Zitat von ZettelEs geht mir, dear C., nicht darum, was ideal, gerecht usw. wäre; wen man loben oder wem man etwas vorwerfen sollte. Es geht mir darum, was am besten funktioniert und zu den erträglichsten Resultaten führt.
Wobei "erträglichste Resultate" auch eine höchst subjektive Bewertung ist. Es ist leider so, dass ein großer Teil der Deutschen die Resultate für so unerträglich hält, dass sie die Demokratie ablehnen. Deutsche zweifeln an der Demokratie
Zitat von FTD"Ich fürchte, rund ein Drittel der Menschen hat sich schon von der Demokratie verabschiedet", wurde Frank Karl von der FES zitiert. Während der Studie zufolge im gesamten Bundesgebiet jeder Dritte glaubt, dass Demokratie keine Probleme mehr löst, sind in Ostdeutschland rund 53 Prozent dieser Ansicht. Insgesamt zweifelten vier von zehn Bundesbürgern daran, dass die Demokratie überhaupt noch funktioniere.
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Ein Erfolgsmodell sieht anders aus und solche Umfrageergebnisse sollten die Alarmglocken läuten lassen. Ich habe auch meine Zweifel, dass Volksabstimmungen für jeden Mist heilmittel sein könnten. Rayson hat natürlich recht, wenn er für das Recht auf Desinteresse plädiert. Aber gerade die Desinteressierten gehören zu den Spitzenreitern bei den Demokratiemüden. Sie gehören sicherlich nicht zu denjenigen die sich durch Volksbefragungen motivieren lassen würden.
Die Parteiendemokratie funktioniert aus meiner Sicht in kommunalen Parlamenten ganz gut, in den Ländern schon recht eingeschränkt, im Bund hatte sie mal funktioniert, bei der EU kann man nicht von Demokratie sprechen.
Zitat von ZettelAls Bürger von Middelborough würde ich das von weniger als einem Prozent der Bürger beschlossene Gesetz mit einem lauten bullshit! kommentieren
Oha, ziviler Ungehorsam.
Wäre es nicht besser gewesen Mehrheiten gegen das Gesetz zu organisieren und zur Abstimmung zu schreiten?
Zitat von Florian Und es gibt ggf. Millionen Menschen, für die der Nutzen höher ist als der Schaden.
Ein solche Argumentation finde ich bestenfalls gefährlich. Denn eine Enteigung von Milliardären würde mit Sicherheits auch erstmal Millionen Menschen einen Nutzen bringen und nur sehr wenigen schaden (nämlich den Milliardären). Das ist als universelles Prinzip ziemlich kollektiv gedacht.
Ich möchte jedenfalls nicht, dass der Staat mir morgen eine Müllkippe vor meinen Neubau setzt, weil mein Neubau, für den ich vielleicht ein halbes Leben gearbeitet habe, damit wertlos wird. Und ich will auch nicht, dass eine Autobahn durch meinen Vorgarten gebaut wird, weil so viele Leute eine Autobahn da ganz praktisch fänden.
Das entspräche einer Diktatur der Mehrheit. Auch wenn es nur eine hauchdünne Mehrheit ist, z.B. 51:49. Meines Wissens findet man in jeder vernünftigen Verfassung (Grundgesetz) eine Einschränkung durch Gebot wie Verhältnismässigkeit, Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Unantastbarkeit des Eigentums.
Lieber Zettel, Ihre Argumente überzeugen mich nicht. Wie schon einmal gesagt, zeigt das von Ihnen genannte Beispiel m.E. nicht die Grenzen der direkten Demokratie auf, sondern lediglich die Grenzen des dort angewandten Prozederes. Auch Ihr Beispiel mit dem Atomausstieg sehe ich anders. Erstens haben Sie diesen jetzt ja, und zwar ohne Volksentscheid, und zweitens wäre es in einer direkten Demokratie wohl eher so, dass man am 15.Juni 2012 abgestimmt hätte, und nicht gleich nach Fukushijma. Zumindest bei uns braucht eine Volksabstimmung etwas Zeit zur Vorbereitung. Während dieser Zeit ist regelmässig zu beobachten, dass der Druck im Kessel etwas nachlässt, auch deshalb, weil in einem Abstimmungskampf Befürworter und Gegner zu Wort kommen. Gegner, wie ich sie beim Entscheid zum Atomausstieg nur ganz am Rande wahrgenommen habe.
Zu Ihrem Einwand des Besonderen Engagements von Interessierten: Da mag etwas dran sein, allerdings wird diese Gefahr durch ein grösseres Quorum und den leichteren Zugang zur Abstimmung entschärft. So z.B. Urnengänge statt Gemeindeversammlungen, oder die Möglichkeit, brieflich abzustimmen. Wenn ich mir die im Bundestag vertretenen Berufsgruppen anschaue, bin ich mir auch nicht so sicher, ob es sich wirklich um eine einigermassen repräsentative Abbildung des deutschen Volkes handelt. Die recht grosse Gruppe von Staatsangestellten beurteilt Vorlagen, die z.B. die Wirtschaft betreffen, oder Vorlagen, die den Umgang mit eben diesen Staatsangestellten regeln rein aus Ihrer "Sozialisierung" aus einem speziellen Blickwinkel.
Noch ein kleiner Nachtrag: Selbstverständlich gibt es direkt-demokratisch zu Stande gekommene Entscheide, die vornehm gesagt, nicht das gelbe vom Ei sind. Stellvertretend dafür steht (zumindest für mich) das Rauchverbot in Gaststätten. Es gibt aber mindestens so viele Länder, die das Selbe Rauchverbot ohne Volksabstimmung eingeführt haben. Wenn Ihr Argument eines eigeninteressengeleiteten, kurzsichtigen Abstimmungsverhaltens von Bürgern denn stimmen würde, hätten wir in der Schweiz jetzt sechs Wochen gesetzlich vorgeschriebene Ferien. Oder Krankenkassenbeiträge, die von der Höhe des Einkommens bestimmt werden. Oder Zahnarztrechnungen, die von der Krankenkasse übernommen werden. Haben wir aber nicht.
Es ist mir klar, dass eine Abkehr von der repräsentativen Demokratie, hin zur direkten gewisse Risiken birgt, zumindest für einen gewissen Zeitraum. An die neu gewonnene "Macht", die der Stimmbürger mittels Volksentscheid innehat, muss man sich erst einmal gewöhnen. Wir sind halt schon an diese Form der Mitbestimmung gewöhnt. Und weil ich die Deutschen nicht für dümmer halte, als wir es sind, traue ich ihnen den verantwortungsvollen Umgang mit dem Stimmzettel absolut zu.
Meines Erachtens ist diese unsinnige Vermischung von "Was" und "Wie" das Grundübel.
Denn ob nun Demokratie, Monarchie, Aristokratie, despotische Diktatur oder was auch immer - sie alle sind nur unterschiedliche Formen des "Wie". Wesentlich entscheidender ist, nach meinem Dafürhalten, aber das "Was" - solange es nicht unantastbare Grundrechte, vor allem jenes auf (Selbst-)Eigentum, gibt, ist das "Wie" fast schon Nebensache. Es macht nämlich keinen wirklichen Unterschied, ob, im Zuge direkter Demokratie, bei einer Stadtversammlung eine (relativ große) Minderheit, das Fluchen unter Strafe stellt oder ob in einer repräsentativen Demokratie, die eine (verdammt kleine) Minderheit 1 Prozent Steuererhöhung propagiert, die andere (ebenso kleine) Minderheit eine Erhöhung gänzlich ausschließt - und wenn sie dann zusammen regieren, sie satte 3 Prozent daraus machen...
Grüße
~~~ Don't you know there ain't no devil? There's just God when he's drunk.
Zitat von Vogelfrei...vor allem jenes auf (Selbst-)Eigentum...
Im Unterschied zu Volkseigentum? Worauf bezieht sich denn das "Selbst"?
Zitat von VogelfreiEs macht nämlich keinen wirklichen Unterschied, ob, im Zuge direkter Demokratie, bei einer Stadtversammlung eine (relativ große) Minderheit, das Fluchen unter Strafe stellt oder ob in einer repräsentativen Demokratie, die eine (verdammt kleine) Minderheit 1 Prozent Steuererhöhung propagiert, die andere (ebenso kleine) Minderheit eine Erhöhung gänzlich ausschließt - und wenn sie dann zusammen regieren, sie satte 3 Prozent daraus machen...
Doch, in der Theorie schon. Wenn der direkt gewählte Abgeordnete im Parlament sitzt, vertritt er die Interessen aller Bürger seines Wahlkreises. Somit wäre sein Abstimmungsverhalten ein ausgewogenes; nicht auf Minderheiteninteressen beruhendes - und, der Theorie nach, nicht nur nach Parteiinteressen ausgerichtetes.
Zitat von Erling PlaetheIm Unterschied zu Volkseigentum? Worauf bezieht sich denn das "Selbst"?
Im Unterschied zum Staatseigentum, zu welchem man als BRD-Insasse de facto zählt. Qua Geburt bekommt man seine Zugehörigkeit aufgezwungen, binnen weniger Wochen erfolgt die Registrierung und Zuweisung der ganz persönlichen, ein Leben lang (und über den Tod hinaus) gültigen Inventarnummer und somit auch der Zwang zur Frohnarbeit in Staatsdiensten. Gefragt wird nicht, ein Sezessionsrecht gibt es nicht. Entziehen können sich bestenfalls die gebildeten und leistungsbereiten Mitmenschen via Emigration - für alle anderen bleibt als Exit-Option allenfalls der Suizid.
Zitat von Erling PlaetheDoch, in der Theorie schon. Wenn der direkt gewählte Abgeordnete im Parlament sitzt, vertritt er die Interessen aller Bürger seines Wahlkreises. Somit wäre sein Abstimmungsverhalten ein ausgewogenes; nicht auf Minderheiteninteressen beruhendes - und, der Theorie nach, nicht nur nach Parteiinteressen ausgerichtetes.
Noch nicht einmal in der Theorie ist dies so. Der direkt gewählte Abegeordnete vertritt - theoretisch - die Interessen von denen er annimmt, es seien die seiner Wähler (es mag da durchaus Überschneidungen geben aber was ist mit jenen, die ihn nicht gewählt haben?). In der Praxis aber vertritt er, wie alle Menschen, in erster Linie seine eigenen Interessen. Von den nicht direkt gewählten Abgeordneten schweigen wir an dieser Stelle dann lieber gänzlich.
Grüße
~~~ Don't you know there ain't no devil? There's just God when he's drunk.
Zitat von Erling PlaetheDoch, in der Theorie schon. Wenn der direkt gewählte Abgeordnete im Parlament sitzt, vertritt er die Interessen aller Bürger seines Wahlkreises. Somit wäre sein Abstimmungsverhalten ein ausgewogenes; nicht auf Minderheiteninteressen beruhendes - und, der Theorie nach, nicht nur nach Parteiinteressen ausgerichtetes.
So einfach ist das nicht, weil es gar nicht möglich ist. Der Abgeordnete muss zuerst Mitglied einer Partei sein, dann wird er von seiner Partei vorgeschlagen weil er a) die Parteiinteressen vertritt und/oder b) eventuell der einzige Kandidat ist, der überhaupt zur Verfügung steht.
Das sind schon bereits mehrere Selektionsprozesse, die losgelöst von den Bürgern seines Wahlkreises erfolgen. Dann wird er gewählt, wobei jeder Wähler seine eigenen Kriterien anwendet. Ich würde z.B. zweifellos einem Abgeordneten den Vorzug geben, der genau seien Zug in die Gegenrichtung von Kipping fährt.
Wenn nur Mehrheitsinteressen zählen, werden oft Minderheitsinteressen mit den Füssen getreten. Auch Minderheiten haben ein Recht darauf, berücksichtigt zu werden. Besonders, aber nicht nur, wenn die Abstimmungen knapp ausfallen, wie Z.B. jetzt in Frankreich.
Zitat von vivendi So einfach ist das nicht, weil es gar nicht möglich ist. Der Abgeordnete muss zuerst Mitglied einer Partei sein, dann wird er von seiner Partei vorgeschlagen weil er a) die Parteiinteressen vertritt und/oder b) eventuell der einzige Kandidat ist, der überhaupt zur Verfügung steht.
Nein, einfach ist es nicht, aber möglich. Ein Abgeordneter muss nicht Mitglied einer Partei sein, er braucht aber eine gewisse Anzahl von Unterschriften (wurde schon erreicht) und muss dann natürlich die 5% Hürde schaffen, oder den Wahlkreis gewinnen, in dem er sich zur Wahl stellt, als freier Abgeordneter. Er kann auch in eine Partei eintreten, ins Parlament gewählt werden und dann austreten. Er kann aber auch als Parteimitglied und direkt gewählter Abgeordneter vor den Parteiinteressen seinen Wahlkreis vertreten und im Interesse einer erneuten Direktwahl auch diejenigen Wähler in seinen Abstimmungsentscheidungen berücksichtigen, die ihn (noch) nicht gewählt haben.
Zitat von vivendi Das sind schon bereits mehrere Selektionsprozesse, die losgelöst von den Bürgern seines Wahlkreises erfolgen. Dann wird er gewählt, wobei jeder Wähler seine eigenen Kriterien anwendet. Ich würde z.B. zweifellos einem Abgeordneten den Vorzug geben, der genau seien Zug in die Gegenrichtung von Kipping fährt.
Also Frau Kipping ist eine Politikerin des extremen Randes, evtl. außerhalb des demokratischen Spektrums. Insofern steigen ihre Chancen durch die direkte Demokratie, weil sie sich gleichzeitig für die Schwächung des Parlaments einsetzt. Ihr Interesse liegt in der "Überwindung" des "Systems" was m.E. gleichbedeutend mit dem Parlamentarismus insgesamt ist. In ihrer Welt mutieren Volksabstimmungen irgendwann zu Eingaben an den Staatsratsvorsitzenden, also Bittgesuche an den Herrscher.
Zitat von vivendiWenn nur Mehrheitsinteressen zählen, werden oft Minderheitsinteressen mit den Füssen getreten. Auch Minderheiten haben ein Recht darauf, berücksichtigt zu werden. Besonders, aber nicht nur, wenn die Abstimmungen knapp ausfallen, wie Z.B. jetzt in Frankreich.
Meiner Ansicht nach haben Minderheitsinteressen durch die Direktwahl von Abgeordneten eine größere Chance, vorrausgesetzt, das Abstimmungsverhalten des Abgeordneten ist öffentlich und frei, d.h. für jeden im Wahlkreis leicht zugänglich.
Zitat von ZettelDie repräsentative Demokratie mit ihren vergleichsweise seltenen Wahlen bewirkt, daß auch diese weniger interesssierte Mehrheit mitentscheidet. Das ist gut, weil die Menschen in ihrer Mehrheit (meist) vernünftig sind.
Bitte nicht von einem Extrem ins nächste fallen. Natürlich ist es nicht gut, wenn 1% eine Entscheidung treffen. Das ist aber die krasse Ausnahme und gelingt denen meist nur bei Nebensächlichkeiten, die den 99% egal sind.
Es ist aber auch nicht gut, wenn die Beteiligung zu hoch ist. Nur ein Teil der Bevölkerung ist interessiert und informiert genug, um halbwegs qualifizierte Entscheidungen zu treffen (und da lasse ich noch die Intelligen/Kompetenz weg). Bei zu hohen Wahlbeteiligungen kommen nicht mehr vernünftige Wähler hinzu, sondern da kommen vorwiegend völlig uninformierte Leute hinzu, die überhaupt nicht wissen, über wen oder was sie abstimmen. Und die in der Regel den schlimmsten Demagogen und den dreistesten Lügen aufsitzen.
Beteiligungen zwischen 30% und 70% dürften je nach Thema und Wählerschaft im optimalen Bereich liegen.
Zitat Direkte Demokratie bedeutet, daß Minderheiten entscheiden.
Das ist schlicht falsch. Es gibt die Gefahr, daß Minderheiten entscheiden - aber das ist weder zwingend noch häufig. Bei der indirekten Demokratie ist diese Gefahr viel größer. Weil hier gut organisierte Lobbys eine viel größere Chance haben, ihre Anliegen durchzudrücken. Viele in den Parlamenten beschlossene Regelungen, die nur einer kleinen Gruppe zugute kommen, hätten in einer Volksabstimmung keine Chance.
Zitat Es geht mir darum, was am besten funktioniert und zu den erträglichsten Resultaten führt.
Dann sollte man auch die praktischen Beispiele anschauen. Und Extrembeispiele wie Middelborough sind eben nicht typisch für direkte Demokratie. Dagegen ist typisch, daß bei allen wichtigen Fragen die Mehrheit meist viel vernünftiger entscheidet als die Parlamente.
Zitat Hätten die Deutschen am 15. Juni 2011 über den "Ausstieg" abzustimmen gehabt, dann hätte es dafür eine überwältigende Mehrheit gegeben.
Schlechtes Beispiel. Denn was ist in der repräsentativen Demokratie passiert? Die "Energiewende" ist innerhalb kürzester Zeit im Parlament durchgeboxt worden. Ohne große Diskussion, ohne Kostenabschätzung, ohne Betrachtung von Alternativen. Nicht nur mit "überwältigender Mehrheit", sondern fast einstimmig. Schlimmer gehts gar nicht.
Bei einer Volksabstimmung nach Schweizer Muster wäre das nicht passiert. Da hätte es erst einmal eine längere Vorlaufzeit gegeben, bei der BEIDE Seiten ausführlich ihre Argumente und Belege hätten darstellen können. Und müssen! Wer mit "es gibt keine Alternative" kommt, fällt bei Volksabstimmungen gnadenlos durch. Vermutlich hätten wir auch mit direkter Demokratie einen Atomausstieg bekommen - aber nicht so einen blind übers Knie gebrochenen.
Zitat Ein System, in dem ständig "das Volk" (dh meist die aktiven Minderheiten) entscheidet, ist instabil.
Das kann ich jetzt maximal als "interessante" Einzelmeinung einstufen. Weil es überhaupt keinen Beleg für diese These gibt. Die Schweiz oder die USA sind problemlos stabil, stabiler als viele repräsentative Demokratien. Es ist in einer direkten Demokratie auch selten, daß Beschlüsse andauernd verändert oder zurückgenommen werden, wie das in unserem Parlament üblich ist. Der Schlingerkurs einer normalen deutschen Bundesregierung hat mit "Stabilität" wenig zu tun.
Zitat von R.A.Es ist aber auch nicht gut, wenn die Beteiligung zu hoch ist. Nur ein Teil der Bevölkerung ist interessiert und informiert genug, um halbwegs qualifizierte Entscheidungen zu treffen (und da lasse ich noch die Intelligen/Kompetenz weg). Bei zu hohen Wahlbeteiligungen kommen nicht mehr vernünftige Wähler hinzu, sondern da kommen vorwiegend völlig uninformierte Leute hinzu, die überhaupt nicht wissen, über wen oder was sie abstimmen. Und die in der Regel den schlimmsten Demagogen und den dreistesten Lügen aufsitzen.
Diese Diskussion ist ineressant, lieber R.A., weil es dabei um zwei zentrale Themen der Demokratie geht: (a) Inwieweit ist dem Volk zu (ver)trauen?; (b) Welcher Einfluß wird aktiven Minderheiten zugestanden?
Zu (a) kann man natürlich endlos debattieren. Am einen Pol gibt es die Meinung vom Volk als dem Souverän, der in allem das letzte Wort haben sollte. Am anderen Pol hält man es mit Schillers "Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei Wen'gen nur gewesen".
Mir fällt es schwer, mich da zu entscheiden. Das liegt daran, daß die Mehrheit einerseits zu pragmatischem Verhalten tendiert. Die meisten Menschen sind keine Ideologen. Sie wollen halbwegs anständig leben und ansonsten vom Staat in Ruhe gelassen werden; in Ländern wie Deutschland wohl auch "mitnehmen", was immer sie dem Staat an Wohltaten abluchsen können.
Andererseits ist "das Volk" auch anfällig für kollektive Emotionen - Kriegsbegeisterung, Angst vor einem atomaren GAU in Deutschland usw.
Was (b) angeht, bin ich extrem skeptisch. Aktivisten neigen in der Regel zu Extremen. Sie haben eine Sache, für die sie eintreten, eine Überzeugung. Das ist es ja, was sie zu Aktivisten werden läßt.
Je weniger davon, umso besser - das ist sozusagen die Summa meiner politischen Erfahrungen. Die Leute sollen ihren Interessen gemäß wählen, statt sich von Ideen begeistern zu lassen.
Das gilt aber nur für den demokratischen Rechtsstaat. Unter Diktaturen sieht das ganz anders aus.
Zitat von RADann sollte man auch die praktischen Beispiele anschauen. Und Extrembeispiele wie Middelborough sind eben nicht typisch für direkte Demokratie.
Zitat von Zettel(a) Inwieweit ist dem Volk zu (ver)trauen?
Ein gewisses Grundvertrauen muß man halt haben, wenn man überhaupt eine Demokratie will ;-)
Ich persönlich traue dem Volk dann am meisten, wenn die Entscheidung wie in der Schweiz organisiert wird: Mit einer entsprechenden Vorlaufzeit, mit einer offenen Diskussion der Problematik und einer klaren Abgrenzung von Verantwortlichkeiten. Dann wird man in der Regel feststellen, daß das Volk meist deutlich vernünftiger urteilt als Profipolitiker, die sich bei Entscheidungen selten an der Sache orientieren, sondern einerseits Entscheidungen mißbrauchen, um machttaktisch Punkte zu machen und andererseits unglaublich kurzsichtig agieren, je nach den aktuellen Meinungsumfragen.
Zitat Am anderen Pol hält man es mit Schillers "Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei Wen'gen nur gewesen".
Gegen diese Befürchtung gibt es zwei wesentliche Maßnahmen. Einerseits muß die staatliche Macht generell durch verfassungsgemäß starke Grundrechte des Individuums begrenzt werden. Das hilft gegen Fehlentscheidungen à la Middelborough, das hilft (per BVerfG) auch gegen Parlamentsfehler. Und andererseits hilft die Konzentration auf Sachfragen - wie eben bei Volksabstimmungen üblich. Über das Pro und Contra z. B. eines Bahnhofsbaus kann man vernünftig diskutieren. Da stimmen dann vorwiegend die ab, die sich auch informiert haben. Demgegenüber werden Wahlen viel zu oft mit populistischem Unsinn überladen.
Zitat Andererseits ist "das Volk" auch anfällig für kollektive Emotionen - Kriegsbegeisterung, Angst vor einem atomaren GAU in Deutschland usw.
Ich wiederhole: Die kollektiven Emotionen schlagen am deutlichsten durch in Parlamentsentscheidungen - dafür gibt es genug Beispiele.
Zitat (b) Welcher Einfluß wird aktiven Minderheiten zugestanden?
Von mir aus: Möglichst wenig Einfluß. Und den größten Einfluß haben aktive Minderheiten, wenn sie Lobbyarbeit in einem Parlament betreiben.
Ein typisches Beispiel deshalb, weil die BIs klar unterlegen sind. Die stilisieren sich ja oft zur Vertretung der Bürgerwünsche gegen "die da oben", repräsentieren aber meist nur "aktive Minderheiten". Stuttgart21 war ja auch so ein Beispiel.
Und typisch auch die Reaktion dieser BIs auf die Niederlage: „Noch ist nichts entschieden“, erklärt Reinhold Bacher von der Bürgerinitiative gegen das Kraftwerk. „Wir sehen die Bürgerbefragung nicht als endgültiges Zeichen, es wird woanders entschieden. Wir haben bereits weitere Pläne.“
Obwohl die Abstimmung nun wirklich deutlich ausfiel, wollen die Unterlegenen ihre Niederlage nicht eingestehen.
Zitat von R.A.Obwohl die Abstimmung nun wirklich deutlich ausfiel, wollen die Unterlegenen ihre Niederlage nicht eingestehen.
Und das war noch bei jeder Initiative für Volksabstimmungen so oder ähnlich. Nicht die Bürger, sondern die Aktivisten sind nicht reif für so etwas demokratisch Anspruchsvolles wie die direkte Demokratie.
Man kann natürlich auch schlussfolgern, dass es den Volksabstimmungsinitiatoren gar nicht um die Stärkung der Demokratie geht, sondern um das genaue Gegenteil. Ihnen ist auch gar nicht so wichtig bei der wievielten Abstimmung sie vielleicht mal gewinnen, wenn nur das Parlament und die Demokratie verliert.
Und um genau dieser Entwicklung vorzubeugen, muss vor der direkten Demokratie die Politik dezentralisiert werden. Offensichtlich ist dies in Virgen und Prägraten durch Bürgerbeteiligung, Gemeindebeteiligung und die Iselstiftung auf demokratischem Weg gelungen. Eine Volksabstimmung hätte es für diese Erkenntnis einfach nicht gebraucht.
Sie diente, wieder einmal, lediglich dem Versuch, einen demokratischen Willensbildungsprozess mit o.g. breiter Beteiligung auszuhebeln.
Ein typisches Beispiel deshalb, weil die BIs klar unterlegen sind. Die stilisieren sich ja oft zur Vertretung der Bürgerwünsche gegen "die da oben", repräsentieren aber meist nur "aktive Minderheiten". Stuttgart21 war ja auch so ein Beispiel.
Sie haben vollkommen recht. Und solange die BIs sich aber stillisieren können, da die Stunde der Wahrheit mangels Volksbefragung nicht kommt, werden Aktivisten auch weiterhin das Flair der rebellischen, gegen "die da Oben" kämpfenden Herde in Anspruch nehmen und vertreten. Und dadurch mehr Menschen emotional und vor allem durch Herdentrieb manipulieren können.
Vielleicht ist die Schweiz deswegen relativ Moralapostel resistent? Die emotionale Erpressung mit der Moralkeule funktioniert halt am besten, wenn "unmoralische" Abweichler meinen, in der Minderheit zu sein, ihnen also quasi ein Ausschluss aus der Schutz bringenden Herde wegen falscher Ethik (falschem Bewusstsein) droht. Und das gilt nicht nur für linke Moral- und Tugendwächter. Auch Sterbehilfe ist in der Schweiz legal, trotz religiösem Widerstand. Es geht auch nicht um die Ablehnung jeglicher Moral. Moralische Regeln für das Zusammenleben braucht man. Aber die emotionale Manipulation durch aggresiv vorgetragene moralische Vorwürfe, die halt am besten zusammen mit dem Herdentrieb wirkt, wird so reduziert. Zugunsten von sachlicherem, verstandsbezogenerem Denken.
Die Medien in Deutschland werden freilich eher Fälle oder Anzeichen selektive Aufplasen, die ihre Lieblingsströmung als unaufhaltsam auf dem Vormarsch darstellen. Siehe grünen Ministerpräsidenten die BW.
“Being right too soon is socially unacceptable.” ― Robert A. Heinlein
"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and those which are not."
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