Ein, so scheint mir, instruktives Beispiel. Ein Prozent der Bürger stimmt ab. Ungefähr 0,8 Prozent der Bürger sind für ein Gesetz. Aber alle trifft es.
Morgen stimmen die Bürger der Stadt München über den Ausbau des Flughafens ab, der gar nicht auf Münchner Stadtgebiet liegt, sondern ca. 40 km außerhalb. Aber da der Flughafen zu einem Anteil der Stadt gehört, gibt es einen Bürgerentscheid, ob die Stadt in der Gesellschafterversammlung dafür stimmen soll oder nicht.
Die beteiligten Anwohner werden nicht befragt und haben demzufolge (ähnlich S21) angekündigt, dass sie sich im Falle eines Pro-ergebnisses nicht daran gebunden fühlen und weiter Widerstand leisten werden. Umgekehrt sieht sich die Stadt im gegenteiligen Fall aber daran gebunden.
Auch ein Beispiel, wo direkte Demokratie so gut wie nichts mit dem tatsächlichen Gegenstand zu tun hat.
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Zitat Auch ein Beispiel, wo direkte Demokratie so gut wie nichts mit dem tatsächlichen Gegenstand zu tun hat.
Sehe ich anders. Die Bürger der Stadt München sind sehr wohl betroffen. Immerhin investiert die Stadt München einen sehr hohen Betrag. Und ich kann nichts falsches daran finden, wenn man die Bürger fragt, für was eine Stadt ihr Geld ausgeben soll.
Ganz im Gegenteil finde ich Ihre Vorstellung falsch, dass die "Betroffenen" einer Maßnahme in erster Linie die Anwohner sind und somit nur diese über eine Maßnahme bestimmen sollten. Bei einer überregionalen Infrastrukturmaßnahme gibt es halt immer unmittelbare Anwohner, für die der Schaden ggf. den Nutzen übersteigt. Und es gibt ggf. Millionen Menschen, für die der Nutzen höher ist als der Schaden. Würde man Abstimmungen auf die unmittelbaren Anwohner begrenzen, gäbe es NIE eine Zustimmung zu einer Infrastrukturmaßnahme.
Natürlich gibt es auch berechtigte Interessen einer unmittelbar betroffenen Minderheit. Aber diese sollten nicht dadurch gewährleistet sein, dass man allein diese Minderheit über eine Maßnahme abstimmen lässt bzw. ihr durch eine Sonder-Abstimmung ein Veto-Recht gibt (und damit die Interessen der weiter weg wohnenden Mehrheit nicht berücksichtigt).
Wenn Sie im Münchner Flughafen-Fall ein Demokratie-Defizit sehen, dann könnte das m.E. nur gelöst werden durch eine Volskabstimmung in ganz Bayern. (Wenn ein vergleichsweise kleinräumiges Projekt wie S21 eine landesweite Abstimmung rechtfertigt, dann ein überregional wichtiges Projekt wie ein Flughafenausbau doch allemal).
Zitat von Meister PetzAber da der Flughafen zu einem Anteil der Stadt gehört, gibt es einen Bürgerentscheid, ob die Stadt in der Gesellschafterversammlung dafür stimmen soll oder nicht.
Eben, es geht nur darum, wie die Stadt als Gesellschafter agiert. Und da ist es doch völlig legitim, daß die Müncher darüber abstimmen.
Die Landesregierung oder die Umlandgemeinden können sich fünf Flughäfen bauen oder gar keinen - da haben die Münchner wenig zu sagen (nur in ihrer Eigenschaft als bayrische Stimmberechtigte). Aber wenn ein Flughafen mit Münchner Geld gebaut werden soll, ist diese Beteiligung auch alleine eine Münchner Entscheidung.
Zitat Die beteiligten Anwohner werden nicht befragt und haben demzufolge (ähnlich S21) angekündigt, dass sie sich im Falle eines Pro-ergebnisses nicht daran gebunden fühlen und weiter Widerstand leisten werden.
Grundsätzlich völlig in Ordnung. Natürlich führt ein Münchner Beteiligungswunsch nicht dazu, daß die betroffenen Gemeinden deswegen für einen Ausbau sein müßten. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie repräsentativ da irgendwelche BIs von "Anwohnern" sind.
Spannend ist hier eigentlich nur die Frage, in wieweit ein Großprojekt im öffentlichen Interesse gegen die unmittelbaren Anrainer durchgedrückt werden darf. Aber ob nun die Entscheidung des Landes, der Mitgesellschafter oder der Gemeinden vor Ort per Parlament oder per Volksentscheid gefällt werden, ist dafür irrelevant. Das kann im Prinzip auch jede beteiligte politische Einheit regeln, wie sie will.
Ein Argument pro oder contra direkte Demokratie ist das alles nicht.
Nur: Instruktiv für was? Es gibt bei allen Formen von Demokratie positive oder negative Ausreißer. Und Fehlentscheidungen wie das Fluchverbot produziert die indirekte Demokratie laufend - sonst müßten wir uns hier im Forum nicht so oft über politische Fehler ärgern.
Letztlich kann man nur den Gesamtsystemvergleich versuchen: Bei halbwegs ähnlichen Rahmenbedingungen und über einen längeren Zeitraum mit vielen Entscheidungen - wie gut steht am Ende das Gemeinwesen mit direkter Demokratie da verglichen mit einer reinen Parlamentsdemokratie. Und da habe ich schon das Gefühl, daß es sich in Ländern mit mehr direkter Demokratie tendenziell besser leben läßt als dort, wo die Bürger nur sehr schwachen Einfluß haben. Am schlimmsten läuft es ja auch da, wo Demokratie doppelt indirekt funktioniert - also in der EU, wo demokratisch gewählte Parlamente Regierungen wählen, die dann in europäischen Gremien entscheiden.
Zitat Ein Prozent der Bürger stimmt ab. Ungefähr 0,8 Prozent der Bürger sind für ein Gesetz. Aber alle trifft es.
Schlechte Wahlbeteiligungen gibt es auch bei Parlamentswahlen - es gibt keine Grenze, unter der eine Wahl/Entscheidung ungültig wäre.
Zitat Auch ein Beispiel, wo direkte Demokratie so gut wie nichts mit dem tatsächlichen Gegenstand zu tun hat.
Sehe ich anders. Die Bürger der Stadt München sind sehr wohl betroffen. Immerhin investiert die Stadt München einen sehr hohen Betrag. Und ich kann nichts falsches daran finden, wenn man die Bürger fragt, für was eine Stadt ihr Geld ausgeben soll.
Nicht mit Münchner Geld! Im Bürgerbegehren heißt es
Zitat "Sind Sie dafür, dass die Stadt München in den zuständigen Gremien der Flughafen München GmbH – ohne sich an den Kosten zu beteiligen (Hervorhebung Petz) – dem Projekt einer 3. Start- und Landebahn am Flughafen München zustimmt?"
Man kann ja drüber streiten, ob es überhaupt ein Bürgerbegehren geben sollte (ich sehe das bei Infrastrukturprojekten sehr kritisch). Aber das in dieser Form ist kompletter Unsinn.
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Lieber Zettel, ihr Beispiel zeigt eigentlich nicht die Nachteile der direkten Demokratie, sondern die Grenzen von Town Meetings. Aus diesem Grund wurden bei uns viele Landsgemeinden durch Urnengänge ersetzt. Dumme Gesetze zu erlassen ist kein Alleinstellungsmerkmal der direkten Demokratie. Oder gibt es in Deutschland wirklich keine dummen Gesetze?
Zitat von R.A.Letztlich kann man nur den Gesamtsystemvergleich versuchen: Bei halbwegs ähnlichen Rahmenbedingungen und über einen längeren Zeitraum mit vielen Entscheidungen - wie gut steht am Ende das Gemeinwesen mit direkter Demokratie da verglichen mit einer reinen Parlamentsdemokratie.
Mal abgesehen davon, dass wir in Deutschland nicht die förderale Struktur in der Gesetzgebung vorfinden, welche in Amerika (und in der Schweiz) existiert und ein Vergleich schwierig wird, geht bei uns die Tendenz eher dahin, den Souverän zu entmachten. Die Abgeordneten des Bundestags geben ihre parlamentarischen Rechte doch freiwillig an die Exekutive ab oder an die Politische Union in Europa. Dort existiert die Gewaltenteilung praktisch nicht mehr, wenn sie es je tat. Meine Befürchtung ist, dass Volksabstimmungen, ist der Bundestag seines Haushaltsrechts und der Gesetzgebung erst mal weitestgehend entledigt worden, überhaupt die einzige Möglichkeit sein werden, dem Souverän eine Wahl zu lassen. Brosamen der Obrigkeit. Das gibt den "Menschen da draußen" das "Gefühl" sie würden auch ein bisschen herrschen und auch ein bisschen gängeln. Mit einem Fluchverbot vielleicht.
Ich finde das Beispiel absolut nicht dramatisch. Nur weil sich nur 1 Prozent der Bürger beteiligt haben, heisst das noch lange nicht, dass 99% dagegen sind. Ebensogut denkbar, dass unter diesen 99% eine ganz ähnliche Verteilung steckt und durchaus eine Mehrheit für ein solches Fluchverbot wäre. Das ist schwer zu sagen, unpopulär ist das mit aller Sicherheit absolut nicht. In Amiland finden wir auch ein Verbot Alkohol in der Öffentlichkeit zu trinken, das gilt auch nicht als Kulturbruch.
Und ob das Recht auf freie Meinungsäusserung tangiert ist, ist auch erst einmal sekundär, Demokratie kann sich ja schlecht daran messen lassen, dass Mehrheit auch für Gesetze sind, die nicht mit den Grundrechten übereinstimmen. Im Bundestag haben wir das ständig und die Abgeordneten juckt es nicht einmal. Messen muss man sowas daran, wie sich die Gerichte verhalten und da haben ich deutlich mehr Vertrauen in den obersten Gerichtshof der Amis als in das Bundesverfassungsgericht (man erinnere sich nur an die Schmach im Bezug auf Frauendiskriminierung, die Wehrpflicht oder das Inzest-Schandurteil).
Und ich finde es hat schon wenigsten ein kleines Geschmäckle, aus einem Land heraus wo wieder locker über 75% Steuersätze debattiert wird, Gewaltenteilung faktisch nicht existiert und Grundrechte mehr Einschränkungen haben als alles andere, ausgerechnet einem der wenigen Länder, die sich wirklich dem Rechtsstaatsprinzip verschrieben haben, demokratische Nachhilfe erteilen zu wollen. Unsere Wirtschaft mag besser funktionieren, aber unsere rechtsstaatliche Demokratie hinkt der amerikanischen ziemlich hinterher.
Zitat von Florian Und es gibt ggf. Millionen Menschen, für die der Nutzen höher ist als der Schaden.
Ein solche Argumentation finde ich bestenfalls gefährlich. Denn eine Enteigung von Milliardären würde mit Sicherheits auch erstmal Millionen Menschen einen Nutzen bringen und nur sehr wenigen schaden (nämlich den Milliardären). Das ist als universelles Prinzip ziemlich kollektiv gedacht.
Ich möchte jedenfalls nicht, dass der Staat mir morgen eine Müllkippe vor meinen Neubau setzt, weil mein Neubau, für den ich vielleicht ein halbes Leben gearbeitet habe, damit wertlos wird. Und ich will auch nicht, dass eine Autobahn durch meinen Vorgarten gebaut wird, weil so viele Leute eine Autobahn da ganz praktisch fänden.
Prinzipiell meine ich, wenn eine solche Infrastrukturmaßnahme so vielen Leuten nützt, dann können soviele Leute ja auch die Leute, die davon Schaden nehmen, entschädigen. Wenn soviel Nutzen da ist, sollte das ja kein Problem sein. Und wenn es doch ein Problem ist, dann sollte man auch so ehrlich sein und zugeben worum es geht: Das eine Mehrheit der Meinung ist, dass ihre Interessen wichtiger sind als die einer Minderheit.
Zitat Von den 22.207 Einwohnern Middleboroughs nahmen an diesem town meeting ungefähr ein Prozent teil. 183 stimmten für das Gesetz, 50 dagegen. -------------------------------------------------------------------------------- So sieht direkte Demokratie häufig aus: Nicht das Volk bestimmt, sondern eine winzige Minderheit
Ein seltsamer Einwand gegen direkte Demokratie. Meine Heimatstadt hat zufälligerweise praktisch genau so viele Einwohner wie Middleborough. Hier werden politische Entscheidungen typischerweise von 30 Stadträten gefällt, also eine noch viel winzigere Minderheit von nur rund 0,1% der Bevölkerung.
Konkret kann allerdings die Stadt Middleborough wesentlich mehr selbst entscheiden als eine deutsche Stadt. Viele der Entscheidungen, die die Bewohner von Middleborough für sich treffen, werden in Deutschland auf Landes- oder gar Bundesebene entschieden. Da sind es dann 600 Abgeordnete, die für 80 Mio. Menschen entscheiden. Also eine Minderheit von rund 0,001%, die die Entscheidungen trifft.
Natürlich kann sich die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland gegen schlechte Entscheidungen wehren: sie kann die Abgeordneten bei nächster Gelegenheit abwählen.
Noch viel einfacher und zielgerichteter kann sich allerdings die Bevölkerungsmehrheit in Middlesborough gegen schlechte Entscheidungen wehren: Wenn eine Mehrheit das Fluch-Verbot kindisch findet, kann sie ja bei nächster Gelegenheit in großer Zahl beim Townhall-Meeting erscheinen und eine andere Entscheidung herbeiführen.
(Und dass bei der von Ihnen zitierten Abstimmung so wenige mitgemacht haben, ist halt auch ein Indiz dafür, dass das Thema "öffentliches Fluchen" den meisten Bürgern von Middlesborough anscheinend einfach nicht wichtig genug war. Was m.E. auch nachvollziehbar ist. Bei einer Abstimmung "sollen wir einen Einlagensicherungsfonds bilden, der für Sparguthaben in Arizona haftet" wäre die Abstimmungsbeteiligung sicher höher gewesen).
Zitat von LlarianUnd ich finde es hat schon wenigsten ein kleines Geschmäckle, aus einem Land heraus wo wieder locker über 75% Steuersätze debattiert wird, Gewaltenteilung faktisch nicht existiert und Grundrechte mehr Einschränkungen haben als alles andere, ausgerechnet einem der wenigen Länder, die sich wirklich dem Rechtsstaatsprinzip verschrieben haben, demokratische Nachhilfe erteilen zu wollen.
Ja, wer tut das denn, lieber Llarian?
Die Geschmäckles sind verschieden.
Was meinen politischen Geschmack angeht, werden Sie wenige Blogs finden, in denen das politische System der USA so nachhaltig verteidigt wird wie in ZR.
Zitat von FlorianUnd dass bei der von Ihnen zitierten Abstimmung so wenige mitgemacht haben, ist halt auch ein Indiz dafür, dass das Thema "öffentliches Fluchen" den meisten Bürgern von Middlesborough anscheinend einfach nicht wichtig genug war. Was m.E. auch nachvollziehbar ist.
Das ist ja der Punkt, lieber Florian. Wenige Aktive, denen das jeweilige Thema wichtig ist, entscheiden.
Die 183 von 22.207 mögen christliche Moralisten gewesen sein; wer weiß. Wenn es, sagen wir, in Deutschland um den Bau einer Moschee geht, dann wären vielleicht die meisten Moslems bei einem solchen town meeting, und nur ein kleiner Teil der Nichtmoslems. Wenn es um Vogelschutz geht, dann sind alle Vogelfreunde da usw.
Das Prinzip der direkten Demokratie führt dazu, daß jeweils aus persönlichen und/oder ideologischen Gründen interessierte Minderheiten ihre Interessen durchsetzen können.
Und was tut man dagegen? Ganz einfach, man führt ein Quorum ein, so dass etwas nur Gültigkeit erlangt, wenn eine bestimmte Mindestwahlbeteiligung (z.B. 10 %, 30 %, 50 %) erreicht wird und schon löst sich das von Ihnen angesprochene Problem.
Dass Middlesborough direkte Demokratie dämlich umsetzt, ist kein Argument gegen direkte Demokratie.
Zitat von Blub Und was tut man dagegen? Ganz einfach, man führt ein Quorum ein, so dass etwas nur Gültigkeit erlangt, wenn eine bestimmte Mindestwahlbeteiligung (z.B. 10 %, 30 %, 50 %) erreicht wird und schon löst sich das von Ihnen angesprochene Problem.
Zitat von ZettelDas Prinzip der direkten Demokratie führt dazu, daß jeweils aus persönlichen und/oder ideologischen Gründen interessierte Minderheiten ihre Interessen durchsetzen können.
Im Prinzip stimme ich dem zu. Es gibt aber Ausnahmen: Wenn eine Frage tatsächlich mal größere Bedeutung erlangt und allgemein heftigst diskutiert wird, besteht manchmal eine kleine Chance, dass die Mehrheit die nervende Minderheit abserviert. Wie z.B. bei "Stuttgart 21". Aber eben nur manchmal, und wohl auch nur dann, wenn noch andere Motive ins Spiel kommen, z.B. parteipolitische Festlegungen.
Dafür kommt es auf der anderen Seite auch zu Fällen, in denen eine Mehrheit einer Minderheit ihre moralischen Präferenzen aufzwingt (z.B. bayerisches Rauchverbot).
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von ZettelDas Prinzip der direkten Demokratie führt dazu, daß jeweils aus persönlichen und/oder ideologischen Gründen interessierte Minderheiten ihre Interessen durchsetzen können.
Im Prinzip stimme ich dem zu. Es gibt aber Ausnahmen: Wenn eine Frage tatsächlich mal größere Bedeutung erlangt und allgemein heftigst diskutiert wird, besteht manchmal eine kleine Chance, dass die Mehrheit die nervende Minderheit abserviert. Wie z.B. bei "Stuttgart 21". Aber eben nur manchmal, und wohl auch nur dann, wenn noch andere Motive ins Spiel kommen, z.B. parteipolitische Festlegungen.
Dafür kommt es auf der anderen Seite auch zu Fällen, in denen eine Mehrheit einer Minderheit ihre moralischen Präferenzen aufzwingt (z.B. bayerisches Rauchverbot).
Beiden Punkten stimme ich zu. Sie zeigen die beiden Grundübel der direkten Demokratie: Die Abstimmenden sind (in der Regel) nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Bürger; und eine Mehrheit kann die Minderheit knechten.
Denn es fehlt das, was die repräsentative Demokratie (u.a.) auszeichnet: Die Notwendigkeit des Kompromisses. Die Rücksichtnahme auf die Minderheit, die ja morgen vielleicht der Koalitionspartner ist.
Und noch eines kommt hinzu, lieber Rayson: Das Bauchgefühl. Hätten die Deutschen am 15. Juni 2011 über den "Ausstieg" abzustimmen gehabt, dann hätte es dafür eine überwältigende Mehrheit gegeben. Hätten sie am 15. Juni 2012 abzustimmen gehabt, wahrscheinlich nicht. Einmal gab es die kollektive Besoffenheit, jetzt den kollektiven Kater: naja, fast kollektiv.
Ein System, in dem ständig "das Volk" (dh meist die aktiven Minderheiten) entscheidet, ist instabil. Die repräsentative Demokratie sorgt, wenn alles funktioniert, für die erforderliche Stabilität. Ungefähr wie die Stabilisatoren eines Schiffes, das sonst bei rauher See kräftig schlingern, stampfen und rollen würde.
@zettel: "...Ein Prozent der Bürger stimmt ab. Ungefähr 0,8 Prozent der Bürger sind für ein Gesetz. Aber alle trifft es..."
Ohne anständiges Quorum wird die direkte Demokratie zur totalen Farce...
Schon wahr, lieber uniquolol. Aber wie will man die Leute an die Urnen bringen? Durch die Polizei vorführen lassen?
Solange es lediglich Elemente direkter Demokratie gibt, wie in Deutschland, funktioniert ein Quorum. Dann findet das betreffende Volksbegehren eben keine Mehrheit, und es gibt keinen Volksentscheid.
In Gemeinden wie Middelborough liegt aber die gesamte Gesetzgebung in der Hand des Volks, in Form von town meetings. Dort ein Quorum einzuführen wäre gleichbedeutend damit, das Gemeinwesen lahmzulegen.
So ist es ja auch bei den Piraten. Alles soll direktdemokratisch entschieden werden. Würden die Piraten ein Quorum einführen, dann wären sie sofort handlungsunfähig.
Zitat von ZettelDie Abstimmenden sind (in der Regel) nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Bürger; und eine Mehrheit kann die Minderheit knechten
Auch bei der repräsentativen Demokratie sind die Abstimmenden nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Bürger, sondern bestenfalls für die Parteien, was nicht gleichbedeutend für die Gesamtheit der Parteimitglieder sein muss. Ich kann zumindest derzeit keinen Vorteil erkennen, was aber nicht bedeutet, dass es nachteilhafter sein muss. Es besteht aber die Möglichkeit, dass hier eine Minderheit die Mehrheit knechtet. Diese hat dann die Chance zur Abwahl, selbst wenn sie die Alternativen noch schrecklicher findet.
Die Nichtbeteiligung an Volksbefragungen bedeutet die Zustimmung zu der Mehrheitsentscheidung oder im Falle eines Quorums bei Nichterreichung die Ablehnung. Es ist auf alle Fälle transparenter und repräsentativer als bei der sogenannten repräsentativen Demokratie. Der engagierten Minderheit sollte kein Vorwurf gemacht werden, wenn der Mehrheit der Ausgang der Entscheidung egal ist. Auch sie hatte die Wahl.
Zitat von C.Die Nichtbeteiligung an Volksbefragungen bedeutet die Zustimmung zu der Mehrheitsentscheidung oder im Falle eines Quorums bei Nichterreichung die Ablehnung.
Das ist die Fiktion, die eben nicht stimmt. In den meisten Fällen bedeutet die Nichtbeteiligung einen ganzen Strauß von Dingen. Dass man gar nicht mitbekommen hat, worum es eigentlich geht. Dass einem die Sache nicht so richtig wichtig ist. Oder dass sie einem zu kompliziert ist. In den allerwenigsten Fällen ist daraus Zustimmung oder Ablehnung abzuleiten. Ist auch eh nicht ganz einfach, das so durchzurechnen.
Zitat von C.Der engagierten Minderheit sollte kein Vorwurf gemacht werden, wenn der Mehrheit der Ausgang der Entscheidung egal ist. Auch sie hatte die Wahl.
Ich bin ein überzeugter Anhänger des Rechts auf Desinteresse. Dem Ansinnen von Fanatikern, andere Menschen alle Furz lang zu Abstimmungen zu treiben, sollte man sich auch verweigern dürfen, ohne Nachteile zu erfahren. Dass Demokratie als harte Arbeit aller für alle zu verstehen sein soll, entspricht zwar der deutschen Seele, ist aber eigentlich verdammt anmaßend.
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Zitat von ZettelEin System, in dem ständig "das Volk" (dh meist die aktiven Minderheiten) entscheidet, ist instabil. Die repräsentative Demokratie sorgt, wenn alles funktioniert, für die erforderliche Stabilität. Ungefähr wie die Stabilisatoren eines Schiffes, das sonst bei rauher See kräftig schlingern, stampfen und rollen würde.
Sehe ich ganz genau so
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Zitat von C.Der engagierten Minderheit sollte kein Vorwurf gemacht werden, wenn der Mehrheit der Ausgang der Entscheidung egal ist. Auch sie hatte die Wahl.
Es geht, dear C., aus meiner Sicht nicht um Vorwürfe.
Die Menschen sind nun einmal so, wie sie sind: Die meisten interessieren sich in der Regel mäßig, nur gelegentlich stärker für Politik. Eine kleine Minderheit - zum Beispiel Zimmerleute - interessieren sich sehr stark dafür.
Die repräsentative Demokratie mit ihren vergleichsweise seltenen Wahlen bewirkt, daß auch diese weniger interesssierte Mehrheit mitentscheidet. Das ist gut, weil die Menschen in ihrer Mehrheit (meist) vernünftig sind.
Direkte Demokratie bedeutet, daß Minderheiten entscheiden. Sie können (wie die Zimmerleute ) sehr vernünftig sein. Viele engagierte Minderheiten sind aber sehr unvernünftig; so ziemlich alle, deren Name mit -isten endet.
Es geht mir, dear C., nicht darum, was ideal, gerecht usw. wäre; wen man loben oder wem man etwas vorwerfen sollte. Es geht mir darum, was am besten funktioniert und zu den erträglichsten Resultaten führt.
Als Bürger von Middelborough würde ich das von weniger als einem Prozent der Bürger beschlossene Gesetz mit einem lauten bullshit! kommentieren.
Öffentlich; und die zwanzig Dollar schon bereithalten.
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