Zitat von Gorgasal im Beitrag #21Interessant finde ich hier insbesondere, dass es ja den Erklärungsansatz gibt, dass Europa unter anderem deswegen in der Neuzeit eine globale Führungsrolle eingenommen habe, weil es politisch nicht geeinigt gewesen sei [...] Das nächste Mal, wenn jemand mit den mutmaßlichen Vorzügen politischer Fragmentierung in der europäischen Geschichte argumentiert, frage ich, wie das zu Indien passt.
"unter anderem" - das ist hier wohl der Schlüssel. Die anderen Faktoren fehlten eben in Indien. Ganz vage über den Daumen gepeilt scheint es schon so zu sein, dass geeinte Großreiche sich mehr für die Nachbarschaft an ihren Grenzen interessieren als für Fernbeziehungen, während Kleinstaaten von der Nachbarschaft mehr Ungemach zu erwarten haben und eher auf die Idee kommen, den Vorteil in der Ferne suchen. Lieber Gorgasal, wie ich mich freue, dass Sie wieder hier sind. Herzlich willkommen! Ich hoffe, es ist Ihnen in der Fremde gut ergangen.
Herzliche Grüße, Kallias
(Die Sache mit dem Kursivsatz scheint irreparabel zu sein, und dürfte mit der Werbeeinblendung unter Ihrem Artikel zusammenhängen. Ich beschwer mich mal bei unserem Hoster.)
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #25Der einzige Zeitpunkt, an dem es in Indien so etwas wie Interesse & Ausblick-nach-außen für ähnliche Unternehmungen gegeben hätte, wäre wohl die Mughal-Dynastie gewesen - aber die war islamisch, okkupatorisch & die ganze Zeit ihres Bestehen entweder mit territorialen Eroberungen oder mit inneren Machtkämpfen beschäftigt.
Im 1. Jahrtausend gab es eine expansive Phase Richtung Südostasien. Der Hinduismus auf Bali ist ein Überbleibsel davon. Vermutlich war das eine Zeit besonders starker Fragmentierung - ich finde nur leider gerade meine Quellen nicht für nähere Einzelheiten.
Zitat von Gorgasal im Beitrag #21Seneca, Philosophische Schriften, lateinisch-deutsch, langsam immer mehr lateinisch. Inzwischen bin ich bei Band 4. Daraus auch meine neue Signatur. ... Non delectent verba nostra, sed prosint. - Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, 75, 3
Gisbert Haefs, Mörder und Marder (1985), 1. Kap. Matzbach gestikulierte mit der Zigarre, deutete auf ein Regal, in dem Seneca, Epikur, Albertus Magnus und die Autobiographie von Giambattista Vico sich vertrugen. »Du sitzt also hier herum, bis jemand vorbeikommt, der ein Problem hat, und dann sagst du ihm, was die hilfreichen Ãlteren dazu zu sagen haben?« »So ungefähr. Immerhin hab ich ja Philosophie studiert.« »Und lange genug arbeitslos warst du auch. Ja, ich gebe zu, das ist ein guter Einfall. Die Rückführung der Philosophie zu ihrer eigentlichen Aufgabe. Seit sich die Bastarddisziplinen Sozio-, Psycho- und Sonstwaslogie von der Allmutter Philosophie gelöst haben und abgehoben um sich selbst kreisen, wie? Wo hat der Satz angefangen? Jedenfalls, seit sich die Philosophie aufgespalten hat, hilft von alledem nichts mehr. Das ehemals Hilfreiche an ihr hält sich für eigenständige Wissenschaft, statt für hilfloses Tasten in der Finsternis, und der Rest ist impotente Theorie. Nein, ich sage ja. Prost. Auf dein Wohl. Und hat es schon angefangen zu laufen?« Hoff nickte, lächelnd. »Ich will nicht deine schlechte Meinung über die Psychologie bekräftigen, wenn ich jetzt nicke. Aber ja, es läuft schon ganz gut.« Baltasar grunzte. »Psychologie ist der Versuch, dem Menschen einzureden, daß er sie brauche. Matzbach. Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält. Kraus.« ... »Hast du viel Kundschaft?« Hoff seufzte. »Es geht. Manchmal ruft jemand an, aber häufiger kommt einfach einer rein, setzt sich da hin, erzählt mir, was er auf der Seele hat, ich sage ihm, was Seneca oder Heraklit oder Augustinus dazu meinen. Dann nehme ich einen Fünfziger entgegen, und ein erleichterter Klient verläßt den Raum.« »Erleichtert ist zweideutig.« »Ich meine: seelisch erleichtert. Es ist erstaunlich, wie viel Hilfreiches sich bei den alten Denkern finden läßt. Und wie wenige Leute sie gelesen haben.« Er grinste und holte eine Art Rezeptblock aus einer Schublade. »Hier. In schwierigen Fällen schreibe ich Autor und Titel auf. Senecas Briefe an Lucilius sind in letzter Zeit in Bonn gut verkauft worden. Man hat sich darauf eingestellt und hält sie vorrätig.«
Das verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht - die arabischen Fernhändler haben doch erst nach der Islamisierung die Tamilen, die seit uralten Zeiten den Handel im Indischen Ozean dominierten, aus dem Geschäft gedrängt. Erst mit dem Islam kam das Interesse der Araber an fernen Gegenden. Der Islam hat überhaupt etwas Expansives an sich.
Ich lese gerade Tim Harford, DIE LOGIK DES LEBENS, Goldmann Taschenbuch 2010. Harford ist ein britischer Ökonom und Wirtschaftsjournalist, und der Untertitel gibt die Stoßrichtung des Buches gut vor: "Was hinter scheinbar verrückten Entscheidungen steckt". Das Buch richtet sich an interessierte Laien, und Harford schreibt sehr unterhaltsam und nachvollziehbar. Zumindest für mich gibt es bei der Lektüre dermaßen starke Aha!-Effekte, dass ich schon zweimal laut auflachen musste.
Zitat von Frank Böhmert im Beitrag #33Tim Harford, DIE LOGIK DES LEBENS, Goldmann Taschenbuch 2010. Harford ist ein britischer Ökonom und Wirtschaftsjournalist, und der Untertitel gibt die Stoßrichtung des Buches gut vor: "Was hinter scheinbar verrückten Entscheidungen steckt".
Zitat The Logic of Life: Uncovering the New Economics of Everything. Little, Brown and Company, 2008, ISBN 978-0-316-02756-4. deutsch: Die Logik des Lebens: Warum Ihr Boss überbezahlt ist, Oralsex boomt und New Orleans nicht wieder aufgebaut wird - Die rationalen Motive unserer scheinbar irrationalen Entscheidungen. Riemann Verlag, München 2008, ISBN 978-3-570-50096-5.
Quicksilver - Neal Stephenson Nach GoT das erste Buch, das ich mich zwingen muss, sehr langsam zu lesen. Ich weiß nicht, wie lange es schon für den Kindle erhältlich ist, scheint aber recht neu zu sein. Unbedingt empfehlenswert.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #36Quicksilver - Neal Stephenson Nach GoT das erste Buch, das ich mich zwingen muss, sehr langsam zu lesen.
Oha. (Stimme aus dem Off: "Der kann nur lange Bücher.") Ist das nun gut oder bedenklich? In diesem Fall: gut. Quicksilver ist ja nur das erste Drittel des Baroque Cycle - & das ist keine Trilogie, sondern, wie der Herr der Ringe, ein einziger Roman, der Handlichkeit halber auf 3 Portionen verteilt. Zusammen eine Scharteke von gut 2700 Seiten (im Original; in der dt. Übersetzung nimmt das erfahrungsgemäß noch um rund ein Drittel zu). Man sitzt da mit erheblich gebundener Lesezeit fest. Der Vorteil ist, daß bei Stephenson selbst die drögsten Passagen - oder das, was bei andern Autoren eine absolute Ödnis wären, spannend & kurzweilig ausfallen: das erste Drittel von Anathem z.B. - imaginäre Mönche auf einer imaginären Parallelwelt erzählen sich endlos was über imaginäre Wiederholung westlicher ideen- & Philosophiegeschichte & Zahlentheorie - aber dennoch hält er den Leser mühelos bei der Stange. Stephensons Zukunftsausflüge haben bei ihrer Originalität den Nachteil, daß die erwartbare Wirklichkeit sie schnell ins Abseits stellt. Die Shanghaier & Pacific Rim-Gesellschaft von 2050 in "The Diamond Age" von 1995: eine punktgenaue Rekapitulation des Hochviktorianismus mitsamt Vatermörder- & Cylinderhutmode (plus massenweise Nanotechnologie im Sinn Drexlerscher Replikatoren) auf Wahlbasis: man kauft sich in die Gesellschaftsform ein, der man angehören will: das hat so Patina wie das viktorianische Original (wer gar keine Mittel hat, den nimmt immer noch noch der "Leuchtende Pfad" (samt obligatorischer Hirnwäsche) ; obschon: da gäb es einen aktuellen Ersatz). Aber dieser Ansatz gibt ihm Gelegenheit, seitenlang vehemente & vor Witz sprühende Verteidigungen des viktorianischen Weltsicht & Lebensweise loszulassen, dass man Lust bekommt, mal so richtig konservativ zu werden.
Der Barock-Zyklus ist ein gutes Beispiel für das, was manche Kritiker den "non-science fiction science fiction novel" genannt haben: einen Blick auf die Welt, wie sie gute SF leisten soll: das Gesamtbild in den Fokus nehmend, wie die technischen Veränderungen diese Welt umformen, welche Welt (unsere Gegenwart) daraus entsteht, als logische Folge, nicht als kontingentes "wir machen das heute nicht mehr so". Im BZ ist das das Zeitalter von Newton & Huyghens; in Cryptonomicon (900 Seiten, lange Bücher...) & Reamde (1100 S.) die 40er bzw. frühen 70er, als die Weichenstellungen der Computerei den Weg zur vernetzten Welt ausgerollt haben. Sein neuester Roman ist übrigens am vorigen Dienstag in den Handel gekommen: Seveneves (880 S.) - ein bona fide SF-Roman, der aber die Klippen der Nahzeitprophezeihungszuschandenwerdung dadurch umgeht, daß er 5000 Jahre in die Zukunft verlegt ist.
Zitat von WaschzetteltextA catastrophic event renders the earth a ticking time bomb. In a feverish race against the inevitable, nations around the globe band together to devise an ambitious plan to ensure the survival of humanity far beyond our atmosphere, in outer space. But the complexities and unpredictability of human nature coupled with unforeseen challenges and dangers threaten the intrepid pioneers, until only a handful of survivors remain . . . Five thousand years later, their progeny—seven distinct races now three billion strong—embark on yet another audacious journey into the unknown . . . to an alien world utterly transformed by cataclysm and time: Earth.
Für den Barock-Zyklus gilt übrigens dasselbe, was für alle Titel seit Cryptonomicon gilt: jedesmal sind sich die Kritiker absolut sicher, daß diese Zumutung die Leserschaft im Massen abschrecken werde: "this will be the end of the cult of Neal Stephenson".
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
xanopos
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26.05.2015 10:00
#38 RE: Ich lese gerade. Ein Thread für Lektüretipps noch von unterwegs
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #37Für den Barock-Zyklus gilt übrigens dasselbe, was für alle Titel seit Cryptonomicon gilt: jedesmal sind sich die Kritiker absolut sicher, daß diese Zumutung die Leserschaft im Massen abschrecken werde: "this will be the end of the cult of Neal Stephenson".
Der Kult will sich mir, nachdem ich Cryptonomicon gelesen habe, nicht ganz erschließen. So genial der Anfang war, das Ende war bestenfalls Mittelmaß, da musste wohl wer einen Abgabetermin einhalten.
xanopos
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Beiträge:
26.05.2015 10:03
#39 RE: Ich lese gerade. Ein Thread für Lektüretipps noch von unterwegs
Hobbes hat nämlich auf seine alten Tage Homer übersetzt & 1675, mit 87, eine vollständige Übersetzung von Ilias & Odyssee vorgelegt. In Wechselreimen.
O Goddess sing what woe the discontent Of Thetis Son brought to the Greeks; what souls Of Heroes down to Erebus it sent, Leaving their Bodies unto Dogs and Fowls; Whilst the two Princes of the Army strove, King Agamemnon and Achilles stout. That so it should be was the will of Jove, But who was he who made them first fall out? Apollo: who incensed by the wrong To his Priest Chryses by Atrides done, Sent a great Pestilence the Greeks among, Apace they di'd and remedy was none.
(Ilias, 1. Gesang, 1-12)
So geht das, bei 41 Zeilen pro Seite, 667 Seiten lang. Irgendwie beschleicht einen das Gefühl, daß das mit dem Klassiker-Nichtlesen kein Phänomen der neusten Moderne sein könnte.
Abgelegt unter: Literatur & Krieg, Timeo danaos.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Und Friedrich Reck-Malleczewen, Tagebuch eines Verzweifelten. Im April in neuer Ausgabe erschienen, zum ersten Mal seit der Ausgabe in der Anderen Bibliothek von 1994. Niemand, wirklich niemand, hat den vorigen Ausbruch eines Massenwahns in all seiner Blindheit und seinem Größenwahnsinn in diesem Land so hellsichtig & wortgewaltig kommentiert.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Und Friedrich Reck-Malleczewen, Tagebuch eines Verzweifelten. Im April in neuer Ausgabe erschienen, zum ersten Mal seit der Ausgabe in der Anderen Bibliothek von 1994. Niemand, wirklich niemand, hat den vorigen Ausbruch eines Massenwahns [...]
Das interessiert mich. Neulich las ich, Bockelson vom gleichen Autor thematisiere den Massenwahn. Tun das beide Bücher?
Nicht mehr von unterwegs, weil schon ausgelesen - aber wegen seines politischen Themas vielleicht auch für die Zimmerleute interessant ist der aktuelle Roman von Thomas Brussig, DAS GIBTS IN KEINEM RUSSENFILM. In dieser Mischung zwischen fiktiver Autobiografie und Schelmenroman existiert die DDR bis heute.
Adam Zamoyski, 1812. Napoleons Feldzug in Russland Das Schlusskorrektorat war offenbar ein bisschen hektisch, ansonsten aber bislang (Seite 270 von 720) ein sehr lesbares Buch.
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge von Jens Spahn (Herausgeber)
Mit Beiträgen von Herfried Münkler, Boris Palmer, Sineb El Masrar, Julia Klöckner, Klaus von Dohnanyi, Mouhanad Khorchide, Franz-Josef Overbeck, Bernd Fabritius, Wido Geis, Michael Hüther, Wolfang Ischinger, Markus Kerber, Bruno Le Maire, Peter Limbourg, Carsten Linnemann, Wolfgang Niersbach, Hermann Parzinger, Julian Reichelt, Oliver Samwer, Markus Söder und Paul Ziemiak
------ "Kurz, womit konnte die Disharmonie einer so schwachen, unruhigen, sich selbst widersprechenden Regierung als mit Barbarei und dem Tode aller vernünftigen, nützlichen Literatur endigen? Hier war kein Griechenland, kein Rom mehr; Europa war ein dunkles Getümmel ziehender Barbaren." (J.G.v.H.)
Für comicaffine Zimmerleute ist vielleicht auch die Memoirentrilogie von Riad Sattouf interessant - falls man wissen möchte, wie es war, vor dreißig Jahren in Syrien und Libyen aufzuwachsen.
Ich habe den ersten Band - der zweite kommt nächsten Monat auf Deutsch raus - sehr genossen. Sattouf als langjähriger Charlie-Hebdo-Zeichner geht da natürlich auch eher kritisch-lustvoll ran ...
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