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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 47 Antworten
und wurde 6.987 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Llarian Offline



Beiträge: 7.115

11.02.2014 01:22
Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Ich habe mal ein paar Gedanken zum Thema Schweizer Volksabstimmung zu Papier gebracht.

Christoph Offline




Beiträge: 241

11.02.2014 02:58
#2 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Lieber Llarian,

Sie haben mit den meisten Ihrer Aussagen recht. Die EU und vor allem die Deutschen nehmen es den Schweizern (genau wie den Amerikanern) übel, daß sie einen anderen Weg zur Glückseligkeit suchen als die Sozialdemokratie. Die «Masseneinwanderungsinitiative» ist aber der falsche Aufhänger dafür, und hier von einem Brüsseler Diktat zu sprechen, ist nicht gerechtfertigt.

Die Schweiz hat eine Reihe bilateraler Verträge mit der EU geschlossen, zu denen das Freizügigkeitsabkommen gehört. Diese Verträge sind als «Gesamtpaket» gedacht, sonst hätte man die berühmte «Guillotineklausel» nicht hineingeschrieben, die besagt, daß bei Kündigung eines Vertrags auch die anderen Verträge gekündigt werden können. Herr Steinmeier hat doch recht: Solche Vertragswerke sind ein Geben und Nehmen. Die Schweiz bekommt Marktzugang zur EU, was den protektionistischen Mitgliedern nicht gefällt (Frankreich) – Die Schweiz nimmt viele Einwanderer auf. Bloß an den angenehmen Verträgen festzuhalten und die anderen kündigen oder nachverhandeln zu wollen ist natürlich ein legitimer Wunsch, aber «Rosinenpickerei» ist es doch. Als Dänemark vorübergehend wieder Grenzkontrollen einführte, war die Reaktion der EU-Partner genauso scharf. Aus Sicht der EU ist es auch nur natürlich, die erstarkte Verhandlungsposition dazu zu nutzen, den Preis für weitere Abkommen in die Höhe zu treiben. Das hat nichts mit Diktatur oder «Schädel einschlagen» zu tun.

Vermutlich wäre es für die EU am besten, mit der Schweiz hohe Zuwanderungskontigente auszuhandeln, die bestehenden Verträge ansonsten bestehen zu lassen und weitere so schnell wie möglich auszuhandeln. Allerdings würde das absehbar dazu führen, das auch EU-Mitglieder Zugeständnisse und Nachverhandlungen bestehender Abkommen verlangen. Den Mitgliedsstaaten der EU wäre es auch schwer zu verkaufen, wenn die Schweiz als Nicht-EU Mitglied die Vorteile der EU-Mitgliedschaft genösse, diese aber nicht so teuer bezahlt wie die Vollmitglieder der EU. Daran hat die EU-Kommission verständlicherweise kein Interesse und muss deshalb robust gegen die Schweiz auftreten, um gegenüber den EU-Mitgliedern nicht unglaubwürdig zu werden.

Viel gewalttätiger ist doch das Vorgehen von EU und Amerikanern und OECD gegen Schweizer Banken (z.B. Wegelin, die in den USA Millionenbuße zahlen mußten, ohne je eine Filiale dort unterhalten zu haben), die exterritoriale Anwendung amerikanischen Rechts, und die Erpressung in Richtung «automatischer Informationsaustausch». Als unanständig empfand ich auch die deutsche Ablehnung des fertig verhandelten Steuerabkommens und des Überflugabkommens.

Viele Grüße,
Christoph

edit:
- unvollständigen ersten Satz korrigiert
- Absätze eingefügt

Martin Offline



Beiträge: 4.129

11.02.2014 05:50
#3 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Christoph im Beitrag #2
Lieber Llarian,

Sie haben mit den meisten Ihrer Aussagen recht. Die EU und vor allem die Deutschen nehmen es den Schweizern (genau wie den Amerikanern) übel, daß sie einen anderen Weg zur Glückseligkeit suchen als die Sozialdemokratie. Die «Masseneinwanderungsinitiative» ist aber der falsche Aufhänger dafür, und hier von einem Brüsseler Diktat zu sprechen, ist nicht gerechtfertigt.

Die Schweiz hat eine Reihe bilateraler Verträge mit der EU geschlossen, zu denen das Freizügigkeitsabkommen gehört. Diese Verträge sind als «Gesamtpaket» gedacht, sonst hätte man die berühmte «Guillotineklausel» nicht hineingeschrieben, die besagt, daß bei Kündigung eines Vertrags auch die anderen Verträge gekündigt werden können.


Lieber Christoph,

es sollte doch selbstverständlich sein, dass Verträge nachverhandelt werden können. Nicht alle Entwicklungen sind vorhersehbar, auch nicht die einer vertragsbrüchigen EU http://www.handelsblatt.com/meinung/gast...069108-all.html mit allen eventuellen Konsequenzen auf die Migrationsströme.

Wenn da nur nicht der Ton wäre, den Repräsentanten Deutschlands und der EU anschlagen. Ich wollte, dass sich diese Politiker ähnlich echauffieren, wenn hier innerhalb eines Jahres Einbruchsdelikte um 50% ansteigen. Es interessiert sie aber nicht, weil sie sich ohne mit der Schweiz vergleichbaren demokratischen Strukturen am längeren Hebel wähnen. Der Ton unserer Repräsentanten sagt jedenfalls, dass diese die Schweiz nicht als gleichwertigen und souveränen Partner betrachten.

Gruß, Martin

max Offline



Beiträge: 150

11.02.2014 10:15
#4 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Ich bin einer dieser Schweizer, die sich dafür ausgesprochen haben, die Einwanderung wieder selber zu steuern. Zur Verdeutlichung, weshalb dieser Schritt notwendig wurde, einige Zahlen, auf Deutschland hochgerechnet. Sie hätten dann eine bereits existierende dauerhafte ausländische Wohnbevölkerung von knapp 20 Mio., wohlgemerkt bei einer massiv höheren Einbürgerungsquote als heute. Dazu käme dann eine jährliche Nettozuwanderung von ca. 850000 Personen, zusätzlich dazu noch etwa 300000 Asylbewerber. Jährlich. Das ganze noch bei einer um mehr als ein Drittel kleineren besiedelbaren Fläche. Was meinen Sie, Lieber Christoph, wäre da in Deutschland los? Meinen Sie wirklich, uns Rosinenpicken vorzuwerfen trifft die Sache?

Und sollte es darum gehen, dass wir "vertragsbrüchig" geworden sein sollten: Die EU bricht das Landverkehrsabkommen mit der Schweiz, seit es diese Verträge gibt. Jedes Jahr schickt sie viel zu viele Lastwagen durch unser Land. Wir haben das toleriert, ohne ein grosses Geschrei zu vollführen. Die EU hat seit der Unterzeichnung den freien Marktzugang nie eingehalten, vor allem Italien behindert Schweizer Firmen, wo es nur kann. Wenn wir schon bei Italien sind: Gerade dieses Land hat sich noch keinen Tag ans Dubliner Abkommen betreffend Rückübernahme von Asylbewerbern gehalten. Wir haben versucht dies bilateral zu regeln, ohne grosses Geschrei. Als wir die Ventilklausel gezogen haben, die in den Personenfreizügigkeitsabkommen ausdrücklich vorgesehen ist, wollte das die EU nicht akzeptieren sondern hat mit Druck reagiert.

Wenn ich also die grossartigen Sprüche aus der EU höre, was für ein Grundpfeiler die PFZ denn für Europa sei, stelle ich fest, dass das wohl so sein mag. Verträge einzuhalten scheint allerdings kein Grundpfeiler dieser EU zu sein.

Noch etwas zur Rosinenpickerei, die der Schweiz ja nicht erst seit gestern vorgeworfen wird: Sollte das so sein, und die Verträge erlauben der Schweiz diese Rosinenpickerei, dann sollte die EU sich doch einmal ernsthaft mit ihren damaligen Unterhändlern unterhalten. Sollte dies aber nicht so sein, und die bilateralen Verträge beinhalten ein in etwa ausgewogenes Verhältnis der Interessen, empfehle ich den Repräsentanten der EU (und auch vielen Repräsentanten Deutschlands) sich einmal zu überlegen, ob sie sich eine solche Wortwahl den USA, Russland oder China gegenüber auch erlauben würden. Und falls sie dann möglicherweise zum Schluss kommen, dass dem nicht so sei, sich einmal zu fragen, was das über sie selbst aussagt. Bei uns nennt man solche Leute Velofahrer: oben buckeln, unten strampeln.

Nochmals zu unserer Position: wir befinden uns in etwa in der Lage eines Mieters, der zwar einen Mietvertrag hat, beidem aber die Nebenkosten ein Ausmass angenommen haben, das nicht mehr tragbar ist. Wie der Mieter wenden wir uns also zuerst an den Vertragspartner, um den Vertrag allenfalls neu verhandeln zu können, schliesslich hat neben den Nebenkosten jeder der beiden Interessen, die eine Weiterführung eigentlich wünschbar machen würde. Stellt sich unser Vertragspartner aber stur, sehen wir uns gezwungen, das Verhältnis zu beenden.
Und da wir, ganz im Gegensatz zur Ansicht der meisten Medienleute in Deutschland, keine Bande von hysterischen, angstgetriebenen Bergaffen sind (oder durch Abschottung verblödete Spinner), sind wir selbstverständlich auch bereit, die Konsequenzen davon zu tragen, und mit der EU auf der Basis des Freihandelsabkommens von 1972 zu verkehren.

Sollte mein Tonfall etwas scharf sein, tut es mir leid, die ewige Schulmeisterei durch ausländische Politiker und Medien geht mir allerdings schwer auf die Nerven. Lehrstunden in Demokratie, Wirtschaft oder Staatspolitik haben wir nämlich weder von der EU, noch von Deutschland im Speziellen nötig. Wir brauchen auch keine Leute, die sich unsere Sorgen machen und die Angst vor unseren Schwierigkeiten haben. Denn wie gesagt, es sind unsere. Es ist nämlich nicht der Sinn, der direkten Demokratie, richtig zu entscheiden, weil richtig für jeden etwas anderes bedeutet, sondern, dass die Leute bestimmen, die dann auch die Konsequenzen zu tragen haben. Und dass das so ist, wissen wir in der Schweiz schon seit jeher.

RichardT Offline




Beiträge: 287

11.02.2014 10:21
#5 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Was Christoph sagt ist durchaus richtig.
Trotzdem sehe ich mich genötigt zu widersprechen.

Wieso diese Aufregung? Seit Jahrzehnten bekommen wir gepredigt wie wichtig, bereichernd, unverzichtbar möglichst viele Zuwanderer sind. Jetzt sagt ein Land es will selber darüber bestimmen wie viele und wer kommt. Und plötzlich regen sich alle auf. Und bezeichnen es als Rosinenpickerei der Schweiz.
Wenn man so von der Zuwanderung profitiert, sogar von der Zuwanderung in die Sozialsysteme wie uns kürzlich eine GrünInnen Politikerin weismachen wollte, dann schadet sich die Schweiz doch nur selber und alle in der EU profitieren.

Oder hat man uns dreist angelogen und sich jetzt in der Aufregung über die Schweiz verplappert?

vivendi Offline



Beiträge: 663

11.02.2014 10:46
#6 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Schon beim Begriff "Guillotineklausel" bekomme ich Gänsehaut. Das klingt ganz nach "Jetzt haben wir dich, nur der Tod kann kann dich noch aus unseren Klauen befreien". Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die EU mit den Bail-Outs der bankrotten Mitgliedsstatten ihre eigene Guillotine ohne Aufhebens beiseite gestellt hat, weil sie eben so nicht ins Konzept passte.

Die Schweiz ist eine der wenigen echten Volksdemokratien, wo eben das Volk direkt, und nicht nur die von ihm gewählten Repräsentanten, bestimmt, was Sache ist. Das scheint der EU gar nicht zu gefallen, wie die Beispiele von Frankreich und Irland zeigen, wo die EU die Volksmeinung zu den Lissabonner Verträgen ganz einfach ignoriert hat. Auch das ist eine Anwendung der Guillotine-Klausel: "Ihr habt uns als eure Vertreter gewählt, und solange wir an der Macht sind, bestimmen wir, was Sache ist, auch wenn es euch nicht gefällt."

Die Vorwürfe von Xenophobie gegenüber Ausländern sind besonders perfide. Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, in dem vier unterschiedliche Kulturen und Sprachen friedlich miteinander existireren und das gleichzeitig einen Ausländeranteil von etwa 25% hat. Ausländer, die nicht abgesondert in Getthos leben, Ausländer, die in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schichten vertreten sind. Der Gründer und Präsident von Swatch war Libanese, einer der Direktoren von Nestlé war Oesterreicher, der Direktor und Eigentümer von Ikea ist Schwede.
Jeden Tag suchen etwa 60'000 Grenzgänger aus Frankreich ihren Arbeitplatz in der Schweiz auf.

vivendi Offline



Beiträge: 663

11.02.2014 10:53
#7 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von max im Beitrag #4
Ich bin einer dieser Schweizer, die sich dafür ausgesprochen haben, die Einwanderung wieder selber zu steuern. [...] Wir brauchen auch keine Leute, die sich unsere Sorgen machen und die Angst vor unseren Schwierigkeiten haben. Denn wie gesagt, es sind unsere. Es ist nämlich nicht der Sinn, der direkten Demokratie, richtig zu entscheiden, weil richtig für jeden etwas anderes bedeutet, sondern, dass die Leute bestimmen, die dann auch die Konsequenzen zu tragen haben. Und dass das so ist, wissen wir in der Schweiz schon seit jeher.


Als "auch Schweizer", der u.a. auch mehrere Jahre in Deutschland gearbeitet hat und jetzt in Frankreich lebt, kann ich dem nur zustimmen.
P.S: Meine Familie stammt aus Deutschland, ich habe meine ersten Lebensjahre in Deutschland gelebt.

Edit: letzten Satz hinzugefügt.

alteseuropa Offline



Beiträge: 259

11.02.2014 11:08
#8 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat
Sollte mein Tonfall etwas scharf sein, tut es mir leid, die ewige Schulmeisterei durch ausländische Politiker und Medien geht mir allerdings schwer auf die Nerven. Lehrstunden in Demokratie, Wirtschaft oder Staatspolitik haben wir nämlich weder von der EU, noch von Deutschland im Speziellen nötig.


Das ist nur allzu verständlich!

Nachdem ich diesen Text gelesen habe, ist mir das Hütchen hochgegangen, und ich habe mich für solche Politiker geschämt. Er ist aber nicht der einzige. Jetzt zeigt die EU ihr wahres Gesicht.
http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/euro.../story/11226822

Und danke für die Informationen über die Schweiz, die mir so im einzelnen nicht bekannt waren.

Im übrigen ist ja die EU keineswegs zimperlich, ihre EIGENEN Verträge, die innerhalb der EU gelten sollen, zu brechen (ohne neue Verhandlungen).
Oder wie war das nochmal mit der vertraglichen Versicherung, daß kein Staat für die Schulden eines anderen haftet?

vivendi Offline



Beiträge: 663

11.02.2014 11:19
#9 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von alteseuropa im Beitrag #8
Nachdem ich diesen Text gelesen habe, ist mir das Hütchen hochgegangen, und ich habe mich für solche Politiker geschämt. Er ist aber nicht der einzige. Jetzt zeigt die EU ihr wahres Gesicht.
http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/euro.../story/11226822


Das wahre Gesicht: Repressalien, Zorn, Wut. Kindergartenmanieren! Personenfreizügigkeit für Strom? Ein erbärmlicher Kurzschluss.

Zitat

Nach dem Schweizer Votum zur Begrenzung der Zuwanderung hat die EU-Kommission die Gespräche über einen grenzüberschreitenden Stromhandel ausgesetzt. Neue Verhandlungen seien gegenwärtig nicht abzusehen, sagte eine EU-Sprecherin.

«Das weitere Vorgehen muss im grösseren Kontext der bilateralen Beziehungen analysiert werden.» Das Abkommen mit der Schweiz soll einen geplanten Energie-Binnenmarkt der 28 EU-Staaten ergänzen. Die Teilnahme des Alpenstaates wäre wichtig für die Anbindung von Staaten wie Italien.
http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/eu-sto...weiz-1.18240701

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

11.02.2014 11:47
#10 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von max im Beitrag #4
Lehrstunden in Demokratie, Wirtschaft oder Staatspolitik haben wir nämlich weder von der EU, noch von Deutschland im Speziellen nötig.
Aus meiner Sicht können Sie diesen Satz jedem Repräsentanten unseres Parlaments auf den Badezimmerspielge schreiben, damit er ihn jeden Morgen lesen muß. Für unsere Kanzlerin würde ich mir eine tägliche Dauerberieselung mit diesem Spruch über Kopfhörer wünschen.

Zitat von max im Beitrag #4
Es ist nämlich nicht der Sinn, der direkten Demokratie, richtig zu entscheiden, weil richtig für jeden etwas anderes bedeutet, sondern, dass die Leute bestimmen, die dann auch die Konsequenzen zu tragen haben. Und dass das so ist, wissen wir in der Schweiz schon seit jeher.
Lieber Max, in meinen Augen treffen Sie hier den Kern: Die Deutschen lieben Demokratie aus den falschen Gründen und da ihnen Ihr Sendungsbewußtsein nie abhanden kommt, versuchen Sie lieber die Schweiz von den "Falschen Gründen" zu überzeugen, als selbst über die "Richtigen Gründe" nachzudenken.
Es ist schaurig und belustigend zugleich wenn man sieht was geschieht, wenn eine ex cathedra empfindende Konsensgeslleschaft auf Widerspruch von außen stößt und versucht damit genauso repressiv umzugehen, wie sie es innerhalb ihrer eigenen Strukturen tut.

Wen die EU oder Deutschland glaubt, die Schweiz bricht geltende Verträge (was ich nicht beurteilen kann), dann soll man darauf reagieren wie es angemessen erscheint. Den wie ein Metronom schwingenden Zeigenfinger der eigenen Moral, der überall auf Hochtouren läuft, sollen sie sich schenken. -- Können sie aber nicht: Autoritäre Erwachsene, die einem Jungendlichen, welcher sie längst weit überflügelt hat, wenigstens mit dem Zeigefinger noch ihre Überlegenheit mitteilen müssen.

Herzlich


nachdneken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Martin Offline



Beiträge: 4.129

11.02.2014 13:15
#11 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von max im Beitrag #4
Sollte mein Tonfall etwas scharf sein, tut es mir leid, die ewige Schulmeisterei durch ausländische Politiker und Medien geht mir allerdings schwer auf die Nerven. Lehrstunden in Demokratie, Wirtschaft oder Staatspolitik haben wir nämlich weder von der EU, noch von Deutschland im Speziellen nötig. Wir brauchen auch keine Leute, die sich unsere Sorgen machen und die Angst vor unseren Schwierigkeiten haben. Denn wie gesagt, es sind unsere. Es ist nämlich nicht der Sinn, der direkten Demokratie, richtig zu entscheiden, weil richtig für jeden etwas anderes bedeutet, sondern, dass die Leute bestimmen, die dann auch die Konsequenzen zu tragen haben. Und dass das so ist, wissen wir in der Schweiz schon seit jeher.


Lieber Max,

aus Ihrer Zusammenfassung lese ich vor allem heraus, dass Sie genau wussten warum Sie abgestimmt haben wie sie abgestimmt haben. Ich denke mal, direkte Demokratie schärft diese Art Kompetenz. In Deutschland treffe ich diese selten.

Gruß, Martin

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.254

11.02.2014 14:06
#12 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #10
Wen die EU oder Deutschland glaubt, die Schweiz bricht geltende Verträge (was ich nicht beurteilen kann), dann soll man darauf reagieren wie es angemessen erscheint.

Selbstvertändlich bricht „die Schweiz“, im Gegensatz zur EU oder Deutschland keine gültigen Verträge. Die Schweizer Abstimmung zwingt den Rat lediglich, innerhalb der nächsten drei Jahre bezüglich der Personen-Freizügigkeit, nachzuverhandeln, was, laut Vertrag (§18?), auch vertragsgemäß ist.

Nachgereicht: http://www.europa.admin.ch/dienstleistun...g2c_JjKbNoKSn6A--

--
Wer mich ertragen kann, erträgt auch das Leben – Uwe Richard

Nikosch Offline



Beiträge: 115

11.02.2014 16:00
#13 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Uwe Richard im Beitrag #12
Selbstvertändlich bricht „die Schweiz“, im Gegensatz zur EU oder Deutschland keine gültigen Verträge.

Das hat meines Wissens nach zumindest von offizieller Seite auch niemand behauptet. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich mal die EU verteidigen würde aber an dieser Stelle möchte ich doch einmal tun. Abseits der schrillen Töne vor allem der deutschen Medienlandschaft und einiger Politiker haben offizielle Stellen von EU und der Bundesregierung, zumindest meines Wissens nach, bisher zurückhaltend reagiert.

Es wurde zumeist das Bedauern über den Ausgang des Votums ausgedrückt (etwas anderes würde mich auch irritieren) und verkündet, dass man nun erst einmal die konkreten Maßnahmen des Bundesrates abwarten müsse. Dabei wurde auf die entsprechende Klausel hingewiesen, dass wenn die Schweiz diesen Vertrag kündigt oder nachverhandeln will damit auch eine Reihe anderer Verträge hinfällig werden könnten. Da die Schweiz diese Verträge entsprechend unterschrieben hat und diese Tatsache auch durchaus im Vorfeld des Votums eine Rolle spielte kann ich auch hierin nichts Verwerfliches erkennen.

Genauso wie die Schweiz unbestritten das Recht hat ihren Interessen entsprechend zu handeln, hat die EU eben dieses Recht auch. Und man muss aus ihrer Sicht feststellen, dass die EU absolut kein Interesse daran haben kann einer tatsächlichen oder vermeintlichen Rosinenpickerei der Schweiz nachzugeben, da vor allem die Engländer schon mit den Hufen scharren.

Wie auch immer man die Politik der EU ansonsten beurteilen mag, handelt sie in diesem Fall meiner Meinung nach rational und nachvollziebar. Da empfand ich Strafandrohungen gegen Österreich weil seine Bürger es gewagt hatten in größerer Zahl die FPÖ zu wählen um einiges bedenklicher.

Untragbar sind natürlich Kommentare wie "Die spinnen die Schweizer" und zeigen einmal mehr das Demokratieverständnis unserer Volksvertreter. In solchen Momenten muss ich immer wieder an die Aussage von Herrn Thierse denken in der er einmal sinngemäß meinte, dass man das Demonstrationsrecht nur solchen Menschen einräumen sollte die ein gerechtes Anliegen hätten. Was genau ein gerechtes Anliegen ist, dass würde dann vermutlich Herr Thierse entscheiden.

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”If it tastes good you should sequence it.” Wang Jun

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.423

11.02.2014 16:16
#14 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Nikosch im Beitrag #13
Untragbar sind natürlich Kommentare wie "Die spinnen die Schweizer"


Den pavlov`schen Beißreflex aus der Holsteinischen Schweiz muß man der dortigen EsPeDe nachsehen. Man assoziiert dort mit der Eidgenossenschaft immer noch zwanghaft das Stichwort "Beau-Rivage".

alteseuropa Offline



Beiträge: 259

11.02.2014 20:22
#15 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Nikosch im Beitrag #13
Zitat von Uwe Richard im Beitrag #12
Selbstvertändlich bricht „die Schweiz“, im Gegensatz zur EU oder Deutschland keine gültigen Verträge.

Das hat meines Wissens nach zumindest von offizieller Seite auch niemand behauptet.

Bei all dem Getöse konnte man aber diesen Eindruck gewinnen. Ich dachte schon, es würden bald Truppen in Bewegung gesetzt.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

11.02.2014 20:27
#16 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von alteseuropa im Beitrag #15
Zitat von Nikosch im Beitrag #13
Zitat von Uwe Richard im Beitrag #12
Selbstvertändlich bricht „die Schweiz“, im Gegensatz zur EU oder Deutschland keine gültigen Verträge.

Das hat meines Wissens nach zumindest von offizieller Seite auch niemand behauptet.

Bei all dem Getöse konnte man aber diesen Eindruck gewinnen. Ich dachte schon, es würden bald Truppen in Bewegung gesetzt.


Stimmt. Auf Twitter war gestern zu lesen, Ursula v. d. Leyen plane aktuell eine Seeblockade gegen die Schweiz.

Herzliche Grüße,
Andreas

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.423

11.02.2014 20:47
#17 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von alteseuropa im Beitrag #15
Zitat von Nikosch im Beitrag #13
Zitat von Uwe Richard im Beitrag #12
Selbstvertändlich bricht „die Schweiz“, im Gegensatz zur EU oder Deutschland keine gültigen Verträge.

Das hat meines Wissens nach zumindest von offizieller Seite auch niemand behauptet.

Bei all dem Getöse konnte man aber diesen Eindruck gewinnen. Ich dachte schon, es würden bald Truppen in Bewegung gesetzt.


Das tost aber hauptsächlich in den Aquarien-Monaden der Redaktionen. Das pp. Publikum scheint eher ungeneigt, bei dieser La-Ola-Welle mitzuschwappen. "Was deutsche Leser denken"

augustin Offline



Beiträge: 128

11.02.2014 23:07
#18 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #1
Ich habe mal ein paar Gedanken zum Thema Schweizer Volksabstimmung zu Papier gebracht.



Lieber Llarian,

Ihrem Beitrag möchte ich dieses Mal entschieden widersprechen.

Zum einen was die Gängelung oder wahrgenommene Gewaltdrohung gegenüber der Schweiz anbelangt. Es gibt innerhalb der Europäischen Union als Freihandelszone die ehernen Prinzipien der vier Grundfreiheiten. Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sollen sich innerhalb des Wirtschaftsraums frei und ungehindert bewegen können. Dafür wurde die Union gegründet und daran darf aus Sicht der Vertragsstaaten und der gemeinsamen Institutionen nicht gerüttelt werden. Mitgliedsstaaten, die (manchmal bewusst, oft auch unbewusst) gegen diese Freiheiten verstoßen, wird dies regelmäßig in Form von Vertragsverletzungsverfahren um die Ohren gehauen. Anhaltende Verstöße würden vermutlich auf lange Sicht den Ausschluss des Staates zur Folge haben. Bei einem der als integral wahrgenommenen großen Spieler (vor allem Deutschland und Frankreich) würde so etwas möglicherweise sogar die Union als Ganzes in Frage stellen.

So sind die Spielregeln, denen sich alle unterwerfen. Man kann die Sinnhaftigkeit dieser Regeln im Einzelnen oder im Ganzen natürlich hinterfragen, aber erstmal sind sie, wie sie sind. Es gibt sie nur im Gesamtpaket und sie gelten innerhalb der Union weitgehend vorbehaltlos.

Das soll nach dem Willen der maßgeblichen Akteure auch für die bilateralen Abkommen mit der Schweiz gelten. Ich sehe daran nichts Illegitimes und keinen Zwang. Es ist schlicht und ergreifend die Mitgliedskarte zum Klub. Deswegen gibt es die "Guillotinen"-Klausel und die Verträge wurden im vollen Bewusstsein derselben geschlossen.

Insofern sehe ich keinen wirklichen Grund zur Aufregung. Es ist das normale völkerrechtliche Prozedere. Mglw. wird es auf beiden Seiten wirtschaftliche Schäden zur Folge haben, aber wenn es so ist, dann ist es eben so.

Und zum anderen kann ich auch den Vorwurf, dass die Union oder ihre Organe sich illiberal verhalten, nicht nachvollziehen. Die Union ist als Freihandelszone konzipiert. Bei aller berechtigten Kritik an Brüssel wollen weder intergouvermentale noch liberale Kritiker im Regelfall an diesem Punkt rütteln. Wenn nun die Kommission (neben sonstigen Akteuren) diplomatisch darauf verweist, dass eine Aufkündigung eines der Abkommen die genannten Konsequenzen haben könnte, so macht sie lediglich ihren Job als Hüterin der Verträge und Interessenvertreterin der Union.

Wie gesagt, das normale völkerrechtliche Prozedere - Pacta sunt servanda. Wenn Sie und ich einen Vertrag schließen und ich verstoße dagegen, so muss ich eben im Zweifelsfall die vorgesehene Vertragsstrafe zahlen. Daran ist nichts Gewalttätiges - niemand droht der Schweiz mit Panzern, wie es Le Pen ausdrückte. Man pocht lediglich darauf, dass Verträge eingehalten werden. Und wenn nicht, dann kündigt man sie eben. Eigentlich ein urliberales Prinzip.

So sehe ich das jedenfalls.

Viele Grüße

Augustin

Llarian Offline



Beiträge: 7.115

11.02.2014 23:23
#19 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Christoph im Beitrag #2
Herr Steinmeier hat doch recht: Solche Vertragswerke sind ein Geben und Nehmen. Die Schweiz bekommt Marktzugang zur EU, was den protektionistischen Mitgliedern nicht gefällt (Frankreich) – Die Schweiz nimmt viele Einwanderer auf.

Das Interessante daran ist, lieber Christoph, dass das Aufnehmen von Einwanderern plötzlich ein Geben sein soll, wo uns selbiger Steinmeier doch seit Jahren erzählt wie wichtig und gut Zuwanderung sein soll. Ist das nicht ein bischen sehr offenkundig widersprüchlich ?

Zitat
Bloß an den angenehmen Verträgen festzuhalten und die anderen kündigen oder nachverhandeln zu wollen ist natürlich ein legitimer Wunsch, aber «Rosinenpickerei» ist es doch.


Ich kann das nicht sehen. Für mich sind das erst einmal unterschiedliche Themenfelder. Freihandel & Freizügigkeit. Was hat das eine mit dem anderen zu tun ? Das ist so, als würde jemand ein Auto nur dann bei mir kaufen, wenn ich gleichzeitig seinem Bruder ein Zimmer vermiete. Ich kann sehen, dass man das machen kann, aber es hat trotzdem nix miteinander zu tun.

Zitat
Als Dänemark vorübergehend wieder Grenzkontrollen einführte, war die Reaktion der EU-Partner genauso scharf.


Und genauso verfehlt. Mit dem Unterschied, dass sich Dänemark mit Sicherheit besser wehren kann.

Zitat
Aus Sicht der EU ist es auch nur natürlich, die erstarkte Verhandlungsposition dazu zu nutzen, den Preis für weitere Abkommen in die Höhe zu treiben.


Theoretisch kann die EU von heute auf morgen die Grenzen zur Schweiz abriegeln, den Strom abdrehen und kein Flugzeug mehr aus dem Land lassen, das macht die Schweiz keine Woche mit. Aber ist das richtig ? Ist das richtig damit zu drohen ? Wo ist der Unterschied dazu an seiner Grenze die Truppen aufmarschieren zu lassen ? Ganz ernsthaft gefragt, Steinbrück hat ja schonmal von der Kavallerie gekaspert. Ist es nicht eine starke Verhandlungsposition Raketen auf die Schweiz zu richten ?

Zitat
Vermutlich wäre es für die EU am besten, mit der Schweiz hohe Zuwanderungskontigente auszuhandeln,


Das kann sie nicht, die Schweiz darf einen solchen Vertrag nicht mehr zeichnen. Die Schweiz wird jährliche (!) Kontingente festlegen, Verträge die anderes erzwingen sind nicht mehr zulässig.

Zitat
Den Mitgliedsstaaten der EU wäre es auch schwer zu verkaufen, wenn die Schweiz als Nicht-EU Mitglied die Vorteile der EU-Mitgliedschaft genösse,


Ich frage mich immer welche das genau sind. Können Sie mir da helfen ? Freihandel war schon immer möglich und die Schweiz kommt m.E. nach super aus, ohne gemeinsame Währung und Haftung.

Zitat
Als unanständig empfand ich auch die deutsche Ablehnung des fertig verhandelten Steuerabkommens und des Überflugabkommens.


Das ist aus meiner Sicht die selbe Medaille.

Llarian Offline



Beiträge: 7.115

11.02.2014 23:41
#20 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von augustin im Beitrag #18
Ihrem Beitrag möchte ich dieses Mal entschieden widersprechen.

Das freut mich doch, Einigkeit ist langweilig. :)

Zitat
Es gibt innerhalb der Europäischen Union als Freihandelszone die ehernen Prinzipien der vier Grundfreiheiten. [...] Es gibt sie nur im Gesamtpaket und sie gelten innerhalb der Union weitgehend vorbehaltlos.

Das soll nach dem Willen der maßgeblichen Akteure auch für die bilateralen Abkommen mit der Schweiz gelten.


Nach dem Willen der maßgeblichen Akteure der EU. Das ist der entscheidende Punkt. Die Schweiz will das nicht (mehr). Und als Folge benimmt sich die EU wie ein wütendes Kind, weil jemand doch anders sein will. Ich bestreite nicht, dass das rechtlich alles möglich ist und das die EU die "Guillotinen" (schon der Name ist Programm) Klausel genau deswegen formuliert hat. Aber das illustriert doch genau das Problem: "Willst Du freien Handel mit mir, dann musst doch auch denken wie ich. Und ich bin so mächtig, dass Du Dir einen Nichthandel mit mir gar nicht leisten kannst."
Es gab da mal eine Software Firma die hatte so ein Betriebssystem, dass weltweit ziemlich verbreitet war. Und sie wollte, weil es so erfolgreich war, alle Nutzer dazu zwingen auch noch andere Software von ihnen zu verwenden. Rechtlich undramatisch. Sollte man meinen. Die EU ging dazwischen und verurteilte die Firma nicht nur dazu, dass zu unterlassen, sie brummte ihr auch noch eine fette Strafe auf. Aber nur weil Hänschen das nicht darf, muss das nicht für Hans gelten. Wirtschaftliche Macht, auch überwätigende Macht zum eigenen Vorteil einzusetzen, ist ganz pfui wenn Firmen oder die Amis das tun, aber wenn die EU das tut, ist das vollkommen okay.

Zitat
Insofern sehe ich keinen wirklichen Grund zur Aufregung. Es ist das normale völkerrechtliche Prozedere. Mglw. wird es auf beiden Seiten wirtschaftliche Schäden zur Folge haben, aber wenn es so ist, dann ist es eben so.


Ich seh das nicht ganz so entspannt. Denn ich glaube die Kosten für die Schweiz könnten recht dramatisch werden. Und ich möchte für meinen Teil kein Teil von dem Konstrukt sein, dass das verursacht. Es ist mir ehrlich unangenehm.

Zitat
Wie gesagt, das normale völkerrechtliche Prozedere - Pacta sunt servanda. Wenn Sie und ich einen Vertrag schließen und ich verstoße dagegen, so muss ich eben im Zweifelsfall die vorgesehene Vertragsstrafe zahlen.


Es geht ja hier gar nicht um Strafen. Es geht eher um andere Überlegungen: Nehmen Sie an, Sie hätten einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen. Ferner ein Konto bei einer Bank, eine Wohnung bei einem Vermieter und ausserdem noch eine Versicherung bei einer Versicherung. Jetzt fangen die Nebenkosten der Wohnung aber an, sie aufzufressen. Also kündigen Sie die Wohnung. Dooferweise gehört aber Wohnung, Bank, Versicherung und Unternehmen einer grossen Muttergesellschaft. Und die kündigt jetzt alle Verträge. Dumm gelaufen. Aber pacta sunt servanda, das steht da eben drin. Ist es möglich ? Ja. Aber richtig ? Sie meinen Sie können ihren Arbeitsplatz behalten ? Das wäre doch Rosinenpickerei, oder nicht ?

Zitat
Daran ist nichts Gewalttätiges - niemand droht der Schweiz mit Panzern, wie es Le Pen ausdrückte.


Man droht ihr den Strom abzustellen und den Transport nach aussen zu behindern. So gross ist der Unterschied irgendwann nicht mehr.

Ich verstehe einfach nicht, wieso man in Deutschland (oder der EU) so schlecht damit umgehen kann, dass jemand anders sein möchte.

vivendi Offline



Beiträge: 663

12.02.2014 00:02
#21 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #20
Die Schweiz will das nicht (mehr). Und als Folge benimmt sich die EU wie ein wütendes Kind, weil jemand doch anders sein will.
[...]
Ich verstehe einfach nicht, wieso man in Deutschland (oder der EU) so schlecht damit umgehen kann, dass jemand anders sein möchte.



... und warum man nicht einvernehmlich, gutnachbarschaftlich und in beiderseitige Interesse nach einem Kompromiss sucht, sondern sich wie ein trotziges Kleinkind benimmt (man muss sich nur einige der Kommentare von EU-Abgeordneten auf der Zunge zergehen lassen). Die Initiative will ja nicht die Personenfreizügigkeit unterbinden, sondern die Möglichkeit haben (wie es eigentlich jeder souveränen Nation zusteht), lenkend einzugreifen, wenn die Situation überbordet. Die Schweiz kann ohne Ausländer ihre Wirtschaft gar nicht betreiben, es fehlten ihr dazu die Arbeitskräfte. In Basel sind 40% der Angestellten in den Gastbetrieben Ausländer; in den meisten Krankenhäusern, der Uhrenindustrie, dem Baugewerbe sieht es ähnlich aus. In den grossen Multinationalen (Nestlé, HP, Novartis) und in den UN-Organisationen sind bis in die obersten Management-Positionen Ausländer beschäftigt; ich habe in meinen Kontakten mit diesen Firmen mit ebenso vielen Indern, Chinesen, Engländern, Amerikanern, Brasilianern, Australiern, Schotten, Irländern, Deutschen, Franzosen verhandelt wie mit Einheimischen.

augustin Offline



Beiträge: 128

12.02.2014 01:33
#22 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #20
Das freut mich doch, Einigkeit ist langweilig. :)


Dito. :)

Zitat
...



Da Sie in meinem Beitrag das "innerhalb" markiert hatten: Ja, die Freiheiten gelten innerhalb des europäischen Binnenmarktes. Und die Schweiz will daran partizipieren. Das ist der Klub, in dem sie - so halb wenigstens - Mitglied sein will und so sind eben die Eintrittsbedingungen.

Zitat
Und als Folge benimmt sich die EU wie ein wütendes Kind, weil jemand doch anders sein will.



Von kindlicher Wut seh ich da wenig. Von Seiten der Kommission fiel die Reaktion ziemlich verhalten aus, so weit ich die Stellungnahmen gelesen habe. Man befürchtet eine Vertragsverletzung, also weist man auf die möglichen Konsequenzen hin. So ist das nunmal.

Ich persönlich glaube, dass selbst die idelogischen Euronationalisten die Sache eher nüchtern betrachten.

Zitat
Aber das illustriert doch genau das Problem: "Willst Du freien Handel mit mir, dann musst doch auch denken wie ich. Und ich bin so mächtig, dass Du Dir einen Nichthandel mit mir gar nicht leisten kannst."



Man könnte auch sagen: Wenn Du die Klubprivilegien haben willst, musst Du dich an die Regeln halten. Das ist sogar schon ein urlibertärer Gedanke.

Zitat
Es gab da mal eine Software Firma die hatte so ein Betriebssystem, dass weltweit ziemlich verbreitet war. Und sie wollte, weil es so erfolgreich war, alle Nutzer dazu zwingen auch noch andere Software von ihnen zu verwenden. Rechtlich undramatisch. Sollte man meinen. Die EU ging dazwischen und verurteilte die Firma nicht nur dazu, dass zu unterlassen, sie brummte ihr auch noch eine fette Strafe auf. Aber nur weil Hänschen das nicht darf, muss das nicht für Hans gelten. Wirtschaftliche Macht, auch überwätigende Macht zum eigenen Vorteil einzusetzen, ist ganz pfui wenn Firmen oder die Amis das tun, aber wenn die EU das tut, ist das vollkommen okay.



Da müssen Sie aber zwischen der Freiheit "von" und der Freiheit "zu" differenzieren. Freiheit von Zwang ist grundsätzlich erwünscht und notwendig, auch zwischen Staaten. Das bedeutet jedoch nicht, dass umgekehrt ein positives Recht bestünde, dass jeder Rechtsgenosse vom anderen Privilegien einfordern könnte. Konkret kann die Schweiz genauso wenig wie jeder andere externe Staat Handelsprivilegien von der EU bzw. ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt fordern. Wär ja auch noch schöner und da stünden einige Schlange. So etwas wird ausverhandelt und in völkerrechtlichen Verträgen fixiert. Wenn man sich dann allerdings nicht daran hält, ist das "weniger schön" wie Sozialpädagogen und Diplomaten sagen würden.

Zitat
Ich seh das nicht ganz so entspannt. Denn ich glaube die Kosten für die Schweiz könnten recht dramatisch werden. Und ich möchte für meinen Teil kein Teil von dem Konstrukt sein, dass das verursacht. Es ist mir ehrlich unangenehm.



Nun, da entmündigen Sie aber ein Stück weit die Schweizer. Die haben die Entscheidung mehrheitlich aus freien Stücken getroffen. Im Bewusstsein der möglichen Schäden. Dafür sind wir weder als Deutsche noch als EU-Bürger verantwortlich. Wie ein Eidgenosse hier an anderer Stelle schon sinngemäß geschrieben hatte: "Wir wissen schon selbst, was wir tun."

Zitat
Es geht ja hier gar nicht um Strafen. Es geht eher um andere Überlegungen: Nehmen Sie an, Sie hätten einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen. Ferner ein Konto bei einer Bank, eine Wohnung bei einem Vermieter und ausserdem noch eine Versicherung bei einer Versicherung. Jetzt fangen die Nebenkosten der Wohnung aber an, sie aufzufressen. Also kündigen Sie die Wohnung. Dooferweise gehört aber Wohnung, Bank, Versicherung und Unternehmen einer grossen Muttergesellschaft. Und die kündigt jetzt alle Verträge. Dumm gelaufen. Aber pacta sunt servanda, das steht da eben drin. Ist es möglich ? Ja. Aber richtig ? Sie meinen Sie können ihren Arbeitsplatz behalten ? Das wäre doch Rosinenpickerei, oder nicht ?



Wenn mich der Vertrag entsprechend benachteiligt, hätte ich ihn eben nicht abschließen sollen.

Und um in Ihrem Bsp. zu bleiben: Ich bin ja kein armer, kleiner Verbraucher, der gezwungen war, den Vertrag so zu schließen. Ich wollte ihn nur zu besonders günstigen Bedingungen abschließen und hab deswegen die Killerklausel in Kauf genommen.

Konkret hätte die Schweiz ja innerhalb der Freihandelsabkommen problemlos weiter wirtschaften können. Sie wollte aber die Vertiefung, weil das entsprechende Vorteile bringt. Teilnahme am Schengenraum, erleichterten Marktzugang, Abbau von Handelshemmnissen usw. Tja, wer A sagt, muss auch B sagen.

Zitat
Man droht ihr den Strom abzustellen und den Transport nach aussen zu behindern. So gross ist der Unterschied irgendwann nicht mehr.



Das habe ich so von der Kommission nicht vernommen. Meines Wissens wurden die Verhandlungen für ein Stromhandelsabkommen ausgesetzt.

Jedenfalls liegen zwischen Gewaltdrohungen und dem Wiederaufbau von Handelshemmnissen Welten. Positive und negative Freiheit, wie gesagt.

Zitat
Ich verstehe einfach nicht, wieso man in Deutschland (oder der EU) so schlecht damit umgehen kann, dass jemand anders sein möchte.



Hm, mglw. seh ich das alles ja zu nüchtern wirtschaftsliberal. Mal abseits von all dem Gedöns mit dem die EU so aufgeladen wird, geht es dabei primär um Freihandel. Dafür wurde sie gegründet und in dem Punkt funktioniert sie ganz gut. (Man vergleiche sie nur mal mit anderen Freihandelszonen, in denen ständig vertragswidrig irgendwelche Unternehmen subventioniert, Schutzzölle erhoben und Handelsbarrieren aufgebaut werden, weil irgendwelche Rentseeker das so fordern.)

Und wenn ich "anders sein will" - sprich mich nicht an die Regeln halten will, kann ich eben im Klub nicht mitmachen. Wäre es anders, würden auf lange Sicht alle Vertragsparteien Privilegien fordern, wenn dies gerade opportun erscheint. Dann kann ich mir die Unternehmung auch gleich ganz sparen.

Viele Grüße

Augustin

max Offline



Beiträge: 150

12.02.2014 03:30
#23 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Lieber Augustin, ich weiss nicht, ob Sie den Abstimmungskampf verfolgt haben. Ganz so sachlich, wie Sie es hier darstellen, waren die Aktionen der EU Komission nicht. Sei es Barroso, sei es die Dame Reding, sei es Schulz oder der Botschafter der EU in der Schweiz, Richard Jones haben sich mit Drohungen ständig in diesen eingemischt. Also in etwas, was sie einfach einmal überhaupt nichts angeht. Nur so zum Vergleich: Wie sehr würden es die Berliner schätzen, wenn sich vor der Landtagswahl der bayrische Ministerpräsident dauernd mit der Drohung melden würde, bei nicht genehmem Wahlausgang würde der Finanzausgleich gestrichen?

Wäre die EU sachlich, würde sie mit einer Reaktion darauf warten, was ihr der Bundesrat vorschlägt. Was das sein wird, weiss sie nämlich noch nicht. Momentan haben wir als Souverän erst einmal dem Bundesrat einen Auftrag gegeben, sich mit der EU erneut auseinanderzusetzen. Statt dessen führen sich etliche Repräsentanten dieser Organisation wie trotzige Kinder auf. Das selbe gilt für nicht wenige Politiker aus Deutschland, vornehmlich die linke Erscheinungsform.
Es ist diese Schulmeisterei, die Ueberheblichkeit, die uns ärgert.

Selbstverständlich hat die EU das Recht, die Bilateralen I als Block zu künden. Eine andere Frage ist es, ob das schlau ist. Wir machten bei den Verhandlungen dazu relativ viele Zugeständnisse, um ein Luftverkehrsabkommen zu erreichen, dass der Swissair etwas nützt. Wie Sie vielleicht wissen, gibt es die Swissair allerdings nicht mehr und die Swiss ist eine deutsche Firma. Da hat sich das Druckpotential schon einmal verringert. Das Landverkehrsabkommen ist vor allem im Interesse der EU abgeschlossen worden, ich glaube nicht, dass sie darauf einfach verzichten will.

Es gibt einige Punkte, bei denen es, wenn die erste Aufregung einmal vorbei sein wird, im Interesse beider Parteien sein wird, sie entweder neu zu verhandeln, oder sie so weiterzuführen.

Zum jetztigen Zeitpunkt ist es nicht sehr ratsam, Schweizer Medien zu lesen, zu hören oder zu sehen, um sich über den Zustand der Schweiz nach der Abstimmung zu informieren. Praktisch der ganze Mainstream hat sich für eine Ablehnung der Initiative stark gemacht. Im Moment ist man in den Redaktionen in der Trotzphase, man treibt die Angstmacherei bis zum Exzess um so die böse SVP und die dummen Befürworter zu bestrafen, ganz nach dem Motto:"Seht her was Ihr böses angerichtet habt." Mit von der Partie ist selbstverständlich wieder unser Bundesrat, dessen Verhalten mit schändlich nur höchst unzureichend zu beschreiben ist.

Als Befürworter der Initiative waren mir die allfälligen Konsequenzen bewusst, Angst davor habe ich sicher keine. Sollte sich die EU dazu entschliessen, die Bilateralen I (oder alle Bilateralen) zu kündigen, wird das Resultat eine kurzfristige Baisse sein. Unsere Wirtschaft ist allerdings aber eben nicht stark, weil wir so tolle Verträge mit der EU haben, sondern weil sie innovativ und flexibel ist. Die Aussagen der Exponenten der Wirtschaftsverbände während des Abstimmungskampfs muss man nicht allzu ernst nehmen, diese sind wie die Bauern im Hauptberuf Jammerer. Wenn man mit Unternehmern direkt spricht, tönt das schon ganz anders. Den Marktzugang haben wir über das Freihandelsabkommen sowieso, einzig die Zulassungsverfahren könnten wieder etwas komplizierter werden. Zusätzlich würde unsere Landwirtschaft einige Nachteile in Kauf nehmen müssen.

notquite Offline



Beiträge: 506

12.02.2014 07:27
#24 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von max im Beitrag #23
Wäre die EU sachlich, würde sie mit einer Reaktion darauf warten, was ihr der Bundesrat vorschlägt.


An einer sachlichen Reaktion haben die Funktionäre kein Interesse. Es ist doch offensichtlich, dass man zwar die Schweizer anschreit und verspottet, aber eigentlich nur die eigene Bevölkerung einschüchtern will, damit sie nur ja nicht auf den Gedanken kommt, sie hätte in Sachen Freizügigkeitswahn - nebenbei bemerkt ja ungefähr die radikalste Deregulierung staatlicher Verhältnisse, die man sich vorstellen kann und als solche ein klassisches Kind der Nuller Jahre - auch nur den Hauch einer Mitsprache, die Staaten mit direktdemokratischen Elementen ermöglichen. Und so lügt man denn dreist, ganz so, als hätten die Schweizer da gegen polnische Ärzte oder deutsche Ingenieure gestimmt (was ich bei meinen begrenzten Kenntnissen über die Schweiz schon per se ausschließen würde), und nicht gegen die mehrheitlich den Sozialstaat kapernenden oder gleich ganz kriminellen "mobilen Minderheiten", mit deren Präsenz jedes europäische Land seit Jahren zu kämpfen hat (und die von deutschen Sozialrichtern für diese Präsenz ja sogar noch gegen die Wünsche und Interesse der Bürger prämiert werden).

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

12.02.2014 09:23
#25 RE: Und willst Du nicht mein Bruder sein Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #16
Auf Twitter war gestern zu lesen, Ursula v. d. Leyen plane aktuell eine Seeblockade gegen die Schweiz.

Gerüchteweise habe ich sogar gehört, dass Ursula v. d. Leyen alle Teilzeitpläne zwecks Familienfreundlichkeit bei der BW vorrübergehend auf Eis legen will. Darüber hinaus sollen sogar zeitweise Überstunden angeordnet und 10.000 rumänische und bulgarische Tagesmütter für die Kinderbetreuung angestellt werden, damit die Bundeswehr eine lückenlose Blockade von Land/Luft und Seewegen zur Schweiz während der Hauptverkehrszeiten von 8 – 17 Uhr sicherstellen kann.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

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