Zitat Mir ist noch nicht ganz klar, was der Sinn deines Beitrags ist, Gansguoter.
Ich habe versucht, auf Zettel zu antworten in doppelter Hinsicht: a) Er hat die Ansicht vertreten hat, das Dritte Reich sei im Ggs. zum Kommunismus besser aufgearbeitet. Meiner Ansicht nach gibt es die "offizielle" Aufarbeitung bis hin zu deren politischem Ge- oder Missbrauch; es ist aber eine Aufarbeitung nur der Taten, nicht der Täter. Meiner Ansicht nach fehlt, aber wäre dringend erforderlich, sich dessen bewusst zu werden, dass die Verbrechen des "Dritten Reiches" nicht von Asozialen und "Monstern", sondern Menschen wie Du und ich begangen worden sind, ja, dass uns mit diesen Menschen ganz viel verbindet. Nur so kann man - meine ich - sich auch mit der Frage beschäftigen, was bringt Menschen dazu, wie kann das verhindert werden. b) Zettel sieht in den Menschen, die zwischen 1890 und 1930 geboren sind, die "geschundene Generation", die irgendwie versucht hat, durchs Leben zu kommen (richtig); gleichzeitig hätte er es aber auch für richtig gefunden, alle, die am Judenmord beteiligt waren, wegen ihrer offenkundigen Schuld zu hängen. Ich habe versucht, mich dem Begriff der "Schuld" zu nähern und wollte dann zeigen, dass gerade dieser Versuch, irgendwie durchs Leben zu kommen, unter den entsprechenden Rahmenbedingungen das Individuum in tiefe Schuldverstrickung führen kann, die das Individuum selbst so nicht gewollt hat. Daher stelle ich Zettels Position, alle Beteiligten hätten hingerichtet werden sollen, in Frage. Man könnte sogar fragen: Welche Chance hat das Individuum, in einem Staat wie dem Dritten Reich (oder Stalins UdSSR) schuldlos zu bleiben? Liegt das in seiner Verfügung? Oder teilt das Schicksal mehr oder weniger blind zu, wer Täter, wer Opfer wird?
Zitat von Gansguoter b) Zettel sieht in den Menschen, die zwischen 1890 und 1930 geboren sind, die "geschundene Generation", die irgendwie versucht hat, durchs Leben zu kommen (richtig);
Dass dies richtig sei, finde ich gewagte These. Habe die Zahlen nicht genau im Kopf, aber es waren über 30 % welche bei den letzten freien Wahlen Hitler wählten.
Also ca. 2/3 des Volkes geschunden?
Nach der Machtergreifung belegen Zahlen, dass die Zustimmung für Hitler über 50 % betrug. Zu dem Zeitpunkt wurden Juden bereits enteignet und vertrieben, durften nicht mehr in Cafes etc.
Also knapp die Hälfte geschunden?
Dann kann man schon nicht mehr von einer geschundenen Generation sprechen. Die Leute wussten ganz genau, was Hitler mit Juden, politischen Gegnern, Homosexuellen etc. machte. Aber man witterte eigene Vorteile und daher die Zustimmung unter dem Wissen, was andere unter Hitler zu erleiden haben.
WK II wurden von einem Großteil der Bevölkerung freudig begrüßt. Die Männer meldeten sich freiwillig in Strömen um in der Armee zu dienen. Das ganze kippte erst, als die menschlichen deutschen Verluste an der Front immer größer wurden.
Geschunden? Das sind nur die Konsequenzen eines Krieges, den die Mehrheit wollte und kein Unglück, in das man passiv geriet. Jetzt von geschunden zu sprechen, finde ich völlig unangemessen und eine Verzerrung der Tatsachen. Die Franzosen, Polen etc. bekamen nicht viel Mitleid von den Deutschen. Jede gewonnene Schlacht wurde gefeiert. Und als es sich dann dreht, die Versorgung für die Deutschen knapp wurde etc., als also die Deutschen selbst Krieg zu spüren bekamen, fingen sie an, dass ganze nicht mehr ganz so spaßig zu finden.
Zettel meint es anders. Mit "geschundener Generation" meint er nicht diejenigen, die NICHT für Hitler waren, sondern die Situation der Menschen dieser Generation insgesamt. Geprägt durch den 1. Weltkrieg, mehr noch dessen Folgen, anfällig für Radikale von Rechts und Links, seit 1933 unter einer Diktatur, seit 1939 im Krieg. Die meisten wollten keine Diktatur, wollten keinen Krieg. Sie wollten ihr Leben führen, sie landeten in Diktatur und Krieg. Diese Generation hatte ganz andere Bedingungen als die Generationen früher und später; an Chancen für ein Leben in Frieden und Freiheit hatten sie keine.
Zitat WK II wurden von einem Großteil der Bevölkerung freudig begrüßt. Die Männer meldeten sich freiwillig in Strömen um in der Armee zu dienen. Das ganze kippte erst, als die menschlichen deutschen Verluste an der Front immer größer wurden.
Das ist so wohl nicht richtig. Die freiwilligen Meldungen waren 1914. Der Kriegsbeginn 1939 wurde von der Mehrheit mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Die "Blitzkrieg"-Siege über Polen und Frankreich festigten dann die Zustimmung zum Regime, zumal sich die dt. Verluste dabei in Grenzen hielten.
Zitat von GansguoterZettel meint es anders. Mit "geschundener Generation" meint er nicht diejenigen, die NICHT für Hitler waren, sondern die Situation der Menschen dieser Generation insgesamt. Geprägt durch den 1. Weltkrieg, mehr noch dessen Folgen, anfällig für Radikale von Rechts und Links, seit 1933 unter einer Diktatur, seit 1939 im Krieg. Die meisten wollten keine Diktatur, wollten keinen Krieg. Sie wollten ihr Leben führen, sie landeten in Diktatur und Krieg. Diese Generation hatte ganz andere Bedingungen als die Generationen früher und später; an Chancen für ein Leben in Frieden und Freiheit hatten sie keine.
Sehr viel anderes hatte ich das auch nicht verstanden. Ich teile nur die Auffassung nicht. Wären die Menschen wirklich so gegen eine Diktatur gewesen, hätte es keine über 50%ige Zustimmung für Hitler und seine NSDAP gegeben. Denn diese hohe Zustimmung war ja erst gegeben nach der Machtübernahme. Also als das System schon etabliert war. Bei den letzten freien Wahlen sah das noch ganz anders aus. Wie kann man etwas zustimmen, wenn man eigentlich etwas anderes will? Das passt nicht. Zumal ja auch Einträge in die Geburtenregister etc. belegen, wie beliebt allein der Vorname Adolf war.
Ferner lebte Deutschland ja nicht auf einer einsamen Insel und man sah, dass es drum herum noch Demokratien gab. Dennoch hatte Hitler die über 50ige Zustimmung.
Die Zustimmung und die Charakterisierung der Generation als "geschundener" Generation passen durchaus zusammen. Warum haben die Menschen 1930, 1932 Hitler gewählt? Nicht, weil sie Juden ermorden wollten, nicht, weil sie einen neuen Krieg wollten, nicht, weil sie eine Diktatur mit allen ihren Folgen wollten. - Von Hitler erhofften sich seine Wähler einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise, sie wollten jemanden, der mit den Belastungen des Versailler Vertrags fertig würde; die Wähler sahen das System der Weimarer Republik als gescheitert und erhofften sich vom NS-System eine Besserung der politischen Lage. Und letztlich wollten die Wähler für sich bessere Lebensbedingungen. Die einen meinten, mit Hitler wäre dieses Ziel zu erreichen; eine ebenfalls große Zahl war der Ansicht, die KPD hätte dazu die richtigen Konzepte.
Demokratien um Deutschland? Nun. Italien, Spanien, Österreich, Polen, die Tschechoslowakei wurden alle mehr oder weniger autoritär regiert; Frankreich erlebte Krisenjahre. Beispiele funktionierender Demokratien waren rar.
Zitat von StefanieWären die Menschen wirklich so gegen eine Diktatur gewesen, hätte es keine über 50%ige Zustimmung für Hitler und seine NSDAP gegeben. Denn diese hohe Zustimmung war ja erst gegeben nach der Machtübernahme.
Bei allem Respekt: Wie hätte man das feststellen können?
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von StefanieWären die Menschen wirklich so gegen eine Diktatur gewesen, hätte es keine über 50%ige Zustimmung für Hitler und seine NSDAP gegeben. Denn diese hohe Zustimmung war ja erst gegeben nach der Machtübernahme.
Bei allem Respekt: Wie hätte man das feststellen können?
Da gibt es diverse Untersuchungen anhand von Indizien wie z.B. wie viele Neugeborene Adolf genannt wurden etc. Mir ist nichts bekannt, das aussagt, diese Zahlen würden nicht stimmen.
Zitat von StefanieDa gibt es diverse Untersuchungen anhand von Indizien wie z.B. wie viele Neugeborene Adolf genannt wurden etc. Mir ist nichts bekannt, das aussagt, diese Zahlen würden nicht stimmen.
Ja, dieses "Indiz" erschlägt natürlich alles, was ich bisher so an Historikergeschreibsel über diese Zeit gelesen habe.
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Habe jetzt google bemüht, weil Sie beiden dies als so abwegig abtun, auf der ersten Seite nur Ergebnisse, die keine Hinweise darauf geben, dass Sie recht behalten könnten.
Die ersten beiden:
Eine moderne Meinungsforschung (Demoskopie) mit entsprechenden Umfragen, Wahlanalysen usw. gibt es in Europa erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Daher ist es bereits für die Zeit der Weimarer Republik schwierig, beispielsweise die Wahlerfolge der NSDAP seit 1930 genau einzelnen Bevölkerungsgruppen zuzuweisen. Man behilft sich daher mit dem Vergleich von demographischen Daten einzelner Wahlkreise.
Dem Historiker Peter Longerich zufolge gab es keine Öffentlichkeit im Dritten Reich, zumindest keine freie, sodass die Erforschung einer solchen überhaupt fragwürdig sei.[1] Ersatzweise verwendet man die NS-staatlichen „Meldungen aus dem Reich“ oder die Deutschlandberichte, die die Exil-SPD gesammelt hat. Auch einzelne Tagebuchschreiber werden herangezogen, wie Viktor Klemperer. Daneben wurde versucht, Indizien wie die Vergabe von Vornamen auszuwerten.
Einzelne Forscher oder Publizisten meinen erkannt zu haben, dass Hitlers Regime und seine Ziele großen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung gehabt hätten. Dadurch sei zu erklären, warum sich das Regime bis 1945 trotz unter anderem des Bombenkriegs halten konnte.
Neben der Zustimmung mancher Bevölkerungsgruppen zu einzelnen Themen waren die wichtigsten Motive, das Regime hinzunehmen, Furcht vor Terror, dazu Opportunismus (etwa in beruflicher Hinsicht), politisches Desinteresse oder der Glaube an die Propaganda, oder eine Mischung aus mehreren Motiven. Auch die Unzufriedenheit mit der Weimarer Republik spielte eine Rolle. Hitler erschien als unverbrauchter Politiker.
Die Mehrheit des Volkes konnten die Nationalsozialisten rasch für ihre Ziele begeistern. Die Erfolge in der Außenpolitik, die Scheinerfolge in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und der innere Frieden, der bis über den Beginn des Zweiten Weltkrieges hinaus im Deutschen Reich zu herrschen schien, bestätigten die Nationalsozialisten und festigten ihre Herrschaft. Daß die Gegner des Regimes in Konzentrationslagern und Gefängnissen verschwanden oder emigrieren mußten, berührte viele Menschen, die der NS-Herrschaft insgesamt oder teilweise zustimmten, wenig. http://www.bpb.de/publikationen/LAYBV0,0...ozialismus.html
Bei den Märzwahlen 1933, die nicht mehr frei waren, erreichte Hitlers Partei 43,9 % der Stimmen, noch keine Mehrheit. Für die zweite Hälfte der 30er Jahre bis in den Krieg hinein geht man von Seiten der Geschichtswissenschaft von einer großen Zustimmung für das Regime aus.
Aus der Sicht von Otto Normalbürger und Erika Mustermann ging es den Menschen gut wie lange nicht mehr - sofern sie nicht Juden waren oder politisch oppositionell. Das Regime hat eine Reihe von außenpolitischen ERfolgen, die de-facto-Revision des Versailler Vertrags war erfolgt, die Arbeitslosigkeit ging runter (1933 6 Mio, 1936: 2,5 Mio, 1937: 1,6 Mio), mit der Wirtschaft ging es bergauf. Fürs Volk gab es seit 1935/36 Kindergeld und seit 1940 steuerfreie Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit; seit Mitte der 1930er Jahre Ehestandsdarlehen, Einrichtungszuschüsse, Ausbildungsbeihilfen; 1941 kam eine Rentenerhöhung und die Krankenversicherung für Rentner. Die Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenvers. wurden gesenkt (da die Juden zwar eingezahlt hatten, aber nicht mehr anspruchsberechtigt waren); "Kraft durch Freude", seit 1934 das größte Reiseunternehmen der Welt, sorgte für den Urlaub. Es gab technischen Fortschritt, den Volksempfänger für alle, man konnte Marken kleben für einen Volkswagen, der Volkskühlschrank war in Entwicklung und das Fernsehen ebenso.
Selbst über die politische Unfreiheit konnte man leidlich hinwegsehen (wieder: sofern man nicht Jude oder Sozialdemokrat war), und die meisten taten es auch. 7000 Gestapo-Mitarbeiter reichten für das Reich. 1936 nach dem Anfangsterror waren nur noch 5000 Häftlinge in den KZs.
Zitat von GansguoterDie Zustimmung und die Charakterisierung der Generation als "geschundener" Generation passen durchaus zusammen. Warum haben die Menschen 1930, 1932 Hitler gewählt? Nicht, weil sie Juden ermorden wollten, nicht, weil sie einen neuen Krieg wollten, nicht, weil sie eine Diktatur mit allen ihren Folgen wollten. - Von Hitler erhofften sich seine Wähler einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise, sie wollten jemanden, der mit den Belastungen des Versailler Vertrags fertig würde; die Wähler sahen das System der Weimarer Republik als gescheitert und erhofften sich vom NS-System eine Besserung der politischen Lage. Und letztlich wollten die Wähler für sich bessere Lebensbedingungen. Die einen meinten, mit Hitler wäre dieses Ziel zu erreichen; eine ebenfalls große Zahl war der Ansicht, die KPD hätte dazu die richtigen Konzepte.
Demokratien um Deutschland? Nun. Italien, Spanien, Österreich, Polen, die Tschechoslowakei wurden alle mehr oder weniger autoritär regiert; Frankreich erlebte Krisenjahre. Beispiele funktionierender Demokratien waren rar.
Meinte auch mehr die nördlichen Länder und nicht zu vergessen die Schweiz. Man wusste also schon, wie es auch aussehen kann.
Sie haben völlig recht damit, dass die Deutschen Hitler nicht wählten - dass es sogar über 40 % waren, hatte ich nicht mehr im Kopf -, weil sie Juden ermorden oder Krieg wollten. Auch beruhte die spätere Zustimmung zu Hitler nicht auf diesen Punkten. Es ging darum, dass sich viel Deutsche durch Hitler für sich eine besser Situation versprachen - aber wissend, dass es anderen unter ihm sehr schlecht geht. Das nahm man billigend in Kauf ebenso wie das Leid der überfallenen Nachbarn, als man meinte, der Krieg werde ein Erfolg für Deutschland.
Wenn Mehrheiten für ihr eigenes Glück Hitlers Machenschaften - und davon wussten die Menschen - in Kauf nahmen, ist für mich der Begriff "geschundenes Volk" völlig fehl am Platz. Das klingt nach unverschuldet in etwas hingeraten. Und das war es eben nicht. Man hatte Hitler unterstützt und musste die Konsequenzen tragen.
Zitat von GansguoterFür die zweite Hälfte der 30er Jahre bis in den Krieg hinein geht man von Seiten der Geschichtswissenschaft von einer großen Zustimmung für das Regime aus.
Geht man. Aha. Ist das ein Beleg?
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Zitat Es ging darum, dass sich die Deutschen durch Hitler für sich eine besser Situation versprachen - aber wissend, dass es anderen unter ihm sehr schlecht geht.
Nein, das wussten sie ja nicht. Eine Entscheidung für oder gegen HItler gab es 1930 und 1932, mit Einschränkungen noch 1933. Später gab es keine Wahlen mehr, bei denen man sich für oder gegen Hitler hätte entscheiden können. Hitler war seit 1933 gegeben, und für die Mehrzahl blieb nur noch, sich mit ihm zu arrangieren.
Wenn ich Zeit habe, werde ich versuchen, Zettels Wort von der "geschundenen Generation" genauer zu erklären - wenn mir nicht Zettel selbst zuvorkommt.
Zitat von GansguoterMeiner Ansicht nach fehlt, aber wäre dringend erforderlich, sich dessen bewusst zu werden, dass die Verbrechen des "Dritten Reiches" nicht von Asozialen und "Monstern", sondern Menschen wie Du und ich begangen worden sind, ja, dass uns mit diesen Menschen ganz viel verbindet. Nur so kann man - meine ich - sich auch mit der Frage beschäftigen, was bringt Menschen dazu, wie kann das verhindert werden.
Ist es denn nicht längst common sense, dass die "Banalität des Bösen" dort sichtbar wurde? Wo ist das Neue? Wo ist die neue Botschaft, die uns über das länsgst Bekannte hinaus sagt, wie solche Untaten "verhindert werden können"?
Zitat von GansguoterIch habe versucht, mich dem Begriff der "Schuld" zu nähern und wollte dann zeigen, dass gerade dieser Versuch, irgendwie durchs Leben zu kommen, unter den entsprechenden Rahmenbedingungen das Individuum in tiefe Schuldverstrickung führen kann, die das Individuum selbst so nicht gewollt hat. Daher stelle ich Zettels Position, alle Beteiligten hätten hingerichtet werden sollen, in Frage. Man könnte sogar fragen: Welche Chance hat das Individuum, in einem Staat wie dem Dritten Reich (oder Stalins UdSSR) schuldlos zu bleiben? Liegt das in seiner Verfügung? Oder teilt das Schicksal mehr oder weniger blind zu, wer Täter, wer Opfer wird?
Auch hier wieder: Sind das nicht olle Kamellen? Jeder muss hinterfragen, welche Rolle er damals eingenommen hat, und je nach Person gelingt das mehr oder weniger gut, Aber wo ist das Neue? Was hat sich geändert?
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Zitat von GansguoterNein, das wussten sie ja nicht. Eine Entscheidung für oder gegen HItler gab es 1930 und 1932, mit Einschränkungen noch 1933. Später gab es keine Wahlen mehr, bei denen man sich für oder gegen Hitler hätte entscheiden können. Hitler war seit 1933 gegeben, und für die Mehrzahl blieb nur noch, sich mit ihm zu arrangieren.
Das schrieb ich ja bereits selbst oben. Sie korrigierten ja sogar meine Zahl betreffend die letzten freien Wahlen nach oben.
Ferner schrieben Sie:
Aus der Sicht von Otto Normalbürger und Erika Mustermann ging es den Menschen gut wie lange nicht mehr - sofern sie nicht Juden waren oder politisch oppositionell.
Selbst über die politische Unfreiheit konnte man leidlich hinwegsehen (wieder: sofern man nicht Jude oder Sozialdemokrat war), und die meisten taten es auch.
Und nichts anderes sage ich doch. Eine Mehrheit war zufrieden, was Hitler erreicht hatte - an Verbesserungen für die persönliche Situation- und war dafür bereit hinzunehmen, was er ansonsten noch so trieb.
Zitat war dafür bereit hinzunehmen, was er ansonsten noch so trieb
Das klingt nach einer freien Entscheidung. Hatten die Menschen eine freie Entscheidung? Oder blieb ihnen nicht einfach, hinzunehmen, was nicht zu ändern war? Und vor allem: Was Hitler "ansonsten noch so trieb", das hielt sich bis 1938/39 in Grenzen. Krieg, Euthanasie, Holocaust, das kam erst später. Nach den unruhigen Wochen im Februar / März 1933 (die von der Mehrheit als die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung wahrgenommen wurden) gab es erst beim Novemberpogrom von 1938 eine Welle von Mord und Totschlag. Was konnte der unpolitische Bürger, der mit Demokratie kaum Erfahrung hatte, mit Demokratie vielleicht sogar Chaos verband, was konnte der, von der Propaganda im Sinne des Staates indoktriniert, Hitler bis dahin vorwerfen? Mir scheint, dass es nicht schwer war und für viele nur wenige Verrenkungen des Gewissens verlangte, sich mit Hitler zu arrangieren.
Haben Sie denn einen Beleg, dass die Mehrheit mit Hitler unzufrieden war? - Schauen Sie in Tagebücher, in Autobiographien, in Stimmungsberichte der Polizeien; aus all dem schließen Historiker, dass Hitler keine großen Teile des Volkes gegen sich hatte. Während des Krieges sind gewisse Verschiebungen zu erkennen.
Zitat Meinte auch mehr die nördlichen Länder und nicht zu vergessen die Schweiz. Man wusste also schon, wie es auch aussehen kann.
Die Schweiz: Das Land, das keine Juden ins Land ließ. Skandinavien: Schweden mit seinem weltweit ersten Institut für Rassehygiene, 1921, und seinem Konzept des "Volksheims", was gewisse Querverbindungen zur dt. "Volksgemeinschaft" hat.
Zitat von StefanieWären die Menschen wirklich so gegen eine Diktatur gewesen, hätte es keine über 50%ige Zustimmung für Hitler und seine NSDAP gegeben. Denn diese hohe Zustimmung war ja erst gegeben nach der Machtübernahme.
Bei allem Respekt: Wie hätte man das feststellen können?
Da gibt es diverse Untersuchungen anhand von Indizien wie z.B. wie viele Neugeborene Adolf genannt wurden etc. Mir ist nichts bekannt, das aussagt, diese Zahlen würden nicht stimmen.
Das ist jetzt absolut nicht gegen Sie als Überbringerin der Nachricht gerichtet, aber ich finde es geradezu lächerlich, wenn man - mit Blick auf die Daten* - die Namensvergabe an Neugeborene tatsächlich als Indiz für eine hohe Zustimmung der Bevölkerung heranziehen sollte. Der Name hat es nie in die Top 10 der am häufigsten vergebenen Jungennamen geschafft und, wenn ich mir die Kurve anschaue, habe ich vielmehr den Eindruck, dass es vor der Machtergreifung eher einen Anti-Adolf-Vornameneffekt gegeben hat, bevor sich die Häufigkeit des Vornamens trotz totalitärer Diktatur und Personenkult gerade mal auf dem damaligen Langzeitniveau eingependelt hat.
Es fällt mir schwer, der Diskussion hier zu folgen, ohne entweder ein aggressives Posting zu verfassen, welches mit Sicherheit gegen die Forumsregeln verstoßen würde, oder aber mich aus einem bisher doch sehr erfreulich positiv vom deutschen Mainstream abhebenden Blog und Forum still und leise resigniert abzuwenden. Vielleicht gelingt es mir aber einen für mich selbst akzeptablen Mittelweg zu finden, indem ich einfach mal ein paar Fragen in den Raum stelle, die mein Dilemma mit der deutschen "Aufarbeitung" verdeutlichen:
- Wieso stellt ein Nachkomme der Täter eben diese als geschundene Generationen dar? Wo bleiben da die Opfer dieser Generationen?
- Wieso gedenkt man regelmäßig den Männern des 20. Juli, deren primäres Ziel es war, den Untergang Deutschlands zu verhindern, denen die Opfer Deutschlands aber ziemlich egal waren?
- Warum liefert eine Google-Suche nach "Oskar-Schindler-Strasse" nur 29.300 Treffer, eine Suche nach "Rosa-Luxemburg-Strasse" 389.000 Treffer? Wo ist die wiederkehrende Anerkennung all der namenloser Helfer verfolgter Juden im 3. Reich?
- Warum wurden Filme wie z.B. Schindlers Liste nicht in Deutschland realisiert?
- Warum sind die drei erfolgreichsten deutschen Filme über den 2. WK alles nur Filme, die sich mit den Deutschen beschäftigen und die Opfer in diesen Filmen zum Großteil nur Deutsche, die von der wahnsinnigen Führung verheizt wurden (Das Boot, Stalingrad, Der Untergang). Wo bleiben die Filme über die Opfer?
- Bei jeder (strafrechtlichen) Aufarbeitung von Verbrechen ist u.a. die Frage der Reue des Täters elementar bei der Beurteilung des Verbrechens und der Bestrafung der Täter. Nun kann man auf zwei Arten bereuen. Ich bereue meine Tat, weil ihre Konsequenzen Nachteile für mich mit sich bringen oder ich bereue die Tat, weil ich erkenne, welches Leid ich über die Opfer gebracht habe. Im Aufarbeiten der ersten Art von Reue sind die Deutschen Weltmeister, man sieht auch an diesem Thread wieder einmal exemplarisch, das die zweite Art nicht existent ist. Warum sollte man den Deutschen dann abkaufen, dass sie ihre Lektion wirklich gelernt haben?
- Warum beharren Deutsche nur bei der Aufarbeitung des dritten Reiches so sehr auf der Position der "Individuellen Schuld"? Im sonstigen Alltag höre und lese ich pausenlos kollektive Schuldzuweisungen durch Deutsche Individuen (Heuschrecken, Spekulanten, Kapitalisten, Großfinanz, Amis, Israelis, Lobbyisten, Politiker, etc.). Müssten da nicht gerade Deutsche mit ihren Schuldzuweisungen differenzierter sein und nur dann von Schuldigen sprechen, wenn diese auch individuell benennbar sind? Es ist schon interessant zu sehen, dass in Deutschland privates wirtschaftliches Scheitern sozialisiert und moralisches Scheitern gerade auf gesellschaftlich-politischer Ebene privatisiert wird.
Einzig eine ironische Wendung lässt mich manchmal innerlich Lachen. Die Deutschen wollten die Herren der Welt sein und fühlten sich den Juden so überlegen, dass sie sie ausrotten wollten. Jetzt erlitten sie deshalb für einige Jahrzehnte das Schicksal, das vorher so nur die Juden für Jahrtausende kannten - die Parias der Welt zu sein. Ein Spaß zu sehen, wie gut die Herrenrasse damit klar kommt...
Gruß David
---------------------------------------------------- "Those who would give up essential Liberty to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety." - Benjamin Franklin
Zitat von Capitalism and Freedom- Wieso gedenkt man regelmäßig den Männern des 20. Juli, deren primäres Ziel es war, den Untergang Deutschlands zu verhindern, denen die Opfer Deutschlands aber ziemlich egal waren?
Vielleicht, weil es schlicht nicht stimmt, dass "denen die Opfer Deutschlands ziemlich egal" waren?
Freisler: „Jedenfalls ist das Hin und Her etwas, was Sie dem Nationalsozialismus zur Last legen können?“ Graf Schwerin: „Ich dachte an die vielen Morde...“ Freisler: „Morde?“ Graf Schwerin: „Die im In- und im Ausland...“
mich überrascht Ihre Empörung über die Diskussion ein wenig, da ich meine, dass wir den wesentlichen Punkten einer Meinung sein dürften. Haben Sie meinen ersten Beitrag in ZR gelesen?
Zitat - Wieso stellt ein Nachkomme der Täter eben diese als geschundene Generationen dar? Wo bleiben da die Opfer dieser Generationen?
Ich meine, ich hätte schon deutlich gemacht, dass ich vor allem eine eher abstrakte Auseinandersetzung mit dem "Dritten Reich" konstatiere, bei der die Täter unsichtbar bleiben; dass mir die Auseinandersetzung mit den konkreten Taten Einzelner unzureichend erscheint, wohl aber sehr notwendig.
Die Bezeichnung "geschundene Generation" stammt von Zettel (auch wenn ich meine, sie andernorts auch schon gelesen zu haben). Damit möchte wohl weder Zettel und noch ich relativieren, was zwischen 1933 und 1945 an Verbrechen begangen worden sind. Nicht die Täter habe ich als, hat Zettel als "geschundene Generation" bezeichnet, sondern die Menschen, die zwischen 1890 und 1930 geboren worden sind. Die Täter entstammen dieser "geschundenen Generation", aber sind natürlich Täter.
Die Schuld an den Verbrechen, die begangen worden sind, steht ja außer Frage. Aber es bleibt ja die Frage, wie und warum jemand schuldig wird. Die Täter des "Dritten Reiches" hätten ja ganz überwiegend ein ganz normales unauffälliges Leben geführt, wären sie zu anderer Zeit geboren und hätten unter anderen Umständen gelebt. Wieso wird jemand schuldig (in ganz unterschiedlichem Maße)? Ohne die individuelle Schuld und Verantwortung kleinreden zu wollen, spielen sicherlich auch die Lebensumstände eine Rolle, die Strukturen, die politischen Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass manch einer zum Täter wird, der es sonst nicht geworden wäre. Wie gesagt: Das ist keine Relativierung oder Verharmlosung! Die Wähler Hitlers von 1932 wollten allenfalls in der Minderheit ihre antisemitischen Hassgefühle ausleben; keiner der Wähler Hitlers hat 1932 willentlich "für Holocaust und Weltkrieg" gestimmt. Die meisten sind auf Hitlers Versprechungen hereingefallen, er könne und werde die Situation für Deutschland bessern. Indem sich die WÄhler für eine Partei entschieden haben, von der sie sich wirtschaftlichen Aufschwung und Aufhebung der Folgen des Versailler Vertrags erhofften, bereiteten sie aber alles vor für Diktatur und Völkermord. Diese Wahlentscheidung, die ich hier exemplarisch herausgreife, kann aber wieder nur verstehen auf dem Hintergrund der Geschichte seit 1914. Nationalistisch aufgehetzt vor dem Ersten Weltkrieg, in den Europa geraten ist durch eine Mischung von verantwortungsloser Politik und krisenfördernden Strukturen; dann der Frust über die Niederlage; die schlechten Erfahrungen mit der Republik von Weimar und so fort. Ein junger Mann Jahrgang 1890 hat erst zwei oder drei Jahre mit militärischem Drill zugebracht; dann lag er vier Jahre seines Lebens im Trommelfeuer der Westfront; wenn er das überlebt hatte, erlebte er bürgerkriegsähnliche Zustände 1918/19, den Verlust seiner Ersparnisse bis 1923; wurde 1929 oder 1930 arbeitslos und hatte keine Perspektive, wie es weitergehen sollte. Bis hierher kann man die Menschen dieses Jahrgangs sehr wohl als "geschundene Generation" bezeichnen (die Individuen, die doch letztlich keinen Einfluss auf die Große Politik hatten), auch übrigens die deutschen Juden, denen es bis dahin nicht anders ergangen ist. - Und mit 1930 hatte das ja kein Ende. Es folgten die Krisenjahre bis 1932/33. Manch einer sah dann im Dritten Reich erstmals eine Chance, aus dem Schlamassel wieder herauszukommen, nur im sich ab 1939 wieder im Krieg zu finden und 1945 in einem zerstörten Land. Und wer ganz im Osten war, wurde vertrieben, und wer in Mitteldeutschland war, landete 1949 in der nächsten Diktatur und wurde nicht mehr frei für den Rest seines Lebens. - Das charakterisiert die Bedingungen, unter denen die Generation von 1890 bis 1930 sich im Leben einrichten musste. Das gibt den Hintergrund, vor dem ein Teil zu Tätern geworden ist, relativiert aber nicht deren Schuld. Schwierig finde ich es zu sagen, ab wann ist jemand schuldig im moralischen (nicht strafrechtlichen Sinne); sehe eben auch, dass die Strukturen dazu beigetragen haben.
Zitat - Wieso gedenkt man regelmäßig den Männern des 20. Juli, deren primäres Ziel es war, den Untergang Deutschlands zu verhindern, denen die Opfer Deutschlands aber ziemlich egal waren?
Unter den Attentätern waren Antisemiten und Kriegsverbrecher. Natürlich waren die Attentäter auch Teil des Systems, waren sie (überwiegend) keine Demokraten nach unserer Auffassung. Andere sind wegen Empörung über den Holocaust zu den Attentätern gestoßen (v. d. Bussche). Reicht es aus, um als Widerstandskämpfer anerkannt zu werden, den Versuch unternommen zu haben, Hitler und damit das Morden zu stoppen, oder muss auch das richtige demokratische Bewusstsein dazukommen?
Zitat - Warum liefert eine Google-Suche nach "Oskar-Schindler-Strasse" nur 29.300 Treffer, eine Suche nach "Rosa-Luxemburg-Strasse" 389.000 Treffer?
Die "Karl-Marx-Straße bringt es sogar auf 1,5 Mio. Treffer. Dass es nur wenige Oskar-Schindler-Straßen gibt, liegt wohl daran, dass O.Sch. erst spät bekannt geworden ist. - Die Zahlen zeigen die fortwährende Verehrung für linke Verbrecher.
Zitat Wo ist die wiederkehrende Anerkennung all der namenloser Helfer verfolgter Juden im 3. Reich?
Vielleicht, eben weil sie namenlos sind? - Die einen Namen haben, werden - zum Glück - ja auch anerkannt. In Bonn wurde jetzt eine neue Gesamtschule nach Marie Kahle benannt, nach der in Bonn auch eine Straße benannt ist.
Zitat ich bereue die Tat, weil ich erkenne, welches Leid ich über die Opfer gebracht habe. Im Aufarbeiten der ersten Art von Reue sind die Deutschen Weltmeister, man sieht auch an diesem Thread wieder einmal exemplarisch, das die zweite Art nicht existent ist. Warum sollte man den Deutschen dann abkaufen, dass sie ihre Lektion wirklich gelernt haben?
Diesen Vorwurf hier an mich oder das Forum zu richten, ist falsch. Bereuen können nur die Täter; die meisten Täter leben nicht mehr. Von uns Heutigen kann man keine Reue verlangen; ich kann erschüttert sein und beschämt (und bin es) über das, was die Generation meiner Großeltern angerichtet hat, wie sich konkret Familienangehörige verhalten haben. Ich kann mich als Lehrer sehr aktiv dafür einsetzen, dass sich so etwas in welchem Kontext auch immer nicht wiederholen möge. Bereuen kann ich es nicht.
Zitat Warum beharren Deutsche nur bei der Aufarbeitung des dritten Reiches so sehr auf der Position der "Individuellen Schuld"?
Weil SChuld immer individuell ist.
Zitat Im sonstigen Alltag höre und lese ich pausenlos kollektive Schuldzuweisungen durch Deutsche Individuen (Heuschrecken, Spekulanten, Kapitalisten, Großfinanz, Amis, Israelis, Lobbyisten, Politiker, etc.). Müssten da nicht gerade Deutsche mit ihren Schuldzuweisungen differenzierter sein und nur dann von Schuldigen sprechen, wenn diese auch individuell benennbar sind?
es fällt mir immer schwer, zu diesem Thema sachlich und im Rahmen eines Forums zu diskutieren. Dies hat vor allem 2 Gründe:
1. Ich bin jüdischer Abstammung und
2. Es gelingt mir nur selten, meine Argumente so in Worte zu fassen, dass ich selbst damit zufrieden bin und auch nicht andere gleich wieder verletze oder herabwürdige.
Aber ich will es in diesem Forum noch einmal versuchen, auch wenn der Pessimismus überwiegt...
Zuerst ein paar ausführlichere Worte zu mir:
Ich bin 1967 als Sohn eines - ja und jetzt geht der Schlamassel schon los: mein Vater selbst sagt, er ist christlich getaufter Atheist, die Juden sagen er ist Jude, weil seine Mutter Jüdin war und für die Nazis war er Halbjude - Vaters und einer christlichen Mutter geboren. Meine Urgroßeltern väterlicherseits waren nach England emigriert, meine Großtante floh nach Dänemark, heiratete dort einen Dänen zum Schein und überlebte als Dänin die Besatzung. Meine Großmutter (und ab 1940 mein Vater) kam nicht mehr rechtzeitig aus D raus und musste sich verstecken. Da mein Großvater aus Nazi-Sicht kriegswichtig war (maßgebliche Beteiligung an der Entwicklung des deutschen Hubschraubers), war er in Lage Frau und Sohn erfolgreich bei Freunden zu verstecken. Man scheute sich ihn zu sehr unter Druck zu setzen, wären meine Großmutter und ihre Helfer aber denunziert oder ihr Versteck zufällig entdeckt worden, hätte man sie sofort deportiert. Zwei meiner Urgroßtanten konnten sich weder erfogreich verstecken noch rechtzeitig Deutschland verlassen und kamen in Konzentrationslagern ums Leben.
Die ersten 5 Jahre alleine im Versteck mit seiner Mutter und sonst niemanden, haben die Psyche meines Vaters verständlicherweise extrem geprägt. So hat er es auch nie geschafft eine liebevolle Beziehung zu seinem Vater aufzubauen (oder umgedreht gelang es meinem Großvater nicht zu seinem Sohn, wie auch immer man das sehen will). Da ich meinem Großvater sowohl von Statur als auch in vielen Charaktereigenschaften ähnlicher bin als meinem Vater, hatte mein Vater auch so seine Schwierigkeiten mit mir. Seit 4 Jahren rede ich nicht mehr mit ihm. Wie man sich vorstellen kann, ist diese Situation weder für meine Frau noch für meine beiden Töchter sehr leicht zu handhaben.
Als ich 14 (1981!) war, nahmen wir im Schulunterricht (Hessen, Gesamtschule, Einwohnerzahl ca. 40.000) die Nazizeit durch. Ich war naiv und dumm genug während des Unterrichts kundzutun, dass ich eine jüdische Großmutter habe. Die Folge war antisemitisches Mobbing bis hin zu körperlicher Gewalt in meinem Heimatort durch meine Mitschüler, sowohl in der Schule sowie außerhalb. Bis auf eine Handvoll Freunde, unterstützte mich niemand. Die Schule wusste von den Vorfällen, es kam aber nur in einem Fall zu einer Klassenkonferenz (Ergebnis war die Androhung des Schulverweises im Wiederholungsfall), wie es mir ging interessierte keinen meiner Lehrer. Da es zu dieser Zeit auch durchaus noch normal war, Schiedsrichter in den Fußballstadien nach (vermeintlichen) Fehlentscheidungen mit "Jude, Jude"-Sprechchören zu belegen, ist mein Vertrauen in die erfolgreiche Bewältigung der Nazizeit damals doch etwas in Mitleidenschaft gezogen worden.
Wegen meiner schwierigen familiären und außerfamiliären Situation entwickelte ich eine Borderline-Erkrankung (selbstzerstörerisches Verhalten, Depressionen, zerfasernde Persönlichkeitsstruktur), die ich nach fast 10-jähriger Therapie mittlerweile einigermaßen bewältigt habe.
Für mich persönlich habe ich deshalb folgende Überzeugungen gewonnen:
- Die Täter mögen fast alle tot sein, ihr Terror ist in den Opferfamilien noch immer am Wirken;
- Da die Täter-Generation sich nie (oder besser gesagt äußerst selten) auf individueller Ebene für ihr tun bei den Opfern entschuldigte, sondern in der Masse nur leugnete, überhaupt etwas von den Verbrechen zu wissen, geschweige denn aktiv daran teilgenommen zu haben, kam es auch nie zur Aufarbeitung des deutschen Antisemitismus und damit auch nicht zu seiner Beseitigung. Man darf jetzt halt nur nicht mehr öffentlich Antisemit sein...;
- Da natürlich auch viele Deutsche Familien (egal ob selbst Opfer, Mitläufer oder Täter) durch die Kriegserlebnisse traumatisiert wurden und das Verdrängen der Erlebnisse leider eher die Regel denn die Ausnahme war, dauern diese Traumata auch hier über Generationen an. Die Traumata wurden nie verarbeitet und die deutsche Gesellschaft befindet sich im Wiederholungszwang des Aufarbeitens der Nazizeit sowohl in individueller familienhistorischer sowie auch in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht. Erst wenn es gelingt die Wahrheit zu erkennen, dass die Täter bis auf einige Ausnahmen nicht mehr leben und man ihre Fehler sowohl zur Tatzeit als auch danach nicht mehr korrigieren und auch richtigerweise nicht für sie bereuen kann, kann es zum Stopp dieses Wiederholungszwanges kommen. Genauso wie Schuld immer individuell ist, ist es auch Versöhnung. Wie soll man sich aber mit jemanden versöhnen, wenn das Outing als Jude schon zur persönlichen Gefahr wird? Welche Deutsche machen sich über Versöhnung auf individueller Ebene überhaupt Gedanken? Will man das überhaupt? Das ist keine Polemik, sondern eine ernstgemeinte Frage.
- Da man die Wirklichkeit verdrängte, konnte man auch nicht die logisch richtigen Schlüsse aus der Nazi-Zeit ziehen. Statt "Nie wieder Krieg!", hätte es heißen müssen "Nie wieder Diktaturen!". Nicht die Bevölkerung hatte Hitler zur Macht verholfen, sondern die koalierenden Parteien und der Reichspräsident. Das Volk hätte also mehr Macht erhalten müssen und nicht die Parteien. Und an dieser Stelle last but not least: Statt den Kollektivismus nur anders zu organisieren, hätte die neue Verfassung einen schwachen, liberalen Staat schaffen müssen und so die ultimative Lehre aus dem Nationalsozialismus ziehen können: Je mehr offensichtliche Verantwortung das Individuum hat, umso weniger kann es sich hinterher aus der Verantwortung stehlen und behaupten es habe von nichts gewusst! Moralisches Handeln kann nur zusammen mit individueller Verantwortung entstehen. Entzieht man den Individuen die Verantwortung können sie gar nicht moralisch richtig oder falsch handeln - sie handeln zwangsweise amoralisch! Und genau hier liegt im Grunde genommen auch die moralische Verantwortung eines jeden Bürgers zu allen Zeiten, die er auch nicht leugnen kann: Versklave ich mich an eine Obrigkeit, die mir Schutz und Sicherheit verspricht und verliere dabei aber je nach Grad der Versklavung meinen moralischen Handlungsspielraum entsprechend oder will ich mein eigener Herr sein und bin bereit dafür ein geringeres persönliches Risiko zu tragen? Nein, das ist kein Tippfehler. Gerade die deutsche Geschichte hat gelehrt, dass das Leid und Elend immer dann am Größten war und am meisten Menschenleben kostete, wenn die Deutschen besonders untertänig den Heilsversprechen ihrer Kaiser und Führer vertrauten. Nur zur Erinnerung - kein Krimineller, keine Heuschrecke und kein Bankster haben im 20. Jahrhundert so viele Menschenleben auf dem Gewissen wie Deutsche Regierungen! Lediglich die Klassenkämpfer der Sozialistischen Staaten haben eine ähnlich gruselige Bilanz wie die Rassenkämpfer Nazi-Deutschlands.
Ich bin gespannt, ob die Mehrheit der Deutschen aus dieser Erkenntnis irgendwann einmal die richtigen Schlüsse zieht oder ob die Nachkommen der Herrenmenschen lieber weiter unverantwortliche, unmündige Untertanen bleiben wollen.
Gruß David
---------------------------------------------------- "Those who would give up essential Liberty to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety." - Benjamin Franklin
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