In den Lettres Persanes verwendet Montesqieu den Kunstgriff, sein zeitgenössisches Frankreich des frühen 18. Jahrhunderts in Form von Briefen zu beschreiben, die zwei durch das Land reisende Perser nach Hause schicken; verwundert ob der Sitten und Gebräuche, die sie antreffen.
Ist es Zufall, dass die Bertelsmann-Gruppe Hauptanteilseigner sowohl des STERN als auch von RTL ist?
Zitat von ZettelAm vergangenen Sonntag wurde gemeldet, daß 57 Prozent der Deutschen den "Vorfall" an der Stuttgarter Hotelbar, den inzwischen ganz Deutschland kennt, für "skandalös" halten. Gestern wurde gemeldet, daß die Nominierungskommission für den Grimme-Preis, Sparte Unterhaltung, die als "Dschungelcamp" bekannte Sendung von RTL für den Grimme-Preis nominiert hat.
Die Umfrage nehme ich nicht ernst, die Nominierungskommission auch nicht und der Grimme-Preis ist so wertvoll wie die Krone des Dschungelkönigs.
Deutschland hat ein ernstzunehmendes Medienproblem.
Der Umfrage traue ich kein Stück. Vermutlich hat man die Frage so sinnentstellt, daß man gar nicht anders antworten konnte, wenn man sich nicht zum Sexisten machen wollte. Ähnlich hat man das im Lokalblättchen Nordbayrischer Kurier gehandhabt, als bei einer Umfrage die Reporterin frug: "Finden sie es in Ordnung, wenn ein Politiker zu einer Frau sagt, bei ihrer Oberweite könne sie eigentlich alles tragen?"
Ebenfalls kann ich die permanenten Hinweise auf die Notwendigkeit dieser "Debatte" nicht verstehen. Da ist gar nichts notwendig. Die Emotionalität rührt eher daher, daß das übliche Klientel wieder einmal versucht, zu zündeln, um die eigene Macht auszubauen. Dazu scheint ja selbst eine Radikalisierung in die entgegengesetzte, diesmal tugendhafte Richtung nicht zu blöde. Mit aufrichtiger Tugendhaftigkeit hat das aber überhaupt nichts zu tun. Wenn man den Kommentarspalten im Internet glauben kann, scheint der "weiße Mann", um dessen Abschaffung es geht, allerdings etwas gemerkt zu haben und ist nicht willens, einfach klein beizugeben. Selbst in linken Medien. Daher die Heftigkeit.
Und was das Dschungelcamp angeht: In einem Land, in dem eine Ethikkommission über Energieerzeugung urteilt, wird eine Sendung, in der Frauen Tierpenisse essen, eben für den Grimme-Preis nominiert. Auch eine Form der Radikalisierung.
Zitat von Zettel im Beitrag #1In den Lettres Persanes verwendet Montesqieu den Kunstgriff, sein zeitgenössisches Frankreich des frühen 18. Jahrhunderts in Form von Briefen zu beschreiben, die zwei durch das Land reisende Perser nach Hause schicken; verwundert ob der Sitten und Gebräuche, die sie antreffen.
Keine Ahnung, was sie schreiben würden. Inzwischen hätten sie aber den lesenswerten niederländischen Kulturphilosophen Johan Huizinga zur Kenntnis nehmen können. Der beschreibt in "In de schaduwen van morgen" (1935) den Geist, der mir hier beiderseits zugrunde zu liegen scheint unter dem Titel "Puerilismus". In seinem in Deutschland bekannteren Werk "Homo Ludens" nimmt er diesen Begriff wieder auf, der "den Habitus des Vorpubertätszeitalters als maßgebend für eine Geisteshaltung hinstellt und etwas zwischen Kindlichkeit und jünglingshafter Unausgeglichenheit" ausdrücke. Der Begriff hat nur bei wenigen Einzug ins Vokabular gefunden, aber er trifft die Sache doch recht gut. In den "schaduwen" heißt die Definition, um einmal eine Kostprobe der Originalsprache zu geben: "Puerilisme willen wij de houding noemen van een gemeenschap, die zich onmondiger gedraagt, dan de staat van haar onderscheidingsvermogen haar zou veroorloven, die, in plaats van den knaap tot den man op te trekken, haar gedragingen aan die van den knapenleeftijd adapteerd." - Eine schöne Definition, nicht nur wegen der Sprache.
Nachahmungen von Montesquieu gab es ja in den letzten 300 Jahren einige - vom Englischen The Turkish Spy (der sogar noch vor den Persischen Briefen datiert), den Papalagi von Scheurmann, Sir Galahads Kegelschnitte Gottes, am bekanntesten Rosendorfers Brief in die chinesische Vergangenheit - alles im Grund ziemlich harmlose Satiren, die den unschuldig-staunenden Blick beibehalten wollen, aber nicht auf Kinder als Protagonisten zurückgreifen können, weil sonst die satirische Folie entfällt, die als Kontrast benötigt wird.
Auch wenn man Freuds Anatomie der menschlichen Psyche für schlicht falsch hält - vielleicht hilft hier weiter, mit seinem begrifflichen Besteck zu operieren. Was im Dschungelcamp ja bis zum Erbrechen wieder-&-wider wiedergekäut (sit venia verbo) wird, ist der Ekel ("Ekel, Ekel, Ekel - wehe mir!", so Nietzsche als Zarathustra). Hier wurde schon das Beispiel vom "Regenwürmer essen, gegen 5 Mark im Kindergarten" erwähnt. Kommt vor: aber spätestens mit der Pubertät wächst sich das doch aus, wenn nicht gar mit 8 oder 9 Jahren. Also in einem Alter, im dem - zumindest früher - die Sexualität noch tabu ist. Man wußte vielleicht: da ist etwas, aber es setzte keine Saiten in Schwingung & präsent war, daß es off limits war, und das eben nicht aus Furcht vor Bestrafung. Insofern scheinen hier zwei Seiten derselben Medaille in der uferlosen Regression bedient zu werden.
Zitat von Frankenstein im Beitrag #6Die Schnittmenge von Zuschauern des Dschungelcamps und Mitgliedern der ökosozialistischen Eliten dürfte ziemlich klein sein.
90 Prozent der Deutschen verlangen laut der Umfrage für "Bild" eine Entschuldigung Brüderles. Der Marktanteil von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" lag an den besten Tagen deutlich über 40 Prozent. Macht ohne Schnittmenge ungefähr 130 Prozent.
Ich bin der Meinung, dass sich diese Nation überhaupt nicht verändert hat. Schauen Sie sich mal diesen Artikel des Daily Telegraph-Korrespondent Andrew Gimson aus dem SPIEGEL von 1997 an. Aktualisieren Sie die Namen des politischen Personals und siehe da, es hat sich nicht verändert.
Zitat Was würden die beiden, Usbek und sein junger Freund Rica, wohl von einer Reise durch das Deutschland des Jahres 2013 berichten?
Das Interesse an der Selbstreflektion scheint den Deutschen im Wesentlichen abhanden gekommen zu sein, was sehr schade ist. Insofern wäre man an den Berichten fremder Reisender heute wohl kaum noch interessiert. Man wäre vielmehr geneigt, wenn die Reisenden beginnen, aus ihrer Heimat zu berichten, ihren Berichten keinen Glauben zu schenken, sondern sie zu korrigieren, wenn die Schilderungen den eigenen Sichtweisen allzu sehr widersprechen.
Man sollte eigentlich annehmen, dass ein Land, in dem so unterschiedliche Kulturen nebeneinander existieren können, ein Musterbeispiel des Pluralismus ist. Das wäre im Grunde kein unerfreulicher Zustand, wenn denn eine friedliche Koexistenz gewährleistet wäre. Da könnte Herr Brüderle im kleinen Kreis an der Bar Herrenwitze machen, Frau Reich und Herr Hoidn-Borchers könnten sich über den gesellschaftlich akzeptierten Sexismus echauffieren, das Dschungelcamp könnte Millionen Zuschauer anlocken, und kulturkritische Fernsehschaffende im Öffentlich-Rechtlichen könnten diese Art der Unterhaltung laut kritisieren.
Leider funktioniert Deutschland nicht so. Stattdessen wird stets wieder versucht, per Regulierung die Sichtweise, die nicht mit der eigenen übereinstimmt, verbieten oder wenigstens gesellschaftlich ächten zu lassen. Und viele Bürger sind offenbar mit Leib und Seele Untertanen, bzw. mangels zugehörigem 'Obertan' dann eben Konformisten, so dass sie sich nach Kräften bemühen, die jeweils gerade vorgeschriebene Sicht der Dinge zu ihrer eigenen zu machen. Das erklärt, warum plötzlich so viele Deutsche gegen Kernkraft waren und auch, warum jetzt überwältigende Mehrheiten Brüderles Entschuldigung fordern. Diese Manipulierbarkeit von Menschen, die sich nichts mehr wünschen denn als rechtschaffen und tugendhaft angesehen zu sein, setzt selbstverständlich auch den Anreiz, von solcher Manipulation Gebrauch zu machen.
Das Redigieren des Kanons akzeptabler Sichtweisen ist allerdings keineswegs unilateral, und es findet auch dort nicht statt, wo man sich keine ernsthaften Erfolgschancen ausrechnet. Eine Partei, die mit der Fünf-Prozent-Hürde kämpft, kann man recht gefahrlos öffentlich zerfleischen. Weiße alte Männer auch - denn die sind längst zu einer Minderheit geworden. Die Hyäne folgt dem schwachen Tier, weil sie sich ausrechnet, dass sie es besiegen kann. Und die Manipulateure an unterschiedlichen Fronten beobachten sehr genau, wo es ihnen gelingen könnte, angefehdete Personen, Institutionen oder Werte zu demontieren, die schwach genug geworden sind.
Demgegenüber wäre es töricht, sich mit zu starken Gegnern anzulegen. Das Verhalten manch anderer Männer mag weit verachtenswerter sein als das des Herrn Brüderle, und auch weit größeren Schaden anrichten. Aber die Gruppe jener Männer ist stark, daher wird sie gar nicht als Ziel wahrgenommen. Man handelt pragmatisch und ökonomisch, investiert also keine Energie in Feinde, die vorerst unbesiegbar scheinen. Vor allem aber handelt man nicht im Sinne eines Wertekanons, sondern eher paradox-pluralistisch: Die wahrgenommenen Feinde können auch für dasselbe zerrissen werden, für das die wahrgenommenen Freunde gelobt werden, siehe Brüderle vs. Dschungelcamp. Und selbstverständlich scheut man sich auch nicht, sich selbst für seinen gerechten Kampf mit Lorbeeren zu überhäufen, so wohlfeil das eigene Engagement auch gewesen sein mag. Auf das Eigenlob verzichtet man selbst dann nicht, wenn die Feinde, gegen die man heroisch zu Felde zog, von wo man nun siegreich heimkehrt, gestern noch Freunde waren, die man im Wahlkampf als Groupie begleitete.
Zitat von Zettel im Beitrag #7 90 Prozent der Deutschen verlangen laut der Umfrage für "Bild" eine Entschuldigung Brüderles.
ohoh... lieber Zettel, da fallen Sie aber auf ein statistisches Artefakt herein. Die "Umfrage" ist keinesfalls repräsentativ (und selbst eine solche würde Probleme bei der Beurteilung aufwerfen). Der tatsächliche Anteil der Bevölkerung, die von dem Mann Rainer eine Entschuldigung für sein "aus der Zeit gefallenes Balzverhalten" forderte, dürfte deutlich geringer sein als der Anteil, der vom 'arroganten FDP-Politiker Brüderle' eine Entschuldigung für seine 'sexuelle Übergriffe' gegenüber dem 'armen kleinen, unschuldigen, blonden Mädchen' fordert.
Zitat Der Marktanteil von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" lag an den besten Tagen deutlich über 40 Prozent.
Die "Quote" wird doch aber auch durch ein künstliches System erhoben. Die 5000 Haushalte, in denen sie erhoben wird, können einfach nicht die Realität abbilden.
Zitat von Frankenstein im Beitrag #6Die Schnittmenge von Zuschauern des Dschungelcamps und Mitgliedern der ökosozialistischen Eliten dürfte ziemlich klein sein.
90 Prozent der Deutschen verlangen laut der Umfrage für "Bild" eine Entschuldigung Brüderles. Der Marktanteil von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" lag an den besten Tagen deutlich über 40 Prozent. Macht ohne Schnittmenge ungefähr 130 Prozent.
Herzlich, Zettel
Ich habe meine Zweifel, dass 90% der Bevölkerung Brüderle überhaupt kennen, geschweige denn von dieser vermeintlichen "Affäre" gehört haben. Der Anteil derjenigen, die sich für diesen Vorfall auch nur ansatzweise interessieren, dürfte weit unter 50% liegen.
Zitat von adder im Beitrag #10Die "Umfrage" ist keinesfalls repräsentativ (und selbst eine solche würde Probleme bei der Beurteilung aufwerfen). (...) Die "Quote" wird doch aber auch durch ein künstliches System erhoben. Die 5000 Haushalte, in denen sie erhoben wird, können einfach nicht die Realität abbilden.
Wieso nicht, lieber adder? Wieso ist eine demoskopische Umfrage nicht repräsentativ? Wieso sind es nicht die Panels der GFK?
Natürlich ist jeder Schluß von einer Stichprobe auf die Grundgesamtheit mit einem Stichprobenfehler behaftet. Wie gering man ihn machen kann, wenn man große Stichproben zur Verfügung hat und die richtigen mathematischen Modelle verwendet, hat bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen Nate Silver gezeigt.
So gut sind solche Erhebungen wie die jetzigen natürlich nicht; aber repräsentativ sind sie dennoch.
Amüsant und interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch den Erfolg der "Shades of Grey" Romanserie. Wenn ich das richtig verstanden habe geht es darin um eine junge Frau die einem Mann, zu dessen Vorlieben vor allem sämtliche Variationen von SM gehören, sexuell hörig wird. Ich unterstelle jetzt einfach mal, dass dieser Roman vorwiegend von Frauen gelesen wird und diese vorwiegend einen gewissen Bildungsgrad aufweisen. Zumindest sind dies die Beobachtungen die ich täglich im öffentlichen Nahverkehr machen kann.
Da wird nun also auf der einen Seite einem Mann, der Abends an der Hotelbar ein paar billige Anmachsprüche vom Stapel lässt, Sexismus vorgeworfen und auf der anderen Seite von einer großen Anzahl von Frauen (Amazon Verkaufsränge 1, 2 und 3, Spiegel Bestseller Liste Plätze 1, 2 und 3) ein Roman verschlungen in dem sich eine Frau einem Mann sexuell unterwirft.
Das Problem unserer heutigen Medienlandschaft sehe ich vor allem in der selektiven Aufbauschung von Empörungen. Selektiv, da bei weitem nicht jede Gruppe der Empörten in den Genuss der wohlwollenden medialen Aufmerksamkeit kommt. Berichtet wird was in den grünen Moralkanon passt. Dass der, der am lautesten schreit dabei bei weitem nicht immer die Mehrheit repräsentiert, wird dabei großzügig übergangen, aber im Nachhinein dann doch oft schmerzhaft deutlich. So war eben doch keine Mehrheit gegen Stuttgart 21, so will eben doch nicht jeder Ägypter eine pluralistische *hüstel* Demokratie nach westlichem Vorbild und so sieht vermutlich auch keine Mehrheit im Sexismus eines der dringendsten Probleme in Deutschland.
Interessant in diesem Zusammenhang fand ich die Meldung, dass die Organisation "Reporter ohne Grenzen" in ihrem Bericht zur Pressefreiheit in Bezug auf Deutschland vor allem die fehlende Vielfalt in der Presselandschaft anprangert. Dem bliebt nichts hinzuzufügen.
Zitat von Nikosch im Beitrag #13 Interessant in diesem Zusammenhang fand ich die Meldung, dass die Organisation "Reporter ohne Grenzen" in ihrem Bericht zur Pressefreiheit in Bezug auf Deutschland vor allem die fehlende Vielfalt in der Presselandschaft anprangert. Dem bliebt nichts hinzuzufügen.
Aber nicht doch. Die beklagte "abnehmende Vielfalt" bezieht sich auf Konzentrationsprozesse und daraus resultierende geringere Zahl an Redaktionen. Von Meinungsvielfalt ist nicht die Rede.
Zitat von Nikosch im Beitrag #13 Interessant in diesem Zusammenhang fand ich die Meldung, dass die Organisation "Reporter ohne Grenzen" in ihrem Bericht zur Pressefreiheit in Bezug auf Deutschland vor allem die fehlende Vielfalt in der Presselandschaft anprangert. Dem bliebt nichts hinzuzufügen.
Aber nicht doch. Die beklagte "abnehmende Vielfalt" bezieht sich auf Konzentrationsprozesse und daraus resultierende geringere Zahl an Redaktionen. Von Meinungsvielfalt ist nicht die Rede.
Ist das so, lieber Reinhard?
Ich habe mir jetzt die WebSite von RSF angesehen und auch den diesjährigen Report als PDF-Datei heruntergeladen. Außer der Plazierung auf Rang 17 habe ich über Deutschland überhaupt keine näheren Angeben gefunden. Könnten Sie Ihre Quelle nennen?
Der Index wird ja ziemlich kompliziert berechnet, es gehen viele Faktoren ein. Wieso Deutschland auf Rang 17 sitzt, noch hinter Jamaika, würde mich schon sehr interessieren.
Zitat von Nikosch im Beitrag #13Das Problem unserer heutigen Medienlandschaft sehe ich vor allem in der selektiven Aufbauschung von Empörungen. Selektiv, da bei weitem nicht jede Gruppe der Empörten in den Genuss der wohlwollenden medialen Aufmerksamkeit kommt. Berichtet wird was in den grünen Moralkanon passt. Dass der, der am lautesten schreit dabei bei weitem nicht immer die Mehrheit repräsentiert, wird dabei großzügig übergangen, aber im Nachhinein dann doch oft schmerzhaft deutlich. So war eben doch keine Mehrheit gegen Stuttgart 21, so will eben doch nicht jeder Ägypter eine pluralistische *hüstel* Demokratie nach westlichem Vorbild und so sieht vermutlich auch keine Mehrheit im Sexismus eines der dringendsten Probleme in Deutschland.
Ich stimmt Ihnen zu, lieber Nikosch, befürchte aber einen Rückkopplungseffekt.
Es gibt eine interessante Beobachtung bei Meinungen über Präsidentschafts- und ähnliche Debatten. Unmittelbar nach Schluß der Übertragung finden viele Zuschauer beide Kandidaten ungefähr gleich gut. Fragt man in den Tagen danach, dann hat auf einmal einer bei den Zuschauern "gewonnen" (aus der Erinnerung zitiert; eine Quelle müßte ich recherchieren). Was ist da passiert? Inzwischen haben die Zuschauer das Echo in der veröffentlichten Meinung zur Kenntnis genommen und ihre eigene Meinung dem angepaßt. Die Parteistrategen wissen das, und deshalb ruft jede Seite ihren Kandidaten sofort zum Sieger aus, kaum sind die Mikrophone abgeschaltet.
Es gibt eine Rückkkopplung, die wie ein Verstärker wirkt. Ein vielleicht kleiner Vorsprung eines Kandidaten wird dadurch, daß über ihn berichtet wird, zu einem immer größeren Vorsprung.
So dürfte das, denke ich, auch bei Themen wie Sexismus sein. Wie Sie vermute ich, daß das den meisten Deutschen nicht auf den Nägeln brennt; es ist ein Minderheitenthema. Aber wenn sie den Eindruck haben, daß das von aller Welt als ein "ganz wichtiges" Thema betrachtet wird, dann schließen sie sich dem an. Je mehr darüber berichtet wird, um so mehr Menschen schließen sich der Meinung an, die sie für die Mehrheitsmeinung halten. Und je mehr sich anschließen, umso mehr wird berichtet. Am Ende ist es wirklich die Meinung einer großen Mehrheit.
So war es ja mit vielen der rotgrünen Themen - Atomkraft, Klima, Biokost, Energiespare usw. waren alles einmal ausgesprochene Minderheitenthemen. Mit ihrem langen Marsch durch die Institutionen - die Schulen und Unis, vor allem die Medien - haben diejenigen, denen diese Themen über alles wichtig sind, sie allmählioh zu Mehrheitsthemen gemacht; mit Hilfe dieser Art von Rückkopplung.
Das Zitat auf der Seite von Reporter ohne Grenzen auf das sich Reinhard vermutlich bezieht ist folgendes:
Zitat Problematisch ist hier vor allem die abnehmende Vielfalt der Presse: Aus Geldmangel arbeiten immer weniger Zeitungen mit eigener Vollredaktion, mehrere Redaktionen wurden 2012 komplett geschlossen. Gleichzeitig investieren Unternehmen und PR-Agenturen steigende Summen, um ihre Inhalte in den Medien unterzubringen. (Quelle: http://www.reporter-ohne-grenzen.de)
Dieses kann man meiner Meinung nach jedoch so oder so interpretieren. Natürlich wird dort als Grund für die abnehmende Vielfalt explizit die Abnahme der Redaktionen genannt und somit eher die strukturelle Vielfalt angesprochen. Diese alleine kann aber kein Grund für eine mittelmäßige Platzierung sein, wenn ansonsten die Meinungsfreiheit und -vielfalt gewährleistet sind. Der anschließende Hinweis auf die Einflussnahme von Unternehmen und PR-Agenturen ist für mich jedoch ein eindeutiger Hinweis darauf, dass auch durchaus eine Einbuße der Meinungsvielfalt gesehen wird.
Zitat Problematisch ist hier vor allem die abnehmende Vielfalt der Presse: Aus Geldmangel arbeiten immer weniger Zeitungen mit eigener Vollredaktion, mehrere Redaktionen wurden 2012 komplett geschlossen.
Hier argumentieren die Reporter m. E. aus eigener Betroffenheit. Jede geschlossene Redaktion bedeutet für sie ja Arbeitsplatzverluste. Für die Meinungsfreiheit bzw. die Pressevielfalt ist die Zahl der Vollredaktionen aber nicht direkt relevant. Es kommt viel mehr darauf an, wie eigenständig diese Vollredaktionen sind.
Es würden ja durchaus einige Dutzend Vollredaktionen reichen, um in einem Land wie Deutschland einen sehr vielfältigen Pluralismus zu gewährleisten. Wenn die denn unabhängig voneinander wären und ordentliche Arbeit machen.
Wir haben aber historisch gewuchert ein ganz anderes Modell: Wir haben hunderte von Redaktionen, die als eigene Qualität eigentlich nur den jeweiligen Lokalteil haben (dort sind sie dann meist ohne Konkurrenz und oft schwach). Und dann haben sie ein paar Hansels im Deutschland-, Ausland-, Wirtschafts- oder Kultur-Teil sitzen, die eigentlich nur das machen, was alle anderen Kollegen machen: Abschreiben, was SpOn und SZ vormachen. Es gibt halt keine spezielle Buxtehuder oder Wunsiedeler Sicht auf die Bundespolitik.
Zitat von Zettel im Beitrag #15 Ist das so, lieber Reinhard?
Ich habe mir jetzt die WebSite von RSF angesehen und auch den diesjährigen Report als PDF-Datei heruntergeladen. Außer der Plazierung auf Rang 17 habe ich über Deutschland überhaupt keine näheren Angeben gefunden. Könnten Sie Ihre Quelle nennen?
Der Index wird ja ziemlich kompliziert berechnet, es gehen viele Faktoren ein. Wieso Deutschland auf Rang 17 sitzt, noch hinter Jamaika, würde mich schon sehr interessieren.
Von Gewichtungen hatte ich nicht gesprochen, sondern war nur darauf eingegangen, was "Reporter ohne Grenzen" unter der "Vielfalt" versteht, deren Verlust sie beklagt. Und ich hatte (und habe) den Eindruck, das mein Vorredner diese Klage eben etwas anders verstanden hatte. Oder die Berichterstattung über selbige.
Ich hatte mir das Originaldokument überhaupt nur angesehen, weil ich mir nicht denken konnte, das eine NGO sich über eine etwaige Minder-Repräsentation z.B. liberaler oder konservativer Meinungen in Deutschland beschweren würde. Oder irgendwelcher anderer.
Zitat von ZettelIch stimmt Ihnen zu, lieber Nikosch, befürchte aber einen Rückkopplungseffekt.
Das kommt doch sehr der Noelle-Neumannschen "Schweigespirale" nahe: Nicht nur, dass die behauptete Mehrheit per Rückkopplung nach und nach zu einer tatsächlichen wird, auch die wenigen Gegenstimmen werden deswegen immer leiser und verstärken dadurch die Lautsprecher in ihrer Wirkung.
Ich weiß nicht, worauf es zurückzuführen sein könnte, vielleicht auf meine Jugend als Katholik in der Diaspora und als Jungunionist in einer links dominierten Peer Group, jedenfalls sorgt es bei mir jedes Mal für Erschrecken und Nachdenken, wenn ich feststelle, dass meine Meinung auch die der Mehrheit ist. Die Einstellung bewahrt übrigens nicht nur vor politischer, sondern auch kommerzieller Manipulation - wer nicht immer der Herde nachläuft, kann viel Geld sparen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat von Hermes im Beitrag #9Das Interesse an der Selbstreflektion scheint den Deutschen im Wesentlichen abhanden gekommen zu sein, was sehr schade ist. Insofern wäre man an den Berichten fremder Reisender heute wohl kaum noch interessiert. Man wäre vielmehr geneigt, wenn die Reisenden beginnen, aus ihrer Heimat zu berichten, ihren Berichten keinen Glauben zu schenken, sondern sie zu korrigieren, wenn die Schilderungen den eigenen Sichtweisen allzu sehr widersprechen.
Die Deutschen korrigieren inzwischen ja auch alte Literatur, weil sie den Spagat zwischen dem Jetzt und der Historie nicht mehr schaffen. Die Engstirnigkeit ist neuer Volkscharakter.
Von Gewichtungen hatte ich nicht gesprochen, sondern war nur darauf eingegangen, was "Reporter ohne Grenzen" unter der "Vielfalt" versteht, deren Verlust sie beklagt. Und ich hatte (und habe) den Eindruck, das mein Vorredner diese Klage eben etwas anders verstanden hatte. Oder die Berichterstattung über selbige.
Ich hatte mir das Originaldokument überhaupt nur angesehen, weil ich mir nicht denken konnte, das eine NGO sich über eine etwaige Minder-Repräsentation z.B. liberaler oder konservativer Meinungen in Deutschland beschweren würde. Oder irgendwelcher anderer.
Danke! Das hatte ich nicht gefunden, weil ich nur in englischsprachigen Dokumenten gesucht hatte. Offenbar gibt es aber eine selbständige deutsche Organisation "Reporter ohne Grenzen"; bestehend jedenfalls aus Ulrike Gruska und Christoph Dreyer, die ihre Dokumente noch nicht einmal auf Englisch veröffentlicht (oder ich habe es nicht gefunden).
Sie haben Recht, lieber Reinhard: Jedenfalls in diesem Text ist von mangelnder Meinungsvielfalt nicht die Rede. Beklagt wird die Konzentration (die freilich wenig mit Pressefreiheit zu tun hat; sondern an wirtschaftlichen Problemen der Printmedien liegt); sodann das Fehlen von Informationsfreiheitsgesetzen in einigen Bundesländern, unzureichende Information durch Behörden, Bedrohungen durch Neonazis und Islamisten (Autonome fehlen seltsamerweise) und ein Prozeß in Sachsen gegen Journalisten wegen dessen, was sie über angebliche (so auch in dem Text) Kontakte von Justizbeamten ins Rotlichtmilieu berichtet hatten.
Mit Pressefreiheit als einer gesetzlichen und auch in der Praxis wirksamen Garantie, frei berichten zu können, hat das nach meinem Dafürhalten alles wenig zu tun. Die Autoren verwechseln Pressefreiheit mit den Arbeitsbedingungen für Journalisten.
Zitat von Zettel im Beitrag #15 Wieso Deutschland auf Rang 17 sitzt, noch hinter Jamaika, würde mich schon sehr interessieren.
Weil in deutschen Redaktionsstuben kein Gras geraucht wird? Was aber nichts macht: eine derart benebelte & auf Wolke Nr. 7 schwebende Sicht auf den Weltlauf, von Klimagrusel bis zur Weltrettung durch Negerkönigsindizierung produzieren unsere Quallitätsmedien auch THC-frei, gänzlich unbeflügelt vom Schwarzen Marokkaner. Insofern ist die Plazierung dieser Ratingagentur wieder mal echt-voll die totale Ungerechtigkeit.
Zitat von Zettel im Beitrag #15 Wieso Deutschland auf Rang 17 sitzt, noch hinter Jamaika, würde mich schon sehr interessieren.
Weil in deutschen Redaktionsstuben kein Gras geraucht wird?
Dafür habe ich immerhin in den Räumlichkeiten einer süddeutschen Lokalzeitung einen gut frequentierten Bierautomaten (Marke: Augustiner Hell) entdeckt!
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Zitat von adder im Beitrag #10Die "Umfrage" ist keinesfalls repräsentativ (und selbst eine solche würde Probleme bei der Beurteilung aufwerfen). (...) Die "Quote" wird doch aber auch durch ein künstliches System erhoben. Die 5000 Haushalte, in denen sie erhoben wird, können einfach nicht die Realität abbilden.
Wieso nicht, lieber adder? Wieso ist eine demoskopische Umfrage nicht repräsentativ? Wieso sind es nicht die Panels der GFK?
Natürlich ist jeder Schluß von einer Stichprobe auf die Grundgesamtheit mit einem Stichprobenfehler behaftet. Wie gering man ihn machen kann, wenn man große Stichproben zur Verfügung hat und die richtigen mathematischen Modelle verwendet, hat bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen Nate Silver gezeigt.
So gut sind solche Erhebungen wie die jetzigen natürlich nicht; aber repräsentativ sind sie dennoch.
Herzlich, Zettel
Zur Demoskopie in der Bild: ich gebe zu, dass ich das falsch verstanden hatte: ich war von einem >>poll<< auf deren Website ausgegangen. Aber auch die EMNID-Umfrage macht ja Probleme bei der Bewertung - angefangen von der bis jetzt unklaren Fragestellung bis hin zum Schäm-Effekt, der sicher auch den einen oder die andere dazu gebracht hat, nicht zuzugeben, dass sie nicht denken, Brüderle müsse sich entschuldigen. EMNID befragt etwa 3000 Menschen, die aufgrund eines selbstgemachten Schemas zusammengesucht werden. Das ist nicht irgendwie nicht die Größe, die ich bei einer Grundgesamtheit von 80 Mio. für ausreichend halten würde - allerdings wurde ich schon einmal bei dieser Art von Umfrage eines besseren belehrt.
Zu den Panels: da völlig unklar ist, wie diese Panels überhaupt ausgewählt werden, kann ich nur annehmen, dass die gfk versucht, eine repräsentative Größe zu erreichen. Da sind aber durch die Zersplitterung des Medienmarktes und die Tatsache, dass sicher nicht jeder Teilnehmer auch zu jeder Zeit konsumieren will, meiner Ansicht nach noch größere Stichprobenumfänge nötig, als für die einfache "Ja/Nein"-Frage.
Natürlich kann die Aussage immer noch richtig sein - trotz aller Fehlerquellen. Aber es ist eben eine Aussage aufgrund eines statistischen Verfahrens mit einem akzeptierten Fehlergrad (wahrscheinlich 5%) und einem (wohl wahrscheinlich) 95% Konfidenzintervall.
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