Orwells "1984" erlebt dieser Tage eine kleine Rennaissance; die Überwachung und der "Große Bruder". Jenseits der großen Skandale um Prism und Tempora mag man jedoch noch eine andere, nicht weniger erschreckende, Parallele entdecken: wer das Denken der Menschen unter seine Kontrolle bringen will, wählt den Weg über die Kontrolle der Sprache.
Zitat von Doeding im Beitrag #1Orwells "1984" erlebt dieser Tage eine kleine Rennaissance; die Überwachung und der "Große Bruder". Jenseits der großen Skandale um Prism und Tempora mag man jedoch noch eine andere, nicht weniger erschreckende, Parallele entdecken: wer das Denken der Menschen unter seine Kontrolle bringen will, wählt den Weg über die Kontrolle der Sprache.
Ein äußerst gelungener Artikel, lieber Andreas, mein Kompliment. Falls ich das richtig sehe, kann die 1984-Methode nur funktionieren, wenn die Sprache des Denken prägt. Ist der Umstand, dass bestimmte Euphemismen nach einer gewissen Zeit neue ersetzt werden (müssen), nicht ein Hinweis auf das Gegenteil? Also darauf, dass sich ein bestimmtes Denken trotz sprachlichen Maskenwechsels erhält?
Zitat Daß die Grammatik (und nicht nur einzelne Vokabeln) Gegenstand und Opfer politisch motivierter Sprachanpassung wird, ist wohl in diesem Ausmaß, trotz Binnen-I, ein Novum. Herr Professorin kann, so gesehen, als folgerichtiger nächster, und keinesfalls letzter, Schritt in die politisch motivierte Bereinigung der Sprache betrachtet werden.
Gegen das Binnen-I gibt es doch erhebliche Widerstände. Mittlerweile kann man(n) mithilfe eines kleinen Add-Ons bzw. einer App das phöse "Innen" herausfiltern lassen.
Zitat Ganz besonders scheint dies für Literatur zu gelten, die sich an Kinder richtet. In der Tat, jede Ideologie versucht alsbald, bei den Kleinsten Fuß zu fassen, denn Kinder sind bekanntlich formbar und offen für jegliche Lehre, die bei reiferen, kritischeren Geistern womöglich Widerspruch erregte.
Da hilft nur die eigene Kinderliteratur aufzuheben, andererseits will man mal sich die Aufregung wirklich antun, wenn der kleine Spross im Kindergarten/Grundschule ein politisch unkorrektes Wort sagt, nur weil es "Das kleine Negerlein" gelesen hat? Nee, das sind in meinen Augen nur Nebenschauplätze.
Zitat von NoricusFalls ich das richtig sehe, kann die 1984-Methode nur funktionieren, wenn die Sprache des Denken prägt. Ist der Umstand, dass bestimmte Euphemismen nach einer gewissen Zeit neue ersetzt werden (müssen), nicht ein Hinweis auf das Gegenteil? Also darauf, dass sich ein bestimmtes Denken trotz sprachlichen Maskenwechsels erhält?
Lieber Noricus, es ist wohl so, daß Denken und Sprache in einer Wechselwirkung zueinander stehen; sie beeinflussen sich gegenseitig. Daß die großen menschenverachtenden Diktaturen der Vergangenheit so großen Wert auf die Lenkung der Sprache gelegt haben, dürfte diesen Hintergrund haben. Daß Euphemismen "erneuert" werden müssen (hätten Sie ein Beispiel zur Hand?), scheint ein Merkmal der Freiheit zu sein. Diktaturen verfügen in solchen Fällen wohl über das Mittel der offenen Repression.
Zitat von xanoposGegen das Binnen-I gibt es doch erhebliche Widerstände.
Stimmt. Das Ergebnis ist nun der Herr Professorin (das ist der Hintergrund der neuen Sprachregelung an der Uni Leipzig). Man kann das auch als Kommunikation interpretieren: "Wenn euch das Binnen-I nicht passt, dann lassen wir uns halt etwas noch blöderes einfallen."
Zitat Nee, das sind in meinen Augen nur Nebenschauplätze.
Das mag man für das einzelne inhaltliche Beispiel so sehen. Bedenklich ist aber die Methode an sich. Die Lenkung der Sprache, die somit in Teilen aus ihrer "natürlichen Entwicklung" herausgelöst wird, dient notwendigerweise der Einschränkung der Meinungs- und Denkvielfalt, ergo der Einschränkung individueller Freiheit. Ich habe das Kinderspiel "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann" nie als rassistisch wahrgenommen; vermutlich habe ich als Kind eher an einen Schornsteinfeger gedacht. Political Correctness bedeutet nun, daß eine rassistische Bedeutung oft genug zuerst in einen Begriff buchstäblich hineingelegt wird (z. B. Zigeuner), um sie dann (bzw. zuerst den Begriff und später den, der ihn gebraucht) zu bekämpfen.
Zitat von Doeding im Beitrag #4Daß Euphemismen "erneuert" werden müssen (hätten Sie ein Beispiel zur Hand?), scheint ein Merkmal der Freiheit zu sein. Diktaturen verfügen in solchen Fällen wohl über das Mittel der offenen Repression.
Zitat von Doeding im Beitrag #4Daß Euphemismen "erneuert" werden müssen (hätten Sie ein Beispiel zur Hand?), scheint ein Merkmal der Freiheit zu sein. Diktaturen verfügen in solchen Fällen wohl über das Mittel der offenen Repression.
Ein Merkmal scheint mir aber zu kurz zu kommen: das der Vergänglichkeit.
Das, was sie beschreiben, war nämlich immer und zu allen Zeiten so. Machthaber versuchten, die Stimmung des Volkes durch Beeinflussung der Sprache für sich zu gewinnen. Ich denke nur an den Slogan aus Kohlschen Zeiten "Freiheit statt Sozialismus". Beide Bestandteile waren verkürzende Weltbilder in ihrem Sinn.
Nun, die Dominanz der Kohlschen CDU ging vorüber, heute hat Merkel (aus Machtinstinkt) den ökologismus für sich beansprucht, aber auch ihre Zeit wird irgendwann vorbei sein (nur vermutlich nicht dieses Jahr, die SPD/Grünen stellen einfach keinen würdigen Gegner).
Selbst Diktaturen sind sich nicht im Klaren darüber, wie vergänglich ihre Repressalien sind, dabei zeigt das Beispiel DDR sehr gut, wie schnell das gehen kann, wenn man seine Brutalität mal aus den Augen verliert.
Insofern ist die Devise klar: Glaube ihnen kein Wort und wartet ab, die Zeit wird es zeigen.
Zitat von xanopos im Beitrag #3 Da hilft nur die eigene Kinderliteratur aufzuheben, andererseits will man mal sich die Aufregung wirklich antun, wenn der kleine Spross im Kindergarten/Grundschule ein politisch unkorrektes Wort sagt, nur weil es "Das kleine Negerlein" gelesen hat? Nee, das sind in meinen Augen nur Nebenschauplätze.
Ich hatte kürzlich ein altes, grottenschlechtes Buch aus DDR-Zeiten in der Hand; habe es jedoch wieder mit Genuß durchblättert. Schon allein die normale Orthographie und der Satzaufbau waren erholsam.
Gottseidank haben meine Kinder der Schule inzwischen verlassen und ich beiße mir diesbezüglich nur noch kräftig auf die Zunge.
Einen gewissen Konflikt - Pegel darf es vermutlich trotzdem geben ...
mfG
----------------------------------------------------- Mehr Liberalismus wäre dringend vonnöten. Zettel
Zitat von Doeding im Beitrag #1Orwells "1984" erlebt dieser Tage eine kleine Rennaissance; die Überwachung und der "Große Bruder". Jenseits der großen Skandale um Prism und Tempora mag man jedoch noch eine andere, nicht weniger erschreckende, Parallele entdecken: wer das Denken der Menschen unter seine Kontrolle bringen will, wählt den Weg über die Kontrolle der Sprache.
Und die Kontrolle der Sprache erfolgt über die Kontrolle der zur Verfügung stehenden Informationen. Gerade diese fehlen den Menschen bei Orwells "1984" fast völlig. Auch mir fehlte es in der DDR ganz erheblich an Informationen. Ob die jetzt manipuliert waren oder nicht, war zweitrangig. Bei einer gewissen Menge ergeben sich Wiedersprüche von allein. Selbst in Büchern voll mit kommunistischer Propaganda kann man Reales, wenn nicht Wahres, erkennen. Ich habe bevor es in der Schule Pflicht war, "Wie der Stahl gehärtet wurde", von Nikolai Alexejewitsch Ostrowski, gelesen. Dieses Buch hat mich abgestoßen und doch gefesselt. Aus der Erinnerung heraus hat der Autor sich zum Krüppel gearbeitet. Ich habe die Barbarei des Kommunismus in diesem Buch kennengelernt und denke heute, es ist auch ein Buch über das Leben im Gulag.
Ich habe das Buch im Januar gekauft und gelesen. Ich fand es bedrückend, wie weit unsere Gesellschaft sich der Dystopie schon angenähert hat, gerade was die Sprache angeht. Vor wenigen Jahren gab es noch den Begriff Erderwärmung bzw. globale Erwärmung. Seit ein paar Jahren ist es durch "Klimawandel" ersetzt, der natürlich viel flexibler und damit für die politische und ökologistische Elite brauchbarer ist, dann man sowohl Erwärmung als auch Abkühlung als Bestätigung für "Klimawandel" dient und politische Eingriffe rechtfertigt.
Ein Zitat ist mir in besonderer Erinnerung:
"Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles weitere." - Mittlerweile wird einem vorgeworfen, wenn man eine realistische Sicht hat. Ich finde die Stelle leider nicht mehr, aber unser Top-10-Chartstürmer den Leuten aus dem Bereich der "Achse" schon Realitätswahn, Wirklichkeitswahn oder ähnliches vorgeworfen. Und seine Beiträge von 2013 zielen darauf ab, dass er seine Chart-Platzzierung im Jahre 2013 gegenüber 2012 ausbaut.
Vielen Dank lieber Andreas Doeding, für Ihre zutreffenden und anregenden Ausführungen.
Die Beschäftigung mit dem 3. Reich hat mir die verführerische Macht des Wortes, insbesondere durch die Rhetorik, bewusst gemacht. Viktor Klemperer's LTI hat mir vor vielen Jahren für das von Ihnen angesprochene Problem die Sinne geschärft. Dadurch wurde ich veranlasst besonders auf die "Sprache der DDR", aber auch auf die "Sprache der Bundesrepublik Deutschland" zu achten. Ein ganz banales Beispiel: In der DDR wurde die Bundesrepublik Deutschland immer als BRD bezeichnet. Sicherlich sollte es dadurch zu Verwechslungen, besonders im Ausland kommen, bzw. sollte die Differenzierung verwischt werden. In den offiziellen Verlautbarungen der Bundesrepublik wurde immer das Kürzel BRDeutschland verwendet. Die "BRD" hat sich aber bis heute behauptet, obwohl es jetzt wieder "D" abgekürzt werden müsste.
Ein anderer Aspekt: Der inflationäre Gebrauch bestimmter Begriffe, wie z.B. Rassismus, Diskriminierung, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit. Besonders stört mich die Verwendung von Gerechtigkeit. Kaum jemand hat sich mit dem Begriff Gerechtigkeit beschäftigt. Trotzdem wird sie allenthalben eingefordert. Ohne zu wissen, was Aristoteles darüber gesagt hat oder z.B. Josef Pieper, in "Über die Gerechtigkeit" geschrieben hat, wird der "gerechte Lohn" gefordert. Wer weiß denn überhaupt, was das ist, ob es ihn überhaupt geben kann oder ob das nur eine Utopie ist oder ein Begriff der Propaganda?
Ja, die Macht des Wortes ist schon gewaltig. Selbst in der Bibel wird das deutlich. In Genesis 1 wird das anschaulich geschildert. Gott schuf Himmel und Erde. Alles weitere erfolgte durch das Wort: "Gott sprach..."
Ich denke, die Suppe wird nicht so heiß gelöffelt, wie gekocht.
Wenn ich heute "Gerechtigkeit" oder "Gleichheit" lese, beende ich oft die Lektüre (es sei denn, ich erwarte besondere Informationen [wie zum Beispiel hier]), da sie mich langweilen.
Diese Worte sind nur leere, dem Materiellen verhaftete Hüllen, ebenso wie der von den Kirchen praktizierte christliche Glaube von seinen Wurzeln getrennt wurde. Die Worte sind von den Emotionen und Ideen getrennt worden. Wenn nicht die Kirchen dem Materiellen verhaftet sind, wer denn dann? Es fehlen die Menschen, die mit ihrer Seele diese Ideen zum Leben erweclen und die bereit sind, dafür alles zu geben. http://www.youtube.com/watch?v=A7jMX_jLeQc
Als Kind habe ich die alten Bücher meiner Großmutter verschlungen. Die alten Heldensagen über deren Leben, Irren und Scheitern oder wieder aufrappeln. Auch der vielleicht hier belächelte "Kampf um Rom" vermittelt, was Gerechtigkeit ist - nähmlich der Lohn für Taten, nicht für Arbeit - Ehre, Treue, Heimat und Herd sowie Glauben. Man wird obige Worte auch nicht dauerhaft entwerten oder gar ausrotten können. Es fehlt heute auch die damalige bildhafte Sprache, mit der Emotionen geweckt werden. Die gab es auch in Kinderbüchern wie Mowgli. Vor allem erkennt man, was heute fehlt: nähmlich der Mut, mit dem die Furcht aufgenommen wird. http://www.youtube.com/watch?v=bHe4ArapNUQ Mut ist inspirierend und wohl mit der Hauptgrund, warum solche Filme so erfolgreich sind.
Von daher meine ich, dass der Ökölogismus z.B. keine neue Religion werden kann. Es fehlt schlicht der Pathos der alten Mythen, welcher dem Menschen Wurzeln gibt. Schwierig wird es erst, wie oben schon geschrieben, wenn es keine solchen Bücher und keine Kinder mehr gibt, die sie lesen.
Zitat von ReisenderVor allem erkennt man, was heute fehlt: nähmlich der Mut, mit dem die Furcht aufgenommen wird.
Zitat von Leckie, Robert 'Helmet for my Pillow', Random House 1957Keep it up, America, keep telling your youth that mud and danger are fit only for the intellectual pigs. Keep on saying that only the stupid are fit to sacrifice, that America must be defended by the lowbrow and enjoyed by the high-brow. Keep vaunting head over heart, and soon the head will arrive at the complete folly of any kind of fight and meekly surrender the treasure to the first bandit with enough heart to demand it.
Zitat von Jakob Nierstein im Beitrag #11 "Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles weitere." - Mittlerweile wird einem vorgeworfen, wenn man eine realistische Sicht hat. Ich finde die Stelle leider nicht mehr, aber unser Top-10-Chartstürmer den Leuten aus dem Bereich der "Achse" schon Realitätswahn, Wirklichkeitswahn oder ähnliches vorgeworfen. Und seine Beiträge von 2013 zielen darauf ab, dass er seine Chart-Platzzierung im Jahre 2013 gegenüber 2012 ausbaut.
Wenn meinen Sie mit "Top-10-Charstürmer"? Meinen Sie mit "dem Bereich der 'Achse'" die Achse des Guten?
vielen Dank für dieses herrausragende Essay. Es fasst wunderbar Gedanken zusammen, die schon seit Monaten als lose Enden wirr in meinem Kopf herumschwirren. Angefangen hatte es mit der Lektüre eines Buches von Jörg Schönbohm.
Zusammen mit Ihrem Beitrag über die "Grüne Religion" beschreiben sie aufs trefflichste den Grund dafür, dass ich über die letzten Jahre diese tiefe Sympathie für "libertäres Denken" entwickelt habe, obwohl ich eigentlich kein Liberaler bin.
Ich habe durch einige sehr gute Gespräche letzte Woche, und auch viele Forendiskussionen hier, für mich festgestellt:
Es geht nicht darum Menschen vom Wert der Freiheit als Allhheilmittel zu überzeugen - oder selbst überzeugt zu sein. Es geht darum, dass auch diejenigen die Freiheit für überdenkenswert halten, den Gedanken an sie als berechtigt zulassen. Den Wert der Freiheit zu erkennen, kann auch im Widerspruch zum eigenen Denken stehen. Das ist nicht schlimm, sondern über die Maße bereichernd. Ein echter Liberaler zu sein, ist unendlich schwer. Das habe ich für mich erkannt. Das dazu notwendige, durch und durch positive Menschenbild, überfordert die meißten -- zumindest mich. Trotzdem bewundere ich den, der hierzu fähig ist.
Dazu kommt: Wenn ein zutiefst "Werte konservativer" Mensch wie ich Zuflucht und Hoffnung in liberalen Ideen sucht, impliziert das eine Aussage darüber, welche Gedanken unser Zeitgeist so schmerzlich vermisst.
Danke für dieses Forum und seine Teilnehmer, die es so wertvoll machen.
Herzlichst
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
"Achse" ist natürlich die "Achse des Guten". Ich bin seit Beginn, also seit 2004, Achse-Leser.
Und unser, das heißt der deutsche, Top-10-Chartstürmer ist Jakob Augstein. Ich denke, Platz 9 ist noch ausbaufähig und Augsteins Kommentare im Jahre 2013, z. B. zu Syrien u. Israel, zeigen, dass Augstein mit Platz 9 nicht zufrieden war.
Zitat im Blogbeitrag: _____________ Eine bemerkenswerte Aufzählung, die Orwell hier vornimmt. Als er das Buch geschrieben hat, müssen diese Begriffe sämtlich noch eine freiheitliche Konnotation gehabt haben, wenn er sie hier als Beispiel für totalitäre "Sprachsäuberung" anführt. _____________
Der auslösende Moment war für Orwell wohl der Gebrauch des Wortes "Demokratie" durch die Sozialisten. Nach der ideologischen Version der Sowjetunion nach 1946 - & der Komintern somit - galt die UdSSR die "einzige Demokratie überhaupt" (der Begriff der "Menschenrechte" galt von vorneherein als kapitalistisches Täuschungsmanöver, da es ja nur Klasseninteressen gab, & allein die der Arbeiterklasse waren legitim - die wiederum allein durch die Partei vertreten werden konnten; die "Freiheit" bestand darin, sich freiwillig der "Diktatur des Proletariats" zu unterwerfen - Parallelen zu anderen "Freiwilligkeiten", z.B. bei weiblicher Kleiderordnung, zu ziehen, ist reine Boshaftigkeit...). Orwell hat letzten Endes wohl nicht an den Erfolg des Neusprech geglaubt. Winston Smiths Bekehrung erfolgt ja auf handfestere Weise. Die sogenannte "Wirklichkeit" erweist sich als ein recht widerspenstiges Phänomen, dem mit sozialer Dekonstruktion auf die Dauer nicht gut beizukommen ist: Insofern unterliegen sämtliche Losungen in solchen Systemen einer rapiden Erosion & Umwertung. In der DDR war das die Wendung "das geht seinen sozialistischen Gang...": da brauchte man dann keine Aufführung von "Warten auf Godot" mehr.
Der Ideenhintergrund für Winstons Smiths "Bekehrung" ergibt sich aus den Zeitumständen: Diejenige Hälfte der Psychologie der 30er & 40er Jahre, der nicht an Freud & Ableger (Adler oder Jung) glaubte, war vom Behaviorismus geprägt & somit vom Glauben an die Möglichkeit der Konditionierung. Das Problem für Orwell & andere - in der Regel sogenannte "Renegaten", die selbst einmal an den Kommunismus geglaubt hatten - lag darin, die Schauprozesse der Kommunisten zu erklären - nicht nur die Moskauer Prozesse von 1937, sondern auch die in den sowjetisch besetzten Zonen nach 1945 - bei denen die Angeklagten ja die absurdesten Anschuldigungen gestanden & für sich die Todestrafe forderten: das sei mit reiner Folter nicht mehr zu erklären, sondern könne nur auf eine tiefe innere Überzeugung von der Richtigkeit der Ideologie zurückgehen. Dieses Deutungsmuster geht letztlich auf Arthur Koestlers "Sonnenfinsternis/Darkness at Noon" von 1940 zurück. Dieselbe Überschätzung der "Konditionierung" lag dann nach 1950 den Theorien von der "Gehirnwäsche" zugrunde, nach denen gefangene US-Soldaten im Koreakrieg "umgedreht" worden sein sollten.
In diesem Essay steckt viel Fleißarbeit. Danke dafür.
Sprachkontrolle ist logische Folge und Ausdruck von Machtstreben. Wenigstens wird man derzeit in westlichen Ländern nur in Aussnahmefällen inhaftiert und bestraft, wenn man nicht opportune Ansichten vertritt.
Doch auch in einer demokratisch organisierten Staatsform ist das Machtstreben, bzw. die Machtgier, damit nicht erloschen. Machtgier - ich wähle diesen Begriff bewusst als Gegenpol zur allgegenwärtig kritisierten Profitgier.
An diesen beiden Begriffen kann man sehr schön sehen, wie der Sprachgebrauch dazu dient eine bestimmte Weltanschauung zu implementieren in der Bevölkerung.
Profitgier zu kritisieren war stets das Vehikel der Linken um ihren Machtanspruch zu rechtfertigen. Denn Profitgier soll allerlei Übel hervorbringen. Teils stimmt dies, doch verdanken wir nahezu unseren gesamten Wohlstand, den technischen Fortschritt überhaupt, ganz erheblich dem Streben nach Wohlstand - sprich Profitstreben. Stellt man die Auswikungen der Profitgier Vor- und Nachteile gegeüber, dominieren die positiven Effekte bei weitem. Dennoch sind sie praktisch nicht bewusst.
Machtgier hingegen hat die sozialistischen Regime des letzten Jahrhunderts erschaffen. In der roten und braunen Variante wurden über 150 Millionen Menschen durch Kriege, Hunger, Folter und Mord umgebracht, und Milliarden waren gezwungen in Armut, Unterdrückung, Rückständigkeit ihr einmalige, unendlich kostbares Leben zu fristen.
Machtgier richtet auch in der Gegenwart viel mehr Unheil an als Profitgier.
Machtgierige Politiker verschulden ihre Länder ruiniös, und müssen sich dafür Geld leihen von den Banken. Diese stehen nun am Pranger, als ginge es darum die Banken zu retten. Tatsächlich geben sie nur den Sündenbock für die machtgierigen Politiker und Medien, welche erst durch Stimmenkauf die Staaten derart verschuldet haben.
Doch warum fällt das fast niemand mehr auf ? Obwohl es doch im Prinzip jeder weiß !
Wir sind "Gefangene" unserer Sprachgewohnheiten. Sie limitieren unbewusst unsere Ausdrucksfähigkeit. Mit einher gehen unbewusst Denkschablonen, Deutungsmuster, mit welchen wir versuchen unsere Umgebung zu erfassen, uns mitzuteilen und Handlungsstrategien zu entwickeln.
Man kommt im Regelfall nicht einmal auf die Idee Adjektive und Substantive außerhalb etablierter Gewohnheiten zu verwenden. Z.B. wenn Einheimische Opfer rassitischer und fremdenfeindlicher Verbrechen durch bestimmte Migrantengruppen werden. Statt dessen kommen Äußerungen, die oft in der Tat pauschalierend, diffamierend und fremdenfeindlich erscheinen. Warum ?
Weil die Sprach- und Ausdrucksgewohnheiten, um relativ präzise diesen inakzeptlablen Mißstand zu benennen, nicht vorhanden sind. "Rassistische Migrantengruppen" - hat man diese Formulierung je gehört ? Zuwanderung fremdenfeindlicher Ethnien, Einwanderung frauen- und homosexuellenfeindlicher Kultur, menschenrechtsfeindliche, rassistische, diskriminierende Religion, .......
Ebenso in der Selbstdefinition. Ist es nicht legitim als Gegner religiös motivierter Frauendiskriminierung sich als Frauen- und Menschenrechtsaktivist zu bezeichnen ? Und die Lobbyisten frauen- und homosexuellenfeindlicher Religion als frauen- und homosexuellenfeindlich ?
Oder der Zweifler am menschengemachten Klimawandel als Klimarealist, und zugleich die Anhänger dieser längst wiederlegten Hyothese als die wahren Klimaleugner, als Klimafaktenleugner, als Klimademagogen, ...., zu bezeichnen.
Viele Menschen spüren intuitiv, daß sie manipuliert und belogen werden. Doch sie können sich nicht mehr ausdrücken, weil ihnen entweder die Begriffe dafür fehlen, oder aber, weil man ihre Art und Gewohnheit sich auszudrücken tabuisiert hat.
Heute kann nur noch wirksam mitreden, und somit mitgestalten, der einen ganz bestimmten Sprachstil beherrscht nämlich den akademischen der Linken und Grünen:
Das EEG ist nicht nur unbezahlbar teuer, es ist auch extrem unsozial, es treibt die Schere zwischen Arm und Reich noch mehr auseinander, es belastet besonders die Schwächsten - Menschen ohne Lobby. Und wirkt dann auch noch umweltzerstörend.
Durch stete Wiederholung solcher inhaltlich zutreffender Formulierungen verlöre die bisher erfolgte Politik ihre Legitimation.
Und nun sind wir bei den Medien, die fast vollständig aus Personal das der ökolinken Weltanschauung anhängt, besetzt sind. Keine Chance auf Veränderung auf diesem Weg.
Was bleibt ist das Internet als Basis einer geistigen Selbstbefreiuung durch die ökolinke Herrschaftselite. Je öfter Begriffe wie "umweltschädliches EEG", "frauenfeindlicher Religionslobbyismus" ect. verwendet werden, umso mehr sprengen wir die Ketten, die man unserem Geist angelegt hat.
Im Prinzip ist es ein Befreiungskampf. Wie einst das Hinterfragen gottgegebener Leibeingenschaft, Ständegesellschaft, Sklaverei eine Sprengung der dazu notwedigen Normen bedeutet hat, so gilt es sich heute von der Moral hinter den Sprachmanipulationen zu befreien..
Ist erst einmal ein Bewusstsein dafür vorhanden, daß Machtgierige das Verlangen haben über uns zu ihrem Vorteil zu herrschen, sei dieser materiell oder psychologisch, wird man mit sehr viel mehr Skepsis einem Politiker begegnen, der höhere Steuern verlangt. Denn diese bedeuten für ihn ein Mehr an Macht, und zugleich mehr Ohnemacht für uns.
Allerdings hätte ohne das Internet die aktuelle Herrschaftsstrategie der Sprachmanipulation und medialen Gleichschaltung einen noch erdrückenderen Erfolg. So wüsste wohl nur ein Bruchteil der heute Informierten, daß der Klimawandel natürlich ist, und CO2 eine sehr untergeordnete Größe darin hat. Schon daran erkennt man, wie effektiv die Massenmanipulation heute ist.
Als Orientierung im Umgang mit den Medien wäre es demnach sinnvoll den Gedankengang zu etablieren: Die Medien beinhalten nicht zuerst Information, sondern zeigen uns, was wir glauben sollen, wie man uns manipulieren will, wie man uns haben möchte.
Dies so zu sehen entspannt einen selbst, denn alltäglich diese Lügen sind nicht mehr erträglich, weil man nur marginal widersprechen und sich somit dagegen wehren kann. Und man erkennt die Information die der Medienmacher von sich selbst gibt - seine Intentionen, seinen Machtanspruch. Dies so zu sehen ist nicht nur nützlich, es tut auch gut fürs Selbstwertgefühl, denn es ist ganz einfach Schlauheit verborgene Manipulationen zu durchschauen.
Nicht Spiegelleser wissen mehr, sondern Selbstdenker.
Zitat von Jakob Nierstein im Beitrag #11Vor wenigen Jahren gab es noch den Begriff Erderwärmung bzw. globale Erwärmung. Seit ein paar Jahren ist es durch "Klimawandel" ersetzt, der natürlich viel flexibler und damit für die politische und ökologistische Elite brauchbarer ist, dann man sowohl Erwärmung als auch Abkühlung als Bestätigung für "Klimawandel" dient und politische Eingriffe rechtfertigt.
Ähm, wer spricht heute von Klimawandel und meint Abkühlung?
Locus classicus bei derartigen Sprachanstrengungen - sowohl als Warnung wie auch als zynische Begründung - ist zumeist Buch XIII aus Konfuzius' "Lun Yu - Gespräche", Abschn. 3, "Richtigstellung der Begriffe":
"Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeiht Moral und Kunst nicht; gedeiht Moral und Kunst nicht, so treffen die Strafen nicht; treffen die Strafen nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Darum sorge der Edle, daß er seine Begriffe unter allen Umständen zu Worte bringen kann und seine Worte unter allen Umständen zu Taten machen kann. Der Edle duldet nicht, daß in seinen Worten irgend etwas in Unordnung ist. Das ist es, worauf alles ankommt."
(dem Konfuzianismus wird mitunter ein leicht autoritärer Einschlag nachgesagt...)
Andererseits erweist sich (sh. #19) im Duo Sprechen - Denken als 3. Pol das soziale Konstrukt "Realwirklichkeit" als, frei nach Einstein, eine "wenn auch hartnäckige Illusion", der man auch mit härteren rhetorischen Knebeln nicht beikommt.
Im 4. Band von Gene Wolfes Romantetralogie The Book of the New Sun (1980-83), The Castle of the Autarch, werden in dieser fernen, anspielungsgesättigten Zukunftsvision nach dem Muster des Decameron immer wieder Erzählungen der Protagonisten eingeschoben: dort von jemandem, der nur als "Loyal to the Group of Seventeen" bekannt ist. Dieses dystopische Gemeinwesen, das wird dem Leser des 20. Jhdt.s klar, ist eine Übersteigerung des Kambodscha der Roten Khmer: dort geht die Regulierung der Sprache so weit, daß nur Äußerungen zulässig sind, die wörtliche Sentenzen aus dem zukünftigen Äquivalent des "kleinen roten Buchs" darstellen - aber selbst das verhindert nicht, daß subversive Zweifel transportiert werden können - wenn man es denn recht zu übersetzen weiß: http://books.google.de/books?id=h3wSdakB...up+of+seventeen's+story&hl=de&sa=X&ei=kajRUanYO8XSsgbG6YHgBg&ved=0CDUQ6AEwAA
“In times past, loyalty to the cause of the populace was to be found everywhere. The will of the Group of Seventeen was the will of everyone.” “Once upon a time…” “The people meeting in counsel may judge, but no one is to receive more than a hundred blows.” “He complained, and they beat him.” “How are the hands nourished? By the blood. How does the blood reach the hands? By the veins. If the veins are closed, the hands will rot away.” “He left that farm and took to the roads.”
Apropos Khmer Rouge & Sprachregelung: Nach dem Ende des Pol Pot-Terrors Ende 1979 stellten ausländische Beobachter oft fest, daß die Kambodschaner oft nur paarweise zu ihnen Kontakt aufnahmen - & irgendwann äußerten: "Mein Freund würde es sicher nicht ablehnen, wenn Sie ihm Zigaretten anbieten würden", das Ganze dann doppelt als Wechselrede. Es stellte sich dann heraus, daß schon "ich möchte", "ich würde gern" Anlaß gewesen war für Selbstkritik bis hin zur Exekution mit dem Spatenschlag. Einer der wenigen Punkte, in denen die furchtbare Realität von einer der dystopischen Romanvisionen genau vorweggenommen wurde: In Ayn Rands erstem Roman, We, the Living von 1936 ist ebenfalls der Gebrauch des Personalpronomen "Ich" die Tat, die buchstäblich undenkbar ist.
Zitat von Doeding im Beitrag #4 Daß Euphemismen "erneuert" werden müssen (hätten Sie ein Beispiel zur Hand?)[...]
Ich denke da z.B. daran, dass aus dem "Ausländer" (der oft genug keiner mehr war) der "ausländische Mitbürger" (den es logisch nicht geben kann) wurde und dass wir jetzt den "Menschen mit Migrationshintergrund" bzw. "Menschen anderer Herkunft" haben.
Zitat von Doeding im Beitrag #4 Daß Euphemismen "erneuert" werden müssen (hätten Sie ein Beispiel zur Hand?)[...]
Ich denke da z.B. daran, dass aus dem "Ausländer" (der oft genug keiner mehr war) der "ausländische Mitbürger" (den es logisch nicht geben kann) wurde und dass wir jetzt den "Menschen mit Migrationshintergrund" bzw. "Menschen anderer Herkunft" haben.
Absolut, lieber Noricus; daß mir das Beispiel nicht selbst eingefallen ist
Vielen herzlichen Dank für die vielfältigen Anregungen und Kommentare! Leider war ich heute zu stark eingespannt, um in der Häufigkeit zu antworten, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Admins mögen mir ein kurzes persönliches Wort erlauben, was hier ja sonst aus guten Gründen unüblich ist (daher ist dies auch eher als Feedback und weniger als Auftakt zu einer Metadiskussion gemeint).
Dieses Forum ist nach wie vor der Hauptgrund, warum ich in ZR schreibe. Die Artikel sind ja oft nur Stichwortgeber für Diskussionen, die sich hier ganz autonom entwickeln, und von denen ich von Anfang an enorm profitiert habe und heute noch profitiere. Vermutlich würde ich jetzt bereits manches in dem Orwellartikel anders formulieren aufgrund der Rückmeldungen. Inzwischen ist ja offenbar v. a. ein "harter Kern" von Zimmerleuten hier tätig, was sich in der kaum noch vorhandenen Notwendigkeit, zu moderieren zeigt. Hat ja auch seine Vorteile. Jedenfalls wünsche ich mir sehr, hier weiterhin Zu- und Widerspruch zu erhalten und, durch die vielfältigen Anregungen, mein inkonsistentes "Weltbild" weiter formen und schärfen zu können.
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