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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 34 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

04.12.2013 02:24
Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Immer wieder hört man Vorbehalte gegen direktdemokratische Entscheidungsfindung, häufig genährt durch zahlreiche Umfrageergebnisse. Doch die Volksstimmung zu messen sagt wenig über das Ergebnis eines Willensbildungsprozesses aus. Insbesondere da sowohl Messung als auch die gemessene Stimmung selber leicht zu manipulieren sind.

Wenn Sie ihren Urlaub planen geht es ihnen vielleicht so ähnlich: Während des Jahres haben Sie manchmal einfach Stimmung auf ein besonderes Reiseziel oder einen besonderen Urlaub. Sobald tatsächlich ein Urlaub geplant wird müssen plötzlich Abwägungen getroffen werden: Die Finanzierung muss berücksichtigt und das Preis-Leistungs-Verhältnis bewertet werden, Sie müssen sich zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden, sich festlegen und damit auf andere Optionen verzichten. Manchmal treffen wir eine dumme Entscheidung, die wir später bereuen, aber zuerst kommt ein Willensbildungsprozess in Gang, denn nun ist es nicht mehr nur eine folgenlose Phantasie oder auch vorgetragene Forderung, sondern jetzt geht es an die Umsetzung und das bedeutet zwei Fragen, über die man sich Gedanken machen muss: Wie kann ich es umsetzen? Und was sind die Folgen? Dieser Prozess reduziert die Fehler, denn die Stimmung, die Wunschträumerei, das Bauchgefühl wird einer Kontrolle unterzogen.

Die Entwicklung der Volksstimmung zum Volkswillen kann man am Beispiel des letzten Volksentscheides in der Schweiz gut nachvollziehen.

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Quentin Quencher Offline




Beiträge: 120

04.12.2013 05:55
#2 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Danke, lieber Techniknörgler, für diese wirklich wichtige Beobachtung und Beschreibung. Auch in meiner Brust schlagen, wie man so sagt, zwei Herzen. Einerseits der Wunsch nach mehr direkter Demokratie als Regulativ und Korrektiv, andererseits, die Angst vor Populismus der kurzzeitige Stimmungen überbewertet. Wie Sie anschaulich darstellen, ist letzteres wohl doch nicht so bedeutend.

Gerade in Deutschland wird über neue Partizipationsmodelle nachgedacht, was für mich auch schon des öfteren Anlass für Kritik war, weil diese vorgeschlagenen Bürgerbeteiligungen nicht ein Mehr an Demokratie darstellen, bestenfalls etwas mehr Transparenz, keinesfalls aber richtige Mitbestimmung, bei der immer eine wirkliche Wahl vorhanden sein muss.

Wer, wie im Politikbetrieb recht häufig vorkommend, sich allenthalben auf Meinungsumfragen stützt, oder mit ihnen argumentiert, sollte sich auch Volksbefragungen stellen, die dann den wirklichen Willen abbilden.

Beste Grüße

Quentin Quencher
Glitzerwasser

Frank Böhmert Offline




Beiträge: 927

04.12.2013 14:42
#3 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Feiner Artikel, lieber Techniknörgler!

Wir sind uns da eh einig; aber das wussten wir auch schon vorher, glaube ich.

Mir gefällt besonders die Unterscheidung zwischen "Volksstimmung" und "Volkswille" - die kannte ich noch nicht. Auf Ihrem Mist gewachsen?

Florian Offline



Beiträge: 3.171

04.12.2013 16:35
#4 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Bei mehr direkter Demokratie sollte man sich m.E. auch in Deutschland nicht zu viele Sorgen vor einem pauschalen Linksruck machen.
Wenn direkte Demokratie eine Schlagseite hat, dann m.E. am ehesten hin zu "Verhinderung".

In der Schweiz ist es m.E. sehr gut zu beobachten, wie Veränderungen (egal in welche Richtung) bei Abstimmungen immer einen schweren Stand haben.
Wäre in Deutschland nicht viel anders.
Aktuell siehe z.B. München, wo hintereinander sowohl die Flughafenerweiterung als auch die Olympia-Bewerbung abgelehnt wurden.


==========================
Noch etwas Details zur Schweizer Politik:
In der Schweiz gibt es 2 Parteien, die sich traditionell als besonders "kampagnenfähig" bei Volksbefragungen erwiesen haben: die SP (Sozialdemokraten) und die SVP (Konservative).
Das ist auch ein wichtiger Grund, warum es in der Schweiz traditionell eine Vielparteien-Regierung gibt, bei der auch diese Parteien stets beteiligt sind:
Würde man eine von beiden ausschließen und eine Regierung aus nur einem politischen Lager nach deutschem Muster bilden, hätte die Regierung zwar weiterhin eine parlamentarische Mehrheit. Aber sie hätte bei jedem Gesetzesvorhaben immer eine kampagnenfähige Oppositionspartei, die ihr das Leben schwer machen würde.

Die anderen beiden traditionellen Regierungsparteien sind FDP und CVP.
Die FDP allein schon deshalb, weil sie zumindest früher einmal stets die mit Abstand größte Partei war.
Und die CVP ist zwar landesweit gar nicht so besonders stark. Aber sie ist stark in vielen der kleinen Kantone und hat deshalb immer viele Ständeräte (=2. Kammer mit 2 Abgeordneten pro Kanton), so dass eine CVP in Opposition es schwierig machen würde, normale parlamentarische Mehrheiten zu organisieren.


Auf Deutschland übertragen:
Eine starke direkte Demokratie würde den Druck erhöhen, stark kampagnenfähige Parteien bei der Regierungsbildung mit einzubinden.
Und da fallen einem als erstes wohl die Grünen ein...

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

04.12.2013 17:53
#5 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Frank Böhmert im Beitrag #3
Feiner Artikel, lieber Techniknörgler!

Wir sind uns da eh einig; aber das wussten wir auch schon vorher, glaube ich.

Mir gefällt besonders die Unterscheidung zwischen "Volksstimmung" und "Volkswille" - die kannte ich noch nicht. Auf Ihrem Mist gewachsen?


Die Begriffe sind natürlich nicht neu, aber ich habe sonst noch nirgends eine explizite Unterscheidung gelesen. Dabei bietet die Konnotation der Begriffe das eigentlich an.

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

04.12.2013 18:25
#6 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #5
Zitat von Frank Böhmert im Beitrag #3
Mir gefällt besonders die Unterscheidung zwischen "Volksstimmung" und "Volkswille" - die kannte ich noch nicht. Auf Ihrem Mist gewachsen?


Die Begriffe sind natürlich nicht neu, aber ich habe sonst noch nirgends eine explizite Unterscheidung gelesen. Dabei bietet die Konnotation der Begriffe das eigentlich an.


Oje. Da springt schnell ein ganzes Oberseminar in angewandter Dialektik heraus, mitsamt Hegelscher List der Vernunft & ähnlichen uneigentlichen Eigentlichheiten. Wie wäre es in erster Näherung mit Tucholskys "Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig"?

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

04.12.2013 18:56
#7 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #6
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #5
Zitat von Frank Böhmert im Beitrag #3
Mir gefällt besonders die Unterscheidung zwischen "Volksstimmung" und "Volkswille" - die kannte ich noch nicht. Auf Ihrem Mist gewachsen?


Die Begriffe sind natürlich nicht neu, aber ich habe sonst noch nirgends eine explizite Unterscheidung gelesen. Dabei bietet die Konnotation der Begriffe das eigentlich an.


Oje. Da springt schnell ein ganzes Oberseminar in angewandter Dialektik heraus, mitsamt Hegelscher List der Vernunft & ähnlichen uneigentlichen Eigentlichheiten. Wie wäre es in erster Näherung mit Tucholskys "Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig"?


Ich kenne Tucholskys Zitat, aber liegt meiner Einteilung nicht eigentlich() die genau gegenteiligte Annahme zu Grunde: Die Volksstimmung, häufig noch unreif, ist ja eher oberflächlich und vom Bauchgefühl getrieben, der Volkswille das Ergebnis eines Denkprozesses. Oder sehen Sie das anders herum? Das mit anstehendem Volksentscheid die Menschen um so mehr auf ihr Bauchgefühl achten würden, aber diesmal ihrem Teil mit dem Riecher für Fehltritte vorschicken, der konservativ vor Vorsicht vor Veränderungen mahnt?

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― Robert A. Heinlein

AldiOn Offline




Beiträge: 983

04.12.2013 19:15
#8 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat
"Volksstimmung" und "Volkswille"

Dazu die Frage:

In Deutschland sind - angeblich - 80% der Bürger für einen Mindestlohn. Aber bei der letzten Wahl wurden von etwas über 50% der Wähler Parteien gewählt, die mehr oder weniger den Mindestlohn ablehnen oder zumindest nicht für einen offensive Einführungswillen des Mindestlohns stehen. Trifft dieses Beispiel Ihre Unterscheidung?

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

04.12.2013 19:25
#9 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #8

Zitat
"Volksstimmung" und "Volkswille"
Dazu die Frage:

In Deutschland sind - angeblich - 80% der Bürger für einen Mindestlohn. Aber bei der letzten Wahl wurden von etwas über 50% der Wähler Parteien gewählt, die mehr oder weniger den Mindestlohn ablehnen oder zumindest nicht für einen offensive Einführungswillen des Mindestlohns stehen. Trifft dieses Beispiel Ihre Unterscheidung?



Ja, wobei Wahlen auch nochmal deutlich indirekter sind als Volksentscheide. Das fließen ja so viele Themen ein und eventuell auch Sympathie für Personen.

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― Robert A. Heinlein

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

04.12.2013 20:33
#10 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #8
Aber bei der letzten Wahl wurden von etwas über 50% der Wähler Parteien gewählt, die mehr oder weniger den Mindestlohn ablehnen oder zumindest nicht für einen offensive Einführungswillen des Mindestlohns stehen.
Wobei ich den "Widerstand" der Union eher dem verzweifelten Bemühen geschuldet sehe, endlich mal irgendwo eine Position zu formulieren. Inhaltlich war der Abstand ja nicht sooo groß. Das gilt auch für die Eurobonds, die der Union zuliebe dann eben über die Hintertür eingeführt werden, und für den (vorübergehenden) Verzicht auf Steuererhöhungen, der den Anstieg der Abgaben dann eben in die Sozialversicherungen verlagert.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

05.12.2013 14:36
#11 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #1
Doch die Volksstimmung zu messen sagt wenig über das Ergebnis eines Willensbildungsprozesses aus.

Korrekt.
Weswegen ich die üblichen Sonntagsfrage-Umfragen für methodischen Unsinn halte.

"Welche Partei würden Sie wählen, wenn man nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären?" - das ist nur für blinde Stammwähler eine brauchbare Frage.

Ansonsten sind halt am nächsten Sonntag KEINE Wahlen. Bis auf wenige Wochen im Jahr sind diese Wahlen so weit weg, daß nicht einmal die Kandidaten oder wesentliche Themen bekannt sind.
Da kann man eigentlich nur substanzlose Bauchantworten oder gleich direkte Lügen als Antwort bekommen.


Ansonsten gehe ich aufgrund des reichen Materials an Beispielen davon aus, daß Volksabstimmungen grundsätzlich mindestens so qualifiziert und meist weniger populistisch ausgehen als von irgendwelchen Stimmungen und Lobbies beeinflußte Koalitions- und Parlamentsentscheidungen.

Allerdings müssen sie in das richtige Umfeld eingebettet sein.

Es ist NICHT gut, wenn die Leute über viele Jahre fast nichts zu sagen haben und entsprechend gefrustet sind. Und dann kommt endlich einmal eine Abstimmung - und die wird dann oft mehr zum Plebiszit gegen "die da oben" als zur echten Entscheidung über die Sachfrage.
Volksabstimmungen funktionieren m. E. nur dann gut, wenn sie regelmäßig vorkommen und natürlich auch entsprechend leicht zu strittigen Fragen initiiert werden können.

Und zweitens ist es notwendig, daß es klare Verantwortungsabgrenzungen gibt. Damit man auf einer bestimmten Ebene (Gemeinde, Kanton/Bundesland, Bund) auch definitiv über eine Frage abstimmen kann.
Wir müssen also weg von der typischen Durchmischung aus EU-Vorgabe, Bundestagsbeschluß, Abänderung durch die Länderkammer. Und auch weg von den ganzen Länderministerrunden, bei denen bundesweite Lösungen (GEZ, Bildung ...) ausgekungelt werden, die in keinem einzelnen Bundesland noch angegriffen werden können.

VolkerD Offline



Beiträge: 101

05.12.2013 15:12
#12 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat
Ansonsten sind halt am nächsten Sonntag KEINE Wahlen. Bis auf wenige Wochen im Jahr sind diese Wahlen so weit weg, daß nicht einmal die Kandidaten oder wesentliche Themen bekannt sind.



Wobei den meisten Wählern die Kandidaten zu einer bestimmten Wahl noch nicht mal kurz vor der Wahl bekannt sind, sofern es nicht überregional bekannte Personen sind. Ich denke dabei z. B. an Kommunalwahlen ... ich glaube kaum, dass viele Wähler die Kommunalwahlprogramme der Parteien lesen um sich für eine zu entscheiden oder (z. B. im Internet) sich über die zu wählenden Kandidaten zu informieren.

Florian Offline



Beiträge: 3.171

05.12.2013 15:23
#13 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #11

Ansonsten gehe ich aufgrund des reichen Materials an Beispielen davon aus, daß Volksabstimmungen grundsätzlich mindestens so qualifiziert und meist weniger populistisch ausgehen als von irgendwelchen Stimmungen und Lobbies beeinflußte Koalitions- und Parlamentsentscheidungen.


Richtig, gerade die Schweiz ist dafür ja das Musterbeispiel.


Zitat von R.A. im Beitrag #11

Und zweitens ist es notwendig, daß es klare Verantwortungsabgrenzungen gibt. Damit man auf einer bestimmten Ebene (Gemeinde, Kanton/Bundesland, Bund) auch definitiv über eine Frage abstimmen kann.
Wir müssen also weg von der typischen Durchmischung aus EU-Vorgabe, Bundestagsbeschluß, Abänderung durch die Länderkammer. Und auch weg von den ganzen Länderministerrunden, bei denen bundesweite Lösungen (GEZ, Bildung ...) ausgekungelt werden, die in keinem einzelnen Bundesland noch angegriffen werden können.



Ebenfalls richtig.
Übrigens bezieht sich dies auch auf die Steuerhoheit der einzelnen Ebenen.

Es macht nämlich einen gewaltigen Unterschied, ob bei einer Abstimmung zwar über ein bestimmtes staatliches Leistungsniveau abgestimmt wird, allerdings die Steuern davon unbeeinflusst sind. ("Wollen Sie das örtliche Schwimmbad erhalten?" - ja klar, natürlich will ich das).
Oder ob eben auch die Steuern davon abhängen. ("Wollen Sie das örtliche Schwimmbad erhalten? Und übrigens: dann müssen wir den örtlichen Hebesatz auf die Einkommensteuer um 20 Punkte anheben" - da sieht die Antwort vielleicht schon ganz anders aus).

Auch hier ist die Schweiz ein gutes Beispiel.
Ich habe mal vor langer Zeit eine Studie der ETH gelesen, die ich dummerweise nirgendwo mehr finde.
Dort wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an direkter Demokratie in einem Kanton und dessen Haushaltsdisziplin gibt.
(Je nach Kanton ist die direkte Demokratie deutlich unterschiedlich ausgeprägt. Teilweise gibt es überhaupt kein vollwertiges Parlament und JEDE legislative Entscheidung wird vom ganzen Volk abgestimmt. Ein Besuch der Glarner Landsgemeinde ist z.B. für jeden Demokraten ein Erweckungserlebnis: http://de.wikipedia.org/wiki/Landsgemeinde_(Glarus)).
Ergebnis: Je mehr Mitsprache die Bürger über finanzielle Fragen haben, desto SOLIDER sind die Haushalte. (Anders formuliert: die Bürger gehen zurückhaltender mit öffentlichen Geldern um als gewählte Politiker).

Florian Offline



Beiträge: 3.171

05.12.2013 15:36
#14 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von VolkerD im Beitrag #12

Zitat
Ansonsten sind halt am nächsten Sonntag KEINE Wahlen. Bis auf wenige Wochen im Jahr sind diese Wahlen so weit weg, daß nicht einmal die Kandidaten oder wesentliche Themen bekannt sind.


Wobei den meisten Wählern die Kandidaten zu einer bestimmten Wahl noch nicht mal kurz vor der Wahl bekannt sind, sofern es nicht überregional bekannte Personen sind. Ich denke dabei z. B. an Kommunalwahlen ... ich glaube kaum, dass viele Wähler die Kommunalwahlprogramme der Parteien lesen um sich für eine zu entscheiden oder (z. B. im Internet) sich über die zu wählenden Kandidaten zu informieren.



Mag vielleicht in Großstädten so sein.
Ansonsten stimmt das sicher nicht.
In meiner Stadt (gut 20 Tsd.) kenne ich einen großen Teil der Stadtratskandidaten aller Parteien persönlich, die Bürgermeisterkandidaten sowiewo. Da muss ich mich nicht im Internet informieren.
Und selbstverständlich hängt mein Wahlverhalten von den konkreten Kandidaten ab.
D.h. eine Umfrage irgendwann während der laufenden Legislaturperiode ohne Kenntnis der Kandidaten bei der nächsten Wahl wäre tatsächlich ziemlich sinnlos.
R.A. hat also absolut recht - sogar ganz besonders was die kommunale Ebene betrifft.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

05.12.2013 17:00
#15 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von VolkerD im Beitrag #12
Zitat:Wobei den meisten Wählern die Kandidaten zu einer bestimmten Wahl noch nicht mal kurz vor der Wahl bekannt sind, ...

Zu Kommunalwahlen hat Florian ja schon Gegenargumente gebracht.

Ich bezog mich aber auf die typische Sonntagsfrage, d.h. auf die Bundestagswahl. Da sind die Kandidaten meistens schon bekannt und haben großen Einfluß auf die Wahlentscheidung. Aber die endgültige Konstellation steht ja meistens erst ein halbes bis ganzes Jahr vor der eigentlichen Wahl. D.h. die drei Jahre vorher ist die Sonntagsfrage ohnehin abstrakter Blödsinn.
Und im Jahr vor der Wahl dauert es auch noch eine Weile, bis sich ein Eindruck von den Kandidaten gesetzt hat und auf die Wahlentscheidung einwirkt.

Auch andere Rahmenbedingungen sind erst kurz vor der Wahl halbwegs stabil, insbesondere die taktische Sicht auf die möglichen Koalitionsoptionen.

Halbwegs sinnvoll ist die Frage also nur maximal zwei bis drei Wochen vor der echten Wahl, und selbst da wirken ja noch viele Fehlerfaktoren.

Die derzeit erhobenen Sonntagsfragen sind dagegen völlig unsinnig, da die nächste Wahl in weiter Ferne liegt. Oder aber im Fall vorgezogener Wahlen so krasse Ereignisse im Vorfeld voraussetzen würde, daß die Umfragen ohnehin obsolet wären.

VolkerD Offline



Beiträge: 101

06.12.2013 07:29
#16 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat
Mag vielleicht in Großstädten so sein.
Ansonsten stimmt das sicher nicht.
In meiner Stadt (gut 20 Tsd.) kenne ich einen großen Teil der Stadtratskandidaten aller Parteien persönlich, die Bürgermeisterkandidaten sowiewo. Da muss ich mich nicht im Internet informieren.
Und selbstverständlich hängt mein Wahlverhalten von den konkreten Kandidaten ab.



Nun, das mag für die politisch Interessierten so sein, da kennt "man" sich. Aber außerhalb dieses (kleinen) Kreises ist das meiner Einschätzung nach nicht so.

Das Problem ist, dass man in einer Blase lebt, in der die persönliche Einschätzung bestätigt wird und nach und nach als allgemeingültige Sicht der Welt gesehen wird - das geht allen so, auch mir.

Nikosch Offline



Beiträge: 115

06.12.2013 10:24
#17 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #13
Zitat von R.A. im Beitrag #11

Ansonsten gehe ich aufgrund des reichen Materials an Beispielen davon aus, daß Volksabstimmungen grundsätzlich mindestens so qualifiziert und meist weniger populistisch ausgehen als von irgendwelchen Stimmungen und Lobbies beeinflußte Koalitions- und Parlamentsentscheidungen.


Richtig, gerade die Schweiz ist dafür ja das Musterbeispiel.

Wobei es hier ja auch in der Schweiz Gegenbeispiele gibt. Der Volksentscheid zum Minarettverbot muss hier als Negativbeispiel angeführt werden. Hierbei handelt es sich um reine Symbolpolitik die an den tatsächlichen Problemen nichts ändert, sonder eher das Gegenteil bewirkt. Sinnvoller wäre zum Beispiel ein Entscheid gewesen, dass in Gotteshäusern jeglicher Art nur in der Landessprache gepredigt werden darf.

Zudem muss man meiner Meinung nach berücksichtigen, dass es sich bei der Schweiz um eines der reichsten und entwickelsten Länder der Erde handelt, die zudem eine lange Tradition der Bürgerbeteiligung aufweist und wo diese auch in anderen Bereichen des Staatswesens, wie zum Beispiel der Bürgerarmee, wesentlich stärker ausgeprägt ist.

Hätte man in den letzten Jahren Volksbefragungen zum Beispiel in Griechenland durchgeführt bin ich nicht sicher, dass das Ergebnis unabhängig von der Fragestellung ebenso sachlich ausgefallen wäre wie nun in der Schweiz. Wobei man auch hier die Sachlichkeit in Frage stellen kann. Im Prinzip hat das Volk doch nach dem eigenen Geldbeutel entschieden:

a) Managergehälter: Betrifft nur einen Bruchteil, aber das Argument, dass dies einen Standortnachteil für die Schweiz darstellen und somit zu Arbeitsplatzverlagerungen führen könnte dürfte verfangen haben.
b) Steuererleichtungen Selbstbetreuer: Hier ist das Ergebnis das knappste und man kann wohl davon ausgehen, dass hier je nach Interessenlage abgestimmt wurde.
c) Autobahngebühren: Die Mehrheit (und somit wohl vor allem die Autofahrer) sind dagegen.

Dies deckt sich im wesentlichen mit den Volksentscheiden auf kommunaler Ebene, die ich bisher in Deutschland miterlebt habe:

Aachen:
Bauhaus Europa: Abgelehnt da zu teuer
Campusbahn: Abgelehnt da zu teuer

Köln:
Godorfer Hafen:
Köln Nord (Entlastung für Nieler Hafen): Mehrheit dafür
Köln Süd (Belastung durch neuen Godorfer Hafen): Mehrheit dagegen
Köln Mitte: Kaum Interesse

Prinzipiell sehe ich die Probleme, dass die Bürger zum einen nicht langfristig und strategisch denken (auch mangels entsprechender Sachkenntnis) und zum anderen kaum eine Chance haben sich unabhängig zu informieren, sondern auf die Informationen vertrauen müssen, die Ihnen von Projektbefürwortern und -gegnern zur Verfügung gestellt werden. Meist wird dann halt doch entlang der Parteipräferenzen oder nach Geldbeutel entschieden.

Zuletzt glaube ich, dass das Bedürfnis nach Volksentscheiden in der Bevölkerung überschätzt wird. Der Großteil der Bevölkerung hat in der Regel kein Interesse daran sich aktiv zu beteiligen, außer wenn etwas schief läuft. Dann hätte man ihn selbstverständlich vorher fragen sollen.

Gut sehen kann man dies an Bürgerhaushalten, bei denen die Bürger konkrete Vorschläge machen können was mit einem Teil des kommunalen Haushalts passieren soll und über diese Vorschläge abstimmen können. Dies ist eine sehr konkrete und nachvollziehbare Art der Bürgerbeteiligung jedoch sind die Zahlen ernüchternd.

Beispiel Bürgerhaushalt Köln 2013/14:
Einwohner Köln: ca. 1 Mio.
Teilnehmer Bürgerhaushalt: 3955 (0,4%)
Stimmen für besten Vorschlag: 349

Und selbst in dem Vorzeigeland Schweiz haben an der letzten Wahl gerade einmal knapp 50% der Bürger teilgenommen und hier handelte es sich mit 1:12 noch um ein recht mobilisierendes Thema. Bei einer Abstimmung zum Tierseuchengesetz im letzten Jahr waren es gerade noch 27,7 Prozent.

Auch wenn es nun so rüberkommen mag bin ich nicht gegen Volksentscheide. Ich sehe sie allerdings nicht als frei von Problemen und vor allem nicht als Heilsbringer für die Krise der parlamentarischen Demokratie. Diese hat in vielen Fragen durchaus ihre Berechtigung bedarf allerdings einer dringenden Reform um Lobbyismus, reine Parteipolitik und Wählerbeglückung durch soziale Wohltaten einzugrenzen.

Unsere Politiker, allen voran die Grünen sind meiner Meinung nach auch nur dann für Volksentscheide wenn sie die Mehrheitsmeinung hinter sich wähnen. Ein Volksentscheid zur Energiewende würde vermutlich wenig Begeisterung auslösen.

Winterliche Grüße
Nikosch

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.12.2013 10:51
#18 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Nikosch im Beitrag #17
Der Volksentscheid zum Minarettverbot muss hier als Negativbeispiel angeführt werden.

Der war in der Tat nicht besonders überzeugend - aber auch nicht schädlich.
Man wird auch nicht erwarten können, daß ein Verfahren durchweg immer nur 100% perfekte Lösungen produziert. Für die Beurteilung ist die langjährige Bilanz ausschlaggebend.

Zitat
Zudem muss man meiner Meinung nach berücksichtigen, dass es sich bei der Schweiz um eines der reichsten und entwickelsten Länder der Erde handelt, die zudem eine lange Tradition der Bürgerbeteiligung aufweist ...


Richtig.
Das muß wachsen und kann nicht über Nacht implementiert werden.
Ich stehe deswegen DERZEIT Volksabstimmungen auf Bundesebene noch skeptisch gegenüber. Weil die ziemlich als Solitär dastünden und da würde es schwierige Seiteneffekte geben.
Erst einmal sollte das (bundesweit) mit regelmäßigen kommunalen Entscheiden eingeführt werden. Dann kann man die höheren Ebenen einbeziehen.

Zitat
Im Prinzip hat das Volk doch nach dem eigenen Geldbeutel entschieden


Das ist ja auch nicht illegitim. Und im Zweifelsfall besser, als wenn die Parlamentarier nach ihrem eigenen Geldbeutel entscheiden ...

Zitat
Prinzipiell sehe ich die Probleme, dass die Bürger zum einen nicht langfristig und strategisch denken ...


Tendenziell denken die meisten Bürger langfristiger als die Politiker, die nur die nächste Meinungsumfrage, den nächsten Parteitag und die nächste Wahl im Blick haben.
Deswegen auch die berechtigte Skepsis der Bürger gegenüber Großprojekten: Die machen sich gut in der Kurzzeitbilanz der jeweiligen Regierenden, aber die Bürger wissen sehr wohl, daß die langfristigen Kosten bei ihnen hängenbleiben.

Zitat
... und zum anderen kaum eine Chance haben sich unabhängig zu informieren, sondern auf die Informationen vertrauen müssen, die Ihnen von Projektbefürwortern und -gegnern zur Verfügung gestellt werden.


Auch hier sind Politiker nicht unbedingt besser oder neutraler informiert.
In Fragen des täglichen Detailgeschäfts sind sie das sehr wohl. Ein langjähriger Schulpolitiker wird Einzelfragen z. B. eines neuen Lehrplans viel besser beurteilen können als eine Gruppe Eltern.
Aber bei den typischen Volksentscheidfragen werden vorher genügend Informationen bereitgestellt.

Und der Knackpunkt ist: Diese Informationen können auch in Ruhe geprüft und diskutiert werden, BEVOR man sich festlegt.
Genau das erlaubt der normale parlamentarische Betrieb nicht. Da gibt es viel zu viele Vorfestlegungen irgendwelcher Spitzenpolitiker wegen einer Reporterfrage oder eines taktischen Winkelzugs - und das bestimmt dann den weiteren Verlauf, obwohl zum Zeitpunkt der ersten Äußerung noch fast keine Informationen bekannt waren.

Ein Parlamentarier kann in wichtigen Fragen gar nicht mehr frei entscheiden, weil er damit oft seine Partei oder seinen Kanzler/Parteivorsitzenden beschädigen würde.
Der Bürger an der Urne ist da weitgehend frei und kann wirklich nach Sachlage entscheiden.

Zitat
Zuletzt glaube ich, dass das Bedürfnis nach Volksentscheiden in der Bevölkerung überschätzt wird. Der Großteil der Bevölkerung hat in der Regel kein Interesse daran sich aktiv zu beteiligen, außer wenn etwas schief läuft.


Das ist derzeit weitgehend richtig, aber eben Gewohnheitssache.
Deswegen plädiere ich auch dafür, diese Gewohnheiten erst zu ändern, bevor man in die großen bundesweiten Entscheide einsteigt.

Zitat
Gut sehen kann man dies an Bürgerhaushalten ...


Die sind in der Regel ja auch eine Farce.
Da fehlen den Bürgern weitgehend die Fakten, um vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Man kann Budgets (wie in der Wirtschaft) nur über Zielvorgaben und Geldbeschränkung steuern - die Einzelentscheidungen können nur in der Verwaltung und eher weiter unten getroffen werden.

Zitat
Und selbst in dem Vorzeigeland Schweiz haben an der letzten Wahl gerade einmal knapp 50% der Bürger teilgenommen ...


Das ist doch in Ordnung. Das ist dann die Hälfte der Bürger, die informiert und interessiert ist. Wer nicht will, muß nicht (darf dann aber auch nicht meckern).

Ich halte den Fetisch "hohe Wahlbeteiligung" für völlig überschätzt. Es wird immer viele Leute geben, die sich für ein Thema überhaupt nicht interessieren und/oder die keine Ahnung haben. Es kann überhaupt nicht sinnvoll sein, daß die trotzdem zur Urne gehen und nach irgendwelchen notwendigerweise qualitätsmindernden Maßstäben abstimmen.

Zitat
Ich sehe sie allerdings nicht als frei von Problemen ...


Sicher nicht. Es geht aber auch nicht darum, die perfekte Lösung zu finden (weil es die ohnehin nicht gibt). Es geht nur darum, eine bessere Lösung zu finden als derzeit üblich. Und da hat das Schweizer System deutliche Vorteile gegenüber dem deutschen.

Zitat
Unsere Politiker, allen voran die Grünen sind meiner Meinung nach auch nur dann für Volksentscheide wenn sie die Mehrheitsmeinung hinter sich wähnen.


Natürlich - ist ja auch verständlich und fast legitim.
Deswegen kann das auch nur funktionieren, wenn Volksentscheide unabhängig vom Willen der Politiker auf die Schiene gebracht werden können.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

06.12.2013 10:53
#19 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Nikosch im Beitrag #17
Sinnvoller wäre zum Beispiel ein Entscheid gewesen, dass in Gotteshäusern jeglicher Art nur in der Landessprache gepredigt werden darf.


Wann d' Muslimi in d'r Schwyz d'r Choraahn uuf Schwyzerdütsch chepredi wird, da versteh si doch aso weini wie bei das chlassische Arabisch?

Nikosch Offline



Beiträge: 115

06.12.2013 11:10
#20 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #18

Zitat
Ich sehe sie allerdings nicht als frei von Problemen ...

Sicher nicht. Es geht aber auch nicht darum, die perfekte Lösung zu finden (weil es die ohnehin nicht gibt). Es geht nur darum, eine bessere Lösung zu finden als derzeit üblich. Und da hat das Schweizer System deutliche Vorteile gegenüber dem deutschen.


Wie gesagt habe ich mich ja auch nicht prinzipiell gegen Volksentscheide ausgesprochen und bin mir schmerzlich bewusst, dass es das perfekte System niemals geben wird. Ich habe in dieser Diskussion jedoch oft den Eindruck, dass der Volksentscheid als Allheilmittel für die Krise des Parlamentarismus gesehen wird und dies sehe ich anders. Ich glaube, dass es viel nötiger wäre den Parlamentarismus zu reformieren als Volksentscheide einzuführen, da immer noch der Löwenanteil der Politik durch die Parlamente gemacht werden wird.

Ich glaube, dass gerade auf der Ebene, auf der Volksentscheide heute möglich sind, nämlich der kommunalen, in der Regel auch durch die Politiker vernünftige Sacharbeit betrieben wird, je höher man jedoch kommt (Landes- und Bundespolitik) desto mehr bekommt man das Gefühl, dass nur noch nach Parteiinteresse, Wahloportunismus und einem durch die Medien befeuerten grünen Zeitgeist gehandelt wird. Dass der Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet sein soll ist in diesen Zeiten doch bis zur Unkenntlichkeit pervertiert. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Wie dieser auch immer aussehen mag. Das wäre eine andere Diskussion die mehr oder weniger radikale Lösungen beinhalten würde.

Die Edith sagt als Ergänzung: Ich bin mir durchaus bewusst, dass die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden vermutlich schneller ginge und wahrscheinlicher ist als eine grundlegende Reform des Parlamentarismus, aber da ja bald Weihnachten ist darf man ja mal Wünsche äußern.

Nikosch Offline



Beiträge: 115

06.12.2013 11:13
#21 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #19
Zitat von Nikosch im Beitrag #17
Sinnvoller wäre zum Beispiel ein Entscheid gewesen, dass in Gotteshäusern jeglicher Art nur in der Landessprache gepredigt werden darf.

Wann d' Muslimi in d'r Schwyz d'r Choraahn uuf Schwyzerdütsch chepredi wird, da versteh si doch aso weini wie bei das chlassische Arabisch?
Ich würde mich auch auf Rätoromanisch einlassen

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.12.2013 12:56
#22 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Nikosch im Beitrag #20
Ich habe in dieser Diskussion jedoch oft den Eindruck, dass der Volksentscheid als Allheilmittel für die Krise des Parlamentarismus gesehen wird

"Allheilmittel" suggeriert eine perfekte Lösung, die kann es natürlich nicht geben.

Aber wenn man sich unsere konkreten Probleme anschaut, die man mit "Krise des Parlamentarismus" beschreiben könnte (obwohl ich diese Bezeichnung nicht glücklich finde), dann würden diese Probleme m. E. weitgehend durch direkte Demokratie à la Schweiz gelöst.

Auch dort bleibt ja die tägliche Kleinarbeit bei den Parlamenten, die haben eine wichtige Funktion und das läuft ja auch halbwegs vernünftig (gemeckert wird immer ...).
Aber es gibt NICHT dieses Entfremdungsgefühl ("die da oben machen ja doch was sie wollen"), es gibt nicht diesen übergroßen Einfluß von Parteiflügeln und von Journalisten und damit auch nicht dieses Durchdrücken von grünen Modethemen.

Es wurde ja schon gesagt: Selbst innerhalb der Schweiz kann man klar feststellen, daß die Politik um so besser funktioniert, je stärker der Anteil der direkten Demokratie ist.

Zitat
Ich glaube, dass es viel nötiger wäre den Parlamentarismus zu reformieren als Volksentscheide einzuführen, da immer noch der Löwenanteil der Politik durch die Parlamente gemacht werden wird.


Und dieser Löwenanteil wird ja auch bleiben. Jedenfalls wenn man das auf die Menge der Paragraphen bezieht - es sind dann aber die eher unwichtigen.
Ich sehe eigentlich wenig Anlaß zur Parlamentsreform bei diesen kleinen Themen, das läuft doch eigentlich ganz vernünftig.

Nikosch Offline



Beiträge: 115

06.12.2013 14:01
#23 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #22
Aber wenn man sich unsere konkreten Probleme anschaut, die man mit "Krise des Parlamentarismus" beschreiben könnte (obwohl ich diese Bezeichnung nicht glücklich finde), dann würden diese Probleme m. E. weitgehend durch direkte Demokratie à la Schweiz gelöst.

Auf jeden Fall wären die Politiker gezwungen ihre Politik besser zu erklären, da vor allem bei umstrittenen Themen das Damoklesschwert Volksabstimmung über ihnen hängen würde. Dadurch könnte sich vielleicht auch der in manchem (!) Falle ungerechtfertigte Eindruck verflüchtigen "die da oben machen was sie wollen" und so manche Volksabstimmung die wir heute als notwendig betrachten, würde vielleicht von vorne herein überflüssig.

Allerdings bleibe ich dabei, dass man die Meinungsmacht der Medien, vor allem im hysterischen Deutschland (German Angst) nicht unterschätzen darf. Schließlich war laut Umfrage auch kurz nach Fukushima noch eine Mehrheit für die Kernkraft als Brückentechnologie bevor eine massive Medienkampagne hier einen Meinungsumschwung herbei geführt hat. Auch bei Stuttgart21 glaube ich, dass die Zustimmung viel deutlicher ausgefallen wäre, wenn man die Volksbefragung früher durchgeführt hätte. Und das nicht unbedingt auf Grund der besseren Argumente der Gegner, sondern auf Grund von einem erblindeten Demonstranten der medienwirksam in Szene gesetzt wurde und dem erfolgreich verbreiteten Urteil, dass es ja eh nur um Baugrundstücke und Selbstbereicherung der Politiker geht.

In Deutschland scheint mir generell das links-grüne Lager sehr viel kampagnenfähiger zu sein als das liberal-bürgerliche Lager, was vielleicht auch in der Natur der Sache liegt, aber für Volksabstimmungen nichts Gutes ahnen lässt.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.12.2013 14:21
#24 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Zitat von Nikosch im Beitrag #23
Auf jeden Fall wären die Politiker gezwungen ihre Politik besser zu erklären ...

Und vor allem müßten sie sich vor der Erklärung überlegen, was ihre Politik für Leute außerhalb der Berliner Käseglocke bedeutet. Heute zählt bei ihnen fast nur, was die mittlere Funktionärsschicht der eigenen Partei und die Hauptstadtjournalisten denken.

Zitat
Dadurch könnte sich vielleicht auch der in manchem (!) Falle ungerechtfertigte Eindruck verflüchtigen "die da oben machen was sie wollen"


Schon richtig, es gibt manchmal ganz erstaunliche Ausnahmen ;-)

Zitat
Allerdings bleibe ich dabei, dass man die Meinungsmacht der Medien, vor allem im hysterischen Deutschland (German Angst) nicht unterschätzen darf.


Sicher.
Man sollte aber auch nicht unterschätzen, welche Rückwirkungen Volksentscheide auf die Medien haben.

Momentan reicht es den Medien ja, den Leuten die richtige Politik darzulegen. Gegenmeinungen kommen fast nie gleichgewichtig vor. Und das schlucken die Kunden, weil das ganz natürlich vorkommt.

Bei einer Volksabstimmung müssen die Medien dagegen beide Seiten so präsentieren, daß der normale Leser den Eindruck gewinnt, daß er auch über beide Seiten gleichermaßen fair und fundiert informiert wird. Ist das nicht der Fall, kann er das relativ leicht merken und er wird ziemlich ärgerlich reagieren. Und das müssen die Verleger fürchten.

Journalismus bekommt also eine ganz andere Qualitätsrückkopplung als heute üblich.

Und dann ist es ja auch so, daß die Medien sich heute so gerieren, als würden sie die Volksmeinung vertreten. Und wenn sie den abartigsten grünen Blödsinn propagieren - das geschieht immer mit dem Duktus, alle würden so denken und nur abseitige Sonderlinge würden noch einer Gegenmeinung anhängen.

Da kann es ziemlich peinlich sein, wenn die Volksabstimmung das Gegenteil belegt. Wie es trotz der Medienagitation ja oft genug passiert.

Zitat
Schließlich war laut Umfrage auch kurz nach Fukushima noch eine Mehrheit für die Kernkraft als Brückentechnologie ...


Umfragen sind ohnehin Schall und Rauch.
Aber klar ist: Ein Ereignis wie Fukushima wird bei direkt danach folgenden Abstimmungen immer Spuren hinterlassen.

Aber falls zufällig eine Woche nach Fukushima die große Energiewendenabstimmung gelaufen wäre - dann wäre die halt im Sinne der Grünen ausgegangen. Was aber über den parlamentarischen Weg genauso passiert ist.
Aber bei einer Volksabstimmung hätte sich der Schaden wenigstens auf das eigentliche Thema beschränkt und es wären nicht auch noch eine Landesregierung und viele Kommunalmehrheiten gekippt, die mit Atomkraft gar nichts zu tun haben.

Zitat
In Deutschland scheint mir generell das links-grüne Lager sehr viel kampagnenfähiger zu sein als das liberal-bürgerliche Lager


Aber "kampagnenfähig" in erster Linie über die Beeinflussung der veröffentlichten Meinung - der sich dann oft auch bürgerliche Regierungen beugen.
Gerade Volksabstimmungen ermöglichen aber auch dem bürgerlichen Lager sehr oft gute Erfolge und damit auch eine bessere Ausgangslage für die normalen Wahlen.

TF Offline



Beiträge: 281

06.12.2013 15:29
#25 RE: Eine Verteidigung der direkten Demokratie Antworten

Die Schweiz ist sicher ein Positivbeispiel, nicht nur was direkte Demokratie angeht.

Ein wesentlicher Unterschied zu Deutschland ist aber, dass die Linken dort permanent deutlich in der Minderheit sind. Entsprechend würde auch linker abgestimmt als in der Schweiz, insbesondere bei ökonomischen Themen im weitesten Sinne. Die 1:12-Initiative hätte z. B. in Deutschland wahrscheinlich eine Mehrheit bekommen. Aber auch in Deutschland war das links-grüne Lager bei Volkentscheiden schon öfter auf der Verliererseite.

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