"Gestorben" war diese Sendung für mich, als Bundeskanzler Schröder dort auftrat. Da war bei mir die "rote Linie" überschritten. Auch wurden die Pausen zwischen den Wettdarbietungen immer länger und mit immer belangloserem Gequatsche gefüllt.
Zitat von Paul im Beitrag #2"Gestorben" war diese Sendung für mich, als Bundeskanzler Schröder dort auftrat. Da war bei mir die "rote Linie" überschritten.
Das war sicher eine der größten Besetzungspleiten. Schröder hatte ja klargemacht, dass er "BILD, BamS und Glotze" für die Kommunikation seiner Regierungstätigkeit zu nutzen gedachte. Dass das ZDF dem Politiker eine Bühne für menschelnde Selbstdarstellung geboten hat, war wirklich daneben.
Zitat Auch wurden die Pausen zwischen den Wettdarbietungen immer länger und mit immer belangloserem Gequatsche gefüllt.
Wobei ich glaube, lieber Paul, dass die Sendung nur so lange überleben konnte, weil unter Gottschalk nicht mehr die Wetten, sondern die Show - also die Stargäste und der Schmäh des Moderators - im Vordergrund standen. Das Wetten-Konzept erschöpft sich schnell: Nach eher kurzer Zeit bekommt der Zuschauer den Eindruck, alles schon einmal gesehen zu haben, und ist gelangweilt. Es gibt irgendwann keine Steigerung mehr.
Das Show-Konzept funktionierte wohl auch deshalb so gut, weil Gottschalk einer der wenigen ist, die es wirklich können. Aber irgendwann verlor er den Spaß an der Sendung und die Zuschauer auch. Das halte ich für eine ganz gewöhnliche Entwicklung. Das ZDF hätte nur eine bessere Figur gemacht, wenn es schon früher die Reißleine gezogen hätte.
Eines der letzten nationalen Symbole Deutschlands, das säkulare Samstagabendhochamt, die Fernsehunterhaltung in Eiche rustikal - seit Jahren überlebt, überkommen, künstlich beatmet aus Angst vor der Leere - hat endlich die wohlverdiente Ruhe gefunden.
Der von Zettel beschriebene und von Noricus zitierte Umgang des Feuilletons mit der Sendung zeigt, dass Wetten, dass... vor allem eine Projektionsfläche der deutschen Befindlichkeiten war: Ästhetisch - "was der Gottschalk heut wieder anhat"; moralisch - ein Betrug bei Wetten, dass... ist wohl das einzige, was noch schlimmer ist als Steuerhinterziehung. Aber auch die vermeintlichen "Entlarver" der spießbürgerlichen Idylle haben Wetten, dass... genau dadurch seine Bedeutung verliehen. Alle einig sind sie sich jedoch darin, dass Unterhaltung in Deutschland eine ernste Angelegenheit ist.
Auch der Begriff des Nullmediums passt hervorragend. Denn nur eine völlig leere Hülle ohne eigene Inhalte kann zur idealen Projektionsfläche werden. Ob das so kritisierenswert ist?
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Also ich sehe nach 3 Bloody Mary Claudia R., Bärbel H. und Renate K. und komme mir ganz vor wie Macbeth. "Schön ist wüst, und wüst ist schön. / Wirbelt durch Nebel und Wolkenhöhn!"
Zitat von Meister Petz im Beitrag #8Auch der Begriff des Nullmediums passt hervorragend. Denn nur eine völlig leere Hülle ohne eigene Inhalte kann zur idealen Projektionsfläche werden. Ob das so kritisierenswert ist?
Nicht unbedingt. Ich wage hier mal eine (zugegeben sehr steile) soziologische These: Das Straßenfeger-/Lagerfeuer-Fernsehen, in das jeder hineinprojizierte, was er wollte, und das deshalb auch fast jeder schaute, sorgte für einigende Momente im kollektiven Bewusstsein der TV-Nation (wie von Ihnen angesprochen: "Gottschalks Anzüge: furchtbar!", "Betrug bei Wetten, dass ...?: Sakrileg!").
Seitdem es diese "Hat-fast-jeder-gesehen"-Sendungen nur noch bei Fußballweltmeisterschaften gibt, müssen diese einigenden Momente anders erzielt werden, zB durch die kollektive Empörung über "reiche" Steuerhinterzieher oder Plagiatoren oder ...
Zitat von Noricus im Beitrag #12Ich wage hier mal eine (zugegeben sehr steile) soziologische These: Das Straßenfeger-/Lagerfeuer-Fernsehen, in das jeder hineinprojizierte, was er wollte, und das deshalb auch fast jeder schaute, sorgte für einigende Momente im kollektiven Bewusstsein der TV-Nation (wie von Ihnen angesprochen: "Gottschalks Anzüge: furchtbar!", "Betrug bei Wetten, dass ...?: Sakrileg!").
Seitdem es diese "Hat-fast-jeder-gesehen"-Sendungen nur noch bei Fußballweltmeisterschaften gibt, müssen diese einigenden Momente anders erzielt werden, zB durch die kollektive Empörung über "reiche" Steuerhinterzieher oder Plagiatoren oder ...
Ich finde die These gar nicht so steil, ich habe sie ja in meinem Post impliziert und damit eine (pun intended) Steilvorlage gegeben.
Aber es stimmt - die kollektiven Momente sind eher empörter Natur, man kann noch NSA und Whatsappkauf hinzufügen. Die Frage: Gibt es überhaupt positiv besetzte kollektive Momente?
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Zitat von Meister Petz im Beitrag #13Aber es stimmt - die kollektiven Momente sind eher empörter Natur, man kann noch NSA und Whatsappkauf hinzufügen. Die Frage: Gibt es überhaupt positiv besetzte kollektive Momente?
Sport wurde schon genannt. Man könnte ähnlich strukturierte Wettbewerbe hinzufügen. Beispiel: Juhrowischen Ssong Konntest. Oder ein Oscar für einen deutschen Schauspieler (Waltz ist leider mehr Ösi). Oder ein wichtiger (also nicht dieser esoterische naturwissenschaftliche Kram, sondern bedeutende Dinge wie Literatur oder Frieden) Nobelpreis für einen Deutschen. Also alles, was uns gegenüber "dem Ausland" erhebt, vorzugsweise gegenüber den Amis natürlich. Wie ja überhaupt die Außenwirkung für uns, die wir vor allem nur gemocht und bewundert werden wollen, enorm wichtig ist (wobei wir nur ab und zu mitbekommen, dass man den Streber nie mag).
Der allerschönste, positiv besetzte Moment, den ich erleben durfte, war allerdings der Fall der Berliner Mauer. Ich fürchte, das wird in meinem Restleben auch nichts mehr toppen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Um vielleicht mal eine etwas andere Sicht darzulegen: Gestorben ist die Sendung in der Sekunde, in der sich Samuel Koch den Hals gebrochen hat. Das war auch Thomas Gottschalk klar und genau deshalb hat er dann auch aufgehört. Die "Leichtigkeit", so diese einmal bestanden hat, war dahin. Und sie kommt auch nicht wieder, der Geist dieser Wette wird immer über der Sendung schweben. Das sich der selbe Gottschalk jetzt hinstellt und Lanz hinterhertritt ("dann hätte ich es gleich selber an die Wand fahren können.") ist da schon recht schäbig, denn er HAT es an die Wand gefahren (auch wenn er nichts dafür konnte).
Ansonsten weiss ich nicht, warum man so einen Bohei macht. Es hat diverse Showsendungen der letzte Jahrzehnte irgendwann dahingerafft, von Dalli Dalli bis zum großen Preis. Wo ist das Problem ?
Zitat von Llarian im Beitrag #15Ansonsten weiss ich nicht, warum man so einen Bohei macht. Es hat diverse Showsendungen der letzte Jahrzehnte irgendwann dahingerafft, von Dalli Dalli bis zum großen Preis. Wo ist das Problem ?
Das Problem - - das "Problem" liegt darin, daß es sich hier um den Letzten Seiner Art handelt. Ähnliche Rate-, Quiz-, und ähnliche Hampelparties hat es ja im deutschen Fernsehen seit ~1958 gegeben, mal im Zimmerformat wie "Was bin ich", mal als Ringelpiez mit Anfassen (wo dann wohl "Einer Wird Gewinnen" der Urknall war: dies Format mit importiertem Publikum & Anbindung an die Außenwelt hat WD dann beerbt; das hatte einen leicht halbseidenen Touch, in Gegensatz zu den "seriösen" Shows mit Rosenthal & Thööölke: gewissermaßen als Rolling Stones statt Beatles auf bundesdeutsch). Aber es gab stets mehrere gleichzeitig - die Staffelübergabe von einem Ankerpunkt erfolgte bruchlos. Natürlich handelte es sich dabei um liturgische Übungen: weswegen der eigentliche Inhalt so wenig bedeutete wie der Predigtinhalt im Laufe des Kirchenjahrs: die Klammer war: darf nicht gestört werden (sonst war ja nur die Tagesschau um 20:00 heilig), alle sehen das, egal in welchem Alter; Politik/Tagesgeschehen/Zwistiges/wirkliches Leben bleibt extra muros. 68 & Co. haben in diesem ganzen Format dann die Ruhigstellung aller störenden Impulse durch "Konsenssoße" gewittert (ganz früh schon: das geht bei Enzensbergers "Bewußtseinsindustrie" los)*. Es ist aber einer der wenigen Bereiche, wo dies Ausklopfen muffiger Talare ohne jede Wirkung verpufft ist. Natürlich war diese Klammer spätestens mit dem Privatfernsehen perdu; aber je weniger davon blieb, desto mehr galt das als Garant für diese Art von Tradition.
* In gewisser Weise war das Format ein Schaufenster für die "Sekundärtugenden": LaFos Ausfall dürfte sich eher aus dem Abscheu der Toskanafraktion gegenüber all den kleinen Spießern gespeist haben, die sie als Publikum ausgemacht hatten. "Wertarbeit" & "Ehrlichkeit" ganz oben an. Das ist ein konstitutiver Unterschied zur Populärkultur in den USA: Dort ist die Erwartung des Publikums 3mal gebrochen worden: zum einen durch den Black-Sox-Skandal von 1919 (Kauf der Baseballmeisterschaft), den Payola-Skandal 1958 (gekaufte Hitparaden) und der Twenty-One-Schwindel 1956 (schamlos getürkte Quizsendungen). Seitdem erwartet niemand mehr, daß es in diesen Branchen mit rechten Dingen zugeht. Für das deutsche Publikum wäre schon die Denkmöglichkeit, die Fußballmeisterschaft könnte gekauft sein oder eine TV-Wette ein abgekartetes Spiel, so undenkbar wie Ranglistenmnipulationnen beim ADAC.
Zitat von Noricus im Beitrag #12Seitdem es diese "Hat-fast-jeder-gesehen"-Sendungen nur noch bei Fußballweltmeisterschaften gibt, müssen diese einigenden Momente anders erzielt werden, zB durch die kollektive Empörung über "reiche" Steuerhinterzieher oder Plagiatoren oder ...
Naa, man vergesse mir das Dschungelcamp nicht. Es trauen sich nur nicht alle das auch zuzugeben.
Kommt allerdings auch nur einmal im Jahr, ist desrum auch noch ein Event. Der Rest vom Fernsehn wird zunehmend bedeutungsloser und seine Zuschauer wachsen zudem noch aus der werberelevanten Zielgruppe raus. TV-Verzicht war vor ein paar Jahren noch was für Menschen, die auch sonst eher auf die guten Dinge Wert legten. Heutzutage ergibt sich das einfach aus den gewachsenen sonstigen Möglichkeiten. Warum sollte man noch zu irgendeiner fremdfestgelegten Zeit vor der heimischen Glotze rumlungern?
Beste Grüße, Calimero
------------------------------------------------------- Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel
Zitat von Noricus im Beitrag #12Ich wage hier mal eine (zugegeben sehr steile) soziologische These: Das Straßenfeger-/Lagerfeuer-Fernsehen, in das jeder hineinprojizierte, was er wollte, und das deshalb auch fast jeder schaute, sorgte für einigende Momente im kollektiven Bewusstsein der TV-Nation (wie von Ihnen angesprochen: "Gottschalks Anzüge: furchtbar!", "Betrug bei Wetten, dass ...?: Sakrileg!").
Seitdem es diese "Hat-fast-jeder-gesehen"-Sendungen nur noch bei Fußballweltmeisterschaften gibt, müssen diese einigenden Momente anders erzielt werden, zB durch die kollektive Empörung über "reiche" Steuerhinterzieher oder Plagiatoren oder ...
Ich finde die These gar nicht so steil, ich habe sie ja in meinem Post impliziert und damit eine (pun intended) Steilvorlage gegeben.
Dann spinne ich die Petz-Noricus-These mal weiter: Auch die "Tagesschau" verschaffte einigende Momente des kollektiven Erlebens. Was zwischen 20 Uhr und 20 Uhr 15 in der ARD gesendet wurde, war die ex cathedra verkündete Grundlage, auf der man diskutierte; der völlig außer Streit stehende Sachverhalt; das Faktum an sich, für sich, an und für sich (um ein bisschen zu hegeln); kurz: die unumstößliche Wahrheit. Man konnte nur noch über die Schlussfolgerungen streiten, die aus diesem Befund zu ziehen waren.
Und heute gibt es diese Häretiker aus dem Web 2.0, die behaupten (und belegen ), dass auch die "Tagesschau" nicht unfehlbar ist.
Zitat von Llarian im Beitrag #15Ansonsten weiss ich nicht, warum man so einen Bohei macht. Es hat diverse Showsendungen der letzte Jahrzehnte irgendwann dahingerafft, von Dalli Dalli bis zum großen Preis. Wo ist das Problem ?
Das ist ja gerade der Punkt, lieber Llarian: Es gibt kein Problem, nirgends. Harald Schmidt late-nightet jetzt auch nicht mehr, was dem breiten Publikum aber entgangen sein dürfte, weil er zuletzt nur noch auf einem Bezahlsender präsent war.
Die Bedeutung von Wetten, dass ...? ist eine fernsehhistorische bzw soziologisch relevante. Ulrich Elkmann hat das in seinem letzten Kommentar ja wunderbar dargestellt. Das Interessante ist, dass Sendungen wie Wetten, dass ...? wirklich mal Fixpunkte im gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik waren. Das ist noch gar nicht so lange her, gefühlsmäßig stammt es aber aus einer ganz anderen Zeit.
Das ZDF hat den Gaul so lange geritten, bis er zusammengebrochen ist. Den Zeitpunkt für ein elegantes Absitzen hat man verpasst. Seit Jahren erhält die Sendung überwiegend schlechte Kritiken; aber nun sehen wir (bzw viele Stimmen der veröffentlichten Meinung) betroffen den Vorhang zu und alle Wünsche offen (um ein bisschen abgewandelt zu brechteln). Es ist ein bisschen wie beim Tod von Michael Jackson: In den letzten Jahren seines Lebens war er nur noch Zielscheibe negativer Gefühle, und als er dann gestorben war, erinnerte man sich daran, dass dieser Mann einmal der King of Pop war - seinerseits eine Legende.
Sendungen wie "Wetten dass" und "Wer wird Millionär" leben vom Moderator. Wenn Jauch "Wetten dass" an einen wie Lanz abgeben würde, wäre die Sendung auch erledigt. Das ZDF zieht kein kreatives Personal an. "Wetten dass" war tot mit dem schweren Unfall von Samuel Koch, da gebe ich Llarian völlig recht. Eine Samstagabend-Show in der ein ehrgeiziger Vater seinen ebenso ambitionierten Sohn zusammen mit dem Publikum live in die Tragödie seines Lebens springen sieht, kann diesen Schatten nicht mehr ablegen. Das ZDF wollte nicht wahrhaben was Gottschalk realisiert hatte. Er tat dies allerdings nur in Bezug auf die Sendung, nicht auf sich selbst.
Zitat von Noricus im Beitrag #12Ich wage hier mal eine (zugegeben sehr steile) soziologische These: Das Straßenfeger-/Lagerfeuer-Fernsehen, in das jeder hineinprojizierte, was er wollte, und das deshalb auch fast jeder schaute, sorgte für einigende Momente im kollektiven Bewusstsein der TV-Nation
Richtig. Und das mußten gar nicht unbedingt Höhepunkte sein, die man sich über Jahrzehnte merkt. Die übliche Rudi-Carrell- oder Wim-Thoelke-Show hat keine bleibenden Eindrücke hinterlassen. Aber am Montag darauf konnte man sich in jeder Schulklasse und jeder Werkskantine darüber unterhalten - weil ziemlich jeder sie gesehen hatte.
Zitat Seitdem es diese "Hat-fast-jeder-gesehen"-Sendungen nur noch bei Fußballweltmeisterschaften gibt ...
Oder vorher bei den Qualifikationen. Die letzte legendäre Sendung dieser Art war ja wohl das Interview mit Waldemar Hartmann und Rudi Völler ;-)
Zitat müssen diese einigenden Momente anders erzielt werden, zB durch die kollektive Empörung über "reiche" Steuerhinterzieher oder Plagiatoren oder ...
Solche Inszenierungen sind wohl eine ganz andere Sache (die gab es ja auch schon früher).
Die Nachfolge der Straßenfegersendungen haben wohl Youtube-Hits angetreten. Irgendwelche Schlüsselszenen (durchaus auch aus dem Fernsehen), die ursprünglich vielleicht fast niemand gesehen hat, die sich aber viral an Millionen von Menschen verbreiten. Die sind dann (zumindestens bei den Jüngeren) die Themen, die jeder gesehen hat und über die jeder spricht.
Zitat von Noricus im Beitrag #12Ich wage hier mal eine (zugegeben sehr steile) soziologische These: Das Straßenfeger-/Lagerfeuer-Fernsehen, in das jeder hineinprojizierte, was er wollte, und das deshalb auch fast jeder schaute, sorgte für einigende Momente im kollektiven Bewusstsein der TV-Nation
Richtig. Und das mußten gar nicht unbedingt Höhepunkte sein, die man sich über Jahrzehnte merkt. Die übliche Rudi-Carrell- oder Wim-Thoelke-Show hat keine bleibenden Eindrücke hinterlassen. Aber am Montag darauf konnte man sich in jeder Schulklasse und jeder Werkskantine darüber unterhalten - weil ziemlich jeder sie gesehen hatte.
In Florian Illies' Buch "Generation Golf" gibt es ein Kapitel, dass sich mit Wetten Dass beschäftigt. Sinngemäß schreibt er:
Was uns (die Generation Golf) historisch besonders macht war der ganz besondere Konsum von Massenmedien. Einerseits gab es in den 80ern bereits eine weite Verbreitung von Fernsehen (incl. MTV), die von der ganzen Nation konsumiert wurden. Andererseits gab es noch keine Zersplitterung aufgrund unzählig vieler alternativer Informationskanäle.
Die Folge: Praktisch alle Mitglieder der Generation Golf hatten die gleichen Fernseherlebnisse. Alle kannten die gleiche Musik. (Illies sinngemäß: "Nie zuvor und nie später hatten Jugendliche dieses Gefühl, genau das richtige zu tun als an jenen Abenden in den 80ern, als alle "Wetten dass" einschalteten".)
Das gab es früher nicht. (Ein Jugendlicher aus Hamburg hatte im 19. Jahrhundert deutlich andere Informationsquellen als sein Altersgenosse in Berchtesgaden. Und bis ein Trend aus der Großstadt in der Provinz ankam, konnten schon ein paar Jahre vergehen - falls er überhaupt je dort ankam).
Und heute interessanterweise auch nicht mehr. Die Informationsquellen sind so vielfältig geworden, dass es den einheitlichen Kanon dessen, was man gesehen haben muss, auch nicht mehr gibt. Ein Youtube-Video mögen 1 Mio. Jugendliche gesehen haben - viele andere aber eben auch nicht. Die Superstars der 80er konnten ganze Stadien füllen. Heute ist das viel schwieriger. Ein Event wie "Queen in Wembley" wäre heute kaum mehr machbar, weil die Zielgruppe viel zu zersplittert ist. Die wenigen Stars, die nach wie vor Stadien füllen können, sind daher jene Alt-Stars, die schon die Generation Golf kannte (wie z.B. Madonna).
Das "nationale Lagerfeuer" war also historisch eine kurze Epoche. Davor gab es viele kleine lokale Lagerfeuer. Heute gibt es viele weltweite Lagerfeuer für kleine spezielle Zielgruppen.
Zitat von Florian im Beitrag #22Ein Youtube-Video mögen 1 Mio. Jugendliche gesehen haben - viele andere aber eben auch nicht.
Da bin ich mir nicht sicher. Manche Themen scheinen schon sehr weit verbreitet zu werden (und auch immer überraschend schnell). Müßte man mal an konkreten Beispielen untersuchen ...
Zitat Das "nationale Lagerfeuer" war also historisch eine kurze Epoche. Davor gab es viele kleine lokale Lagerfeuer. Heute gibt es viele weltweite Lagerfeuer für kleine spezielle Zielgruppen.
Da ist schon viel dran.
Man sollte aber auch nicht unterschätzen, wie schon früher gewisse Trends am regionalen, nationalen oder gar internationalen Lagerfeuern eingeschlagen haben. Mal als spontanes Beispiel: Die deutschlandweite Selbstmordwelle nach dem Erscheinen des "Werther". Und es hat sich ja auch nur jeder x0.000ste Leser umgebracht ...
Die Schnelligkeit der Verbreitung hat sich natürlich extrem verändert. Und die Reichweite in breite Schichten hinein.
Zitat von Florian im Beitrag #22Ein Youtube-Video mögen 1 Mio. Jugendliche gesehen haben - viele andere aber eben auch nicht.
Da bin ich mir nicht sicher. Manche Themen scheinen schon sehr weit verbreitet zu werden (und auch immer überraschend schnell). Müßte man mal an konkreten Beispielen untersuchen ...
Hier einmal auf die Schnelle ein Versuch:
Man betrachte die Liste der weltweit meistverkauften Musik-Alben (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_w...ften_Musikalben). Alle (!) Alben auf der Liste stammen aus dem Zeitraum 1973-1997 - also ziemlich genau die aktive Zeit der "Generation Golf". (Wobei 1997 ein Ausreißer war und mit dem Genre "Country" wohl auch eher exotisch. Wenn man dieses Album weglässt, waren alle Alben auf der Liste aus dem recht engen Zeitraum 1973-1987).
Dass auf der Liste die Jahre nach 2000 nicht vertreten sind mag auch daran liegen, dass sich der Musikvertrieb wandelt und das klassische Album im itunes-Zeitalter weniger wichtiger geworden ist. Aber das ist eben genau der Trend, den ich meine: Ein Jugendlicher, der 1983 "Thriller" nicht kannte, war eigentlich kaum vorstellbar (und auch als Erwachsener wusste man zumindest, dass das Album existierte - und sei es aus Michael Jacksons Auftritt beim "großen Lagerfeuer" Wetten dass). Ein Jugendlicher, der 2014 die Top10 der Itunes-Verkaufsliste nicht kennt, ist sehr wohl vorstellbar. (Und Hand aufs Herz, haben Sie von der aktuellen Nummer 1 "Waves" von Mr.Probz schon mal was gehört? ich nicht). ( http://www.apple.com/euro/itunes/charts/top10songs.html )
Zitat Die Liste von Interpreten mit den meisten verkauften Tonträgern weltweit enthält Künstler, die nach Angaben aus unabhängigen und möglichst zuverlässigen Quellen über 50 Millionen Tonträger verkauft haben sollen. Tonträger beinhalten Alben, Singles, Kompilationen, VideoalbZen sowie als virtuelle Tonträger Downloads von Singles und vollständigen Alben.
).
Wenn man sich die Liste anschaut fällt auf, dass es auf den Top-Plätze keine Vertreter der heutigen jungen Künstler gibt. (Die Backstreet Boys, die man vielleicht noch als junge Künstler der Post-Generation-Golf-Zeit einordnen kann - wobei sie auch schon seit 20 Jahren aktiv sind - stehen auf Platz 25. Britney Spears - immerhin auch schon seit 1998 aktiv und nicht mehr ganz taufrisch - ist auf Platz 34. ALLE anderen auf den Plätzen 1-35 sind älter und somit aus der Zeit, als es noch das große "nationale Lagerfeuer" gab).
Zitat von R.A. im Beitrag #23Die deutschlandweite Selbstmordwelle nach dem Erscheinen des "Werther".
...bei der es sich aber nur um eine Legende handelt. Nicholas Boyle hat im 1. Band seiner Goethe-Biografie eine jus-historische Schrift von 1903 ausgegraben, in der der Verfasser mal versucht hat, diesen Robert-Enke-Effekt anhand belastbarer Quellen dingfest zu machen - mit dem Ergebnis, daß kein einziger Fall übrigblieb - mit der möglichen Ausnahme der Weimarer Hofdame Christiane von Laßberg 1778 ("Angeblich wurde sie am Tag nach ihrem Selbstmord mit einer Ausgabe von Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" in der Tasche gefunden"). Was es allerdings gegeben hat (insofern stimmt die Sache wieder), war eine Welle von empörten Kapuzinerpredigten (die dann diese Selbstmordwelle behaupteten und ihrerseits als Beleg herhalten mussten): obwohl das auch längst nicht so viel Wind gemacht hat, wie die Göte-Fans seit 200 Jahren gern glauben. Diesen Nicht-Effekt teilt das Buch übrigens mit dem Lied vom traurigen Sonntag, bei dem auch keine davon untermalten Selbsttötungen nachgewiesen sind, sondern das nicht mal aus dem Radio verbannt worden war... https://www.youtube.com/watch?v=RapXvSiMVGU (Auf diese Legenden ist gar kein Verlaß. Wahrscheinlich war nicht mal Einstein in der Schule schlecht in Mathe.)
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