PS: - Auch die Schizophrenie ist kein statischer Zustand. Oft tritt diese Erkrankung schubförmig auf, zwischen den Schüben sind die Betroffenen (besonders in jungen Jahren) von sog. “Normalen” nicht zu unterscheiden...
ein unschuldiger darf nicht im gefängnis eingesperrt werden. ist er krank, ist er unschuldig. bestehen zweifel an der krankheit, ist er im zweifel als krank anzusehen. es ist dann aufgabe der ärzte, zu sehen, ob und wann er gesund ist. stellen die ärzte fest, er ist gesund, ist er aus der psychiatrie zu entlassen.
er könnte also (theoretisch) sehr schnell frei sein.
praktisch würde ich darauf wetten, daß sie ihn eher an einem baum aufhängen.
Zitat von Vitzliputzli im Beitrag #3praktisch würde ich darauf wetten, daß sie ihn eher an einem baum aufhängen.
Das sehe ich überhaupt nicht, lieber Vitzliputzli. Die norwegische Justiz hat sich bisher vorbildlich rechtsstaatlich verhalten; angesichts der Bestialität dieses Massenmordes wirklich vorbildlich.
Ebenso die norwegische Öffentlichkeit, aus der - soweit ich das verfolgen konnte - kaum der Ruf nach der Todesstrafe laut geworden ist.
das war selbstverständlich ironisch gemeint, mein lieber zettel.
ich habe beschrieben, wie es nach rechtsstaatlichen grundsätzen ablaufen MÜSSTE!
aber so wird es nicht ablaufen, weil das ergebnis unerwünscht ist. ich hätte auch schreiben können, eher landen marsmenschen auf dem mond, als daß der von mir geschilderte ablauf stattfindet. und daher kommen mir gewisse zweifel an der vermuteten rechtsstaatlichkeit der norweger, die ich natürlich gut verstehen kann.
sie werden das problem nicht rechtstaatlich, sondern pragmatisch lösen. im übertragenen sinn hängen sie ihn auf.
Zitat von uniquolol im Beitrag #2Auch die Schizophrenie ist kein statischer Zustand. Oft tritt diese Erkrankung schubförmig auf, zwischen den Schüben sind die Betroffenen (besonders in jungen Jahren) von sog. “Normalen” nicht zu unterscheiden...
Vollkommen richtig. Aber genau dieser schubförmige Verlauf ist bei Breivik meines Wissens eben nicht festzustellen.
Soweit ich sehe, basiert die Diagnose "Paranoide Schizophrenie" fast ausschließlich auf dem Umstand, daß Breiviks überwertige Idee von einer Islamisierung Norwegens und seinem Kampf dagegen als eine bizarre Wahnvorstellung eingestuft wird.
Aber - ich habe das in früheren Diskussionen schon geschrieben - waren denn die überwertigen Ideen Osama Bin Ladens, der in den USA den Satan sah; oder Hitlers, der in den Juden die Urheber allen Unglücks sah; oder Pol Pots, der mit seiner überwertigen Idee meinte, den Kapitalismus in Gestalt der Ober- und Mittelschicht Kambodschas physisch ausrotten zu müssen - waren diese Ideen denn weniger wahnhaft? Oder die Idee Stalins, das sozialistische Paradies auf den Knochen von Millionen von Gulag-Opfern zu errichten? Der Kim-Sippe, die das Elend eines ganzen Volks zu verantworten hat?
Oder, um wieder auf die Ebene Breiviks zu gehen, der RAF oder der NSU, die sich gleichermaßen außerkoren sahen, um des hohen politischen Ziels willen morden zu dürfen, wie immer sie wollten?
Von diesen Massenmördern, allesamt vermutlich sadistisch-narzißtische Psychopathen, unterscheidet sich Breivik, soweit ich es beurteilen kann, nicht grundsätzlich. Es mag Gründe für die Diagnose "Schizophrenie" geben; aber ich kann sie nicht erkennen.
Es kommt bei in dubio pro reo nicht darauf an, was (welche Rechtsfolge) der konkrete Angeklagte will. Das Gericht hat vielmehr im Zweifel denjenigen Sachverhalt zu unterstellen, der unter ein weniger schweres Delikt zu subsumieren ist bzw. bei dem die Strafbarkeit ausgeschlossen wird. Und Letzteres ist vorliegend gerade dann der Fall, wenn auf Schuldunfähigkeit erkannt wird. Die Einweisung in die Psychiatrie ist ja keine Strafe, sondern eine Maßregel (vorbeugende Maßnahme). Mit anderen Worten: Wenn Breivik schuldunfähig ist, wird er vom Mordvorwurf freigesprochen. Doch gleichzeitig mit dem Freispruch wird wegen seiner Gefährlichkeit die Anstaltsunterbringung angeordnet.
Bedenklich an der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist etwas anderes: Die Zweifelsregel darf kein Deckmantel für eine ungenügende Sachverhaltsermittlung sein. Das Gericht müsste hier vielmehr ein drittes Gutachten, ein sog. Obergutachten, einholen, das letztlich die beiden anderen Gutachten bewertet. Natürlich könnte auch dieses inhaltlich falsch sein, aber das Gericht wäre dann wenigstens seiner Pflicht, die materielle Wahrheit zu erforschen, ausreichend nachgekommen.
Zitat von Noricus im Beitrag #8Es kommt bei in dubio pro reo nicht darauf an, was (welche Rechtsfolge) der konkrete Angeklagte will. Das Gericht hat vielmehr im Zweifel denjenigen Sachverhalt zu unterstellen, der unter ein weniger schweres Delikt zu subsumieren ist bzw. bei dem die Strafbarkeit ausgeschlossen wird.
Das erstere, lieber Noricus, leuchtet auch mir als juristischem Laien ein. Natürlich ist die Subsumption unter ein minder schweres Delikt (oder der Freispruch) eine Entscheidung zugunsten des Angeklagten.
Aber wie wird begründet, daß es eine Entscheidung zugunsten des Angeklagten ist, wenn dieser - wahrscheinlich oder zumindest möglicherweise geistig gesund - in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird, statt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt zu werden?
Ist das auch die Rechtslage in Deutschland, daß die Einweisung eines möglicherweise Gesunden in die Psychiatrie als eine Entscheidung zugunsten des Betreffenden gilt, verglichen mit einer Freiheitsstrafe? Ich weiß das nicht: aber es würde meinem, nun ja, elementaren Rechtsempfinden widersprechen.
Es geht ja hier nicht um den Fall, daß eindeutig eine Psychose vorliegt. Sondern die Situation ist auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die, daß Breivik durchaus geistig gesund sein könnte.
Mir ist, lieber Noricus, höchst unwohl bei dem Gedanken, daß bereits Zweifel an meiner Schuldfähigkeit, sollte ich in den verbleibenden Jahren noch vor den Kadi kommen, ausreichen würden, um mich in die Geschlossene Psychiatrie einzuweisen.
Zitat von Zettel im Beitrag #9 Aber wie wird begründet, daß es eine Entscheidung zugunsten des Angeklagten ist, wenn dieser - wahrscheinlich oder zumindest möglicherweise geistig gesund - in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird, statt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt zu werden?
Die Entscheidung zugunsten des Angeklagten liegt darin, dass er nicht bestraft, dass über ihn also kein sozialethisches Unwerturteil gesprochen wird. Theoretisch könnte Breivik, wenn seine Therapie in der Anstalt erfolgreich ist, eines Tages entlassen werden - als unbescholtener Bürger und eben nicht als vorbestrafter Massenmörder.
Zitat von Zettel im Beitrag #9 Mir ist, lieber Noricus, höchst unwohl bei dem Gedanken, daß bereits Zweifel an meiner Schuldfähigkeit, sollte ich in den verbleibenden Jahren noch vor den Kadi kommen, ausreichen würden, um mich in die Geschlossene Psychiatrie einzuweisen.
Mir auch. Aber meiner Erfahrung nach würde jeder Richter in einem derartigen Fall ein drittes Gutachten einholen. Ganz abgesehen davon ist es eine absolute Seltenheit, dass der Angeklagte seine Schuldfähigkeit behauptet, der Staatsanwalt diese jedoch als nicht vorhanden ansieht. In der Regel ist es genau umgekehrt. Wie bereits geschrieben: In dubio pro reo darf nicht als Feigenblatt für eine mangelhafte Tatsachenermittlung dienen. Es ist mir völlig unbegreiflich, dass man in einem Fall mit dieser Tragweite die alles entscheidende Rechtsfrage nach der Schuldfähigkeit auf der wackligen Basis der Zweifelsregel beantwortet.
Zitat von NoricusDas Gericht müsste hier vielmehr ein drittes Gutachten, ein sog. Obergutachten, einholen, das letztlich die beiden anderen Gutachten bewertet. Natürlich könnte auch dieses inhaltlich falsch sein, aber das Gericht wäre dann wenigstens seiner Pflicht, die materielle Wahrheit zu erforschen, ausreichend nachgekommen.
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Das erste Gutachten war das Obergutachten. Die Zweifel an dem Erstgutachten waren politisch, nicht medizinisch motiviert. Natürlich kann man noch ein drittes, viertes fünftes Gutachten erstellen, diese werden aus meiner Sicht ebenfalls Zweifel hinterlassen. Die Entscheidung kann dem Richter nicht abgenommen werden und somit ist derzeit noch alles möglich. Es kann sein, dass er sich der Argumentation von Breivik und seinen Verteidigern anschließt, aber nicht zu dem Schluss kommt, dass es sich um Notwehr handeln könnte, sondern um vorsätzlich geplanten Massenmord. Es kann aber auch sein, das er Breivik als dringend behandlungsbedürftig einschätzt, diese Behandlung ist im normalen Strafvollzug nicht möglich. Ich halte Breivik im Falle der Schuldunfähigkeit für suizidgefährdet, womit auch eine Zwangsbehandlung in Frage käme.
Zitat von Zettel Mir ist, lieber Noricus, höchst unwohl bei dem Gedanken, daß bereits Zweifel an meiner Schuldfähigkeit, sollte ich in den verbleibenden Jahren noch vor den Kadi kommen, ausreichen würden, um mich in die Geschlossene Psychiatrie einzuweisen.
Das Urteil ist ja noch nicht gesprochen, es ist möglich, dass das Gericht im Unterschied zu Staatsanwaltschaft und Verteidigung keine Zweifel am ersten Gutachten hat wie es auch möglich ist, dass es Breivik als voll schuldfähig ansieht. Noch brauchst Du dir keine Sorgen zu machen, es sei denn dass du in einem imaginären Tempelritternetzwerk aktiv sein solltest, aber das hätte Deine Frau schon mitbekommen.
Zitat von NoricusDas Gericht müsste hier vielmehr ein drittes Gutachten, ein sog. Obergutachten, einholen, das letztlich die beiden anderen Gutachten bewertet. Natürlich könnte auch dieses inhaltlich falsch sein, aber das Gericht wäre dann wenigstens seiner Pflicht, die materielle Wahrheit zu erforschen, ausreichend nachgekommen.
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Das erste Gutachten war das Obergutachten.
Ein Erstgutachten kann schon rein begrifflich kein Obergutachten sein. Ein solches kommt nur in Frage, wenn zwei einander widersprechende Gutachten vorliegen. Meines Wissens ist dies in der Causa Breivik genau der Fall.
Zitat von C. im Beitrag #11 Die Entscheidung kann dem Richter nicht abgenommen werden und somit ist derzeit noch alles möglich. Es kann sein, dass er sich der Argumentation von Breivik und seinen Verteidigern anschließt, aber nicht zu dem Schluss kommt, dass es sich um Notwehr handeln könnte, sondern um vorsätzlich geplanten Massenmord.
Wenn der Richter bei Vorliegen zweier einander widersprechender, von fachlich gleichrangigen Sachverständigen erstellten Gutachten zu dem Schluss kommt, dass ihn das eine Gutachten restlos überzeugt, dann beglückwünsche ich ihn zu seinen Kenntnissen in Psychiatrie oder seiner Fähigkeit zur Begründung. Die Staatsanwaltschaft traut sich dies jedenfalls nicht zu, sonst müsste sie ja nicht mit der Zweifelsregel ums Eck kommen.
Zitat von C. im Beitrag #11Es kann aber auch sein, das er Breivik als dringend behandlungsbedürftig einschätzt, diese Behandlung ist im normalen Strafvollzug nicht möglich. Ich halte Breivik im Falle der Schuldunfähigkeit für suizidgefährdet, womit auch eine Zwangsbehandlung in Frage käme.
Eine Zwangsbehandlung, um jemanden davon abzuhalten, nach seinem freien Willen zu entscheiden, ob er weiterleben will oder nicht? Beim Gedanken daran, vielleicht über 50 Jahre in der selben Zelle zu vegetieren oder ans Bett gefesselt zu sein, würden selbst bei mir Suizidgedanken aufkommen. Und Suizid wäre eine nicht so abwegige dritte Variante zwischen Anstalt und Gefängnis, in vielerlei Hinsicht. Dem "in dubio pro reo" (*) würde damit entsprochen: im Zweifel nach dem Willen des Angeklagten. Rechtlich wäre das vertretbar, denn Suizid ist nicht strafbar, also hat der Staat auch weder Recht noch Pflicht, Suizid zu verhindern. Der Staat würde die enormen Kosten einsparen, die ein Mensch selbst im Gefängnis über 50 Jahre verursacht und die von den Angehörigen der Opfer mitgetragen werden.
(*) ich schliesse mich eher der Interpretation dieser Regel von Noricus an, gehe hier aber von der Interpretation der Staatsanwaltschaft aus.
Zitat von C. im Beitrag #11Das erste Gutachten war das Obergutachten.
Nein, dear C. Ein Obergutachten kann dann und nur dann eingeholt werden, wenn bereits einander widersprechende Gutachten vorliegen. Es ist so etwas wie eine zweite gutachterliche Instanz.
Wie Noricus wundere ich mich darüber, daß das Gericht kein Obergutachten eingeholt hat. Ich hatte - und habe das damals auch geschrieben - damit gerechnet, daß man damit internationale Experten beauftragt, die auf die Differentialdiagnose zwischen paranoider Schizophrenie und einer Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen spezialisiert sind. Es gibt ja sicherlich Leute, die dazu geforscht und publiziert haben.
Zitat von C. im Beitrag #11Das erste Gutachten war das Obergutachten.
Nein, dear C. Ein Obergutachten kann dann und nur dann eingeholt werden, wenn bereits einander widersprechende Gutachten vorliegen. Es ist so etwas wie eine zweite gutachterliche Instanz.
Wie Noricus wundere ich mich darüber, daß das Gericht kein Obergutachten eingeholt hat. Ich hatte - und habe das damals auch geschrieben - damit gerechnet, daß man damit internationale Experten beauftragt, die auf die Differentialdiagnose zwischen paranoider Schizophrenie und einer Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen spezialisiert sind. Es gibt ja sicherlich Leute, die dazu geforscht und publiziert haben.
Herzlich, Zettel
Nachtrag: Ich sehe gerade, daß Noricus eben dasselbe geschrieben hat. Die Beiträge haben sich überschnitten.
Zitat von ZettelAber wie wird begründet, daß es eine Entscheidung zugunsten des Angeklagten ist, wenn dieser - wahrscheinlich oder zumindest möglicherweise geistig gesund - in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird, statt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt zu werden? Ist das auch die Rechtslage in Deutschland, daß die Einweisung eines möglicherweise Gesunden in die Psychiatrie als eine Entscheidung zugunsten des Betreffenden gilt, verglichen mit einer Freiheitsstrafe? (...) Mir ist höchst unwohl bei dem Gedanken, daß bereits Zweifel an meiner Schuldfähigkeit, sollte ich in den verbleibenden Jahren noch vor den Kadi kommen, ausreichen würden, um mich in die Geschlossene Psychiatrie einzuweisen.
Die Gegenüberstellung "Freiheitsstrafe vs. Einweisung" ist unscharf; zumindest im deutschen Strafrecht schließt sich beides nicht aus. Zwei Aspekte sind zu unterscheiden.
Erstens, der Schuldspruch (Verurteilung zu Strafe). Ein Schuldspruch setzt Schuldfähigkeit voraus. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß die tatsächlichen Voraussetzungen einer Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) vorlagen und läßt sich dies nicht mit letzter Sicherheit aufklären, kann das Gericht in Anwendung des Zweifelssatzes (in dubio pro reo) freisprechen.
Zweitens, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Diese steht nicht in einem Alternativverhältnis zu einem Schuldspruch. Sie kann erfolgen, wenn der Angeklagte wegen (nicht auszuschließender) Schuldunfähigkeit freigesprochen wird. Sie ist aber ebenso möglich, wenn lediglich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorlag und der Täter demgemäß wegen der Straftat verurteilt wird.
Bei der Entscheidung, ob die Unterbringung angeordnet wird, findet der Zweifelssatz keine Anwendung. Es muß vielmehr positiv festgestellt werden, daß die Voraussetzungen des § 63 StGB - Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit - vorliegen (stRspr des BGH, zuletzt etwa Beschl. v. 24.04.2012 - 5 StR 150/12).
________________________________________________ Für eine demokratische Deutsche Republik!
Zitat § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Mir scheint, der Angeklagte hat in seinen Aussagen klar anerkannt, dass er das Unrecht der Tat einsieht, seine eigene Motivation aber als höherwertig einstuft. Haben damals (und sogar heute noch) die Mitglieder der RAF das Unrecht ihrer Tat eingesehen?
Zitat von FAB. im Beitrag #17Die Gegenüberstellung "Freiheitsstrafe vs. Einweisung" ist unscharf; zumindest im deutschen Strafrecht schließt sich beides nicht aus. Zwei Aspekte sind zu unterscheiden.
Erstens, der Schuldspruch (Verurteilung zu Strafe). Ein Schuldspruch setzt Schuldfähigkeit voraus. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß die tatsächlichen Voraussetzungen einer Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) vorlagen und läßt sich dies nicht mit letzter Sicherheit aufklären, kann das Gericht in Anwendung des Zweifelssatzes (in dubio pro reo) freisprechen.
Zweitens, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Diese steht nicht in einem Alternativverhältnis zu einem Schuldspruch. Sie kann erfolgen, wenn der Angeklagte wegen (nicht auszuschließender) Schuldunfähigkeit freigesprochen wird. Sie ist aber ebenso möglich, wenn lediglich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorlag und der Täter demgemäß wegen der Straftat verurteilt wird.
Bei der Entscheidung, ob die Unterbringung angeordnet wird, findet der Zweifelssatz keine Anwendung. Es muß vielmehr positiv festgestellt werden, daß die Voraussetzungen des § 63 StGB - Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit - vorliegen (stRspr des BGH, zuletzt etwa Beschl. v. 24.04.2012 - 5 StR 150/12).
Danke für die Präzisierung, lieber FAB.
Sehe ich das richtig, daß demnach die Argumentation der Osloer Staatsanwälte unter deutschem Recht nicht tragfähig wäre?
Zitat von ZettelNein, dear C. Ein Obergutachten kann dann und nur dann eingeholt werden, wenn bereits einander widersprechende Gutachten vorliegen. Es ist so etwas wie eine zweite gutachterliche Instanz.
Das zweite Gutachten ist eben kein alternatives, sondern ein ergänzendes Gutachten, das von einer unabhängigen rechtsmedizinischen Kommission für ungenügend erklärt wurde, wohingegen dem ersten Gutachten bescheinigt wurde frei von methodischen Fehlern zu sein.
Zitat Richterin Wenche Elizabeth Arntzen wollten ihren beiden Hauptgutachtern an diesem Freitag nicht zu sehr in den Rücken fallen. Das neue Gutachten sei kein Ersatz des ersten - sondern eine Ergänzung.
Vielleicht ist Obergutachten der falsche Begriff, Gutachten und Ergänzung trifft es dann besser, von zwei gleichwertigen Gutachten zu sprechen ist definitiv falsch, da dem ergänzenden Gutachten im Gegensatz zum Gutachten methodische Mängel naqchgewiesen wurden, nicht von medizinischen Laien wie die Staatsanwälte und Rechtsanwälte, sondern von Rechtsmedizinern. Ein Obergutachten wäre nur notwendig, wenn es sich um zwei gleichwertige Gutachten handeln würde. Dem ist nicht so. Allerdings wird dieser Umstand in der Berichtersttung häufig verwischt.
Ich vermute, wenn Breivik vor seinen Taten untersucht worden wäre, hätte die Diagnose "paranoide Schizophrenie" keinerlei Diskussion ausgelöst.
Zitat von ZettelIch hatte - und habe das damals auch geschrieben - damit gerechnet, daß man damit internationale Experten beauftragt, die auf die Differentialdiagnose zwischen paranoider Schizophrenie und einer Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen spezialisiert sind. Es gibt ja sicherlich Leute, die dazu geforscht und publiziert haben
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das noch erfolgt, wenn sich die Richter nicht in der Lage sehen auf Grund der vorligenden Informationen ein urteil zu fällen oder wenn Breivik in Berufung gehen würde. Allerdings wird jede weitere Diagnose, die noch erstellt wird von der einen oder anderen Seite in Zweifel gezogen werden können.
Aus medizinischer Sicht wäre das beste für das Wohl des Angeklagten eine psychiatrische Behandlung, und abhängig davon ob jetzt Schizophrenie vorliegt oder eine andere Form der Persönlichkeitsstörung. Dass eine seelische Erkranung vorliegt ist unstreitig, Streitpunkt ist die Schuldfähigkeit, die von allen Beteiligten erwünscht ist, der aber ein Gutachten im Weg steht.
Zitat von SponIm Zweifel für den Angeklagten ... bedeutet aus Sicht der Staatsanwälte: Bestehen Zweifel an der geistigen Gesundheit des Angeklagten, dann muß mildernd für seine psychiatrische Behandlung entschieden werden - und gegen das Gefängnis.
Zitat von FAZDann berichtet der Staatsanwalt recht weitschweifig über das Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“. Die Frage sei, ob es auch für die Frage der Schuldfähigkeit gelte. Das bejaht der Staatsanwalt und argumentiert, daß es bei Zweifeln über den Geisteszustand eines Angeklagten besser (im juristischen Sinne) sei, einen Gesunden in eine psychiatrische Anstalt zu verbringen, als einen Kranken in ein Gefängnis.
Zitat von Zettel im Beitrag #19Sehe ich das richtig, daß demnach die Argumentation der Osloer Staatsanwälte unter deutschem Recht nicht tragfähig wäre?
Soweit man das anhand der sehr verkürzten Darstellung in den zitierten Blättern beurteilen kann, würde ich es bejahen. Der Zweifelssatz gilt nach deutschem Recht für die tatsächlichen Voraussetzungen der Schuldunfähigkeit. Unterbleibt in Anwendung des Zweifelssatzes ein Schuldspruch, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Täter geisteskrank ist, dann ist die Anordnung von Maßregeln zu prüfen. Diese setzen keine Schuldfähigkeit voraus. Als Maßregeln kommen u.a. die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und die Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) in Betracht. Die Anordnung von Maßregeln setzt aber voraus, daß deren jeweilige Voraussetzungen feststehen. Eine Unterbringung in der Psychiatrie kann nicht, salopp formuliert, nach dem Motto "Wir wissen nicht, ob er gestört ist, also im Zweifel Klapse statt Knast" angeordnet werden.
Eine Regel "Klapse vor Knast" gibt es im deutschen Strafrecht allenfalls insoweit, als nach § 72 StGB unter mehreren zulässigen und geeigneten Maßregeln die mildere anzuwenden ist, wenn diese allein ausreicht, um den Sicherungszweck zu erreichen:
Zitat von BGH 2 StR 486/01 (S. 8)Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 63 StGB als auch des § 66 StGB vor, ist die kumulative Anordnung beider Maßregeln grundsätzlich möglich, da die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gegenüber der Sicherungsverwahrung kein geringeres, sondern ein anderes Übel darstellt. Unter Beachtung des Grundsatzes, daß der Sicherungsverwahrung als "letztes Mittel der Kriminalpolitik" in starkem Maße ultima-ratio-Charakter zukommt, wird eine Anordnung beider Maßregeln freilich nur ausnahmsweise erfolgen, sofern die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Erreichung des Maßregelzwecks (Abwehr der Gefährlichkeit des Täters) im Einzelfall nicht ausreicht.
________________________________________________ Für eine demokratische Deutsche Republik!
Zitat von C. im Beitrag #20 Vielleicht ist Obergutachten der falsche Begriff, Gutachten und Ergänzung trifft es dann besser, von zwei gleichwertigen Gutachten zu sprechen ist definitiv falsch, da dem ergänzenden Gutachten im Gegensatz zum Gutachten methodische Mängel naqchgewiesen wurden, nicht von medizinischen Laien wie die Staatsanwälte und Rechtsanwälte, sondern von Rechtsmedizinern. Ein Obergutachten wäre nur notwendig, wenn es sich um zwei gleichwertige Gutachten handeln würde. Dem ist nicht so. Allerdings wird dieser Umstand in der Berichtersttung häufig verwischt.
Wenn dem so ist, liegt die Sache natürlich anders. Aber dann ist es dennoch methodisch falsch, sich auf die Zweifelsregel zu berufen. In dubio pro reo gilt nämlich nur dann, wenn nach erschöpfender Beweisaufnahme eine Non-liquet-Situation besteht, der wahre Sachverhalt wegen widersprüchlicher Beweisergebnisse also nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann. Das heißt mit anderen Worten, dass die Staatsanwälte, wenn sie bzgl. Breiviks Schuldunfähigkeit noch Zweifel haben, ein zweites Gutachten beantragen müssten. Natürlich kann es nicht 100 Gutachten geben, allein schon nicht wegen des Rechts auf einen speedy trial (Art. 6 EMRK). Aber in einem Massenmordprozess wäre bei Zweifeln am Erstgutachten die Einholung eines Zweit- und allenfalls eines Obergutachtens jedenfalls geboten.
Zitat von FAB. im Beitrag #17 Zweitens, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Diese steht nicht in einem Alternativverhältnis zu einem Schuldspruch. Sie kann erfolgen, wenn der Angeklagte wegen (nicht auszuschließender) Schuldunfähigkeit freigesprochen wird. Sie ist aber ebenso möglich, wenn lediglich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorlag und der Täter demgemäß wegen der Straftat verurteilt wird.
Es wäre interessant zu wissen, ob das norwegische Strafrecht eine verminderte Schuldfähigkeit als besondere Form der Zurechnungsfähigkeit kennt. Nicht alle Rechtsordnungen tun das. Diese berücksichtigen dann die verminderte Schuldfähigkeit z.B. als Milderungsgrund bei der Strafbemessung. Wo es aber keine verminderte Schuldfähigkeit als eigene Kategorie gibt, sondern nur schuldfähig oder schuldunfähig, besteht in der Tat die Dichotomie Knast oder Klapse.
Ein etwas irritierendes, evtl. sogar besorgniserregendes Verständnis von Rechtsstaat vertritt derweil ein Herr Hefty in der FAZ. Ihm zufolge, wenn ich ihn nicht sehr mißverstehe, ist es schlicht wurscht, ob Breivik im klinischen Sinne geisteskrank oder im juristischen Sinne schuldunfähig ist; maßgebliches Kriterium für die Entscheidung des Gerichts müsse allein die politische Opportunität sein. Er meint:
Zitat von Hefty, FAZAllein die Einweisung in die Psychiatrie wird der Tat, dem Täter und dem Rechtsstaat gerecht. (...) Wenn das nicht verrückt ist, dann gibt sich die zivilisierte Welt auf, dann gibt es keine Argumente mehr gegen Terroristen jeglicher Ideologien...
Inwiefern und warum nach einer gutachterlich unterstützten gerichtlichen Feststellung der Zurechnungsfähigkeit und der daraus resultierenden Verurteilung als schlichter Krimineller man die Ideologie des Täters nicht mehr rational kritisieren können soll, erschließt sich mir nun gar nicht. Es erscheint mir vielmehr vollkommen unlogisch. Nur wenn er nicht (völlig) verrückt ist, ist rationale Auseinandersetzung überhaupt denkbar; entsprang die Tat dem schieren Wahn, erübrigt sich das ja gerade.
Letzteres dürfte dann wohl das sein, worauf Herr Hefty hinaus will. Er will die Ideologie des Terroristen gerade nicht diskutieren (müssen).
Daß er dazu eine so offenkundig abwegige Begründung bemüht wie die, nur eine Psychiatrisierung des Terroristen unabhängig vom Vorliegen tatsächlicher klinischer Geisteskrankheit entspreche (!) dem Rechtsstaat, ist ... bemerkenswert. In der FAZ, no less.
________________________________________________ Für eine demokratische Deutsche Republik!
Zitat von FAB. im Beitrag #24Ein etwas irritierendes, evtl. sogar besorgniserregendes Verständnis von Rechtsstaat vertritt derweil ein Herr Hefty in der FAZ. Ihm zufolge, wenn ich ihn nicht sehr mißverstehe, ist es schlicht wurscht, ob Breivik im klinischen Sinne geisteskrank oder im juristischen Sinne schuldunfähig ist; maßgebliches Kriterium für die Entscheidung des Gerichts müsse allein die politische Opportunität sein. Er meint:
Zitat von Hefty, FAZAllein die Einweisung in die Psychiatrie wird der Tat, dem Täter und dem Rechtsstaat gerecht. (...) Wenn das nicht verrückt ist, dann gibt sich die zivilisierte Welt auf, dann gibt es keine Argumente mehr gegen Terroristen jeglicher Ideologien...
Inwiefern und warum nach einer gutachterlich unterstützten gerichtlichen Feststellung der Zurechnungsfähigkeit und der daraus resultierenden Verurteilung als schlichter Krimineller man die Ideologie des Täters nicht mehr rational kritisieren können soll, erschließt sich mir nun gar nicht. Es erscheint mir vielmehr vollkommen unlogisch. Nur wenn er nicht (völlig) verrückt ist, ist rationale Auseinandersetzung überhaupt denkbar; entsprang die Tat dem schieren Wahn, erübrigt sich das ja gerade.
Letzteres dürfte dann wohl das sein, worauf Herr Hefty hinaus will. Er will die Ideologie des Terroristen gerade nicht diskutieren (müssen).
Daß er dazu eine so offenkundig abwegige Begründung bemüht wie die, nur eine Psychiatrisierung des Terroristen unabhängig vom Vorliegen tatsächlicher klinischer Geisteskrankheit entspreche (!) dem Rechtsstaat, ist ... bemerkenswert. In der FAZ, no less.
Ihrer Kritik an der im Artikel vetretenen Position kann ich zustimmen.
Aber warum kritisiert man immer die Zeitung, die solche Positionen veröffnetlicht? Ok, wenn eine Zeitung diese Möglichkeit einseitig schafft, dann bezieht sie Stellung, aber sollte man im allgemeinen eine pluralistische Gestalltung, ein zu Wort kommen lassen verschiedener Ansichten nicht begrüßen? Wollen wir hier nicht alle eine vielfältigere Presselandschaft, in der Meinungen nicht vorschnell ausgegrenz werden? Der FAZ kann ich keine Einseitigkeit (außerhalb der geistewissenschaftlichen Laberstube namens Feuilleton) unterstellen.
“Being right too soon is socially unacceptable.” ― Robert A. Heinlein
"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and those which are not."
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