Ich kenne keine besseren Analysen von Umfragedaten als die von Nate Silver. In dieser zweiten Folge der Serie referiere und kommentiere ich, was er über den Zusammenhang zwischen der schlechten Wirtschaftslage in den USA und der wachsenden Unzufriedenheit mit Präsident Obama herausgefunden hat.
Erstmal: Schöner Beitrag, lieber Zettel. Das sind so die Themen, die woanders in der Blogosphäre kaum behandelt werden.
Ich würde zwischen Umfragen und Wahlen schon ein wenig unterscheiden wollen, aber im Prinzip habt ihr beide, Nate Silver und du, wahrscheinlich Recht. Der entscheidende Punkt sind nicht die aktuellen Wirtschaftsdaten, sondern es ist die Frage, ob man der Meinung ist, der Amtsinhaber hätte seinen Job besser machen können. Und hier verliert Obama überall. Er verliert bei den von dir so genannten "Unterprivilegierten", die damals mehr zur Wahl gegangen sind als andere, er verliert bei den "links-progressiven" Überzeugungswählern, und er verliert bei den Wechselwählern. Die einen werden ihm einen zu geringen Einsatz für ihre Ziele und Ideale vorwerfen, die anderen hingegen eine zu ideologische Haltung. Das ist auch nicht verwunderlich, denn diese Gegensätze haben schon von Anfang an bestanden, wurden aber nur durch die "Yes, we can"-Rhetorik zugekleistert.
Daraus folgt auch unmittelbar, dass die Republikaner dann eine große Chance haben, wenn sie einen moderaten Kandidaten präsentieren. Das sieht z.Zt. nicht danach aus, denn selbst wenn man die Greuelpropaganda unserer Qualitätsmedien in Sachen "Tea Party" nicht glaubt, muss man doch konstatieren, dass diese eine polarisierende Position einnimmt und außerhalb von Hardcore-Republikanern kaum auf Zustimmung stoßen wird.
Die "Ökonomische Theorie der Politik", wie sie damals von Anthony Downs, einen Schumpterschen Gedanken aufgreifend, ins wirtschaftswissenschaftliche Leben gerufen wurde, geht eigentlich bei einem Zwei-Parteien-System davon aus, dass die Parteien immer in die Mitte drängen. Wenn sie sich denn rational verhalten.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonDaraus folgt auch unmittelbar, dass die Republikaner dann eine große Chance haben, wenn sie einen moderaten Kandidaten präsentieren. Das sieht z.Zt. nicht danach aus, denn selbst wenn man die Greuelpropaganda unserer Qualitätsmedien in Sachen "Tea Party" nicht glaubt, muss man doch konstatieren, dass diese eine polarisierende Position einnimmt und außerhalb von Hardcore-Republikanern kaum auf Zustimmung stoßen wird.
Überraschenderweise ist neben Mitt Romney Rick Perry derzeit der Einzige, der Obama schlagen könnte. Er ist zwar nicht der Tea Party zuzurechnen, hat dort aber Sympathien und ist auch schon auf deren Veranstaltungen aufgetreten.
Dadurch, daß Obama eine nach amerikanischen Maßstäben sehr linke Politik macht, ist umgekehrt bei den Republikanern die Rechte stark geworden. Obama war mit dem Versprechen gewählt worden, die Amerikaner zu einen (no red states, no blue states, just the United States). Er hat das Land so tief gespalten, daß jetzt ein Erzkonservativer wie Perry Chancen hat, Präsident zu werden.
Zitat von RaysonDie "Ökonomische Theorie der Politik", wie sie damals von Anthony Downs, einen Schumpterschen Gedanken aufgreifend, ins wirtschaftswissenschaftliche Leben gerufen wurde, geht eigentlich bei einem Zwei-Parteien-System davon aus, dass die Parteien immer in die Mitte drängen. Wenn sie sich denn rational verhalten.
Interessant. Das werde ich mir einmal näher ansehen.
Es stimmt in der Tat, daß bisher extreme Kandidaten keine Chance hatten - Barry Goldwater auf der Rechten, George McGovern auf der Linken. Aber mit Obama könnte sich das geändert haben. Er hatte zeitweilige den linksten voting record aller Senatoren, gab sich aber im Wahlkampf als Mann der Mitte. Als solcher wurde er gewählt, setzte dann aber seine linke Politik fort.
Das hat die Tea Party hervorgebracht; das gibt jetzt einem Mann wie Perry eine Chance, die er sonst nie gehabt hätte. Je weiter man das Pendel zur einen Seite hin zieht, umso mehr schwingt es zur anderen, sobald man es sich bewegen läßt.
Als erstes müsste man einmal untersuchen, ob schlechte Politik-Ergebnisse überhaupt die Abwahl einer Regierung befördern.
Dazu möchte ich einmal dem North Dakota-Paradoxon die "Bremen-Anomalie" zur Seite stellen:
Gemessen an den Ergenissen der Politik ist Bremen mit großem Abstand das am schlechtesten regierte Bundesland. Es hat eine katatsrophale wirtschaftliche Lage. Die Arbeitslosenquote liegt mittlerweise höher als in allen (!) ostdeutschen Flächenländern. Auch in der Länder-Kernaufgabe, der Bildung, ist Bremen extrem schlecht regiert. Es hat die schlechtesten Pisa-Ergebnisse der Republik.
Bremen schneidet auch schlecht ab, wenn man es mit den anderen Stadtstaaten Hamburg und Berlin vergleicht. Es schneidet auch sehr schlecht ab, verglichen mit anderen deutschen Großstädten wie Düsseldorf, Köln, München, Stuttgart, Frankfurt.
Nicht einmal das Umland kann als Ausrede herhalten: Das Bremen umschließende Niedersachsen hat eine im Bundesvergleich (leicht) unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote.
Diese schlechte "Performance" der Landesregierung hatte allerdings keinerlei Auswirkungen auf das Wahlverhalten: Bremen ist das einzige Bundesland, das seit 1949 immer von der gleichen Partei regiert wurde. Selbst politisch stabile Länder wie Bayern, Baden-Würrttemberg und NRW hatten schon Regierungswechsel. Selbst Berlin hatte nach der Wiedervereinigung schon einmal eine CDU-Regierung. Und auch alle anderen oben genannten Großstädte hatten schon nicht-SPD-Bürgermeister.
Wir haben hier also das Paradoxon, dass die schlechteste politische Performance das stabilste Wahlverhalten zur Folge hat und die regierende Partei Jahrzehnt für Jahrzehnt immer wieder im Amt bestätigt wird. Beachtlich, oder?
Dafür hätte ich auch eine These parat: Landesregierungen nimmt keiner richtig ernst, da geht es nur ums Gefühlige. Einzige Ausnahme: Diskussionen um Schulformen oder Missstände an Schulen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonDie "Ökonomische Theorie der Politik", wie sie damals von Anthony Downs, einen Schumpterschen Gedanken aufgreifend, ins wirtschaftswissenschaftliche Leben gerufen wurde, geht eigentlich bei einem Zwei-Parteien-System davon aus, dass die Parteien immer in die Mitte drängen. Wenn sie sich denn rational verhalten.
Diese Theorie erklärt einen wichtigen Effekt bei Wahlen - aber sie ist auch etwas oberflächlich und unpolitisch, d.h. sie blendet wichtige Eigentümlichkeiten des politischen Systems aus.
Denn eine Wahl läßt sich nicht gewinnen ohne eine emotionale Komponente, die mobilisiert. Im Gegensatz zur normalen Ökonomie fehlt dem "Produkt" Wahlergebnis ja weitgehend der unmittelbare Nutzen für den Wähler. Wenn zwei sich relativ ähnliche Kandidaten in der Mitte konkurrieren, dann würde man bei Produkten das kaufen, das einem näher liegt. Aber bei Politikern kann schnell der Punkt kommen, wo man einfach nicht zur Wahl geht, weil es einem egal sein kann, wer gewinnt. Denn eines der Produkte bekommt man ja automatisch, auch wenn man nicht aktiv wählen geht.
Eine erfolgreiche Wahlkampagne braucht also Themen, die zuerst die eigenen Wahlkämpfer und dann die Wähler überhaupt erst in Gang bringen. Und das sind fast nie "Mitte"-Themen, sondern da braucht man einen gewissen Kontrast, damit überhaupt Interesse entstehen kann.
Zitat Aber bei Politikern kann schnell der Punkt kommen, wo man einfach nicht zur Wahl geht, weil es einem egal sein kann, wer gewinnt. Denn eines der Produkte bekommt man ja automatisch, auch wenn man nicht aktiv wählen geht.
Richtig. Das ändert aber nichts an der Validität der "Ökonomischen Theorie der Politik", zumindest im vereinfachten Fall eines 2-Parteien-Systems.
Nehmen wir einmal an, beide Kandidaten A und B liegen genau in der Mitte. Der Wahlkampf ist total langweilig, die Wahlbeteiligung gering. Im Ergebnis liegen dann A und B Kopf-an-Kopf, das Wahlergebnis wird zum Glücksspiel.
Wenn nun Kandidat A von der "Mitte-Stratgie" in irgendeinem Punkt abweicht und polarisiert, dann macht das den Wahlkampf zwar spannender und die Wahlbeteiliugung wird steigen. Aber: Kandidat B wird hiervon stärker profitieren. Denn die Mobilisierung wird ja für BEIDE KAndidaten durch den Strategiewechsel von A leichter. Und B spricht nun mehr Wähler besser an als A. Beide Kandidaten haben daher ein Interesse, möglichst nah an der Mitte zu liegen.
Im Falle der USA ist nun folgendes spannend: Die Präsidentenwahl besteht ja eigentlich aus 2 getrennten Wahlen: Erst die Vorwehlen, dann die eigentliche Wahl. Die Wahlberechtigten sind bei beiden Wahlen allerdings verschieden, entsprechend ist auch die Lage der "Mitte" unterschiedlich.
Das führt für alle Beteiligten zu spannenden strategischen Überlegungen. Für einen republikanischen Kandidaten liegt die erfolgversprechende "Mitte" bei den Vorwahlen weiter rechts als bei der Hauptwahl. Er kann dies in begrenztem Umfang im Laufe des Wahlkampfs durch unterschiedliche Themen-Akzentuierung kompensieren. Allerdings sind dem Grenzen gesetzt, wenn er glaubwürdig bleiben will. Die genaue Positionierung wird optimalerweise also etwas links von der republikanischen "Mitte" erfolgen müssen.
Spiegelbildlich gilt das für die Demokraten.
Nun wissen das aber auch deren Wähler. Ein republikanischer Wähler weiß, dass ein republikanischer Kandidat, der genau auf der republikanischen "Mitte" liegt bei den Hauptwahlen keine Chance hat. Wenn er rational wählt, dann wählt er jemanden, der etwas moderater als die republikanische "Mitte" ist. Wie weit der rationale republikanische Wähler hier Zugeständnisse machen wird, hängt nun allerdings davon ab, wen die Demokraten nominieren. Wenn die Demokraten einen radikal linken Kandidaten haben, dann darf auch der republikanische Kandidat relativ weit rechts stehen und hat dann immer noch Siegchancen. Umgekehrt: Ein sehr moderater demokratischer Kandidat erfordert als Antwort einen moderaten Republikaner, wenn die Republikaner bei der Hauptwahl eine Chance haben wollen.
Genau dies ist der Grund, warum der markant linke Obama auf republikanischer Seite der markanten Rechten so einen Auftrieb ermöglicht.
Zitat von FlorianDas ändert aber nichts an der Validität der "Ökonomischen Theorie der Politik", zumindest im vereinfachten Fall eines 2-Parteien-Systems.
Ich sage ja nicht, daß die nicht valide wäre. Aber sie ist halt nicht vollständig.
Zitat Wenn nun Kandidat A von der "Mitte-Stratgie" in irgendeinem Punkt abweicht und polarisiert, dann macht das den Wahlkampf zwar spannender und die Wahlbeteiliugung wird steigen. Aber: Kandidat B wird hiervon stärker profitieren.
Das kommt darauf an. Wenn A zu sehr abweicht, dann mobilisiert das Abwehrreflexe und dann kann auch B in der Mitte stärker abräumen und wird gewinnen. Aber mit etwas Abstand zur Mitte kann A überhaupt mal Wahlkämpfer motivieren, sich für ihn einzusetzen (im rein ökonomischen Modell kommen die ja gar nicht vor, da werden einfach nur die Positionen der beiden Kandidaten vermessen). Idealerweise kann er mit seiner Position eine gewisse Unterstützung in "seiner Hälfte" des Spektrums mobilisieren, während B zu langweilig mittig ist, um im Gegenspektrum Effekte zu erzielen.
Zitat von FlorianWenn nun Kandidat A von der "Mitte-Stratgie" in irgendeinem Punkt abweicht und polarisiert, dann macht das den Wahlkampf zwar spannender und die Wahlbeteiliugung wird steigen. Aber: Kandidat B wird hiervon stärker profitieren. Denn die Mobilisierung wird ja für BEIDE KAndidaten durch den Strategiewechsel von A leichter.
Aber nicht unbedingt im gleichen Maße; denn die Mobilisierung erfolgt in diesem Fall aus unterschiedlichen Motiven: der radikale Rand des Kandidaten A wird mobilisiert, weil A dessen Themen aufgreift - der radikale Rand des Kandidaten B wird mobilisiert, indem er Angst vor dem Kandidaten A bekommt.
Der Mobilisierungserfolg hängt dann von der Mentalität der Wähler ab. Sind die Leute am Rande eher ängstlich, doktrinär und rational motiviert, profitiert B von der Polarisierung, sind sie eher wagemutig, kompromissbereit und emotional, dann profitiert A.
Zitat von Kalliasder radikale Rand des Kandidaten A wird mobilisiert, weil A dessen Themen aufgreift
Um den radikalen Rand ging es mir dabei nicht - wenn er denn begeistert, ist A wohl schon deutlich zu weit von der Mitte weg ...
Aber zwischen Mitte und Rand liegt ja noch viel. Insbesondere gibt es da Leute, die sich mit typischen Themen mobilisieren lassen, ohne daß auf der Gegenseite gleich die Gegenmobilisierung kommt.
Beispiel: Wenn die CDU mit Sicherheit und Sauberkeit argumentiert, wird sie ihr Klientel ansprechen. In der Regel aber meist auch Gegenmaßnahmen ansprechen müssen (weil ohne konkrete Vorschläge das Thema nicht läuft), die bei auch eher passive Linke auf die Beine bringt. Dagegen kann sie meist dem Gymnasium das Wort reden, ohne daß links Contra kommt.
Zitat von FlorianDas ändert aber nichts an der Validität der "Ökonomischen Theorie der Politik", zumindest im vereinfachten Fall eines 2-Parteien-Systems.
Ich sage ja nicht, daß die nicht valide wäre. Aber sie ist halt nicht vollständig.
Leider ist sie weder valide, nocht ist sie vollständig. Immerhin kann die Theorie immer noch nicht erklären, warum Leute überhaupt wählen. Denn der rationale Wähler für sich weiß um die Nutzlosigkeit seiner einzelnen Stimme, nimmt jedoch trotzdem Kosten auf sich um diese Stimme abzugeben, völlig irrational im Sinne der Theorie. Nennt sich übrigens "Wahlparadoxon". Aber nicht nur deshalb ist Downs mit Vorsicht zu genießen und nicht stur auf alles anwendbar was einem Gerade auffällt. Speziell was die Tendenz der Parteien zu Mitte angeht, so legt er zwar ein teilweise sehr aussagekräftiges Modell vor, dessen abgeleitete Hypothesen hier und da Bestätigung finden, es kann aber bei weitem nicht alle Effekte erklären und selbst die, die es erklären kann, erklärt es manchmal nur unzureichend.
Zitat von FlorianDas ändert aber nichts an der Validität der "Ökonomischen Theorie der Politik", zumindest im vereinfachten Fall eines 2-Parteien-Systems.
Ich sage ja nicht, daß die nicht valide wäre. Aber sie ist halt nicht vollständig.
Leider ist sie weder valide, nocht ist sie vollständig. Immerhin kann die Theorie immer noch nicht erklären, warum Leute überhaupt wählen. Denn der rationale Wähler für sich weiß um die Nutzlosigkeit seiner einzelnen Stimme, nimmt jedoch trotzdem Kosten auf sich um diese Stimme abzugeben, völlig irrational im Sinne der Theorie. Nennt sich übrigens "Wahlparadoxon". Aber nicht nur deshalb ist Downs mit Vorsicht zu genießen und nicht stur auf alles anwendbar was einem Gerade auffällt. Speziell was die Tendenz der Parteien zu Mitte angeht, so legt er zwar ein teilweise sehr aussagekräftiges Modell vor, dessen abgeleitete Hypothesen hier und da Bestätigung finden, es kann aber bei weitem nicht alle Effekte erklären und selbst die, die es erklären kann, erklärt es manchmal nur unzureichend.
Naja, man sollte nicht übertreiben. Das Median-Voter-Theorem (MVT) ist heuristisch ein sehr gutes Modell und hat sich in diversen Varianten auch empirisch in der quantitativen Politikwissenschaft recht gut bewährt. Klar erklärt das Modell nicht, warum es Wahlenthaltung gibt, braucht es aber auch in meinen Augen nicht. Es stimmt natürlich, dass es ein sehr schlankes Modell ist und vielen Gegebenheiten der Realität nicht Rechnung trägt.
Daneben noch einige Anmerkungen zur Downs-Diskussion:
1. Ich finde es etwas unglücklich, von "Mitte" zu sprechen. In der Tat tut das Downs selber wohl auch nicht, sondern eher vom "Median", der ausschlaggebend in einer solchen Situation ist. "Mitte" suggeriert in meinem Verständnis eine Vorstellung von "moderat" oder "zentristisch", die bei bestimmten Präferenzverteilungen in der Population nicht gegeben sein muss.
2. Zu Florians Beitrag:
Zitat von Florian Nehmen wir einmal an, beide Kandidaten A und B liegen genau in der Mitte. Der Wahlkampf ist total langweilig, die Wahlbeteiligung gering. Im Ergebnis liegen dann A und B Kopf-an-Kopf, das Wahlergebnis wird zum Glücksspiel.
Während ich nicht einer Meinung mit Herrn Celine bin, dass es eine Schwäche des MVT ist, Wahlabstinenz nicht erklären zu können, ziehe ich die Validität des Modells ebenfalls in Zweifel, sobald man Wahlabstinenz überhaupt zulässt. Die Nichtwähler sollten anteilsmäßig zum Beispiel gleichmäßig über den Links-Rechts-Raum verteilt sein. Wenn das nicht der Fall ist, also die Pole mit der Wahlwahrscheinlichkeit korrelieren, können der "Grundgesamtheitsmedian" und der "Wahl-Median" weit auseinanderliegen.
Es könnte auch sein, dass die Entscheidung zur Nichtwahl mit der Distanz zu den Kandidaten wächst.
Dazu ein extrem vereinfachstes Beispiel: Angenommen wir haben zwei Parteien und sieben Wähler, die auf einer Dimension von Links nach Rechts mit den ihren jeweiligen Idealpunkten -9, -6, -3, 0, 3, 4, 5.
In der Downs-Version ohne Wahlenthaltung werden beide Parteien die Position des Wählers mit der Position "0" einnehmen. Wer davon abweicht zum Beispiel etwas nach links abweicht, verliert die Wahl, weil dann die andere Partei die Stimmen des zentralen Wählers und derjenigen Wähler zu seiner Rechten erhält.
Nehmen wir nun an, dass die Wähler zwar weiterhin die Partei wählen, die ihnen "näher" steht, es aber vorziehen, nicht zu wählen, wenn ihnen alle beiden Parteien zu weit entfernt sind von "ihrer Position". Nehmen wir im oben genannten Beispiel an, dass ein Wähler schon nicht mehr wählen will, wenn die Partei mehr als eine "Ideologieeinheit" (>=1) von ihm entfernt ist. Was ist jetzt die optimale Strategie für die beiden Parteien? Die Position des Wählers, der "4" bevorzugt. Keiner der beiden Parteien hat einen Anreiz von dieser Position abzuweichen. Diese Position ist aber nicht identisch mit dem Median, sondern eine relativ "extreme" Position.
Wenn das Modell also Wahlenthaltung erlaubt, muss eine Annahme über deren Verteilung getroffen werden, um an Downs' Ergebnis festhalten zu können.
3. Eine potenziell problematische Annahme ist, dass die Wähler sich auf einer einzigen Links-Rechts-Dimension bewegen. Lässt man eine zweite, dritte oder vierte Dimension hinzu, wie etwa "Wirtschaft", "EU", "Grundrechte" etc., dann hält das MVT nur noch unter Ausnahmebedingungen.
Zitat Leider ist sie weder valide, nocht ist sie vollständig. Immerhin kann die Theorie immer noch nicht erklären, warum Leute überhaupt wählen.
Zustimmung.
Zitat Speziell was die Tendenz der Parteien zu Mitte angeht, so legt er zwar ein teilweise sehr aussagekräftiges Modell vor, dessen abgeleitete Hypothesen hier und da Bestätigung finden, es kann aber bei weitem nicht alle Effekte erklären und selbst die, die es erklären kann, erklärt es manchmal nur unzureichend.
Das Hauptproblem dürfte sein, dass das Modell ja auch nur bei 2 Parteien richtig funktioniert.
Bei 2 Parteien gibt es tatsächlich einen stabilen Zustand: Beide Parteien sind genau in der Mitte. Beide bekommen 50% des Kuchens und keiner hat einen Anreiz, von der Position abzuweichen.
Bei 3 Parteien gibt es allerdings bereits KEINEN stabilen Zustand mehr. Es gibt zwar einen Zustand, bei dem alle 3 jeweils 33% des Kuchens bekommen. Bei einem Beispiel mit 100 Wählern, die von 1 (ganz links) bis 100 (ganz rechts) durchnummeriert sind, wäre das der Fall wenn Partei A Wähler 17 anspricht, Partei B Wähler 50 und Partei C Wähler 83. Allerdings ist dieser Zustand nicht STABIL. Denn Partei A könnte sich in diesem Beispiel verbessern, wenn sie auf Position 49 geht. (Dann wäre die Verteilung A=49, B=17; C=33) In einem nächsten Schritt könnte sich C verbessern, indem er auf 51 geht. (Dann wäre die Verteilung A=49; B=2; C=49). Darauf könnte aber nun wieder C reagieren, z.B. mit Positionierung auf 48 (Dann wäre die Verteilung A=2;B=48; C=50). usw. usf.
Bei 4 Parteien gibt es dann wieder ein stabiles Gleichgewicht: A=25; B=25; C=75; D=75 Alle 4 Parteien bekommen 25% der Stimmen. Und keine kann durch eine Umpositionierung ihr Kuchenstück vergrößern.
Ein reales Vielparteiensystem bildet das Modell somit nicht richtig ab. Aber bei echten 2Parten-Systemen funktioniert es ganz gut. (Und in der Realität werden in den USA ja auch immer alle Präsidentenwahlkämpfe um die Mitte geführt. Dies sieht man auch daran, dass die Wahlergebnisse eigentlich immer recht knapp sind. Ich bin gerade die Wahlen bis 1976 zurückgegangen. Abgesehen von Reagans zweiter Wahl mit 58,8% der Stimmen hatte kein Präsident eine Wahl mit mehr als 54% gewonnen.).
Zitat von herr celineImmerhin kann die Theorie immer noch nicht erklären, warum Leute überhaupt wählen. Denn der rationale Wähler für sich weiß um die Nutzlosigkeit seiner einzelnen Stimme, nimmt jedoch trotzdem Kosten auf sich um diese Stimme abzugeben, völlig irrational im Sinne der Theorie. Nennt sich übrigens "Wahlparadoxon".
Die Stimmabgabe ist doch für den Wähler kostenlos, lieber herr celine; alle Kosten der Wahl tragen die Steuerzahler.
Zudem ist die einzelne Stimme nicht nutzlos, wenn es (wie in Deutschland) pro Stimme eine staatliche Zuwendung an die Partei gibt.
Zitat Die Stimmabgabe ist doch für den Wähler kostenlos, lieber herr celine; alle Kosten der Wahl tragen die Steuerzahler.
Der Ökonom antwortet darauf "There ain't such thing as a free lunch".
Die Stimmabgabe kostet den Wähler schon etwas. Und zwar seine Oppotunitätskosten (definiert als den Nutzen, den er aus der nächstbesten alternvativen Nutzung seiner Zeit ziehen könnte). Statt die halbe Stunde im Wahllokal zu verbringen, hätte der Wähler ja zum Beispiel auch im Garten liegen und das schöne Wetter genießen können.
Zitat von FlorianDie Stimmabgabe kostet den Wähler schon etwas. Und zwar seine Oppotunitätskosten (definiert als den Nutzen, den er aus der nächstbesten alternvativen Nutzung seiner Zeit ziehen könnte). Statt die halbe Stunde im Wahllokal zu verbringen, hätte der Wähler ja zum Beispiel auch im Garten liegen und das schöne Wetter genießen können.
Wenn Sie Kosten hier im Sinne von Opportunitätskosten verstehen, ergibt sich keine Paradoxie. Denn Opportunitätskosten fallen ja auch beim Verzicht auf die Wahl an. Sie hätten dann neben dem "Wählerparadox" auch ein "Sonnenanbeter-Paradox": Wieso liegt jemand in der Sonne, wenn er doch stattdessen Wählen gehen könnte? Das ist keine andersgeartete Frage wie etwa jene, warum jemand lieber in der Garage werkelt, statt Musik zu hören. Man fragt einfach nach den Gründen für eine Präferenz.
Und diese Frage lässt sich in den meisten Fällen leicht beantworten. Die Verfechter der "Wählerparadoxie" setzen anscheinend voraus, daß für den Wähler der Wahlakt keinen anderen Nutzen haben kann als den Effekt der Stimmabgabe auf das Wahlergebnis. Mir scheint das eine reichlich absurde Annahme zu sein.
Zitat von FlorianDie Stimmabgabe kostet den Wähler schon etwas. Und zwar seine Oppotunitätskosten (definiert als den Nutzen, den er aus der nächstbesten alternvativen Nutzung seiner Zeit ziehen könnte). Statt die halbe Stunde im Wahllokal zu verbringen, hätte der Wähler ja zum Beispiel auch im Garten liegen und das schöne Wetter genießen können.
Wenn Sie Kosten hier im Sinne von Opportunitätskosten verstehen, ergibt sich keine Paradoxie. Denn Opportunitätskosten fallen ja auch beim Verzicht auf die Wahl an. Sie hätten dann neben dem "Wählerparadox" auch ein "Sonnenanbeter-Paradox": Wieso liegt jemand in der Sonne, wenn er doch stattdessen Wählen gehen könnte? Das ist keine andersgeartete Frage wie etwa jene, warum jemand lieber in der Garage werkelt, statt Musik zu hören. Man fragt einfach nach den Gründen für eine Präferenz.
Und diese Frage lässt sich in den meisten Fällen leicht beantworten. Die Verfechter der "Wählerparadoxie" setzen anscheinend voraus, daß für den Wähler der Wahlakt keinen anderen Nutzen haben kann als den Effekt der Stimmabgabe auf das Wahlergebnis. Mir scheint das eine reichlich absurde Annahme zu sein.
Herzliche Grüße, Kallias
Es geht weniger um Opportunitätskosten als um die Kosten, die entstehen sobald man sich entscheidet zu wählen. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass es den Wähler im Sinne von materiellen Gütern wie Geld etwas kostet. Es kommen zum Beispiel erhebliche Informationskosten auf ihn zu, wenn er seine Wahl wirklich fundiert treffen will. Das kostet Zeit. Auch wenn man die Wahlwerbespots vielleicht zwischen der Tagesschau und dem Tatort praktisch serviert bekommt ohne etwas dafür aufzuwenden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies als Information für einen rationalen Wähler (und das ist das Menschenbild von dem in der Theorie ausgegangen wird) ausreicht. Daneben ist natürlich der Weg zur Wahlurne mit Kosten verbunden. In einem ökonomischen Verständnis ist die Wahlentscheidung und der Wahlakt damit keineswegs kostenlos. Werden diese Kosten abgewogen mit dem Nutzen, den die Stimme, die der rationale Wähler abgibt, muss er eigentlich zu dem Entschluss kommen, dass sich dieser Aufwand nicht lohnt, ganz einfach weil seine Stimme unter mehreren Millionen keinerlei Auswirkung hat.
Ganz konkret: es geht hier um Annahmen innerhalb der Theorie, die dazu führen, dass innerhalb der Theorie ein Paradoxon entsteht, dass diese Theorie nicht fähig ist zu lösen. Rational-Choice Ansätze gehen vom Menschenbild eines nutzenmaximierenden homo oeconomicus aus und ausgehend von dieser Annahme kann innerhalb dieser Ansätze nicht erklärt werden warum Menschen überhaupt wählen. Man könnte sagen: in der Folge ist es so, dass der Großteil der Wähler scheinbar (immer innerhalb der Theorie) irrational handelt, wenn er seine Stimme abgibt.
Zitat von FlorianDas ändert aber nichts an der Validität der "Ökonomischen Theorie der Politik", zumindest im vereinfachten Fall eines 2-Parteien-Systems.
Ich sage ja nicht, daß die nicht valide wäre. Aber sie ist halt nicht vollständig.
Leider ist sie weder valide, nocht ist sie vollständig. Immerhin kann die Theorie immer noch nicht erklären, warum Leute überhaupt wählen. Denn der rationale Wähler für sich weiß um die Nutzlosigkeit seiner einzelnen Stimme, nimmt jedoch trotzdem Kosten auf sich um diese Stimme abzugeben, völlig irrational im Sinne der Theorie. Nennt sich übrigens "Wahlparadoxon". Aber nicht nur deshalb ist Downs mit Vorsicht zu genießen und nicht stur auf alles anwendbar was einem Gerade auffällt. Speziell was die Tendenz der Parteien zu Mitte angeht, so legt er zwar ein teilweise sehr aussagekräftiges Modell vor, dessen abgeleitete Hypothesen hier und da Bestätigung finden, es kann aber bei weitem nicht alle Effekte erklären und selbst die, die es erklären kann, erklärt es manchmal nur unzureichend.
Naja, man sollte nicht übertreiben. Das Median-Voter-Theorem (MVT) ist heuristisch ein sehr gutes Modell und hat sich in diversen Varianten auch empirisch in der quantitativen Politikwissenschaft recht gut bewährt. Klar erklärt das Modell nicht, warum es Wahlenthaltung gibt, braucht es aber auch in meinen Augen nicht. Es stimmt natürlich, dass es ein sehr schlankes Modell ist und vielen Gegebenheiten der Realität nicht Rechnung trägt.
Ich sagte ja, dass sich gewisse Modellannahmen sicher bewährt haben. Und es ist wie bei allen Modellen, je schlanker desto eleganter weil einfacher. Aber je einfacher, desto weniger Erklärungskraft. Natürlich sind Rational-Choice Ansätze nicht vollkommen wertlos, Olsons Theorie der Interessengruppen hat uns viel gebracht. Aber sie sind eben allesamt sehr abstrahierend und gehen von einem unrealistischen Menschenbild aus, die Probleme die das mitbringt führen Sie ja sehr schön aus. Nur deswegen sagte ich man muss diese Modelle mit Vorsicht genießen und kann sie nicht stur auf alles anwenden, so funktioniert es einfach nicht. Deswegen denke ich, dass wir gar nicht so weit auseinander liegen :)
Zitat von herr celineEs kommen zum Beispiel erhebliche Informationskosten auf ihn zu, wenn er seine Wahl wirklich fundiert treffen will. Das kostet Zeit. Auch wenn man die Wahlwerbespots vielleicht zwischen der Tagesschau und dem Tatort praktisch serviert bekommt ohne etwas dafür aufzuwenden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies als Information für einen rationalen Wähler (und das ist das Menschenbild von dem in der Theorie ausgegangen wird) ausreicht.
Diese Annahme ist seltsam. Es ist gerade nicht besonders rational, sich derart aufwendig zu informieren. In der politischen Theorie des Parlamentarismus wird nicht davon ausgegangen, daß die Wähler eine fundierte Entscheidung auf der Grundlage umfassender Information treffen. In der direkten Demokratie (Rätedemokratie) müssten die Bürger das tun, in der repräsentativen Demokratie jedoch ist das die Aufgabe der Mandatare, nicht die der Wähler. Die Bürger wählen vertrauenswürdige, kompetente Leute in das Parlament, und die sollen sich dann in die Sachfragen reinhängen. Wenn sie dabei versagen, fällt das auf, und dann wählt man andere. Viel Zeit für Politik aufzuwenden, nur um eine Wahlentscheidung zu treffen, ist durchaus irrational. Das parlamentarische System setzt keine hochpolitisierten Massen voraus. Wer ohne besondere geistige Anstrengung die SPD oder die CDU wählt, macht damit nicht viel falsch.
Zitat von herr celineDaneben ist natürlich der Weg zur Wahlurne mit Kosten verbunden.
Das ist überhaupt nicht gesagt. Ich z.B. gehe jeden Sonntag ein wenig spazieren, und daher bedeutet für mich der Weg zur Wahlurne keinerlei zusätzlichen Aufwand. (Die halbe Sekunde, in der ich das Kreuz zeichne, schenke ich dem Gemeinwesen, zugegebenermaßen.) Vermutlich gehen sogar mehr Bürger sonntags spazieren, als zur Wahl. Hierbei von Kosten zu reden, finde ich abstrus.
Zitat von herr celineWerden diese Kosten abgewogen mit dem Nutzen, den die Stimme, die der rationale Wähler abgibt, muss er eigentlich zu dem Entschluss kommen, dass sich dieser Aufwand nicht lohnt, ganz einfach weil seine Stimme unter mehreren Millionen keinerlei Auswirkung hat.
Worin besteht denn der Nutzen des Wahlaktes für den Wähler? Vermutlich fühlen sich die meisten Leute gut danach, was natürlich sehr viele verschiedene Gründe haben kann.
Zitat von herr celineRational-Choice Ansätze gehen vom Menschenbild eines nutzenmaximierenden homo oeconomicus aus und ausgehend von dieser Annahme kann innerhalb dieser Ansätze nicht erklärt werden warum Menschen überhaupt wählen.
Das eben wundert mich so. Wenn ich zur Wahl gehe, dann verstehe ich mich dabei ohne Mühe als nutzenmaximierenden homo oeconomicus. Wieso schafft die Rational-Choice-Theorie das nicht auch?
Zitat von KalliasDiese Annahme ist seltsam. Es ist gerade nicht besonders rational, sich derart aufwendig zu informieren. In der politischen Theorie des Parlamentarismus wird nicht davon ausgegangen, daß die Wähler eine fundierte Entscheidung auf der Grundlage umfassender Information treffen. In der direkten Demokratie (Rätedemokratie) müssten die Bürger das tun, in der repräsentativen Demokratie jedoch ist das die Aufgabe der Mandatare, nicht die der Wähler. Die Bürger wählen vertrauenswürdige, kompetente Leute in das Parlament, und die sollen sich dann in die Sachfragen reinhängen. Wenn sie dabei versagen, fällt das auf, und dann wählt man andere. Viel Zeit für Politik aufzuwenden, nur um eine Wahlentscheidung zu treffen, ist durchaus irrational. Das parlamentarische System setzt keine hochpolitisierten Massen voraus. Wer ohne besondere geistige Anstrengung die SPD oder die CDU wählt, macht damit nicht viel falsch.
Aber wie entscheidet der Wähler, welcher Politiker ihn vertrauenswürdig und kompetent erscheint? Das kann er schwer nur über die Partei entscheiden, es sei denn ihn geht es im Grunde um die Partei und nicht um die Person.
Die direkte Demokratie scheint in Staaten wie der Schweiz oder den Bundesstaaten der USA gut zu funktionieren. Einzelne Sachentscheidungen rein emotional abzuwägen ist leichter als ein Bündel von Sachentscheidungen (wie Parteiprogramme oder die Äußerungen eines Kandidaten) abzuwägen, weil man dann erst mal die einzelnen Punkte bewusst gewichten muss.
Zitat von KalliasDas eben wundert mich so. Wenn ich zur Wahl gehe, dann verstehe ich mich dabei ohne Mühe als nutzenmaximierenden homo oeconomicus. Wieso schafft die Rational-Choice-Theorie das nicht auch?
Ich halte die These nicht für unplausibel, dass die Rational-Choice-Theorie uns auf diesen Weg zeigt, dass unsere Entscheidungen nicht immer so streng rational sind wie wir annehmen. Was spricht auch dagegen, das wir uns in diesen Punkt irren?
Zitat von JohanesAber wie entscheidet der Wähler, welcher Politiker ihn vertrauenswürdig und kompetent erscheint? Das kann er schwer nur über die Partei entscheiden, es sei denn ihn geht es im Grunde um die Partei und nicht um die Person.
Das entscheidet man wie sonst im Leben auch, wenn man kein Expertenwissen hat; also so wie man sich für einen Handwerker, Arzt usw. entscheidet; beim Hausbau für eine bestimmte Bauweise, bei der Geldanlage für eine bestimmte Strategie etc. Die politischen Wahlen sind in dieser Hinsicht kein Sonderfall.
Zitat von JohanesIch halte die These nicht für unplausibel, dass die Rational-Choice-Theorie uns auf diesen Weg zeigt, dass unsere Entscheidungen nicht immer so streng rational sind wie wir annehmen.
Man kann der Rational-Choice-Theorie, glaube ich, kaum vorwerfen, daß sie nur die rationalen Bestandteile unserer Handlungen beschreibt. Aber gerade das scheint ihr nicht zu gelingen! Das paradox of voting scheint mir nämlich auf folgenden zwei Prämissen zu beruhen:
Erstens: Immer dann, wenn jemand etwas tut, was als Mittel zu einem Zweck dient, muß man diese Tätigkeit ausschließlich als Aufwand ansehen. (Nur unter dieser Prämisse kann nämlich ein gemütlicher Sonntagsspaziergang unter "Kosten der Wahl" verbucht werden, scheint mir.)
Und zweitens auf der Prämisse, daß jedes Mittel nur einem einzigen Zweck dienen kann. (Nur unter dieser Prämisse halte ich es für denkbar, das Wahlergebnis als einzigen möglichen Nutzen des individuellen Wahlaktes hinzustellen.)
Beide Prämissen sind derart absurd, daß ich als politologischer Laie beinahe den Verdacht habe, hier irgendetwas gründlich mißzuverstehen:
Zur Wahl zu gehen, ist für viele kein Aufwand, sondern ein Vergnügen. Und der Nutzen der Wahl für den Wähler kann darin bestehen, daß er mit sich ins Reine kommt, oder daß er sich erwachsen fühlt, oder daß er sich besser freuen kann, wenn seine Partei die Wahl gewinnt usw.
In reifen Demokratien gehen etwa 50% der Wahlberechtigten zur Wahl. Das sind jene, bei denen die Kosten/Nutzenabwägung positiv ist; die anderen bleiben zuhause. Das geht alles ganz nutzenmaximierend rational zu.
Ich darf an dieser Stelle vielleicht mal wieder an Bryan Caplans Buch "The Myth of the Rational Voter" erinnern, das hier von einem kongenialen Blogger besprochen wurde.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonWir haben es hier also mit einer sehr konkreten Form von “Demokratieversagen” zu tun: Das aufgrund des konkreten Entscheidungsverfahrens rationale Nichtwissen führt eben doch dazu, dass der Nutzen für alle geringer ist. Dieser Effekt wird zwar etwas dadurch gemildert, dass Politiker auch befürchten müssen, für eine insgesamt miese wirtschaftliche Bilanz ihrer Regierungszeit verantwortlich gemacht und deswegen abgewählt zu werden, so dass sie versuchen, sich zwischen den Erwartungen ihrer Wählerschaft und den aus ihrer eigenen Sicht als notwendig angesehenen Maßnahmen hindurchzulavieren (wem fällt da nicht die SPD ein?), aber er existiert.
Nicht nur die SPD; cosi fan tutte. Und zwar mit Recht, jedenfalls in der repräsentativen Demokratie. Die Volksvertreter sind nicht dazu da, die Wünsche ihrer Wähler 1:1 umzusetzen.
Aber es stimmt: Daß sich die Politiker in gewissem Maße nach den (uninformierten) Wünschen der Wähler richten müssen, ist eher ein Nachteil als ein Vorteil der Demokratie. Nur scheint mir dieser Nachteil nicht so fürchterlich groß zu sein, daß man deswegen das System umkrempeln müsste.
Aus libertärer bis radikal-liberaler Sicht kann das demokratische Verfahren sowieso um die meisten (Be-)Ladungen entrümpelt werden: Entscheidend und die Güte des Systems manifestierend ist, dass in einer Demokratie Regierungen gewaltfrei ausgetauscht werden können. So schon Mises in "Die Gemeinwirtschaft".
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonEntscheidend und die Güte des Systems manifestierend ist, dass in einer Demokratie Regierungen gewaltfrei ausgetauscht werden können.
Sicher ist das eine ganz notwendige Bedingung - aber noch lange nicht hinreichend. Wenn ich z. B. nur die Möglichkeit hätte, alle vier Jahre gewaltfrei die Regierung Nahles gegen die Regierung Gabriel auszutauschen, und dann wieder umgekehrt - dann würde sich da wohl wenig Güte des Systems manifestieren. Die Ablösbarkeit einer Regierung ist eben nur die halbe Miete. Ganz wichtig ist auch, welche Alternativen man hat. Die können natürlich in der Praxis unbefriedigend sein (wie derzeit ...), weil der gewünschte Idealkandidat nicht vorhanden ist bzw. keine Lust hat. Aber es muß zumindestens die Möglichkeit bestehen, Alternativen zur Regierung zu entwickeln und zur Wahl zu stellen. Die Spielregeln dazu sind ganz wichtig für die demokratische Qualität eines Landes.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.