Zitat von Paul im Beitrag #23Wenn ich das richtig sehe, wollte Luther keine neue Kirche gründen, sondern die alte reformieren. Im wörtlichen Sinn - umwandeln, erneuern. Aber leider war das damals nicht möglich. Deshalb ist diese neue Kirche entstanden.
Das ist wohl bei allen Historikern Konsens.
Zitat Da die damaligen Gegebenheiten weggefallen sind, ist es an der Zeit, dass diese Kirchen, die eigentlich zusammengehören, sich auch wieder zusammenschließen.
Viele sind weggefallen. Aber so wie sich die katholische Kirche entwickelt hat, hat sich auch die protestantische Kirche entwickelt. Der Abstand ist deswegen nicht unbedingt geringer geworden. Nur ein Beispiel: Weibliche Priester. Die waren damals für Luther genauso undenkbar wie für die katholische Kirche. Damals also Einigkeit, heute ein schwerwiegendes Trennungsmerkmal.
Zitat Sind nicht die wesentlichen, heute noch bestehenden theologischen Unterschiede, die eine Vereinigung verhindern, erst nach Luther formuliert worden? Weiß ich aber nicht genau. Hoffe es aber.
Ich bin da auch nicht sehr fit. M.W. gibt es die meisten damals herausgearbeiteten theologischen Unterschiede immer noch. Manche davon sind wahrscheinlich unwichtig geworden, insbesondere die Protestanten wären wohl in vielen Punkten flexibel, die ihnen zu Luthers Zeiten noch wichtig waren. Die Protestanten neigen ja insgesamt nicht mehr zu theologischen Grundsätzen ... Andere damals entstandene Unterschiede sind aber immer noch sehr relevant, z. B. bei der Apostelsukzession. Nach katholischer Auffassung gibt es also im ganzen protestantischen Bereich keinen einzigen gültig geweihten Priester mehr. Und damit sind auch alle Ehen und Taufen ungültig. Dieser Auffassung werden sich die Protestanten bestimmt nicht anschließen können.
Und dann sind - da haben Sie völlig recht - noch einige Sachen dazugekommen. Die aber trotzdem für die Katholiken kaum zur Disposition stehen würden.
Der heftigste Punkt wäre m. E. die päpstliche Unfehlbarkeit und generell die seit Luther noch erheblich gewachsene Machtfülle des Papstes. Auch Protestanten, die sonst wenig Wert auf theologische Fragen legen, haben hiermit große Probleme.
ehe es allzu abenteuerlich wird, darf ich ein wenig zurechtrücken:
Zitat von R.A. im Beitrag #26Andere damals entstandene Unterschiede sind aber immer noch sehr relevant, z. B. bei der Apostelsukzession. Nach katholischer Auffassung gibt es also im ganzen protestantischen Bereich keinen einzigen gültig geweihten Priester mehr. Und damit sind auch alle Ehen und Taufen ungültig. Dieser Auffassung werden sich die Protestanten bestimmt nicht anschließen können.
Bei der sakramentalen Priesterweihe geht es nicht nur um die apostolische Sukzession, sondern um das grundsätzliche protestantische Verständnis, nach dem ein jeder Christ bereits in der Taufe sämtliche Weihen erhalten hat und die spezielle Beauftragung zum Predigtamt zwar durch die Gemeinde bzw. Kirche erfolgt aber dem keinen besonderen Status hinzufügt. Ehen und Taufen sind davon aber so und so nicht betroffen. Taufen können auch in katholischer Sicht ersatzweise von Laien vollzogen werden und sind gültig; deshalb wird niemals ein evangelischer Christ, der zum Katholizismus konvertiert, erneut getauft werden. Das Ehesakrament wird schon gar nicht vom Priester gespendet. Das spenden sich die Eheleute gegenseitig.
Zitat Der heftigste Punkt wäre m. E. die päpstliche Unfehlbarkeit und generell die seit Luther noch erheblich gewachsene Machtfülle des Papstes. Auch Protestanten, die sonst wenig Wert auf theologische Fragen legen, haben hiermit große Probleme.
Das ist eher ambivalent zu sehen. Einerseits hat das Papsttum seine weltliche Macht so gut wie vollständig eingebüßt, und das hätte Luther auf jeden Fall begrüßt. Vermutlich wäre es unter einem Papst Josef Ratzinger nicht zur Reformation gekommen. Andererseits ist die geistliche Macht des Papstes in der Tat gewachsen.
Im Grunde genommen haben Sie aber schon den Finger an den richtigen Punkten: das Amts- und Kirchenverständis ist das, was uns wohl heute am meisten trennt.
Zitat von Zettel im Beitrag #17Mich würde aber interessieren, ob Sie als Luther-Kenner auch das für unzutreffend halten, was ich geschrieben habe:
Zitat Man könnte Luther, was seine Abgrenzung der Rechte des Staats (des Fürsten) angeht, nachgerade als einen Vorläufer des politischen Liberalismus verstehen.
Also nur in diesem Punkt der Abgrenzung der Rechte des Staats, die sich nicht in den persönlichen Bereich des Glaubens hinein erstrecken. Und nicht als Liberalen, sondern als einen Vorläufer des Liberalismus könnte man Luther in diesem Punkt verstehen.
Lieber Zettel, so weit sicherlich. Aber man muss wirklich beachten, dass Luther hier nur den Bereich des Glaubens und der innersten Gewissensbindung an Gott meint. In allen anderen Fragen hat der Christ seinem Oberherrn gefälligst gehorsam zu sein. Er vertritt ja das weltliche Regiment Gottes, und dem hat er sich unterzuordnen, auch den "wunderlichen" Herren und Tyrannen. Wenn der Staat seinen eigentlichen Aufgaben nicht nachkommt, dann ist das tragisch, aber hinzunehmen. Und selbst in religiösen Fragen gibt es kein Widerstandsrecht. Nur die christliche Pflicht zu bekennen, notfalls zu fliehen oder aber auch mit "Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib" zu bezahlen. Luther fand einen schlechten Staat immer besser als das Chaos von Aufständen und Bürgerkriegen. So auch seine radikale Ablehnung der Bauernaufstände. (Quellensuche mache ich jetzt nicht. Vermutlich steht das so ähnlich im zweiten Teil von "Von weltlicher Obrigkeit".) Spätfolgen dieses Staatsverständnisses waren z.B. noch im Dritten Reich in der Skrupulosität gegenüber dem Tyrannenmord zu erkennen (ein Beispiel heute Abend im Fernsehen, historisch besser verbürgt Dietrich Bonhoeffer, der darauf reflektierte, dass er sich mit der Unterstützung des Attentats schuldig machte).
Herzliche Grüße! Herr
P.S. An der Diskussion über Luthers Antisemitismus habe ich keine Lust mich zu beteiligen. Nur so viel: Ich finde es nicht sinnvoll, eine historische Person oder einen Autor in Bausch und Bogen zu verdammen, weil er an bestimmten Stellen Bockmist verzapft hat. Z.B. ist Heideggers Haltung im und zum Dritten Reich übel, danach kann ich aber nicht "Sein und Zeit" beurteilen. Z.B. ist Carl Schmitt ("Der Führer schützt das Recht") in seinen früheren Schriften interessant zu lesen. Wenn ein Mensch sich an einer Stelle - aus welchen Gründen auch immer wie ein ... (setzen Sie ein, was Sie denken) benimmt -, so kann ich ihn doch nicht allein darauf festlegen. Historische Beurteilungen sollten zudem allemal differenzierter ausfallen, denn hinterher ist man immer klüger.
Zitat von Herr im Beitrag #28P.S. An der Diskussion über Luthers Antisemitismus habe ich keine Lust mich zu beteiligen. Nur so viel: Ich finde es nicht sinnvoll, eine historische Person oder einen Autor in Bausch und Bogen zu verdammen, weil er an bestimmten Stellen Bockmist verzapft hat. Z.B. ist Heideggers Haltung im und zum Dritten Reich übel, danach kann ich aber nicht "Sein und Zeit" beurteilen. Z.B. ist Carl Schmitt ("Der Führer schützt das Recht") in seinen früheren Schriften interessant zu lesen. Wenn ein Mensch sich an einer Stelle - aus welchen Gründen auch immer wie ein ... (setzen Sie ein, was Sie denken) benimmt -, so kann ich ihn doch nicht allein darauf festlegen. Historische Beurteilungen sollten zudem allemal differenzierter ausfallen, denn hinterher ist man immer klüger.
Das ist auch meine Meinung, lieber Herr. Wobei man auch diejenigen einbeziehen sollte, die auf der Linken geirrt haben; die nicht nur dem Verführer Marx auf den Leim gegangen sind, sondern die selbst Lenin, Stalin und Mao bewundert haben.
Bei einer historischen Gestalt wie Luther frage ich mich auch, wie sich eigentlich die affektive Reaktion erklärt, wie sie in diesem Thread in einem Fall in extremer Form vorgetragen wurde. Wie lange muß eigentlich jemand tot sein, bis man ihn nicht mehr wie einen Quasi-Zeitgenossen behandelt und u.U. beschimpft?
In Bezug auf die Nazizeit ist inzwischen viel von Historizierung die Rede. Sollten wir nicht eigentlich alle Akteure, deren Wirken weiter zurückliegt, sine ira et studio beurteilen können?
Zitat von Herr im Beitrag #28P.S. An der Diskussion über Luthers Antisemitismus habe ich keine Lust mich zu beteiligen. Nur so viel: Ich finde es nicht sinnvoll, eine historische Person oder einen Autor in Bausch und Bogen zu verdammen, weil er an bestimmten Stellen Bockmist verzapft hat. Z.B. ist Heideggers Haltung im und zum Dritten Reich übel, danach kann ich aber nicht "Sein und Zeit" beurteilen. Z.B. ist Carl Schmitt ("Der Führer schützt das Recht") in seinen früheren Schriften interessant zu lesen. Wenn ein Mensch sich an einer Stelle - aus welchen Gründen auch immer wie ein ... (setzen Sie ein, was Sie denken) benimmt -, so kann ich ihn doch nicht allein darauf festlegen. Historische Beurteilungen sollten zudem allemal differenzierter ausfallen, denn hinterher ist man immer klüger.
Das ist auch meine Meinung, lieber Herr. Wobei man auch diejenigen einbeziehen sollte, die auf der Linken geirrt haben; die nicht nur dem Verführer Marx auf den Leim gegangen sind, sondern die selbst Lenin, Stalin und Mao bewundert haben. (…)
Wobei es für diese Linken deutlich einfacher gewesen wäre, sich mit Stalinismus und Maoismus auseinanderzusetzen: Es gab ausreichend Informationen und es gab Alternativen. Im Gegensatz dazu fehlten Martin Luther viele Informationen und wissenschaftliche Erkenntnisse.
Zitat von Herr im Beitrag #27ehe es allzu abenteuerlich wird, darf ich ein wenig zurechtrücken:
Herzlichen Dank, auf solche Korrekturen hatte ich angesichts meiner Wissenslücken in diesem Bereich gehofft. Letztlich beruhen meine Kenntnisse dazu auf Aussagen von kundigen Wissenschaftlern vor 30 Jahren. Das wird zwar nicht veraltet sein, aber mein Gedächtnis mag da manches durcheinander gebracht haben.
Klar ist aber wohl, daß evangelische Pastoren und Bischöfe nach katholischer Auffassung keine "echten" Priester sind (im Gegensatz z. B. zu orthodoxen Popen). Aber nach Ihren Ausführungen wäre das für Taufen und Heiraten kein direktes Problem.
Dann muß es aber doch andere Aspekte geben, die aus katholischer Sicht relevant sind. Denn wozu bräuchte sie selber einen so großen Personalbestand an geweihten Priestern und Bischöfen, wenn man auch ohne diese ein getaufter und vollgültiger Christ sein kann?
Zitat von Zettel im Beitrag #29Bei einer historischen Gestalt wie Luther frage ich mich auch, wie sich eigentlich die affektive Reaktion erklärt, wie sie in diesem Thread in einem Fall in extremer Form vorgetragen wurde. Wie lange muß eigentlich jemand tot sein, bis man ihn nicht mehr wie einen Quasi-Zeitgenossen behandelt und u.U. beschimpft?
Wenn Sie so fragen: Am Sterbedatum wird es nicht liegen, auch nicht an der historischen Bedeutung für die Gegenwart sondern an der Relevanz für gegenwärtige Diskussionen.
Mit Augustinus haben wir z.B. einen für die Geistesgeschichte der Gegenwart ungleich bedeutenderen Theologen als Luther. Man betrachte nur die unterschiedliche philosophische Entwicklung in den kanonischen Territorien der Ost- und Westkirche. Der Griechischverweigerer Augustinus wurde ja nur in der lateinischen Christenheit rezipiert, folglich ist die Erbsündenlehre und der strikte Voluntarismus des Heiligen Augustinus im Osten unbekannt. Und Augustinus Gnadenlehre war natürlich für Luthers Überzeugungsbildung verstärkend.
Soviel Luther nun für aktuelle konfliktbeladene Fragen herangezogen wird, so oft zieht er auch Ablehnung auf sich.
Zitat von R.A. im Beitrag #31Dann muß es aber doch andere Aspekte geben, die aus katholischer Sicht relevant sind. Denn wozu bräuchte sie selber einen so großen Personalbestand an geweihten Priestern und Bischöfen, wenn man auch ohne diese ein getaufter und vollgültiger Christ sein kann?
Man ist zwar Christ, aber doch nicht im vollgültigen Sinne, denn man hat an der sakramentalen, insbesondere der eucharistischen Gemeinschaft der Kirche keinen Anteil.
Der Protestant wird da vielleicht sagen: "Na und!" Die Kirche ist für ihn ja nur Mittel zum Zweck (Ort der Glaubensvermittlung und Glaubensgemeinschaft). Für den Katholiken ist die Kirche viel mehr: "Gemeinschaft der Heiligen" bzw. "Gemeinschaft am Heiligen" (communio sanctorum), die vom sakramentalen Priesteramt und vom Papstamt zusammengehalten wird. Da erscheint so ein protestantisch auf sich selbst gestelltes Christsein schon sehr ärmlich und defizitär.
Zitat von R.A. im Beitrag #31Dann muß es aber doch andere Aspekte geben, die aus katholischer Sicht relevant sind. Denn wozu bräuchte sie selber einen so großen Personalbestand an geweihten Priestern und Bischöfen, wenn man auch ohne diese ein getaufter und vollgültiger Christ sein kann?
Es geht im Christentum ja nicht darum, Christ zu sein. Zweck des Christenlebens ist es, selig zu werden, in den Himmel zu kommen, wie immer man es nennt. Mit der Taufe (nach ev.+kath. Auffassung) wäre prinzipiell alles für diesen Zweck erreicht. Stirbt ein Christ direkt nach der Taufe, ist für ihn alles einfach. Deswegen befanden sich übrigens zur Zeit der frühen Kirche viele Menschen sehr lange im Status des Taufbewerbers (Katechumenat), Kaiser Konstantin ist nur einer von ihnen. Lebt man danach länger, fragt der Christ wie der Reiche Jüngling: "Was muß ich tun, um selig zu werden?" Ev.: Man muß glauben, daß man durch seinen Glauben an die Sündenvergebung sie erlange. Dieser Glaube wird durch die anderen Sakramente (Abendmahl und früher auch Beichte) "psychologisch" genährt, indem sie trösten. (CA) Kath.: Man kann ohne Christus nichts, also auch nicht die Taufgnade behalten. Man muß deswegen die Einheit mit ihm suchen wollen, die Kommunion. Christus hat nun eine Folge von Stellvertretern eingesetzt, durch die das geschieht.
Edit: Habe die Antwort von Herr zu spät gesehen, finde meine Antwort aber trotzdem noch passend.
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