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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 56 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Calimero ( gelöscht )
Beiträge:

26.04.2014 23:33
#26 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #19
(...)

Alter Schwede, was ein Text!

Chpeau!

-------------------------------------------------------
Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

27.04.2014 02:08
#27 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Kallias
Zitat von Noricus im Beitrag #1
Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf?
Eine erkenntnistheoretische Bemerkung vorweg: Humor gehört ähnlich wie Weisheit oder Mystik zu den Fähigkeiten, die man nur in dem Maß bei anderen bemerkt, wie man selber über sie verfügt. Das ist anders als bei den meisten übrigen Künsten: um zum Beispiel eine Eiskunstlaufdarbietung zu bewerten, muß man nicht einmal Schlittschuhlaufen können. Aber um Humor wahrzunehmen, braucht man unbedingt selbst welchen.

Daraus folgt: wenn Deutsche den britischen Humor goutieren, dann haben sie offenbar mehr Humor als jene Briten, die ihn den Deutschen absprechen.


Das sagst Du so apodiktisch, lieber Kallias. Aber warum? Im übrigen gibt es wenige besser belegte kulturelle Missverständnisse als die deutsche Auffassung vom britischen Humor, bei dem meist die Vokabel "hintergründig" fällt. Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein. Der britische Humor ist vollkommen vordergründig. Wenn irgendwo eine Torte auftaucht, muss sie fliegen.

Zitat von Kallias
Nun zum Humor der Deutschen, insbesondere dem der gebildeten Stände.


Ist Dir der schon mal aufgefallen?

Zitat von Kallias
Hierbei sind zwei Formen des Humors zu unterscheiden, von denen die eine sehr geschätzt, die andere hingegen eher verachtet wird. Hochgelobt und gern genossen wird der hintergründige Humor, der schräge, skurrile, böse, abseitige, anarchische. Also jener, der nicht primär zum Lachen reizt. Dieser nämlich trifft auf Abwehr.


Da haben wir ihn schon, den Hintergrund. Aber mal im Ernst (wir sind schließlich Deutsche): Ich glaube, dass einen Angelsachsen genau diese schrägen Geschichten sehr wohl primär zum Lachen reizen, während der Deutsche eine Botschaft reinkonstruiert.

Loriot ist z. B. manchmal viel "hintergründiger", indem er seine typischen Situationen nicht auflöst, sondern immer mehr überzeichnet. Die Torte steht im Raum, der Zuschauer kann nicht mehr erwarten, dass sie fliegt, aber sie fliegt nicht. Bei Monty Python im Vergleich wird die Situation von Anfang an aufgelöst, indem sie in eine verfremdete Umgebung transferiert wird.

Zitat von Kallias
So werden beispielsweise die Marx Brothers mehr gelobt als Laurel & Hardy, Loriot mehr als Didi Hallervorden, das Kabarett mehr als die Comedy, Laurence Sterne mehr als der wirklich witzige Henry Fielding, Till Eulenspiegel mehr als Hans Wurst, Dada mehr als Dali, François Villon mehr als Boccaccio, die Neue Frankfurter Schule mehr als die Blödelbarden, Franz Kafka mehr als Ephraim Kishon.


Das mag ja sein, aber Humor ist in Deutschland ein bei den gebildeten Ständen zu erlernendes Kulturgut, d.h. man kann sich durch falsche Humorauswahl kompromittieren. Die Wirklichkeit ist vielleicht viel näher an einem Phänomen, das nirgends schöner dargestellt wurde als in der How I met your mother-Episode Robots vs. Wrestlers(5x22), bei der die Gruppe auf einer fürchterlich blasierten Abendgesellschaft zu Gast ist, und Marshall einen recht platten Witz macht: https://www.youtube.com/watch?v=vSgajWWpsw4 Keiner findet ihn öffentlich lustig, aber in der letzten Szene passiert folgendes: https://www.youtube.com/watch?v=gq37Bap1-2E

Zitat von Kallias
Oder nehmen wir das Regietheater. Dieses schnappt sich zum Beispiel einen humorlosen Langweiler wie Goethe, und verwandelt dessen Einschlafstücke in Gagparaden und Slapstick-Kunststückchen von beträchtlicher Originalität. Die übliche Kritik an den üblichen Erscheinungen wie SS-Uniformen, Kothaufen, Kopulationen, brennenden Mülleimern und dergleichen übersieht diesen Aspekt regelmäßig. Diese Stereotype bilden nur das Gegengewicht zum bunten Strauß der Regieeinfälle, die beim Publikum ein anerkennend-schütteres Quasigelächter hervorrufen. Komödien dagegen, ich meine solche, bei denen man sich wirklich ausschütteln kann, gibt's dagegen kaum zu sehen.


Das stimmt. Deshalb ist z. B. der unglaublich witzige Lenz (nicht der von Büchner, sondern dessen Stücke) von der Bühne verschwunden.

Zitat von Kallias
Denn lachen will der Deutsche nicht, wenn's lustig wird. Das Lachen muß, wenn es sich schon nicht ganz vermeiden läßt, wenigstens im Hals feststecken.


Ich denke, dass das alles mit der Politisierung jeglicher Art von Darstellung zusammenhängt. SS-Uniformen, Kothaufen, Kopulationen usw. sind ja nur dazu da, um harmlosen Stücken die entsprechende Botschaft zu verpassen. Nämlich, dass der Kapitalismus usw. Für Humor ist da kein Platz.

Zitat von Kallias
Der Deutsche ist im Grunde seines Herzens ein Handwerker. Also jemand, der sich exakt an vorgegebene Regeln hält. Dies führt sowohl zu beträchtlichem Wohlstand als auch zu seiner Obrigkeitsgläubigkeit, andererseits schafft es ein enormes Kompensationsbedürfnis hinsichtlich des Regelbruchs. Sexuell dagegen sind die Deutschen wenig eingezwängt. Dafür hat der schon erwähnte sehr einflußreiche Luther gesorgt. Deshalb besteht kein großes Bedürfnis, den verklemmten Leib zu lockern, welches die Wurzel des angelsächsischen Humors bilden dürfte.Das bedeutet, daß sich der Deutsche sozial gehen lassen möchte, nicht aber physisch. Nicht seine Hose will er ausziehen, sondern seinen Zollstock wegwerfen.


"Mehr und mehr gefällt mir" (Franz Werfel), dass ich momentan Henscheids Memoiren lese. Denn passend zum Thema erzählt er seinen Lieblingswitz "seit ca. 1961" (a.a.O., 93):
Der berühmte Schauspieler Laurence Olivier gibt einmal mehr den Hamlet. "To be or not to be", hebt er wie gewohnt an und legt eine winzige pathetische Kunstpause ein - da kommt eine Stimme vom dritten Rang: "Ey, Larry, sing us 'Sweet Adeline'!" Olivier stutzt, stockt, glaubt sich verhört zu haben. Legt ein kurzes der Besinnung dienendes Schweigen ein und hebt wiederum an: To be or not to be that" - konnt erneut die Stimme von Rang: "Ey, Larry, sing us 'Sweet Adeline'!" Laurence Olivier schweigt. Sinnt und setzt seine Hoffnungen erst nochmals in eine dramatische Kunstpause. Nimmt sodann alle seine Kräfte zusammen und einen letzten Anlauf. Beginnt piano und steigert sich rasch zum Fortissimo: "To be or not to be" - die Stimme senkt sich wie beschwöereisch ins Leise zurück: "that is the question..." Kommt zum dritten mal di Stimme vom Rang: "Okay, Larry, forget it. But show us your cock now!"

Diese Anekdote würde dem deutschen Regularhumoriker nur ein müdes Lächeln entlocken. Im Vereinigten Königreich - passend zu Deiner These - bringt die sexuelle Konnotation, die gerade in Bezug auf ein Nationalheiligtum wie "Larry" Oliviers Hamlet eine ungeheure Fallhöhe erzeugt, einen komödiantischen Tsunami zum Brechen. Nicht umsonst rühmt sich John Cleese heute noch damit, der erste Engländer zu sein, der in einem Nekrolog (nämlich dem von Graham Chapman) das Wort "fuck" gebrauchte.

Allerdings widerspreche ich Dir in einem Punkt: Der deutsche Humor bricht keine Regeln. Er schafft nur neue. Und den Zollstock will er nicht wegwerfen, sondern ganz genau anlegen. Allein die Frage: "Darf man über X Witze machen?" würde einem Engländer nie einfallen.

Zitat von Kallias
Und darum schmunzelt er gern über alles, was aus der vorgezeichneten Spur läuft (hier ist auch die Wurzel der deutschen Schadenfreude zu finden).


Glaube ich nicht (siehe oben). Loriot hat das sensationell beobachtet in Pappa ante portas: "Wenn es einen Anlass zum Scherzen gibt, schmunzle ich gern einmal". https://www.youtube.com/watch?v=5PLVVAv-grc

Zitat von Kallias
empfindet hingegen den lachreizerregenden Scherz als Angriff auf die Selbstbestimmung, geradezu als körperliche Aggression, so als würde ein fremder Wille sein Zwerchfell in Besitz nehmen. Daher werden die Bauchmuskeln ganz fest angespannt, und der Kampf beginnt: Wollen doch erstmal sehen, ob du es schaffst, mich zum Lachen zu bringen, du Witzbold!


Außer er hat Eintritt dafür bezahlt. Die Lachhäufigkeit des Publikums ist direkt proportional zum Eintrittspreis.

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

27.04.2014 02:36
#28 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #14
Die Deutschen sagen: "Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos." - Die Österreicher sagen: "Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst."

Und deshalb überzeugt mich auch die zitierte These dieses Engländers nicht, dass der deutsche Humor sich nur hinter der Grammatik versteckt. Die Österreicher schaffen es auch, mit dem Werkzeug der deutschen Grammatik einen großartigen Humor hervorzubringen.

Gruß Petz

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Rayson Offline




Beiträge: 2.367

27.04.2014 23:05
#29 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #22
Am letzten Tag des Jahres gackern Millionen von Deutschen über einen Butler, der seit circa 40 Jahren immer pünktlich zu Silvester über denselben Tigerkopf stolpert. Ganz ohne Wortwitz ... wink]
Das dürfte aber nicht unwesentlich auf den zu diesem Zeitpunkt bereits erreichten Alkoholpegel zurückzuführen sein...

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

28.04.2014 00:27
#30 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #29
Zitat von Noricus im Beitrag #22
Am letzten Tag des Jahres gackern Millionen von Deutschen über einen Butler, der seit circa 40 Jahren immer pünktlich zu Silvester über denselben Tigerkopf stolpert. Ganz ohne Wortwitz ... wink]
Das dürfte aber nicht unwesentlich auf den zu diesem Zeitpunkt bereits erreichten Alkoholpegel zurückzuführen sein...



Der Äthanolstand hält sich erfahrungsgemäß zu diesem Zeitpunkt noch auf geringer Tidenhöhe. Es dürfte sich vielmehr um einen seit 1962 stets zuverlässig verstärkten konditionierten Reflex handeln. (Der gleiche Effekt dürfte auch für Loriot gelten.) Diese These ließe sich experimentell überprüfen: Wenn dem pp. Publikum stattdessen ohne Vorwarnung die schweizer Variante präsentiert würde & es trotzdem lacht, dürfte sie als widerlegt gelten.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.04.2014 13:09
#31 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #15
Also ich möchte hier gerne mal eine Lanze für meine Landsleute brechen.

Ich glaube nicht, daß der Deutsche prinzipiell humorloser ist als die Angehörigen anderer Nationen.

Das ist der Punkt, wo ich zustimmend in diese schöne Diskussion einhaken möchte.

Ohne Recherche und Hintergrund behaupte ich einfach mal, daß die angebliche Humorlosigkeit der Deutschen in erster Linie ein angelsächsisches Stereotyp ist.

Denn wer sollen denn - außer den Angelsachsen selber - die Völker sein, die so viel mehr Humor haben als die Deutschen?
Schon mal vom berühmten bulgarischen Humor gehört? Dem finnischen? Dem spanischen? Dem japanischen? Wohl eher nicht.

Der britische und der jüdische Humor gelten wohl zu Recht als herausragend aus der Masse. Und dann gibt es Gesellschaften, bei denen Hierarchie, Gesicht wahren und Autorität eine große Rolle spielen - da hat es Humor etwas schwerer. Diese Gesellschaften würde ich aber eher mal im arabischen oder asiatischen Kontext sehen.
Und der Rest, incl. der Deutschen, ist halt irgendwie normal.

Ich habe das Stereotyp vom humorlosen Deutschen eigentlich in den meisten Ländern noch nicht wahrgenommen. Unsere romanischen Freunde sehen uns wohl eher als etwas zu formal und manchmal zu unfreundlich - aber beim Humor sehen sie m. W. keinen großen Unterschied.

Was bei uns vielleicht etwas stärker ist, das ist diese Einstellung "Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps". Wahrscheinlich lachen wir nicht weniger, aber "sortierter". Im Extremfall halt der klassische preußische Offizier: Absolut ernst im Dienst, und dann wird abends auf Befehl der Kasinohumor ausgepackt.

Und dieser Extremfall wird vielleicht (reine Spekulation) auch der Grund sein, warum die Angelsachsen das Klischée vom humorlosen Deutschen aufgebracht haben. Wahrscheinlich aufgebracht (noch mehr Spekulation) während des ersten Weltkriegs. Denn der preußische Offizier als Feind- und Zerrbild kontrastiert natürlich genau in dieser Frage extrem mit der angelsächsischen Angewohnheit, gerade in ernstem Kontext noch pflichtschuldigst Witze zu machen. Gerade als Offizier, gerade wenn es ernst wird.

Wahrscheinlich sind also nicht die Deutschen die Ausnahme, sondern die Angelsachsen. Deren Einstellung zum Humor gerade in ernsten Situationen dürfte nämlich ziemlich ungewöhnlich sein. Ist aber inzwischen weltweit stilbildend geworden. Und es ist wohl dem Zufall der Bündniskonstallationen im ersten Weltkrieg zu verdanken, daß nun die tumben Krauts als die explizit Humorlosen verkauft werden und nicht die arroganten Frogs ;-)

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

28.04.2014 14:23
#32 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #30
Der Äthanolstand hält sich erfahrungsgemäß zu diesem Zeitpunkt noch auf geringer Tidenhöhe.
Nun, anscheinend gibt es da unterschiedliche Erfahrungen...

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Florian Offline



Beiträge: 3.180

28.04.2014 15:31
#33 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #31
Wahrscheinlich aufgebracht (noch mehr Spekulation) während des ersten Weltkriegs. Denn der preußische Offizier als Feind- und Zerrbild kontrastiert natürlich genau in dieser Frage extrem mit der angelsächsischen Angewohnheit, gerade in ernstem Kontext noch pflichtschuldigst Witze zu machen. Gerade als Offizier, gerade wenn es ernst wird.

Wahrscheinlich sind also nicht die Deutschen die Ausnahme, sondern die Angelsachsen. Deren Einstellung zum Humor gerade in ernsten Situationen dürfte nämlich ziemlich ungewöhnlich sein. Ist aber inzwischen weltweit stilbildend geworden. Und es ist wohl dem Zufall der Bündniskonstallationen im ersten Weltkrieg zu verdanken, daß nun die tumben Krauts als die explizit Humorlosen verkauft werden und nicht die arroganten Frogs ;-)



Kann man eigentlich irgendwie festmachen, ab wann es das Klischee vom humorlosen Deutschen eigentlich gibt?

Sofern es vor 1914 dieses Klischee nicht gab, würde dies R.A.s These von der ganz speziellen Kriegs-Propaganda stützen.

Mein erster Reflex war, dass ich nach entsprechenden Mark-Twain-Zitaten gegoogelt habe (Mark Twain deshalb, weil er zweifellos einer der großen angelsächsischen Humor-Experten des 19. Jahrhunderts war und außerdem Deutschland und die deutsche Sprache kannte).
Lustigerweise habe ich tatsächlich ein Twain-Zitat zu deutschem Humor gefunden.
Siehe hier:
http://www.twainquotes.com/Humor.html

Zitat
American humor is different entirely to French, German, Scotch, or English humor. And the difference lies in the mode of expression. Though it comes from the English, American humor is distinct. As a rule when an Englishman writes or tells a story, the 'knob' of it, as we would call it, has to be emphasized or italicized, and exclamation points put in. Now, an American story-teller does not do that. He is apparently unconscious of the effect of the joke.



Twain erkennt also keinen speziellen "angelsächsischen" Humor, sondern einen speziell amerikanischen. England und Schottland werden mit Deutschland in die gleiche Schublade gesteckt: auch in England müsste man demnach einen Witz also mit brutaler Deutlichkeit erzählen, damit er als solcher verstanden wird.
Auf der gleichen Seite wird englischer Humor noch an anderer Stelle in Zweifel gezogen.
z.B.

Zitat
English humor is hard to appreciate, though, unless you are trained to it. The English papers, in reporting my speeches, always put 'laughter' in the wrong place.



(Man beachte auch die dazu passende Karikatur auf der Seite, die den englischen Humor anzweifelt).

Das chauvinistische angelsächsische Humorverständnis-Bündnis könnte also womöglich tatsächlich erst eine Folge der Bündnislage des 1. Weltkriegs sein.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

28.04.2014 17:41
#34 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #33
Zitat von R.A. im Beitrag #31
Wahrscheinlich aufgebracht (noch mehr Spekulation) während des ersten Weltkriegs. Denn der preußische Offizier als Feind- und Zerrbild kontrastiert natürlich genau in dieser Frage extrem mit der angelsächsischen Angewohnheit, gerade in ernstem Kontext noch pflichtschuldigst Witze zu machen. Gerade als Offizier, gerade wenn es ernst wird.

Wahrscheinlich sind also nicht die Deutschen die Ausnahme, sondern die Angelsachsen. Deren Einstellung zum Humor gerade in ernsten Situationen dürfte nämlich ziemlich ungewöhnlich sein. Ist aber inzwischen weltweit stilbildend geworden. Und es ist wohl dem Zufall der Bündniskonstallationen im ersten Weltkrieg zu verdanken, daß nun die tumben Krauts als die explizit Humorlosen verkauft werden und nicht die arroganten Frogs ;-)



Kann man eigentlich irgendwie festmachen, ab wann es das Klischee vom humorlosen Deutschen eigentlich gibt?

Sofern es vor 1914 dieses Klischee nicht gab, würde dies R.A.s These von der ganz speziellen Kriegs-Propaganda stützen.


Dass der britische Humor von kriegswichtiger Bedeutung ist, ist ja bekannt.

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

28.04.2014 18:09
#35 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten



"Germans completely humourless: Official: Survey confirms stone-faced national stereotype"

Zitat The Register
________________
"A survey of 30,000 people across 15 countries has confirmed what the world knew all along: Germans are completely humourless.

The poll for social networking site Badoo.com found that the national stereotype of Germans as ruthlessly efficient in matters of manufacturing and football, but entirely inadequate in the wit department, is in fact true.

However, before the Inselaffen among you run cheering to the pub for a round of German jokes washed down with real ale, you should know that we Brits aren't rated much funnier by the international community.

Disgracefully, we came fourth on the roster of lol-free shame, pipped only by our Teutonic cousins, Russia, and Turkey. The remainder of the top ten comprises America, France, Poland, Belgium, Holland and Canada, in that order."
________________

Der Telegraph als Qualitätsblatt hat sogar eine über jeden 2-fel erhabene Quelle: "Germany officially the world's least funny country"
________________
In May 2007 the German magazine Spiegel commented that the British had an image of the typical German as a “mercilessly efficient but humourless engineer”.
________________

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

28.04.2014 19:13
#36 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #31

Was bei uns vielleicht etwas stärker ist, das ist diese Einstellung "Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps". Wahrscheinlich lachen wir nicht weniger, aber "sortierter". Im Extremfall halt der klassische preußische Offizier: Absolut ernst im Dienst, und dann wird abends auf Befehl der Kasinohumor ausgepackt.


Die Deutschen ziehen die Grenzen des Bereichs, in dem Humor zulässig ist, wohl enger als die Angelsachsen. Aber freilich kennen auch Angelsachsen Situationen, in denen der Spaß aufhört. Am offenen Grab lacht man auch im UK oder den USA nicht.

Es ist wohl wirklich so, dass Humor auf der offiziellen Arbeitsebene in Deutschland nichts verloren hat. Man scherzt vielleicht en passant mit einem Kollegen, aber in einem Meeting unterlässt man das. Es ziemt sich dort einfach nicht, da hat man ernst und gewissenhaft bei der Sache zu sein. Briten und Amis sehen das wohl anders: Ein kleiner Spaß lockert das Ganze auf und wirkt geistreich.

Die deutsche Effizienz wird durch die Abwesenheit von Humor in der offiziellen Arbeitssphäre sicher begünstigt.

Zitat
Denn der preußische Offizier als Feind- und Zerrbild kontrastiert natürlich genau in dieser Frage extrem mit der angelsächsischen Angewohnheit, gerade in ernstem Kontext noch pflichtschuldigst Witze zu machen. Gerade als Offizier, gerade wenn es ernst wird.



Das entspricht natürlich auch dem gängigen Klischee von Coolness, weshalb diese Form von Humor leichter globalisierbar sein dürfte als die deutsche Version.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

28.04.2014 19:30
#37 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #36
Die deutsche Effizienz wird durch die Abwesenheit von Humor in der offiziellen Arbeitssphäre sicher begünstigt.

... und umgekehrt. Wenn man mit britischen Behörden zu tun hat, ist ein gewisses Maß an (Galgen-)Humor unverzichtbar.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

28.04.2014 19:42
#38 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #37
Zitat von Noricus im Beitrag #36
Die deutsche Effizienz wird durch die Abwesenheit von Humor in der offiziellen Arbeitssphäre sicher begünstigt.

... und umgekehrt. Wenn man mit britischen Behörden zu tun hat, ist ein gewisses Maß an (Galgen-)Humor unverzichtbar.



Bei deutschen Behörden nicht?

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

28.04.2014 21:36
#39 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #38
Zitat von Fluminist im Beitrag #37
Zitat von Noricus im Beitrag #36
Die deutsche Effizienz wird durch die Abwesenheit von Humor in der offiziellen Arbeitssphäre sicher begünstigt.

... und umgekehrt. Wenn man mit britischen Behörden zu tun hat, ist ein gewisses Maß an (Galgen-)Humor unverzichtbar.



Bei deutschen Behörden nicht?

Schon, aber da ist eine andere Art von Duldsamkeit erforderlich, die nur noch teilweise mit dem Begriff Humor erfaßt werden kann. Es ist etwa so wie der Unterschied zwischen Fawlty Towers und Der Prozeß.

-- Um noch zum Hauptthema meine zwei Pfennige abzugeben: ganze Nationen als humorlos oder besonders humorvoll zu bezeichnen, ist ein albernes Stereotyp. In meiner Erfahrung habe ich in jeder der Nationen, mit denen ich näher zu tun hatte, sowohl schockierend humorlose als auch (angesichts des manchmal beträchtlichen kulturellen Abstands überraschend) sehr humorvolle Exemplare kennengelernt. Humor ist wohl eine allgemeinmenschliche Fähigkeit, die einem gewissen Anteil der Bevölkerung einfach fehlt.

Die Art des Humors unterscheidet sich allerdings in gewissem Maße, möglicherweise als Reflexion der verschiedenen Sprachstruktur.
Die englische Sprache eignet sich nicht nur zum Wortspiel, sondern es ist fast unmöglich Wortspiele zu vermeiden, und diese spielen eine wichtige Rolle im Humor, der dadurch eine gewisse Oberflächlichkeit erhält -- im Wortwitz, und dann entlehnt auch im Slapstick. Wenn der englische Humor in die Tiefe strebt, wird/wirkt er leicht bissig (z.B. in Swifts Modest Proposal).
Diese Leichtigkeit fehlt der viel präziseren deutschen Sprache, deshalb baut der deutsche Humor in der Regel nicht auf Sprachzufälligkeiten auf (das gibt es freilich auch), sondern auf der Inkongruenz der Situation. Die gemütvolle, eigentliche Humoristik wird dadurch gefördert, wie man leicht am Vergleich von Jean Paul mit Laurence Sterne erkennt.
Der russische Humor ist in dieser Hinsicht dem deutschen ähnlich (wenngleich z.B. die vielen Stirlitz-Witze fast durchweg Wortspiele sind); er ist besonders entwickelt nicht nur aus dem Bedürfnis nach einem Sicherheitsventil während der Sowjetunion, sondern schon vorher im Kaiserreich, in dem der heilige Narr eine besondere Verehrung genoß.
Letzteres Element scheint mir auch in der japanischen Gesellschaft eine gewisse Rolle zu spielen, in der Gesichtsbewahrung die Devise ist; eine fast mutwillige Tölpelei ist da wohl eine Art zweite Existenzform für diejenigen, die es nicht geschafft haben in der ersten Form als knallharter und bierernster Geschäftsmann durchzukommen.

Wenn also jemand eine Nation, z.B. die deutsche, für humorlos hält, dann liegt es wohl an unzulänglicher Kenntnis, entweder weil er nur humorlose Vertreter derselben kennengelernt hat oder weil er den etwas anderen Humor mit dessen Abwesenheit verwechselt.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

28.04.2014 22:05
#40 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Ui, ui: Swifts bescheidener Vorschlag ist latürnich irisch... (Aber das mit dem bissigen Sarkasmus stimmt schon.)

Krischan Offline




Beiträge: 642

29.04.2014 09:44
#41 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #15
Also ich möchte hier gerne mal eine Lanze für meine Landsleute brechen.

Ich glaube nicht, daß der Deutsche prinzipiell humorloser ist als die Angehörigen anderer Nationen. Klar, wenn man hohe tief- und feinsinnige Kunst wie Loriot oder Heinz Erhardt zum Maßstab nimmt und v. a. über das künstlerische Niveau in D. sinniert...aber auch der Weg zum Dünkel ist mit viel Niveau gepflastert .



D'accord, lieber Andreas, das sehe ich mittlerweile genauso. Ich beispielsweise arbeite in einem internationalen IT-Unternehmen, und da gehört eine gelöste, gelockerte Atmosphäre durchaus zum guten Ton, da können sich auch die deutschen Teilnehmer recht schnell drauf einstellen (und sind ziemlich gut bei Witzchen und puns, nebenbei bemerkt). Geht doch. Ist vielleicht auch so ein Generationenthema; mir scheint meine und die etwas jüngere Generation (also die ab der Mitte der 70er geborenen) da wesentlich lockerer und nicht mehr so bierernst Dienst-ist-Dienst-und-Schnaps-ist-Schnaps zu sein. Kann aber auch damit zusammenhängen, dass ich als Ossi da zum Thema Lachen über sich selbst einen kleinen Vorsprung habe. Und in der Tat, nur wer über sich selbst lachen kann, der ist fähig zum Humor am Arbeitsplatz.

Freundlichst,
Krischan

Deutsche Wurst - alles andere ist Käse.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

29.04.2014 12:03
#42 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #35
However, before the Inselaffen among you run cheering to the pub for a round of German jokes washed down with real ale, you should know that we Brits aren't rated much funnier by the international community.

Wunderschön - es ist schon unglaublich, was Du immer wieder an Fundstellen anschleppst ;-)

Und was mich wirklich überrascht: Das schon in Deutschland nur selten gebrauchte "Inselaffen" ist dem Autor nicht nur bekannt, sondern er setzt das auch bei seinen englischen Lesern voraus!

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

29.04.2014 12:25
#43 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #42
... nicht nur bekannt ...


Erfahrungsgemäß ist diese Injurie eine der ~2 Dutzend German expressions, die selbst englischen Rucksatztouristen geläufig sind. (Wäre mal zu prüfen, ob sie zum Stammvokabular von "Dad's Army" oder "Hogan's Heroes" zählt.) Das läßt sich experimentell durch furchtlose Feldforscher überprüfen - es könnte aber sein, daß sich die Versicherung hinterher nicht zuständig fühlt.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

29.04.2014 12:25
#44 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #36
Die Deutschen ziehen die Grenzen des Bereichs, in dem Humor zulässig ist, wohl enger als die Angelsachsen.

Eindeutig.
Aber ich würde eben in Umkehrung des eigentlichen Themas behaupten: Nicht die Deutschen sind hier mit besonderer Humorlosigkeit die Ausnahme, sondern die Angelsachsen sind es die dort noch Witze machen, wo es bei fast allen anderen Völkern weniger üblich ist oder teilweise sogar grob unhöflich wäre.

Zitat
Es ist wohl wirklich so, dass Humor auf der offiziellen Arbeitsebene in Deutschland nichts verloren hat.


Wie eben bei den meisten Völkern. Ich erlebe immer wieder beim Geschäftskontakt mit Romanen, daß die dort übliche stärkere Fixierung auf Hierarchien und Dekorum ungünstig für Scherze wirkt.

Aber das ändert sich natürlich, wurde ja schon angesprochen. Das angelsächsische Vorbild setzt sich international durch, Meetings mit Witz sind im internationalen Kontext immer üblicher (und in gleichem Maß setzen sich dabei die angelsächsischen Stereotype mit durch, z. B. das vom humorlosen Deutschen).

Übrigens sollte man nicht übersehen, daß die Kehrseite auch eine Art Zwang zum Humor ist.
Ein englischer Redner (egal ob im akademischen, politischen oder geschäftlichem Kontext) muß nicht nur wie in anderen Ländern seinen Text à la "Einleitung, Hauptteil, Schluß" gliedern, sondern zwingend auch "insert joke here" an manchen Stellen vorsehen. Und da muß er dann irgendwie passende Witzchen bringen - sonst fällt der Vortrag durch. Mancher soll auf das Finden der geeigneten Witze mehr Aufwand verwenden als auf den eigentlichen Inhalt ...

Auch darüber kann man natürlich Witze machen. In "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" wird sehr schön dargestellt, wie der rhetorisch überaus unbegabte Tom als "best man" bei der Hochzeit seines Freundes krampfhaft Witziges in seine Tischrede einbauen will und genau damit gnadenlos scheitert.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

29.04.2014 12:34
#45 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #39
ganze Nationen als humorlos oder besonders humorvoll zu bezeichnen, ist ein albernes Stereotyp.

Selbstverständlich. Aber selbstverständlich haben solche Stereotypen oft einen wahren Kern und machen oft viel Spaß ;-)
Ich habe schon oft genug auf der Insel sehr gut gegessen - trotzdem macht es nicht nur Spaß, sich über die britische Küche lustig zu machen, sondern es stimmt auch oft genug. Aber das ist eine andere Geschichte ...

Zitat
Die englische Sprache eignet sich nicht nur zum Wortspiel, sondern es ist fast unmöglich Wortspiele zu vermeiden, und diese spielen eine wichtige Rolle im Humor


Richtig, und das gibt natürlich im Englischen eine zusätzliche Möglichkeit Humor anzubringen, die anderen Völkern nur eingeschränkt möglich ist.

Beim eigentlichen "Witze erzählen" geben sich die verschiedenen Nationen vielleicht gar nicht viel. Oder da trifft eher so etwas wie von Florian per Mark Twain dargestellt zu: Die Amerikaner sind besser darin, Witze locker rüberzubringen als die Europäer, die Engländer eingeschlossen.

Aber "Witze erzählen" ist halt nur bei bestimmten Gelegenheiten üblich, Wortspiele ergeben sich aus der Situation und sind fast immer möglich. Weil sie spontan bei einer Antwort eingestreut werden können, da muß man nicht erst die Gesprächssituation ändern à la "da fällt mir der Witz ein von ...".

Gut möglich daß die angelsächsische Neigung zum Humor in für andere Völker unüblichen Sitautionen über die Wortspiele entstanden ist. Mit zunehmender Tendenz: Schon das Shakespeare-Englisch bot viele Möglichkeiten für "puns". Aber inzwischen haben sich die grammatikalischen Endungen noch mehr abgeschliffen und es gibt fast beliebig viele Homonyme, mit deren Bedeutungsunterschieden man spielen kann.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

10.05.2014 06:51
#46 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #19
So werden beispielsweise die Marx Brothers mehr gelobt als Laurel & Hardy, Loriot mehr als Didi Hallervorden


Wird Didi H. durch die Auszeichnung mit dem Deutschen Filmpreis (Kategorie: Bester Schauspieler) nun auch bei den Monokelträgern salonfähig?

Kallias Offline




Beiträge: 2.310

11.05.2014 10:26
#47 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #27

Zitat von Kallias
Nun zum Humor der Deutschen, insbesondere dem der gebildeten Stände.

Ist Dir der schon mal aufgefallen?

Ja, klar. Schon seit der Gymnasiumszeit sehe ich mich umzingelt von Leuten, die Monty Python, die Marx Brothers usw. komisch finden. Durch den läppischen "Tristram Shandy" hätte ich mich sonst auch nie hindurchgequält. Daher kommt ja die Fragestellung: warum lachen die, wo ich genervt bin, und sind genervt, wo ich lache?

Zitat von Meister Petz im Beitrag #27
Loriot ist z. B. manchmal viel "hintergründiger", indem er seine typischen Situationen nicht auflöst, sondern immer mehr überzeichnet. Die Torte steht im Raum, der Zuschauer kann nicht mehr erwarten, dass sie fliegt, aber sie fliegt nicht.
Wie langweilig!
Es gibt übrigens ein gutes Kriterium, wie man nicht nur bei anderen, sondern sogar bei sich selbst Humorlosigkeit diagnostizieren kann: Timing. Wer keinen rechten Sinn dafür hat, wann genau etwas zu tun ist, hat mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Humor (und nebenbei gesagt auch keinen Machtinstinkt). Man muß es im richtigen Augenblick scheppern lassen; die Torte, die sofort fliegt, und die Torte, die niemals fliegt, beweisen ziemlich sicher einen unterentwickelten Humor.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #27
Das mag ja sein, aber Humor ist in Deutschland ein bei den gebildeten Ständen zu erlernendes Kulturgut, d.h. man kann sich durch falsche Humorauswahl kompromittieren. Die Wirklichkeit ist vielleicht viel näher an einem Phänomen, das nirgends schöner dargestellt wurde als in der How I met your mother-Episode Robots vs. Wrestlers(5x22), bei der die Gruppe auf einer fürchterlich blasierten Abendgesellschaft zu Gast ist, und Marshall einen recht platten Witz macht: https://www.youtube.com/watch?v=vSgajWWpsw4 Keiner findet ihn öffentlich lustig, aber in der letzten Szene passiert folgendes: https://www.youtube.com/watch?v=gq37Bap1-2E
Stimmt, Lachen ist sicher auch Privatsache, wobei es auf Kultur dann nicht so ankommt, wie ja generell ohne Doppelmoral das Leben kaum erträglich wäre. Nichtsdestoweniger ist Humor auch kultivierungsfähig - irgendwo muß die Verfeinerung, mit der man die Humorlosen düpieren kann, ja herkommen - ohne schon deswegen aufzuhören, Humor zu sein. Der leichte, anspielungsreiche, selbstironische Plauderton in den kaiserlich-bürgerlichen Salons zum Beispiel, den die damals aktiven gesellschaftskritischen Autoren trefflich durch den Kakao gezogen haben, musste von den meisten selbstverständlich erst erlernt werden. Sieht man daran, dass das heute fast niemand mehr kann.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #27
Allerdings widerspreche ich Dir in einem Punkt: Der deutsche Humor bricht keine Regeln. Er schafft nur neue. Und den Zollstock will er nicht wegwerfen, sondern ganz genau anlegen. Allein die Frage: "Darf man über X Witze machen?" würde einem Engländer nie einfallen.
Humor kann niemals Regeln brechen, weil er auf eine spontane Reaktion zielt. Die Regeln müssen bei allen Beteiligten perfekt sitzen, sonst entsteht Irritation und nicht Komik.

Sondern die Norm schreibt vor, den Regelbruch komisch zu finden. Zum Beispiel deklariert die deutsche Humorregel, dass man die unverschämte Attitüde, mit der sich Groucho Marx über Höflichkeitsregeln hinwegsetzt, komisch finden muß.

Allerdings gibt es einen Sonderfall, der durch Harald Schmidts seinerzeitige "Polenwitze" exemplifiziert wird. Solche Witze sind eigentlich nicht erlaubt. Das komische daran im Sinne des gebildeten Humor-Geschmacks waren demnach auch nicht die Witze selbst, sondern dass Schmidt eine Dumpfbacke aus der Mitte der Gesellschaft vorführte, die solche Witze reißt.

Bevor alle verstanden hatten, dass folglich die Humorregel nicht verletzt, sondern nur wie üblich die Regelverletzung als komisch dargestellt wurde, bedurfte es zunächst einer gesellschaftlichen Debatte.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #27

Zitat von Kallias
Und darum schmunzelt er gern über alles, was aus der vorgezeichneten Spur läuft (hier ist auch die Wurzel der deutschen Schadenfreude zu finden).

Glaube ich nicht (siehe oben). Loriot hat das sensationell beobachtet in Pappa ante portas: "Wenn es einen Anlass zum Scherzen gibt, schmunzle ich gern einmal".

Hm, sehe ich wohl anders. Loriot macht sich lustig über fiktive Leute, die der deutschen Humornorm nicht entsprechen, damit sie von jenen normtreuen Intellektuellen, die vor der Leinwand sitzen, ausgelacht werden können. Das bestätigt doch meine Theorie nur.

Herzliche Grüße,
Kallias

Kallias Offline




Beiträge: 2.310

11.05.2014 10:38
#48 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #46
Wird Didi H. durch die Auszeichnung mit dem Deutschen Filmpreis (Kategorie: Bester Schauspieler) nun auch bei den Monokelträgern salonfähig?
Den bekam er für eine "Glanzleistung der Tragödienkunst". Die Didi-Komik ist damit leider noch lange nicht salonfähig.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

11.05.2014 20:08
#49 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #48
Zitat von Noricus im Beitrag #46
Wird Didi H. durch die Auszeichnung mit dem Deutschen Filmpreis (Kategorie: Bester Schauspieler) nun auch bei den Monokelträgern salonfähig?
Den bekam er für eine "Glanzleistung der Tragödienkunst". Die Didi-Komik ist damit leider noch lange nicht salonfähig.


In mir reift immer mehr die Überzeugung, dass Deine Erklärung der Andershumorigkeit der gebüldeten Deutschen zutrifft.

Zitat von Alexander Dick in der Badischen Zeitung
Die Blödeleien, der Nonsens waren eher das Schwarzbrot in seiner Arbeit. Obwohl, ganz richtig ist das nicht. Hallervorden in der Nachfolge jener Sprachspielereien, jenes lautmalerischen Unfugs zu sehen, der unter der Bezeichnung Dada einen Platz in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts einnimmt, ist nicht abwegig.

Link zur Quelle


Du schriebst [Hervorhebungen Noricus]:

Zitat von Kallias im Beitrag #19

So werden beispielsweise die Marx Brothers mehr gelobt als Laurel & Hardy, Loriot mehr als Didi Hallervorden, das Kabarett mehr als die Comedy, Laurence Sterne mehr als der wirklich witzige Henry Fielding, Till Eulenspiegel mehr als Hans Wurst, Dada mehr als Dali, François Villon mehr als Boccaccio, die Neue Frankfurter Schule mehr als die Blödelbarden, Franz Kafka mehr als Ephraim Kishon.


Das heißt: Die Promotion zum salonfähigen Komiker erfolgt dadurch, dass der Betreffende in die Tradition derjenigen gestellt wird, die Dir auf die Nerven gehen. Kann man das so prosaisch formulieren?

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

12.05.2014 19:12
#50 RE: Fragen zu allen Dingen überhaupt (2): Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf? Antworten

Deutscher Humor exportiert sich nicht über die Sprachgrenze hinaus? Von wegen: Der hier ist sogar in den USA registriert worden:

http://www.the-american-interest.com/blo...-green-follies/

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