Daß ich im Augenblick ziemlich viel Zeit darauf verwende, sachlich über die Vorgänge im KKW Fukushima Daiichi zu informieren, ist wohl so etwas wie der Versuch, auf eine rationale und halbwegs produktive Art mit dem Erschrecken über das Deutschland dieser Tage fertigzuwerden.
Grattez le Russe, vous trouverez le Cosaque sagte man im Frankreich des 19. Jahrhunderts - Kratzen Sie am Russen, sie werden den Kosaken finden (in einer anderen Version: Den Tataren).
Muß man am vernünftigen, pragmatischen Deutschen des 21. Jahrhunderts auch nur kratzen, um wieder den irrationalen, unberechenbaren Deutschen des furor teutonicus zu finden?
Zitat Zettel irrationalen, unberechenbaren Deutschen
Ein Faktor ist m.E. die Größe des deutschen Sprachraums. Einerseits ist er zu klein, als dass seine Angehörigen nicht provinziell sein könnten, andererseits ist er zu groß, als dass sie merken würden, dass sie provinziell sind. So hält man sich ein bisschen (im Vergleich zu Österreich und der Schweiz) für den Nabel der Welt, ohne dass man sich durch die direkte (=unmittelbare) Wahrnehmung des Auslandes der eigenen, im weltpolitischen Maßstab doch eher mittelmäßigen Bedeutung bewusst würde. Wer sich des Restes der Welt bewusst ist, wird, so denke ich, aber automatisch etwas.. nachdenklicher.
Zitat von fedchanEin Faktor ist m.E. die Größe des deutschen Sprachraums. Einerseits ist er zu klein, als dass seine Angehörigen nicht provinziell sein könnten, andererseits ist er zu groß, als dass sie merken würden, dass sie provinziell sind. So hält man sich ein bisschen (im Vergleich zu Österreich und der Schweiz) für den Nabel der Welt, ohne dass man sich durch die direkte (=unmittelbare) Wahrnehmung des Auslandes der eigenen, im weltpolitischen Maßstab doch eher mittelmäßigen Bedeutung bewusst würde. Wer sich des Restes der Welt bewusst ist, wird, so denke ich, aber automatisch etwas.. nachdenklicher.
Sebastian Haffner hat ähnlich einmal von einer "unschicklichen Größe" Deutschlands gesprochen, allerdings in geopolitischer Hinsicht: Größer als jeder seiner Nachbarn, aber nicht groß genug, sie zu dominieren.
Sie hatten ja zunächst "deutscher Sprachraum" geschrieben. Was die Schweiz angeht, ist es wohl wirklich nicht mehr als ein Sprachraum; so wie, sagen wir, die Francophonie oder der angelsächsische Sprachraum. Bei Österreich sehe ich aber eine viel engere Nähe; kulturell, ja was die Identität angeht.
NHK hat gestern berichtet, daß einige Staaten ihre Botschaften in Tokio geschlossen oder das Personal in eine andere Stadt verlegt haben: Der Iran, Bahrain ... und Österreich.
Und im Österreichischen Rundfunk (Ö1 und dann alle diese Landessender ÖW, ÖT usw.) wird genauso aufgeregt über Fukushima berichtet wie in Deutschland.
Um die Schlüssigkeit meiner eigenen These deutlicher zu machen, ist eine kleine Ergänzung erforderlich:
Zitat fedchan So halten sich die Deutschen ein bisschen (im Vergleich zu Österreich und der Schweiz) für den Nabel der Welt...
Typisch, dass man sowas erst bemerkt, nachdem der Post im Netz ist.
Zitat Zettel Bei Österreich sehe ich aber eine viel engere Nähe; kulturell, ja was die Identität angeht.
Deutschland scheint in der Tat die entscheidende Referenzgröße zu sein. Aber gerade das kann ja dazu führen, dass man sich ebenfalls in unguter Intensität auf Deutschland (und seine Charaktereigenschaften) konzentriert. Auch die Österreicher sprechen Deutsch (entgegen anderslautender Gerüchte), man kriegt also auch internationale Nachrichten erstmal gefiltert.
Zitat Zettel Und im Österreichischen Rundfunk (Ö1 und dann alle diese Landessender ÖW, ÖT usw.) wird genauso aufgeregt über Fukushima berichtet wie in Deutschland.
Im kleinen Zimmer war irgendwo ein Link dahingehend, dass man in Wien ausflippe bzgl. der AKW-Politik der Nachbarstaaten. Soviel zum Thema Deutschland(=deutscher Grünmainstream) als Referenzgröße.
Eine Bekannte von mir aus der Schweiz, deren Sohn in Japan lebt, berichtete mir heute davon, dass a) auch die Berichterstattung der Schweizer Medien unmöglich sei, dass b) ihr Sohn als Wahljapaner das genauso sehe und c) er NHK World als Informationsquelle empfohlen habe.
Zitat "Da rast der See und will sein Opfer haben" heißt es bei Schiller. Da rast sie, die deutsche Volksseele - gut, jedenfalls in ihrer medialen Spiegelung -, und das Opfer, auf das sie sich diesmal wie entfesselt stürzt, ist die friedliche Nutzung der Atomenergie.
Das ist kein Problem der "deutschen Volksseele" - wenn man mit ihnen über dieses Thema diskutiert, werden die meisten Deutschen wohl auch keine andere Meinung haben als die, die sie als vernünftig skizzieren. Das Problem ist, dass wir massivste Verfallserscheinungen sowohl in der deutschen Parteienlandschaft als auch in der deutschen Medienlandschaft haben, die sich durch eine Rückkopplungsstörung gegenüber dem, was "am Boden" wirklich gedacht wird, nochmals gegenseitig verstärken. Gerade der öffentliche Rundfunk ist in politischen Fragen von Verbänden wie Greenpeace, Attac, Pro Asyl, you name it gekapert worden, deren Wirkungsmacht in keinerlei Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl oder - wichtiger - zu ihrer inhaltlichen Kompetenz steht. Es steht wohl außer Zweifel, dass eine solche inhaltliche Verzerrung, die es meiner Meinung nach auf diesem Niveau in Deutschland in demokratischen Verhältnissen noch nie gegeben hat und auf lange Sicht auch nicht mehr mit einer Demokratie vereinbar sein wird, auch massive Meinungsformung mit sich bringt. Die deutsche Politik wiederum hat mit der deutschen Bevölkerung in der Regel wenig zu tun. Sie formt ihre Meinung über das, was im Volk gedacht wird, aus verzerrten Medienberichten. Das konnte man am Beispiel Sarrazin ja perfekt durchdeklinieren. Nur durch diese doppelte Verzerrung ist so ein unfassbar ekelhaft-paternalistischer Satz wie der von Mutti gestern denkbar: "Gut, der Strom wird etwas teuer, aber das Volk zahlt das sicher gerne für mehr Sicherheit". Wen interessiert in dieser Parallelwelt, in der unter Ausschaltung der demokratisch legitimierten Institutionen durch Mutti mal eben auf einem EU-Gipfel Belastungen des deutschen Steuerzahlers beschlossen werden, die in real term Dollars einem halben Versailles entsprechen, schon die Frage, ob diese Sicherheit jemals gefährdet war.
Kurz gefasst: Ich verstehe Ihre Verachtung. Man muss in diesen Tagen schon sehr an sich halten, um diese politische System in seiner aktuellen Verfassung noch für akzeptabel zu halten. Ihre Verachtung richtet sich aber gegen den falschen Adressaten.
Zitat von Zettel Muß man am vernünftigen, pragmatischen Deutschen des 21. Jahrhunderts auch nur kratzen, um wieder den irrationalen, unberechenbaren Deutschen des furor teutonicus zu finden?.
Nein.
Cora Stephan und Burkhard Müller-Ulrich, aber auch Zettel schreiben nicht über "die Deutschen".
Zitat von ZettelUnd hier in Deutschland regt sich die Nation auf - regen sich jedenfalls die Medien auf, die sie gern repräsentieren möchten -,
Die deutsche Medien (auch hier gibt es Ausnahmen) wollen keinesfalls die Nation repräsentieren, sie sehen sich zu höheren Aufgaben geweiht.
Zitat von SZIn einer Demokratie bilden die Medien die vierte Gewalt. Japans Medien tun das nicht. Sie kontrollieren die Machthaber so wenig wie dies die Wähler tun. Zwar decken sie Skandale auf; oft Geldgeschichten, die ihnen ein Staatsanwalt zuspielt. Eine kritische Öffentlichkeit aber, welche Regierung und Industrie hinterfragt, schaffen die Medien in Japan nicht. Am Rande des verkrusteten Systems gibt es durchaus Bemühungen, die aber von vielen Japanern nicht ernst genommen werden. Ein solches Randphänomen waren bisher die engagierten, gut informierten Atomkraftgegner. Doch ihre Demos sind winzig, sie finden kein Gehör
Die "Medien" wollen also laut Selbstbeschreibung eine kritische Öffentlichkeit schaffen. Wie groß diese Öffentlichkeit ist, wissen wir nicht. Nur hat sie sehr wenig mit dem Volk zu tun, wie die Diskussionen der Vergangenheit zeigten. Allerdings dürfte sich bei der Frage des "Atomausstiegs", die größte Schnittmenge ergeben, die vielen Jahre der Agitation gegen die Kernkraft war schon vor dem Erdbeben in Japan sehr erfolgreich.
Der Kampf gegen die Stromerzeugung in Kernkraftwerken geht bis in die siebziger Jahre zurück und ist aus meiner Sicht die Mutter allen Protestes und der Schoß, der die Grünen gebar. Viele der K-Gruppenmitglieder, die in den siebziger Jahren die Avantgarde des zum Teil auch militanten Protestes waren, sind zu den Grünen (und auch in die Medien gewechselt), wenn sie nicht schon bei der Grundsteinlegung dabei waren. Jetzt, fast vierzig Jahre später, ist es Zeit die Ernte einzufahren. Hinzu kommt, dass es sich diesmal um ein kapitalistisches Kernkraftwerk handelt und nicht um einen sowjetischen Schrottbunker, ein Umstand der die Motivation steigert.
Ich bin davon überzeugt, dass das gemeine Volk nicht in froher Erwartung dem GAU, dem Super-GAU und der Komplettverstrahlung der japanischen Bevölkerung entgegenfiebert, sondern ebenfalls wie ich hofft, dass möglichst viel Schaden abgewendet werden kann. Die Folgen der Naturkatastrophe für die japanische Bevölkerung sind auch ohne den Superlativ der nuklearen Katastrophe äußerst dramatisch. Allerdings lassen die sich nur schlecht instrumentalisieren, obwohl es sicherlich welche gibt, die von einer menschengemachten tektonischen Plattenverschiebung halluzinieren, wenn es der Ideologie hilft.
Also wenn das der Furor Teutonicus ist, braucht davor wohl keiner mehr Angst zu haben. Weinerliche, sich selbst bespiegelnde "Zwerge im Zipfelmützenland" sind da am Greinen. Dieselbe Sorte Wichtel hätte Gutenberg anno Vierzehnfuffzich sicherlich den Buchdruck verboten, weil so ja auch "Hasspamphlete" und "nicht hilfreiche" Schriften hätten verbreitet werden können. Ironischerweise wäre ihnen damit heutzutage die Geschäftsgrundlage entzogen.
Nee, also was auffällt ist, dass in früheren Katastrophenfilmen so ein Unglück die zusammenhaltenden Kräfte der Menschheit hätte zutage treten lassen. Also, dass alle miteinander anpacken und sich helfen. Eigentlich doch die "eine Welt Vision" der Gutmenschen. Hier ist aber alles anders. Man vermittelt den Eindruck, als wenn die Japaner selbst am Unglück schuld wären, und dass wir hier an ihrer Stelle die Katastrophe im Nachhinein verhindern müssten.
Für mich bleibt da nur kalte Verachtung übrig, und natürlich Scham gegenüber den so schwer geschlagenen Japanern, die sich trotzdem ihre Tapferkeit und Disziplin bewahrt haben. Hätte Brunsbüttel gewackelt, würden Spon und NDR schon längst von New York aus berichten.
Es bleibt aber festzuhalten, dass nicht alle Deutschen und Deutschsprachigen zu Zwergen mutiert sind. ZR und die versammelten Zimmerleute, sowie die sie umgebenden Blogs haben grandios Halt gegeben in diesem komplett durchgedrehten Irrenhaus. Danke dafür an dieser Stelle.
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Lieber C., ich hoffe, Sie verzeihen mir als Schweizer, dass sich mir als Betrachter von aussen die Gemütslage in Deutschland etwas weniger hoffnungsvoll darstellt. Natürlich ist es in erster Linie ein Medien-Hype. Wohlgemerkt, auch bei uns betreiben die meisten Medien Panikmache, statt zu informieren. Es wird auch bei uns jeder Negativpunkt zum dauernden Zustand erhoben, so wird z.B. jeder gemessene Höhepunkt der Radioaktivität den ganzen Tag lang verkündet, dass es auch ein Abklingen gibt, wird verschwiegen. Allerdings gibt es auch Unterschiede in der Berichterstattung. Bei uns gibt es weder diese Intensität, noch die m.M. besonders perfiden, schlecht versteckten Ueberlegenheitsgefühle den Japanern gegenüber. Ein besonders abstossendes Beispiel gibt vor allem der ARD Korrespondent, der schon am Samstag für eine Ente verantwortlich war.
Was mich und viele meiner Bekannten aber eher irritiert, sind die Reaktionen in Leserforen oder Blogs. Dieser Hass, der dort denjenigen entgegenschlägt, die für ein vernünftiges Umgehen mit der entstandenen Situation eintreten, ist schon bemerkenswert.
Das, freundlich gesagt, etwas seltsame Verhalten der Regierung Merkel kann ich bis zu einem gewissen Punkt noch nachvollziehen, schliesslich ist Wahlkampf und Frau Merkel hat sich selten als besonders prinzipientreu erwiesen. Was hier wiederum irritiert, sind die Begleitumstände. So gibt es doch eher wenige ablehnende Reaktionen auf den Entscheid, am Parlament vorbei KKW abzuschalten. Und beinahe niemand interessiert sich für den jüngsten Murks der Regierung betreffend Transferunion. Nota bene etwas, was die Deutschen wahrscheinlich mehr trifft, als die Radioaktivität rund um die Unglücksreaktoren.
Ich wünsche mir einen Dokumentarfilm über die Berichterstattung der deutschen Medien, insbesondere ARD und ZDF, nachdem Saddam Hussein während des ersten Golfkriegs Ölquellen angezündet hatte. Das Vorführen eines solchen Dokumentarfilms müsste Pflichtbestandteil in den Schulen werden. Das Ereignis hat genügend zeitlichen Abstand und es interferiert nicht mit der Kernkraftfrage. Nur so lässt sich die Inkompetenz oder auch Panikkompetenz der deutschen Medien und der selbsternannten Experten, denen dort eine Platform gegeben wurde, musterhaft zeigen.
Das Muster wiederholt sich regelmäßig, und mit Fukushima hat es einen neuen Höhepunkt erreicht.
Leider müssten die genannten Anstalten dafür ihre Archive öffnen, ich fürchte, dazu sind sie nicht bereit.
Im Übrigen müsste als Kontrastprogramm das damalige schweizer Fernsehen zugeschnitten werden, das sich vernünftigerweise der Fachleute der ETH Zürich bediente.
Zitat Muß man am vernünftigen, pragmatischen Deutschen des 21. Jahrhunderts auch nur kratzen, um wieder den irrationalen, unberechenbaren Deutschen des furor teutonicus zu finden?
Lieber Zettel,
wer keine anderen Informationsquellen als das deutsche Fernsehen oder die deutschen Zeitungen nutzt, der kann gar nicht anders denken und handeln! Meine gelegentlichen Ausflüge in das Fernsehprogramm oder die deutsche Presselandschaft lassen mich jedesmal ratlos oder gar erzürnt zurück ob der Selbstverständlichkeit, mit der strittige Sachverhalte als abgeklärt betrachtet werden. Generell eine Selbstgewißheit, die Dürrenmatt einmal "bieder" genannt hat und damit diesem Wort einen Schrecken verliehen hat, den ich bis dahin nicht gekannt hatte. Ich habe immer mehr das Gefühl, daß ich diesem Kulturraum gar nicht mehr angehöre, denn ich scheine viele deiser Gewißheiten überhaupt nicht zu teilen; offenbar ist eine Sozialisierung, die meine Landsleute mitgamcht haben, völlig an mir vorbeigegangen. Oder ich begehe den Fehler, den Medien ein Volk abzunehmen, das so gar nicht existiert.
Als Sportschütze bin ich es aus leidvoller Erfahrung gewöhnt mit bangen Blick auf den tobenden Mob zu blicken und schon mal das schlimmste zu fürchten was an gesetzlichen Schnellschüssen dabei heraus kommt. Qualitativ neu an dieser Sache ist die Dimension und die Dreitigkeit mit der diese Schnellschüsse sogar am Gesetz vorbei gemacht werden. "Jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn."(Schiller). Es sind wohl die sich langweilenden, übersättigten Volksmassen denen Davila für die Zukunft eine entscheidende Rolle zuschrieb, es scheint als würder er Recht behalten.
Aber es gibt auch positive Zeichen, wenn sich z.B. ein Unionsabgeordneter vor die Kameras stellt und öffentlich gegen seine Regierung wendet und ankündigt er werde in der Fraktion einen Gesetzentwurf dazu einbringen, das Parlament in Deutschland brauche schließlich keine Regierung um Entscheidungen zu treffen(nur umgekehrt) und das wolle er den Parlamentariern mal wieder ins Gedächnis bringen. Bleibt natürlich abzuwarten, was daraus wird...
Interessant finde ich in solchen Diskussionen immer wieder, daß die Vertreter der allseits publizierten angeblichen Mehrheitsmeinung das "kritische Denken" für sich reklamieren. Meist heißt dies jedoch im Klartext nur, kritisch über alles zu denken, was der eigenen Meinung widerspricht. Nach dieser Definition denkt wohl auch ein Soldat im Schützengraben kritisch - über den Feind.
Schulen und Gesellschaft haben jahrelang versucht, "kritisches Denken" zum Bildungsziel zu erheben - mit dem Ergebnis, daß die Menschen heute Angstverkäufern wie Greenpeace vertrauen, und gleichzeitig jedem Unternehmer unterstellen, für ein paar Cent mehr, die Seele seiner Kinder dem Teufel zu verkaufen.
IMHO stellt dies dem menschlichen Geist an sich kein allzugutes Zeugnis aus.
Wer die Bilder vom Tsunami gesehen hat, und wem klar ist , dass jede Sekunde Verzögerung, jeder Meter, den die Welle weniger landeinwärts dringt, etliche Menschenleben rettet, kann ob solchen Schwachsinns nur den Kopf schütteln.
Auch zu sehn ist eine Grafik der von Japan ausgehenden radioaktiven Wolke die sich über den ganzen nördlichen Pazifik erstreckt. Leider ohne Legende die deren Strahlungsintensität erklärt.
Zunächst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass ich hier momentan nur lesend teilnehmen kann, und mich ebenfalls für die großartigen Informationen bedanken. Wenn sich das Atom-Thema so weiterentwickelt, werde ich sicher gerade zur Versorgungssicherheit ein paar Sachen beitragen können, da sich meine neue Tätigkeit (die mich eben sehr beanspriucht gerade) in dem Bereich abspielt.
Allerdings habe ich heute früh ein sehr schönes Interview mit einem Japanologen gehört, der in Tokio wohnt und genau diesem Furor teutonicus entgegen spricht. Und das schönste ist, dass der Interviewer in gegen Ende zu verstehen sscheint! http://www.br-online.de/bayern1/am-morge...00344774992.xml
Zitat von fedchanIm kleinen Zimmer war irgendwo ein Link dahingehend, dass man in Wien ausflippe bzgl. der AKW-Politik der Nachbarstaaten. Soviel zum Thema Deutschland(=deutscher Grünmainstream) als Referenzgröße.
Die Ablehnung von KKWs ist nicht nur wie üblich bei den Linken stark ausgeprägt: bei den Rechten dominiert so eine Art "zurück zur Natur" - Thema, das weniger mit Öko (es gibt zB kein Dosenpfand, die Mülltrennung ist lax, Windenergie wird nicht besonders stark gefördert), als mit mM Technikfeindlichkeit zu tun hat. Ähnlich schrill wie die Propaganda gegen Kernkraft wird ja auch gegen die Gentechnik polemisiert.
Ich glaube aber nicht, daß das alles besonders mit dem deutschsprachigen Raum zu tun hat. Anti-Atom ist ein weltweites Phänomen: http://en.wikipedia.org/wiki/Anti-nuclear_movement ich würde es eher in den Zeitablauf einordnen, d.h. eine Phase der Euphorie über die neuen technischen Möglichkeiten bis in die 1970er wichen einer Gegenbewegung, die wiederum seit einigen Jahren wieder rationalisiert wird. Daß im deutschsprachigen Raum noch immer so wüst gegen Technik polemisiert wird, liegt mM am dort noch gefühlt höheren Wohlstand. Alle Nationen, die auf den Ausbau der Kernkraft setzen, haben ökonomische Ziele vor Augen. Entweder haben sie ein dikatorisches Regime abgeschüttelt und befinden sich in einer starken Wachstumsphase (Osteuropa, China) oder sie haben eine Stagnation hinter sich und holen wieder auf (England, Schweden, USA, Japan). Nur Deutschland hat keine Ziele. Man ist ja noch immer die #1 in Europa. Es stimmt zwar beim pro-Kopf-Einkommen schon länger nicht mehr, aber im Vergleich zum EU-Durchschnitt ist man noch immer weit oben. Da werden noch 10, 20 Jahre ins Land gehen, bis auch hier der Wohlstand so weit erodiert ist, daß wieder eine nationale Debatte über die Zukunftsfähigkeit einsetzt. Momentan will man sich noch Ideologie leisten.
Ich habe heute in der Wikipedia einen interessanten Abschnitt im Artikel zur Sicherheit von AKWs gefunden (http://de.wikipedia.org/wiki/Sicherheit_..._Energiequellen). Dort wird auf eine Untersuchung aus dem Jahre 1998 rekurriert, in der das Risiko der Energieerzeugung erfrischend rational (manche würde wohl sagen: zynisch) in Todesopfern pro GWJahr angegeben wird. Der Wert soll zwischen 0,02 (sic!) bei AKWs und 0,9 bei Wasserkraft liegen.
Anschließend wird das Ergebnis allerdings in einer mir nicht verständlichen Weise relativiert:
Zitat Die zugrundeliegende Studie ... befasst sich in puncto AKWs ... allerdings hauptsächlich mit den geschätzten anfallenden Kosten für die überhaupt mögliche Schadensbegrenzung bei schlimmstmöglichen fiktiven Unfallszenarien in AKWs mit höchsten Sicherheitsstandards (die in der Studie auch in westlichen Ländern als selten erfüllt bezeichnet werden) und bei maximaler Entfernung von menschlichen Siedlungen, nicht etwa mit einem einzelnen AKW oder den tatsächlichen Auswirkungen einer solchen Katastrophe wie etwa konkreten Todeszahlen oder dem Ausmaß menschlicher wie Umweltschäden ...
Kennt jemand vielleicht die Studie und kann erläutern, wie der Schaden dort überhaupt berechnet wird? Oder kennt hier jemand andere Studien, die diese Fragen untersuchen?
Zitat Österreich ist bei der Anti-Atom-Hysterie eine Klasse für sich. Die auflagenstärkste Tageszeitung von gestern, dem 16. März: [...] da braucht man nicht mehr viel erklären. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie lange das Theater schon dauert: [...].
Es scheint eine österreichische Spezialität zu sein, historische Tatsachen im Rückblick zu nationalen Mythen zu verklären. Die Neutralität, ursprünglich eine ungeliebte Bedingung der UDSSR für den Abzug, wurde zum Nationalheiligtum. Eine denkbar knappe Volksabstimmung ist 30 Jahre später teil der kollektiven Identität dieses Landes.
Wenn es nach den österreichischen Medien ginge, wäre Japan längst schon eine strahlende Wüste.
Ich entsinne mich vor einiger Zeit auf dieselbe Studie gestoßen zu sein. Ich hatte damals auch einen Blick in die Studie geworfen. Sie beurteilt vor allem Unfälle. Bei der Wasserkraft wird der Morvi-Staudamm-Unfall aus dem Jahr 1979 stark ins Gewicht Fallen. In der Studie wurden hier 2500 Tode gerechnet im Vergleich zu Tschernobyl mit 31 Todesopfern.
Ich habe mir deshalb nochmals Staudammunfälle angeschaut und bin überrascht wieviel Tote diese Technologie tatsächlich fordert. Staudammunfaälle sind scheinbar alltäglich: http://de.wikipedia.org/wiki/Talsperren-Katastrophen
"Německá jaderná hysterie žene v Evropě vzhůru cenu elektřiny Úterní krok Německa zastavit na tři měsíce sedm jaderných elektráren kvůli obavám z jaderné krize, která sužuje Japonsko, má za následek vzestup cen elektřiny v Německu, potažmo v dalších zemích v Evropě. V Německu ceny elektřiny, kterou producenti dodají do sítí v dubnu, vyskočily o 17,9 procenta. "
"Die deutsche Atomhysterie treibt die Energiepreise in die Höhe. Die am Dienstag wegen der Befürchtungen angesichts der japanischen atomaren Krise getroffene Entscheidung, sieben Kernkraftwerke für drei Monate abzuschalten, hat den Anstieg der Energiepreise in Deutschland bzw. weiteren europäischen Ländern zu Folge. In Deutschland schnellten die Preise für Strom, der von den Energieversorgern im April ins Netz geliefert wird, um 17,9 Prozent in die Höhe."
Man beachte die Formulierung "Hysterie". Die Tschechen sind inzwischen zunehmend genervt von den Deutschen, mit denen sie an sich eine tiefe Freundschaft verbindet. Ähnlich wie "German Angst" scheint sich "Německá hysterie" als Redewendung einzuschleifen. MfG Frank
Blub
(
gelöscht
)
Beiträge:
17.03.2011 23:40
#23 RE: Zitat des Tages: "Selbstbezogene Diskussion"
Bei aller Sympathie, aber es ist nicht gerade redlich nur die direkten Toten bei Chernobyl zu rechnen und die ganzen schwerer erfassbaren verfrühten Krebs-Toten zu ignorieren. Der Vergleich mit Energiequellen, wo man bei Unfällen eínfach sofort tot oder nicht tot leicht feststellen kann, hinkt daher. Bei radioaktiven Katastrophen geschieht der von der Masse her gesehen größte Schaden ja erst im Laufe der Zeit.
Zitat von BlubBei aller Sympathie, aber es ist nicht gerade redlich nur die direkten Toten bei Chernobyl zu rechnen und die ganzen schwerer erfassbaren verfrühten Krebs-Toten zu ignorieren. Der Vergleich mit Energiequellen, wo man bei Unfällen eínfach sofort tot oder nicht tot leicht feststellen kann, hinkt daher. Bei radioaktiven Katastrophen geschieht der von der Masse her gesehen größte Schaden ja erst im Laufe der Zeit.
Das stimmt, lieber Blub. Das Problem ist, daß es offenbar außerordentlich schwer ist, zu einem Konsensus über das Ausmaß dieses Schadens zu gelangen.
Ich habe mir eben einmal den Wikipedia-Artikel Chernobyl disaster effects angesehen. Wieviele Krebstote gehen auf das Konto des Unglücks von Tschernobyl?
Eine Kommission von WHO, IAEA und anderen Organisationen und Regierungen, der rund 100 Experten angehörten (das "Tschernobyl-Forum") schätzte 2005, daß es insgesamt 4000 Todesopfer geben werde, also einschließlich aller, die irgendwann in der Zukunft an den Spätfolgen sterben.
Das war den Grünen natürlich zu wenig.
Die deutschen Grünen beauftragen zwei britische Wissenschaftler, die mit der Zahl 30.000 bis 60.000 herauskamen. Greenpeacte toppte das mit 270.000. Wer bietet mehr?
Ich bin gerade dabei, dazu ein wenig zu lesen. Es ist wie so oft: Je besser, je ausgefeilter die statistischen Methoden, umso weniger Horror bleibt übrig.
Der britische Nuklearpyhsiker und Medizinphysiker Wade Allison von der Universität Oxford arbeitete so, wie man das tun sollte, nämlich indem man nicht einfach Medizinstatistik betreibt, sondern alle verfügbaren Daten - aus der Zellphysiologie, der Nuklearmedizin, natürlich auch der Medizinstatistik - miteinander verknüpft.
Das ist ein ganz anderes - nämlich weit höheres - wissenschaftliches Niveau als die reine Rechnerei vieler Medizinstatistiker. Hier sind der Text eines Vortrags von Allison und die Folien dazu:
Ich habe das noch nicht gründlich gelesen, aber es scheint mir der richtige wissenschaftliche Ansatz zu sein. Allison kommt zu dem Ergebnis, daß 81 Todesfälle durch Krebs dem Unglück von Tschernobyl zuzuschreiben sind.
Zitat achgut-Leser Patrick Sánchez del Solar schreibt uns:
“Als regelmäßiger Leser Ihres Blogs fragte ich mich heute, warum ein havarierter Reaktor in Japan die deutsche Öffentlichkeit und Politik offenbar deutlich mehr aufschreckt als ein atomar bewaffneter Iran. Bisher kann ich mir keinen Reim darauf machen, Sie vielleicht?”
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