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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 91 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Llarian Online



Beiträge: 7.115

03.05.2014 15:04
Von roten und blauen Pillen Antworten

Ich habe mir mal hier und hier ein paar Gedanken zu Zukunft und Realität gemacht.

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

03.05.2014 16:42
#2 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat
so stehen heute Techniken der Projektion zur Verfügung die bald fotorealistische Abbildungen einer virtuellen Welt vor die Augen des Nutzers stellt.

Spiele werden schon seit gut 15 Jahren als fotorealistisch vermarktet. Nur merk ich bis heute davon wenig. Selbst bei den recht teuren CGI-Szenen in Hollywoodfilmen merke ich davon nichts. Im Gegenteil, der Hobbit wirkt besonders in den Kampfszenen viel künstlicher als noch die HdR-Triologie.

Zitat
Ein Mensch, der sonst nicht viel im Leben hat, kann an seinem Computer oder seiner Konsole einen Erfolg erleben, denn er anderweitig nicht erlebt./quote] Toll, da kann ich als einer von Millionen Spielern auch die Welt retten.
Zitat:wenn jemand in einer virtuellen Welt zehntausende von Monsterohren oder ein Modell des Eifelturms nachbaut.

Das wäre ja dann schon eine anspruchsvolle CAD-Aufgabe. Mitunter kann mann/frau damit auch beim Vorstellungsgespräch punkten.

Zitat
Die virtuelle Welt kann all das sein, wovon der Mensch träumt, sei es mit Harry Potter zur Schule zu gehen, mit Captain Kirk zu den Sternen zu fliegen oder ein Verhältnis mit Claudia Schiffer und Cameron Diaz zu führen

Ich möchte als Captain Kirk Claudia Schiffer daten und danach mit der Enterprise Hogwarts in Schutt und Asche legen. Geht nicht? Computerspiele legen mir zu Fesseln an. Das beginnt bei Rollenspielen, wo der nahezu gottgleiche, hochgelevelte Held, der soeben die Welt gerettet hat, nicht einmal ein Bäumchen fällen kann. Ich kann zwar Passanten in GTA überfallen, überfahren, abfackeln, ect., aber nicht nach der Uhrzeit fragen.


Bitte denken Sie an die Umwelt bevor Sie diesen Kommentar ausdrucken

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

03.05.2014 17:41
#3 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #1
Ich habe mir mal hier und hier ein paar Gedanken zu Zukunft und Realität gemacht.



Ein sehr nachdenklich stimmender Text, lieber Llarian, danke dafür. Auf einem Spaziergang habe ich ihn eben nochmal nachklingen lassen und habe für mich festgestellt, daß ich in einer solchen Welt nicht leben möchte (mich fragt auch keiner, schon klar ). Was Du beschreibst ist eine Dystopie, wenn auch eine möglicherweise realistische. Eine Dystopie ist es m. E. aus zwei Gründen, nämlich -wie im Blogartikel- aus einem wirtschaftlichen und einem psychologischen Grund.

Der wirtschaftliche Grund: Wenn Menschen in rauhen Mengen "Weltflucht" betreiben, weil sie als Arbeitskräfte ausfallen/überflüssig sind, dann fallen sie auch zunehmend als Konsumenten anderer Produkte und Dienstleistungen weg (außer natürlich als Kunden für entsprechende Hard- und Software; ansonsten braucht es letztlich nur etwas Astronautennahrung, Wasser und Klopapier), so daß ich hier einen Teufelskreis sehe, an dessen Ende so gut wie alle Menschen in der virtuellen Welt abhängen und nur eine vergleichsweise ganz kleine Elite, die dann noch gebraucht wird, die reale Welt der virtuellen vorziehen werden. Das hätte dann aber nichts mehr mit Produktivität und technischen Fortschritt zu tun, sondern mit dem Wegbrechen anderer Märkte. Ich bilde mir ein, mal einen Film gesehen zu haben, in dem das fast genauso realisiert war. Mir fällt aber beim besten Willen nicht mehr ein, welcher es war; Matrix jedenfalls nicht.

Der psychologische Grund: Je sinnentleerter die reale Welt erlebt wird, desto mehr und intensiver wird die virtuelle Welt benötigt; hier dürfte sich ein Suchtkreislauf, ganz ähnlich dem eines Alkoholikers, einstellen. Es braucht immer mehr und größere Kicks, um den gleichen Effekt zu erhalten, während die reale Welt, die man ja zumindest ab und zu aufsuchen muß, (und sei es nur zum Schlafen, Essen etc) immer leerer wird. Hier dürfte der Kater und Katzenjammer zu einer teufelskreisartig als immer unerträglicher und immer sinnentleerter erlebten realen Welt führen, der wiederum möglichst schnell entflohen werden muß. Der reale Mensch wird so zum Zombie. Wir haben kürzlich über den freien Willen diskutiert. Spätestens hier sähe ich ihn, so es ihn denn gibt, am Ende.

Herzliche Grüße,
Andreas

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

03.05.2014 17:44
#4 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Die virtuelle Realität könnte in Zukunft natürlich auch dazu eingesetzt werden, die Menschen staatlicherseits von der als unbefriedigend erfundenen* realen Realität abzulenken. Zur sozialstaatlichen Umverteilung tritt dann auch noch die Gabe einer Spielekonsole. Das wäre dann "panem et circenses" reloaded. Klingt vielleicht utopisch (dystopisch), aber ist wohl nicht ganz an den Haaren herbeigezogen.

Zitat von Llarian im Blogbeitrag, Teil II
ein Verhältnis mit Claudia Schiffer und Cameron Diaz zu führen (nein, das ist nicht sexistisch gedacht



Nein, aber nach dem Motto "Blondinen bevorzugt".

* EDIT: recte: empfundenen; Freud hätte an diesem Verschreiber seinen Spaß gehabt.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

03.05.2014 18:34
#5 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten



Je sinnentleerter die reale Welt erlebt wird, desto mehr und intensiver wird die virtuelle Welt benötigt; hier dürfte sich ein Suchtkreislauf, ganz ähnlich dem eines Alkoholikers, einstellen. (...) Hier dürfte der Kater und Katzenjammer zu einer teufelskreisartig als immer unerträglicher und immer sinnentleerter erlebten realen Welt führen. (Doeding)


Fluchtwelten, um einer schlechten Realität zu entkommen, gab es auch, vor allem bei Judendlichen,wenn sie ein Märchenbuch lasen. Da diente es zur seelischen Gesundheit. Ich erinnere mich gut, wie ich dazu als Schüler die deutschen Romantiker entdeckte und benutzte.
Das Kriterium ist wohl, ob es beim Ausgleich zu einer sicheren Rückkehr zu den Pflichten kommt oder ob die Flucht zur Sucht wird, wie Sie es ja beschreiben.
Wenn ein gelegentlicher Ausflug ins Traumland hilft, das Lästige wieder aufzunehmen, ist es keine Sackgasse.

Was mir auffiel: Fast alle verfilmten Geschichten haben meine Phantasie enttäuscht (Die einzige Ausnahme war eine Schwarz-weiß-Verfilmung von Adalbert Stifters Brigitta mit ungarischen Laienspielern). Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese 'Überlegenheit' der menschlichen Phantasie über die virtuellen Welten verschwinden wird. Sie scheint mir in der Kinderwelt begründet zu werden. Ich lese gerade "Der König verneigt sich und tötet" von Herta Müller und finde gerade in ihrer Früherfahrung die besten Beispiele, wie sie allein aus der Sprache unglaublische Bildwelten ersah. Die Technik kann, hoffe ich, sowenig wie der Kitsch früher, die Phantasie töten. Die Seele scheint mir da robuster als der Roboter; ich hoffe, ich täusche mich nicht.

Gruß
Ludwig W.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

03.05.2014 18:59
#6 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5


Je sinnentleerter die reale Welt erlebt wird, desto mehr und intensiver wird die virtuelle Welt benötigt; hier dürfte sich ein Suchtkreislauf, ganz ähnlich dem eines Alkoholikers, einstellen. (...) Hier dürfte der Kater und Katzenjammer zu einer teufelskreisartig als immer unerträglicher und immer sinnentleerter erlebten realen Welt führen. (Doeding)


Fluchtwelten, um einer schlechten Realität zu entkommen, gab es auch, vor allem bei Judendlichen,wenn sie ein Märchenbuch lasen. Da diente es zur seelischen Gesundheit. Ich erinnere mich gut, wie ich dazu als Schüler die deutschen Romantiker entdeckte und benutzte.
Das Kriterium ist wohl, ob es beim Ausgleich zu einer sicheren Rückkehr zu den Pflichten kommt oder ob die Flucht zur Sucht wird, wie Sie es ja beschreiben.
Wenn ein gelegentlicher Ausflug ins Traumland hilft, das Lästige wieder aufzunehmen, ist es keine Sackgasse.

Zustimmung, lieber Ludwig Weimer. Auch ich gehe vielfältigen Zerstreuungen und "Weltfluchten" nach, die aber nie (so hoffe ich zumindest) zu einem Surrogatsinn geworden sind. Was Kollege Llarian hier schreibt, ist ja sehr viel mehr als das; es ist eine rationale (sic!) Antwort auf die Frage, was "man" mit Menschen machen soll, die ansonsten nicht mehr gebraucht werden. Ich denke hier insbesondere auch an die zukünftigen (zunehmend technikaffinen) Alten, was fast eine Variation des Themas "Sterbehilfe" ist, bei dem Sie auf jenen Sprung von der Tiberbrücke eingegangen waren.

Zitat
Was mir auffiel: Fast alle verfilmten Geschichten haben meine Phantasie enttäuscht (Die einzige Ausnahme war eine Schwarz-weiß-Verfilmung von Adalbert Stifters Brigitta mit ungarischen Laienspielern). Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese 'Überlegenheit' der menschlichen Phantasie über die virtuellen Welten verschwinden wird.


Zumindest der "Tod in Venedig" gefiel mir von Visconti besser als die Novelle von Mann. Vielleicht ist es z. T. auch eine Art Priming-Effekt. Oft hat man ja das Buch zuerst gelesen und sich damit innerlich gleichsam auf eine bestimmte Ausgestaltung festgelegt. Der erste James Bond, den ich um 1979 mit meiner Großmutter im Kino gesehen habe, war Moonraker mit Roger Moore. Für mich ist Moore immer der "eigentliche" James Bond geblieben, während ich mit Sean Connery, den die lebensälteren Menschen nahezu durchgängig als den "eigentlichen" Bond empfinden, bis heute fremdle.

Herzliche Grüße,
Andreas

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.422

03.05.2014 20:19
#7 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Wenn dieser Zeitplan als Richtschnur gelten kann - http://dilbert.com/strips/comic/1994-10-14/ - dann pressiert das Problem vielleicht nicht so arg wie befürchtet.

Kallias Offline




Beiträge: 2.309

03.05.2014 20:34
#8 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5
__________________________ [etc.]
Ein kleiner technischer Hinweis, lieber Herr Weimer: wenn Sie einen Trennstrich machen wollen, dann schreiben Sie besser das Wort "[ line]", und nicht eine lange Serie von Unterstrichen. Der lange Strich verhindert nämlich den Zeilenumbruch im ganzen Thread, so daß dieser auf Geräten mit schmalem Bildschirm unlesbar wird. Der "Forumscode" [ line] liefert hingegen einen Strich, der sich der Bildschirmbreite automatisch anpaßt.

Viele Grüße,
Kallias

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

03.05.2014 22:46
#9 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zu diesem sehr interessanten Thema sei auch Zettels Realität in acht Päckchen anempfohlen, die ich Seinerzeit mit viel Interesse gelesen habe.

Darüber hinaus finde ich den Plot von Matrix zwar etwas durcheinander, aber bei weitem nicht abstrus. Es könnte eine mögliche Version von Brot und Spiele sein. Es müssen ja nicht unbedingt die Maschinen sein, die das veranstalten.
Eines hat die Geschichte bisher auf jeden Fall aufgezeigt: Der technische Fortschritt ist heute schon mitunter so schnell, dass er die Phantasie der Menschen in einem halben Jahrhundert ohne weiteres überholen kann. Das wird in Zukunft sicher noch schneller gehen.

Vielleicht müssen wir am Ende hier alle noch Grün wählen in der Hoffnung, daß alle Forschung verboten wird, um die Welt zu retten.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Solus Offline



Beiträge: 384

04.05.2014 04:34
#10 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Llarian:
Ich frage mich, ob dann nicht in dem Maße, in dem die virtuelle Welt realer wird, die virtuelle Welt auch zunehmend wie die reale reguliert werden wird.
Mit dem in der einen Welt tun können, was einem in der anderen verwehrt bleibt, wäre es dann vielleicht nichtmehr so weit her.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.05.2014 10:45
#11 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Vielen Dank, lieber Llarian, für die beiden sehr interessanten Artikel. Ich sehe aber nicht die Entscheidung darüber in Welcher Welt man leben will, sondern eher wie viel Gebrauch man von der virtuellen Welt macht, wenn sie immer unbegrenzter zur Verfügung steht. Bekannt ist sie der Menschheit seit langem.
Ludwig Weimer hat ja schon auf die Welt der Bücher verwiesen und ich kann das aus intensiver eigener Erfahrung nur bestätigen.
Bücher die mich in ihren Bann nahmen, transportierten mein Bewusstsein so stark in die virtuelle Welt der Geschichte des Buches, das ein Wechsel in die reale Welt bei mir mit Benommenheit und kurzer Neuorientierung einherging. Es gab Bücher die mich auf Dauer nur mit einem Teil meines Bewusstseins in der realen Welt beließen.
War das Buch zu Ende, gab es einen regelrechten Entzug.
Es gibt auch 3D Kinofilme die ähnliches bei mir hervorriefen, auch 2D Filme und manche Serien haben mich schon tagelang gefesselt.
Ich begann sehr früh in virtuelle Welten einzutauchen. Wenn mir als Kind aus einem Buch vorgelesen wurde, wollte ich immer noch ein Kapitel hören und noch eins. Hörbücher auf Kassetten haben die Kindheit unserer Tochter begleitet so wie die Geschichte von Harry Potter. Es sollte mich wundern, ginge das vielen anderen nicht ähnlich.

Ich wollte nie aus dieser Welt heraus, aber ich wußte, dass es sein muss. Es ist der Umgang mit der virtuellen Welt der erlernt werden muss.
Geschichten regen die Fantasie der Menschen an und sind unverzichtbar für ein erfülltes Leben in der realen Welt. Wie diese erlebt werden ist zweitrangig. Die Fähigkeit Fantasie zu entwickeln, setzt ein bewusstes Erleben einer solchen voraus, denke ich.
Was geübt werden muss, wie der Umgang mit einem jeden Genussmittel, ist das Maß. Das individuelle Maß.

Letztlich ist m.E. klar, dass die virtuelle Welt ihren Ursprung in der realen hat. Sie wird von ihr genährt. Wenn von der realen nichts mehr kommt ist das Spiel vorüber.
Die meisten Menschen werden das lernen, auch dann wenn es mal Holodecks geben sollte. Und ich denke selbst die beste Projektion wird einen realen Besuch, ein reales Erleben nie vollständig ersetzen können.
Mir ist nicht bange vor mehr virtuellen Welten, im Gegenteil, ich freue mich auf sie und kann es kaum erwarten die Teile davon zu erleben, welche mir zusagen.
Der Ausbau der virtuellen Welt bietet für mich mit meinem Willen vor allem eines:

Mehr Freiheit der Wahl.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

04.05.2014 12:17
#12 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #11
Vielen Dank, lieber Llarian, für die beiden sehr interessanten Artikel. Ich sehe aber nicht die Entscheidung darüber in Welcher Welt man leben will, sondern eher wie viel Gebrauch man von der virtuellen Welt macht, wenn sie immer unbegrenzter zur Verfügung steht. Bekannt ist sie der Menschheit seit langem.

Sowohl dem Dank als auch dem letzten Satz stimme ich völlig zu. Das Leben in virtuellen Welten ist ein wichtiges Element des Menschseins, da Menschen Wesen sind, die sich über die Wahrnehmung und Nutzung ihrer materiellen Umgebung hinaus Gedanken machen und dabei Ideen bilden und verknüpfen, die mit dieser Umgebung mehr oder weniger Konformität aufweisen. Ja selbst die Wahrnehmung der Wirklichkeit und unser Handeln darin geschieht immer durch den Schleier der Ideen, die wir zur Erfassung der Wirklichkeit zur Verfügung haben, das ist das zentrale epistemologische Problem.
Und wir lieben es mit diesen Ideen zu spielen. Literatur und Filme wurden schon genannt, und die modernen computergestützten virtuellen Welten, in denen der Sinneseindruck noch intensiver und Möglichkeiten interaktiven Eingreifens gegeben werden, sind eine konsequente Weiterentwicklung, auffällig vielleicht hauptsächlich dadurch, daß sie in einem in dieser Entwicklung vorher nicht dagewesenen Maße die Wirklichkeit ausblenden. Beim Lesen eines Buches kann man immer noch leicht aus der virtuellen Welt auftauchen und sich vergegenwärtigen, daß man mit einem Buch in der Hand dasitzt; im Kino kann man offenbar noch nebenbei Popcorn futtern (mir unbegreiflich; das Spannungsfeld zwischen fragwürdigem Geschmackserlebnis und unzweifelhafter Geräusch- und Geruchsbelästigung der Mitmenschen ist mir ein Rätsel); in einer vollentwickelten virtuellen Realität bleibt allenfalls noch das reale Körpergefühl (Müdigkeit, Hunger etc., die aber auch schon bei simpleren Computerspielen in gefährlichem Maße ausgeblendet werden können).

Aber eine andere, sehr alte und dauerhafte Form der virtuellen Realität, die bis zum Realitätsverlust in die Wirklichkeit hineinwirken kann, wurde noch nicht erwähnt: nämlich die Religion bzw. säkulare Ideologie. Wie wunderbar erscheinen die Abbildungen und Beschreibungen beispielsweise der virtuellen Realität des Mahayana-Buddhismus mit den Sphären der Boddhisattvas, daß man fast Lust bekäme zu wünschen, sie wären mehr als leere Träume - der Buddhismus ist freilich in der hierfür besonders günstigen Situation, daß er auch die Wirklichkeit für eine virtuelle Scheinwelt hält. Aber auch die anderen Religionen bieten eine virtuelle Welt als geistigen Fluchtort und 'happy place' vor den Unbilden der Wirklichkeit an, von der Geisterwelt des Schamanen bis zu den Gefilden der Heiligen auf katholischen Kirchenbildern; und schon hier kann die Flucht in die virtuelle Realität zu einem weitgehenden Wirklichkeitsverlust führen, z.B. in Klöstern oder im Fanatismus eines selbstmörderischen Gotteskriegers. Politisch-ideologische Gedankenwelten können eine ganz analoge Funktion erfüllen und normale Leute im Banne einer Idee zu grauenhaft lebensfeindlichen Taten in der Wirklichkeit bewegen.

Viele, wenn nicht die meisten von uns sind in der einen oder anderen virtuellen Welt befangen und hätten einen schweren Weg hinaus in die Wirklichkeit, wenn sie ihn überhaupt beschreiten wollten. Aber erst von dort aus hätten sie wirklich das:
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #11
Der Ausbau der virtuellen Welt bietet für mich mit meinem Willen vor allem eines:

Mehr Freiheit der Wahl.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.05.2014 12:32
#13 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #12

Viele, wenn nicht die meisten von uns sind in der einen oder anderen virtuellen Welt befangen und hätten einen schweren Weg hinaus in die Wirklichkeit, wenn sie ihn überhaupt beschreiten wollten. Aber erst von dort aus hätten sie wirklich das:
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #11
Der Ausbau der virtuellen Welt bietet für mich mit meinem Willen vor allem eines:

Mehr Freiheit der Wahl.



Ich gehe davon aus, dass ich mein Verbleib in der virtuellen und in der realen selbst bestimmen kann. Das zu lernen ist die Herausforderung und eine Angelegenheit die von den Eltern begleitet aber auch vom erwachsenen Menschen erlernt werden kann.
Um es mal anders auszudrücken: Wer reingeht muss wissen wie er wieder rauskommt.
Der Weg hinaus eröffnet erst die Möglichkeit tiefer hinein zu gehen. Es ist wie der Gang in eine Höhle: Man wagt sich mit mehreren Versuchen weiter hinein.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Llarian Online



Beiträge: 7.115

04.05.2014 12:55
#14 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #3
Auf einem Spaziergang habe ich ihn eben nochmal nachklingen lassen und habe für mich festgestellt, daß ich in einer solchen Welt nicht leben möchte (mich fragt auch keiner, schon klar ). Was Du beschreibst ist eine Dystopie, wenn auch eine möglicherweise realistische.

Ich bin mir nicht sicher, ob es sich wirklich um eine Dystopie handelt, lieber Andreas. Vielleicht weil mir die Alternative noch weniger gefällt: Die Menschen fallen aus dem Arbeitsprozess heraus, das halte ich für gesetzt (jedenfalls dann, wenn wir nicht gerade eine Diktatur im Stile von Huxley einrichten, die dem Menschen künstliche Arbeit verschafft). Vielleicht mag es in einer Welt, in der nur noch Bruchteile der Menschen einer solchen Beschäftigung nachehen anders sein, aber in der heutigen Zeit ist es für einen Menschen eine Strafe aus dem Arbeitsprozess herauszufallen (entgegen allen Unkenrufen, die gerne mal das Gegenteil verkünden). Solche Menschen verkümmern. Und das in beängstigender Geschwindigkeit. Wer das Gefühl hat "zu nichts mehr gut" zu sein, der degeneriert als Mensch in furchtbarer Art und Weise. Man sucht sich dann Ersatzbeschäftigungen, aber vielfach funktioniert das überhaupt nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Herausfallen aus dem Arbeitsprozess mit einem Verlust an sozialem Standing einhergeht. Sozialstaat hin oder her, der Mensch ist im Vergleich zu seinen Mitmenschen "nicht mehr potent". Und das frustriert. Da kann es ganz egal sein, ob selbst der ärmste Harz-Empfänger reicher ist als ein Adliger im Mittelalter, im Vergleich zur restlichen, produktiven Gesellschaft, ist der Mensch arm. Diese Frustration, dieses Empfinden von Schwäche, muss (!) in irgendeiner Form kompensiert werden. Ich empfinde das, was ich beschreibe, vielleicht deshalb weniger als Dystopie, weil die Alternativen dazu mir noch viel schlimmer erscheinen. Menschen die degenerieren. Menschen die sich gegenseitig umbringen. Menschen die Drogen nehmen und ihren Körper zugrunde richten. Menschen die permanent Gewalt ausüben, um daraus wenigstens noch ein Gefühl von Stärke herzuleiten.

Zitat
Der psychologische Grund: Je sinnentleerter die reale Welt erlebt wird, desto mehr und intensiver wird die virtuelle Welt benötigt; hier dürfte sich ein Suchtkreislauf, ganz ähnlich dem eines Alkoholikers, einstellen.


Exakt !
Das ist ganz genau das, was ich bereits heute bei einigen Zeitgenossen beobachte, die diesen Weg gehen. Es ist eine Flucht aus der realen Welt und es entwickeln sich klassische Suchtpersönlichkeiten. Die Freiheit in die reale Welt zu gehen ist irgendwann nicht mehr da, weil die reale Welt keine Alternative mehr darstellt. Irgendwann verbringt der Mensch die Zeit nur noch am Rechner und selbst Schlafen und Essen werden als lästig empfunden, es ist ein Verlust der körperlichen Empfindung. Zeitgleich geht das einher mit der tatsächlichen körperlichen Degenration, sei es, dass der Mensch sein Gewicht nicht kontrolliert, sich hoffnungslos zu wenig bewegt und seine Gesundheit vernachlässigt. Es ist die klassische Karriere, die man auch bei realen Drogen beobachten kann. NUR: Diese Unfreiheit ergibt sich nicht wirklich aus der Droge. Sie ergibt sich aus der Situation. Der Betreffende empfinde ja die reale Welt als frustrierend, weil sie für ihn auch frustrierend ist. Die Droge "virtuelle Realität" kompensiert nur das eigentliche Problem, es ist eher ein Sympton und nicht die Ursache. Und so lange die Ursache keine befriedigende Lösung kennt, habe ich Problem damit das Sympton zu verurteilen. Der Verlust des freien Willens, den Du - zurecht - beklagst, ist bereits viel früher eingetreten.

Llarian Online



Beiträge: 7.115

04.05.2014 13:15
#15 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5
Fluchtwelten, um einer schlechten Realität zu entkommen, gab es auch, vor allem bei Judendlichen,wenn sie ein Märchenbuch lasen. Da diente es zur seelischen Gesundheit. Ich erinnere mich gut, wie ich dazu als Schüler die deutschen Romantiker entdeckte und benutzte.

Es gibt einen erheblichen Unterschied, lieber Herr Weimer, zwischen dem was ich beschreiben wollte und dem, was sie in einem Buch erleben. In einem Buch (wie auch in einem Film) sind Sie ein stiller Beobachter, Sie können sich viel vorstellen, ihre Phantasie frei gleiten lassen und ihre Helden auf ihrem Wege begleiten, sich vielleicht auch mit diesen identifizieren. Aber Sie werden in aller Regel dabei keine Erfolgserlebnisse haben, nicht Sie sind der, der handelt, es ist ein anderer, den Sie begleiten. Die sich entwickelnden virtuellen Welten, heute würde man noch von Computerspielen sprechen, sind da ein ganz anderer Ansatz. Es wäre vergleichbar mit einem Buch, dass Sie selber schreiben, Geschichten, die Sie selber zu Papier bringen.
Ich habe in meinem Leben mit Sicherheit einige hundert, vielleicht auch einige tausend verschiedene Computerspiele gespielt. Viele hundert habe ich "durchgespielt", in anderen große virtuelle Erfolge errungen. Und auf einige davon bin ich durchaus stolz. Ich habe virtuelle Schlachten geschlagen, virtuelle Welten gerettet und den Ausgang von hunderten von Geschichten selber (!) beeinflusst. Das kann ein Buch mir nicht geben. Um es zu vergleichen: Ich habe ebenso diverse Bücherwände gelesen, meine Kindheit ist durchsetzt von Märchenbüchern aus aller Welt und ich habe heute grosse Probleme die Bücher alle unterzubringen, die sich kistenweise angesammelt haben. Ich habe die meisten Bücher mit sehr viel Freude gelesen, aber es war immer(!) jemand, den ich begleitet habe. Ich habe Harry Potter durch die Säle von Hogwarts begleitet, aber ich war nie Harry Potter. Und das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Zitat
Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese 'Überlegenheit' der menschlichen Phantasie über die virtuellen Welten verschwinden wird. Sie scheint mir in der Kinderwelt begründet zu werden. Ich lese gerade "Der König verneigt sich und tötet" von Herta Müller und finde gerade in ihrer Früherfahrung die besten Beispiele, wie sie allein aus der Sprache unglaublische Bildwelten ersah.


Sprache ist zweifelsfrei ein mächtiges Werkzeug, aber wir lernen zu sehen, zu hören und zu fühlen, bevor wir lernen zu sprechen (und noch viel früher als zu lesen). Nur weil irgendwelche alten, zweidimensionale Darstellungen nicht unserer Phantasie entsprechen, heisst das nicht, dass es immer so bleiben muss. Und der Vergleich zwischen einem Buch, auf das man sich bereits eine Vorstellung gemacht hat und einem Film ist immer unfair. Man würde vermutlich die selbe Frustration erleben, wenn man erst Karl May liest und anschließend per Zeitreise wirklich in den wilden Westen gelangen würde. Hat man dagegen keine feste Vorstellung, so können virtuelle Welten unglaublich bombastisch sein. Als ich das erste mal in Oblivion unterwegs war und aus der Ferne die Mauern von Cyrodiil gesehen habe, war ich schon ziemlich geplättet. Und diese Technik ist schon mehrere Jahre alt. Ich kann nur jedem empfehlen sich einmal darauf einzulassen. Computerspiele sind eben nicht "etwas für Kinder". Sie sind ein ganz eigenes Medium und nach meiner Meinung eines gegen das simple Techniken wie Filme einpacken können.

Llarian Online



Beiträge: 7.115

04.05.2014 13:20
#16 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Solus im Beitrag #10
Ich frage mich, ob dann nicht in dem Maße, in dem die virtuelle Welt realer wird, die virtuelle Welt auch zunehmend wie die reale reguliert werden wird. Mit dem in der einen Welt tun können, was einem in der anderen verwehrt bleibt, wäre es dann vielleicht nichtmehr so weit her.

Ein böser Gedanke, lieber Solus. Aber absolut richtig: Genau das wird passieren. Es passiert ja heute schon. Es gibt ja massive Bestrebungen bestimmte Spiele in Deutschland zu verbieten, teilweise durchaus erfolgreich. Aus liberaler Perspektive ist das natürlich dann "nicht mehr so weit her". Aber genauso wie die heutige Welt an tausend Stellen tot reguliert ist, so empfinden die meisten Menschen sie nicht als total unfrei. Der Regulierer muss nur aufpassen, dass er es nicht zu weit treibt.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.05.2014 13:45
#17 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Lieber Llarian, den Unterschied zwischen aktiver Teilnahme und passivem Erleben habe ich in der Tat nicht bedacht. Es fehlt mir dazu ein eigenes Erlebnis.
Nur gibt es in der realen Welt ebenfalls eher passive und eher aktive Menschen. Und zur Zeit hängt das Angebot dieser aktiven Teilhabe an der virtuellen Welt stark von den Interessen ab. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen mal ein virtuelles Autorennen zu fahren, aber besonders neugierig bin ich nicht mal darauf.
Während das Beobachten und Erleben von Naturphänomenen und Landschaften mich außerordentlich neugierig macht.
Auf diesem Feld etwas Vergleichbares zu Deinem Erleben zu erfahren, wird während meines Daseins vermutlich nicht stattfinden.
Es gehört zu den Dingen die sich meiner Vorstellungskraft nahezu entziehen: Spielen. Es reizt mich überhaupt nicht.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Llarian Online



Beiträge: 7.115

04.05.2014 14:00
#18 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #17
Lieber Llarian, den Unterschied zwischen aktiver Teilnahme und passivem Erleben habe ich in der Tat nicht bedacht. Es fehlt mir dazu ein eigenes Erlebnis.

Das dachte ich mir schon. :)
Ist aber auch eine Generationsfrage: Ich bin damit groß geworden, aber zu meiner Zeit war ich damit noch ein Aussenseiter (was sollte ein Kind/Jugendlicher schon mit einem Computer wollen). Heute wächst die ganze Generation damit auf, aber alles was älter ist als 40 muss dann schon eher den entsprechenden Aussenseiterhintergrund mitbringen.

Zitat
Und zur Zeit hängt das Angebot dieser aktiven Teilhabe an der virtuellen Welt stark von den Interessen ab. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen mal ein virtuelles Autorennen zu fahren, aber besonders neugierig bin ich nicht mal darauf.


Du stehst aber auch mit beiden Beinen im Leben, sprich, Du hast Erfolgserlebnisse da, wo andere sie nicht haben. Du bist sozusagen auch nicht die Zielgruppe von Personen, von denen ich schrieb. Ich bin es auch nicht, auch wenn ich einen starken Computerspielzugang habe, so ziehe ich das reale Leben immernoch vor. Ich beziehe mich auf die, die ihr Leben eher nicht so positiv erleben. Das sind heute noch nicht so viele, das gebe ich gerne zu, aber ich glaube es werden mehr.

Zitat
Auf diesem Feld etwas Vergleichbares zu Deinem Erleben zu erfahren, wird während meines Daseins vermutlich nicht stattfinden.


Das ist aber eine noch mutigere Vorhersage, als ich sie treffe. Wenn wir in 20 Jahren noch hier sind, erinnere ich noch einmal daran.

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

04.05.2014 14:07
#19 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #15
Als ich das erste mal in Oblivion unterwegs war und aus der Ferne die Mauern von Cyrodiil gesehen habe, war ich schon ziemlich geplättet.
Und geärgert warum das am eigenen Rechner immer so ruckelt. Und jedes Mal beim Betreten eines Gebäudes über den Ladevorgang geärgert. Gabs da nicht ein Kain-Soul-irgendwas-Spiel auf der PS1 (die mit der Technik von 1994), das es geschafft hat eine 3D-Welt ohne Ladezeiten im Spielfluss auszukommen.
Aber wenigstens konnte man Oblivion, im Gegensatz zum Vorgänger, auch als nicht-Hardcore PC-Rollenspieler spielen.

Zitat
Sie sind ein ganz eigenes Medium und nach meiner Meinung eines gegen das simple Techniken wie Filme einpacken können.

Da bin ich anderer Meinung. Ein Film schafft es in 2 bis maximal 3 Stunden, solange Peter Jackson nicht Regie führt, eine Geschichte zu erzählen. Was war noch mal die Story in Oblivion? Total unwichtig. Ehrlich gesagt ist mir meine Zeit zu schade um mich hundert Stunden durch eine austauschbar Fanatsywelt bzw. durch Liberty City zu kämpfen.


Bitte denken Sie an die Umwelt bevor Sie diesen Kommentar ausdrucken

Solus Offline



Beiträge: 384

04.05.2014 14:49
#20 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #16
Zitat von Solus im Beitrag #10
Ich frage mich, ob dann nicht in dem Maße, in dem die virtuelle Welt realer wird, die virtuelle Welt auch zunehmend wie die reale reguliert werden wird. Mit dem in der einen Welt tun können, was einem in der anderen verwehrt bleibt, wäre es dann vielleicht nichtmehr so weit her.

Ein böser Gedanke, lieber Solus. Aber absolut richtig: Genau das wird passieren. Es passiert ja heute schon. Es gibt ja massive Bestrebungen bestimmte Spiele in Deutschland zu verbieten, teilweise durchaus erfolgreich. Aus liberaler Perspektive ist das natürlich dann "nicht mehr so weit her". Aber genauso wie die heutige Welt an tausend Stellen tot reguliert ist, so empfinden die meisten Menschen sie nicht als total unfrei. Der Regulierer muss nur aufpassen, dass er es nicht zu weit treibt.

Der Witz an der Sache ist, dass die virtuelle Welt im Verhältnis deutlich einfacher zu regulieren ist. Jedenfalls soweit es den Markt innerhalb eines Landes betrifft.
In der realen Welt kann man Sexismus, Rassismus, Diebstahl, Mord usw. usf. zwar verbieten, aber wie man jeden Tag sieht, lässt sich das Verbot kaum vollständig durchsetzen, bzw. in den ersten beiden Fällen nichtmal ansatzsweise.
Bei Spielen, die in einem Laden - oder auch einem Onlineshop - vertrieben werden, ist ein vollständiger Zugriff ungleich leichter.
Der Knackpunkt ist da natürlich das Internet. Ein Grund mehr, warum der Staat da natürlich Begehrlichkeiten hat, es unter Kontrolle zu bekommen.
Wenn ich an die Regulierungsmöglichkeiten denke, die sich da auftun, wird mir ehrlich gesagt speiübel.
Die Frage wird sein, ob die Bürger das sich mit sich machen lassen.


Nachtrag: Durch das Internet haben wir in der Hinsicht momentan, was die Möglichkeiten anbelangt, im Prinzip den größten gemeinsamen Nenner zwischen allen Staaten, von denen aus man auf das Internet zugreifen kann. Den gleichen Grad an Freiheit, wie man ihn sonst hätte, würde man jeweils in ein anderes Land reisen.
Es wird vieles davon abhängen kann, inwieweit dieser Zustand erhalten bleibt.

Im schlechtesten Fall, wenn die virtuelle Welt andere Formen der Unterhaltung wie Bücher und Filme ersetzt, oder sie auch nur vollständig via Digitalisierung in sich aufnimmt, und zugleich das Internet vollständig reguliert wird, ist es durchaus vorstellbar, dass im Endeffekt der Spielraum der menschlichen Imagination letztlich schrumpft.
Entweder das, oder Tagträumen würde die freiwerdende Lücke wieder ausfüllen. Dann hätten wir in gewisser Weise den Zustand vor dem Buchdruck wieder erreicht. Was sich nebenbei bemerkt auch auf die menschliche Kommunikation erstrecken würde, die nurnoch im direkten Gespräch das ganze Spektrum an Gedanken übermitteln könnte.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

04.05.2014 15:03
#21 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #18
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #17
Lieber Llarian, den Unterschied zwischen aktiver Teilnahme und passivem Erleben habe ich in der Tat nicht bedacht. Es fehlt mir dazu ein eigenes Erlebnis.

Das dachte ich mir schon. :)

Ich glaube, dass hier in der Tat der entscheidende Punkt liegt. Die virtuelle Welt wird irgendwann in der Lage sein, die Reale 1:1 zu ersetzen. Das halte ich zumindest für sehr wahrscheinlich. Dies liegt vor allem daran, dass man mit diesen dann existierenden virtuellen Welten, anders als mit der durch Bücher angeregten Phantasie direkt und real empfindend interagieren kann. Insofern ist es sogar noch einmal eine Stufe über die "Realität des Traumes hinaus", die auch Zettel in seiner Abhandlung betrachet.

Nun ist es für einen Menschen der mit einer gewissen Distanz zur Virtualität groß geworden ist anzunehmen, dass ein erfülltes Leben ihn die Virtualität durchaus immer als solche erkennen lässt. Es geschehen aber zwei Dinge in unserer Zeit, die durchaus "neu" sind. Einen Sachverhalt hat Llarian bereits beschrieben: Die Aufgaben die in unserer Welt zukünftig noch für Menschen verbleiben werden, werden so komplex sein, dass sie viele Menschen überfordern werden. Daher werden diese überforderten Menschen möglicherweise ohne jedwede Erwerbsmöglichkeit verbleiben, mit allen negativen Konsequenzen. Diese Situation gab es historisch in dieser absoluten Konsequenz noch nie, daher ist schwer zu sagen welche Folgen sie haben wird.
Der zweite neue Sacheverhalt ist der, dass Menschen heute in meinen Augen nicht mehr mit einer klaren Trennung zwischen virtueller Welt und realer Welt aufwachsen und sie verlieren daher auch diesbezüglich in meinen Augen Orientierung. Ich habe schon kleine zweijährige Kinder beobachtet, die mit dem Finger über eine Zeitschrift "wischten" und sich wunderten, dass die Bilder sich nicht bewegten. Diese Entwicklung wird sich sicherlich beschleunigen. Virtuelle Welt und Realität werden in Ihren Übergängen viel unschärfer werden, als sie es waren wenn man in die Seiten eines Buches eintauchte und Menschen werden sich daran gewöhnen. Es möglichwerweise nicht einmal mehr merken können.

Wenn Menschen ohne Perspektive in der realen Welt auf eine virtuelle Welt treffen, die die Reale 1:1 zu ersetzen imstande ist, werde sich Virtualität und Realität möglichwerweise in einem anderen Gewand und Verhältnis zueinander darstellen, als es vielen von uns heute vorstellbar erscheint.

Damit will ich nicht sagen, ob diese Welt gut oder schlecht werden muß. Sie wird sicher Chancen wie Risiken haben und sicher auch viel Raum für Mißbrauch. Auf jeden Fall wird sie aber Fragen aufwerfen, von denen wir heute nicht einmal träumen und viele wichtige Entscheidungen fordern von unserer Gesellschaft.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.05.2014 16:39
#22 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #21
Zitat von Llarian im Beitrag #18
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #17
Lieber Llarian, den Unterschied zwischen aktiver Teilnahme und passivem Erleben habe ich in der Tat nicht bedacht. Es fehlt mir dazu ein eigenes Erlebnis.

Das dachte ich mir schon. :)

Ich glaube, dass hier in der Tat der entscheidende Punkt liegt. Die virtuelle Welt wird irgendwann in der Lage sein, die Reale 1:1 zu ersetzen. Das halte ich zumindest für sehr wahrscheinlich.

Dem möchte ich entgegenhalten, dass dies absolut unmöglich ist. Wenn eine dieser beiden Welten ohne die andere auskommen würde, dann ist es die reale. Denn sie erschafft die virtuelle.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Kritiker Offline



Beiträge: 274

04.05.2014 16:39
#23 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #21

Ich glaube, dass hier in der Tat der entscheidende Punkt liegt. Die virtuelle Welt wird irgendwann in der Lage sein, die Reale 1:1 zu ersetzen. Das halte ich zumindest für sehr wahrscheinlich. Dies liegt vor allem daran, dass man mit diesen dann existierenden virtuellen Welten, anders als mit der durch Bücher angeregten Phantasie direkt und real empfindend interagieren kann. Insofern ist es sogar noch einmal eine Stufe über die "Realität des Traumes hinaus", die auch Zettel in seiner Abhandlung betrachet.


Wie heisst es so schön: Die Realität hat eine Scheißhandlung, aber eine phantastische Grafik.

Insofern wird es nicht 1:1 sein, denn die Realität ist einfach zu oft zu öde. Der Hype um Second Life ging schnell wieder vorbei, weil es dort schlicht nichts Interessantes gab, außer vielleicht mal ein paar nackte Tatsachen.
Es ist dann schon die Frage, ob Simulationen, die die Realität immer ähnlicher darstellen und in die mehr und mehr Flexibilität eingebaut wird, Erfolg haben werden. Denn die Freiheit, die man in der Realität hat (Freiheit zu entscheiden und zu tun) ist ja für viele gerade ein Hindernis. In einer Spielwelt sind die Entscheidungen auf Grund der Story, die erzählt wird, eingeschränkt und das ist letztlich auch das Faszinierende. Man folgt der Story, indem man selbst die Hauptperson ist. Das ist aber im Ansatz meilenweit von der Realität entfernt.

Ich glaube daher, dass viruelle Welten ein immer wichtigerer Faktor in unserem Leben wird, aber letztlich die Realität nicht verdrängen werden, genausowenig, wie das Bücher, Radio und Fernsehen getan haben.

Der Kritiker

Llarian Online



Beiträge: 7.115

04.05.2014 16:58
#24 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von xanopos im Beitrag #19
Und geärgert warum das am eigenen Rechner immer so ruckelt.

An ihrem vielleicht. Der Vorteil des Nerds mag darin bestehen, dass er in bischen mehr in die Abstimmung seiner Hardware investieren kann und will. Das letzte Spiel, dass bei mir ernsthaft geruckelt hat war Strike Commander, und das ist schon ein paar Takte her.

Zitat
Gabs da nicht ein Kain-Soul-irgendwas-Spiel auf der PS1 (die mit der Technik von 1994), das es geschafft hat eine 3D-Welt ohne Ladezeiten im Spielfluss auszukommen.


Tatsächlich ist das gar nicht so selten, wäre auch immer mehr aufgekommen, wenn der Konsolenfluch nicht eingetreten wäre. Da aber auch Konsolen langsam den technischen Standard erreichen, den PCs vor 5 Jahren hatten, nimmt das auch wieder zu. Ladezeiten sind kein wirklich bestehendes Problem. Erst recht nicht in Zeiten der SSDs.

Zitat
Was war noch mal die Story in Oblivion? Total unwichtig.


Exakt. Aber genau das ist der Punkt: Es ist eine lebendige Welt und die Vorgaben an die Geschichte sind extrem schwach ausgeprägt. Das war schon in Daggerfall und Morrowind der Fall, die Handlung tritt in den Hintergrund, stattdessen wird eine Welt von Phantasie und Fremdheit präsentiert, die man stundenlang bereisen kann, ohne sich darum zu scheren, was vielleicht irgendein Gamedesigner für eine Hauptquest geschnürt hat. In Kinderwelten von Möchtegerngangstern (GTA) kenne ich mich nicht aus, aber eins ist die Welt von Tamriel sicher nicht: Austauschbar. Es ist gerade die Eigenschaft der Elder Scroll Serie, dass etwas sehr eigenes vorgestellt wird. Wenn Sie keinen Zugang dazu finden, ist Ihnen das unbelassen.

Solus Offline



Beiträge: 384

04.05.2014 17:26
#25 RE: Von roten und blauen Pillen Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #23
Insofern wird es nicht 1:1 sein, denn die Realität ist einfach zu oft zu öde. Der Hype um Second Life ging schnell wieder vorbei, weil es dort schlicht nichts Interessantes gab, außer vielleicht mal ein paar nackte Tatsachen.
Es ist dann schon die Frage, ob Simulationen, die die Realität immer ähnlicher darstellen und in die mehr und mehr Flexibilität eingebaut wird, Erfolg haben werden. Denn die Freiheit, die man in der Realität hat (Freiheit zu entscheiden und zu tun) ist ja für viele gerade ein Hindernis. In einer Spielwelt sind die Entscheidungen auf Grund der Story, die erzählt wird, eingeschränkt und das ist letztlich auch das Faszinierende. Man folgt der Story, indem man selbst die Hauptperson ist. Das ist aber im Ansatz meilenweit von der Realität entfernt.

Das ist nur insoweit gültig, als die Geschichte von vornherein festgeschrieben ist.
Auch wenn ich mich mit der Prognose vielleicht auf ein wenig dünnes Eis begebe: Ich halte für es für nicht nur wahrscheinlich, sondern nahezu sicher, dass es noch in diesem Jahrhundert möglich werden wird, einen Computer eine Geschichte von Anfang bis Ende schreiben zu lassen. Ob das Niveau an die großen Schriftsteller heranreichen wird sei dahingestellt, aber das verlangt denke ich auch kaum jemand von einem Spiel.
Stellen Sie sich vor, sie könnten dem Computer die Rahmenbedingungen vorgeben; in welchen ganz groben Bahnen sich das ganze bewegen soll, was absolut nicht vorkommen soll, was vorkommen muss und inwieweit der Computer die aufgestellten Regeln biegen darf, um ein Überraschungsmoment einzubringen.

Mir ist natürlich klar, dass schon das Verfassen sinnvoller Texte momentan noch als eine der großen ungelösten Herausforderungen gilt, aber nach allem was ich weiß, deuten die Zeichen doch recht eindeutig darauf hin, dass das nichtmehr allzu lange so bleiben wird, auf einer Skala von Jahrzehnten gesprochen.

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