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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 42 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Llarian Offline



Beiträge: 7.127

07.01.2011 13:09
#26 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Na dann sollte der gute Professor aber mal GANZ DRINGEND anfangen Filme von Quentin Tarantino neu zu übesetzen, ich habs nicht gezählt, aber als ich neulich "Jackie Brown" gesehen habe, ist Wort "Nigger" (Himmel, ich habs gesagt....) sicher über ein Dutzend mal gefallen. Ein kurzer Blick in die IMDB verrät mir, dass der Film gerade 13 Jahre alt ist. Was ist der Tarrantino eigentlich für ein mieser Rassist, und bitte nicht Samuel Jackson ausnehmen, denn der spricht diese Texte auch noch. Ich vermute, wenn ich lukas Erfahrung weiter oben mal verallgemeinere, dass seinerzeit in sämtlichen Kinos Rassenunruhen ausgebrochen sein müssen.

Böse Zungen würden vielleicht vermuten, dass das Ausbleiben jener Unruhen, darauf zurückzuführen sein könnte, wer das Wort ausgesprochen hat. Und das es offentlich ein Unterschied ist, ob Samuel Jackson von "seinem Nigger" spricht oder ob Robert De Niro das tut. Wer das amerikanische Kino ein bischen kennt, dem wird das vielleicht aufgefallen sein, dass die Bezeichnung innerhalb einer Gruppe von Maximalpigmentierten (darf man das sagen ?) völlig undramatisch ist, selbst in Serien und Filmen, wo das im amerikanischen Fernsehen permanent übertönte Wort Fuck gemieden wird, wo es nur geht. Offensichtlich ist das Wort extrem kontextsensitiv (wie nahezu alle Sprache, Überraschung !). Alles andere ist auch ziemlich stumpfsinnig, denn es unterstellt, dass jemand, der ein Wort hört, zu dämlich ist zu unterscheiden, ob es rassistisch gemeint ist oder nicht. Was nicht heisst, dass Stumpfinn nicht weit verbreitet ist. Zu meinen das Samuel Jackson das problemlos sechs mal pro Stunde sagen kann, während eine fiktive Gestalt, die vor fast 150 Jahren ersonnen wurde, das nicht darf, das hat schon was ziemlich stumpfsinniges. Übrigens als Randnotiz frage ich mich an der Stelle, was man wohl erst mit Onkel Toms Hütte machen wird, ich denke das die Handlung da durchaus drunter leidet, wenn man hier die Sprache zensiert.

Die Idiotie der Idee reine Wörter zu zensieren, muss man übrigens nicht bei den Amis allein suchen, ein dümmeres Beispiel aus Deutschland konnte man beim legendären Johannes "Erfurt" Kerner in der Unsendung zu Eva Herrman erleben: "Autobahn geht gar nicht."

lois jane Offline



Beiträge: 662

07.01.2011 17:47
#27 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Also ich finde man muß in der Sache differenzieren, ob es sich um eine allgemeine Neuauflage, eine Version mit besonderem Publikum oder eine Übersetzung handelt.

Bei einer allgemeinen Neuauflage halte ich es für falsch, irgendetwas an der Wortwahl zu ändern.

Anders sieht es aus, wenn es sich um eine Version etwa für die Schule handelt. Es gibt ja auch "Easy Reader"-Versionen, die halt inhaltlich oder sprachlich vereinfachen. Nicht daß das nicht unproblematisch wäre, aber es ist ein völlig eigener Problemkreis, bei man so oder so argumentieren kann.

Und den besprochenen Fall würde ich hier einordnen. Wenn nur so der Roman überhaupt behandelbar ist (wenn man das denn will - ich komme sehr gut ohne Samuel Clemens aus), dann halte ich die Änderung zweiter Worte für verschmerzbar. Nur sollte man es auch richtig tun. "Nigger" durch "slave" zu ersetzen geht ja nun mal gar nicht.

Bei Übersetzungen schaut es nochmal anders aus. Jede Übersetzung muß sich da selbt, in ihrer Gesamtheit rechtfertigen. Die Neuübersetzung des Herrn der Ringe war nicht nur völlig überflüssig, sondern eben sprachlich verunglückt. Der einem (dem?) Fantasy-Roman eigene Ton wurde mehrmals verfehlt. Nur mit "PC" hat das nichts zu tun, eher das der Neuübersetzer meinte, "Herr Frodo" bringe nicht den vollen Bedeutungsgehalt von "Master Frodo" rüber. Und das stimmt ja auch - "Herr Frodo" hört sich an wie "Herr Meier" - nur "Chef" ist halt stilitisch völlig daneben. Sozusagen verschlimmbessert.

Zensur ist auch in keinster Weise, denn all diese Werke sind bereits veröffentlicht worden - der Gedanke ist mithin schon draußen in der Welt. Außerdem geschieht es nicht durch eine Obrigkeit. Jedwede Umschreibungen aber "Zensur" zu nennen, verharmlost aber die wirkliche Zensur. Wie zur Zeit in Ungarn - da blöken unsere Medien erst laut in eigener Sache und entblöden sich dann nicht eine Jugendschutzfrage zum Aufhänger zu nehmen.

Auch das mit dem "Sapere aude" ist mir zu hoch gehängt. Ein (junger) Mensch lernt das selbstdenken mit oder ohne das N-Wort bei Mark Twain. Das "Ende der 'Aufklärung' (TM)" schon gar nicht, denn paßt ja diese Sprachfeilerei sehr gut in die Vorstellungen dieser Denkrichtung, mit ihrem Volkspädagogisieren und Umdefinieren. PC ist sozusagen ein (vielleicht illegitimes) Kind der 'Aufklärung' (TM).

Das dergleichen Wortentschärfung gerade in Amerika nichts neues ist, haben andere ja bereits gesagt.

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lois jane Offline



Beiträge: 662

07.01.2011 17:48
#28 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von Abendlaender
Nicht auszudenken, der lernenden Jugend sollten auch noch "Borstenvieh und Schweinespeck" als "idealer Lebenszweck" vorgestellt werden ... — Stürme der Entrüstung wären absehbar.



Zusammenphantasieren kann man sich viel. Hat es denn diese Entrüstung gegeben?

Kein Kommentar!

lukas Offline



Beiträge: 261

07.01.2011 18:39
#29 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von Llarian
Na dann sollte der gute Professor aber mal GANZ DRINGEND anfangen Filme von Quentin Tarantino neu zu übesetzen, ich habs nicht gezählt, aber als ich neulich "Jackie Brown" gesehen habe, ist Wort "Nigger" (Himmel, ich habs gesagt....) sicher über ein Dutzend mal gefallen. Ein kurzer Blick in die IMDB verrät mir, dass der Film gerade 13 Jahre alt ist. Was ist der Tarrantino eigentlich für ein mieser Rassist, und bitte nicht Samuel Jackson ausnehmen, denn der spricht diese Texte auch noch. Ich vermute, wenn ich lukas Erfahrung weiter oben mal verallgemeinere, dass seinerzeit in sämtlichen Kinos Rassenunruhen ausgebrochen sein müssen.



Ja, wollte man "Jackie Brown" als Unterrichtsmaterial fuer Grundschüler verwenden, so müsste man es den Film wohl etwas zurechtbiegen...

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

07.01.2011 19:40
#30 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Und wo kommt jetzt die Grundschule plötzlich her ? Soll das jetzt ein Kunstgriff werden um poltical correctness über den Umweg des Jugendschutzes einzuschmuggeln ? Der gute Professor lehrt an der Universität, wir können wohl davon ausgehen, dass keiner seiner Studenten ein Problem damit hätte Jackie Brown zu ertragen (der im Vergleich zu anderen Tarantino Filmen wohl der harmloseste sein dürfte), zumal ich vermuten würde das die meisten ihn gesehen haben, ohne im Kino oder vor dem Fernseher auszurasten. Und wenn er oder Sie, lieber lukas, der Meinung sind Kinder (=Grundschüler) dürften nicht mit dem Wort Nigger konfrontiert werden, weil sie es nicht ertragen könnten, dann würde das in der Konsequenz eine Indizierung bedeuten, aber sicher nicht ein Verändern der Literatur. Ich kenne jede Menge Bücher der Weltliteratur, die absolut nicht in Kinderhände gehören, aber die Idee sie deswegen zu verändern ist mir bislang nicht gekommen.

Ich frage mich auch ganz ernsthaft wo der Unsinn wohl hinführen soll, hinsichtlich eben beispielsweise Onkel Toms Hütte. Oder North and South. Mark Twain hat ja wenigstens noch den Vorteil, dass er eigentlich das Wort nur randhaft verwendet. Aber was soll man erst mit Literatur anfangen, die das dahinterliegende Thema behandelt ? Oder schliessen wir die lieber weg, weil sich jemand beleidigt fühlen könnte. Und wo hört das auf ? Ist ja nicht so, dass schwarze Menschen die einzigen mit Emotionen sind. Verändern wir Karl May, wegen einem fragwürdigen Araberbild oder Indianerbild ("Wilde", "Rothaut")? Machen wir Lolita erwachsen, weil schon die Diskussion von Pädophilie für manche sehr schmerzhaft ist ("Nymphchen") ? Wo hört das auf ? Die ganze Literatur ist voll davon. Weil sie davon kundet was Menschen mal gedacht oder ersonnen haben. Das kann das nicht wegwischen. D.h. man kann schon, aber dann kann man die Bücher auch gleich verbrennen. Aber das weckt sicher auch Emotionen (sic).

FTT_2.0 Offline



Beiträge: 537

07.01.2011 20:14
#31 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von Llarian
Und wo kommt jetzt die Grundschule plötzlich her ? Soll das jetzt ein Kunstgriff werden um poltical correctness über den Umweg des Jugendschutzes einzuschmuggeln ? Der gute Professor lehrt an der Universität



Lukas hat an anderer Stelle erwähnt, dass der Mann das Buch auf Grund von Erfahrungen in kleinstädtischen Südstaatenschulen purgieren wollte, wenn ich hier mal kurz aufklärerisch intervenieren darf.

Marginalie: Huckleberry Finn

Ich kenne die Situation in besagten Regionen zu wenig, um mir konkret ein Urteil zu bilden, ob die Purgierung angemessen ist oder nicht. Allerdings kann ich mir schon Situationen vorstellen, in denen bei der Abwägung zwischen der grundsätzlich abzulehnenden Veränderung einer - wie Sie selbst sagen - "randhaft" verwendeten Formulierung und dem Gesamtverzicht der Lektüre ersteres weniger schmerzhaft wäre.

Im Übrigen verstehe ich nicht, warum das im Zusammenhang mit Grundschülern "in der Konsequenz" Indizierung bedeuten sollte.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.01.2011 22:34
#32 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von stefanolix
Und spätestens, wenn der fertig ist, sollte man sich parallel mit dem Kamasutra und allen Karl-May-Bänden befassen, nur um zwei ganz dringende Beispiele herauszugreifen ;-)


Kamasutra, was ist das? Aber bei Karl May kenne ich mich aus:

Ja, zu´mindest die Purgierung der beiden Wörter "Giaur" und "Bleichgesicht" ist dringend geboten. Schlimmste Diskriminierung.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

07.01.2011 22:54
#33 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von Zettel
Kamasutra, was ist das?


Dem Manne kann und soll geholfen werden:

Zitat
The Kama Sutra is the oldest and most notable of a group of texts known generically as Kama Shastra (Sanskrit: Kāma Śāstra). Traditionally, the first transmission of Kama Shastra or "Discipline of Kama" is attributed to Nandi the sacred bull, Shiva's doorkeeper, who was moved to sacred utterance by overhearing the lovemaking of the god and his wife Parvati and later recorded his utterances for the benefit of mankind.



Bei Zettel lernen wir etwas!

--
Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

08.01.2011 02:43
#34 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Wenn Sie den Artikel in der New York Times durchsehen, werden Sie sehen, dass der gute Professor vor allem eine Verbesserung seiner Lehre damit erreichen will. Und er lehrt immernoch an der Universität. Und selbst in den Ergänzungen von Lukas findet sich zumindest nach meiner oberflächlichen Lektüre nur der Hinweis auf Schulen, nicht auf Primarschulen. Ich würde auch vermuten, dass man, so interessant Huckleberry Finn auch sein mag, ihn kaum in einer Klasse unterrichten wird, wo erst mal das Lesen gelernt wird. Es ist ein Jugendbuch und keins für Kinder, oder glauben Sie, dass Mord und Totschlag ein Schultheme für Kinder ist ? Ich jedenfalls nicht.

Zitat
Ich kenne die Situation in besagten Regionen zu wenig, um mir konkret ein Urteil zu bilden, ob die Purgierung angemessen ist oder nicht.


Angemessen ? Hier wird Kunst verändert. Der einzige Grund, warum man es auch nur "purgieren" (scheussliches Wort, passt wie die Faust aufs Auge) kann, ist, dass sich der Künstler nicht mehr wehren kann. Purgieren. Unglaublich. Vielleicht bringen wir demnächst eine Version von den Tagebüchern der Anne Frank heraus, die ohne Greul auskommen, damit sich niemand damit konfrontiert werden kann, dass die Kriegsgeneration sich vielleicht doch nicht so ehrenhaft verhalten hat, wie man es gerne hätte. Purgieren.
Astrid Lindgren hat sich übrigens zeitlebens dagegen gewehrt, dass ihre Werke "purgiert" werden.

Zitat
Im Übrigen verstehe ich nicht, warum das im Zusammenhang mit Grundschülern "in der Konsequenz" Indizierung bedeuten sollte.


Wenn ein Buch, ein Film, ein Kunstwerk oder ein sonstiges Werk so gefährlich für Kinder ist, dass sie damit in keinem Fall konfrontiert werden dürfen, dann muss man die Kinder davor schützen. Das kann beispielsweise durch Indizierung geschehen, wie es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften tut. Das kann durch Altersfreigaben geschehen, wie es die FSK oder die PEGI das macht. Keine dieser Stellen käme auf die Idee von sich aus zu verändern, um es anders einzustufen oder freizugeben. Wenn also Grundschüler nicht mit einem Werk konfrontiert werden können, dann legt man ein Mindestalter fest, aber man verändert nicht das Werk.

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

08.01.2011 08:13
#35 ad usum delphini Antworten

Das Ganze ist ja nicht neu. Heute ist die politische Korrektheit, die die N.-Wörter bei Twain und Lindgren zum Verschwinden bringt; früher waren es andere Moralvorstellungen. Ich erinnere mich an meinen Lateinunterricht, in dem wir in Klasse 10 Ovid oder Vergil gelesen haben, und in unserer Ausgabe fehlten immer wieder mal zwei Verse. Unser Lateinlehrer erläuterte uns, diese Ausgabe sei in der Tradition der Ausgabe "ad usum delphini" (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Ad_usum_Delphini) - und er diktierte uns dann die purgierten Verse, die wir dann auch übersetzen mussten. Ob deren Harmlosigkeit - es ging meiner Erinnerung nach darum, dass jemand geküsst wurde - waren wir dann eher enttäuscht ... Dieses "ad usum delhini" gibt es seit Jahrhunderten. Im Mittelalter hat man entsprechend aus der antiken Literatur die Stellen mit den antiken Göttern rausgenommen.

Mich erinnert das Ganze auch daran, dass Kinderbuchklassiker schon immer gerne der "Überarbeitung" anheimgefallen sind. Ich denke da an Else Urys "Nesthäkchen"-Reihe (1913-25), die schon nach 1950 nur in einer bearbeiteten Fassung erhältlich waren und die in den 1990ern noch einmal "überarbeitet" wurden.

Am Rande: Da würde mich die Rechtslage sehr interessieren. Else Ury wurde 43 ermordet, ihre Familie meines Wissens auch; der Erbgang dürfte schwierig zu klären sein, aber die Urheberrechte sind noch nicht abgelaufen. Ob da ein Erbe sein Einverständnis erklärt hat? Oder hat der Verlag die Urheberrechte genau so aus "herrenlos" beschlagnahmt, wie die Finanzämter 1941 Häuser und Konten als "herrenloses Vermögen" einzogen?

edit: Wie ich gerade lese, hat Ury einen im Ausland lebenden Neffen zum Erben eingesetzt. Bleibt immer noch die Frage, ob die Überarbeiten im Sinne der Urheberin sind.

Blub ( gelöscht )
Beiträge:

08.01.2011 13:34
#36 RE: ad usum delphini Antworten

Ja, und die N-Wortdebatte in den USA ist ja alt, hab das schon in der Schule im Englischunterricht gehört, dass man dort Twain in der Schule oft nicht mehr liest. Wenn das auf diese Weise wieder geht, ist ja für alle was gewonnen. In Deutschland gibt es sicher genug alte Literatur, wo man mit Juden oder dem Vaterland in einer Weise sprachlich umgeht, dass man das heute nicht mehr mit gutem Gefühl lesen kann. Das trifft keinen der ganz großen Klassiker, aber sonst müsste man hier auch eingreifen. Von Luther ist ja zum Glück nur die Bibel und Weihnachtslieder wichtig.... Oder anderes Medium, was zeigt man von der genialen Leni Riefenstahl?

Ansich sind solche Änderungen an einem Kunstwerk, wenn sie es sprachlich ans heute anpassen, nicht tragisch, wenn sie sprachlich sachte genug sind und den Inhalt nicht ändern. Das einzige was hier flöten geht, ist die Authentizität.

Muyserin Offline




Beiträge: 110

08.01.2011 13:46
#37 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von stefanolix


In meiner Kindheit hat man uns eingeschärft, dass »Nigger« ein übles Schimpfwort, »Mohr« ein veralteter Begriff und »Neger« die korrekte Bezeichnung sei. Nachher wussten wir, warum in der »Zauberflöte« ein Mohr vorkommt, welchen Begriff wir vermeiden sollten und welchen Begriff wir verwenden sollten. Heute ist »Neger« auch tabu, aber die ersatzweise verwendeten Wörter sind ein einziger Krampf.

Von der Wortbedeutung her (»Neger« kommt ja vom lateinischen Wort für »schwarz«) würde man uns Europäer adäquat einfach als »Bleiche« oder »Weiße« bezeichnen und warum sollte man das nicht tun? Wir haben ja kaum Farbe im Winter …



Hallo Stefanolix, witzig, dass wir uns hier öfter über den Weg laufen als in heimischen Gefilden …

Ich bin auch der Meinung, dass ausgerechnet das Purgieren von Texten einen in die Vorhölle (engl. purgatory) der Zensur befördert.

Also: Wieso scherst Du ersatzweise verwendete Wörter über einen Kamm? Wenn ich etwas über den Hintergrund einen Menschen erfahren möchte, sind nun mal Begriffe wie "Afro-American" oder "Black-British" wesentlich hilfreicher, als nur zu wissen, welche Hautfarbe er hat. Auch möchte ich mich von einer Ukrainerin oder Nord-Irin unterschieden wissen, obwohl wir alle Weiße, alle "Caucasian" sind. Du sagst es ja selbst, Weiße sind viele, Europäer nicht alle. Das Leben in post-colonial times erfordert eben differenzierte Weltbilder, Betrachtungsweisen und demzufolge auch Begrifflichkeiten.

Übrigens habe ich auch schon linguistische Untersuchungen gelesen (die ich jetzt, wie so oft, weder zitieren noch anführen kann, wofür ich in diesem gebildeten Forum gleich um Nachsicht bitten möchte), dass halt der Begriff Weiß(e) durch jahrhundertealte Diskurse auf vielfältige Weise positiv konnotiert ist und der Begriff Schwarz(e) ebenso negativ. Schon allein deshalb sollten wir als Weiße uns nicht einfach hinstellen und sagen, ist doch alles gar kein Problem. Das mag es nicht sein - für uns …

"Blacks" wird übrigens in diversen Communities positiv besetzt verwendet. Aber das ist eine bewusste Neuinterpretation.

--
Journal ohne Ismus … lauter gute Nachrichten

lukas Offline



Beiträge: 261

08.01.2011 16:35
#38 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten
Popeye Offline



Beiträge: 207

08.01.2011 19:27
#39 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat
Vielleicht bringen wir demnächst eine Version von den Tagebüchern der Anne Frank heraus...



Ich beschreibe es mal mit einem Klassiker: Nichts ist unmöglich!

Zitat
Das Tagebuch der Anne Frank wird in öffentlichen Schulen im US-Bezirk Culpeper County nicht mehr in seiner ursprünglichen Form gelesen werden. Begründung: Das Buch beinhalte Themen aus dem Sexualbereich, Eltern hatten sich beschwert. Nicht das erste Mal, dass sich US-Schulen gegen das Tagebuch wenden.


http://www.welt.de/vermischtes/article60...n-zensiert.html

Ich möchte hier mal einen interessanten Aspekt einbringen:

Zitat
Ja, aber warum lügen die Amerikaner (und Kanadier) über ihre Kirchenbesuche und die Europäer nicht, oder auf jeden Fall nicht so dreist? Spekuliert wird, dass es mit dem Selbstbild zu tun hat:

Religion in America seems tied up with questions of identity in ways that are not the case in other industrialized countries. When you ask Americans about their religious beliefs, it’s like asking them whether they are good people, or asking whether they are patriots.

Formell wird das bei Umfragen als der social desirability effect bezeichnet: Die Antwort folgt den gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, nicht der Wirklichkeit. Für die große Masse der Nordamerikaner ist ein guter Mensch immer noch ein gottesfürchtiger Bürger, der artig am Sonntag in die Kirche (am Samstag in die Synagoge, am Freitag in die Moschee) geht.


http://usaerklaert.wordpress.com/2011/01...gen-amerikaner/

Da stellt sich doch die Frage , ob es auch bei anderen Themen wie z.B. das dieses Threads zutrifft.

Reiner aus dem Saarland Offline



Beiträge: 272

08.01.2011 20:38
#40 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Der Deutschlandfunk hat in der "Kultur heute" Ausgabe vom heutigen Samstag (17 Uhr 30) das Thema "political correctness" anhand besagter Huckleberry-Finn-Ausgabe thematisiert. Es wurde ein Blog zitiert ohne den Verfasser zu nennen. Ob es zettelsraum war kann ich im Moment leider nicht überprüfen, da das Transcript der Sendung noch nicht online ist.

Bis spätestens Montag dürfte ein Transcript jedoch unter http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/ nachzulesen sein. Ob das ganze Zufall ist vermag ich leider nicht zu sagen. Aber vielleicht gibt es unter den DLF-Kulturredakteuren den ein oder anderen Zettelsraum-Leser (bzw. den einen oder die andere... wir wollen ja korrekt sein)

Nachtrag:
allerdings ist eine Audioaufzeichnung von "Kultur heute" online: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradi...35_ef5ade81.mp3

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

08.01.2011 21:22
#41 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von Muyserin
Hallo Stefanolix, witzig, dass wir uns hier öfter über den Weg laufen als in heimischen Gefilden …
Ich bin auch der Meinung, dass ausgerechnet das Purgieren von Texten einen in die Vorhölle (engl. purgatory) der Zensur befördert.



Bist Du sicher? Ich dachte eigentlich, dass das Purgatorium (Fegefeuer) eine reinigende Wirkung haben soll, wenn ich den Begriff richtig kenne. Nach dem katholischen Glauben kommt man doch ins Fegefeuer als »Vorbereitung« auf den Himmel(?) — ich muss zugeben, dass ich nicht katholisch aufgewachsen bin, aber ich habe es im außerschulischen Religionsunterricht so gelernt. Ich weiß aber, dass umgangssprachlich viele Leute das Fegefeuer als eine Art Hölle bezeichnen.

Zitat von Muyserin
Also: Wieso scherst Du ersatzweise verwendete Wörter über einen Kamm? Wenn ich etwas über den Hintergrund einen Menschen erfahren möchte, sind nun mal Begriffe wie "Afro-American" oder "Black-British" wesentlich hilfreicher, als nur zu wissen, welche Hautfarbe er hat.



In »Black-British« steckt ja schon wieder die selbe schwarze Hautfarbe, die ja in »Schwarzer« auch steckt. Es ist alles nicht so einfach. Am besten ist es wohl, entsprechend »All men are created equal« nur noch von Menschen zu sprechen.

Nach meinem persönlichen Sprachgefühl ist »Afro-American« falsch, wenn die Vorfahren dieses Menschen schon lange vor Tom Sawyers und Hucklebery Finns Zeiten aus Afrika geraubt und gewaltsam in die Sklaverei entführt worden sind. Da ist an dieser Person im Jahr 2011 doch nichts mehr »afrikanisch«. Nur wenn mir bekannt wäre, dass sich die Person selbst über ihre Herkunft aus Afrika definiert, würde ich das respektieren. Aber ich kann doch niemanden unbekannterweise und ungefragt entsprechend der Herkunft seiner Vorfahren benennen. Hier würde ich auch »Black American« sagen. Nur passt das in Mark Twains Buch auch nicht hinein.

Ich würde mir übrigens ganz heftig verbitten, dass mich jemand aufgrund meines Namens als »Ostpreußisch-Deutschen« deklarieren würde. Und bei mit waren es Großmutter und Großvater, die bis zum Ende des II. Weltkriegs dort gelebt haben. Aber ich habe mit dieser Gegend so wenig zu tun gehabt, wie ein Schwarzer aus Detroit mit Afrika.

Herzliche Grüße über die Elbe
und wegen des "Über-den-Weg-Laufens" melde ich mich.
Stefan

.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

08.01.2011 21:28
#42 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von stefanolix

Zitat von Muyserin
Hallo Stefanolix, witzig, dass wir uns hier öfter über den Weg laufen als in heimischen Gefilden …
Ich bin auch der Meinung, dass ausgerechnet das Purgieren von Texten einen in die Vorhölle (engl. purgatory) der Zensur befördert.



Bist Du sicher? Ich dachte eigentlich, dass das Purgatorium (Fegefeuer) eine reinigende Wirkung haben soll, wenn ich den Begriff richtig kenne.



Völlig richtig.

--
Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

08.01.2011 21:58
#43 RE: Marginalie: Huckleberry Finn Antworten

Zitat von Gorgasal
(zum Fegefeuer): Völlig richtig.



Jetzt erinnere ich mich auch wieder an den Zusammenhang, in dem das Thema damals behandelt wurde. In der Reformationszeit kämpfte Luther gegen den Ablasshandel. Der Marktführer des Ablasshandels in der Gegend des heutigen Mitteldeutschland war Johann Tetzel (übrigens aus Pirna bei Dresden) und sein Werbespruch lautete:

»Sobald der Gülden im Becken klingt,
im huy die Seel im Himmel springt«

Es gab aber auch eine andere Version, an die ich mich sehr genau erinnere (hier in Hochdeutsch):

»Sobald das Geld im Beutel klingt,
die Seele aus dem Fegefeuer springt«

was uns so erklärt wurde, dass den Seelen von Verstorbenen durch Zahlung ihrer Hinterbliebenen die Zeit im Fegefeuer verkürzt werden sollte. Ob das historisch wahr ist und der damaligen katholischen Auffassung entsprach, kann ich nicht beurteilen. Besagter Religionsunterricht war doch eher protestantisch geprägt ;-)

Ein interessantes wirtschaftliches Detail aus der Wikipedia: Um den Anteil des Bankhauses zu sichern, begleiteten Vertreter der Fugger Tetzel, und zogen bei Verkaufsaktionen die Tilgungssummen ein. (Quelle)

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