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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 27 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

05.06.2011 02:52
Kopfgeburten Antworten

Als ich vergangenes Jahr recht extensiv über Thilo Sarrazin geschrieben habe (siehe die Links hier, hier und hier), ist mir aufgefallen, daß Sarrazin eine zentrale Frage ausklammert: Warum eigentlich hat Deutschland eine der niedrigsten Geburtenziffern der Welt?

Ich erinnerte mich damals dazu an Günter Grass' Buch "Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus", das seit dreißig Jahren in meiner Bibliothek stand. Ich habe es wiedergelesen und wollte eigentlich darüber schreiben; dann kamen aber andere Themen, und es unterblieb.

Jetzt habe ich dieses Thema für die zweite Folge der neuen Serie "Literarische Randnotizen" wieder aufgegriffen. Wie oft wurde der Artikel länger als geplant; deshalb erscheint er in zwei Teilen.

isildur Offline



Beiträge: 366

05.06.2011 10:53
#2 RE: Kopfgeburten Antworten

Vielen Dank für den Artikel. Die Kinderlosigkeit der Akademiker in Verbindung mit dem Milieu der Alt-68 wie sie hier(wenn ich den Artikel richtig lese) thematisiert wird steht für mich in einem seltsamen Kontrast zu dem was ich neulich bei einer Reise entdeckte. Mich verschlug es in die äußere Neustadt Dresdens, ein sehr alternatives Viertel(aber eben auch mit günstigen Hostels). Wenngleich ich nicht wirklich in das dortige Milieu passte konnte ich doch viele interessante Gespräche führen und bezogen auf dieses Thema berichteten mir einige es sei dort die Region Deutschlands mit der höchsten Geburtenrate. Ob das nun defacto stimmt sei dahin gestellt, subjektiv habe ich aber nirgends zuvor so viele junge Frauen mit Kinderwagen gesehen(die keines der üblichen Klischees(Migrationshintergrund oder/und "Unterschicht") erfüllten.
In dieser Generation scheinen die alternativen Akademiker mehr Kinder zu haben als die anderen Schichten in diesem Land.


Gruß,
Isildur

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

05.06.2011 11:16
#3 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von isildur
In dieser Generation scheinen die alternativen Akademiker mehr Kinder zu haben als die anderen Schichten in diesem Land.

Mir ist dasselbe vor einigen Monaten in einem TV-Bericht über den Stuttgarter Platz in Berlin aufgefallen (hier ist er): Überall die Studienräte, Psychologen, Sozialarbeiter usw. mit ihren Kinderwagen (die Bevölkerung der Westseite des Platzes).

Vielleicht bahnt sich da wirklich eine Änderung an. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß die Lebenshaltung einer führenden Schicht (hier der, sagen wir, geistes- und sozialwissenschaftlichen Akademiker und Halbakademiker) sich "ins Volk hinein" ausbreitet, während diese schon neuen Ufern zustrebt.

Ich weiß aber nicht, ob diese anekdotischen Beobachtungen von Ihnen und in diesem TV-Feature durch objektive Daten erhärtet werden; ich fürchte nein. Naja, vielleicht sind die neuen Avantgardisten auch noch zu wenige, um statistisch relevant zu sein.

Herzlich, Zettel

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

05.06.2011 12:27
#4 RE: Kopfgeburten Antworten

@Zettel:

Zitat
Vielleicht bahnt sich da wirklich eine Änderung an. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß die Lebenshaltung einer führenden Schicht (hier der, sagen wir, geistes- und sozialwissenschaftlichen Akademiker und Halbakademiker) sich "ins Volk hinein" ausbreitet, während diese schon neuen Ufern zustrebt.

Ich weiß aber nicht, ob diese anekdotischen Beobachtungen von Ihnen und in diesem TV-Feature durch objektive Daten erhärtet werden; ich fürchte nein. Naja, vielleicht sind die neuen Avantgardisten auch noch zu wenige, um statistisch relevant zu sein.



Ich frage mich bloß, geehrter Zettel, ob dies wirklich ein Grund zur Freude wäre, schlieslich würden zusätzlich zum allgemeinen grün"alternativen" Trend (ich setze "alternativ" hier mal in Anführungsstriche, denn was Mainstream wird, ist nicht mehr alternativ; ich lasse die Anführungsstrich ab jetzt wieder weg, der Praktikabilität und Lesbarkeit wegen) gerade die Vorreiter dieses Trendes ihren relativen Anteil an der Bevölkerung durch eine höhere Geburtenzahl vergrößern. Ich denke das deren Kinder durchaus durch die Ansichten ihrer Eltern geprägt werden und die Eltern ein Interesse haben ihre Kinder im selben Milieu unterzubringen.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

05.06.2011 12:31
#5 RE: Kopfgeburten Antworten

Auch ist die Frage, ob das demographische Problem überhaupt unser Hauptproblem ist (von der Veränderung der relativen Zusammensetzung unsere Bevölkerung, die durchaus problematisch werden kann, einmal abgesehen):


http://ef-magazin.de/2011/06/03/3023-aus...-wie-bill-gates

Calimero ( gelöscht )
Beiträge:

05.06.2011 12:45
#6 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von Techniknörgler
Ich denke das deren Kinder durchaus durch die Ansichten ihrer Eltern geprägt werden und die Eltern ein Interesse haben ihre Kinder im selben Milieu unterzubringen.


Ich denke aber schon, dass Eltern eher einen Blick für reale Probleme entwickeln als kinderlose Rundum-Weltverbesserer. Man denke nur an Migrantengewalt, an schwache schulische Leistungen der eigenen Kinder wegen unbeschulbaren Mitschülern, an verlotterte Schulen für die kein Geld da ist, derweil nicht vorhandene Steuergelder in alle Welt verstreuselt werden.
Auch denke ich an die Probleme mit der Bürokratie des allmächtigen Staates, der doch sonst so schnell als Problemlöser angesehen wird. Man gebe die Hoffnung nicht auf.

Beste Grüße, Calimero

----------------------------------------------------
Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

Jorad Offline



Beiträge: 45

05.06.2011 12:49
#7 RE: Kopfgeburten Antworten

Also ich würde argumentieren, dass mehr als 1-2 Kinder einfach nicht mehr zum aktuellen Lebensstil passen.
Erst einmal wird einige Jahre später geheiratet - mit Anfang 30 statt mit Mitte-Ende 20. Besonders junge Paare sind ohne Kinder glücklicher und zufriedener, da sie das volle Freizeitangebot dass es heutzutage gibt auskosten können. Natürlich kehrt sich der Trend später im Leben um und dann sind die Paare mit Kindern meist glücklicher, aber bis zu dem Punkt ist es oftmals schon zu spät um noch viel nachzuholen.

Auf der anderen Seite scheint es heute auch üblich zu sein Unmengen an Zeit, Energie und Geld in jedes Kind zu stecken, in der Annahme diesem nur so die bestmöglichen Chancen geben zu können. Nachdem man das Kind vom Judotraining (zur Charakterstärkung) zum Fußball (Teamfähigkeit) gebracht hat (alleine mit dem Fahrrad ist ja zu gefährlich) und man dann zuhause noch eine Stunde Musikinstrument geübt hat (damit man im Freundeskreis angeben kann - äh, um Gewissenhaftigkeit zu lehren) ist es klar, dass der Gedanke an noch ein Kind und die damit verbundene Arbeit nur noch Übelkeit hervorruft.
Für jede Arbeit in der Schule wird mit dem Kind das ganze Wochenende geübt und wenn es dann vielleicht doch nicht ganz klappt mit den Lehrern gestritten. Hausaufgaben werden sowieso persönlich überprüft und gegebenenfalls korrigiert oder selbst gemacht.

Ich frage mich wie es Kinder früher überhaupt geschafft haben zu erfolgreichen Erwachsenen zu werden, wenn sie die meiste Zeit sich selbst überlassen wurden.


Eins noch: Ich kenne zwar auch einge Studenten und Akademiker die schon relativ jung Kinder bekommen haben, aber mir ist auch noch ein breites Spektrum an jungen intellektuellen Leuten bekannt, für die Überbevölkerung eines der großen modernen Übel ist. Denen würde zwar nie einfallen irgendeinem bestimmten Menschen den Tod zu wünschen, aber indirekt gibt es "doch zu viele Menschen". Im Abstrakten wünscht man sich lieber einen toten Menschen als einen toten Eisbären, weil die meisten Menschen ja schlecht sind. Für sie hat jeder zusätzliche Mensch große negative Externalitäten - trotzdem kann man aber das Kind der Freunde total super finden. Scheinheiligkeit ist halt auch menschlich.

DasPio Offline



Beiträge: 26

05.06.2011 13:15
#8 RE: Kopfgeburten Antworten

Hallo Zettel,

Zwei Beobachtungen / Gedanken:
- Die meisten Kinder gibt es m.E. bei Familien aus Freikirchen (Schnitt > 2)
- die Deutschen haben imho weniger Kinder als früher, weil es oft nur noch um Selbstverwirklichung geht.
Kinder bedeuten erstmal Arbeit und stehen einen hedonistischen Leben im Weg.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

05.06.2011 13:37
#9 RE: Kopfgeburten Antworten

Hallo DasPio,

das hedonistische Argument mag - nolens volens - auch ein gewichtige Rolle gespielt haben, aber in meiner Clicque und in deren weiterer Umgebung war es Konsens, daß jemand, der die biologische Zeitbombe oder den Club of Rome zur Kenntnis genommen habe, ganz unverantwortlich handeln würde, wenn er "Kinder in diese Welt setzte". Durch diese apokalyptische Beeinflussung, die eigentlich nie angezweifelt wurde, entstand allgemein eine Überzeugung, daß es so etwas wie Zukunft eigentlich nicht geben würde, da sie durch Atomwaffen (wo sind die eigentlich geblieben), Waldsterben, Hungerkatastrophen und wer weiß, was noch alles, ganz sicher gefährdet war.
Natürlich hat man sich in diesem Untergang ganz kommod eingerichtet, aber die Unbesorgtheit der Jugend, für die das Alter jenseits der Vierzig unvorstellbar ist, macht das möglich.
Mein letztliches Pauluserlebnis waren die Geschehnisse um die Brent Spar, sowie die Website "Junkscience", auf der ich zunächst völlig schockiert Dinge las, die ich tatsächlich nachvollziehen konnte und die mich einige feststehende Überzeugungen gekostet hat.
Es war also zumindest nicht nur Hedonismus oder Bequemlichkeit, sondern ganz stark das Ergebnis einer propagandistischen Beeinflussung, die auf einen fruchtbaren postpubertären Boden fiel.

Herzliche Grüße

T. Pauli

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

05.06.2011 14:01
#10 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von isildur
Vielen Dank für den Artikel. Die Kinderlosigkeit der Akademiker in Verbindung mit dem Milieu der Alt-68 wie sie hier(wenn ich den Artikel richtig lese) thematisiert wird steht für mich in einem seltsamen Kontrast zu dem was ich neulich bei einer Reise entdeckte. Mich verschlug es in die äußere Neustadt Dresdens, ein sehr alternatives Viertel(aber eben auch mit günstigen Hostels). Wenngleich ich nicht wirklich in das dortige Milieu passte konnte ich doch viele interessante Gespräche führen und bezogen auf dieses Thema berichteten mir einige es sei dort die Region Deutschlands mit der höchsten Geburtenrate. Ob das nun defacto stimmt sei dahin gestellt, subjektiv habe ich aber nirgends zuvor so viele junge Frauen mit Kinderwagen gesehen(die keines der üblichen Klischees(Migrationshintergrund oder/und "Unterschicht") erfüllten.
In dieser Generation scheinen die alternativen Akademiker mehr Kinder zu haben als die anderen Schichten in diesem Land.



Die Geburtenrate in Dresden steigt nicht nur unter den »alternativen« Akademikern (wahrscheinlich meinten Sie die Grün-Alternativen mit Hochschulabschluss?).

In meiner Gegend Dresdens (DD-Striesen/Blasewitz) ist die Geburtenrate etwa genauso hoch wie in der Dresdner Neustadt und es wird gern gescherzt, dass hier so viele Tempo-30-Zonen eingerichtet werden, damit die Schwangeren sicherer über die Straße kommen. Hier sind die Eltern, nach meiner Beobachtung als Anwohner und langjähriger Spielplatz-Papa, auch sehr viele Ingenieure, Informatiker und Akademiker aus den Umweltberufen, natürlich auch BWLer, Juristen und viele andere Hochschulabsolventen.

Auf dem (gehobenen) Wochenmarkt sieht man sehr viele Kinderwagen. Plätze in der KITA werden mit dem ersten Ultraschall-Bild in der Hand beantragt. In der KITA wird großer Wert auf die individuelle Entwicklung gelegt. In den Grundschulen drängen sich beim Elternabend gebildete Väter und Mütter. Etwa 70% aller Kinder bekommen die Bildungsempfehlung für das Gymnasium.

Man könnte denken: Eine Insel der Seligen. Leider hat diese wunderbare Entwicklung in Dresden auch eine Schattenseite. Dresden zieht viele junge Leute aus dem etwas weiteren Umland an, sie lassen sich hier nieder, aber sie fehlen dann natürlich in ihrer Heimat (z.B. der Lausitz und dem deutschen Teil Schlesiens).

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

05.06.2011 15:04
#11 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von Techniknörgler
Ich denke das deren Kinder durchaus durch die Ansichten ihrer Eltern geprägt werden und die Eltern ein Interesse haben ihre Kinder im selben Milieu unterzubringen.

Das weiß man nie, lieber Techniknörgler. Es gibt auch dieses Phänomen, daß die Kinder alles zu glauben bereit sind; nur nicht das, was ihre Eltern ihnen eingetrichtert haben.

Das war bei den Achtundsechzigern so, die ihren Eltern sozusagen kein Wort geglaubt haben. Es gab das auch eine Generation später, als den schnieken, konsumbewußten Marken-Jugendlichen ihre zottelbärtigen und handstrickenden Altvorderen "peinlich" waren (damals, in den Neunzigern, wurde "peinlich" zum Modewort).

Wer 1990 geboren wurde, der wird jetzt vielleicht selbst bald Kinder haben - und wer weiß, ob das dann nicht wieder eine Generation von Konsumverächtern und Innerlichen wird.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

05.06.2011 15:27
#12 Gestylte Kinder Antworten

Zitat von Jorad
Auf der anderen Seite scheint es heute auch üblich zu sein Unmengen an Zeit, Energie und Geld in jedes Kind zu stecken, in der Annahme diesem nur so die bestmöglichen Chancen geben zu können. Nachdem man das Kind vom Judotraining (zur Charakterstärkung) zum Fußball (Teamfähigkeit) gebracht hat (alleine mit dem Fahrrad ist ja zu gefährlich) und man dann zuhause noch eine Stunde Musikinstrument geübt hat (damit man im Freundeskreis angeben kann - äh, um Gewissenhaftigkeit zu lehren) ist es klar, dass der Gedanke an noch ein Kind und die damit verbundene Arbeit nur noch Übelkeit hervorruft.

Da haben Sie einen wichtigen und interessanten Gesichtspunkt angesprochen, lieber Jorad. Das ist eine Entwicklung, die mich immer wieder baff macht.

Erziehen hieß - vermutlich seit Adam und Eva, oder sagen wir seit Hammurabi und Solon -, Kinder in die Kultur einzuführen. Ihnen also beizubringen, wie man sich benimmt. Das ist in allen Kulturen so; in manchen kommt das mehr oder weniger ausgeprägte Ziel dazu, ihnen das Wissen der betreffenden Kultur nahezubringen, oder meist Ausschnitte davon.

(Das deutsche Wort "Erziehung" umfaßt nur das erste; das englische "education" hingegen das erste und das zweite. Aber es gibt ja Übersetzer, die bringen es fertig, "He was educated at Eton and Oxford" mit "Er wurde in Eton und Oxford erzogen" zu übersetzen; das nebenbei).

Jetzt sind, wie Sie es beschreiben, ein drittes und ein viertes Erziehungsziel hinzugekommen, die miteinander verschränkt sind:

* Ein Kind zu haben, das rundum möglichst Spitze ist (einen kleinen frühkognitivgeförderten Einstein, dank Bionahrung vor Gesundheit strotzend, mit einem Body wie Schwarzenegger und Nerven wie Sebastian Vettel, dabei sensibel und charakterstark usw. usw.).

* Und damit ein vorzeigbares Kind zu haben; man will sich ja nicht vor den Nachbarn schämen müssen. Das Aufsehen, das diese Drill-Chinesin mit ihren abenteuerlichen Erziehungspraktiken erreicht hat, ist ja nur vor diesem Hintergrund zu verstehen.

Oder anders gesagt: Man läßt sich selbst die Ohren und die Nase richten. Auch noch das letzte Körperhaar muß rasiert oder epiliert werden; man will ja nicht wie ein Affe aussehen. Man achtet darauf, daß man das angesagte Fahrrad hat, die richtigen Möbel kauft, die aktuelle politische Meinung intus hat, nur Gesundes ißt. Da kann man doch bei den Kindern keine Abstriche machen. Auch sie müssen gestylt werden.

Was werden die derart traktierten Kinder einmal ihren Eltern sagen? Vielleicht nicht viel Freundlicheres, als die Kriegsgeneration sich von ihren Achtundsechziger Kindern hat anhören müssen.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

05.06.2011 17:07
#13 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von stefanolix
Die Geburtenrate in Dresden steigt nicht nur unter den »alternativen« Akademikern (wahrscheinlich meinten Sie die Grün-Alternativen mit Hochschulabschluss?).


Steigt die Rate wirklich? Mir sind dazu keine statistischen Belege bekannt.
Mir scheint das eher ein Fall für selektive Wahrnehmung zu sein: Ein Kinderwagen ist auffällig, fünf davon machen richtig Eindruck. Fünf kinderlose Paare (oder zehn kinderlose Singles) fallen dagegen überhaupt nicht auf.

Ich vermute eher, daß sich die jungen Eltern (die es ja trotz niedriger Geburtenraten immer gibt) sich in einigen Wohnvierteln konzentrieren, wo die entsprechende Infrastruktur gut ist. Und daneben gibt es viel mehr Wohnviertel, in denen Kinder die Ausnahme sind. Und auch die Familien mit Kindern haben meist nur ein oder zwei Kinder, größere Familien sind die große Ausnahme. Der zur reinen "Bestanderhaltung" nötige Schnitt von 2,3 wird wohl weiterhin weit verfehlt.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

05.06.2011 17:18
#14 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von Jorad
Auf der anderen Seite scheint es heute auch üblich zu sein Unmengen an Zeit, Energie und Geld in jedes Kind zu stecken, ...


Einige Eltern mögen es hier übertreiben, aber ich halte das nicht für typisch.
Meine Erfahrungen beziehen sich auf den Freundeskreis unserer Kinder (15 und 17 Jahre) und das scheint wohl auch bei jungen Eltern immer noch ähnlich zu gelten.
Und nach diesen Erfahrungen ist die Anfangsphase die anstrengendste. In den ersten3-4 Jahren muß man am meisten Zeit in die Kinder stecken, man kann sie kaum alleine lassen, die Beziehung zwischen den Eltern gerät durch beständigen Streß und Zeitmangel unter Druck. Und das ist eigentlich "nur" die normale und notwendige Versorgung, noch ohne irgendwelchen Firlefanz. Natürlich gibt es auch Eltern, die schon in diesem Alter mit Früherziehung meinen ihrem Kind einen Startvorteil zu verschaffen - aber das ist doch selten.
Für die meisten Eltern dagegen sind die Kleinkinderfahrungen mit ein oder zwei Kindern eigentlich schon ausreichend, um die Familienplanung abzuschließen.

Bei den größeren Kindern wird dagegen wohl mehr Aufwand getrieben als früher, mit zusätzlichen Angeboten und mehr Zuwendung. Aber da sind die Kinder ja schon größer und selbständiger, da ist auch Zeit über. Und die zusätzlich aufgewandte Zeit ist oft durchaus angenehm verbracht, deswegen müßte man nicht auf weiteren Zuwachs verzichten.

Ripley4y Offline



Beiträge: 10

05.06.2011 17:59
#15 RE: Kopfgeburten Antworten

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind die ersten Fälle behandlungsbedürftigen, mutterschaftlichen Burnout-Syndroms aufgetreten. Dieses nicht im Interesse einer Quotenregelung und auch nicht, weil die ökonomischen Randbedingungen dazu Anlaß gegeben hätten. Es scheint, dass die Tätigkeit als Shuttle-Provider für Kind und Kegel (gerne ein Golden-Retriever) die moderne Ehefrau überfordert, auch wenn die Fahrdiensttätigkeit durch die Verfügbarkeit eines SUV (z.B. Cayenne) commod gestaltet sein müsste.

Meine Großeltern mütterlicherseits haben in den Kriegsjahren 6 Kinder zur Welt gebracht und durch den Bombenhagel und die Kriegswirren gebracht. Dieses ganz ohne Mutter-Kind-Kur (wenn man von der Kinderlandverschickung nach der Zerstörung von Stadt und Haus im Bombenhagel absieht).

Wenn die Fortpflanzungsbereitschaft etwas mit positiver oder negativer Zukunftserwartung zu tun hätte, ließe sich die Zunahme der Weltbevölkerung nicht erklären. Zwischen 1942 und 1949 wurden in Deutschland auch Kinder geboren und nicht so wenige. Mit Sicherheit nicht des Mutterkreuzes wegen oder aus Mangel an verfügbaren und bekannten Verhütungsmethoden.

Vielleicht würde sich die Einstellung der heute in unserer Gesellschaft Lebenden zu Kindern ändern, wenn diese als ökologisch nachhaltige, politisch korrekte und sozial gerechte Lebensaufgabe begriffen wird, die das Mitglied der Gesellschaft erfüllen muss, um den Wohlstand und damit den Bestand der Gesellschaft zu gewährleisten. Der Staat implodiert, wenn er nicht ausreichend finanziert wird. Wer soll aber die Kosten der Pflege der heute 30-40-jährigen tragen?

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

05.06.2011 18:31
#16 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von R.A.
Steigt die Rate wirklich? Mir sind dazu keine statistischen Belege bekannt.
Mir scheint das eher ein Fall für selektive Wahrnehmung zu sein: Ein Kinderwagen ist auffällig, fünf davon machen richtig Eindruck. Fünf kinderlose Paare (oder zehn kinderlose Singles) fallen dagegen überhaupt nicht auf.

Ich vermute eher, daß sich die jungen Eltern (die es ja trotz niedriger Geburtenraten immer gibt) sich in einigen Wohnvierteln konzentrieren, wo die entsprechende Infrastruktur gut ist. Und daneben gibt es viel mehr Wohnviertel, in denen Kinder die Ausnahme sind. Und auch die Familien mit Kindern haben meist nur ein oder zwei Kinder, größere Familien sind die große Ausnahme. Der zur reinen "Bestanderhaltung" nötige Schnitt von 2,3 wird wohl weiterhin weit verfehlt.



Lieber R.A., ich würde hier nicht mit Argumenten kommen, die nur anekdotische Evidenz haben ;-)

Zitat von Stadtverwaltung Dresden
Im Jahr 2009 wurden amtlicherseits 5.609 neugeborene Dresdner registriert. Bezogen auf die Einwohnerzahl zur Jahresmitte waren das 110 Lebendgeborene auf 10 000 Einwohner. Im Vergleich der 20 deutschen Großstädte mit mehr als 300 000 Einwohnern lag Dresden damit vor München (109) und Frankfurt am Main (107) an der Spitze.
(…)
Der Dresdner Spitzenplatz bei den Geburten wird noch deutlicher, berücksichtigt man, dass die Nächstplatzierten Frankfurt am Main und München einen besonders hohen Anteil von jungen Frauen an der Stadtbevölkerung haben. Die auf 2009 bezogene zusammengefasste Geburtenziffer betrug in Dresden 1,48 Kinder pro Frau, in Frankfurt nur 1,36 und in München sogar nur 1,30.



Quelle: http://www.dresden.de/de/02/06/09/Geburt...20Ergebnisliste

Im Jahr 2010 waren die Zahlen ähnlich hoch.

Blub ( gelöscht )
Beiträge:

05.06.2011 19:46
#17 RE: Kopfgeburten Antworten

In den Dresdner Text wird auch darauf hingewiesen, dass die Geburtenziffer methodisch unterschätzt wird, wenn Kinder später gezeugt werden.

Das ist in zweierlei Hinsicht von Belang:
a) bei gleicher Kinderzahl sinkt die Rate, weil die noch zu gebärenden Kinder auf Basis voriger Werte unterschätzt werden
b) weil die Samples dann häufiger im kinderlosen Bereich genommen werden. Beispiel: Bekommen Frauen die Kinder mit 20, so gibt es fast keine Messpunkte, wo eine Frau keine Kinder hat. Sie wird fast immer mit ihrer Kinderzahl erfasst. Bekommt sie die Kinder zwischen 30 und 45, so wird sie über Jahrzehnte hinweg als kinderlos erfasst und drückt die Statistik nach unten. Allein diese methodische Aspekt zeigt, dass für die Reproduktion in so einem Fall nicht einmal 2 nötig sind.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

05.06.2011 21:01
#18 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat

Wer 1990 geboren wurde, der wird jetzt vielleicht selbst bald Kinder haben - und wer weiß, ob das dann nicht wieder eine Generation von Konsumverächtern und Innerlichen wird.



Was dann ja nichts anderes bedeutet, als das die nächste Generation der breiten Masse nochmal verstärkt Grün-Alternativ wird... Als wenn die grüne Ideologie nicht schon unter den 89/90 - Jahrgängen auch schon genügend Anhänger hat (wenn es auch etwas anderes ist, grüne Ideologie zu glauben oder Grün-Alternativ zu leben...)

Irgendwie scheint die Zukunft in Sachen Abkehr vom Grün-Alternativem Gedankengut dadurch ebenfalls wieder nicht besser auszusehen.

Vogelfrei ( gelöscht )
Beiträge:

05.06.2011 22:05
#19 RE: Kopfgeburten Antworten

Zitat von Blub
weil die Samples dann häufiger im kinderlosen Bereich genommen werden. Beispiel: Bekommen Frauen die Kinder mit 20, so gibt es fast keine Messpunkte, wo eine Frau keine Kinder hat. Sie wird fast immer mit ihrer Kinderzahl erfasst. Bekommt sie die Kinder zwischen 30 und 45, so wird sie über Jahrzehnte hinweg als kinderlos erfasst und drückt die Statistik nach unten. Allein diese methodische Aspekt zeigt, dass für die Reproduktion in so einem Fall nicht einmal 2 nötig sind.


Das macht die Sache aber nicht besser - ganz im Gegenteil, da somit ganze Generationen gar nicht erst geboren werden. Ich z. B. fand es als Jugendlicher immer erstaunlich, daß bei einem gar nicht so kleinem Teil meiner Altersgenossen die Eltern älter als meine Großeltern waren.

~~~
Die zunehmende Armut, welche allenthalben beklagt wird, scheint mir zuvörderst geistiger Natur.

isildur Offline



Beiträge: 366

05.06.2011 23:18
#20 RE: Kopfgeburten Antworten

Vielen Dank für Ihre erhellende Antwort.

Zitat
Man könnte denken: Eine Insel der Seligen. Leider hat diese wunderbare Entwicklung in Dresden auch eine Schattenseite. Dresden zieht viele junge Leute aus dem etwas weiteren Umland an, sie lassen sich hier nieder, aber sie fehlen dann natürlich in ihrer Heimat (z.B. der Lausitz und dem deutschen Teil Schlesiens).

Wer möge es ihnen verdenken, Dresden hat halt eine große Anziehungskraft(sogar auf mich ca. 700km entfernt) und dass junge Leute in die Städte abwandern ist wohl so seit der Urbanisierung.

Zitat

Wer 1990 geboren wurde, der wird jetzt vielleicht selbst bald Kinder haben - und wer weiß, ob das dann nicht wieder eine Generation von Konsumverächtern und Innerlichen wird.


Das halte ich für unwahrscheinlich, 1990 ist grob meine Generation und bei allen Alternativen die es auch in dieser gibt so ist ein erheblicher Teil doch deutlich "konservativer"(zumindest aus Sicht der z.T. etwas pikierten Eltern die in den Nachwehen der 68er aufgewachsen sind) und vor allem familienbetonter in der Weltanschauung und vor allem bezogen auf seine private Lebensplanung. Ich kenne niemanden der auf Selbstfindung durch die Gegend tingelt und auch Karriere ist bei den aller meisten im Freundes- und Bekanntenkreis nicht erste Priorität.
Ob das alles seinen Niederschlag in der Realität findet ist eine andere Frage, da die Lebenswirklichkeit in diesem Land dazu in einem gewissen Gegensatz steht.

Soweit der anekdotische Teil noch ein paar "Fakten"(naja aus der Shell-Studie) dazu

Zitat
Die Bedeutung der Familie für Jugendliche ist ein weiteres Mal angestiegen. Mehr als drei Viertel der Jugendlichen (76 Prozent) stellen für sich fest, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können. Das bezieht sich nicht nur auf die Gründung einer eigenen Familie, sondern auch auf die Herkunftsfamilie.
[...]
Wieder zugenommen hat der Wunsch nach eigenen Kindern. 69 Prozent der Jugendlichen wünschen sich Nachwuchs.


http://www.shell.de/home/content/deu/abo...dy/2010/family/

Friedrich ( gelöscht )
Beiträge:

07.06.2011 09:33
#21 RE: Kopfgeburten Antworten

Ich möchte dazu nur folgenden Link posten:
http://www.bz-berlin.de/aktuell/berlin/b...icle968454.html

von der Wiege bis zu Bahre nicht nur Formulare sondern "gütiges-an-die-hand-nehmen-und-für-ein-normales-leben-vers..." (gadhnufenlv) mit den allerbesten Wünschen
eine geeignete neue Generation an Steuersklaven heranzuziehen....

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.06.2011 20:14
#22 Teil 2 Antworten

Zitat von Zettel
Jetzt habe ich dieses Thema für die zweite Folge der neuen Serie "Literarische Randnotizen" wieder aufgegriffen. Wie oft wurde der Artikel länger als geplant; deshalb erscheint er in zwei Teilen.

Hier ist jetzt der zweite Teil. Mit einem Einblick in das Innenleben der beiden "Kopfgeburten" Harm und Dörte Petersen; einem Einblick aber auch in den Kopf des Autors Grass. Und aus meiner Sicht insbesondere einem Einblick in die heutige deutsche Befindlichkeit, die man das Harm-und-Dörte - Syndrom nennen könnte.

Thanatos Offline



Beiträge: 232

07.06.2011 20:41
#23 RE: Teil 2 Antworten

Wahrlich eine Horrorvision, diese Kopfgeburt des Herrn Grass.

Aus Ihrem zweiten Beitrag ersehe ich, daß sie dem Konzept der "Meme" etwas abgewinnen können, ihm vielleicht sogar anhängen. Ich möchte das gar nicht hinterfragen. Ich gebe nur zu bedenken, daß es dann natürlich auch andere Meme gibt, die auch weitergegeben werden. Es konkurrieren also verschiedene Meme-Inhalte miteinander. Und es ist nicht gesagt, daß der Inhalt, den Dörte und Harm weitergaben, alles andere verdrängt. Keineswegs. Es gibt auch heute Milieus mit einer Reproduktionsquote, die bestandserhaltend ist - und mehr.

Ich darf mir noch erlauben, die Frage, woher bloß unsere geringe Reproduktionsquote kommt, als komplex einzuodnen. Hier spielen eine Menge Faktoren eine Rolle, die alle zusammenwirken. Sie wirken sicherlich auch in unseren Nachbarländern. Daß wir an der (negativen) Spitze liegen, mag vielleicht an der etwas höheren Disziplin der Spezies liegen, die hier zulande überwiegt.

MfG

Thanatos

--

Unmögliches erledigen wir sofort.

Tim Offline



Beiträge: 55

07.06.2011 23:56
#24 RE: Teil 2 Antworten

Zitat von Zettel
einem Einblick in die heutige deutsche Befindlichkeit



Vielleicht geht es ja nur mir so, aber steckt da nicht eine tiefer Widerspruch in den zwei deutschen Memen: a) dem Atomausstieg, b) der Kinderlosigkeit?

Die Deutschen schützen die Umwelt für die Kinder, die sie nicht haben werden. Das Meme des Atomausstiegs stirbt damit auch aus. Die Türken, Inder, Chinesen, Tschechen und Polen etc. werden ja nicht aussteigen. Insofern ist der deutsche Atomausstieg nur eine vorübergehende unbedeutende Phase in der Menschheitsgeschichte.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.06.2011 00:08
#25 Meme Antworten

Zitat von Thanatos
Aus Ihrem zweiten Beitrag ersehe ich, daß sie dem Konzept der "Meme" etwas abgewinnen können, ihm vielleicht sogar anhängen. Ich möchte das gar nicht hinterfragen. Ich gebe nur zu bedenken, daß es dann natürlich auch andere Meme gibt, die auch weitergegeben werden. Es konkurrieren also verschiedene Meme-Inhalte miteinander.

Ja, das ist ja die Idee. Nur diejenigen Meme überleben, die so beschaffen sind, daß sie gute Chancen haben, weitergegeben zu werden.

Wie beim selfish gene, dem das natürlich nachgebildet ist, handelt es sich um einen truism. Wenn man es erst einmal vestanden hat, ist es trivial. Dennoch sind solche Schemata hilfreich.

In der Evolutionsbilogie ist "selbstloses" Verhalten ein beliebtes Beispiel. Warum "opfert sich", sagen wir, die Henne für ihre Küken? Weil dieses Verhalten die Wahrscheinlichkeit erhöht, die eigenen Gene weiterzugeben; auch wenn die Henne ihre Selbstlosigkeit nicht überlebt.

Ähnlich bei den Memen: Ob Ideen sich durchsetzen, hängt nach diesem Ansatz weniger daran, ob sie gutschönwahr sind; aber auch nicht daran, welchen ökonomischen Interessen sie dienen, wie die Marxisten behaupten - sondern daran, daß die richtigen Leute sie in ihren Köpfen haben.

Ein Mem, das sich in den Kopf eines ARD-Journalisten begeben hat, hat damit automatisch viel bessere Überlebensbedingungen als ein Mem, das im Kopf eines Bäckermeisters sitzt; auch wenn das Letzere sonst alles für sich hat.

Herzlich, Zettel

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