mir ist die Bedeutung der Genealogie zum ersten Mal bewußt geworden, als ich Arno Schmidts Biographie des Romantikers Friedrich de la Motte Fouqué gelesen habe.
Schmidt hat sich damals die Mühe gemacht, eine komplette Ahnentafel über vier oder fünf Generationen anzulegen. Um das erforderliche Material zu bekommen, korrespondierte er natürlich vor allem mit Pfarrern. Teils fuhr er aber auch selbst zu den Pfarreien und Archiven - mit dem Tandem. Hinten der stark kurzsichtige Arno Schmidt, der die Kraft lieferte, vorn seine Frau Alice, die die Verkehrsschilder erkennen und also lenken konnte.
Wenige Biographen machen sich eine solche Arbeit. Dabei ist die Familiengeschichte ja oft essentiell für das Verstehen einer Persönlichkeit. Zumindest über fünf Generationen: Der Betreffende selbst wurde in der Regel von seinen Eltern und Großeltern geprägt; diese letzteren wiederum von den beiden vorausgehenden Generationen.
Das entspricht auch der oral history: Mir ist aus Erzählungen zum einen das gegenwärtig, was meine Eltern und Großeltern selbst erlebt haben. Aber meine Großeltern konnten ihrerseits von ihren Eltern und Großeltern erzählen.
Das waren dann Geschichten, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreichten: Von einem Onkel meiner Großmutter, der nach Südafrika auswanderte, als reich galt und dann aber verschollen war. Oder von dem Ur-Urgroßvater, der so schmächtig war, daß er nur Schneider werden konnte. Das wurde auch sein Sohn, also mein Urgroßvater, der aber von stärkerem Naturell war, als Handwerksbursche loszog und dadurch fern der Heimat meine Urgroßmutter kennenlernte.
Das ist eine Spanne, die aus meiner Sicht einen ganz anderen Charakter hat als das, was über fünf Generationen hinausgeht. Das kennt man dann nur noch aus Büchern.
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag. Ich freue mich schon auf die weiteren Folgen der Serie.
In der Tat wurde und wird familiäre Familienforschung oft belächelt. Mich hat das Thema schon seit der Kindheit interessiert. Um aber einem zu engen Ansatz zu entgehen, der sich nur auf Namen und Daten beschränkt, habe ich angefangen, die überlieferte Korrespondenz meiner Großeltern im Projekt 77jahre aufzuarbeiten.
zunächst doch mal die Bemerkung, daß die Anzahl der Ahnen doch nur quadratisch und nicht exponentiell zunimmt.
Zu der Verwandtschaft im engeren räumlichen Bereich: Da gebe ich Ihnen Recht, daß in früheren Zeiten im Normalfall die Mobilität deutlich geringer war als heute. Dies hätte dann aber auch bedeutet, daß aufgrund des kleineren Genpools negative Entwicklungen (soll heißen Geburten mit Gendefekten) im deutlich höherem Maße hätten beobachtbar sein müssen. Soweit mir das bekannt ist, gibt es solches aber nur in wirklich abgeschotteten Hochgebirgsgemeinden.
Ich weiß nicht in welchem Maße durchreisende Händler bei den Mädchen und Frauen „Erinnerungsstücke“ hinterlassen haben, könnte mir aber vorstellen, daß durchziehende Kriegsheere mit ihrer Vielzahl von jungen aktiven Männern dies in vielfach größerem Maße erzielt haben. Ob dies dann durch „Herumkriegen“ oder durch Vergewaltigungen geschah, ist für die weitere Betrachtung unerheblich. Als entsprechende Geschehnisse fallen mir da der Dreißigjährige Krieg und die Napoleonischen Kriegszüge ein.
Soll also heißen, so sehr untereinander verwandt können auch die Bewohner des Herzogtums Westfalen nicht sein.
Es wäre jetzt mal sehr interessant zu analysieren, ob zwei drei Generationenperioden nach dem Durchzug eines Kriegsheeres aufgrund des dann größeren Genpools eine überraschend positive Entwicklung dieser Region zu beobachten war. (im Sinne von wirtschaftlichen Erfolg und / oder kultureller Blüte usw.) Begründung: Eine größerer Genpool eine höhere Genvariabilität läßt eine größere Variabilität an Charakteren erwarten. Dabei eben auch andere und eventuell erfolgreichere als die vorher üblichen.
Zitat von SF-Leserzunächst doch mal die Bemerkung, daß die Anzahl der Ahnen doch nur quadratisch und nicht exponentiell zunimmt.
Danke, das stimmt natürlich und ist korrigiert.
Zitat von SF-LeserDies hätte dann aber auch bedeutet, daß aufgrund des kleineren Genpools negative Entwicklungen (soll heißen Geburten mit Gendefekten) im deutlich höherem Maße hätten beobachtbar sein müssen. Soweit mir das bekannt ist, gibt es solches aber nur in wirklich abgeschotteten Hochgebirgsgemeinden.
Wissen wir es? Wir haben für die Zeit vor 1800 keine medizinischen Daten; wir haben nur Informationen zur Kindersterblichkeit, nicht aber zu den Todesursachen der jung gestorbenen Kinder (Infektionskrankheiten sicher in den meisten Fällen; aber ob auch genetische Fehler?) und wir haben aus dem 18. Jh. Steuer- und Einwohnerverzeichnisse, wo man nicht nur einmal Angaben findet wie "und ein blödes Kind, keine Steuer", "ein Mädchen, ist blind und taub" und dergleichen. Das könnte man in diesem Sinne von Gendefekten deuten, ohne es beweisen zu können.
Zitat von SF-LeserIch weiß nicht in welchem Maße durchreisende Händler bei den Mädchen und Frauen „Erinnerungsstücke“ hinterlassen haben, könnte mir aber vorstellen, daß durchziehende Kriegsheere mit ihrer Vielzahl von jungen aktiven Männern dies in vielfach größerem Maße erzielt haben.
Die Zahl der unehelichen Geburten schwankt; Heeresdurchzüge spielen eine Rolle. UNeheliche Geburten als Folgen von Kontakten mit Soldaten sind in den Quellen auch so bezeichnet; uneheliche Kinder lediger Mütter hatten meist eine höhere Sterblichkeitsquote, waren in einem Anerbengebiet wie dem Herzogtum Westfalen de facto vom Grundbesitz ausgeschlossen, ebenso vom Erlernen eines Handwerks und damit auch vom Aufbau einer eigenen Existenz. Die Bedeutung solcher unehelichen Kinder für den Gen-Pool ist m.E. eher gering.
Generell gilt natürlich "pater semper incertus". Da aber nach einer neuen Untersuchung selbst heute der Anteil der "Kuckuckskinder" bei 0,9 % liegt, ist die Quote für Zeiten, in denen Ehebruch massiv geahndet wurde, wohl geringer und nicht höher anzusetzen.
Zitat von SF-LeserSoll also heißen, so sehr untereinander verwandt können auch die Bewohner des Herzogtums Westfalen nicht sein.
Mir liegt eine Datenbank vor, die rund 80.000 Personendaten aus mehreren Gemeinden des Hochsauerlandkreises für die Zeit 1650 bis ca. 1995 enthält. Meine Aussage, dass noch heute gebürtige Sauerländer oft nur Vorfahren aus dem Sauerland haben, bezieht sich auf diese Datenbank.
Zitat von SF-LeserEs wäre jetzt mal sehr interessant zu analysieren, ob zwei drei Generationenperioden nach dem Durchzug eines Kriegsheeres aufgrund des dann größeren Genpools eine überraschend positive Entwicklung dieser Region zu beobachten war. (im Sinne von wirtschaftlichen Erfolg und / oder kultureller Blüte usw.)
Ein einer statischen Gesellschaft, in der der Zugang zu Handwerken streng geregelt ist, in der der Grundbesitz ausschließlich an ein Kind (meist das älteste) vererbt wird, ist wenig Spielraum für eine überraschend positive Entwicklung.
Da ich mich selbst mit der Genealogie beschäftige, möchte ich mich ganz herzlich für den interessanten Artikel bedanken. Ich habe - auch aufgrund der sonst drohenden Ausuferung des zu erfassenden Personenkreises - auf die Erforschung der Lebensumstände der Träger meines Familiennamens in der Vorfahrenlinie beschränkt. Durch meine Aktivitäten in diversen Online-Foren kenne ich viele Hobbyforscher, bei denen Masse klar vor Klasse geht. Hauptsache die Daten zu Geburt, Heirat und Tod erfasst und weiter zur nächsten Karteileiche. Mich interessiert dann doch eher mehr das Wie und Warum, selbst um die Wehrmachtszeit meines verstorbenen Großvaters in Norwegen gibt es noch so viele Unklarheiten (selbst die WASt konnte mir nicht weiterhelfen), dass mir auch so noch genug Stoff zur Recherche bleibt, auch wenn es anderweitig dokumentarische Spuren bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts gibt.
Man schwankt in seiner Tätigkeit immer zwischen Lust und Frust, alleine die Kooperationsbereitschaft von Archiven und deren Mitarbeitern schwankt extrem. Mir ist als zusätzliche Hürde noch auferlegt, dass aufgrund der oberschlesischen Herkunft meiner Familie viele Unterlagen entweder kriegsbedingt vernichtet wurden bzw. heute in Polen gelagert werden.
Aber Erfolge wiegen das dann mehr als auf. Ich musste meine Recherchen durch Beruf, Fernstudium und nunmehr vier Kleinkindern arg reduzieren, doch gerade in dieser Woche erreichte mich eine Anfrage eines netten bayrischen Herren gesetzten Alters, der sich als Nachkomme der Schwester meines Urgroßvaters herausstellte und mir wertvolle neue Hinweise und Dokumente zukommen ließ. Erkenntnisgewinn ganz ohne eigenes Zutun - ja auch das gibt es...
Zitat von SF-Leserzunächst doch mal die Bemerkung, daß die Anzahl der Ahnen doch nur quadratisch und nicht exponentiell zunimmt.
Sie nimmt schon exponentiell zu, lieber SF-Leser, denn die Zahl der Individuen in der nten Generationen der Vorfahren ist 2*n. Das ist eine Exponentialfunktion mit der Basis a=2.
Eine Quadratfunktion hat hingegen bekanntlich die Form: f(x) = ax*2 + bx + c
ich weiß nicht, warum ihr der Ansicht seid, dass die Anzahl der Vorfahren quadratisch zunähme. Es handelt sich bei der Funktion der Anzahl der Angehörigen einer Vorfahrengeneration n um eine Exponentialfunktion mit der Basis 2 (f(n)= 2^n), d.h. die Anzahl der Vorfahren jeder Generationsstufe verdoppelt sich. Auch die Summe der Angehörigen aller Vorfahrengenerationen verdoppelt sich (exakt müsste es heißen: der Grenzwert des Quotionen zweier aufeinanderfolgender Funktionswerte geht gegen 2), denn für die Summe bis zur jeweiligen Generationsstufe n ergibt sich: S(n)=2^(n+1) - 1.
eine quadratische Funktion hat die Form (allgemeinste Form)
f(x) = ax^2 + bx + c (also in der Form x hoch 2 oder x zum Quadrat)
setze ich dann a=1 und b und c gleich 0 dann habe ich noch den Term x^2, wobei x hier die Anzahl der Generationen sein soll.
Also 2 Elternteile, die wiederum jeweils 2 haben, also 4, dann 8, dann 16, 32,64, 128, 256, 512, 1024 usw.
oder n (Anzahl Generationen) hoch 2 - und nicht 2*n (2 mal n), dann hätte man in der 3. Generation nur 6 und nicht 8 Vorfahren.
„Die“ Exponentialfunktion lautet e^x (für e= 2,718...) Als Funktion des natürlichen Wachstum bekannt. Aktuell sehr beliebt zur Berechnung des Zerfalls von Radionukleiden!!
Zitat Es handelt sich bei der Funktion der Anzahl der Angehörigen einer Vorfahrengeneration n um eine Exponentialfunktion mit der Basis 2 (f(n)= 2^n), d.h. die Anzahl der Vorfahren jeder Generationsstufe verdoppelt sich.
Ja, ok, das sage ich ja auch. Wobei ich da nicht Exponentialfunktion dazu sagen würde.
Was meinen Sie mit Summe der Vorfahren: Ja, es ist natürlich richtig ich habe 2+4+8+16 usw. Vorfahren. In der der jeweiligen Generationenstufe eben n^2.
Tut mir leid, das mit den Grenzwerten und dem Quotienten verstehe ich nicht.
eine quadratische Funktion hat die Form (allgemeinste Form)
f(x) = ax^2 + bx + c (also in der Form x hoch 2 oder x zum Quadrat)
setze ich dann a=1 und b und c gleich 0 dann habe ich noch den Term x^2, wobei x hier die Anzahl der Generationen sein soll.
Also 2 Elternteile, die wiederum jeweils 2 haben, also 4, dann 8, dann 16, 32,64, 128, 256, 512, 1024 usw.
oder n (Anzahl Generationen) hoch 2 - und nicht 2*n (2 mal n), dann hätte man in der 3. Generation nur 6 und nicht 8 Vorfahren.
„Die“ Exponentialfunktion lautet e^x (für e= 2,718...) Als Funktion des natürlichen Wachstum bekannt. Aktuell sehr beliebt zur Berechnung des Zerfalls von Radionukleiden!!
Grüße SF-Leser
Lieber SF-Leser, ich habe für "hoch" das * genommen, Sie das ^ . Kann sein, daß das inzwischen üblich ist. Früher nahm man * für "hoch" und x für "mal".
Die Exponentialfunktion zur Basis der Euler'schen Zahl ist nur ein Spezialfall einer Exponentialfunktion.
Zitat Wissen wir es? Wir haben für die Zeit vor 1800 keine medizinischen Daten; wir haben nur Informationen zur Kindersterblichkeit, nicht aber zu den Todesursachen der jung gestorbenen Kinder (Infektionskrankheiten sicher in den meisten Fällen; aber ob auch genetische Fehler?) und wir haben aus dem 18. Jh. Steuer- und Einwohnerverzeichnisse, wo man nicht nur einmal Angaben findet wie "und ein blödes Kind, keine Steuer", "ein Mädchen, ist blind und taub" und dergleichen. Das könnte man in diesem Sinne von Gendefekten deuten, ohne es beweisen zu können.
Verstehe ich das richtig, daß es tatsächlich doch recht viel Fälle von Kindern mit Behinderungen gab?
Zitat Generell gilt natürlich "pater semper incertus". Da aber nach einer neuen Untersuchung selbst heute der Anteil der "Kuckuckskinder" bei 0,9 % liegt, ist die Quote für Zeiten, in denen Ehebruch massiv geahndet wurde, wohl geringer und nicht höher anzusetzen.
Nun ja, je geringer die Wahrscheinlichkeit "Erwischt zu werden" ist, desto höher muß natürlich die drohende Bestrafung sein. Nach meiner Lebenserfahrung halte ich die Zahl von 0,9% doch für deutlich zu gering. Kann aber verständlicherweise nicht mit anderen nachprüfbaren Zahlen aufwarten. Ich meinte ja eben auch nicht nur Kuckuckskinder, wenn ich von durchziehenden Heeren sprach.
Zitat Mir liegt eine Datenbank vor, die rund 80.000 Personendaten aus mehreren Gemeinden des Hochsauerlandkreises für die Zeit 1650 bis ca. 1995 enthält. Meine Aussage, dass noch heute gebürtige Sauerländer oft nur Vorfahren aus dem Sauerland haben, bezieht sich auf diese Datenbank.
Was kann man aus dieser Datenbank entnehmen? Doch nur Namen und damit auch den Herkunftsort, aber doch nicht die tatsächliche Herkunft des Kindes. Ob da nicht auch ab und zu etwas geschönt wurde??
Zitat Ein einer statischen Gesellschaft, in der der Zugang zu Handwerken streng geregelt ist, in der der Grundbesitz ausschließlich an ein Kind (meist das älteste) vererbt wird, ist wenig Spielraum für eine überraschend positive Entwicklung.
War die Dorf- Gesellschaft da wirklich so statisch? Gab es in dieser Gegend und zu jener Zeit nicht auch wandernde Handwerksburschen, die sich dort niedergelassen haben?
Zitat ich weiß nicht, warum ihr der Ansicht seid, dass die Anzahl der Vorfahren quadratisch zunähme.
Habe mich in die Irre führen lassen, da die Formel für die Großelterngeneration ja 2 hoch 2 ist. Bin beruhigt, dass "exponentiell", was ich ohne nachzudenken für richtig gehalten und anfangs geschrieben hatte, doch richtig ist.
Zitat Verstehe ich das richtig, daß es tatsächlich doch recht viel Fälle von Kindern mit Behinderungen gab?
"Recht viele" ist relativ. In Steuer- und Einwohnerverzeichnissen findet man zumindest immer wieder Personen, die man heute wohl als "behindert" bezeichnen würde. Dabei wissen wir nicht, ob es sich um einen genetischen Defekt, einen Geburtsfehler, die Folgen einer Infektionserkrankung, Folgen einer Verletzung handelt, wenn etwa gesagt wird, der Bauer X habe eine Tochter, "so lahm und krüppelicht".
Zitat Nun ja, je geringer die Wahrscheinlichkeit "Erwischt zu werden" ist, desto höher muß natürlich die drohende Bestrafung sein.
In einer dörflichen Gesellschaft, wo die Menschen in Weilern von fünf bis zehn Häusern leben, wo vor dem regelmäßig tagenden Sendgericht öffentlich die Fälle zur Anzeige gebracht werden, wenn jemand den Kirchgang versäumt hat, am Sonntag gearbeitet hat oder aber zur Fastenzeit mit dem Ehepartner Verkehr hatte - da halte ich es für eher schwierig, nicht erwischt zu werden.
Zitat Nach meiner Lebenserfahrung halte ich die Zahl von 0,9% doch für deutlich zu gering. Kann aber verständlicherweise nicht mit anderen nachprüfbaren Zahlen aufwarten.
Die FAZ berichtete kürzlich von einer Untersuchung anhand von Gendaten, die im Zusammenhang mit der Suche nach Knochenmarkspendern gesammelt worden sind. Dabei sind oft komplette Familien. Dabei wurde eine "Kuckuckskinderquote" von unter einem Prozent ermittelt.
Zitat Was kann man aus dieser Datenbank entnehmen? Doch nur Namen und damit auch den Herkunftsort, aber doch nicht die tatsächliche Herkunft des Kindes. Ob da nicht auch ab und zu etwas geschönt wurde??
Die Datenbank beruht auf den Geburts-, Heirats- und Sterberegistern. Dies sind in der REgel die einzigen Quellen, die uns vorliegen, und da wäre es Spekulation, eine bestimmte Quote der "Beschönigung" anzunehmen. Natürlich mag das ein oder andere uneheliche Kind als ehelich erscheinen; um wie viele es sich handelt, wissen wir nicht. Andererseits weisen auch die kirchlichen Register in der Regel Hinweise, wenn es Zweifel an der Vaterschaft gibt. Uneheliche Kinder werden generell als solche gekennzeichnet, allein schon der Rechtsfolgen wegen.
Zitat War die Dorf- Gesellschaft da wirklich so statisch? Gab es in dieser Gegend und zu jener Zeit nicht auch wandernde Handwerksburschen, die sich dort niedergelassen haben?
Das Bild der wandernden Handwerksburschen trifft meines Erachtens kaum die ländliche Realität der Zeit vor 1800. Wandernde Handwerksburschen gab es gewiss, aber doch eher in den Städten, in denen das Handwerk zünftisch organisiert war. Was sollte ein Handwerksbursche in einer Landpfarrei mit zehn Weilern zu je fünf bis zehn Häusern, wo es gerade das auf dem Land notwendige Handwerk gibt (einen Schmied, einen HUfschmied, einen Wagenbauer, einen Schneider, einen Schuster)? Und wo der Besitz erblich und ungeteilt weitergegeben wird, hätte ein zuwandernder Handwerker nur die Chance, einzuheiraten. - Natürlich gab es auch Zuwanderung, aber regional unterschiedlich und im Falle meines Beispiels, des Sauerlands, eher wenig. Dazu in einer anderen Folge.
Zitat von GansguoterBin beruhigt, dass "exponentiell", was ich ohne nachzudenken für richtig gehalten und anfangs geschrieben hatte, doch richtig ist.
Bin vermutlich der einzige hier, der es noch nicht verstanden hat und bitte freundlich um eine knappe Aufklärung (mathematisches Grundwissen vorhanden): Die Zahl der Vorfahren in der n-ten (Vor-)Generation ist doch (ganz grob, auf paar Millionen kommt es nicht an) S(n) = 2^n, richtig? Bis Jesu Geburt zurück (ganz grob, auf paar tausend Jahre kommt es nicht an) n = 100, einverstanden?
Dann bitte den Taschenrechner bemühen, 2^100, und mir sagen, wo mein Denkfehler liegt. Danke! mfG
Ansonsten konnte ich (als Beobachter) selbst schon Ergebnisse der Ahnenforschung sehen und bin schlicht fasziniert! :)
Zitat von HausmannBin vermutlich der einzige hier, der es noch nicht verstanden hat und bitte freundlich um eine knappe Aufklärung (mathematisches Grundwissen vorhanden): Die Zahl der Vorfahren in der n-ten (Vor-)Generation ist doch (ganz grob, auf paar Millionen kommt es nicht an) S(n) = 2^n, richtig? Bis Jesu Geburt zurück (ganz grob, auf paar tausend Jahre kommt es nicht an) n = 100, einverstanden?
Richtig: Großeltern 2^2=4, Urgroßeltern 2^3=8; Generation Karls des Großen: ca. 2^40, Generation Jesu ca. 2^60.
Sie machen gar keinen Denkfehler - das ist es ja gerade, dass die Zahl der Vorfahren ins Unendliche wächst, während die Bevölkerung Europas oder auch der Welt immer kleiner wird, je weiter man zurückgeht.
Daher: Jeder Mitteleuropäer stammt - rechnerisch - von allen Mitteleuropäern des Mittelalters ab, die selbst Nachkommen hatten. Jeder stammt von den Menschen des Mittelalters oder der Antike mehrfach bzw. vielfach ab. Damit ist jeder mit jedem verwandt.
Zitat Nach meiner Lebenserfahrung halte ich die Zahl von 0,9% doch für deutlich zu gering. Kann aber verständlicherweise nicht mit anderen nachprüfbaren Zahlen aufwarten.
Die FAZ berichtete kürzlich von einer Untersuchung anhand von Gendaten, die im Zusammenhang mit der Suche nach Knochenmarkspendern gesammelt worden sind. Dabei sind oft komplette Familien. Dabei wurde eine "Kuckuckskinderquote" von unter einem Prozent ermittelt.
Ich möchte über den Anteil der »Kuckuckskinder« gar nicht spekulieren. Aber die Statistik könnte womöglich dadurch beeinflusst sein, dass Knochenmarkspender tendenziell eher aus »ordentlichen Verhältnissen« kommen. Ich weiß es nicht. Aus dem Bauch heraus würde ich vermuten, dass die Stichprobe nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist.
Zitat von GansguoterBin beruhigt, dass "exponentiell", was ich ohne nachzudenken für richtig gehalten und anfangs geschrieben hatte, doch richtig ist.
.. wo mein Denkfehler liegt.
Kein Denkfehler. Ich denke in diesem Zusammenhang ist es fast wichtiger die Bedeutung eines exponetiellen Prozesses zu verstehen als die Formel. Schauen Sie auf den oberen Teil der Grafik: sie drückt sehr genau einen exponentiellen Prozess aus: lange Zeit schleicht sie ohne sich merklich zu verändern und explodiert dann im wahrsten Sinne des Wortes. Mit keinem Polynom der Welt, und sei es mit noch so großen Exponenten, könnten sie (in the long run) so etwas hinbekommen. Grafik Bevölkerungsentwicklung
Zitat von stefanolixIch möchte über den Anteil der »Kuckuckskinder« gar nicht spekulieren. Aber die Statistik könnte womöglich dadurch beeinflusst sein, dass Knochenmarkspender tendenziell eher aus »ordentlichen Verhältnissen« kommen. Ich weiß es nicht. Aus dem Bauch heraus würde ich vermuten, dass die Stichprobe nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist.
Da es in der Untersuchung um die Familienangehörigen von unmittelbar Betroffenen ging, dürfte ein Querschnitt der Bevölkerung getestet sein. Das tut aber nichts zur Sache. Schon die Römer wussten: "Pater semper incertus". Der Historiker ist darauf angewiesen, dass die Quellen auch die Tatsachen korrekt darstellen - der Familienforscher muss sich darauf verlassen, dass die Angaben zu den Eltern in einer Geburtsurkunde korrekt sind.
Zitat von GansguoterRichtig: Großeltern 2^2=4, Urgroßeltern 2^3=8; Generation Karls des Großen: ca. 2^40, Generation Jesu ca. 2^60.
Sie machen gar keinen Denkfehler - das ist es ja gerade, dass die Zahl der Vorfahren ins Unendliche wächst, während die Bevölkerung Europas oder auch der Welt immer kleiner wird, je weiter man zurückgeht.
Ich habe auch einen Augenblick gestutzt, als ich das las, lieber Gansguoter: Wie kann das denn sein, daß ich mehr Vorfahren aus der Zeit Jesu haben soll, als damals überhaupt Menschen lebten?
Bis ich gemerkt habe, daß diese Exponentialfunktion ja nur dann gilt, wenn alle meine Vorfahren verschiedene Individuen sind. Je mehr Verwandtschaft es gibt, umso häufiger ist aber der Fall, daß dasselbe Individuum gewissermaßen an verschiedenen Stellen in meinem Stammbaum einen Platz hat.
Einfachstes Beispiel: Angenommen, meine Eltern wären Vetter und Cousine. Dann hätten sie gemeinsame Großeltern. Diese würden also sowohl als meine Urgroßeltern väterlicherseits als auch als meine Urgroßeltern mütterlicherseits in der Ahnentafel stehen. Je weiter man zurückgeht, umso mehr wirkt sich das aus. So daß eben jeder real viel weniger Vorfahren hat, als es der Exponentialfunktion entspricht.
Oder anders gesagt: Jeder Ahne "sitzt" an zahlreichen Stellen auf der Ahnentafel.
Zitat von Gansguoterdas ist es ja gerade, dass die Zahl der Vorfahren ins Unendliche wächst
Haben Sie die Zahl 2^60 in den Taschenrechner eingegeben? Ein völlig sinnloses Ergebnis; soviele Menschen hat es niemals gegeben! Also stimmt die Formel S(n) nicht - oder muß anders interpretiert werden. Was ist S(n)? mfG
Lese gerade die zwischenzeitliche Anmerkung von Zettel ... Das scheint der casus knackus zu ein, danke! :)
Zitat von ZettelBis ich gemerkt habe, daß diese Exponentialfunktion ja nur dann gilt, wenn alle meine Vorfahren verschiedene Individuen sind. Je mehr Verwandtschaft es gibt, umso häufiger ist aber der Fall, daß dasselbe Individuum gewissermaßen an verschiedenen Stellen in meinem Stammbaum einen Platz hat.
Einfachstes Beispiel: Angenommen, meine Eltern wären Vetter und Cousine. Dann hätten sie gemeinsame Großeltern. Diese würden also sowohl als meine Urgroßeltern väterlicherseits als auch als meine Urgroßeltern mütterlicherseits in der Ahnentafel stehen. Je weiter man zurückgeht, umso mehr wirkt sich das aus. So daß eben jeder real viel weniger Vorfahren hat, als es der Exponentialfunktion entspricht.
Oder anders gesagt: Jeder Ahne "sitzt" an zahlreichen Stellen auf der Ahnentafel.
Ist das richtig so?
Ganz richtig. Das hatte ich gemeint, als ich schrieb, dass jede mittelalterliche Mitteleuropäer auch "vielfach" Vorfahre der heute Lebenden ist. - Die nächste Folge wird also sich zunächst dem Phänomen des Ahnenschwundes (Implex) widmen. Ihr Beispiel mit den Eltern als Vettern ist schon richtig. Noch deutlicher wird das am Beispiel der Ptomäer mit ihren dauernden Geschwisterehen. Da werden dann aus acht Urgroßeltern dann nur noch zwei oder drei Individuen.
Zitat von ZettelBis ich gemerkt habe, daß diese Exponentialfunktion ja nur dann gilt, wenn alle meine Vorfahren verschiedene Individuen sind. Je mehr Verwandtschaft es gibt, umso häufiger ist aber der Fall, daß dasselbe Individuum gewissermaßen an verschiedenen Stellen in meinem Stammbaum einen Platz hat.
Einfachstes Beispiel: Angenommen, meine Eltern wären Vetter und Cousine. Dann hätten sie gemeinsame Großeltern. Diese würden also sowohl als meine Urgroßeltern väterlicherseits als auch als meine Urgroßeltern mütterlicherseits in der Ahnentafel stehen. Je weiter man zurückgeht, umso mehr wirkt sich das aus. So daß eben jeder real viel weniger Vorfahren hat, als es der Exponentialfunktion entspricht.
Oder anders gesagt: Jeder Ahne "sitzt" an zahlreichen Stellen auf der Ahnentafel.
Ist das richtig so?
Ganz richtig. Das hatte ich gemeint, als ich schrieb, dass jede mittelalterliche Mitteleuropäer auch "vielfach" Vorfahre der heute Lebenden ist. - Die nächste Folge wird also sich zunächst dem Phänomen des Ahnenschwundes (Implex) widmen. Ihr Beispiel mit den Eltern als Vettern ist schon richtig. Noch deutlicher wird das am Beispiel der Ptomäer mit ihren dauernden Geschwisterehen. Da werden dann aus acht Urgroßeltern dann nur noch zwei oder drei Individuen.
Ja aber was bedeutet das denn? Ich denke das sind nicht mehr als kleine lokale Störungen im grossen binären Baum, irrelevant für den Gesamtprozesses. Mit anderen Worten: am Charakter des exponentiellen Prozesses ändert sich dadurch nichts. Oder?
Zitat von LeibnizSchauen Sie auf den oberen Teil der Grafik: sie drückt sehr genau einen exponentiellen Prozess aus: lange Zeit schleicht sie ohne sich merklich zu verändern und explodiert dann im wahrsten Sinne des Wortes.
Ja, das haben Exponentialfunktionen so an sich, je nach Wert der Basis.
Ich erinnere mich noch an die Sache mit den Seerosen, die mich als vielleicht Zehnjährigen beeindruckt hat (stand damals in der Kinderzeitschrift "Liliput"): Die von Seerosen bedeckte Fläche eines Teichs verdoppelt sich täglich. Nach 200 Tagen ist der halbe Teich bedeckt. Wie lange dauert es, bis der ganze Teich bedeckt ist?
Aber die Funktion für die Bevölkerungsentwicklung hat, lieber Leibniz, wohl nicht sehr viel mit der Exponentialfunktion zu tun, was die Zahl der Ahnen angeht.
Das eine ist eine empirische Funktion, das andere eine theoretische Funktion, die den Fall beschreibt, daß es keinerlei Verwandtschaft zwischen den Ahnen gäbe.
Die empirische Funktion für die Bevölkerungsexplosion ist des weiteren nicht einfach eine Exponentialfunktion. Sondern sie resultiert daraus, daß sich die Zahl der überlebenden Kinder mit dem Beginn der industriellen Revolution verändert hat. Man kann sie deshalb auch nicht extrapolieren; denn die Zahl der Nachkommen pro gebärfähiger Frau nimmt ja weltweit bereits wieder ab und liegt bei uns bekanntermaßen inzwischen bei einem Wert, der zu einer Abnahme der Bevölkerung führt.
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