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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 97 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3 | 4
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

31.01.2013 00:01
Sieben Jahre in Mali Antworten

Diarra hat bereits hier im Forum höchst Informatives über Mali geschrieben. Ich habe mich gefreut, daß er auf meine Anfrage hin zugesagt hat, eine Serie über Mali zu schreiben, deren erste Folge sich mit den Vorboten der jetzigen Krise befaßt.

patzer Offline



Beiträge: 359

31.01.2013 08:38
#2 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Danke!Und wieder werden wir besser informiert als von den ÖR-Clowns.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

31.01.2013 09:46
#3 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #1
Diarra hat bereits hier im Forum höchst Informatives über Mali geschrieben. Ich habe mich gefreut, daß er auf meine Anfrage hin zugesagt hat, eine Serie über Mali zu schreiben, deren erste Folge sich mit den Vorboten der jetzigen Krise befaßt.


Auch vielen Dank für den Bericht. Warum man sich wundern müsste, dass Ghaddafi an der Militärprade 2010 teilgenommen hat und von der 'Musterdemokratie' hofiert wurde, konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Erstens hatte er ja wohl ganz spezielle Beziehungen zu Mali (wohl nicht nur familiäre), zweitens wurde Ghaddafi von ganz anderen 'Musterdemokratien' hofiert (Frankreich, Italien), also nichts außergewöhnliches.

Gruß, Martin

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

31.01.2013 10:09
#4 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat von Martin im Beitrag #3
Warum man sich wundern müsste, dass Ghaddafi an der Militärprade 2010 teilgenommen hat und von der 'Musterdemokratie' hofiert wurde, konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Erstens hatte er ja wohl ganz spezielle Beziehungen zu Mali (wohl nicht nur familiäre), zweitens wurde Ghaddafi von ganz anderen 'Musterdemokratien' hofiert (Frankreich, Italien), also nichts außergewöhnliches.

Was es aber ja nicht besser macht, lieber Martin. Und in Paris oder Rom hätte man wohl bei einer Parade Gaddafi nicht unbedingt gegenüber den anderen Staatsmännern bevorzugt behandelt.

Einer der Fehler in der westlichen Beurteilung des Gaddafi-Regimes war es aus meiner Sicht, daß man ihn nur als einen Araber gesehen hat, zwischen dem arabischen Tunesien und dem arabischen Ägypten herrschend; mit jedem der beiden Nachbarn versuchte Gaddafi Anfang der siebziger Jahren sogar einen gemeinsamen Staat zu bilden.

Aber Gaddafi war eben nicht nur ein Araber, sondern auch ein halber Tuareg mit starken Bindungen zu Schwarzafrika, von wo viele seiner Söldner kamen. Für arme Länder wie Mali war andererseits Gaddafi so etwas wie der reiche Onkel.

Herzlich, Zettel

Martin Offline



Beiträge: 4.129

31.01.2013 10:49
#5 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #4
Was es aber ja nicht besser macht, lieber Martin. Und in Paris oder Rom hätte man wohl bei einer Parade Gaddafi nicht unbedingt gegenüber den anderen Staatsmännern bevorzugt behandelt.

Einer der Fehler in der westlichen Beurteilung des Gaddafi-Regimes war es aus meiner Sicht, daß man ihn nur als einen Araber gesehen hat, zwischen dem arabischen Tunesien und dem arabischen Ägypten herrschend; mit jedem der beiden Nachbarn versuchte Gaddafi Anfang der siegziger Jahren sogar einen gemeinsamen Staat zu bilden.

Aber Gaddafi war eben nicht nur ein Arber, sondern auch ein halber Tuareg mit starken Bindungen zu Schwarzafrika, von wo viele seiner Söldner kamen. Für arme Länder wie Mali war andererseits Gaddafi so etwas wie der reiche Onkel.

Herzlich, Zettel



Nun ja, lieber Zettel,

so hatte ich das bisher auch eingeschätzt, deshalb hätte ich ja auch nicht viel wundernwertes dabei gefunden, dass Gaddafi in Mali hofiert wurde.

Stellen sich die Anschuldigungen gegen Sarkozy wg. Wahlkampfspenden als korrekt heraus, dann wäre Gaddafi zumindest für Sarkozy auch so etwas wie ein reicher Onkel gewesen. Dann machte das Hofieren in Paris freilich Sinn .

Gruß, Martin

Kaa Offline




Beiträge: 658

31.01.2013 11:12
#6 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Vielen Dank für diesen Bericht. Ich freue mich schon auf die folgenden.

Kaa


Politisch korrekt zu sein, ..., wäre, so zu tun, als könne man Hundekacke an der sauberen Seite anfassen Michael Robotham (Krimiautor)

Frank Offline




Beiträge: 187

31.01.2013 11:39
#7 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

>>>>
Sit intra te concordia et publica felicitas
>>>>

Diarra Offline



Beiträge: 19

31.01.2013 12:39
#8 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Stimmt, Gaddafi wurde auch von westlichen Staaten hofiert, denkt man nur an seinen Auftritt in Rom.
Und jedem im Westen war klar, dass nach seinem Sturz Libyen auseinanderbrechen würde, so wie es auch mit Syrien passieren wird.
Also war man so lange freundlich zu ihm, solange er stark war. Er war, ob man wollte oder nicht, für die internationale Politik ein Stabilitätsfaktor.
Aber das Verhalten Malis ihm gegenüber war doch anders, denn Mali hatte gar keine andere Möglichkeit, als freundlich zu ihm zu sein, sonst hätte Gaddafi die Macht gehabt, Mali existentiell zu destabilisieren. Diese Macht hatte er nicht über Italien oder Frankreich, obwohl er sie vielleicht gerne gehabt hätte. In Mali wird Strom zu einem großen Teil durch Dieselgeneratoren erzeugt und das nötige Erdöl dafür kommt - aus Libyen. Da hätte Gaddafi noch nicht einmal die Tuareg zu einer Rebellion aufstacheln müssen, er hätte einfach den Erdölhahn zudrehen müssen. Diese Abhängigkeit hat Gaddifi genutzt, um massiv Einfluss zu nehmen, immer nach dem Motto: Zuckerbrot und Peitsche. Der Umgang des Westens mit Gaddafi war geprägt von Pragmatismus. Der Umgang Malis mit Gaddafi war geprägt von Angst. Beides sah äußerlich vielleicht ähnlich aus, hatte aber völlig unterschiedliche Ursachen.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

31.01.2013 13:09
#9 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat von Diarra im Beitrag #8
Aber das Verhalten Malis ihm gegenüber war doch anders, denn Mali hatte gar keine andere Möglichkeit, als freundlich zu ihm zu sein, sonst hätte Gaddafi die Macht gehabt, Mali existentiell zu destabilisieren.


Lieber Diarra,

solcher Art Machtverhältnisse gibt es zuhauf: Arme Länder, die von Entwicklungs- oder anderen (Militär-) hilfen leben. Mrs. Clinton und Vorgänger tauchten auch deshalb immer wieder in abhängigen Ländern auf.

Da stehen in der Regel nationale Interessen dahinter, deshalb sind diese Länder auch nicht an einer Destabilisierung interessiert. Gaddafi hatte sicher kein interesse daran, Mali zu destabilisieren, ich kann aber nachvollziehen, wenn er dort Einfluss haben wollte. Das tun Andere eben auch.

Gruß, Martin

Re-edit: Typo

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

31.01.2013 13:25
#10 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat von Diarra im Beitrag #8
In Mali wird Strom zu einem großen Teil durch Dieselgeneratoren erzeugt und das nötige Erdöl dafür kommt - aus Libyen. Da hätte Gaddafi noch nicht einmal die Tuareg zu einer Rebellion aufstacheln müssen, er hätte einfach den Erdölhahn zudrehen müssen.

Auch das ist wieder eine Information von Ihnen, lieber Diarra, die ich noch nirgends gelesen hatte. Vielen Dank!

Herzlich, Zettel

Diarra Offline



Beiträge: 19

31.01.2013 14:06
#11 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Ich sehe hier durchaus Unterschiede zwischen westlichen Staaten und Diktaturen (wie z.B. das alte Libyen unter Gaddafi).
H. Clinton und andere sind einer starken Kontrolle durch die westlichen Medien ausgesetzt. Sehen Sie sich nur die Bengasi-Affäre an, dann wissen Sie, was ich meine. Gaddafi konnte dagegen schalten und walten wie er wollte. Ich persönlich halte es für nicht angebracht, immer wieder auf "den Westen" zu kommen, egal über welches Thema diskutiert wird. Dadurch entsteht die Gefahr, dass man nicht mehr genau hinschaut und differenziert.

mareile Offline



Beiträge: 1

31.01.2013 14:08
#12 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Hallo Diarra,
habe mit großenm Interesse Ihren Artikel gelesen und dass Sie heute in Weimar leben. Ich bin Journalistin beim Nachrichtenradio MDR INFO und würde mich sehr freuen, wenn Sie mich kontaktieren würden. Wir würden gern mit Ihnen über Ihre Erfahrungen und Sichtweisen reden.Es gibt nicht soviele Deutsche, die das Land so lange und gut kennen.
Viele Grüße, Mareile Kneisel

Martin Offline



Beiträge: 4.129

31.01.2013 15:20
#13 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat von Diarra im Beitrag #11
Ich sehe hier durchaus Unterschiede zwischen westlichen Staaten und Diktaturen (wie z.B. das alte Libyen unter Gaddafi).
H. Clinton und andere sind einer starken Kontrolle durch die westlichen Medien ausgesetzt. Sehen Sie sich nur die Bengasi-Affäre an, dann wissen Sie, was ich meine. Gaddafi konnte dagegen schalten und walten wie er wollte. Ich persönlich halte es für nicht angebracht, immer wieder auf "den Westen" zu kommen, egal über welches Thema diskutiert wird. Dadurch entsteht die Gefahr, dass man nicht mehr genau hinschaut und differenziert.


Die Bengasi-Affäre war ein Terroranschlag, was in den USA natürlich hohe Aufmerksamkeit verdient. Die vielen sonstigen Einflussnahmen auf Länder der dritten Welt haben vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit.

Ich will durchaus genau hinschauen, deshalb habe ich ja ursprünglich gefragt, was an Gaddafis Anwesenheit so wunderlich war. Ein Interesse Gaddafis war meiner Erinnerung nach der Wunsch für seine landwirtschaftlichen Projekte den Niger anzapfen zu dürfen, was wohl zu Lasten von Mali gegangen wäre. Möglicherweise gab es andere Interessen, vielleicht aber auch nur den Wunsch an der Südseite Ruhe zu haben. Alles würde eine enge Verflechtung rechtfertigen, ohne Verwunderung.

Gruß, Martin

Diarra Offline



Beiträge: 19

31.01.2013 16:37
#14 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Lieber Martin,

H. Clinton hat sich vor dem amerikanischen Senat nicht dafür rechtfertigen müssen, dass es einen Terrorangriff auf die Botschaft in Bengasi gab, sondern dafür dass es Warnungen für einen Terrordangriff gab. Das hat die amerikanische Öffentlichkeit erregt, nicht der Terrorangriff an sich.
Ich möchte den Einfluss Amerikas und des Westens auf Länder wie Mali nicht klein reden, aber festhalten: die USA haben Mehl geliefert, Gaddafi hat Öl und Bomben geliefert.

Liebe Grüße,
Diarra

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

31.01.2013 19:27
#15 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat von Diarra im Beitrag #14
Lieber Martin,
H. Clinton hat sich vor dem amerikanischen Senat nicht dafür rechtfertigen müssen, dass es einen Terrorangriff auf die Botschaft in Bengasi gab, sondern dafür dass es Warnungen für einen Terrordangriff gab. Das hat die amerikanische Öffentlichkeit erregt, nicht der Terrorangriff an sich.

Es ging aber sehr wohl um die vier, durch den Terrorangriff ermordeten Diplomaten. Und es ging um ihre Sicherheit, um die des Konsulats in Bengasi. Dass diese ungenügend war, wurde nicht erst durch den Terroranschlag deutlich, sondern war spätestens nach einem Bombenanschlag im Juni bekannt. Die darauf folgenden Forderungen des Botschafters John Christopher Stevens nach einer Sicherheitsverstärkung wurden abgelehnt. Und davon will Hillary Clinton nichts gewusst haben:

Zitat von http://edition.cnn.com/2013/01/23/politi...hazi/index.html
However," she also told both the Senate Foreign Relations Committee and House Foreign Affairs Committee that she had no direct role in the handling of requests by Stevens and other diplomats for increased security that were denied, saying: "I didn't see those requests. They didn't come to me."


Das ist es was die Öffentlichkeit erregt, ein Terroranschlag der hätte verhindert werden können, weil die Diplomaten vor Ort ihn haben kommen sehen. Und genau das ist der Skandal, für den Frau Clinton selbstverständlich nicht die Verantwortung übernimmt:

Zitat von http://edition.cnn.com/2013/01/23/politi...hazi/index.html
The fledgling Libyan leadership turned out to be unable to fulfill traditional security commitments to the U.S. diplomatic compound, she said.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2013 09:52
#16 Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Im zweiten Teil befaßt sich Diarra mit der in Mali allgegenwärtigen Korruption.

Neben der Korruption, wie auch wir sie kennen - der Bestechlichkeit von Beamten und sonstigen Funktionsträgern - beschreibt er eine lokale Form: Die Bevorzugung von Angehörigen der eigenen Familie, der eigenen Ethnie; die in Mali keineswegs als Korruption gesehen wird, sondern als Pflicht jedes anständigen Menschen.

Quentin Quencher Offline




Beiträge: 120

01.02.2013 16:50
#17 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Besonders eindrucksvoll finde ich diese Beschreibung:

Zitat
Wer den Besten bevorzugt, der hat sich in den Augen der Malier von diesem in irgendeiner Form bestechen lassen, denn er hätte ja eigentlich einen Angehörigen seiner eigenen Familie oder seiner Ethnie bevorzugen müssen.


Genau solches Verhalten habe ich auch immer wieder erlebt (Südostasien), die Zugehörigkeit zu einer Gruppe setzt auch Solidarität mit dieser voraus. Das was von als Korruption empfunden wird, nämlich nicht den Besten, sondern Gruppenangehörige zu bevorzugen, wird als mangelnde Solidarität empfunden.

Aber selbst in unserer Gesellschaft haben wir vergleichbare Verhaltensweisen. Sogenannte Businessnetzwerke funktionieren ähnlich. Und wenn wir auf Europa schauen, wo jeder auch erst einmal nach sich sich selbst und die Seinen (Nation) schaut, bevor er das große Ganze (Europa) sieht, dann begreift man, dass auch wir nicht frei sind von solchen Verhältnissen und Empfindungen.

Quentin Quencher
Glitzerwasser

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2013 18:02
#18 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Lieber Diarra,

sie schreiben:

Zitat
Dass so viele afrikanische Staaten als korrupt gelten, hat genau damit zu tun. Es ist ein Verständnis von "Recht", das sich aus engen Familienbanden ergibt. Alle, die einer Familie oder einem Clan entstammen, müssen zusammenhalten. Tun sie das nicht, gelten sie als illoyal und eben als korrupt.


Wir haben es hier also mit etwas zu tun, das in den Augen der malischen Gesellschaft nicht verurteilenswert ist, sondern im Gegenteil richtiges, ja moralisches Verhalten.

Ich frage mich, inwieweit das auch für andere Fälle von - aus unserer Sicht - Korruption gilt. Wer Macht hat, der nutzt sie dazu, sich Vorteile zu verschaffen - warum sonst hätte er sich um diese Macht bemüht? Der Polizist, der Richter hat (vielleicht ja selbst durch Bestechung) eine Pfründe erobert, jetzt nutzt er sie.

In Afghanistan werden die Gouverneursposten für viel Geld verkauft; natürlich möchte der Gouverneur diese Investition wieder hereinholen und einen Ertrag erwirtschaften, indem er sich für seine Entscheidungen von deren Nutznießern bezahlen läßt.



Vor mir liegt das Buch "Quer durch Afrika", der Reisebericht von Gerhard Roth, der von 1865 bis 1867 die Sahara durchquerte; östlich von Mali, von Tripoli in ziemlich gerader Linie nach Lagos. Er hatte als wichtigstes Gut seiner kleinen Expedition Geschenke dabei und verschenkte im Lauf der Reise auch noch einen großen Teil seiner Ausrüstung.

Das Gebiet gliederte sich damals - wie wahrscheinlich auch Mali - in zahlreiche kleine Sultanate; Duodezfürstentümer würden wir sagen, wie Rhadames, Fesan mit seiner Hauptstadt Mursuk, den Tebu-Staat Kauar und andere. Formal im Norden mehr oder weniger zum Osmanischen Reich gehörend, aber faktisch weitgehend autonome Vasallen; mit jeweils ein paar tausend bis vielleicht hunderttausend Einwohnern.

Bei seiner Ankunft in Bilma, der Hauptstadt des Sultanats Kauar, geschah zum Beispiel Folgendes: Roth und seinen Begleitern wurde ein Hütte als Wohnung zugewiesen. Er suchte dann den Sultan auf, der "vor seinem Haus im Sand hockte". Roth überreichte seine Pässe und Empfehlungsschreiben, aber es stellte sich heraus, daß weder der Sultan noch jemand an seinem Hof lesen konnte, was man aber zu verbergen suchte. Der Sultan verhielt sich sehr ungnädig. Dann weiter:

Zitat
Um den Sultan günstiger zu stimmen, schickte ich ihm, obwohl es nicht üblich ist, die Geschenke sofort abzugeben, gleich am folgenden Tat zwei Hüte Zucker, zwei Rasiermesser, einen Turban, einen Dolch, Rosenöl, sechs Taschentücher, eine Harmonika und zehn Taler in Geld.

Der Sultan aber verhöhnte Roths Diener, die diese Geschenke übergeben sollten, und verlangte hundert Taler und einen Tuchburnus. Roth hätte ohne das Einverständnis des Sultans nicht weiterreisen können; also "fügte ich einen dunkelblauen, mit Gold bestickten Tuchburnus hinzu". Darauf wurde der Sultan Maina Abadji gnädig, ja großzügig.

Der Sultan verhielt sich nicht anders als der Richter, den Sie, lieber Diarra, schildern. Er hatte Macht; wozu anders, als von ihr Gebrauch zu machen?



Das sind traditionelle Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich über die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende bewährt haben. Warum sollte man sich ändern, solange man damit durchkommt? Sehen Sie einen Weg, wie das überhaupt gehen könnte?

Herzlich, Zettel

Korrektur: "westlich" --> "östlich"

Reinhard Offline




Beiträge: 15

01.02.2013 19:52
#19 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Mich erinnert das an was ganz anderes. Germanien. Leider bar jeder Kenntnis.

Ich habe da mal im "Kulturteil" einer Fernsehzeitschrift so etwas gelesen. Bitte nicht lachen, das Leben kann grausam sein, ich war auf Mallorca, der Lesestoff war mir ausgegangen, und für Aktivitäten jeder Art war es zu viel heiß. Ich möchte das auch nur erwähnen, um klar zu stellen, das mein Einschub ernst gemeint ist, aber trotzdem ein rechter Blödsinn sein kann.

Also: die Botschaft war, das die Varusschlacht und der zugrundeliegende Widerstand gegen die Römer von der Ablehnung gegen die Anwendung römischen Rechts getrieben war, man hätte zum tradierten Stammesrecht zurückkehren wollen.

Wenn da auch nur ein kleines bisschen dran sein sollte, finde ich den Zusammenhang interessant.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

01.02.2013 22:05
#20 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Zitat von Quentin Quencher im Beitrag #17
Besonders eindrucksvoll finde ich diese Beschreibung:

Zitat
Wer den Besten bevorzugt, der hat sich in den Augen der Malier von diesem in irgendeiner Form bestechen lassen, denn er hätte ja eigentlich einen Angehörigen seiner eigenen Familie oder seiner Ethnie bevorzugen müssen.

Genau solches Verhalten habe ich auch immer wieder erlebt (Südostasien), die Zugehörigkeit zu einer Gruppe setzt auch Solidarität mit dieser voraus. Das was von als Korruption empfunden wird, nämlich nicht den Besten, sondern Gruppenangehörige zu bevorzugen, wird als mangelnde Solidarität empfunden.

Aber selbst in unserer Gesellschaft haben wir vergleichbare Verhaltensweisen. Sogenannte Businessnetzwerke funktionieren ähnlich. Und wenn wir auf Europa schauen, wo jeder auch erst einmal nach sich sich selbst und die Seinen (Nation) schaut, bevor er das große Ganze (Europa) sieht, dann begreift man, dass auch wir nicht frei sind von solchen Verhältnissen und Empfindungen.



Ja, aber der Nationalstaat war nun mal ein entscheidende Fortschritt weg vom Clan- und Großfamiliendenken, in dem er den menschlichen Hang sich zu einer größeren Gruppe zu bekennen, auf eine abstraktere Ebene gehoben hat.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for
the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the
things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and
those which are not."
-Thomas Jefferson
Quelle: The Public Domain, p. 21, http://www.thepublicdomain.org/download/

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

01.02.2013 22:09
#21 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #18
Lieber Diarra,

sie schreiben:

Zitat
Dass so viele afrikanische Staaten als korrupt gelten, hat genau damit zu tun. Es ist ein Verständnis von "Recht", das sich aus engen Familienbanden ergibt. Alle, die einer Familie oder einem Clan entstammen, müssen zusammenhalten. Tun sie das nicht, gelten sie als illoyal und eben als korrupt.

Wir haben es hier also mit etwas zu tun, das in den Augen der malischen Gesellschaft nicht verurteilenswert ist, sondern im Gegenteil richtiges, ja moralisches Verhalten.

Ich frage mich, inwieweit das auch für andere Fälle von - aus unserer Sicht - Korruption gilt. Wer Macht hat, der nutzt sie dazu, sich Vorteile zu verschaffen - warum sonst hätte er sich um diese Macht bemüht? Der Polizist, der Richter hat (vielleicht ja selbst durch Bestechung) eine Pfründe erobert, jetzt nutzt er sie.

In Afghanistan werden die Gouverneursposten für viel Geld verkauft; natürlich möchte der Gouverneur diese Investition wieder hereinholen und einen Ertrag erwirtschaften, indem er sich für seine Entscheidungen von deren Nutznießern bezahlen läßt.



Vor mir liegt das Buch "Quer durch Afrika", der Reisebericht von Gerhard Roth, der von 1865 bis 1867 die Sahara durchquerte; westlich von Mali, von Tripoli in ziemlich gerader Linie nach Lagos. Er hatte als wichtigstes Gut seiner kleinen Expedition Geschenke dabei und verschenkte im Lauf der Reise auch noch einen großen Teil seiner Ausrüstung.

Das Gebiet gliederte sich damals - wie wahrscheinlich auch Mali - in zahlreiche kleine Sultanate; Duodezfürstentümer würden wir sagen, wie Rhadames, Fesan mit seiner Hauptstadt Mursuk, den Tebu-Staat Kauar und andere. Formal im Norden mehr oder weniger zum Osmanischen Reich gehörend, aber faktisch weitgehend autonome Vasallen; mit jeweils ein paar tausend bis vielleicht hunderttausend Einwohnern.

Bei seiner Ankunft in Bilma, der Hauptstadt des Sultanats Kauar, geschah zum Beispiel Folgendes: Roth und seinen Begleitern wurde ein Hütte als Wohnung zugewiesen. Er suchte dann den Sultan auf, der "vor seinem Haus im Sand hockte". Roth überreichte seine Pässe und Empfehlungsschreiben, aber es stellte sich heraus, daß weder der Sultan noch jemand an seinem Hof lesen konnte, was man aber zu verbergen suchte. Der Sultan verhielt sich sehr ungnädig. Dann weiter:

Zitat
Um den Sultan günstiger zu stimmen, schickte ich ihm, obwohl es nicht üblich ist, die Geschenke sofort abzugeben, gleich am folgenden Tat zwei Hüte Zucker, zwei Rasiermesser, einen Turban, einen Dolch, Rosenöl, sechs Taschentücher, eine Harmonika und zehn Taler in Geld.

Der Sultan aber verhöhnte Roths Diener, die diese Geschenke übergeben sollten, und verlangte hundert Taler und einen Tuchburnus. Roth hätte ohne das Einverständnis des Sultans nicht weiterreisen können; also "fügte ich einen dunkelblauen, mit Gold bestickten Tuchburnus hinzu". Darauf wurde der Sultan Maina Abadji gnädig, ja großzügig.

Der Sultan verhielt sich nicht anders als der Richter, den Sie, lieber Diarra, schildern. Er hatte Macht; wozu anders, als von ihr Gebrauch zu machen?



Das sind traditionelle Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich über die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende bewährt haben. Warum sollte man sich ändern, solange man damit durchkommt? Sehen Sie einen Weg, wie das überhaupt gehen könnte?

Herzlich, Zettel




Wie hat das eigentlich der Westen geschafft? Wurde das nicht schon bis zum Umfallen von irgend jemanden analysiert?

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for
the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the
things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and
those which are not."
-Thomas Jefferson
Quelle: The Public Domain, p. 21, http://www.thepublicdomain.org/download/

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2013 22:31
#22 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #21
Wie hat das eigentlich der Westen geschafft? Wurde das nicht schon bis zum Umfallen von irgend jemanden analysiert?

Ich bin gespannt, was die Historiker im Forum dazu meinen.

Auf diese Frage wird ja reflexhaft auf Webers "protestantische Ethik" verwiesen, die calvinistische Verknüpfung zwischen Leistung/Erfolg und Ansehen im Himmel.

Vielleicht ist das ein Teil einer Geschichte, die sehr weit zurückreicht - in die ionische Naturphilosophie, in der erstmals der Gedanke einer Erkenntnis ohne Interessse formuliert wurde; in das römische Recht mit seiner Betonung des Einzelnen.

Der christliche Gedanke der Nächstenliebe dürfte viel beigetragen haben. Man kann das als Perspektivwechsel sehen - als den ungeheuerlichen Gedanken, sich in den Anderen hineinzuversetzen; sein Leid.

Dann die Rechtssysteme, die für ertragreichen Handel nötig waren. Recht ist erforderlich, um zum Partner Vertrauen zu haben; und Vertrauen schafft Reichtum und Macht. Der Handel lag häufig in den Händen von Religiösen, die einander vertrauen konnten; siehe die jüdischen, jetzt die jainisianischen Diamantenhändler in Antwerpen.

Am Ende dann die Aufklärung; Kant. Es geht nicht mehr darum, schlau zu sein, seinen Vorteil zu suchen, Macht zu erringen und sie skrupellos zu benutzen; sondern jetzt halten Ethik und Rationalität ihren Einzug in die Politik.

Wie dünn dieser Firnis noch im zwanzigsten Jahrhundert war, kann man daran erkennen, daß noch Hitler und Stalin nichts dabei fanden, ihre unterlegenen Gegner abzumurksen; ja wieso denn nicht? Sie befanden sich in einer jahrtausendealten Tradition.

Herzlich, Zettel

AldiOn Offline




Beiträge: 983

01.02.2013 23:24
#23 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #21
Wie hat das eigentlich der Westen geschafft? Wurde das nicht schon bis zum Umfallen von irgend jemanden analysiert?
Der Versuch einer ganz einfachen, möglicherweise übersimplifizierenden Antwort:
Der im Europa des 19. Jahrhunderts aufkommende Nationalismus und - vor allem - seine allgemeine Akzeptanz führten bei den Bürgern zu dem Gefühl, daß auch diejenigen die nicht zur Familie gehörten doch irgendwie zur eigenen Gruppe gehören.
Nicht geklappt hat das - so sehr sie sich auch anstrengten - für die Juden, deren Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe als mangelhaft vermutet wurde.

Bei einer Auswahl der geeignetsten Persönlichkeit innerhalb einer Clan/Familienstruktur würde ja auch der am besten geeignete genommen.

wflamme Offline



Beiträge: 187

01.02.2013 23:34
#24 RE: Sieben Jahre in Mali Antworten

Zitat
Wie hat das eigentlich der Westen geschafft? Wurde das nicht schon bis zum Umfallen von irgend jemanden analysiert?



Ein interessanter Ansatz dazu entstammt dem Umfeld einer tiefroten Postille, über die ich durch Zufall mal gestolpert bin. Da wurden als Erklärungsansatz unterschiedliche Basiskonzeptionen von Herrschaftssystemen angeboten:

'Macht über Land' einerseits und 'Macht über Menschen' andererseits.

Grüße,

Wolfgang Flamme

Zodac Offline



Beiträge: 15

02.02.2013 06:27
#25 RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption Antworten

Zitat

Wie hat das eigentlich der Westen geschafft? Wurde das nicht schon bis zum Umfallen von irgend jemanden analysiert?




Francis Fukuyamas "The Origins of Political Order" bietet einige Theorien warum aus Stammesgesellschaften moderne Staaten wurden. EIn Wink bietet hier insbesondere das für mach Konservative konterinuitiv wirkende Kapitel "Christianity undermines the Family". Dort wird gut beschrieben, wie die Katholische Kirche Heiratsregeln forcierte, welche die traditionellen Familienclans schwächten. Insbesondere war der Kriche die Heirat von nahen Verwandten, die Heirat von Witwen naher Verwandten, die Adoption und die Scheidung ein Dorn im Auge. Nicht aus theologischen Gründen, sondern aus monetären: All diese Regeln erschwerten die Geburt von Erben und die akkumulation von familiärem Besitz, während umgekehrt die Kirche von Schenkungen und Vererbungen nachkommenloser Christen profitierte.
Und ein weiteres nettes Nebenprodukt dieser Kirchenpolitik war auch ein höherer Status für die Frau, welche nun auch selbst Land besitzen konnte. (Woraus die Kirche ebenso wieder ihren weltlichen Vorteil zog in Form von Schenkungen und nachkommenloser Witwen.)

Und in die Lücke welche die Stammesgesellschaft hinterlassen hat, stieg der Feudalismus, welcher mitunter auch schon sehr Vertragsähnliche Züge hatte mit Verpflichtungen für beide Seiten. Von daher unterschied sich die Entwicklung in Europa vom Rest der Welt.

Und die staatliche Effizienz wurde auch weiter forciert durch die mitunter kriegerische Rivalität der Staaten untereinander.


Wobei Eurasien bei der Entwicklung moderner Staaten ohnehin einen Startvorteil hatte gegenüber den restlichen Kontinenten. Jared Diamond hat in "Guns, Germs, and Steel" gut darauf hingewiesen das fast alle wichtigen Nutztiere und Nutzpflanzen sich in Eurasien befanden, was höhere Bevölkerungszahlen und damit komplexere politische Strukturen ermöglichte. Der moderne Staat ist in Afrika noch relativ jung und dementsprechend wirkungsmächtig ist noch die Stammesgeschichtliche Tradition.

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