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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 64 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.09.2011 11:28
#51 RE: Leck bei Wikileaks Antworten

Zitat von Loki
Die von Ihnen genannten Ausnahmen etwa sind Extrembeispiele, bei denen der vermeintliche Rechtsbruch i.d.R. auch nicht geahndet würde, weil er von einem Gericht als gerechtfertigt angesehen würde. Es wird Abstufungen geben, bei denen dem Handelnden nicht mehr völlig klar sein kann, ob sein Rechtsbruch als solche Ausnahme anzusehen ist. Dann muß er sich entscheiden, sich möglicherweise rechtswidrig zu verhalten, und diese Entscheidung kann ihm das Recht nicht mehr abnehmen, weil das Recht keine eindeutige Antwort mehr gibt.

Dem stimme ich zu.

Herzlich, Zettel

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

06.09.2011 21:34
#52 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Lieber Zettel,

in der Tat haben wir damit einen massiven Dissenz gefunden, weit grösser als ich zwischenzeitlich vermutet habe. Zum einen einen Dissenz in der Einschätzung, zum anderen in der Handlungsmaxime:

Zitat
Wenn jeder von uns gemäß seiner eigenen Ethik handelt, dann zerfällt die Gesellschaft. Es geht einfach nicht.


Doch. Es geht. Es geht sogar nur so. Und es geht genau dann, wenn es eine gemeinsame Ethik gibt. Das ist ein Grund mehr, warum ich nicht an die Existenz der "multikulturellen" Gesellschaft glaube. Ein ethischer Kanon muss ebenso gemeinsam sein, wie das Handeln aus dem Heraus was richtig ist. Gesetze haben immer nur die Kraft der möglichen, dahinterstehenden Sanktionen. Erst ein verbindender Glauben daran was richtig ist und was falsch, kann Spannungen in der Gesellschaft auflösen. Wenn wir große Minderheiten haben, die nicht an ein bestimmtes Gesetz glauben, dann haben wir in der Tat ein Problem der zerfallenden Gesellschaft. Doch dies ist nur der kleinere Dissenz.

Zitat
Er sollte es nicht nur aus Angst vor Strafe tun, sondern aus der Einsicht heraus, daß man seine eigene Ethik den Gesetzen unterordnen muß.


Etwas flapsig würde ich sagen: Das fehlte noch. Ich werde mein Ethik sicher nie einem Gesetz unterordnen. Ich werde vielleicht einigen Gesetzen zustimmen, weil ich sie für richtig halte, aber ich werde nie etwas tun was ich für unethisch halte, weil ein Gesetz es fordert. Gesetze werden nicht dadurch richtig, dass sie existieren. Oder dadurch das eine Mehrheit sie für richtig hält. Im dritten Reich haben breite Mehrheiten Gesetze vertreten, die abstossend, unethisch und rundheraus unmenschlich gewesen sind. Sie werden nicht richtig durch eine Mehrheit oder ihre Existenz. Es mag in unserer Gesellschaft, der BRD, nicht so krasse Beispiele geben, aber das Prinzip ändert sich nicht. Auch die demokratische Gesellschaft BRD ist durchaus in der Lage unmenschliche Gesetze zu produzieren. Und so es meinen Möglichkeiten entspricht und ich die Sanktion im Verhältnis ertragen kann, so werde ich diese Gesetze sicher nicht für mich annehmen.

Zitat
Aber wir sind halt auf einer Ebene, wo man seine Haltung nicht weiter begründen kann.


Das müssen Sie ja auch nicht, lieber Zettel. Wir haben in diesem Punkt scheinbar wirklich eine diamteral unterschiedliche Auffassung was richtig ist und was falsch. Verstehen können wir uns gegenseitig, aber nicht überzeugen. Aus meiner Perspektive will ich das auch gar nicht. Ich kann ihre Haltung nicht teilen, aber selbstredend akzeptieren. Denn ihre Vorstellungen von richtig und falsch sagen Ihnen, dass Sie Gesetze im Zweifelsfall für wichtiger halten als ihre eigene Einschätzung. Meine Vorstellung von richtig und falsch sagt das Gegenteil. Das macht Sie zu einem guten Staatsbürger (was ich nicht negativ meine). Wozu es mich macht sei dahingestellt, aber ein guter Staatsbürger war ich ohnehin noch nie. :)

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.255

06.09.2011 23:55
#53 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Zettel
... meine Position auf eine einfach Formel bringen: Wenn jeder von uns gemäß seiner eigenen Ethik handelt, dann zerfällt die Gesellschaft. Es geht einfach nicht.

Im Gegensatz zu Ihnen, lieber Zettel, bin ich nicht nur der Meinung, dass ein Großteil, wenn nicht eine Mehrheit, unserer Gesellschaft gemäß seiner eigenen Ethik handelt; vielmehr entspricht dies meiner Alltagserfahrung.

Einen Zerfall der Gesellschaft befürchte ich deswegen aber nicht, da kulturell bedingt die (christlich abendländischen) ethischen Normen den durch das Recht gesetzten Normen weitestgehend entsprechen. Sie schreiben das sogar selbst:

Zitat von Zettel
... sind Kulturen immer wesentlich Rechtssysteme gewesen. Von Hammurabi über die biblischen Propheten bis Solon kann man verfolgen, wie alles darum kreiste, daß die jeweilige Kultur sich auf für alle verbindliche Gesetze verständigte.


... was doch nichts anderes heißen kann, als: kulturell bedingte ethische Normen, die von fast allen geteilt (anerkannt und für gut befunden) werden, werden in Gesetze gegossen. Wandeln sich nun die gesellschaftlichen Normen, wandeln sich, zeitlich versetzt, auch die gesetzlichen. Werteverfall kann zum gesellschaftlichen Zerfall führen: Siehe Weigerung der Gerichte in Großbritanien, Sachbeschädigung durch Greenpeace in Höhe von mehreren zehntausend Euronen, als solche anzuerkennen, obwohl die Gesetzeslage „eigentlich eindeutig“ ist. Oder in Deutschland: Eine mehr oder weniger vorhandene Billigung gewisser Kreise den Ökovandalismus bzw. -terrorismus betreffend.



Der Zerfall, wenn es einen solchen gibt, kommt also „von oben“, weil vorhandene Normen nicht konsequent durchgesetzt werden, und nicht, weil sich „jeder“ gemäß seiner eigenen Ethik verhält, für die er nötigenfalls auch seinen Kopf hinhalten muss. Wenn ich Thomas richtig interpretiere, sollte die oberste Richtschnur allen Handelns stets die eigene Ethik sein. Das soll nicht heißen, dass man sich nicht an Gesetze halten sollte, die einem nicht passen, sondern dass man Dinge unterlässt, die der eigenen Ethik widersprechen.

Zitat von Zettel
Jede von uns wird manches Gesetz falsch finden; vielleicht empörend. Er muß sich daran halten. Er sollte es nicht nur aus Angst vor Strafe tun, sondern aus der Einsicht heraus, daß man seine eigene Ethik den Gesetzen unterordnen muß.

Angst vor Strafe muss man nicht haben, da es bei uns kaum nennenswerte Strafen gibt. Ob jemand Gesetze einhält, die seiner Ethik diametral widersprechen, muss ein jeder mit sich selbst ausmachen.

Fazit: Ein gutes Gewissen ist das beste Ruhekissen.

 
Mit freundlichem Gruß

--
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ – sagt Ingeborg Bachmann

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.09.2011 10:35
#54 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Das ist ja eine interessante Diskussion. Und irgendwie habe ich das Gefühl, Ihr seid gar nicht so weit auseinander.

Zitat von Zettel
Wenn jeder von uns gemäß seiner eigenen Ethik handelt, dann zerfällt die Gesellschaft. Es geht einfach nicht.



Zitat von Llarian
Ein ethischer Kanon muss ebenso gemeinsam sein, wie das Handeln aus dem Heraus was richtig ist.


Das ist letztlich die gleiche Sicht, nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln formuliert.

Oder um auf eines der Beispiele zurückzukommen: Wenn Gentechnik-Gegner Felder zerstören, dann kann man nach Zettel das Problem darin sehen, daß diese Leute ihre Ethik über das Gesetz stellen. Oder nach Llarian es kritisch sehen, daß die Ethik dieser Leute nicht mehr der Ethik entspricht, die mal gemeinsame Basis war.

Und ich sage hier bewußt "war". Denn das eigentliche Problem ist ja, daß die Motive der Täter breite Anerkennung finden, d.h. die Ethik unserer Gesellschaft erodiert ist. Was u. a. dazu führt, daß die Gesetze in diesem Fall nicht durchgesetzt werden.

Zitat
Ich werde mein Ethik sicher nie einem Gesetz unterordnen.


Vielleicht doch ;-)

Wir haben nämlich bisher nur drei Fälle diskutiert:
- Man hält ein Gesetz für gerecht und hält sich deswegen daran (eigentlich hätte man also das Gesetz für sich gar nicht gebraucht).
- Man hält ein Gesetz für ungerecht, hält sich aber aus Angst vor Strafe daran (wie es insbesondere schlechte Menschen tun, die z. B. das Bestehlen Anderer durchaus für gerecht (für sich) finden, aber Angst vor dem Knast haben und es deswegen lassen).
- Man hält ein Gesetz für ungerecht, und hält sich deswegen nicht daran. Wir haben Konsens, daß es solche Fälle in einer Diktatur auf jeden Fall gibt. Und Zettel hat recht, daß diese Fälle in einem demokratischen Rechtstaat in wichtigen Belangen wohl nicht vorkommen (sonst müßte das Widerstandsrecht greifen).

Aber es gibt eben noch den vierten Fall, und der ist sehr häufig: Man hält ein Gesetz für ungerecht - aber es verletzt keine fundamentalen ethischen Prinzipien. Und dann hält man sich im Zweifelsfall daran, weil man die grundsätzliche Notwendigkeit von Regeln in einer Gesellschaft anerkennt. Es ist eben auch eine ethische Maxime, das Regelwerk einer Gesellschaft zu akzeptieren, weil nur dadurch ein Zusammenleben möglich ist.

Ich mag also sehr vieles am geltenden Regelwerk ungerecht oder falsch finden. Und ich halte mich trotzdem daran, weil eine schlechte Regel oft besser ist als gar keine.

Zitat
aber ich werde nie etwas tun was ich für unethisch halte, weil ein Gesetz es fordert.


Aber sicher tust Du das. Täglich. Solange das "unethisch" eben nicht fundamentale Bereiche betrifft. Z. B. zahlst Du regelmäßig Deine Stromrechnung, obwohl die Subventionierung von reichen EEG-Schmarotzern durch arme Stromkunden ziemlich unethisch ist. Aber es ist eben nur ein Ärgernis, keine Grundrechtsfrage. Und deswegen ist der Respekt vor einem mit demokratischer Mehrheit getroffenen Beschluß wichtiger als das Beharren auf einer gerechten Lösung.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.09.2011 10:42
#55 RE: Leck bei Wikileaks Antworten

Lieber Llarian

Jetzt ist mir einiges klarer. Es hört sich für mich so an als handelten sie nach einer teleologischen Ethik oder besser des Konsequentialismus, während ich diesem Ansatz wie auch dem deontologischen von Kant viel abgewinnen kann. Die Verantwortungsethik von Max Weber kommt meiner Auffassung am nächsten.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.09.2011 10:53
#56 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von R.A.
Das ist ja eine interessante Diskussion. Und irgendwie habe ich das Gefühl, Ihr seid gar nicht so weit auseinander.

Zitat von Zettel
Wenn jeder von uns gemäß seiner eigenen Ethik handelt, dann zerfällt die Gesellschaft. Es geht einfach nicht.



Zitat von Llarian
Ein ethischer Kanon muss ebenso gemeinsam sein, wie das Handeln aus dem Heraus was richtig ist.


Das ist letztlich die gleiche Sicht, nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln formuliert.

Oder um auf eines der Beispiele zurückzukommen: Wenn Gentechnik-Gegner Felder zerstören, dann kann man nach Zettel das Problem darin sehen, daß diese Leute ihre Ethik über das Gesetz stellen. Oder nach Llarian es kritisch sehen, daß die Ethik dieser Leute nicht mehr der Ethik entspricht, die mal gemeinsame Basis war.


Das ging mir auch durch den Kopf, lieber R.A., als ich Llarians letzte Antwort las.

Für den idealen Fall. daß es eine gemeinsame Ethik und auf ihr fußende Gesetze gibt, sind Llarian und ich uns einig; vielleicht nicht erstaunlich - denn wer würde einen solchen Zustand nicht schätzen. Aber was ist, wenn diese gemeinsame Ethik erodiert (oder vielleicht nie ganz vorhanden war)? Ich glaube, dann ist der Dissens doch da.

Wenn ich Llarian richtig verstehe, plädiert er dann dafür, im Zweifelsfall eher der eigenen Ethik zu folgen als den Gesetzen. Ich bin der Auffassung, daß in einem demokratischen Rechtsstaat die Gesetze befolgt werden müssen, ob man sie aus der eigenen ethischen Sicht akzeptiert oder nicht. Mit den schon mehrfach genannten Ausnahmen.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.09.2011 13:11
#57 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Zettel
Wenn ich Llarian richtig verstehe, plädiert er dann dafür, im Zweifelsfall eher der eigenen Ethik zu folgen als den Gesetzen.


Ich bin mir aber sicher (noch konnte er ja nicht auf meinen Beitrag antworten), daß er das schon auf wesentliche Gewissenskonflikte beschränkt und nicht generell bei allen Gesetzen empfiehlt, die ihm ungerecht vorkommen.

Zitat
Ich bin der Auffassung, daß in einem demokratischen Rechtsstaat die Gesetze befolgt werden müssen, ob man sie aus der eigenen ethischen Sicht akzeptiert oder nicht.


Wobei Sie wiederum Ausnahmen in schwerwiegenden Fällen machen.

Mit anderen Worten: Aus der unterschiedlichen Grundposition treffen Sie sich eigentlich bei einer ähnlichen Beurteilung, was die praktische Handhabung betrifft. Es bleibt nur offen, wo genau die Grenzziehung von schwerwiegend ist - und da könnte ich mir gut vorstellen, daß die bei allen hier diskutierten Fällen bei Ihnen beiden gleich ausfällt.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

07.09.2011 14:10
#58 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von R.A.
Wir haben nämlich bisher nur drei Fälle diskutiert:
- Man hält ein Gesetz für gerecht und hält sich deswegen daran (eigentlich hätte man also das Gesetz für sich gar nicht gebraucht).
- Man hält ein Gesetz für ungerecht, hält sich aber aus Angst vor Strafe daran (wie es insbesondere schlechte Menschen tun, die z. B. das Bestehlen Anderer durchaus für gerecht (für sich) finden, aber Angst vor dem Knast haben und es deswegen lassen).
- Man hält ein Gesetz für ungerecht, und hält sich deswegen nicht daran. Wir haben Konsens, daß es solche Fälle in einer Diktatur auf jeden Fall gibt. Und Zettel hat recht, daß diese Fälle in einem demokratischen Rechtstaat in wichtigen Belangen wohl nicht vorkommen (sonst müßte das Widerstandsrecht greifen).

Aber es gibt eben noch den vierten Fall, und der ist sehr häufig: Man hält ein Gesetz für ungerecht - aber es verletzt keine fundamentalen ethischen Prinzipien. Und dann hält man sich im Zweifelsfall daran, weil man die grundsätzliche Notwendigkeit von Regeln in einer Gesellschaft anerkennt. Es ist eben auch eine ethische Maxime, das Regelwerk einer Gesellschaft zu akzeptieren, weil nur dadurch ein Zusammenleben möglich ist.

Trittbrettfahrereinstieg Petz mit einem fünften Fall, den ich als Ursprung von Gesetzesbrüchen (leichterer Art) am häufigsten feststelle: Bequemlichkeit! Ich stimme dem Gesetz zwar im Grund genommen zu, weil es keine fundamentalen ethischen Prinzipien verletzt, befolge es aber in Einzelfällen nicht, weil es bequemer ist (Alltägliche Beispiele aus dem eigenen Leben: Straßenverkehrsordnung, Urheberrecht, Betäubungsmittelgesetz etc.). Ich habe kein Problem damit und finde es wesentlich ehrlicher, die Bequemlichkeit zuzugeben, als mir mühevoll eine hochtrabende ethische Begründung einfallen zu lassen, warum es ethisch nicht begründbar ist, dass man auf der Bundesstraße X bei km Y nur 80 fahren darf.

Gruß Petz

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.09.2011 15:07
#59 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Meister Petz
Ich habe kein Problem damit und finde es wesentlich ehrlicher, die Bequemlichkeit zuzugeben, als mir mühevoll eine hochtrabende ethische Begründung einfallen zu lassen, warum es ethisch nicht begründbar ist, dass man auf der Bundesstraße X bei km Y nur 80 fahren darf.
Gruß Petz


Nach der Logik hätte es niemanden gegeben, der die amerikanische Verfassung und die Bill of Rights niedergeschrieben hätte.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

07.09.2011 17:47
#60 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Erling Plaethe

Zitat von Meister Petz
Ich habe kein Problem damit und finde es wesentlich ehrlicher, die Bequemlichkeit zuzugeben, als mir mühevoll eine hochtrabende ethische Begründung einfallen zu lassen, warum es ethisch nicht begründbar ist, dass man auf der Bundesstraße X bei km Y nur 80 fahren darf.
Gruß Petz


Nach der Logik hätte es niemanden gegeben, der die amerikanische Verfassung und die Bill of Rights niedergeschrieben hätte.


Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihre Logik verstehe, bzw. die, die Sie mir zuschreiben, aber es geht doch zum einen nicht um die Motivation der Gesetzgebung, sondern um die, Gesetze zu befolgen oder nicht.

Zum Anderen gibt es m. E. auch innerhalb einer Rechtsordnung einen Unterschied zwischen einem material begründeten Verfassungskern und rechtspositivistisch begründeten Regeln, deren einzig materialer Bestandteil der ist, dass sie dem materialen Kern nicht widersprechen dürfen. In Deutschland ist dies durch die Ewigkeitsklausel verwirklicht, die den materialen Kern schützt, aber nicht die Bestimmung, dass ich innerhalb geschlossener Ortschaften nur 50 fahren darf. Es ist ein häufig wiederkehrendes Thema in ZR, dass viel zu häufig moralische Begründungen für Bereiche angewendet werden, die eigentlich dem positivistisch begündeten Recht zugrhören müssten (z. B. die Regelung der Stromerzeugung), und es ist m. E. nicht sinnvoll, die ethisch aufzuladen.

Gruß PEtz

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

07.09.2011 19:23
#61 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von R.A.
Aber es gibt eben noch den vierten Fall, und der ist sehr häufig: Man hält ein Gesetz für ungerecht - aber es verletzt keine fundamentalen ethischen Prinzipien. Und dann hält man sich im Zweifelsfall daran, weil man die grundsätzliche Notwendigkeit von Regeln in einer Gesellschaft anerkennt. Es ist eben auch eine ethische Maxime, das Regelwerk einer Gesellschaft zu akzeptieren, weil nur dadurch ein Zusammenleben möglich ist.


Ich würde es vielleicht ein bischen anders formulieren, um dann zu dem selben Ergebnis zu kommen: Es ist weniger die grundsätzliche Notwendigkeit Regeln zu beachten, es ist eher die Bereitschaft sich dem Willen einer (breiten) Mehrheit in unwichtigen Dingen zu unterwerfen. Wenn eben alle wollen, dass sonntags der Rasen nicht gemäht wird, dann halte ich das vielleicht immernoch für blödsinnig, halte mich aber daran, auch wenn ich nicht befürchte für das Rasenmähen bestraft zu werden. Anders formuliert: Wenn es keine große Sache ist, aber vielen Menschen sehr wichtig, dann seis drum. Ich kann auch den Rasen montags mähen. Es ist dabei nicht einmal die Anwendung einer geschriebenen Regel, es ist eher Rücksichtnahme auf die Moralvorstellungen anderer.

Zitat
Z. B. zahlst Du regelmäßig Deine Stromrechnung, obwohl die Subventionierung von reichen EEG-Schmarotzern durch arme Stromkunden ziemlich unethisch ist.


Das ist insofern ein schlechtes Beispiel, da es eher die Sorge vor Sanktion ist, die mich dazu treibt. Wenn es eine sanktionsfreie Möglichkeit gäbe, den Driss nicht zu bezahlen, würde ich das sicher auch nicht tun.

Zitat
- Man hält ein Gesetz für ungerecht, und hält sich deswegen nicht daran. Wir haben Konsens, daß es solche Fälle in einer Diktatur auf jeden Fall gibt. Und Zettel hat recht, daß diese Fälle in einem demokratischen Rechtstaat in wichtigen Belangen wohl nicht vorkommen (sonst müßte das Widerstandsrecht greifen).


Bei letzterem bin ich mir nicht so sicher. Ich habe mich bis jetzt nicht in einer solchen Situation emfunden, aber ich kann es teilweise verstehen, wenn andere das tun. So ist es beispielsweise verboten eine scharfe, verdeckte Schusswaffe mit sich zu führen, so lange man nicht als besonders gefährdet gilt. Wenn bestimmte Anwohner unserer Hauptstadt das anders emfinden, verstehe ich das zumindest. Auch wenn ich sehe was für Ergebnisse unsere Justiz produziert, kann ich nachvollziehen, dass Leute anfangen das Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Wenn ich sehe, was jetzt bei dem Berliner U-Bahn Prügler wieder passiert, kann ich verstehen, dass Menschen am Rechtsstaat verzweifeln und irgendwann keine Alternative innerhalb des Staates mehr sehen. Von den Machtergreifungsphantasien unserer kommunistischen Freunde noch gar nicht angefangen.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.09.2011 20:19
#62 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Meister Petz
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihre Logik verstehe, bzw. die, die Sie mir zuschreiben, aber es geht doch zum einen nicht um die Motivation der Gesetzgebung, sondern um die, Gesetze zu befolgen oder nicht.


Ich meinte damit, dass diejenigen welche sich über hochtrabende ethische Begründungen Gedanken machen z.B. beim Niederschreiben einer Verfassung, durchaus ebenfalls zu bequem sind, jeder Ordnungswidrigkeit oder jedem Gesetz zu folgen. Das konnte soweit gehen, dass man die Gleichheit der Menschen propagiert und sich Sklaven hält.
Ein laxer Umgang mit Regeln muss einen also nicht davon abhalten, dem Ziel weiter zu folgen, gesetzestreuer zu werden auch wenn man sich gut genug kennt und davon ausgehen kann niemals in seinem Leben die Strassenverkehrsordnung 100% einzuhalten.
Vielleicht habe ich sie missverstanden, aber ich hatte herausgehört: "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein."
Wenn ich zu schnell fahre, habe ich ein schlechtes Gewissen und dieses hindert mich daran permanent Vollgas zu fahren. Vielleicht nehme ich aus dem gleichen Grund, unter Umständen spielt auch meine Frau noch eine Rolle, davon Abstand mir ein Auto zu kaufen, welches 250 km/h spielend schafft.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.09.2011 22:05
#63 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Meister Petz

Zum Anderen gibt es m. E. auch innerhalb einer Rechtsordnung einen Unterschied zwischen einem material begründeten Verfassungskern und rechtspositivistisch begründeten Regeln, deren einzig materialer Bestandteil der ist, dass sie dem materialen Kern nicht widersprechen dürfen. In Deutschland ist dies durch die Ewigkeitsklausel verwirklicht, die den materialen Kern schützt, aber nicht die Bestimmung, dass ich innerhalb geschlossener Ortschaften nur 50 fahren darf. Es ist ein häufig wiederkehrendes Thema in ZR, dass viel zu häufig moralische Begründungen für Bereiche angewendet werden, die eigentlich dem positivistisch begündeten Recht zugrhören müssten (z. B. die Regelung der Stromerzeugung), und es ist m. E. nicht sinnvoll, die ethisch aufzuladen.


Man könnte sich die Ewigkeitsklausel auch sparen, entschuldigen sie bitte meine Respektlosigkeit, und anstatt mit der aus der Regulierungswut resultierenden Relativierung auf ein aufgeblasenes Grundgesetz zu antworten, ein paar Grundregeln verbindlich verabschieden, die niemand schützen muss, weil sich ihnen alle anderen Regeln und Gesetze unterordnen müssen.
Allerdings möchte ich noch bemerken, über keinen juristischen Sachverstand zu verfügen. Nichts desto trotz ist mir das wiederkehrende Thema der ethischen Betrachtung von positivistischen Fragen und ihre unzulängliche Lösung mittels ethischer Begründungen, nur zu gut bewusst. Eigentlich brauch ich dazu nur den Fernseher einzuschalten. Ich interessiere mich trotzdem für die unterschiedlichen ethischen Ansätze, z.B. ob ich das Ergebnis meiner Handlung beurteile oder die Intention die der Handlung voranging.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

07.09.2011 22:23
#64 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Ein laxer Umgang mit Regeln muss einen also nicht davon abhalten, dem Ziel weiter zu folgen, gesetzestreuer zu werden auch wenn man sich gut genug kennt und davon ausgehen kann niemals in seinem Leben die Strassenverkehrsordnung 100% einzuhalten.

Ich habe ja einige Ziele im Leben, aber das gehört bestimmt nicht dazu..ich bekenne mich auch offen dazu, gerade in unserem überregulierten Gemeinwesen die Furcht vor Strafe in vielen Fällen für einen ausreichenden Grund zu halten, ein Gesetz zu befolgen, ohne mich deswegen für einen amoralischen Menschen zu halten. Das gilt übrigens nicht nur für staatliche Gesetze, sondern auch z. B. für Regeln am Arbeitsplatz. Ich arbeite in einem Team, wo einige Teammitglieder ein geradezu erschreckendes Bedürfnis nach Regeln haben und die Vorgesetzten dem auch nachkommen. Die meisten dieser Regeln halte ich für völlig unnötig und einschränkend, aber ich kann es nicht ändern. Also halte ich mich halt dran, wenn ich nicht auskomme und strapaziere sie, bis ich an eine Grenze stoße. Aber niemand kann von mir verlangen, dass ich die Regel mit heißem Herzen befolge, nur weil sie existiert. Und so ist es m. E. mit den Gesetzen auch. Ich kann nicht vom Staat verlangen, dass er nur Regeln macht, die meinem Privatempfinden entsprechen, umgekehrt kann der Staat keinen Gehorsam aus Überzeugung von mir verlangen.

Zitat von Erling Plaethe
Vielleicht habe ich sie missverstanden, aber ich hatte herausgehört: "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein."

Nein, überhaupt nicht. Ich plädiere lediglich dafür, dass die "Gesetzesbrecher" nicht eine höhere Moral als Vorwand benutzen und die "Regulierer" sich nicht als Pädagogen aufspielen, die den Pöbel im Sinne der selben Moral vor sich selber schützen. Wenn Sie so wollen, plädiere ich für einen möglichst sparsamen Einsatz von Moral in Recht und Politik.

Gruß Petz

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.09.2011 22:38
#65 RE: Herrschaft des Rechts Antworten

Zitat von Meister Petz
Ich plädiere lediglich dafür, dass die "Gesetzesbrecher" nicht eine höhere Moral als Vorwand benutzen und die "Regulierer" sich nicht als Pädagogen aufspielen, die den Pöbel im Sinne der selben Moral vor sich selber schützen. Wenn Sie so wollen, plädiere ich für einen möglichst sparsamen Einsatz von Moral in Recht und Politik.


Ich auch, da kann ich ihnen nur voll und ganz zustimmen!

Viele Grüße, Erling Plaethe

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