Ich wähle mal wieder den Publikumsjoker: Bei der Lektüre einer Film-Rezension in der FAZ hat sich mir eine Frage aufgedrängt, die mich in unregelmäßigen Intervallen umtreibt:
Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf?
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Zitat Die Verehrung, die einem Loriot von Berchtesgaden bis Buxtehude zuteilwurde und wird, dürfte auch im europäischen oder gar im globalen Vergleich erstaunliche Ausmaße angenommen haben.
Mein Eindruck ist, daß Loriot im Ausland ziemlich unbekannt ist. Seine Komik basierte zuviel auf landestypischer Etikette. Wer damit nichts anfangen kann, also das Ausland oder die sehr junge Generation, die dergleichen nicht mehr gelernt hat, der versteht den Humor nicht. Ähnlich ist es mit Heinz Erhardts Wortwitz, der kaum übersetzbar ist. Von ihm sind übrigens die meisten Gedichte, die ich auswendig kann.
Die Deutschen würde ich tatsächlich als humorlos betrachten. Wenn schon Lustigkeit, dann in jährlichen Abständen organisiert, wie im Rheinland. Das muß dann fürs ganze Jahr reichen. Völlig unüblich ist es bei uns, bei schwierigen Arbeitsbesprechungen durch ein Scherzwort oder eine geistreiche Bemerkung Spannung abzubauen. Man erntet damit Unverständnis und die Unterstellung, man nähme das Problem nicht ernst.
Zitat Die Verehrung, die einem Loriot von Berchtesgaden bis Buxtehude zuteilwurde und wird, dürfte auch im europäischen oder gar im globalen Vergleich erstaunliche Ausmaße angenommen haben.
Mein Eindruck ist, daß Loriot im Ausland ziemlich unbekannt ist. Seine Komik basierte zuviel auf landestypischer Etikette. Wer damit nichts anfangen kann, also das Ausland oder die sehr junge Generation, die dergleichen nicht mehr gelernt hat, der versteht den Humor nicht.
Da haben Sie zweifellos Recht, lieber Emulgator. Vielleicht ist meine Formulierung in dieser Hinsicht missverständlich: Ich meine nicht, dass Loriot im Ausland bekannt ist, sondern dass er hier in Deutschland eine Verehrung genießt, wie sie einheimischen Komikern in anderen Ländern selten zuteilwird.
Zitat Völlig unüblich ist es bei uns, bei schwierigen Arbeitsbesprechungen durch ein Scherzwort oder eine geistreiche Bemerkung Spannung abzubauen. Man erntet damit Unverständnis und die Unterstellung, man nähme das Problem nicht ernst.
Dies würde sich mit den Feststellungen des Herrn Stevenson decken: Die Situationen, in denen Humor angebracht ist, wären demnach in Deutschland dünner gesät als in den angelsächsischen Ländern.
Zitat wir Deutsche haben keinen Sterne, dafür einen Morgenstern,
Lesen Sie doch mal Jean Paul, der hat es leider nicht wirklich in den Klassikerkanon geschafft, aber die Lektüre lohnt trotzdem.
Für die deutsche Humormisere würde ich eher die Prägung durch den Lutheranismus verantwortlich machen, pathetisches Bekennen zur wahren Lehre ist in Deutschland Parole, nicht kluges Handeln oder gar Ironie und Humor.
Zitat Die Verehrung, die einem Loriot von Berchtesgaden bis Buxtehude zuteilwurde und wird, dürfte auch im europäischen oder gar im globalen Vergleich erstaunliche Ausmaße angenommen haben.
Mein Eindruck ist, daß Loriot im Ausland ziemlich unbekannt ist. Seine Komik basierte zuviel auf landestypischer Etikette. Wer damit nichts anfangen kann, also das Ausland oder die sehr junge Generation, die dergleichen nicht mehr gelernt hat, der versteht den Humor nicht.
Da haben Sie zweifellos Recht, lieber Emulgator. Vielleicht ist meine Formulierung in dieser Hinsicht missverständlich: Ich meine nicht, dass Loriot im Ausland bekannt ist, sondern dass er hier in Deutschland eine Verehrung genießt, wie sie einheimischen Komikern in anderen Ländern selten zuteilwird.
Zitat Völlig unüblich ist es bei uns, bei schwierigen Arbeitsbesprechungen durch ein Scherzwort oder eine geistreiche Bemerkung Spannung abzubauen. Man erntet damit Unverständnis und die Unterstellung, man nähme das Problem nicht ernst.
Dies würde sich mit den Feststellungen des Herrn Stevenson decken: Die Situationen, in denen Humor angebracht ist, wären demnach in Deutschland dünner gesät als in den angelsächsischen Ländern.
Zitat Zu Humor, wenn wir bei Deutschen sind: In dem Wirtschaftsblog Kantoos Economics wird versucht, den Angelsachsen Loriot zu erklären.
There are a few ingredients to German humor of the Loriot type: you need an audience that knows and has witnessed too many times before how people take themselves and their procedures and rules a little too seriously. In other words, they need to be German.
Dieser Autor kann bestätigen, dass Loriots Humor bei Amerikanern hauptsächlich Verständnislosigkeit hervorruft. Wieso jetzt braun-grün-grau? [YouTube].
Dazu nur ein Zitat eines der wenigen mit Humor gesegneten Deutschen und größten aller lebenden Oberpfälzer:
Und trotzdem zwingte oder gar zwönge sich mir der Verdacht auf, ich sei womöglich einer der wenigen Hellseher, ja genau zu nehmen Gottähnlichen, ja wieder Fausts und Ratzingers Hybrisverbot Gottgleichen -- läge mir hier nicht urplötzlich das Eingeständnis lastend auf der Seele, wie fehlerhaft, irrtümlich, verblendet ich, selbst ich Meister-Schlaumeier, noch vor einem knappen Dezennium die wahre Lage in meinem ureigenen Berufsgenre beurteilt hatte. Nämlich daß mit dem Auftreten von Namen und Größen wie Polt, Jaeger, Waechter, Bernstein, Gernhardt, mir, Ror Wolf, Goldt, Oliver Schmitt, Oliver Welke, dem jüngeren Harald Schmidt und Hans Zippert gut ein halbes Jahrhundert nach Hüttler die Humorentwicklungsfähigkeit der Deutschen sich gebessert hätte. Hat sie nicht im mindesten, man gebe sich keinen Täuschungen hin. "Ich habe jetzt keine Zahlen bei mir" (Franz Josef Strauß im Fernseh), aber sind all diese genannten Namen und Reichtümer und Errungenschaften irgend angekommen im uns so weit bekannten deutschen Volke? Eine der angeblich so beliebten Zeichnungen Waechters, die artistische Gesinnung eines Gernhardt-Gedichts im Volke, in seinem Alltag, in seinem Straßen- oder wenigstens Wirtshausleben? Nein. "Nichts kam zurück" (Heino Jaeger, Kriegserinnerungen). "Was tun?" (Stalin, halt, nein: Lenin) Nun, erst einmal diesen desperaten Gedankengang hier enden. Wenigstens vorübergehend.
Henscheid, Eckhard: Denkwürdigkeiten. Aus meinem Leben. Frankfurt am Main, 2013 S. 304
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Zitat von Meister Petz im Beitrag #6die artistische Gesinnung eines Gernhardt-Gedichts im Volke, in seinem Alltag, in seinem Straßen- oder wenigstens Wirtshausleben? Nein.
Der Spiegel, 04.08.1997, "Da sprach der Knecht zum Herrn" _____________ "Gernhardts Triumph: wenn Verse aus seiner Feder sich an den Wänden der Frankfurter Uni wiederfinden. Oder im STERN als "Gedicht der Woche" zu anonymem Volksgut erklärt werden wie dieser Vierzeiler: "Es sprach der Herr zum Knecht: / Mir geht es schlecht. / Da sprach der Knecht zum Herrn: / Das hört man gern."
Ein wenig holprig im Versmaß? Nicht bei ihm, wie der Dichter im Kommentar nachweist - schließlich steht die handwerkliche Ehre auf dem Spiel. Das Gernhardt-Original lautete nämlich leicht abweichend: "Der Herr rief: Lieber Knecht, / Mir ist entsetzlich schlecht! / Da sprach der Knecht zum Herrn: / Das hört man aber gern." Nuancen nur, auf die der Autor aber Wert legt. [...] Die Zahl der eingängigen, ins Volksvermögen driftenden Gernhardt-Verse ("Dich will ich loben: Häßliches, / du hast so was Verläßliches") ist Legende. Sogar den Sprung in die BILD-Zeitung hat er lässig geschafft." _____________
Wenn die Romantik eine Begründung für unsere Humorlosigkeit sein soll, dann müsste man erklären warum Amerikaner es hinkriegen, beides zu sein. Ich denke, die wichtigste Vorraussetzung für einen eigenen Humor ist, vor allem sich nicht allzu ernst zu nehmen. Humor hat, wer über sich lachen kann, und über andere. Nimmt man sich selbst und seine Bedeutung für andere Menschen nicht so wichtig, kommt man um den Humor gar nicht drumherum.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #7Die Zahl der eingängigen, ins Volksvermögen driftenden Gernhardt-Verse ("Dich will ich loben: Häßliches, / du hast so was Verläßliches") ist Legende. Sogar den Sprung in die BILD-Zeitung hat er lässig geschafft."
Dazu muss man aber anmerken, dass 1997, im Erscheinungsjahr der eher schwächeren "Lichten Gedichte", ein recht kurzlebiger Gernhardt-Hype entstanden ist. Im Literarischen Quartett wurde das Buch von MRR sogar unter die deutschen Christbäume empfohlen. Dem ging wiederum laut Henscheid voraus, dass Gernhardt "widerwärtige Großgeburtstagsaufläufe des widerwärtigen Literaturkritiksimulators hechelnd mitabsolvierte" (a.a.O., 329).
Wie dem auch sei, ich bin überzeugt, dass der SPIEGEL da einfach auf den fahrenden Zug aufgesprungen ist. Mit Gernhardts Tod hat sich ein gewisser Schleier des Vergessens über ihn gelegt.
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
"Ich habe ein ausgefallenes Hobby: Ich sammle die dünnsten Bücher der Welt. Drei habe ich schon zusammen: Die Gehemnisse der englischen Küche, Italienische Heldensagen, und Tausend Jahre deutscher Humor." (Groucho Marx*)
Mit der Außenwahrnehmung ist das ja in beiden Richtungen eine besondere Sache. Die Kenntnisse & Zugriffsmöglichkeiten aufs Englische (& in Maßen auf das Französische) dürften hinreichend verbreitet sein, um den falschen Eindruck zu korrigieren, in den dortigen Medien ginge es in der Regel feinsinniger & komischer zu als im Deutschen; für die dt. Variante gilt allerdings, daß sie überhaupt nicht wahrgenommen wird; wo doch einmal der Versuch unternommen wird (wie in diesem untertitelten Beispiel) bestätigt es nur den von Octoberfests alles Couleur befeuerten Verdacht, wie im Deutschen das "Plansoll Humor" erfüllt wird: mit der Grobmotorik einer Dampframme, ohne das leiseste Verständnis für das, was man da gerade treibt, aber mit dem 500%-gen Diensteifer, den "der Deutsche" immer dann entwickelt, wenn er alle rundherum zum Staunen bringen & zum Fortlaufen animieren will.
(*) sicher apokryph, i.e. unauftubar. Finden lassen tut sich dies: The Shortest Books Ever Written: 4. Advanced Subtraction. 5. A Female's Guide To Logical Thinking. 8. A Guide To Arab Democracies 23. Americans Who Understand The Difference Between Punctuation And Grammar 24. A Millenium Of German Humor 66. Everything Men Know About Women 86. Fun With Unix
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #10"Ich habe ein ausgefallenes Hobby: Ich sammle die dünnsten Bücher der Welt. Drei habe ich schon zusammen: Die Gehemnisse der englischen Küche, Italienische Heldensagen, und Tausend Jahre deutscher Humor." (Groucho Marx*)
Die gab es auch im MAD-Magazin ("MAD-Bibliothek der dicken und dünnen Bücher"). Übrigens war das deutsche MAD sehr witzig. Lag vermutlich daran, dass der Chefredakteur Feuerstein (nebenbei das Hirn des frühen Harald Schmidt, was Eckhards Liste nicht ganz, aber fast bis zum Nichtrecht-Haben relativiert) ein gebürtiger Österreicher ist.
Gruß Petz
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Zitat von moise trumpeter im Beitrag #4 Lesen Sie doch mal Jean Paul, der hat es leider nicht wirklich in den Klassikerkanon geschafft, aber die Lektüre lohnt trotzdem.
Da gebe ich Ihnen Recht, lieber moise trumpeter, allein schon wegen des spezifischen Sounds, der so anders ist als jener, den wir von den kanonischen Klassikern kennen.
Zitat Für die deutsche Humormisere würde ich eher die Prägung durch den Lutheranismus verantwortlich machen, pathetisches Bekennen zur wahren Lehre ist in Deutschland Parole, nicht kluges Handeln oder gar Ironie und Humor.
Eine interessante These, die auch erklären würde, warum andere protestantisch (aber nicht lutherisch) geprägte Kulturen durchaus zu Humorhöchstleistungen imstande sind.
Vielleicht sind die Deutschen nicht humorlos. Aber Ironie hat meiner Erfahrung nach hierzulande wahrlich einen schweren Stand. Warum nur?
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #8Wenn die Romantik eine Begründung für unsere Humorlosigkeit sein soll, dann müsste man erklären warum Amerikaner es hinkriegen, beides zu sein.
Wie ich den Herrn Stollmann verstanden habe, lieber Erling Plaethe, ist nicht die Romantik an sich die Begründung, sondern deren spezifisch deutsche Ausprägung.
Zitat Ich denke, die wichtigste Vorraussetzung für einen eigenen Humor ist, vor allem sich nicht allzu ernst zu nehmen. Humor hat, wer über sich lachen kann, und über andere.
Ich glaube, in Deutschland ist das Über-sich-selbst-Lachen unterentwickelt. Wer auf seine eigenen Kosten Witze macht, gilt hierzulande schnell als komplexbeladene, unsichere Persönlichkeit. Wenn es dagegen um bierernste Selbstbezichtigungen geht, sind die Deutschen Weltmeister. Solcherlei Selbstreflexives gilt als Zeichen einer reifen, kritischen Persönlichkeit.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #11Übrigens war das deutsche MAD sehr witzig. Lag vermutlich daran, dass der Chefredakteur Feuerstein (nebenbei das Hirn des frühen Harald Schmidt, was Eckhards Liste nicht ganz, aber fast bis zum Nichtrecht-Haben relativiert) ein gebürtiger Österreicher ist.
Ja, zB Schmidteinander war bisweilen grandios und im Wortsinn einzigartig.
Dazu ein Bonmot:
Die Deutschen sagen: "Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos." - Die Österreicher sagen: "Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst."
Also ich möchte hier gerne mal eine Lanze für meine Landsleute brechen.
Ich glaube nicht, daß der Deutsche prinzipiell humorloser ist als die Angehörigen anderer Nationen. Klar, wenn man hohe tief- und feinsinnige Kunst wie Loriot oder Heinz Erhardt zum Maßstab nimmt und v. a. über das künstlerische Niveau in D. sinniert...aber auch der Weg zum Dünkel ist mit viel Niveau gepflastert .
Humor ist für mich erstmal das, was abgeht (oder auch nicht), wenn Menschen aufeinander treffen. Ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß in deutschen Eckkneipen weniger gelacht wird als in einem Londoner Pub oder in einer Pariser Brasserie. Ich vermute sehr stark, daß ein junger Londoner heute mit Monty Pythons genauso wenig anfangen kann wie ein junger Deutscher mit Heinz Erhardt. Ich denke nicht, daß der britische Sun-Leser über mehr oder anderes (oder gar anspruchsvolleres) lacht als der deutsche Bild-Leser. Und daß der deutsche Humor im Ausland oft nicht verstanden wird, heiß ja nicht daß er deswegen schlecht sei. Mit den meisten amerikanischen Sitcoms kann ich ebenfalls nichts anfangen.
Natürlich gibt es das Phänomen, das Emulgator beschrieben hat:
Zitat Völlig unüblich ist es bei uns, bei schwierigen Arbeitsbesprechungen durch ein Scherzwort oder eine geistreiche Bemerkung Spannung abzubauen. Man erntet damit Unverständnis und die Unterstellung, man nähme das Problem nicht ernst.
Das würde ich aber eher als typisch deutsche Überregulierung von Humor begreifen, denn daß bei besagter Besprechung nicht mehreren Teilnehmern äußerst witzige Sprüche einfielen, die dann aber für sich behalten werden, denke ich schon (und habe es oft selbst erlebt; hinterher tauscht man sich dann ja aus). Das deutsche daran ist wohl die Haltung Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps, von der ich vermute, daß es weder ein französisches noch ein italienisches Pendant gibt (geschweige denn ein griechisches ), weil Humor in D. in manchen Situationen mit jenen Sekundärtugenden kollidiert, von denen Lafontaine einst schwadronierte, daß man mit ihnen auch ein KZ betreiben könne (wenn DER Mann keinen Humor hat...)
Neenee, liebe Leute, ich lache viel und gerne mit meinen Mitmenschen. Der deutschen (?) Tradition des Witzeerzählens kann ich dabei freilich gar nichts abgewinnen, aber sonst gibt es viel zu johlen.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #8Wenn die Romantik eine Begründung für unsere Humorlosigkeit sein soll, dann müsste man erklären warum Amerikaner es hinkriegen, beides zu sein.
Wie ich den Herrn Stollmann verstanden habe, lieber Erling Plaethe, ist nicht die Romantik an sich die Begründung, sondern deren spezifisch deutsche Ausprägung.
Stimmt. Also wegen der deutschen Epoche "die andere Völker so nicht kennen"? Als wenn Russen, Franzosen und Engländer diese Epoche nicht auch gelebt hätten. Als Gegenbewegung zur Aufklärung und dann zur industriellen Revolution? Als Flucht vor den sich ändernden Realitäten?
Ich denke Humor hat in erster Linie etwas mit der Verwendung von Sprache zu tun. Er ist ohne Wortwitz nicht denkbar. So wie die Art und Weise sich zu artikulieren, sich zu unterhalten. Erzählt man sich gegenseitig was einem auf dem Herzen liegt, oder ist man interessiert dass der Zuhörer unterhalten wird? Was hält man von einem Wortgefecht mit dem Florett? Wie steht man allgemein zu kontroversen Gesprächen in denen im Subtext auch mal einer mitgegeben wird. Hat man Nehmerqualitäten, kann man was einstecken? Oder nimmt man schnell übel und persönlich.
Sprache und Selbstverständnis sind von der Romantik, die in in Europa natürlich unterschiedliche Ausprägungen hatte, doch nicht geändert worden. Humor ist immer schon eine Waffe gegen die Obrigkeit gewesen, er ist respektlos. In ihm äußert sich die Verachtung von hierarchischen Strukturen. Viel interessante wäre eine Betrachtung wie stark Liberalismus und Eigenverantwortung mit der Ausprägung von Humor in einer Gesellschaft korrelieren, anstatt die Ursache in einer für die deutsche Poesie bedeutenden Epoche zu suchen. Das klingt für mich wie so eine Art Entschuldigung: Ja, wir mussten unseren Humor opfern für den Tiefgang unserer Gedanken...
Wenn man z. B. für ein Fest oder zur Silvesternacht, um den anderen den Eigenbau zu ersparen, ein witziges deutsches und nicht schon allzu bekanntes Gedicht sucht, ist man rasch am Ende. Zuletzt hat mir noch Joachim Ringelnatz ausgeholfen; aber auch bei ihm sind die ganz heiteren Minderheit, eine Schwermut durtchtränkt die Mehrzahl (Erfinder des risus interruptus, sagte Kurt Tucholsky).
Was uns Deutschen fehlt, hätten uns die deutschen Juden beibringen können, wenn wir sie am Leben gelassen hätten. Warum sind die jüdischen Witze, auch die, welche Sexuelles betreffen, so viel geistreicher? Es liegt vielleicht auch daran, dass dieses Volk ohne Land nicht nur mehr im Wort wohnte als wir, sondern auch mehr im Wort Gottes, das den Menschen als sündige Kreatur durchschaute und zugleich zur Freiheit von Gottessöhnen erhöhte, also mehr Erbarmen mit ihm hatte als unser (früherer) Nationalcharakter (denn wir ändern uns sachte).
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #17Wenn man z. B. für ein Fest oder zur Silvesternacht, um den anderen den Eigenbau zu ersparen, ein witziges deutsches und nicht schon allzu bekanntes Gedicht sucht, ist man rasch am Ende.
Am einfachsten sorgt man auf einem Fest für Heiterkeit, indem man sich unter einem Vorwand für eine halbe Stunde zurückzieht.
Zitat von Noricus im Beitrag #1Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf?
Eine erkenntnistheoretische Bemerkung vorweg: Humor gehört ähnlich wie Weisheit oder Mystik zu den Fähigkeiten, die man nur in dem Maß bei anderen bemerkt, wie man selber über sie verfügt. Das ist anders als bei den meisten übrigen Künsten: um zum Beispiel eine Eiskunstlaufdarbietung zu bewerten, muß man nicht einmal Schlittschuhlaufen können. Aber um Humor wahrzunehmen, braucht man unbedingt selbst welchen.
Daraus folgt: wenn Deutsche den britischen Humor goutieren, dann haben sie offenbar mehr Humor als jene Briten, die ihn den Deutschen absprechen.
Diese Bemerkung ist zwar derart chauvinistisch, daß ich sie hiermit sogleich wieder zurückziehe. Trotzdem ergibt sich eine Nutzanwendung: Auf indirektem Wege läßt sich nämlich Humor auch dann nachweisen, wenn man selbst zu wenig davon hat, um ihn persönlich wahrzunehmen.
Ein Beispiel: interessanterweise sind die bedeutenden Religionsstifter allesamt humorlos gewesen. Dachte ich jedenfalls, bis ich über die Behauptung des Amerikaners Jeffrey Block stolperte, wonach der Buddha - ausgerechnet der Buddha, diese Argumentationsmaschine! - über "Witz", einen "erlesenen Sinn für Ironie" und "subtilen Humor" verfügt habe. Woraus mit großer Wahrscheinlichkeit folgt, daß sowohl Mr. Block als auch der Buddha mehr Humor haben als ich, und das will schon was heißen.
Deshalb, liebe Leute, seid ein wenig vorsichtig, wenn ihr anderen den Humor absprecht.
Nun zum Humor der Deutschen, insbesondere dem der gebildeten Stände. Hierbei sind zwei Formen des Humors zu unterscheiden, von denen die eine sehr geschätzt, die andere hingegen eher verachtet wird. Hochgelobt und gern genossen wird der hintergründige Humor, der schräge, skurrile, böse, abseitige, anarchische. Also jener, der nicht primär zum Lachen reizt. Dieser nämlich trifft auf Abwehr.
So werden beispielsweise die Marx Brothers mehr gelobt als Laurel & Hardy, Loriot mehr als Didi Hallervorden, das Kabarett mehr als die Comedy, Laurence Sterne mehr als der wirklich witzige Henry Fielding, Till Eulenspiegel mehr als Hans Wurst, Dada mehr als Dali, François Villon mehr als Boccaccio, die Neue Frankfurter Schule mehr als die Blödelbarden, Franz Kafka mehr als Ephraim Kishon.
Mit einem Wort, die Nervtöter unter den Humoristen sind bei den Deutschen beliebter als die Zwerchfellerschütterer.
Die Verehrung, die Lichtenberg, Wieland, Woody Allen und die Ursonate genießen, läßt sich gar nicht anders erklären.
Oder nehmen wir das Regietheater. Dieses schnappt sich zum Beispiel einen humorlosen Langweiler wie Goethe, und verwandelt dessen Einschlafstücke in Gagparaden und Slapstick-Kunststückchen von beträchtlicher Originalität. Die übliche Kritik an den üblichen Erscheinungen wie SS-Uniformen, Kothaufen, Kopulationen, brennenden Mülleimern und dergleichen übersieht diesen Aspekt regelmäßig. Diese Stereotype bilden nur das Gegengewicht zum bunten Strauß der Regieeinfälle, die beim Publikum ein anerkennend-schütteres Quasigelächter hervorrufen. Komödien dagegen, ich meine solche, bei denen man sich wirklich ausschütteln kann, gibt's dagegen kaum zu sehen.
Denn lachen will der Deutsche nicht, wenn's lustig wird. Das Lachen muß, wenn es sich schon nicht ganz vermeiden läßt, wenigstens im Hals feststecken.
Wieso das? Um dies zu erklären, muß der Blick von den Humorproduzenten auf die Rezipienten gerichtet werden.
Der Deutsche ist im Grunde seines Herzens ein Handwerker. Also jemand, der sich exakt an vorgegebene Regeln hält. Dies führt sowohl zu beträchtlichem Wohlstand als auch zu seiner Obrigkeitsgläubigkeit, andererseits schafft es ein enormes Kompensationsbedürfnis hinsichtlich des Regelbruchs. Sexuell dagegen sind die Deutschen wenig eingezwängt. Dafür hat der schon erwähnte sehr einflußreiche Luther gesorgt. Deshalb besteht kein großes Bedürfnis, den verklemmten Leib zu lockern, welches die Wurzel des angelsächsischen Humors bilden dürfte.
Das bedeutet, daß sich der Deutsche sozial gehen lassen möchte, nicht aber physisch. Nicht seine Hose will er ausziehen, sondern seinen Zollstock wegwerfen. Und darum schmunzelt er gern über alles, was aus der vorgezeichneten Spur läuft (hier ist auch die Wurzel der deutschen Schadenfreude zu finden), empfindet hingegen den lachreizerregenden Scherz als Angriff auf die Selbstbestimmung, geradezu als körperliche Aggression, so als würde ein fremder Wille sein Zwerchfell in Besitz nehmen. Daher werden die Bauchmuskeln ganz fest angespannt, und der Kampf beginnt: Wollen doch erstmal sehen, ob du es schaffst, mich zum Lachen zu bringen, du Witzbold!
Witze wirken bekanntlich furchtbar blöd, wenn man nicht zum Lachen aufgelegt ist. Und da der Deutsche dies nur selten ist, jedenfalls in nüchternem Zustand, schätzt er die Lachreizerreger nicht besonders. So kommt's.
Niemand auf der Welt kann Humor mit angespannten Bauchmuskeln und im Hals feststeckendem Lachen genießen, außer die Deutschen. Denen jedoch geht es gerade dann so richtig gut.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #17Was uns Deutschen fehlt, hätten uns die deutschen Juden beibringen können, wenn wir sie am Leben gelassen hätten.
Wie wahr lieber Ludwig Weimer. Nachdem die Nationalsozialisten dem nach dem zweiten Weltkrieg aufblühenden deutschen Kabarett den Garaus machten, wurden die erneuten Pflanzungsversuche der Alliierten von der Studentenbewegung niedergelatscht. Nach Jahrzehnten des politisch korrekten Kabaretts gibt es nun ein erneutes schwaches Aufblühen mit Kabarettisten wie Vince Ebert und Dieter Nuhr, aber auch im privaten Fernsehen und im Kino (die hier alle aufzuzählen würde schon zu einer längere Liste werden). Es bestehen also gute Vorraussetzungen für eine Ausbildung des deutschen Humors, auch wenn das nicht von jedem verstanden wird. Aber das ist eben auch eine Frage der Sprach-und Kulturkenntnis. In Deutschland hat auch nicht jeder die Pointen von Harald Schmidt verstanden.
Zitat von Noricus im Beitrag #1Sind die Deutschen humorlos oder woher stammt dieser Ruf?
Eine erkenntnistheoretische Bemerkung vorweg: Humor gehört ähnlich wie Weisheit oder Mystik zu den Fähigkeiten, die man nur in dem Maß bei anderen bemerkt, wie man selber über sie verfügt. Das ist anders als bei den meisten übrigen Künsten: um zum Beispiel eine Eiskunstlaufdarbietung zu bewerten, muß man nicht einmal Schlittschuhlaufen können. Aber um Humor wahrzunehmen, braucht man unbedingt selbst welchen.
Daraus folgt: wenn Deutsche den britischen Humor goutieren, dann haben sie offenbar mehr Humor als jene Briten, die ihn den Deutschen absprechen.
Diese Bemerkung ist zwar derart chauvinistisch, daß ich sie hiermit sogleich wieder zurückziehe. Trotzdem ergibt sich eine Nutzanwendung: Auf indirektem Wege läßt sich nämlich Humor auch dann nachweisen, wenn man selbst zu wenig davon hat, um ihn persönlich wahrzunehmen.
Ein Beispiel: interessanterweise sind die bedeutenden Religionsstifter allesamt humorlos gewesen. Dachte ich jedenfalls, bis ich über die Behauptung des Amerikaners Jeffrey Block stolperte, wonach der Buddha - ausgerechnet der Buddha, diese Argumentationsmaschine! - über "Witz", einen "erlesenen Sinn für Ironie" und "subtilen Humor" verfügt habe. Woraus mit großer Wahrscheinlichkeit folgt, daß sowohl Mr. Block als auch der Buddha mehr Humor haben als ich, und das will schon was heißen.
Deshalb, liebe Leute, seid ein wenig vorsichtig, wenn ihr anderen den Humor absprecht.
Nun zum Humor der Deutschen, insbesondere dem der gebildeten Stände. Hierbei sind zwei Formen des Humors zu unterscheiden, von denen die eine sehr geschätzt, die andere hingegen eher verachtet wird. Hochgelobt und gern genossen wird der hintergründige Humor, der schräge, skurrile, böse, abseitige, anarchische. Also jener, der nicht primär zum Lachen reizt. Dieser nämlich trifft auf Abwehr.
So werden beispielsweise die Marx Brothers mehr gelobt als Laurel & Hardy, Loriot mehr als Didi Hallervorden, das Kabarett mehr als die Comedy, Laurence Sterne mehr als der wirklich witzige Henry Fielding, Till Eulenspiegel mehr als Hans Wurst, Dada mehr als Dali, François Villon mehr als Boccaccio, die Neue Frankfurter Schule mehr als die Blödelbarden, Franz Kafka mehr als Ephraim Kishon.
Mit einem Wort, die Nervtöter unter den Humoristen sind bei den Deutschen beliebter als die Zwerchfellerschütterer.
Die Verehrung, die Lichtenberg, Wieland, Woody Allen und die Ursonate genießen, läßt sich gar nicht anders erklären.
Oder nehmen wir das Regietheater. Dieses schnappt sich zum Beispiel einen humorlosen Langweiler wie Goethe, und verwandelt dessen Einschlafstücke in Gagparaden und Slapstick-Kunststückchen von beträchtlicher Originalität. Die übliche Kritik an den üblichen Erscheinungen wie SS-Uniformen, Kothaufen, Kopulationen, brennenden Mülleimern und dergleichen übersieht diesen Aspekt regelmäßig. Diese Stereotype bilden nur das Gegengewicht zum bunten Strauß der Regieeinfälle, die beim Publikum ein anerkennend-schütteres Quasigelächter hervorrufen. Komödien dagegen, ich meine solche, bei denen man sich wirklich ausschütteln kann, gibt's dagegen kaum zu sehen.
Denn lachen will der Deutsche nicht, wenn's lustig wird. Das Lachen muß, wenn es sich schon nicht ganz vermeiden läßt, wenigstens im Hals feststecken.
Wieso das? Um dies zu erklären, muß der Blick von den Humorproduzenten auf die Rezipienten gerichtet werden.
Der Deutsche ist im Grunde seines Herzens ein Handwerker. Also jemand, der sich exakt an vorgegebene Regeln hält. Dies führt sowohl zu beträchtlichem Wohlstand als auch zu seiner Obrigkeitsgläubigkeit, andererseits schafft es ein enormes Kompensationsbedürfnis hinsichtlich des Regelbruchs. Sexuell dagegen sind die Deutschen wenig eingezwängt. Dafür hat der schon erwähnte sehr einflußreiche Luther gesorgt. Deshalb besteht kein großes Bedürfnis, den verklemmten Leib zu lockern, welches die Wurzel des angelsächsischen Humors bilden dürfte.
Das bedeutet, daß sich der Deutsche sozial gehen lassen möchte, nicht aber physisch. Nicht seine Hose will er ausziehen, sondern seinen Zollstock wegwerfen. Und darum schmunzelt er gern über alles, was aus der vorgezeichneten Spur läuft (hier ist auch die Wurzel der deutschen Schadenfreude zu finden), empfindet hingegen den lachreizerregenden Scherz als Angriff auf die Selbstbestimmung, geradezu als körperliche Aggression, so als würde ein fremder Wille sein Zwerchfell in Besitz nehmen. Daher werden die Bauchmuskeln ganz fest angespannt, und der Kampf beginnt: Wollen doch erstmal sehen, ob du es schaffst, mich zum Lachen zu bringen, du Witzbold!
Witze wirken bekanntlich furchtbar blöd, wenn man nicht zum Lachen aufgelegt ist. Und da der Deutsche dies nur selten ist, jedenfalls in nüchternem Zustand, schätzt er die Lachreizerreger nicht besonders. So kommt's.
Niemand auf der Welt kann Humor mit angespannten Bauchmuskeln und im Hals feststeckendem Lachen genießen, außer die Deutschen. Denen jedoch geht es gerade dann so richtig gut.
Herzliche Grüße, Kallias
Lieber Kallias, ich verneige mich in tiefer Ehrfurcht. Was für ein Narr war ich, mir einzubilden, ich könne etwas Substanzielles beitragen. So eine einleuchtende und fundierte Betrachtung über den deutschen Humor habe ich mein Lebtag noch nicht gelesen. Danke!
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #8Wenn die Romantik eine Begründung für unsere Humorlosigkeit sein soll, dann müsste man erklären warum Amerikaner es hinkriegen, beides zu sein.
Wie ich den Herrn Stollmann verstanden habe, lieber Erling Plaethe, ist nicht die Romantik an sich die Begründung, sondern deren spezifisch deutsche Ausprägung.
Ich denke Humor hat in erster Linie etwas mit der Verwendung von Sprache zu tun. Er ist ohne Wortwitz nicht denkbar.
Am letzten Tag des Jahres gackern Millionen von Deutschen über einen Butler, der seit circa 40 Jahren immer pünktlich zu Silvester über denselben Tigerkopf stolpert. Ganz ohne Wortwitz ...
Zitat Viel interessante wäre eine Betrachtung wie stark Liberalismus und Eigenverantwortung mit der Ausprägung von Humor in einer Gesellschaft korrelieren, anstatt die Ursache in einer für die deutsche Poesie bedeutenden Epoche zu suchen.
Wie wäre es mit folgender Betrachtungsweise: Die spezifisch deutsche Ausprägung der Romantik ist nicht Ursache, sondern Symptom für den deutschen Humor-Sonderweg?
Zitat Das klingt für mich wie so eine Art Entschuldigung: Ja, wir mussten unseren Humor opfern für den Tiefgang unserer Gedanken...
Ich fürchte, dass in Deutschland vielfach wirklich so gedacht wird.
Danke, lieber Kallias, für Ihren ausführlichen und sehr interessanten Kommentar.
Zitat von Kallias im Beitrag #19Eine erkenntnistheoretische Bemerkung vorweg: Humor gehört ähnlich wie Weisheit oder Mystik zu den Fähigkeiten, die man nur in dem Maß bei anderen bemerkt, wie man selber über sie verfügt. [...]
Ein Beispiel: interessanterweise sind die bedeutenden Religionsstifter allesamt humorlos gewesen. Dachte ich jedenfalls, bis ich über die Behauptung des Amerikaners Jeffrey Block stolperte, wonach der Buddha - ausgerechnet der Buddha, diese Argumentationsmaschine! - über "Witz", einen "erlesenen Sinn für Ironie" und "subtilen Humor" verfügt habe. Woraus mit großer Wahrscheinlichkeit folgt, daß sowohl Mr. Block als auch der Buddha mehr Humor haben als ich, und das will schon was heißen.
Deshalb, liebe Leute, seid ein wenig vorsichtig, wenn ihr anderen den Humor absprecht.
Das Urteil, ob jemand Humor hat, ist ebenso subjektiv und ästhetisch geprägt wie die Einschätzung, ob er Geschmack hat. Man wird darüber kaum mit Gewinn streiten können. Humor liegt im Auge des Betrachters: Manche Leute finden vielleicht sogar das Erstellen ihrer Einkommensteuererklärung komisch. Ist es ja eigentlich auch, wenn man von der eigenen Betroffenheit mal absieht und mit einer gewissen Distanz auf die gesammelten Absurditäten des deutschen EStG und ihrer Formularwerdung schaut.
Zitat Nun zum Humor der Deutschen, insbesondere dem der gebildeten Stände. Hierbei sind zwei Formen des Humors zu unterscheiden, von denen die eine sehr geschätzt, die andere hingegen eher verachtet wird. Hochgelobt und gern genossen wird der hintergründige Humor, der schräge, skurrile, böse, abseitige, anarchische. Also jener, der nicht primär zum Lachen reizt. Dieser nämlich trifft auf Abwehr.
So werden beispielsweise die Marx Brothers mehr gelobt als Laurel & Hardy, Loriot mehr als Didi Hallervorden, das Kabarett mehr als die Comedy, Laurence Sterne mehr als der wirklich witzige Henry Fielding, Till Eulenspiegel mehr als Hans Wurst, Dada mehr als Dali, François Villon mehr als Boccaccio, die Neue Frankfurter Schule mehr als die Blödelbarden, Franz Kafka mehr als Ephraim Kishon.
Begegnet man hier nicht auch wieder einer Unterscheidung zwischen E und U? Loriot ist E-, Didi oder Otto sind U-Humor. Man amüsiert sich auch als Bildungsbürger über beides, über Loriot wegen der inhärenten Gesellschaftssatire jedoch reinen Herzens, über Didi und Otto wegen der reinen Blödelei nur unter Vorbehalt.
Aber wie schaut es mit den nicht so gebildeten Ständen aus? Finden die Loriot gut oder eher Mario Barth?
Ich finde es ohnehin schwer zu sagen, dass jemand komisch bzw lustig ist. Loriot finde ich zeitweise komisch, Didi und Otto aber auch. Jedoch alle drei nicht in allen ihren Werken.
Zitat Oder nehmen wir das Regietheater. Dieses schnappt sich zum Beispiel einen humorlosen Langweiler wie Goethe, und verwandelt dessen Einschlafstücke in Gagparaden und Slapstick-Kunststückchen von beträchtlicher Originalität. Die übliche Kritik an den üblichen Erscheinungen wie SS-Uniformen, Kothaufen, Kopulationen, brennenden Mülleimern und dergleichen übersieht diesen Aspekt regelmäßig.
Zustimmung. Ich habe vor einiger Zeit eine Aufführung von "Nathan der Weise" gesehen, die ich als moderates Regietheater bezeichnen würde: ohne Kot und Koitus, aber mit Aktentaschen und Gekaspere. Letzteres fand ich durchaus angenehm, weil mir von zu viel moralischer Erhebung in zu kurzer Zeit gern mal schwindlig wird.
Andererseits verstehe ich aber auch die Zeitgenossen, die es als unästhetisch empfinden, wenn ein klassisches Werk durch derartige Humoreinlagen gepimpt wird. Das ist wohl wirklich eine Geschmacksfrage.
Zitat Der Deutsche ist im Grunde seines Herzens ein Handwerker. Also jemand, der sich exakt an vorgegebene Regeln hält. Dies führt sowohl zu beträchtlichem Wohlstand als auch zu seiner Obrigkeitsgläubigkeit, andererseits schafft es ein enormes Kompensationsbedürfnis hinsichtlich des Regelbruchs. [...]
Das bedeutet, daß sich der Deutsche sozial gehen lassen möchte, nicht aber physisch. Nicht seine Hose will er ausziehen, sondern seinen Zollstock wegwerfen.
Das trifft wohl auf den Rezipienten, nicht aber auf den Produzenten zu. Dieser - darin typisch deutsch - möchte den Humor gerade mithilfe des Meterstabes und des Messbechers entstehen lassen. Humor nach Bauplan oder Kochrezept. Das funktioniert nur meistens nicht, so wie die Versuche, eine stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen (bei einer Feier, einer Verabredung), in der Regel zum Scheitern verurteilt sind.
Humor krepiert im Rohr, wenn man versucht, ihn wie Staubzucker über das fertige Stück Kuchen zu streuen. Er sollte eher das Salz oder gern auch das Mehl im Teig sein.
Zitat Und darum schmunzelt er gern über alles, was aus der vorgezeichneten Spur läuft (hier ist auch die Wurzel der deutschen Schadenfreude zu finden), empfindet hingegen den lachreizerregenden Scherz als Angriff auf die Selbstbestimmung, geradezu als körperliche Aggression, so als würde ein fremder Wille sein Zwerchfell in Besitz nehmen.
Eigentlich seltsam. Diese Deutschen, die sich sonst gern von Landesvätern oder Mutti (es kann nur eine geben) fremdbestimmen lassen, legen hier plötzlich Wert auf ihre Autonomie?
Zitat von Noricus im Beitrag #23 Begegnet man hier nicht auch wieder einer Unterscheidung zwischen E und U?
Vielleicht wäre es hier besser, nicht E versus U zu haben, sondern E und U, also mehr EU. Mindestharmonisierung des Lachens durch eine kleine, feine Richtlinie ... Oder hört da der Spaß auf?
Zitat von Noricus im Beitrag #22 Am letzten Tag des Jahres gackern Millionen von Deutschen über einen Butler, der seit circa 40 Jahren immer pünktlich zu Silvester über denselben Tigerkopf stolpert. Ganz ohne Wortwitz ...
Ehrlich gesagt war mir gar nicht so bewusst, dass Slapstick zum Humor gehört. An der Stelle fehlt er mir nämlich.
Zitat von Noricus im Beitrag #22Wie wäre es mit folgender Betrachtungsweise: Die spezifisch deutsche Ausprägung der Romantik ist nicht Ursache, sondern Symptom für den deutschen Humor-Sonderweg?
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