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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 31 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.02.2013 07:20
Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

In den vergangenen Jahren habe ich gern das Gleichnis vom Mehltau verwendet, der sich über Deutschland gelegt hat. Während der Sarrazin-Debatte hatte ich die Hoffnung, daß er weggeblasen werden würde, der Mehltau; daß sich die Deutschen nicht länger von ihren Hohepriestern der politischen Korrektheit würden bevormunden lassen.

Jetzt neige ich wieder zur Skepsis.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

09.02.2013 10:07
#2 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Sie beklagen die Neigung zum Psychologisierenden und Soziologisieren völlig zu Recht, lieber Zettel. Dennoch möchte ich mich jetzt noch einmal, in diesem Sinne, schuldig machen Ich habe mir Gedanken zum Thema Deutscher "Nationalcharakter" gemacht. Sie beschreiben, sicher zurecht, eine Neigung zum dichotomen Denken und Wahrnehmen. Auch sehr schön, hier:
http://neuromantiker.wordpress.com/2008/...ionalcharakter/
Schwarz oder Weiß, Ganz oder gar nicht. Vom totalen Krieg zum totalen Pazifismus innerhalb weniger Jahre. In wiefern man jetzt also von einem "Borderline-Nationalcharakter" sprechen will, sollen andere erörtern
Ich sehe allerdings keinen Grund anzunehmen, warum dies nicht auch für "unseren" Blick auf "unsere" Politiker gelten soll. Nehmen wir das gängige Klischee: Politiker als raffgierige, inkompetente, machtgeile Vollpfosten. Nun hat jedes Klischee einen, in diesem Fall wohl sogar großen, wahren Kern. Der Rest aber ist unzulässige Verallgemeinerung. Kontrastiert wird dieses Klischee jedoch, und jetzt wird es richtig "deutsch", an völlig unrealistischen Vorstellungen, wie Politiker eigentlich zu sein hätten. Edelmütig, selbstlos, absolut kompetent, ausschließlich am "salus publica" orientiert, also letztlich "übermenschlich". Konkretes politisches Handeln wird dann oft nicht „kritisch begleitet“, sondern von der erwartungsgeleiteten Annahme "das wird eh nix, q.e.d." geprägt.
Eigentlich müsste man hieraus die Frage ableiten, ob wir, und damit meine ich nicht nur die mediale Öffentlichkeit, sondern auch die Stammtische usw.,unsere Politiker eigentlich angemessen behandeln. Ich kann das nicht allgemein beantworten, aber eine persönliche Antwort habe ich schon: selbst wenn ich die Befähigung und das Format sowie die Gelegenheit hätte, ein hohes politisches Amt zu bekleiden, ich lehnte ab, in diesem Land. Da bin ich mir absolut sicher.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

09.02.2013 10:43
#3 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von ZR
Erklären kann das aber allerdings der Umstand, daß am 22. September Wahlen zum Bundestag sind.


In Deutschland gibt es oft Wahlen und immer sind sie Richtungsentscheidungen, Bundestagswahlen zumal. Was in Deutschland die Richtung bestimmt, hat nur wenig mit einer Parteienkoalition zu tun. In Deutschland wird Politik von (Bei)-Räten gemacht. Dort sitzen "gesellschaftlich relevante Gruppen" was schon verdeutlicht wer alles irrelevant ist:
Wer nicht Gewerkschaftsmitglied, kein Umwelt- Klima- und Naturschützer, kein Kirchenmitglied und auch ansonsten einfach nur seiner Arbeit oder Geschäften nachgeht.
Im Parlament wird keine Große Transformation beschlossen, sonder alles was zu ihrer Umsetzung erforderlich ist. Parteiübergreifend.
Ja, es ist Wahlkampf. In Deutschland ist immer Wahlkampf. Es gibt nur einen Dissens in der Politik und der ist auch so alt wie die Bundesrepublik. Er kreist immer nur um die Frage wie wenig Liberalismus nötig ist, um ein Maximum an staatlichen Einnahmen und staatlichem Wirken zu generieren.
Und hier hat es eine Verschiebung gegeben, welche sogar die sozialliberale FDP allein dastehen läßt
Noricus hat das mal m.E. sinngemäß mit dem deutschen Verharren im aufgeklärten Absolutismus beschrieben.
Alles beim Alten. Mir macht weder eine GroKo Sorgen noch Rot/Grün.
Mir bereiten Leute wie Professor Schellnhuber Sorgen und die Beiräte der Bundesregierung.
Die können nämlich nicht vom Souverän abgewählt werden.

Viele Grüße, Erling Plaethe

DST Offline



Beiträge: 20

09.02.2013 12:05
#4 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat
Alle diese Aufgeregtheiten, ob über das Wort "Neger", ob über Rainer Brüderle, ob über Annette Schavan oder jetzt Jörg Uwe Hahn folgen ja demselben Muster: Es geht darum, linke Meinungsdominanz durchzusetzen.


Darum ging es doch immer schon.

Ich würde das ganze trotzdem nicht überbewerten. Nur weil ein großer Teil der Medienlandschaft versucht die Agenda vorzugeben heißt das noch lange nicht, dass Otto Normalverbraucher dem auch folgt, siehe Sarrazin. Außerdem halte ich das Geschrei im Wahlkampf für eher kontraproduktiv. Deutschland ist im Großen und Ganzen eine Konsensgesellschaft. Allzu überzogene Polemik lässt die Wahlkämpfer in den Augen der Wähler unseriös wirken. Darum schätzen die Leute auch Politiker wie Merkel und de Maizière und nicht Hallodris wie Gabriel und Roth.

Hausmann Offline



Beiträge: 710

09.02.2013 12:52
#5 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von DST im Beitrag #4
Ich würde das ganze trotzdem nicht überbewerten.

Was halten Sie von der Ansicht, daß eine Art Grundtendenz aufscheint, aus jedem "Schaum" quasi möglichst "Beton" zu gießen? Mit stupider Gleichförmigkeit wird bei jedem echten oder eingebildeten Problem nach neuen oder schärferen Regelungen, Kontrollen, Gesetzen Überwachungen gerufen. Immer nur Petitessen, aber immer in die gleiche Richtung... Nette Faschingstage!

Florian Online



Beiträge: 3.171

09.02.2013 13:42
#6 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

@ Doeding:

Zitat

Ich sehe allerdings keinen Grund anzunehmen, warum dies nicht auch für "unseren" Blick auf "unsere" Politiker gelten soll (...)



Schöne Beobachtung.
Sehe ich auch so.

Es ist tatsächlich schizophren:
Einerseits herrscht in Deutschland eine verblüffend große Staatsgläubigkeit. Für jede Kleinigkeit wird sofort nach dem Staat gerufen (und i.d.R. auch unterstellt, dass der Staat die Sache irgendwie besser regeln könnte als der Einzelne).
Andererseits hält man die handelnden Politiker (und auch die Beamtenschaft) für unfähig, überbezahlt, faul und tendenziell korrupt.

Wie das zusammenpasst, verstehe wer will.

Und die Denkweise ist m.E. tatsächlich speziell in Deutschland verbreitet - quer über das politische Spektrum.
In Frankreich ist man zwar auch sehr staatsgläubig. Hält die Spitzen von Politik und Verwaltung aber auch für die schlausten Köpfe im Land (wenn vielleicht auch für korrupt).
In den USA ist man nicht staatsgläubig und hat von Politik und Verwaltung auch keine hohe Meinung.
Beides ist immerhin konsequent.
In Italien glaubt man ebenfalls nicht, dasss der Staat die Lösung bringt und hält die Politik auch für unfähig und korrupt. Für einen großen Staat ist man zwar trotzdem - aber nur weil man irgendwie darauf hofft, in diesem als korrupt erkannten Spiel für sich irgendwelche Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit zu sichern.
Das ist zwar zynisch, aber hat eine gewisse innere Logik.
In Deutschland sehe ich das nicht.

TF Offline



Beiträge: 281

09.02.2013 15:30
#7 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

@Florian
Genauso ist es. Diese Schizophrenie ist aber für Liberale durchaus eine Chance, denn man hat die Unfähigkeit von Politik und Verwaltung als ganz gut ziehendes Gegenargument.

dirk Offline



Beiträge: 1.538

09.02.2013 15:40
#8 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Florian
Andererseits hält man die handelnden Politiker (und auch die Beamtenschaft) für unfähig, überbezahlt, faul und tendenziell korrupt.

Diese Eigenschaften unterstellt man vielleicht CDU und FDP Politikern. Welcher Staatsgläubige aber hält denn Rot-Rot Grüne fuer unfähig faul und korrupt?

C. Offline




Beiträge: 2.639

09.02.2013 15:48
#9 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von dirk im Beitrag #8
Welcher Staatsgläubige aber hält denn Rot-Rot Grüne fuer unfähig faul und korrupt?


Es sind nicht wenige, die rot oder grün wählen, die der Meinung sind, dass diese drei Eigenschaften auf Peer Steinbrück zutreffen:

a) unfähig wegen Hartz 4.
b) faul wegen mangelnder Präsenz im Bundestag.
c) korrupt wegen ein paar Reden zuviel.

Der Riesling gehört zu Deutschland.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

09.02.2013 16:50
#10 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Dirk
Diese Eigenschaften unterstellt man vielleicht CDU und FDP Politikern. Welcher Staatsgläubige aber hält denn Rot-Rot Grüne fuer unfähig faul und korrupt?



Dirk, das scheint mir auf den Kontext anzukommen. Wenn man nach dem Bild der Menschen von "Politik" oder "Politiker" fragt, dann bekommt man oft diese globalen negativen Wertungen. Politiker landen in Beliebtheitsrankings regelmäßig auf dem letzten Platz.

http://wirtschaft.t-online.de/diese-beru..._41950346/index
Wobei mir nicht ganz klar ist, was und wie hier genau erhoben wurde.

Wahrscheinlich wird aber eine Teilmenge der gleichen Befragten, bezogen auf Parteienenpräferenz, so antworten wie Sie vermuten. Sicher auch ein Ausdruck dessen, was Florian Schizophrenie genannt hat.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

uniquolol Offline




Beiträge: 254

10.02.2013 00:02
#11 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

"...Zu den Seltsamkeiten der Neuen Berliner Republik gehört auch, dass "die Guten" sich fast alles erlauben dürfen, was man "den Bösen" übel nehmen würde. Früher hat das gesunde Volksempfinden entschieden, was ein Skandal ist, heute ist es die Parteizugehörigkeit..."

Henryk M. Broder - "Claudia Roth gehört in die "Hall of Shame"" - Welt-Online
http://www.welt.de/debatte/henryk-m-brod...l-of-Shame.html

uniquolol Offline




Beiträge: 254

10.02.2013 00:13
#12 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

"...Der Ruf nach einem Führer ist da nicht mehr weit. Ganz nah aber lauert ein mehrfacher Double-bind: Alle wollen gefragt werden, mitdiskutieren und mitentscheiden – am Ende aber soll das einzig Richtige gnadenlos durchgezogen werden. Auf der einen Seite wohlfeile Kritik am "System", das abgeschafft werden müsse, auf der anderen Seite der Ruf nach Personen, denen man vertrauen kann. Einerseits Utopieseligkeit, andererseits der Glaube an einen unbestechlichen Rat der Weisen, der alles regelt..."

Reinhard Mohr - "Ruf nach einem Führer und Herrschaft der Experten" - Welt-Online
http://www.welt.de/kultur/literarischewe...r-Experten.html

Christoph Offline




Beiträge: 241

10.02.2013 00:50
#13 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat
Nur weil ein großer Teil der Medienlandschaft versucht die Agenda vorzugeben heißt das noch lange nicht, dass Otto Normalverbraucher dem auch folgt,…


Sehr richtig. Dem, der deutsche Werkstätten oder Gasthöfe aufsucht, werden dort politische Unkorrektheiten um die Ohren geschlagen, die die Debatte in den Massenmedien bizarr erscheinen lassen. Herrn Prantl und seinen Kollegen ergeht es wie fast allen Moralpredigern: sie machen sich unbeliebt und erreichen das Gegenteil dessen, was sie predigen.

Im Gegensatz zum Volk lassen sich dessen Vertreter aber durchaus von den Kommentatoren der Massenmedien beeinflussen. Auch vernünftige Politiker scheuen sich auszusprechen, was sie denken – was oft auch die Mehrheit denkt. Das Volk mag den falschen Propheten nicht glauben, aber die richtigen hört es nicht mehr, denn die sind verstummt. Vielleicht möchten sie nicht »Populisten« gescholten werden.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

10.02.2013 08:20
#14 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Christoph
Zitat
Nur weil ein großer Teil der Medienlandschaft versucht die Agenda vorzugeben heißt das noch lange nicht, dass Otto Normalverbraucher dem auch folgt,…

Sehr richtig. Dem, der deutsche Werkstätten oder Gasthöfe aufsucht, werden dort politische Unkorrektheiten um die Ohren geschlagen, die die Debatte in den Massenmedien bizarr erscheinen lassen. Herrn Prantl und seinen Kollegen ergeht es wie fast allen Moralpredigern: sie machen sich unbeliebt und erreichen das Gegenteil dessen, was sie predigen.



Das stimmt, lieber Christoph, ich möchte aber hinzufügen: noch. Man darf nie vergessen, wie sehr die Linken ihre Strategie auf Langfristigkeit angelegt haben. Der "lange Marsch durch die Institutionen" hat die 68er heute zu den Schaltstellen öffentlicher Meinungsbildung heraufgespült. Sicher, der Werkstattmeister bleibt von "Zeit" oder "SZ" online weitgehend unbeeinflußt. Aber seine Tochter und sein Sohn werden in der Schule von Ideologen indoktriniert, die Zeit Online zum Frühstück verputzen und sowieso schon immer wußten, was gut und richtig ist. Hier sind dann langfristig die Konfliktlinien und Sollbruchstellen in den Familien angelegt, und der Werkstattmeister ist eines Tages der "dumme alte Mann". Ihn zu ändern haben die Linken kein Interesse, sie brauchen es auch gar nicht. Sie haben seine Kinder.

Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

uniquolol Offline




Beiträge: 254

10.02.2013 09:18
#15 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

"...Unter dem Einfluss von Political Correctness und Tabus entstand in der Bundesrepublik ein alternativloses politisches und intellektuelles Klima, das der Philosoph Peter Sloterdijk folgendermaßen beschreibt: „Ob einer sich zur Sozialdemokratie bekennt oder nicht, spielt schon längst keine Rolle mehr, weil es Nicht-Sozialdemokraten bei uns gar nicht geben kann, die Gesellschaft ist per se strukturell sozialdemokratisch, und wer es nicht ist, der ist entweder im Irrenhaus oder im Ausland. Es gibt keine ernsthafte Alternative dazu.“..."

Thomas Wolf - "Political Correctness - Was darf man in Deutschland sagen – und was nicht?" - Focus-Money-Online
http://www.focus.de/finanzen/news/tid-29....html?drucken=1

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

10.02.2013 11:14
#16 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #14
Der "lange Marsch durch die Institutionen" hat die 68er heute zu den Schaltstellen öffentlicher Meinungsbildung heraufgespült. Sicher, der Werkstattmeister bleibt von "Zeit" oder "SZ" online weitgehend unbeeinflußt. Aber seine Tochter und sein Sohn werden in der Schule von Ideologen indoktriniert, die Zeit Online zum Frühstück verputzen und sowieso schon immer wußten, was gut und richtig ist. Hier sind dann langfristig die Konfliktlinien und Sollbruchstellen in den Familien angelegt, und der Werkstattmeister ist eines Tages der "dumme alte Mann".

Ach naja, dass die Jugend einen eingebauten "Weltverbesserungsdrang" hat und den Propagandisten entsprechender Heilslehren nur zu gern auf den Leim geht, ist ja nun nicht so eine neue Story. Das heißt aber noch lange nicht, dass man daraufhin auch für den Rest des Lebens das selbständige Denken einstellt.
Ich bin mir sicher, dass viele der hier Anwesenden - wie ich auch - eine solche "naive" Phase hinter sich haben. Sowas ist durch Teilnahme am realen Leben aber durchaus überwindbar, egal was die Volkserzieher und Leitmedien so an Parolen vorgeben. Das Internet macht es ja auch zunehmend leichter, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Eine andere Sichtweise ist nur noch einen Mausklick weit entfernt. Man achte nur mal auf die Kommentarspalten der online-Medien.

Und außerdem, der "dumme alte Mann" wird schon aus demografischen Gründen bald eher ein politisch korrekter Schüler der 68-er Generation sein. Wobei ich dem dort vertretenen (im Grunde konservativen) Öko-Schmonzes noch eine höhere Lebensdauer zutraue als z.B. dem total verwirrten Gender-Quatsch und dem real doch mächtig schiefgegangenen Multikulti-Experiment. Ich habe z.B. einen Haufen junge Mitarbeiter so um die 25 Jahre. Die wissen zwar genau in welchem Rahmen von Mittelstrom-Meinungen man "Systemkritik" äußern darf, aber man muss die nur mal ein bissl anpieken - dann offenbaren sie durchaus Kritik am politkorrekten Common sense. Sicherlich (noch) nicht umfassend, aber bei einzelnen Themen wagt man sich dann doch aus Deckung.

Ums mit Abraham Lincoln auf den Punkt zu bringen: "Man kann alle Leute einige Zeit und einige Leute alle Zeit, aber nicht alle Leute alle Zeit zum Narren halten."

Beste Grüße, Calimero

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Die öffentliche Meinung ist eine Waschmaschine, in der die privaten Meinungen gereinigt werden - Political Correctness ist der Schleudergang. - Norbert Bolz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

10.02.2013 11:32
#17 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Calimero im Beitrag #16
Ich habe z.B. einen Haufen junge Mitarbeiter so um die 25 Jahre. Die wissen zwar genau in welchem Rahmen von Mittelstrom-Meinungen man "Systemkritik" äußern darf, aber man muss die nur mal ein bissl anpieken - dann offenbaren sie durchaus Kritik am politkorrekten Common sense. Sicherlich (noch) nicht umfassend, aber bei einzelnen Themen wagt man sich dann doch aus Deckung.

Das ist auch mein Eindruck, lieber Calimero; und der Grund für meinen Optimismus.

Unser demokratischer Rechtsstaat funktioniert. Es gibt in ihm seit Ende der neunziger Jahre eine Phase linker Dominanz; getragen vom Schulterschluß zwischen DDR-Elite und Achtundsechzigern. Es wird auch wieder eine Dominanz liberalen und konservativen Denkens geben. Das Pendel wird zurückschwingen, wie in jeder gesunden Demokratie.

Die heutige junge Generation ist hellwach und ziemlich abgebrüht. Leute mit wenigen Illusionen. Mir sehr sympathisch.

Ich bin ziemlich sicher, daß in einigen Jahren Claudia Roth so alt aussehen wird wie jetzt schon Jürgen Trittin.

Herzlich, Zettel

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

10.02.2013 11:54
#18 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Calimero
Ach naja, dass die Jugend einen eingebauten "Weltverbesserungsdrang" hat und den Propagandisten entsprechender Heilslehren nur zu gern auf den Leim geht, ist ja nun nicht so eine neue Story. Das heißt aber noch lange nicht, dass man daraufhin auch für den Rest des Lebens das selbständige Denken einstellt.



Das mag sein, ich hoffe es zumindest. Dennoch, kürzlich hatte ich mit meiner Tochter eine kurze aber sehr ernsthafte Diskussion, mit was für Leuten ich denn eigentlich verkehre. Einer meiner Facebookfreude hatte als Titelbild eine "Atomkraft-ja bitte" Plakette. Sie war aufrichtig empört. Und mein Sohn weigerte sich kürzlich hartnäckig, den Namen "Adolf Hitler" auszusprechen. Er wollte mit mir über die Verbrechen des 3. Reiches reden, da es gerade in der Schule Thema war, und er weigerte sich den Namen von "dem da" auszusprechen. Natürlich hat der Lehrer ihm das nicht verboten, aber der Unterricht war so aufgebaut, daß er das daraus für sich abgeleitet hat: Dämonisierung der Person statt historischer Auseinandersetzung und Förderung der Kompetenz zur differenzierten Geschichtsbetrachtung. Hier in NRW sind die Kinder von 8-16 Uhr in der Schule. Dagegen kommt man als Eltern nicht an, und mir wird angst und bange, mit welch dezidierten pol. und historischen Anschauungen die Kinder nach Hause kommen. Ist aber vielleicht wirklich, wie Sie schreiben, auch eine Altersfrage.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

10.02.2013 12:16
#19 Generationen Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #18
Natürlich hat der Lehrer ihm das nicht verboten, aber der Unterricht war so aufgebaut, daß er das daraus für sich abgeleitet hat: Dämonisierung der Person statt historischer Auseinandersetzung und Förderung der Kompetenz zur differenzierten Geschichtsbetrachtung. Hier in NRW sind die Kinder von 8-16 Uhr in der Schule. Dagegen kommt man als Eltern nicht an, und mir wird angst und bange, mit welch dezidierten pol. und historischen Anschauungen die Kinder nach Hause kommen.

Mir nicht. Ich bin in der Adenauerrepublik aufgewachsen, und wir Jungen haben dagegen rebelliert. Junge Leute lassen sich nicht indoktrinieren; die meisten jedenfalls nicht. Rotgrün ist ein Auslaufmodell; da können die NRW-Lehrer noch so sehr ihre Ideologie anbieten.

Die Gefahr, lieber Andreas Doeding, ist aus meiner Sicht, daß die jungen Leute, die sich der Indoktrination widersetzen, gewissermaßen nur das Vorzeichen wechseln. Daß sie also anfällig für den Rechtsextremismus werden könnten; jedenfalls für eine fundamentalistische Kritik an unserem Staat.

So war und ist es in der einstigen DDR. Viele derer, die - auch hier im Forum - diesen Staat Bundesrepublik Deutschland verurteilen, sind, soweit ich das beurteilen kann, in der DDR aufgewachsen. Sie haben nur das Vorzeichen gewechselt.

Demokratie zu erlernen ist schwer. Ich bin den Amerikanern dankbar für die reeducation; für das Amerikahaus in unserer Kleinstadt, dessen Bibliothek und dessen Veranstaltungen mich Heranwachsenden mit der Demokratie vertraut gemacht haben.

Herzlich, Zettel

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

10.02.2013 13:06
#20 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #18

Zitat von Calimero
Ach naja, dass die Jugend einen eingebauten "Weltverbesserungsdrang" hat und den Propagandisten entsprechender Heilslehren nur zu gern auf den Leim geht, ist ja nun nicht so eine neue Story. Das heißt aber noch lange nicht, dass man daraufhin auch für den Rest des Lebens das selbständige Denken einstellt.


Das mag sein, ich hoffe es zumindest. Dennoch, kürzlich hatte ich mit meiner Tochter eine kurze aber sehr ernsthafte Diskussion, mit was für Leuten ich denn eigentlich verkehre. (...)


Und ich hatte erst vor Kurzem ein wunderbares Erlebnis, welches mir absolut unerwartet doch ein ganzes Stück Hoffnung wiedergegeben hat. Ich war Zuschauer bei der ZEIT Debatte in Hamburg, und konnte sogar ein wenig hinter die Kulissen schauen.
Ohne jegliche Vorkenntnisse über die studentische Debattierszene bin ich da natürlich mit einem ganzen Packen Vorurteile rangegangen. Was soll schon dabei rauskommen, wenn Studenten in Deutschland unter der Schirmherrschaft der ZEIT die Debattenkultur pflegen? Konzentrierte political correctness, langjährig inhalierte Narrative aus Schule, Gymnasium und Universität, unterfüttert mit ständiger "progressiver" Berieselung durch unsere links"liberalen" Leitmedien? Ich ging wirklich davon aus, dass sich dort künstliche Diskussionen zwischen sozialdemokratischen und marxistischen Geisteswissenschaftlern um die "idealere Weltverbesserung" drehen würden.

War aber ganz anders.

Kurz umrissen wird dort ein kontroverses Thema vorgegeben und zwei Parteien müssen nach dem Zufallsprinzip entweder die Regierung oder die Opposition vertreten. Dabei läuft es darauf hinaus, dass sich klare Gegenpole bilden, also konservativ vs. utopistisch, etatistisch vs. freiheitlich, egalitär vs. libertär etc.
Da jede Partei natürlich die Debatte gewinnen möchte, muss sie die ihr zugeloste Position natürlich auch ernsthaft verteidigen können - auch wenn die zu vertretende Ansicht absolut nicht der eigenen entspricht. Das heißt, man muss sich schon im Vorfeld wirklich ernsthaft mit den Argumenten aller Seiten auseinandergesetzt haben. Nur Schlagworte zu kennen bringt gar nichts, denn man muss die Sichtweise des politischen Gegners ja auch wirklich einnehmen können. So, dass man bei gestellten Verständnisfragen oder der Bitte um Erklärung auch was Überzeugendes vorbringen kann.

Ich fand das total interessant und bin mir ziemlich sicher, dass ich einen solchen Perspektivenwechsel früher nicht zustande gebracht hätte.

Natürlich ist davon auszugehen, dass die teilnehmenden Studenten trotzdem noch eher auf der oben beschriebenen, szenetypisch linken Schiene unterwegs sind - aber die Saat des Zweifels ist zumindest gelegt. Ob sie mal aufgeht wird sich zeigen, aber schon die Beschäftigung mit den Argumenten der Gegenseite wirkt der Gefahr der späteren blinden Verbohrtheit entgegen.

Und diese Leute werden in der Zukunft mit Sicherheit mal Multiplikatoren sein. Das lässt Raum für Hoffnung, denke ich.

Beste Grüße, Calimero

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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

10.02.2013 13:16
#21 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Calimero
Und ich hatte erst vor Kurzem ein wunderbares Erlebnis, welches mir absolut unerwartet doch ein ganzes Stück Hoffnung wiedergegeben hat. Ich war Zuschauer bei der ZEIT Debatte in Hamburg, und konnte sogar ein wenig hinter die Kulissen schauen.



Cooool, danke für die Schilderung. Ich wäre da, aufgrund meiner Vorurteile gegenüber allem, was "ZEIT" heißt, vermutlich gar nicht erst hingegangen *an die eigene nase pack*

Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

10.02.2013 13:31
#22 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #21
Cooool, danke für die Schilderung. Ich wäre da, aufgrund meiner Vorurteile gegenüber allem, was "ZEIT" heißt, vermutlich gar nicht erst hingegangen *an die eigene nase pack*

Ich bin da auch nur hingekommen, weil es mir zufällig eine Teilnehmerin in den Bekanntenkreis gespült hat. Lohnt sich aber wirklich, sich so ein Turnier mal anzugucken wenn es in der Nähe stattfindet. Das hier ist, soviel ich weiß, das Zentralorgan der deutschen Debattierszene:

http://www.achteminute.de/

Da findet man bestimmt mal einen passenden Termin in der Nähe.

Beste Grüße, Calimero

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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

10.02.2013 13:59
#23 RE: Generationen Antworten

Zitat von Zettel
Die Gefahr ist aus meiner Sicht, daß die jungen Leute, die sich der Indoktrination widersetzen, gewissermaßen nur das Vorzeichen wechseln. Daß sie also anfällig für den Rechtsextremismus werden könnten; jedenfalls für eine fundamentalistische Kritik an unserem Staat.



Zitat
Demokratie zu erlernen ist schwer. Ich bin den Amerikanern dankbar für die reeducation; für das Amerikahaus in unserer Kleinstadt, dessen Bibliothek und dessen Veranstaltungen mich Heranwachsenden mit der Demokratie vertraut gemacht haben.



Das sehe ich im Prinzip auch so, lieber Zettel. Allerdings bin ich nicht sicher, wie viel Gefahr für die Demokratie wirklich von den extremen Flanken droht. Es gibt, so scheint mir, eine ganz triviale Bedrohung/ Schwächung ihrer Wehrhaftigkeit von innen: die mangelnde Unterscheidung zwischen Meinungen und Tatsachen. Sie haben das im Interview mit Cora Stephan für die bundesdeutschen Medien, hier mit Blick auf die mangelnde Trennung von Bericht und Kommentar, erläutert.
Das einfache Grundprinzip "ich respektiere Ihre Meinung, aber ich teile sie nicht" findet sich in den wenigsten Diskussionen, nicht nur in den Medien. Es geht um Rechthaberei, man hört einander nicht wirklich zu. Das macht Demokratie für Manchen unattraktiv. Das mag ich jetzt aber nicht nur auf linksgrüne Ideologie zurückführen, und schon gar nicht auf die Wiedervereinigung. Das haben auch wir "Westsozialisierte" nicht hinreichend gelernt, scheint mir. Aber ich weiß natürlich nicht, ob das anderswo bedeutsam anders ist.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

10.02.2013 14:22
#24 RE: Generationen Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #19

Die Gefahr, lieber Andreas Doeding, ist aus meiner Sicht, daß die jungen Leute, die sich der Indoktrination widersetzen, gewissermaßen nur das Vorzeichen wechseln. Daß sie also anfällig für den Rechtsextremismus werden könnten; jedenfalls für eine fundamentalistische Kritik an unserem Staat.




Das war auch meine Sorge, als ich einmal schrieb mein Sorge sei die allgemeine Tendenz in Deutschland zur Stromlinienförmigkeit: Das Pendel kann auch in die andere extreme Ausschlagen, anstatt in eine eher ausgewogene Schwingung zwischen leicht mitte-links und leicht mitte-rechts oder gar eine liberale Haltung zu verfallen.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for
the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the
things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and
those which are not."
-Thomas Jefferson
Quelle: The Public Domain, p. 21, http://www.thepublicdomain.org/download/

vivendi Offline



Beiträge: 663

10.02.2013 15:00
#25 RE: Zitat des Tages: "Stromlinienförmige Mittelmäßigkeit" Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #6
Einerseits herrscht in Deutschland eine verblüffend große Staatsgläubigkeit. Für jede Kleinigkeit wird sofort nach dem Staat gerufen (und i.d.R. auch unterstellt, dass der Staat die Sache irgendwie besser regeln könnte als der Einzelne).

Man übersieht dabei, dass der "Staat" von Einzelnen regiert wird, die nicht dank ihrer Kompetenz oder Intelligenz, sondern dank ihrer ihnen zugewiesenen Stellung und Macht die Politik massgeblich bestimmen. Eine Bärbel Höhn, ein Gregor Gysi, ein Oskar Lafontaine, eine Andrea Merkel vertreten ihre eigenen Weltanschauungen, politischen Ziele persönlichen Vorlieben. Sie werden als Einzelne gewählt, weil eine Mehrheit von "Einzelnen" sich mit ihren, zur Schau gestellten oder echten Anschauungen, identifiziert. Die ernannten Politiker sind damit immer noch Einzelne, die nicht aus ihrer Haut schlüpfen können, nun aber versehen mit Macht ohne eindeutiges Mandat.

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