Meine Meinung hat sich nicht geändert: Es gibt, soweit die Fakten bekannt sind, für das Vorgehen der Kanzlerin gegen Röttgen keinen hinreichenden rationalen Grund. Also sind wahrscheinlich die entscheidenden Fakten nicht bekannt.
Warum, lieber Zettel, zoegern Sie so, die These zu akzeptieren, Roettgen sei ein Damenopfer um Merkel zu schuetzen:
Roettgen hat sich selber durch sein schlechtes Wahlergebnis und die Umstaende seines Wahlkampfes massiv geschwaecht. Er hat sich viele, zu viele Feinde gemacht. Er ist - so hort man - kein guter Teamplayer im Kabinett, mit der (Energie-)Wirtschaft. Er hat am Ende des Wahlkampfes versucht, die Kanzlerin in die Niederlage zu ziehen. Er ist in einer Mischung aus Selbstueberschaetzung, Starrsinn (Illoyalitaet aus den Augen der Kanzlerin) und Verlust der eigenen Machtbasis zum Risiko geworden. Die Kanzlerin hat ihn aus machiavellistischen Motiven entlassen.
Mir ist lediglich noch nicht klar, ob wegen oder trotz der Energiewende. Sprich ob die Kanzlerin an dieser noch festhaelt oder schon nicht mehr.
Zitat von DagnyWarum, lieber Zettel, zoegern Sie so, die These zu akzeptieren, Roettgen sei ein Damenopfer um Merkel zu schuetzen:
Roettgen hat sich selber durch sein schlechtes Wahlergebnis und die Umstaende seines Wahlkampfes massiv geschwaecht. Er hat sich viele, zu viele Feinde gemacht. Er ist - so hort man - kein guter Teamplayer im Kabinett, mit der (Energie-)Wirtschaft. Er hat am Ende des Wahlkampfes versucht, die Kanzlerin in die Niederlage zu ziehen. Er ist in einer Mischung aus Selbstueberschaetzung, Starrsinn (Illoyalitaet aus den Augen der Kanzlerin) und Verlust der eigenen Machtbasis zum Risiko geworden.
Illoyalität, liebe Dagny, ist ja nun kein Alleinstellungsmerkmal von Röttgen. Merkel selbst ist gegenüber Kohl einst illoyal gewesen, als sie mit ihrem Artikel - ich glaube, es war in der FAZ - gegen ihren Mentor vorpreschte. So ist die Politik nun einmal.
Sie hätte Röttgen rüffeln können; er hätte ihr vermutlich umso treuer gedient, aus Eigennutz. Er hatte nicht den geringsten Grund gehabt, gegen sie zu arbeiten. Er hätte sich die Beine ausgerissen, um sich nach der Niederlage mit Hilfe von Erfolgen als Minister zu rehabilitieren.
Sie hätte zumindest, wie in dem Artikel erwähnt, einen Tausch zwischen Ressorts vornehmen können; so, wie man das in einem solchen Fall macht, wo jemand in seinem bisherigen Ressort Schwierigkeiten hat. Röttgen war ihr doch nicht plötzlich untreu geworden, nur weil er zu seinem Wahlkampfthema "Schuldenpolitik" auf die Europapolitik verwiesen hatte. So dick ist die Personaldecke ja auch nicht, daß Röttgen nicht noch verwendungsfähig gewesen wäre.
Ich bin da offenbar a bisserl halsstarrig, liebe Dagny - aber entgegen der (anscheinend) allgemeinen Meinung kann ich mir keinen Reim auf die Sache machen.
Es paßt alles nicht. Es geht mir a bisserl wie Sherlock Holmes, wenn er zu einem scheinbar schon fast gelösten Fall geholt wird und dann erst einmal konstatiert: Das paßt doch alles nicht.
Vielleicht sollte man die Frage mit Ockhams Rasiermesser beantworten. Hier und auch woanders ist über das merkwürdige Verhalten von Röttgen nach der für ihn offenbar unerwarteten Wahlniederlage berichtet worden. Vielleicht hatte er ein psychisches Problem bekommen, daß es erforderlich machte, ihn so fix rauszuwerfen.
Zitat von ZettelEs gibt, soweit die Fakten bekannt sind, für das Vorgehen der Kanzlerin gegen Röttgen keinen hinreichenden rationalen Grund. Also sind wahrscheinlich die entscheidenden Fakten nicht bekannt.
Oder es war einfach keine rationale Entscheidung. Mir scheint, über das wahre Ausmaß der Unbedarftheit, mit der politische Entscheidungen getroffen werden, täuscht man sich selbst in Zettels Räumlichkeiten gerne hinweg.
Zitat von ZettelEs paßt alles nicht. Es geht mir a bisserl wie Sherlock Holmes, wenn er zu einem scheinbar schon fast gelösten Fall geholt wird und dann erst einmal konstatiert: Das paßt doch alles nicht.
Es geht mir ähnlich, vor allem, weil Merkel damit auch den größten Landesverband vor den Kopf gestoßen hat, was ihr noch eine Menge Ärger einbringen wird. Die Vorboten sehen wir jetzt schon. Sowas macht man nicht ohne einen nahezu machtgefährdenden Grund, dessen Bekämpfung keinen Aufschub duldete. Oder aber die Person Röttgen hätte einen derart unerträglichen Grund geliefert, dass Merkel die Nerven verloren hat.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von ZettelIch bin da offenbar a bisserl halsstarrig, liebe Dagny - aber entgegen der (anscheinend) allgemeinen Meinung kann ich mir keinen Reim auf die Sache machen.
Es paßt alles nicht. Es geht mir a bisserl wie Sherlock Holmes, wenn er zu einem scheinbar schon fast gelösten Fall geholt wird und dann erst einmal konstatiert: Das paßt doch alles nicht.
Lieber Zettel,
es kann nur eine geben, die Deine Halsstarrigkeit lösen kann und das ist die Bundeskanzlerin und Parteichefin persönlich. Vielleicht liefert sie zu ihren kryptischen Worten eine Interpretationshilfe bei. Sie hat es getan, weil sie es konnte. Manchmal ist es auch besser es nicht zu genau zu wissen. Zumindest Herr Röttgen wird uns die nächsten Tage mit seiner Sicht der Dinge beglücken. Aber ich habe meine Zweifel, ob das noch jemanden interessiert.
Zitat von ZettelEs gibt, soweit die Fakten bekannt sind, für das Vorgehen der Kanzlerin gegen Röttgen keinen hinreichenden rationalen Grund. Also sind wahrscheinlich die entscheidenden Fakten nicht bekannt.
Oder es war einfach keine rationale Entscheidung. Mir scheint, über das wahre Ausmaß der Unbedarftheit, mit der politische Entscheidungen getroffen werden, täuscht man sich selbst in Zettels Räumlichkeiten gerne hinweg.
Vielleicht gerade hier.
Sie haben Recht; auch diese Variante ist mir durch den Kopf gegangen. Ich mag sie aber nicht (übrigens ist es auch die Hauptschwäche von Stratfor, grundsätzlich Rationalität bei politischen Akteueren zu unterstellen; und die Schwäche vieler Historiker ist es auch).
Es kursiert ja, bisher nicht dementiert, diese Variante über das, hm, historische Gespräch zwischen Merkel, Seehofer und Röttgen: Beide hätten Röttgen bekniet, zu sagen, er gehe auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf. Sollte die Wahl verlorengehen, dann würde Merkel aber verkünden, er sei in Berlin unabkömmlich, und das würde ihn gewissermaßen von seinem Versprechen entbinden. Röttgen habe das abgelehnt.
Einmal unterstellt, das stimmt: Dann war Merkel also damals (zur Zeit der Wahl Gaucks) noch bereit, Röttgens Anspruch auf das Amt des Umweltministers zu zementieren; denn nach einer derartigen Aussage hatte er das Ressort sicher gehabt, à gogo. Sie hielt ihn also für fähig, die bevorstehenden Probleme zu meistern.
Warum dann aber jetzt auf einmal nicht mehr? Nur, weil er eine Wahl verloren hatte? Wie in dem kleinen Artikel geschrieben - das ist sehr unwahrscheinlich.
Also würde auch dieses rationale Motiv entfallen.
Unterstellt man Irrationalität, dann würde es aber passen:
Merkel machte dieses großzügige Angebot, das sie, wie gesagt, selbst ja gebunden hätte. Röttgen, dieser Kerl, schlägt das aus. Er ist beratungsresistent, will mit dem Kopf durch die Wand. Es kommt genauso, wie Merkel und Seehofer befürchtet hatten - er geht unter, noch nicht einmal mit fliegenden Fahnen. Er hat damit der Partei massiv geschadet.
Und was macht der Kerl, als sich das Unheil abzeichnet? Er versucht die Kanzlerin, seine Wohltäterin, mit hineinzuziehen.
Am Wahlabend und am Montag benimmt der Mann sich dann so, wie das kein Profi tun darf. Er ist von der Rolle, versäumt einen Termin, verhält sich auf der gemeinsamen Pressekonferenz unmöglich, vermag die Sitzung in Düsseldorf nicht zu leiten.
Da reicht es der Kanzlerin. Aber sie will Muttis einstigem Besten immer noch nicht mehr weh tun, als nötig, und bietet ihm den ehrenvollen Abschied an, wenn er zurücktritt; mit allem Lob, das ihm den späteren Wiederaufstieg ermöglichen soll.
Und was macht diesr Kerl? Er lehnt das ab. Dieser Verlierer hat die Chuzpe, sich zu widersetzen. Ja, hält der sich denn für unersetzlich? Jetzt reicht's der Kanzlerin, und sie entschließt sich zu einem befreienden "Rrrraus!".
Danach ist ihr wohler. Sie muß sich auf das Gespräch mit Hollande vorbereiten, auf den G8-Gipfel, das NATO-Treffen. Wenigstens ist sie diesen Kerl Röttgen los.
Vielleicht war's so ähnlich. Nur gefallen täte mir das, wie gesagt, nicht.
Zitat von ZettelEs kursiert ja, bisher nicht dementiert, diese Variante über das, hm, historische Gespräch zwischen Merkel, Seehofer und Röttgen: Beide hätten Röttgen bekniet, zu sagen, er gehe auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf. Sollte die Wahl verlorengehen, dann würde Merkel aber verkünden, er sei in Berlin unabkömmlich, und das würde ihn gewissermaßen von seinem Versprechen entbinden.
Ich halte diese Geschichte für sehr unwahrscheinlich. So ein Vorgehen hätte Röttgens Glaubwürdigkeit völlig demontiert, auch Merkel hätte doof dagestanden. Denn seine Unabkömmlichkeit hätte ja keine neue Entdeckung sein können, sie hätte schon reagieren müssen, als er seine Wechselpläne nach Düsseldorf bekannt gab. Und umgekehrt wäre eine Ausrede "Merkel hats mir plötzlich nicht mehr erlaubt" für Röttgen überaus lächerlich gewesen. Vielleicht wurde diese Variante mal kurz diskutiert, als das eher unerwartete Thema "Oppositionsführer in NRW" von den Medien so hochgekocht wurde. Aber wenn, dann wurde sei bestimmt gleich wieder als ungeeignet verworfen.
Ich habe die Geschehnisse um Röttgens Kandidatur nicht genau mitverfolgt. Hat er sich nach der Kandidatur gedrängt oder war es eine Pflichtaufgabe? Auf jeden Fall war damals ja schon klar, daß er nicht mit einem Wahlsieg rechnen konnte. Es ging nur darum, ein halbwegs akzeptables Ergebnis zu erreichen und dann in Berlin weiterzumachen. In dieser Frage dürfte es auch einen Konsens zwischen Merkel, Röttgen und den übrigen relevanten Unionsgrößen gegeben haben. Und ich gehe davon aus, daß Seehofer entweder gar nichts dazu gesagt hat oder diesem Vorgehen zugestimmt hat.
Als dann später Opposition und Medien das Oppositionsführer-Thema lostraten, war die Union offensichtlich überrascht und unvorbereitet. Eigentlich gibt es ja auch keine echte Logik, daß ein gescheiterter Kandidat moralisch zu irgendwelchen Dienstzeiten im Landtag verpflichtet wäre. Er hat den Wählern angeboten, den MP-Posten zu übernehmen - und wenn die das nicht wollen, ist er wieder frei.
Aber es ist Opposition und Medien gelungen, Röttgen wegen dieser Haltung als unzuverlässig darzustellen, als würde er sich nicht genug für NRW interessieren (während es umgekehrt niemand störte, daß Kraft sich ihrerseits für den Wahl der Niederlage eine Karriere in Berlin vorstellte). Nachdem das Thema etabliert war, gab es für Röttgen eigentlich keine vernünftige Lösung mehr. Ein Einknicken und Akzeptieren der Forderung unter Druck hätte den ursprünglichen Vorwurf noch bestätigt. Und egal wie er sich entscheidet: Die Diskussion um dieses Dummthema hatte längst die inhaltlichen Themen (z. B. Krafts Budgetdesaster) überlagert und die CDU-Wahlaussichten weiter gedrückt.
Bleibt also: Es ist alles so gekommen, wie zum Zeitpunkt der Röttgen-Kandidatur zu erwarten. Nur noch schlimmer bei den Prozentwerten. Seehofers Gekasper kann man als Inszenierung abtun. Hinterher gute Ratschläge bzw. Kritik am Gescheiterten öffentlich zu machen ist einfach nur mieser Stil. Aber wirksam.
Röttgens Reaktion am Wahlabend war unprofessionell und spricht nicht für ihn. Trotzdem war er ja wohl noch einige Tage ministrabel, bevor Merkel die Kehrtwende machte. Die einzige logische Erklärung für eine solche Kehrtwende wäre m. E. die Entscheidung, die "Energiewende" radikal zu verändern. Sollte das jetzt nicht kommen, dann war es wohl nur eine blinde Panikreaktion Merkels.
Zitat Ich habe die Geschehnisse um Röttgens Kandidatur nicht genau mitverfolgt. Hat er sich nach der Kandidatur gedrängt oder war es eine Pflichtaufgabe? Auf jeden Fall war damals ja schon klar, daß er nicht mit einem Wahlsieg rechnen konnte. Es ging nur darum, ein halbwegs akzeptables Ergebnis zu erreichen und dann in Berlin weiterzumachen.
Mir ist der Herr Röttgen sehr zuwider. Aber ich habe eigentlich schon den Eindruck, dass er diese absehbar undankbare Kandidatur in NRW als Dienst für seine Partei gemacht hat. Umso mehr ist es unkorrekt, ihn nach Diensterfüllung zu feuern.
Zitat Seehofers Gekasper kann man als Inszenierung abtun
Richtig!
Geradezu grotesk ist es ja, dass ausgerechnet ein Herr Seehofer sich hinstellt und andere dafür geißelt, dass sie sich nicht frühzeitig auf eine Option festlegen können. Ausgerechnet der Herr Seehofer, der eindeutige Festlegungen zwar mag - aber jede Woche eine andere und gerne auch eine gegensätzliche (sowohl in der Politik als auch im Privatleben).
Und es war ja gerade Seehofer, der dieses randständige Thema im NRW-Wahlkampf schön am Köcheln hielt. Wie Sie richtig schreiben: Es gibt keine moralische oder sonstige Verpflichtung, nach einer Wahlniederlage im Lande zu bleiben. Auch die SPD hat sich solche Fesseln zu Recht nie angelegt. (1998 hat ja Schröder sogar im Gegenteil die Niedersachsen-Wahl zur Vorwahl für seine Kanzlerkandidatur erklärt. Also: Wenn ich Ministerpräsident bleibe, DANN gehe ich nach Berlin.)
Aber natürlich zieht Seehofer aus dieser Lage politischen Gewinn, zumal in Bayern. Ich habe am Wochenende Seehofer als Schirmherr beim Landesmusikfest sprechen hören. Eigentlich eine total unpolitische Veranstaltung. Aber Seehofer hat da schon sehr deutlich raushängen lassen, was für ein toller Max er doch diese Woche war. Und geradezu peinlich, wie gleich mehrere seiner Hintersassen sich (beim Landesmusikfest...) der passenden Metapher bedienten, wie gut der Herr Ministerpräsident den Preußen doch den Marsch blasen könne.
Zitat Trotzdem war er ja wohl noch einige Tage ministrabel, bevor Merkel die Kehrtwende machte. Die einzige logische Erklärung für eine solche Kehrtwende wäre m. E. die Entscheidung, die "Energiewende" radikal zu verändern
Nein, das passt nicht. Wäre die Energiewende-Problematik der Grund für die Entlassung, dann hätte Merkel dies doch schon länger gewusst. (Mindestens seit der verlorenen BR-Abstimmung). Sie hätte dann doch überhaupt keinen Grund gehabt, Röttgen erst noch zu stützen. Der Grund kann nur in irgendeiner Dynamik sein, die sich letzte Woche Montag bis Mittwoch entfaltet hat.
(Meine persönliche Vermutung: Mit Röttgen waren viele in der Union latent unzufrieden. Nach dem Seehofer-Interview hat trauten sich dann auch andere, das offen zu sagen. Merkel hat dann auch verstärkt die Fühler ausgestreckt und gemerkt, wie die Stimmung in der Partei ist. Und dann halt wieder mal den Versuch unternommen, auf der populären Mehrheitsmeinung zu surfen.)
Wenn noch jemand den Grund kennt, außer Frau Merkel, dürfte das Herr Röttgen sein.
Röttgen wird sich äußern, auch wenn ihm jetzt schon mitgeteilt wird, er solle das lassen. Ich bin mir sicher, er wird es trotzdem tun - ob so die noch fehlenden Puzzleteile hinzukommen, um auch eine für den lieben Zettel befriedigende Lösung möglich zu machen oder nur mehr Verwirrung gestiftet wird, werden wir sehen.
Zitat von FlorianAber ich habe eigentlich schon den Eindruck, dass er diese absehbar undankbare Kandidatur in NRW als Dienst für seine Partei gemacht hat. Umso mehr ist es unkorrekt, ihn nach Diensterfüllung zu feuern.
Richtig.
Zitat Auch die SPD hat sich solche Fesseln zu Recht nie angelegt.
Schwer zu sagen - mir sind spontan gar keine weiteren Beispiele bekannt, wo Bundespolitiker in ähnlicher Konstellation landespolitisch kandidieren.
Zitat Wäre die Energiewende-Problematik der Grund für die Entlassung, dann hätte Merkel dies doch schon länger gewusst. (Mindestens seit der verlorenen BR-Abstimmung). Sie hätte dann doch überhaupt keinen Grund gehabt, Röttgen erst noch zu stützen.
Guter Punkt.
Ich neige inzwischen dazu, daß es bei der Röttgen-Entlassung in erster Linie um eine Sündenbock-Funktion ging. Denn schließlich hat die CDU kurz hintereinander zwei Landtagswahlen verloren. Und über die erste Niederlage wurde bisher gar nicht groß geredet, weil jeder auf NRW wartete.
In der Gesamtsicht sind wohl diverse Leute in der Union auf die Idee gekommen, daß das Problem nicht in erster Linie vor Ort gewesen sein muß. Mit dem Rausschmiß hat Merkel die Diskussion darauf fokussiert, ob sie vielleicht zu hart mit Röttgen gewesen ist - aber es wird gar nicht mehr gefragt, ob er wirklich der allein Schuldige ist.
Zitat von Dagny Mir ist lediglich noch nicht klar, ob wegen oder trotz der Energiewende. Sprich ob die Kanzlerin an dieser noch festhaelt oder schon nicht mehr.
Energiewende? Da habe ich am Wochenende doch was gelesen:
Zitat von Dagny Mir ist lediglich noch nicht klar, ob wegen oder trotz der Energiewende. Sprich ob die Kanzlerin an dieser noch festhaelt oder schon nicht mehr.
Energiewende? Da habe ich am Wochenende doch was gelesen:
Zitat von R.A.Als dann später Opposition und Medien das Oppositionsführer-Thema lostraten, war die Union offensichtlich überrascht und unvorbereitet. Eigentlich gibt es ja auch keine echte Logik, daß ein gescheiterter Kandidat moralisch zu irgendwelchen Dienstzeiten im Landtag verpflichtet wäre. Er hat den Wählern angeboten, den MP-Posten zu übernehmen - und wenn die das nicht wollen, ist er wieder frei.
Zur Föderalismus-Folklore in diesem Staat gehört aber auch, dass die Wähler von MP-Kandidaten ein ausgeprägtes Interesse für ihre Landespolitik erwarten. Das sollte sich am besten nicht erst dann manifestieren, wenn sie kandidieren, und natürlich nicht auch nur dann, wenn sie gewinnen. Diese Einstellung der Wähler ist absolut nachvollziehbar.
Demzufolge haben diese "Kandidaten auf der Durchreise" auch nur selten eine Chance. Angesichts der Tatsache, dass es für die CDU sogar einen Präzedenzfall in NRW gab (Blüm 1990), bei dem das alles schon mal durchexerziert wurde, muss man sich schon fragen, mit welchem Klammerbeutel Röttgen und die CDU da gepudert waren. Sollten sie also wirklich "überrascht und unvorbereitet" gewesen sein, wäre eigentlich der Rücktritt des kompletten Landespartei- und -fraktionsvorstands angebracht.
Und wenn man dann noch weiß, dass Landtagswahlen so gut wie nie *mit* der Bundesregierung gewonnen werden, sondern in den meisten Fällen sogar explizit *gegen* sie, erscheint es doppelt unverständlich, ausgerechnet einen Minister als MP-Kandidaten aufzustellen. Wenn Röttgen gedacht hat, sein "grünes" Image würde ihm da eine Sonderstellung verschaffen, hat er sich jedenfalls kräftig getäuscht.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von ZettelUnterstellt man Irrationalität, dann würde es aber passen:
Merkel machte dieses großzügige Angebot, [...] Und was macht der Kerl, als sich das Unheil abzeichnet? Er versucht die Kanzlerin, seine Wohltäterin, mit hineinzuziehen. [...] Da reicht es der Kanzlerin. Aber sie will Muttis einstigem Besten immer noch nicht mehr weh tun, als nötig, und bietet ihm den ehrenvollen Abschied an, wenn er zurücktritt; mit allem Lob, das ihm den späteren Wiederaufstieg ermöglichen soll. [...] Vielleicht war's so ähnlich. Nur gefallen täte mir das, wie gesagt, nicht.
Ich würde es weniger "Irrationalität" nennen, sondern "subjektive Wahrheit" oder "unvollständige Information über die Absicht des anderen" oder vielleicht auch etwas simpler "Kommunikationsdesaster". Jede Partei für sich handelt meistens rational, aber manchmal auf anderen Annahmen aufbauend.
Zitat von R.A Ich neige inzwischen dazu, daß es bei der Röttgen-Entlassung in erster Linie um eine Sündenbock-Funktion ging. Denn schließlich hat die CDU kurz hintereinander zwei Landtagswahlen verloren. Und über die erste Niederlage wurde bisher gar nicht groß geredet, weil jeder auf NRW wartete.
In der Gesamtsicht sind wohl diverse Leute in der Union auf die Idee gekommen, daß das Problem nicht in erster Linie vor Ort gewesen sein muß. Mit dem Rausschmiß hat Merkel die Diskussion darauf fokussiert, ob sie vielleicht zu hart mit Röttgen gewesen ist - aber es wird gar nicht mehr gefragt, ob er wirklich der allein Schuldige ist.
Kein so schlechtes Puzzleteil. Röttgen hätte sich vielleicht retten können, wenn er nicht so schnell zurückgetreten wäre, als NRW-Vorsitzender. Dann hätte sich der "Druck" das Ventil "einfacher Rücktritt" gesucht. So hat sich der Druck erst Mo-Mi weiter aufbauen können. Das "Sicherheitsventil" Rücktritt vom NRW-Vorsitz war schon verbraucht und es hat das Ministeramt gekostet?
Die Sündenbock-Geschichte funktioniert allerdings nur vor dem Gesamthintergrund Röttgens: Feinde in der Partei und das Zaudern im Wahlkampf. Als einzige Erklärung für das Verhalten der Kanzlerin reicht es nicht aus.
Nachtrag: In manch anderen Personalkrisen wurde der Kanzerlin vorgehalten zu zögerlich reagiert zu haben (Wulff, zu Guttenberg zum Beispiel). Wenigstens das kann hier nicht anführen. Sie hat jetzt den Kopf frei für Hollande und seine Eurobonds.
Meine persönliche Theorie: * Röttgen war im Kabinett (und der Partei) aus verschiedensten Gründen nicht besonders beliebt * Röttgen hat sich im NRW-Wahlkampf keine Freunde gemacht und dann auch noch ein miserables Ergebnis eingefahren * Röttgen hat sich nach der Wahlniederlage extrem unprofessionell verhalten * Merkel hat mehr aus einem Reflex in der NRW-Wahlnacht ihrem Umweltminister den Rücken gestärkt * nach reiflicher Überlegung kam Merkel zum Schluss, dass Röttgen eine gewaltige Belastung darstellt
Ich würde also Merkels erste Reaktion, dass das schlechte Abschneiden bei der NRW-Wahl keine Bedeutung für seine Arbeit als Minister habe, eher als Reflex und nicht durchdacht sehen. Deshalb war das spätere Kassieren dieser Unterstützung aus Merkels Sicht auch nicht irrational.
Zitat von DagnyDas "Sicherheitsventil" Rücktritt vom NRW-Vorsitz war schon verbraucht und es hat das Ministeramt gekostet?
Gut möglich. Für die "Sündenbock"-These ist nur nötig, daß Merkel ihn öffentlich abwatscht. Womit genau, wäre da zweitrangig.
Zitat Die Sündenbock-Geschichte funktioniert allerdings nur vor dem Gesamthintergrund Röttgens: Feinde in der Partei und das Zaudern im Wahlkampf. Als einzige Erklärung für das Verhalten der Kanzlerin reicht es nicht aus.
Feinde und Zaudern machten es überhaupt möglich, daß er als Sündenbock markiert wird. Aber das Verhalten der Kanzlerin wäre mit dem Gesamtzustand der Union zu erklären bzw. mit der aufkommenden Kritik an ihr selber.
Zitat In manch anderen Personalkrisen wurde der Kanzerlin vorgehalten zu zögerlich reagiert zu haben (Wulff, zu Guttenberg zum Beispiel).
Diese Fälle sind nicht vergleichbar, weil da nur persönliches Fehlverhalten vorlag, und Mitschuld Merkels überhaupt nicht im Raume stand.
Zitat von R.A.Röttgens Reaktion am Wahlabend war unprofessionell und spricht nicht für ihn. Trotzdem war er ja wohl noch einige Tage ministrabel, bevor Merkel die Kehrtwende machte. Die einzige logische Erklärung für eine solche Kehrtwende wäre m. E. die Entscheidung, die "Energiewende" radikal zu verändern. Sollte das jetzt nicht kommen, dann war es wohl nur eine blinde Panikreaktion Merkels.
Genau. Die Abstimmung im Bundesrat gegen die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen der Solarförderung scheiterte wegen einiger CDU geführten Länder. Nicht zu realisieren, dass die Energiewende zum Milliardengrab wird, ist die Irrationalität seitens einiger CDU-MP. Das war der Angriff. Erfolgreich war er wegen der Schwäche oder sogar Unwilligkeit von Röttgen. Die Kanzlerin verteidigt sich, in dem sie erst mal diese Schwäche abstellt. Das ist völlig rational. Dass Röttgen gegen sie zu opponieren begann, hat dann die Härte bewirkt. Wenn die Kanzlerin eine Wende der Wende hinbekommen will, muss sie sich mit einigen CDU Landesfürsten anlegen, denen die subventionierten Arbeitsplätze in der Solarwirtschaft wichtiger sind, als die kommende Bundestagswahl.
Zitat Schwer zu sagen - mir sind spontan gar keine weiteren Beispiele bekannt, wo Bundespolitiker in ähnlicher Konstellation landespolitisch kandidieren.
Gab es schon öfter.
Spontan fällt mir ein:
BM Blüm 1990 in NRW BM Töpfer 1990 und 1994 im Saarland BM Klein 1990 als OB-Kandidat in München BM Manfred Kanther 1995 in Hessen BM Hans-Jochen Vogel 1974 in Bayern (und dann noch mal 1981 in Berlin)
In allen Fällen hat der Bundesminister jeweils verloren. (Das ist vielleicht auch der Grund, warum solche Kandidaturen in den letzten Jahren anscheinend etwas aus der Mode gekommen sind). Auf jeden Fall hat keine dieser Niederlagen zu einem Rücktritt als Bundesminister geführt.
Zitat von Erling PlaetheWenn die Kanzlerin eine Wende der Wende hinbekommen will, muss sie sich mit einigen CDU Landesfürsten anlegen, denen die subventionierten Arbeitsplätze in der Solarwirtschaft wichtiger sind, als die kommende Bundestagswahl.
Die Wende der Wende hätten viele Leser hier gerne. Ich denke, wir interpretieren aber an dieser Stelle unser Wunschdenken. Es gibt kein Anzeichen, einer Wender-der-Wende. Es ist allerdings - zugegeben - eine gute Gelegenheit, einen Ideologen durch einen Pragmatiker zu ersetzen. Dieser könnte das Energiethema etwas weniger ideologisch vorantreiben oder auch versanden lassen. Oder sie hat einen illoyalen Antreiber durch einen loyalen Antrieber ersetzt, weil sie dieses Projekt für so wichtig hält. Welches Narrativ sich durchsetzen wird, werden wir in den kommenden 6-12 Monaten sehen.
Zitat von Dagny Welches Narrativ sich durchsetzen wird, werden wir in den kommenden 6-12 Monaten sehen.
Werden wir. Und vermutlich werden wir sehen was außer der öffentlichen Meinung noch das Handeln der Politiker bestimmt. Die normative Kraft des Faktischen. Das Faktische ist in diesem Fall das mögliche Scheitern der Energiewende. Neben der Finanzierung des Trassenausbaus steht jetzt auch die Finanzierung der Offshore Windparks in Frage, wegen der hohen Eigenkapitalforderungen durch Basel III, der mangelnde Bereitschaft der Banken Kredite zu finanzieren und der großen Risiken auf Grund mangelnder Erfahrung was Lebensdauer und langfristige Kosten der Anlagen betrifft.
Zitat Auf jeden Fall hat keine dieser Niederlagen zu einem Rücktritt als Bundesminister geführt.
Und für unsere Ausgangsfrage wichtig: Wo weit ich mich erinnere, wurde von keinem dieser Kandidaten VOR der Wahl gefordert, er müsse im Falle der Niederlage das Ministeramt aufgeben und "Oppositionsführer" werden.
Zitat von RA Und für unsere Ausgangsfrage wichtig: Wo weit ich mich erinnere, wurde von keinem dieser Kandidaten VOR der Wahl gefordert, er müsse im Falle der Niederlage das Ministeramt aufgeben und "Oppositionsführer" werden.
Vielleicht war das eine unfaire Forderung an Röttgen, vielleicht aber ist das ein Ergebnis einer generellen Entwicklung: Die Kandidaten werden immer ununterscheidbarer, so dass es dem Wähler schwerfällt Gründe zu finden einen Kandidaten zu wählen. Überhaupt ist das ja schwierig, man muss sich mit Programmen auseinandersetzen und läuft dann auch noch Gefahr, sich zu irren. Die Wähler suchen daher nach Gründen einen Kandidaten nicht zu wählen. Und dazu kann jede x-beliebige Kleinigkeit Anlass geben, wenn sie nur medial hochgehalten wird und damit als Begründung einen Kandidaten nicht zu wählen von der Öffentlichkeit akzeptiert ist.
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