Die Sprache ändert sich ständig; wie anders. Sie "lebt"; wie viele gern betonen, die das Beharren auf korrektem Deutsch muffig und pedantisch finden.
Aber sie ändert sich ja nicht nur einfach, die deutsche Sprache; sondern sie ändert sich in eine bestimmte Richtung: Hin zu Fauldeutsch. Das allerdings erscheint mir bedenklich, bei allem Verständnis für Sprachwandel.
Tja, das sind eben die Konsequenzen wenn man die Unterrichtsstandards in unseren Schulen beständig herunterschraubt und die Einheitsschule propagiert. Siehe Frankreich:
Zitat Seit 1979 werden alle Kinder bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichtet, nach einem landesweit gleichen Lehrplan für landesweit gleiche Prüfungen. Die Einheitsschule sollte die Integration der Einwandererkinder verbessern. Die Folgen seien jedoch verheerend, warnen immer mehr französische Bildungsexperten: Das Gesamtniveau der Schüler sei dramatisch gesunken, die Chancen der Migranten aber nicht gestiegen.
Zitat von Zettel im Beitrag #1Die Sprache ändert sich ständig; wie anders. Sie "lebt"; wie viele gern betonen, die das Beharren auf korrektem Deutsch muffig und pedantisch finden.
Aber sie ändert sich ja nicht nur einfach, die deutsche Sprache; sondern sie ändert sich in eine bestimmte Richtung: Hin zu Fauldeutsch. Das allerdings erscheint mir bedenklich, bei allem Verständnis für Sprachwandel.
"Herrschaften, es gibt keine unregelmäßigen Verben", pflegte einer meiner Lehrer stets zu sagen, "sondern nur verschiedene Regeln"! Und damit hat er recht; denn "unregelmäßige" Verben sind sehr regelmäßig, indem sie ihre Tempora mithilfe des Ablauts bilden: gehe, ging gegangen. Es gibt 7 verschiedene Ablautreihen, und wenn man weiß, zu welcher ein Verb gehört, so kann man alle Formen bilden, ohne Stammformen sog. "unregelmäßiger" Verben gelernt zu haben. Als Schüler hätte ich das gern schon gewußt. Das Ablautsystem, das diesem Phänomen zugrunde liegt findet man in allen indogermanischen Sprachen mehr oder weniger differenziert. Tatsächlich sind die starken (nicht unregenlmäßigen) Verben stets älter als die schwachen, auch das ist interessant und weist darauf hin, daß die Tempusbildung durch Ablaut die ursprüngliche ist. Wenn man also unbedingt will, so sind eher die schwachen Verben die "unregelmäßigen", da sie gegen die ursprüngliche Regel verstoßen.
Aber to go, went, gone ist natürlich eine unglückliches Beispiel, weil hier - anders als im Deutschen - ein fremder Wortstamm das Präteritum ersetzt. Das ist kein Ablaut, diese "Regel" ist komplizierter. Völlig haarig wird es bei mreinem Lieblingsverb to be, was, been und auch im Deutschen sein, war, gewesen. - Schöne Sachen! Hier rechtfertigte sich die Rede von der Unregelmäßigkeit sehr viel eher, aber das sind nur eine Handvoll Verben. Man spricht allerdings hier eher von "defekten" Verben.
Die Sprache ändert sich in der Tat, aber die starken Verben werden so schnell nicht verschwinden, denn "trug" zu sagen ist beispielsweise auch nicht anstrengender als "tragte".
Aber natürlich könnte es sein, daß unsere Politdarsteller nach der Rechtschreibekomission demnächst eine Grammatikkomission ins Leben rufen werden, die dann die Abschaffung starker Verben beschlösse. Ich wundere mich über nichts mehr in dieser Hinsicht. Natürlich muß auch für den Wandel unserer Sprache der so beliebte "Primat der Politik" gelten. Wo kämen wir hin, wenn sich Menschen und Sprache von ganz allein veränderten? Dann könnte man ja die Richtung nicht bestimmen, und das wäre fatal, ja schlimm wäre das geradezu. Schließlich soll Fauldeutsch zu etwas nütze sein, ebenso wie die Rechtschreibereform: es den armen Schülern endlich leichter zu machen, damit jeder sein Abitur kriegt, was aus Gleichstellungsgründen unverzichtbar ist.
Zitat Zettel ____ Die starken Verben schwächeln... ____
"Den Römern würde gewiß nicht Zeit genug übriggeblieben sein, die Welt zu erobern, wenn sie das Latein erst hätten lernen sollen. ...Aber, Madame, die verba irregularia – sie unterscheiden sich von den verbis regularibus dadurch, daß man bei ihnen noch mehr Prügel bekömmt – sie sind gar entsetzlich schwer. In den dumpfen Bogengängen des Franziskanerklosters, unfern der Schulstube, hing damals ein großer, gekreuzigter Christus von grauem Holze, ein wüstes Bild, das noch jetzt zuweilen des Nachts durch meine Träume schreitet, und mich traurig ansieht mit starren, blutigen Augen – vor diesem Bilde stand ich oft und betete – O du armer, ebenfalls gequälter Gott, wenn es dir nur irgend möglich ist, so sieh doch zu, daß ich die verba irregularia im Kopfe behalte.
Vom Griechischen will ich gar nicht sprechen; ich ärgere mich sonst zu viel. Die Mönche im Mittelalter hatten so ganz unrecht nicht, wenn sie behaupteten, daß das Griechische eine Erfindung des Teufels sei." (Heine, Reisebilder)
Man kann aber auch in der anderen Richtung ausgleiten. Auf dem Klappentext der Neuauflage von Martin Mosebachs Stilleben mit wildem Tier die Anpreisung eines enthusiasmierten Rezensors: "Für dieses Buch würfe ich tausend andere fort..."
PS: "The child was looking at some pictures of red-legged partridges and was overheard saying, 'Arthur is a good boy; he doesn't say them's grouses, he says them's grice.'" (Arthur Woolgar Verrall)
mir scheint aber, dass dieses Phänomen vorrangig die gesprochene Sprache betrifft. Und als süddeutsch sozialisierter Mensch stellen sich mir sowieso alle Zehennägel auf, wenn jemand in der gesprochenen Sprache das Imperfekt benutzt.
Diese Konjunktiv-Umschreibung mit "würde" ist wohl neben "macht Sinn" eine Formulierung, die wir der unzureichenden Synchronisation englischsprachiger Filme zu verdanken haben.
Mir fällt noch etwas anderes auf: Seit ca. 10 Jahren hört man das Wort Journalisten fast nur noch "Dschornalisten" ausgesprochen - es hat sich von einem französischen zu einem englischen Lehnwort gewandelt.
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Manches an dieser Sprachentwicklung abwärts erinnert an die Entstehung der romanischen Sprachen aus dem Vulgärlatein. Auch damals verschwanden beispielsweise Suffixe und wurden durch Partikel ersetzt ("des Sohnes" heißt lateinisch filii, französisch du fils). Aber aus diesem Niedergang entwickelte sich doch die Sprache Dantes, die Sprache Racines und die von Cervantes. Vielleicht ist das ja ein Trost. Das dauerte aber einige hundert Jahre.
Die Norweger schaffen gerade die weibliche Form der Substantive ab (sie werden dann männlich, es gibt noch ein paar sächliche, die lässt man wohl bislang in Ruhe). Die Vereinfachung der Sprache ist also kein rein deutsches Phänomen und ist wohl nur Ausdruck des Zeitgeistes. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Norweger, anders als wir, zwei offizielle Schriftsprachen haben wovon eine auf Vereinfachung getrimmt ist und die andere schon fast zwanghaft versucht das alte und ursprüngliche zu wahren. Sprache ist Kultur und im Dschungelcamp braucht man wohl keinen Genitiv - jedem Volk die Sprache die es verdient ;).
ps:Gott sei dank, hindert einen ja niemand daran die Sprache zu pflegen, die man selbst für angemessen hält. Und wenn jemand zum Beispiel in einem Text das persönliche Du noch groß zu schreiben weiß, weckt er (oder sie) damit heute schon mein Interesse, lässt es doch, zumindest bei jüngeren, die das so nicht mehr gelernt haben, auf eine gewisse Persönlichkeit schließen. So kann eine gepflegte Sprache auch (wieder) zu einem persönlichen Merkmal werden.
Zitat von Zettel im Beitrag #1Aber sie ändert sich ja nicht nur einfach, die deutsche Sprache; sondern sie ändert sich in eine bestimmte Richtung: Hin zu Fauldeutsch. Das allerdings erscheint mir bedenklich, bei allem Verständnis für Sprachwandel.
Im Hollenberg-Budde (einem traditionellen Lehrbuch des Althebräischen) sind die Vokabeln anhand der größten Häufigkeiten in der Biblia Hebraica ausgewählt. Unregelmäßigen Verben begegnet der Student deswegen in diesem Lehrbuch häufig. Häufig gebrauchte Verben hätten sich dem Regularisierungsdruck in der Entwicklung der hebräischen Sprache am ehesten entziehen können. Aus diesem Grunde wage ich zu behaupten, könne man den Wandel zur regelmäßigen Konjugation auch als in Stein gemeißelt betrachten und müsse sich nicht darüber grämen. Sprache ist ein Gebrauchsobjekt, kein Museumsexponat.
Ihrer Sorge um den Konjunktiv pfliche ich allerdings bei, weil die Bedeutungsdifferenzierung durch ihn sehr nützlich ist. Mein Gedächtniszitat aus dem Lehrbuch haben Sie dank seiner ja sofort erkannt.
So auch hier. Einerseits bevorzuge ich in meiner Muttersprache die starken Vergangenheitsformen gegenüber den schwachen und gebrauche den Konjunktiv statt des Hilfsverbs "würde", denn wie sagte schon mein betagter Mathelehrer: "Deutsch ist eine würdelose Sprache!" Auch sonst bemühe mich redlich, den Reichtum meiner Muttersprache voll auszuschöpfen, jedenfalls dann, wenn ich nicht gerade eine Bedienungsanleitung oder Erklärung schreibe, bei der es darauf ankommt, dass sie eindeutig und leicht nachzuvollziehen ist.
Wie anders sieht es dagegen aus, sobald ich eine fremde Sprache lerne und mich in dieser ausdrücken will. Dann bin ich froh, wenn es nur wenige Unregelmäßigkeiten gibt, wenn ich schon mit dem Erlernen einiger weniger Regeln fast alles fehlerfrei sagen und schreiben kann. Bestes Beispiel ist hier meiner Meinung nach Niederländisch, sprachlich zwischen den mir bekannten Sprachen Deutsch und Englisch gelegen, dessen Grammatik sehr ähnlich der deutschen Grammatik ist mit dem Vorteil der geringeren Anzahl an Ausnahmen. So mag wohl auch der eine oder andere, der Deutsch als Fremdsprache lernt, von dieser Vereinfachung der deutschen Sprache eher angetan sein als der Leser schöngeistiger Literatur.
A common mistake that people make when trying to design something completely foolproof is to underestimate the ingenuity of complete fools. Douglas Adams
Zitat von Zettel im Beitrag #1Die Sprache ändert sich ständig; wie anders. Sie "lebt"; wie viele gern betonen, die das Beharren auf korrektem Deutsch muffig und pedantisch finden.
Aber sie ändert sich ja nicht nur einfach, die deutsche Sprache; sondern sie ändert sich in eine bestimmte Richtung: Hin zu Fauldeutsch. Das allerdings erscheint mir bedenklich, bei allem Verständnis für Sprachwandel.
Lieber Zettel,
im Englischen kommt die Faulheit gleich serienmässig daher: Der Konjunktiv ist dort schlicht und einfach die Vergangenheitsform. Und was soll ich sagen? Das ist allemal eleganter als das antiquierte Konstrukt der für gewöhnlich unsinnig komplizierten deutschen Konjunktivformen, die oft selbst gebildeten sprachlich versierten Schichten nicht geläufig sind. Der Fussballerkonjuktiv ist ohnehin eine Sache für sich, den Verweis auf Kevin Kuranyi halte ich diesbezüglich für "nicht hilfreich". Wenn ich mich recht entsinne funktioniert der im Englischen ähnlich, es handelt sich also um ein sprachübergreifendes linguistisches Phänomen und mitnichten um eine sprachliche Verlotterung (wenn man das denn so nennen will).
Dass unregelmässige Verben im Deutschen keinen leichten Stand haben, liegt übrigens unter anderem daran, dass das Präteritum ausserhalb von Erzählungen einen eher schweren Stand hat, da wir im Deutschen in der Praxis nicht zwischen Past Tense und Present Perfect differenzieren. Irgendwann wird dann unterwegs halt nicht mehr benötigter Ballast abgeworfen - so funktionieren Sprachen nunmal.
Schmankerl am Rande: Ich entsinne mich sehr gut, wie sich während eines Seminars eine Deutschlehrerin mal darüber echauffierte, dass einer ihrer Schüler "Ich gehe Küche" gesagt hätte. Im Laufe der Zeit konnte der Linguist in mir sich für diese fast schon geniale Reduktion immer stärker erwärmen.
Zitat von Frankenstein im Beitrag #10Ich entsinne mich sehr gut, wie sich während eines Seminars eine Deutschlehrerin mal darüber echauffierte, dass einer ihrer Schüler "Ich gehe Küche" gesagt hätte. Im Laufe der Zeit konnte der Linguist in mir sich für diese fast schon geniale Reduktion immer stärker erwärmen.
Ist das nicht ein Turkismus (oder wie nennt man das?)
Au weia! Jetzt habe ich meinen Beitrag vor dem Speichern mehrmals durchgelesen und trotzdem nicht bemerkt, dass ich auf das "Einerseits" im ersten Absatz nicht mit "Andererseits" geantwortet habe. Und das bei diesem Thema. Ich schäme mich dafür.
A common mistake that people make when trying to design something completely foolproof is to underestimate the ingenuity of complete fools. Douglas Adams
Zitat von Frankenstein im Beitrag #10Ich entsinne mich sehr gut, wie sich während eines Seminars eine Deutschlehrerin mal darüber echauffierte, dass einer ihrer Schüler "Ich gehe Küche" gesagt hätte. Im Laufe der Zeit konnte der Linguist in mir sich für diese fast schon geniale Reduktion immer stärker erwärmen.
Ist das nicht ein Turkismus (oder wie nennt man das?)
Noch zu beachten: der Unterschiede in den Soziolekten & den lokalen Varianten ("Dialekt" trifft's ja nicht ganz). Im Oldenburgischen ist "Kinder, kommt im Haus - fängt am Regnen" mündlich akzeptabel; bei schriftlicher Verwendung würds mich doch am Wundern fangen. (Und noch weiter nördlich: "sollt mir wündern.")
Zitat von Frankenstein im Beitrag #10 im Englischen kommt die Faulheit gleich serienmässig daher: Der Konjunktiv ist dort schlicht und einfach die Vergangenheitsform.
Das stimmt ja nun so schlicht und einfach nicht. In den meisten Fällen haben Indikativ und Subjunktiv der Vergangenheit dieselbe Form, ja, aber das ist nur eine Folge des allgemeinen Inflektionsverlusts. Es gibt aber Ausnahmen, z.B. bei was/were: If I were you, I'd be more careful. Der Subjunktiv der Gegenwart unterscheidet sich in der 3. Person Singular auch vom Indikativ: I suggest that he read his grammar book.
Es gibt noch mehr solche Situationen, in denen ich mich frage, wie die Engländer ihre eigene Sprache verstehen können, ohne sich der zugrundeliegenden vollständigeren Formen (wie sie im Deutschen oft besser bewahrt sind) bewußt zu sein. Aber diese Feinheiten gehen nach dem genannten Faulheitsprinzip in der gesprochenen und mehr und mehr auch der geschriebenen Sprache (wo es heute z.B. schon vollkommen üblich ist, "principal" und "principle" zu verwechseln, obwohl eigentlich jede Verwechslung ausgeschlossen ist) verloren. Wenn man dann noch sieht, wie Leute ohne mit der Wimper zu zucken "of" statt "have" schreiben, dann kann man sich nur die alten Grammar Schools zurückwünschen...
Zitat von Frankenstein im Beitrag #10Dass unregelmässige Verben im Deutschen keinen leichten Stand haben, liegt übrigens unter anderem daran, dass das Präteritum ausserhalb von Erzählungen einen eher schweren Stand hat, da wir im Deutschen in der Praxis nicht zwischen Past Tense und Present Perfect differenzieren.
Zwischen der einfachen und der zusammengesetzten Vergangenheit (wie es vielleicht besser hieße, da der Verbalaspekt im Deutschen nun einmal verkümmert ist) differenzieren wir insofern, als die Form zeigt, ob der Sprecher aus dem Norden oder Süden kommt: vielleicht auch eine nützliche Information.
Zitat von Frankenstein im Beitrag #10Irgendwann wird dann unterwegs halt nicht mehr benötigter Ballast abgeworfen - so funktionieren Sprachen nunmal.
Schmankerl am Rande: Ich entsinne mich sehr gut, wie sich während eines Seminars eine Deutschlehrerin mal darüber echauffierte, dass einer ihrer Schüler "Ich gehe Küche" gesagt hätte. Im Laufe der Zeit konnte der Linguist in mir sich für diese fast schon geniale Reduktion immer stärker erwärmen.
Dann müßte Ihnen Chinesisch zusagen? --- Vor gut 100 Jahren hat der Mathematiker G. Peano schon einmal ähnliche Betrachtungen angestellt und als Weltsprache "latino sine flexione" vorgeschlagen, also eine Sprache, die das lateinische Vokabular und eine auf quasi nichts reduzierte Grammatik verwendet. Das hat sich aber auch nicht durchgesetzt, sei es, weil dann eine Art kurioses Italienisch dabei herauskommt, sei es, weil eben die analytische Syntax (z.B. Subjekt - Prädikat - Objekt) nur demjenigen natürlich und selbstverständlich vorkommt, dessen Muttersprache diese Syntax hat. Im richtigen Latein (wie auch in deutschen Nebensätzen) kommt das Prädikat am Ende, und das hat doch auch seinen Reiz.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #13Noch zu beachten: der Unterschiede in den Soziolekten & den lokalen Varianten ("Dialekt" trifft's ja nicht ganz). Im Oldenburgischen ist "Kinder, kommt im Haus - fängt am Regnen" mündlich akzeptabel; bei schriftlicher Verwendung würds mich doch am Wundern fangen. (Und noch weiter nördlich: "sollt mir wündern.")
Getreu dem sehr westfälischen Motto: "Jede Mutter lobt seiner Butter"
Danke lieber Zettel, dass Sie dieses Thema aufgreifen. Mich schmerzen sprachliche Entgleisungen, besonders von Profis z.B. im Fernsehen. Habe sie mir früher notiert und gelegentlich einem sachkundigen Freund vorgetragen. Einem Sprachwissenschaftler mit Leidenschaft, der am "Grimm'schen Wörterbuch" in der DDR seine "Nische" gefunden hatte. Immer öfter passierte es mir, dass er meine Beanstandungen mit dem Hinweis auf die Weiterentwicklung der lebendigen Sprache rechtfertigte. Dies führe dazu, dass das ursprünglich Falsche durch den häufigen Gebrauch zum Richtigen wird. Ich habe es dann aufgegeben, solche "Entgleisungen" zu monieren. Aber ich zucke immer noch zusammen, wenn ich sie höre. Das gilt übrigens auch für das Entstehen neuer Wörter oder deren Sinnänderung.
Zitat Aber aus diesem Niedergang entwickelte sich doch die Sprache Dantes, die Sprache Racines und die von Cervantes. Vielleicht ist das ja ein Trost.
Diese Hoffnung habe ich auch, lieber Zettel.
Welches Deutsch wurde zur Zeit Goethes geschrieben und gesprochen?
Zitat von Karl im Beitrag #3 Aber natürlich könnte es sein, daß unsere Politdarsteller nach der Rechtschreibekomission demnächst eine Grammatikkomission ins Leben rufen werden, die dann die Abschaffung starker Verben beschlösse.
(Hervorhebung von mir.)
Herrlich, lieber Karl: "beschlösse"! Gerade habe ich mich dabei erwischt, dass ich, obwohl eigentlich mehr ein Sprachbewahrer, auch schon in's andere Lager abgedriftet bin. In diesem Zusammenhang hätte ich "beschließen würde" formuliert. Meinen Sprachwissenschaftlerfreund kann ich leider nicht mehr fragen. Herzlich Paul
Zitat von Karl im Beitrag #3 Aber natürlich könnte es sein, daß unsere Politdarsteller nach der Rechtschreibekomission demnächst eine Grammatikkomission ins Leben rufen werden, die dann die Abschaffung starker Verben beschlösse.
(Hervorhebung von mir.)
Herrlich, lieber Karl: "beschlösse"! Gerade habe ich mich dabei erwischt, dass ich, obwohl eigentlich mehr ein Sprachbewahrer, auch schon in's andere Lager abgedriftet bin. In diesem Zusammenhang hätte ich "beschließen würde" formuliert. Meinen Sprachwissenschaftlerfreund kann ich leider nicht mehr fragen. Herzlich Paul
Soll nicht ein jeder so reden dürfen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist? Sprache hat mit sozialer Herkunft zu tun; der Begriff Muttersprache drückt das aus. Wenn die Schulen das nicht ausgleichen, leidet dann die Chancengerechtigkeit? Ich denke schon. Die Schulen sind hier in der Pflicht. Ich war übrigens in Deutsch immer mittelmäßig, spreche aber meine Fremdsprache "besser" als viele Muttersprachler, und natürlich völlig dialektfrei.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Grund dieser "Sprachvereinfachung" Faulheit sein soll. Eher Unkenntnis, mangelnde Bildung. Es studieren mittlerweile breite Schichten, die dadurch in berufliche Positionen gelangen, die früher vielleicht den Eliten vorbehalten waren. Und bringen ihre Sprache mit. Wahrscheinlich lässt sich der Sprachwandel auch so erklären. Außerdem ist es doch so, dass unter jüngeren Sprechern in gewissen Situationen der Genitiv dem Sprecher sein gesellschaftlicher Tod sein kann ;)
"Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine"
Zitat von Paul im Beitrag #17Welches Deutsch wurde zur Zeit Goethes geschrieben und gesprochen?
Das umschriebene Kondizional statt des Konjunktivs war damals offenbar gang und gäbe; es findet sich z. B. bei Wieland passim und beim Geheimrat selbst ad nauseam, z. B.
Zitat von Goethe, 'Märchen'Wäre ein Goldstück ins Wasser gefallen, so würde der Strom, der dies Metall nicht leiden kann, sich in entsetzliche Wellen erhoben, das Schiff und mich verschlungen haben, und wer weiß, wie es euch gegangen sein würde!
Das hat möglicherweise damit zu tun, mit welcher Fremdsprache der Autor gerade als Vorbild für sein Deutsch vertraut ist (heute nennt man das wohl "sozialisiert"). Im 18. Jahrhundert war das gewiß das Französische, das zwischen dem Konjunktiv und dem Kondizional unterscheidet, sonst das Lateinische, das nur den Konjunktiv kennt.
Zitat von Karl im Beitrag #3Die Sprache ändert sich in der Tat, aber die starken Verben werden so schnell nicht verschwinden, denn "trug" zu sagen ist beispielsweise auch nicht anstrengender als "tragte".
Es ist, lieber Karl, anstrengender zu lernen. Sie haben Recht, auch die unregelmäßigen Verben unterliegen Regeln; aber eben vielen; und man sieht einem Wort nicht an, welchen Ablaut es verlangt (oder andere lautliche Änderungen, wie bei bringen --> brachte und nicht brang oder bringte).
Also mehr Lernaufwand; wie jeder weiß, der die unregelmäßigen Verben des Englischen gepaukt hat.
Aber - scheint mir, ich meine mich zu erinnern, daß es dazu auch Untersuchgungen gibt - auch mehr Transformationsaufwand bei der Sprachproduktion. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es Hinweise darauf (fragen Sie mich aber nicht welche ), daß im internal lexicon Verben mit ihrem Morphemstamm gespeichert sind. Bei der Sprachproduktion muß an diesen bei rgelmäßigen Verben nur -ed oder -te als Suffix angefügt werden. Bei unregelmäßigen Verben muß aber die korrekte Wortform individuell aufgesucht werden.
Zitat von IsaWolke im Beitrag #21Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Grund dieser "Sprachvereinfachung" Faulheit sein soll.
Ich meinte das, liebe IsaWolke, nicht als einen sozusagen persönlichen Vorwurf, sondern als Charakterisierung des Prinzips, das ich in dem Artikel so zu kennzeichnen versucht habe:
Zitat Die Sprache geht, so scheint es, den Weg des geringsten Widerstands. Jedenfalls heutzutage, jedenfalls in Deutschland. Es setzt sich diejenige Wortform, es setzt sich die syntaktische Variante durch, die am einfachsten zu erlernen ist, die zu verwenden die geringste Mühe macht. Es siegt das, was ich Fauldeutsch nennen möchte.
Das ist ein universelles Phänomen, wie eben beispielsweise die Entwicklung vom klassischen Latein zum Vulgärlatein zeigt.
Das gibt es ebenso im Französischen. Ich habe zum Beispiel als Übersetzung von "Ich habe Angst, daß er kommt" gelernt: Je crains qu'il ne vienne. Mit dem subjonctif und dem ne, das ausdrückt; Ich will ja, daß er nicht kommt. Das wird man im gesprochenen Französisch heute kaum noch hören; dort heißt es: Je crains qu'il vient.
Oder nehmen wir die Konjunktiv-Konstruktionen, die wir für das Englische pauken mußten:
If he comes, I will greet him
If he came, I would greet him.
If he had come, I would have greeted him
Und so fort. Das schleift sich alles ab. Nicht, weil die Individuen faul wären, sondern weil es dieses Prinzip zu geben scheint, daß das weniger Aufwendige sich durchsetzt. Das habe ich a bisserl provokativ als "Fauldeutsch" bezeichnet.
Zitat "auf eine gewisse Persönlichkeit schließen. So kann eine gepflegte Sprache auch (wieder) zu einem persönlichen Merkmal werden."
Sehr richtig. Eigentlich ein sehr schöner Effekt -- erlaubt er doch eine schnelle erste Klassifizierung des Menschen der vor einem steht. Eine Klassifizierung (andere sagen Vorurteil), die nach meiner persönlichen Erfahrung im Mittel als treffend sich erweist. Mittlerweile ließe sich eine bestimmte Gruppe von Personen, die sich nicht (mehr) über einzelne sozio-kulturelle Merkmale zusammenfassen lassen (niedriges Einkommen oder gewisser Bildungsstand oder Migrationshintergrund oder...) über einen neuen -- von der politischen Korrektheit daher noch nicht erfassten -- Begriff subsumieren. Ich spreche zwecks der (natürlich und bewusst abfällig konnotierten) Bezeichnung dieser Gruppe gerne von "den Präpositionslosen". Im Mittel fällt diese Gruppe mit dem zusammen, was ich gemeinhin als Unterschicht bezeichnete.
Zu dem von Zettel angesprochenen Dativ-E (noch erhalten in: das Kind im Manne, nach Hause gehen, die Haare stehen einem zu Berge): Im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten findet sich das Dativ-E überraschender Weise noch bis in die 1950er Jahre. Mittlerweile "ertappe" ich mich selbst dabei zuweilen in diese Sprache zu verfallen -- natürlich nur schriftlich. Dazu eine Frage an die Fachkundigen: Gilt die Verwendung in einer gehobenen Schriftsprache lediglich als veraltet oder in irgendeiner Weise als "falsch"? Für mein Sprachgefühl ist das Dativ-e in vielen Fällen einfach die schönere Wahl, weil es etwas "Verbindendes" hat. Besser kann ich es nicht ausdrücken, es ist einfach ein Gefühl. Im Zuge der umfangreichen Lektüre älterer Texte wurden mir auch die Vorzüge der bewussten Verwendung von "dieses" und "jenes" wieder klar. (Ein Computer und ein Fernseher stehen auf einem Tisch. Jener war teurer als dieser.) In dieser Verwendung hatte ich die beiden Ausdrücke gar nicht mehr im Bewusstsein. Die Liste ließe sich wohl fortführen, aber dann führt es endgültig vom Thema fort.
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