und zu erwähnen.
Es war, wie schon geschrieben, eine Reaktion auf 9/11. Damals ergaben die Untersuchungen, daß Erkenntnisse unter Verschluß gehalten worden waren und dadurch nicht dorthin gelangten, wo sie benötigt worden wären. Deshalb wurde das Secret Internet Protocol Router Network (SIPRNet) eingerichtet. Jeder Diplomat und jeder Offizier sollte auf diesem "kurzen Dienstweg" an Daten herankommen, die er brauchte.
Es hat ja auch funktioniert. Mit der kriminellen Energie einer Organisation, die sich den Datendiebstahl zum Ziel gesetzt hat, hat man nicht gerechnet. Das war ein Fehler, wie jetzt klar ist.
Also wird es so etwas nicht mehr geben. Der Kampf gegen WikiLeaks und mögliche Nachahmer, die den USA und dem Westen Schaden zufügen wollen, kann nur durch bessere Geheimhaltung gewonnen werden. Und durch die entschlossene Verfolgung der Täter.
Könnte, sollte man wohl besser sagen. Denn bei der jetzigen US-Administration fehlt es offenbar an Bereitschaft, das zu tun.
Zitat von john jOK, wir fassen also zusammen: Im Yemen befindet sich der "most urgent terrorist threat to U.S. security" und die Antwort der USA besteht darin dort Ziele zu bombardieren und diese Aktionen als von der Regierung des Yemen ausgefuehrt darzustellen? Was uebrigens auch vor Wikileaks kaum jemand geglaubt haben duerfte. Denn wie Krauthammer selber schreibt besteht ja "the unpopularity of the Sanaa government's tenuous cooperation with us in the war against al-Qaeda" - die Regierung des Yemen nahm es angeblich also ohne Druck und Hilfe von aussen (= USA) auf sich eine hoechst unpopulaere Politik zu verfolgen? Und das sollte erst durch Wikilekas bekannt geworden sein?
"Bekannt werden" kann vieles bedeuten, lieber John. Eingeweihte wußten es sicherlich; vielleicht gab es auch Presseberichte darüber, das habe ich jetzt nicht nachtgeprüft.
Aber es ist etwas ganz anderes, wenn die USA das selbst einräumen; wenn auch unfreiwillig. Was soll die Regierung des Jemen jetzt machen? Sie kann wahrscheinlich nicht mehr wie bisher mit den USA kooperieren. Dasselbe gilt für andere Regierungen in der arabischen Welt. Sie haben es schwer genug gegen die heimischen Islamisten. WikiLeaks hat diese gestärkt; daran gibt es keinen vernünftigen Zweifel.
Zitat von john jUnd wir duch die Veroefftlichung des wahren Sachverhalts nicht eine viel effektivere Nachricht an die Terroristen im Yemen gesandt: "Wir die USA wissen wo ihr seid und werden euch bombardieren bis ihr keine Bedrohung mehr darstellt?"
Das dürften diese auch so gewußt haben. Aber jetzt weiß es jeder im Jemen, der Al Jazeera empfangen kann.
Zitat Seit mehr als einer Woche beherrscht diese Affäre jetzt die Schlagzeilen, und Obama hat sich dazu noch immer nicht in einer Rede an die Nation oder wenigstens einer Pressekonferenz geäußert.
In der Zwischenzeit wurde Wikileaks aber von den Amazon-Servern geworfen und Paypal stellte die Zusammenarbeit ein. Ich halte Obamas Vorgehen hier für bemerkenswert Gut - wenn auch moralisch für sehr fragwürdig. Letztere ist ein anderes Thema. Aber dass Obama dem "Leak" nicht auch noch präsidiale Aufmerksamkeit zukommen lässt (die Unwichtigkeit der Daten zu betonen ist ja Teil der amerikanischen Gegenmaßnahmen) indem er eine Rede dazu hält (Die Sie "Hand aufs Herz", postwendend gebrandmarkt hätten). Stattdessen belässt er es dabei die zuständige Ministerin sprechen zu lassen und kittet wahrscheinlich hinter den Kulissen seit Wochen was sein Gefreiter (Nein, nicht Assange ist der Geheimnisverräter und Dieb!) ihm da eingebrockt hat. Denn das diplomatische Echo fällt eher bescheiden aus. Im Moment ist das wirklich eine reine Pressegeschichte - weswegen sie sich auch so lange in der Presse hält.
Zitat von vielleichteinlinkerIm Moment ist das wirklich eine reine Pressegeschichte - weswegen sie sich auch so lange in der Presse hält.
Und weil es eine Pressegeschichte ist, halte ich es für besser einen Zugriff auf die Ursprungsquellen zu haben. Ich traue amerikanischen Diplomaten mehr als deutschen Journalisten. Allerdings sollten diese Diplomaten nicht zu vertrauensselig sein, ein Geheimnis an dem eine Million andere teilhaben ist kein Geheimnis mehr und ich nehme an, dass diejenigen die sich dafür interessieren schon lange Zugriff haben. Mit einer Stilllegung von wikileaks ist nichts gewonnen, es werden hunderte nachwachsen und es gibt auch viele die für ein paar Minuten berühmt sein wollen.
Zitat von ZettelDie Sache ist normal, die Folgen der Publikation sind für die USA verheerend. Seit einer Woche ist dies das Hauptthema nicht nur in den deutschen Medien, sondern auch in den USA; zum Beispiel in der NYT. Es ist für eine Weltmacht von entscheidender Bedeutung, daß man sie ernst nimmt, daß sie nicht zum Gespött wird. Die USA werden nackt ausgezogen, und Obama wirkt so, als wolle er auch noch die andere Backe hinhalten. Natürlich hat das keine sofortigen Folgen. Aber langfristig überlegt sich eben jeder Staatsmann, auf wen er setzt. Daß die USA nicht geliebt werden, ist nicht weiter schlimm. Wenn sie verachtet werden, dann ist fast schon alles verloren.
Lieber Zettel,
auf der einen Seite haben die USA Watergate überlebt, und die den Skandal aufdeckenden Journalisten wurden hoch geehrt. Watergate hätte die USA auch zum Gespött der Welt machen können, war aber letztlich auch als Ausdruck der starken Demokratie gesehen worden, mit einem investigativen Journalismus auf der Seite des Volkes und als Gegengewicht zur abgehobenen und verbrecherischen Politik. Wenn Wikileaks die USA auf Dauer schwächen sollte, dann sehe ich darin Wikileaks als beschleunigenden Auslöser, aber die tiefere Ursache ist dann der Zerfall der US amerikanischen Demokratie - ironischerweise vielleicht verursacht durch 9/11 und die Reaktion darauf. Grundsätzlich begrüße ich die Chance, die Wikileaks bietet: Es erlaubt ein bischen den reset der öffentlichen Wahrnehmung. Es gibt wenig Gründe, das Volk dumm zu halten, und für die Verteidung demokratischer Ideale ist sogar schon viel Blut geflossen: Allein Sicherheitsgründe reichen nicht unbedingt aus, um dem Volk eine Scheinwelt vorzugaukeln.
Zitat Ein Staat muß seinen Diplomaten und Offizieren vertrauen. Natürlich hängt der Grad des Vertrauens von der jeweiligen Geheimhaltungsstufe ab. Top Secret-Dokumente wurden ja nicht in diese Datenbank gestellt. Man hat es hingenommen, daß feindliche Dienste das ausspionieren konnten; das wäre nicht weiter schlimm gewesen.
Wie ich schon schrieb: 'confidential' ist ein Terminus Technicus, der mit dem Vertrauen im persönlichen Verhältnis wenig zu tun hat. 'confidental' lebt von den Sanktionen, die drohen, falls gegen die definierten Regeln verstoßen wird. Dass es aber schlimm sein soll, wenn Hinz und Kunz Einblick in das bekommt was sonst nur auserlesenen Zikeln zugänglich ist sehe ich nah bei einem Demokratiedefizit. Wie sonst soll sich ein Wähler seine Meinung bilden, wenn nicht durch maximale Transparenz der Informationen?
Zitat Also wird es so etwas nicht mehr geben. Der Kampf gegen WikiLeaks und mögliche Nachahmer, die den USA und dem Westen Schaden zufügen wollen, kann nur durch bessere Geheimhaltung gewonnen werden. Und durch die entschlossene Verfolgung der Täter. Könnte, sollte man wohl besser sagen. Denn bei der jetzigen US-Administration fehlt es offenbar an Bereitschaft, das zu tun.
Ich denke, dass die Menschheit erst noch lernen muss, dass mit der Daten- und Informationsflut auch die Wahrscheinlichkeit von Datenlecks steigt, und dass der einzelne Mensch sich in diesem Datenraum nicht verstecken kann, auch nicht die Mächtigen. Ich sage immer, die Welt wird zum Dorf. Wer im Dorf aufgewachsen ist, der war schon in der Vergangenheit für die Dorfbewohner so transparent wie in Zukunft der Einzelne für die internationale Community. Wer die Vorteile der internationalen Vernetzung für sich in Anspruch nehmen will, der muss auch mit den Nachteilen leben. Ich sehe das so lange gelassen, wie ich in einer starken Demokratie mit starken Rechten für das Individuum leben kann.
Zitat von Martinauf der einen Seite haben die USA Watergate überlebt, und die den Skandal aufdeckenden Journalisten wurden hoch geehrt. Watergate hätte die USA auch zum Gespött der Welt machen können, war aber letztlich auch als Ausdruck der starken Demokratie gesehen worden, mit einem investigativen Journalismus auf der Seite des Volkes und als Gegengewicht zur abgehobenen und verbrecherischen Politik.
Stimmt. Das war eine journalistische Notwehr gegen einen Präsidenten, der die Gesetze nicht geachtet hat. WikiLeaks hat ohne Not und ohne Rechtfertigung den gesamten diplomatischen Verkehr der USA ausspioniert und veröffentlicht.
Zitat von MartinWenn Wikileaks die USA auf Dauer schwächen sollte, dann sehe ich darin Wikileaks als beschleunigenden Auslöser, aber die tiefere Ursache ist dann der Zerfall der US amerikanischen Demokratie - ironischerweise vielleicht verursacht durch 9/11 und die Reaktion darauf.
Jeder Staat, wie demokratisch auch immer, würde durch die Veröffentlichung seiner gesamten diplomatischen Korrespondenz schwer geschädigt werden. Die Gründe wurden ja schon diskutiert - Demütigung, keine offenen Gespräche mit den Diplomaten dieses Landes mehr, natürlich auch jede Menge an persönlichen Gekränktheiten, die das Verhältnis belasten. Haben Sie Westerwelles Pressekonferenz gesehen? Da hat er derart verkrampft versucht, so zu tun, als sei ihm die Beurteilung durch die US-Botschaft egal, daß jeder sehen konnte, wie tief ihn das getroffen hat. So ist es weltweit.
Der Schaden für die USA ist immens. Einen Nutzen für die Demokratie, wie damals bei Watergate, gibt es nicht.
Zitat von MartinGrundsätzlich begrüße ich die Chance, die Wikileaks bietet: Es erlaubt ein bischen den reset der öffentlichen Wahrnehmung. Es gibt wenig Gründe, das Volk dumm zu halten, und für die Verteidung demokratischer Ideale ist sogar schon viel Blut geflossen: Allein Sicherheitsgründe reichen nicht unbedingt aus, um dem Volk eine Scheinwelt vorzugaukeln.
Ich sehe hier, lieber Martin, nicht die Dichotomie "Volk-Regierung". Es geht um Formen der Diplomatie: Die offizielle Höflichkeit und Zurückhaltung; intern und geschützt hingegen klare Worte, die nur so geschrieben werden konnten, weil sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Das war unter Richelieu nicht anders als heute.
Zitat von Martin
Zitat Ein Staat muß seinen Diplomaten und Offizieren vertrauen. Natürlich hängt der Grad des Vertrauens von der jeweiligen Geheimhaltungsstufe ab. Top Secret-Dokumente wurden ja nicht in diese Datenbank gestellt. Man hat es hingenommen, daß feindliche Dienste das ausspionieren konnten; das wäre nicht weiter schlimm gewesen.
Wie ich schon schrieb: 'confidential' ist ein Terminus Technicus, der mit dem Vertrauen im persönlichen Verhältnis wenig zu tun hat. 'confidental' lebt von den Sanktionen, die drohen, falls gegen die definierten Regeln verstoßen wird.
Ich glaube, ich hatte das auch schon geschrieben: "Confidential" ist die niedrigste Geheimhaltungsstufe und entspricht der deutschen Stufe "VS - Nur für den Dienstgebrauch". Mit Vertrauen meinte ich nicht ein persönliches Verhältnis, sondern das, was Sie schreiben. "Ein Staat muß seinen Diplomaten und Offizieren vertrauen" - has to rely on, nicht has to trust.
Zitat von MartinDass es aber schlimm sein soll, wenn Hinz und Kunz Einblick in das bekommt was sonst nur auserlesenen Zikeln zugänglich ist sehe ich nah bei einem Demokratiedefizit. Wie sonst soll sich ein Wähler seine Meinung bilden, wenn nicht durch maximale Transparenz der Informationen?
So abstrakt klingt das gut. Aber es geht ja nicht um Informationen, die Wähler brauchen, um sich eine Meinung zu bilden. Der Inhalt der Depeschen ist ja gerade nicht das Handeln der US-Regierung, sondern es sind ausländische Regierungen; deren Personen, deren Politik.
Und um auch das noch einmal zu sagen: Es hat nie in der Geschichte eine Gesellschaft ohne Vertraulichkeit und also Vertrauen gegeben. Eine "transparente" Gesellschaft, in der jede Information, die X an Y gibt, damit zugleich an alle Welt geht, ist eine Horror-Vorstellung. Sie kann nicht funktionieren, weil jedes Handeln und jede Kommunikation auf selektivem Informationsaustausch beruhen.
Diese Utopie von der totalen Transparenz (von der jeder aber seltsamerweise sein eigenes Leben ausnehmen möchte) ist eine so schlimme Utopie wie die von der völligen Gleichheit. Wie diese führt sie, wenn man sie realisieren wollte, entweder ins Chaos oder in die Diktatur. Historisch meist erst ins eine, dann ins andere.
Zitat von vielleichteinlinkerIch bin auch ein Freund von Wikileaks und der Idee, Informationen auch mal ungefiltert zu veröffentlichen.
Genau. Ich sehe schon Ihre Begeisterung, wenn Wikileaks demnächst Ihre Bankauszüge, Ihre steuererklärungen, Ihre bei der Krankenkasse gespeicherte Gesundheitsdaten, Ihre bei der Firma gespeicherte Personalakte und natürlich ihren beim Provider abgegriffenen Email-Verkehr komplett veröffentlich.
Zitat von vielleichteinlinkerIch bin auch ein Freund von Wikileaks und der Idee, Informationen auch mal ungefiltert zu veröffentlichen.
Genau. Ich sehe schon Ihre Begeisterung, wenn Wikileaks demnächst Ihre Bankauszüge, Ihre steuererklärungen, Ihre bei der Krankenkasse gespeicherte Gesundheitsdaten, Ihre bei der Firma gespeicherte Personalakte und natürlich ihren beim Provider abgegriffenen Email-Verkehr komplett veröffentlich.
Das hätte, lieber R.A., aber u.a. auch unser lieber Herr Schäuble mit zu verantworten, dem ein Datenaustausch mit den USA ein "Herzenwunsch" war. (obwohl hier mehrfach vor dem ungenügenden Datenschutz in den USA gewarnt wurde) Den Datenschutz gibt es sowieso nicht mehr. Aber unsere Regierung tendiert obendrein ja noch zum "gläsernen Menschen" und ist wissentlich, nicht in der Lage, diese Daten zu schützen. Es sei denn, man tummelt sich in gewissen Bereichen, die ein Stop-Schild aufzeigen. Aber auch dieses nicht konsequent, nur ungenügend, als Alibi.
♥lich Nola
"Die Wahrheit vor der Wahl - das hätten Sie wohl gerne gehabt." – Sigmar Gabriel, zu angeblichen rot-grünen Steuererhöhungsplänen, Rheinische Post, 1. Oktober 2002
Zitat von NolaDas hätte, lieber R.A., aber u.a. auch unser lieber Herr Schäuble mit zu verantworten, dem ein Datenaustausch mit den USA ein "Herzenwunsch" war.
So gerne ich Schäuble kritisiere - hier ist das ein Nebenaspekt.
Denn wer Wikileaks gut findet, der wird das ja genauso gut finden müssen, wenn deutsche Institutionen ausgespäht werden.
Die technischen Sicherungen sind ja immer nur eine Seite der Medaille (und greifen nur sehr schwer, wenn Insider zum Verräter werden). So mangelhaft manche Sicherungen in den USA gewesen sein mögen - das ist nicht das Hauptproblem.
Denn ergänzend muß es auch den juristischen Schutz geben bzw. das allgemeine Bewußtsein dafür, daß es eben keine Heldentat ist, vertrauliche Daten auszuspähen und zu veröffentlichen, sondern ein Verbrechen.
Zitat Ich sehe schon Ihre Begeisterung, wenn Wikileaks demnächst Ihre Bankauszüge, Ihre steuererklärungen, Ihre bei der Krankenkasse gespeicherte Gesundheitsdaten, Ihre bei der Firma gespeicherte Personalakte und natürlich ihren beim Provider abgegriffenen Email-Verkehr komplett veröffentlich.
Ich hoffe dass meine Bankauszüge (beide Konten), meine Steuererklärung (mit Anlage N) und meine Krankendaten (aktuell: verkürzte Adduktoren durch jahrelanges FUßballspielen) mal so interessant sind, dass Wikileaks sie veröffentlicht. Weil ich dann sicher ganz berühmt und wichtig bin - das will man doch sein. Ich gehe aber mal eher davon aus dass das keine Sau interessiert. Sonst wäre vielleicht schon ein Steuerbeamter oder meine Krtankenkassensachbearbeiterin auf den Trichter gekommen, meine Daten der BILD oder Wikileaks zu stecken. Im Ernst: Als Veröffentlichung darüber was so alles gesammelt wird wäre das sicher interessant. Aber glauben Sie wirklich es hat irgendeine Relevanz für andere als mich was ich so treibe? Man kann doch nicht ernsthaft so tun als wäre investigativer Journalismus das Ende der Privatheit!?
Zitat von vielleichteinlinkerWeil ich dann sicher ganz berühmt und wichtig bin - das will man doch sein.
Wie berühmt oder wichtig war denn der "Maulwurf", dessen Job jetzt auf dem Spiel steht? Wie berühmt oder wichtig waren denn die Afghanen, die von den Taliban ermordet wurde, weil sie in Wikileaks aufgeführt wurden?
Zitat Ich gehe aber mal eher davon aus dass das keine Sau interessiert.
Ihre Nachbarn, Kollegen oder potentiellen Arbeitgeber/Vermieter vielleicht schon.
In einem Land, in dem selbst die Veröffentlichung von Hausfassaden zu hysterischen Reaktionen führt, dürften die wenigsten Menschen damit einverstanden sein, wenn Wikileaks ihre Daten publik macht.
Zitat Man kann doch nicht ernsthaft so tun als wäre investigativer Journalismus das Ende der Privatheit!?
Von investigativem Journalismus ist hier doch gar nicht die Rede.
Zitat von vielleichteinlinkerIch gehe aber mal eher davon aus dass das keine Sau interessiert.
Ihre Nachbarn, Kollegen oder potentiellen Arbeitgeber/Vermieter vielleicht schon.
Momentan beschäftigt sich meines Wissens der Gesetzgeber damit, inwieweit Arbeitgeber die Facebook-Einträge eines Kandidaten durchforsten dürfen. Beispiel: eine junge Dame bewirbt sich, und der potenzielle Arbeitgeber stellt fest, dass ihr online ein Bekannter zur Schwangerschaft gratuliert hat.
Und wenn ich als Arbeitgeber mal eben aus Ihren Kontoauszügen Ihr aktuelles Gehalt extrahieren kann, hilft das in meinen Verhandlungen deutlich. Umgekehrt könnten Sie natürlich vor dem Interview den Namen und die analogen Daten Ihres Interviewers recherchieren.
Wollen Sie das wirklich?
-- La historia claramente demuestra que gobernar es tarea que excede la capacidad del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
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