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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 70 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

14.05.2014 14:09
#51 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Ich stelle mal diese beiden Zitate nebeneinander:

Zitat von Frank2000 im Beitrag #50
Die restlichen 95% der Investitionen bleiben ja in den neuen Bundesländern, weil die gebauten Gebäude, Infrastrukturen usw ja da sind. Entscheidend dabei ist ja nicht, welche Rechnungsadresse die Baufirma hat, sondern WO das steht, was gebaut worden ist.

Zitat von Frank2000 im Beitrag #50
Was wir nicht mit Geld beseitigen konnten, waren die Schäden in den Köpfen der Leute.

Rein modellökonomisch ist für die Verwendung natürlich nur wichtig, wo das Anlagevermögen steht und nicht, wem es gehört. Rein modellökonomisch ist auch das besinnungslose Grunzeinkommen für den homo oeconomicus besser als Erwerbseinkommen. Und damit haben wir die Parallele.

Es ist ökonomisch nämlich nicht egal, wem das Anlagevermögen gehört, besonders wenn wir über das reden, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Da sind die Menschen nämlich tatsächlich stolz, daß die Rechnungsadresse nebenan ist und nicht irgendwo anders. Es sind solche schwer quantifizierbaren ökonomischen Rahmenbedingungen wie Vertrauen, Treue, Tradition und landsmannschaftliche Verbundenheit, die am Ende zu solchen Phänomenen wie "home bias" führen. Aber sie sind da.

Genauso ist es der Stolz auf die eigene Leistung, das Mittdenken beim Erwerb und das Gefühl für die Werte, die man tauscht, weswegen das Erwerbseinkommen dem Transfereinkommen überlegen ist. Ein Feierabendbier, mit dem man sich für den Tag belohnt, schmeckt anders als die Plörre, den man sich von der Stütze kauft.

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.432

14.05.2014 17:51
#52 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #51
Ich stelle mal diese beiden Zitate nebeneinander:
Zitat von Frank2000 im Beitrag #50
Die restlichen 95% der Investitionen bleiben ja in den neuen Bundesländern, weil die gebauten Gebäude, Infrastrukturen usw ja da sind. Entscheidend dabei ist ja nicht, welche Rechnungsadresse die Baufirma hat, sondern WO das steht, was gebaut worden ist.

Zitat von Frank2000 im Beitrag #50
Was wir nicht mit Geld beseitigen konnten, waren die Schäden in den Köpfen der Leute.

Rein modellökonomisch ist für die Verwendung natürlich nur wichtig, wo das Anlagevermögen steht und nicht, wem es gehört. Rein modellökonomisch ist auch das besinnungslose Grunzeinkommen für den homo oeconomicus besser als Erwerbseinkommen. Und damit haben wir die Parallele.

Es ist ökonomisch nämlich nicht egal, wem das Anlagevermögen gehört, besonders wenn wir über das reden, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Da sind die Menschen nämlich tatsächlich stolz, daß die Rechnungsadresse nebenan ist und nicht irgendwo anders.

Die Investitionen gehören den Bundesländern und damit den Menschen in den neuen Bundesländern. Ich raffs einfach nicht. Da SCHENKT man knapp 20 Mio Menschen eine Summe von 1,7 Bio Euro und bekommt als Antwort "Wir hassen euch, weil ihr uns ausbeutet"

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

14.05.2014 18:30
#53 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #52
Ich raffs einfach nicht. Da SCHENKT man knapp 20 Mio Menschen eine Summe von 1,7 Bio Euro und bekommt als Antwort "Wir hassen euch, weil ihr uns ausbeutet"

Geben ist seliger als Nehmen.

Das beobachte ich auch im persönlichen Umgang mit Menschen, und es hat auch eine einfache psychologische Erklärung. Wer etwas geschenkt annimmt, fühlt sich dem Schenker irgendwie verpflichtet und projiziert seine negativen Gefühle, die sich aus der unterlassenen Gegenleistung ergeben, auf diesen. Wer etwas gibt, der investiert gewissermaßen in den anderen und hat daher in der Folge ein wohlwollendes Interesse an ihm.
Woraus folgt: wenn man jemanden dauerhaft freundschaftlich an sich binden will, dann ist es der falsche Weg, immer etwas für ihn oder sie tun zu wollen; im Gegenteil, man muß ihm oder ihr häufige Gelegenheit geben, etwas für einen selbst zu tun, dadurch wird man für den anderen wertvoll.
(Frage an die professionellen Psychologen: liege ich damit einigermaßen richtig?)

Ob man das auf ganze Völker und Landstriche übertragen kann?

Calimero ( gelöscht )
Beiträge:

14.05.2014 18:36
#54 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #52
Die Investitionen gehören den Bundesländern und damit den Menschen in den neuen Bundesländern. Ich raffs einfach nicht. Da SCHENKT man knapp 20 Mio Menschen eine Summe von 1,7 Bio Euro und bekommt als Antwort "Wir hassen euch, weil ihr uns ausbeutet"

Nun mal bitte nicht übertreiben, lieber Frank. Erstens sind die lautesten Schreihälse nicht Alle. Wer sich ein paar Fotos von vor '89 aufgehoben hat, sieht sehr wohl "wie es damals war". Unverklärte, nüchterne Erinnerungen helfen auch. Zweitens wurde und wird diese latente Unzufriedenheit bei Teilen der ehemals 17 Millionen durchaus von interessierter Seite kultiviert und immer wieder angefacht. Da tun sich sämtliche Linksparteien gern hervor.

Aber es sollte auch nicht unterschlagen werden, dass jedem Menschen das Hemd näher ist, als der Rock. Neue Infrastruktur ist super, keine Frage. Aber die Freude daran wird doch arg geschmälert, wenn der einst sicher geglaubte Arbeitsplatz mit Durchschnittsentlohnung dabei verloren gegangen ist. Da ist Vielen ihr ganzer Lebensentwurf zusammengekracht, die auch keine Möglichkeit mehr hatten, sich an die neuen Verhältnissse anzupassen. Altersgründe, ein noch nicht ganz abbezahltes Haus irgendwo in einem nun wirtschaftlich trostlos gewordenen Gebiet, eine berufliche Qualifikation die plötzlich keinen Wert mehr hatte. Irgendsowas.

In der Gesamtheit hat sich die Situation natürlich wesentlich verbessert, aber nicht alle partizipieren im gleichen Ausmaß daran. Manche wurden tatsächlich einfach überrollt und die freuen sich nun auch nicht unbedingt darüber, dass ihr "neues", überdimensioniertes Klärwerk jährlich mehr Abwassergebühren verlangt.

Was ich damit sagen will, ist, dass der verbale "ihr seid alle undankbar"-Vorschlaghammer einfach das falsche Werkzeug ist. Er trifft zuviele Unbeteiligte und macht auch kaputt, was eigentlich in Ordnung ist. Aber wenn's denn hilft sage wenigstens ich, dass ich verdammt dankbar dafür bin dass meine Heimat aus den real existierenden Ruinen des Sozialismus wieder auferstehen durfte.

Beste Grüße, Calimero

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Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

14.05.2014 18:44
#55 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #53
Zitat von Frank2000 im Beitrag #52
Ich raffs einfach nicht. Da SCHENKT man knapp 20 Mio Menschen eine Summe von 1,7 Bio Euro und bekommt als Antwort "Wir hassen euch, weil ihr uns ausbeutet"

Geben ist seliger als Nehmen.

Das beobachte ich auch im persönlichen Umgang mit Menschen, und es hat auch eine einfache psychologische Erklärung. Wer etwas geschenkt annimmt, fühlt sich dem Schenker irgendwie verpflichtet und projiziert seine negativen Gefühle, die sich aus der unterlassenen Gegenleistung ergeben, auf diesen. Wer etwas gibt, der investiert gewissermaßen in den anderen und hat daher in der Folge ein wohlwollendes Interesse an ihm.
Woraus folgt: wenn man jemanden dauerhaft freundschaftlich an sich binden will, dann ist es der falsche Weg, immer etwas für ihn oder sie tun zu wollen; im Gegenteil, man muß ihm oder ihr häufige Gelegenheit geben, etwas für einen selbst zu tun, dadurch wird man für den anderen wertvoll.
(Frage an die professionellen Psychologen: liege ich damit einigermaßen richtig?)

Ob man das auf ganze Völker und Landstriche übertragen kann?


Ich weiß ja nicht, was die anderen Psychologen hier im Forum dazu meinen (), aber aus meiner Sicht stimmt das grundsätzlich schon. Allerdings würde ich das unterliegende Prinzip weniger mit Geben ist seliger denn nehmen bezeichnen, sondern eher mit Wat nix kost, dat is auch nix: Wer ständig etwas hinterhergetragen bekommt, der lernt nicht, das Geschenkte zu schätzen. Wenn man Kinder materiell verwöhnt, kommt etwas ganz ähnliches dabei heraus: talibaneske, unzufriedene, fordernde Quälgeister (hier habe ich übrigens nicht die Mehrheit der Bewohner Ostdeutschlands im Sinn; da wird m. E. manches in der "West-Darstellung" übertrieben; ich meine das ganz allgemein). Während das Motiv des Schenkers, neben dem von Ihnen benannten Aspekt, zuweilen auch tatsächlich die Herstellung einer einseitigen Abhängigkeit (durch das Gefühl der moralischen Verpflichtung beim Beschenkten, wie Sie richtig schreiben) zum Ziel hat, d. h. zumindest doppelbödig ist. Auch dies kann zu (verständlichen) Abwehrreflexen beim Beschenkten führen. Um im Beispiel zu bleiben: Wenn man den Ostdeutschen ständig sagt, daß sie undankbare, abhängige Transferempfänger seien, dann wird man eher deren Reaktanz verstärken.

Und ja: wenn ich mir die Auswirkungen der klassischen Entwicklungshilfe ansehe, dann kann man das mMn auch auf ganze Völker und Landstriche übertragen.

Herzliche Grüße,
Andreas

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

14.05.2014 20:40
#56 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #52
Ich raffs einfach nicht. Da SCHENKT man knapp 20 Mio Menschen eine Summe von 1,7 Bio Euro und bekommt als Antwort "Wir hassen euch, weil ihr uns ausbeutet"
Ich habe leider bei irgendeinem Umzug alle meine Kishon-Bücher verloren. Aber wenn ich mich richtig erinnere, gab es in einem davon auch eine Geschichte, in der Kishon davon berichtete, wie man von einem bestimmten Bettler in Abhängigkeit des überlassenen Betrags behandelt wurde. Ich meine, das ging von Beschimpfung bis Verachtung...

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

14.05.2014 21:10
#57 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Ich mache es kurz, weil ich die Unterhaltung nicht kapern will...

Zitat von Emulgator im Beitrag #46
Und Sie benutzen nichts anderes als die SED-Diktion nur mit anderen Vorzeichen, wenn Sie sagen, der "westliche Kapitalismus" habe den gescheiterten Sozialismus besiegt. Der materialistischen Weltanschauung mag das zwar entgegenkommen, aber ich glaube, daß wir in einer Welt leben, in der Menschen mit einem Freien Willen handeln können. Deswegen sind es die Menschen, die den Sieg davontragen.

Ja, gerne. Es waren Menschen. Alle diejenigen, die sich im Westen für marktwirtschaftliche Prinzipien eingesetzt haben. Alle diejenigen, die sich der Bedrohung durch die Sowjetunion widersetzten. Und nicht zuletzt alle, die sich auch in Mitteleuropa nie mit der sowjetischen Herrschaft abgefunden haben. So sehr ich auch den Einsatz der Ostdeutschen gegen Ende der DDR respektiere und schätze, den Boden haben andere bereitet. Die Polen z.B., und hier kann die Rolle von Johannes Paul II. und der katholischen Kirche kaum überschätzt werden. Aber auch Schmidt, Kohl und Reagan, die kosnequent die Nachrüstung durchsetzten und der Sowjetunion dadurch klar machten, dass sie den wirtschaftlich verlorenen Konflikt auch nicht militär-strategisch offen gestalten konnten. Besonders Reagan, der mit seinem "Star Wars"-Programm demonstrierte, wie weit abgehängt der Kommunismus wirtschaftlich inzwischen war. All das führte bei den Sowjets zur Einsicht, dass sich etwas ändern müsse. Diese Einsicht brachte Gorbatschow hervor, der wieder ermutigte unsichere Kantonisten wie die Ungarn, ihre Grenze zu öffnen. Und als der "Eiserne Vorhang" einmal ein Loch hatte, war die DDR nicht mehr zu halten. Was danach kam, war - im Schachspielerjargon gesprochen - nur noch eine Frage der Technik.
Zitat von Emulgator im Beitrag #46
Die Wirtschaft eines Landes ist die Gesamtheit der Geschäftsbeziehungen.
Nein. Die Wirtschaft eines Landes ist der in ihm ablaufende Prozess von Allokation, Produktion und Verteilung. In der DDR war all das aufgrund der Planwirtschaft durchgehend ineffizient gestaltet.
Zitat von Emulgator im Beitrag #46
Die Beute war das Anlagevermögen. Und zwar nicht das Anlagevermögen der DDR sondern das der Alteigentümer. Sie haben Recht, daß durch die Mißwirtschaft in der DDR davon massive Nettoabschreibungen hinzunehmen waren.
Das Anlagevermögen war nichts mehr wert. Nichts davon hätte einen Wertbeitrag für zukünftige Geschäfte geliefert. Ausnahmen mag es gegeben haben, aber generell stimmt die Aussage. Maximal einige Markennamen würde ich als echtes Vermögen noch durchgehen lassen, aber dann ohne die Kosten der Stilllegung der jeweiligen Produktionsanlagen.

Das Problem, warum das alles nicht jedem klar ist, ist tatsächlich die Wiedervereinigung. Wäre es gelungen, die DDR als zwar demokratischen, jedoch selbständigen Staat zu erhalten, hätte der dann sofort sichtbare freie Wechselkurs jedem die tatsächlichen Wertverhältnisse klar angezeigt, und in der DDR wäre ein ähnlicher Anpassungsprozess abgelaufen wie in Polen, Tschechien oder Ungarn. Das ging politisch nicht, aber der Preis dafür waren nicht nur transferierte Billionen, sondern auch Nostalgie-Verklärungen.

Zitat von Emulgator im Beitrag #46
Nichtwirtschaftskenntnis kann auch einmal darin liegen, daß man übersieht, wann die Modelle vom vollkommenen Markt angesichts der wirtschaftlichen Fakten nicht greifen. Dann kommen eher spieltheoretische Lösungen zum Zuge. Effizient muß das nicht mehr sein.
Hier muss ich aber glatt mal zustimmen. Es gibt Situationen, wo Produzenten tatsächlich lieber Kapazitäten stilllegen. Meisten handelt es sich da um Branchen, die mindestens ihren Reifegrad erreicht haben, und wo sich nur noch ein paar verbliebene Oligopolisten tummeln, die mit Überkapazitäten zu kämpfen haben. Dass u.U. ein Newcomer alte Kapazitäten übernimmt und dann einen Preiswettbewerb anzettelt, will da wirklich keiner. In einer vollkommenen Modellwelt, wo Kapital beliebig austauschbar ist, erscheint das absurd, in der echten Welt aber, die von Rigiditäten nur so wimmelt, ist es normal.
Zitat von Emulgator im Beitrag #46
Lebensqualität hängt auch wesentlich davon ab, ob man sein Brot von seinem eigenen Kapital und seinen eigenen Händen verdient oder ob man es nur als Almosen vom Transferstaat bekommt. Das übersehen unsere Umverteilungsökonomen gerne, aber gute Ökonomen wissen, daß das verfügbare Geld nur ein Proxy für die nicht meßbare Lebensqualität ist.
Das stimmt. Aber das ist eine Luxusbetrachtung, der man sich auch in Ostdeutschland erst widmen kann, nachdem der Wohlstand massiv angehoben wurde.

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Rayson Offline




Beiträge: 2.367

14.05.2014 21:11
#58 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #57
Ich mache es kurz, weil ich die Unterhaltung nicht kapern will...
Sorry, doch länger geworden. Aber das Thema liegt mir am Herzen.

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Nola Offline



Beiträge: 1.719

14.05.2014 22:51
#59 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Calimero im Beitrag #54
Wer sich ein paar Fotos von vor '89 aufgehoben hat, sieht sehr wohl "wie es damals war". Unverklärte, nüchterne Erinnerungen helfen auch.



Lieber Calimero, ein guter Freund von mir ist gebürtig in Halberstadt. Mit 16 Jahren nutzte er eine der letzten Möglichkeiten um in den Westen zu kommen. Er verließ sein Elternhaus, aber sein Herz hat die Heimat nie verlassen. Seine regelmässige Einreise jn die DDR und den Besuch alter Schulfreunde sowie Abstecher ins wunderschöne Quedlinburg und auch Blankenburg habe ich zum Teil miterlebt.

So hatte ich gleich nach der Wende Gelegenheit in Halberstadt, die Straße "Seidenbeutel", welche als Bilderserie (fotografiert in 1980) in meinem Wohnzimmer hängt, im Jahr 1995 im Original zu sehen. Immernoch befand sich der "Seidenbeutel" in einem so verwunschenen schiefen Zustand, wie auf den Bildern, die Häuser nur noch in sich selbst gestützt, aus allen Ritzen kamen irgendwelche Sträucher und Büsche hervor, auf dem Dach und in der Dachrinne wuchsen kleine Bäumchen, im Rinnstein ebenfalls. Viele dieser Häuser waren nicht mehr bewohnt, Einsturzgefahr. Hätte ich nicht den fotografischen Beweis, ich würds selbst nicht mehr glauben.

Die dann wunderschön renovierten Straßenzüge nebst den wirklich uralten, auch renovierten Fachwerkhäusern zu betrachten und erbeut zu fotografieren war irgendwie ein Supererlebnis. Selbst die alte schmiedeeiserne Gaslaterne hat man wie ein Wahrzeichen wieder eingefügt. So nun hängt alt und neu in DIN A3 an der Wand und hat viele Freunde und Bewunderer gefunden. Ich werde dieser Tage mal Fotos hier einstellen, da selbst geschossen, ist es ja erlaubt.

Noch ein Wort zu Deinem letzten Absatz:

Aber wenn's denn hilft sage wenigstens ich, dass ich verdammt dankbar dafür bin dass meine Heimat aus den real existierenden Ruinen des Sozialismus wieder auferstehen durfte.

... und mich beschämt es, wenn Du Dich zu Dank genötigt fühlen solltest. Dafür gibt es keinen Grund. Du bist in Umstände hineingeboren worden, die weder zum aussuchen waren, noch zum selbstbestimmen. Die älteren Generationen sind ja teilweise schon verstorben und Nachfolgende hatten genug damit zu tun sich in Wahrheit und Lüge vom goldenen Westen zurechtzufinden. Diejenigen, die die alten Zeiten vermissen, vermissen wohl nur ihre Machtbefugnisse und die damals sicher leichtere "Einflußnahme" auf die Bürger.

Ich denke Frank hat das auch so nicht gemeint. Dem Linken Kader, oder wie ein Freund aus Halberstadt sie nennt "die roten Socken" ist zu wünschen, daß auch sie in dritter Generation sich an Wirklich- und Wahrhaftigkeit orientieren und nicht irgendwelchen romantisch verklärten Schwätzern auf den Leim gehen.

Ich freue mich, lieber Calimero, und das schrieb ich vor ca. 6 Jahren schon einmal, in Dir einen so netten klugen Menschen getroffen zu haben, der einen humorvollen tollen Schreibstil hat und dafür sage ich Danke.

♥lich Nola

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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

14.05.2014 23:28
#60 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #57
Das Anlagevermögen war nichts mehr wert.
Wenn es wirklich nichts wert war, warum hat man dann nicht einfach die Alteigentümer restituiert? All die >400 ha Höfe zurückgegeben, die 1945 enteigenet wurden? Natürlich war das alles noch etwas wert, und das wollte der Bund/die Treuhand für sich. Bei genügend Enteigneten, die bis 1961 in den Westen geflohen sind, war bis 1990 Kapital da, mit dem in vielen Betrieben ein Aufbau --ein richtiger Aufbau, nicht eine politisch administrierte ABM-- möglich gewesen wäre. Aber etwas zurückkaufen, was einem sowieso gehört und dann kein Geld mehr für die wirklich notwendigen Investitionen zu haben, darauf haben sich nicht viele eingelassen.

Zitat von Rayson im Beitrag #57
Das Problem, warum das alles nicht jedem klar ist, ist tatsächlich die Wiedervereinigung. Wäre es gelungen, die DDR als zwar demokratischen, jedoch selbständigen Staat zu erhalten, hätte der dann sofort sichtbare freie Wechselkurs jedem die tatsächlichen Wertverhältnisse klar angezeigt, und in der DDR wäre ein ähnlicher Anpassungsprozess abgelaufen wie in Polen, Tschechien oder Ungarn. Das ging politisch nicht, aber der Preis dafür waren nicht nur transferierte Billionen, sondern auch Nostalgie-Verklärungen.
Ja, genau so war das. Und es ist kein Wunder, daß aus diesem Prozeß eine Frau Merkel mit ihrem Atomausstieg hervorgegangen ist.

Zitat von Rayson im Beitrag #57
Aber das ist eine Luxusbetrachtung, der man sich auch in Ostdeutschland erst widmen kann, nachdem der Wohlstand massiv angehoben wurde.
Ich glaube, die Wohlstandsanhebung wäre schneller vonstatten gegangen, wenn man statt "Geschenken" richtiges Eigentum wieder ermöglicht hätte. Es ist ja nicht nur der psychologische Aspekt, daß Transfers zum Arbeiten zu träge machen. Es fehlt auch der keim für eine lokale wirtschaftliche Entwicklung. Im Westen haben wir etliche mittelständische Unternehmen, die Weltmarktführer in ihrer Nische sind, "hidden champions", die oft in ländlichen Regionen ihr Stammwerk haben. In den neuen Bundesländern fehlt das. Stattdessen hat man in Absprache mit den lokalen (Block)Parteibonzen Bahnsteige neu gepflastert und Straßen neu asphaltiert und sich dabei als großer Gönner und Geschenkeonkel gefühlt. Es ist aber keine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung für eine Region, nur von einmaligen Infrastrukturbaumaßnahmen leben zu wollen.

Llarian Offline



Beiträge: 7.126

15.05.2014 00:19
#61 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #46
Wenn man so argumentiert, dann hat natürlich nie irgendwer irgendjemanden besiegt.

Nein, und das steckt auch nicht in der Aussage. Da andere dazu schon einiges geschrieben haben, muss ich das nicht allzusehr zu vertiefen. Vielleicht hilft aber folgendes Bild: Wenn ich einem gesunden Boxer gegenüberstehe, dann habe ich einen ernst zu nehmenden Gegener, den ich besiegen kann. Wenn der selbe Boxer aber unter fortgeschrittener multipler Sklerose leidet, sich die Arme gebrochen hat und ausserdem blind ist, dann kann ich den zwar niederstrecken, aber so richtig besiegen eigentlich nicht. Er ist schon lange zum Opfer seiner Krankheit geworden. Die DDR lag 1989 am Boden, war wirtschaftlich am Boden, ideologisch am Ende, der große Bruder hatte keine Lust mehr und zehntausende sind abgehauen. Den Todesstoss haben die Montagsdemos bestimmt gegeben, aber besiegt war der Laden schon lange. Und gestorben ist er im Wesentlichen an sich selbst.

Zitat
Und Sie benutzen nichts anderes als die SED-Diktion nur mit anderen Vorzeichen, wenn Sie sagen, der "westliche Kapitalismus" habe den gescheiterten Sozialismus besiegt.


Die Diktion juckt mich nicht, im Unterschied zur Sichtweise der SED stimmt die Aussage. Der Sozialismus ist gescheitert. Und er ist noch deutlicher gescheitert, weil es den Kapitalismus nebenan gab.

Zitat
Oder meinen Sie, die Waffen von Polizei und Militär funktionieren nur, wenn in den Betrieben die Bilanzen noch stimmen?


Ich meine, dass sie wesentlich besser funktionieren, wenn die Bilanzen gesund sind und Polizei und Militär gut bezahlt sind.

Zitat
Die Beute war das Anlagevermögen. Und zwar nicht das Anlagevermögen der DDR sondern das der Alteigentümer. Sie haben Recht, daß durch die Mißwirtschaft in der DDR davon massive Nettoabschreibungen hinzunehmen waren.


Das Anlagevermögen der DDR war 1989 nahezu wertlos, aufgrund der Altlasten müsste man eher von negativem Wert ausgehen. Und, das ist der Witz dabei, das war zur Zeit der großen Enteignungen gar nicht so viel anders, was auch absolut naheliegend ist, wenn man bedenkt, dass wir über die direkte Nachkriegszeit reden. Was im Wesentlichen enteignet werden konnte war Grund und Boden. Der braucht aber keine Erhaltungsinvestition und ist auch für sich betrachtet auch erstmal noch nicht produktiv. Ob diese Landflächen so viel wert waren und sind, ich habe meine Zweifel, jedenfalls stehen sie in keinem irgendwie sinnvollen Verhältnis zu den Kosten der Einheit. Ich stimme zu, dass es Sinn gemacht hätte, diese Grundstücke zurückzugeben, aber eine irgendwie sinnvolle Beute kriegt man daraus nicht konstruiert.

Zitat
Und damit sehen wir jetzt auch, was der Grund für die Mißwirtschaft war: Die Enteignungen und die Außerkraftsetzung wirtschaftlicher Prinzipien.


Letzteres nennt man Sozialismus. Und genau das ist der Punkt. Die Enteignungen haben damit allerdings wenig zu tun. Dem Kapital ist am Ende herzliche egal wem es gehört, so lange es produktiv eingesetzt ist. Das Problem ist der produktive Einsatz, was eben im Sozialismus nicht möglich ist.

Zitat
Das ist kein Aufbau einer selbsttragenden Wirtschaft. Eine selbsttragende Wirtschaft gibt es nur, wenn es ansässige Eigentümer gibt. Aber die wollte man ja nicht, obwohl 1990 viele Enteignete bereitstanden. Die sind bis 1961 in den Westen gegangen sind und haben dort ein bescheidenes Kapital erwirtschaften können. Das hätte für Modernisierungsinvestitionen gereicht. Mit der alten Expertise und der Loyalität zum Land hätten diese Menschen einen Anfang für eine selbsttragende Marktwirtschaft bilden können.


Nein, hätten sie nicht. Weil sie dafür viel zu wenig sind mit viel zu wenig Interesse. Glauben Sie ernsthaft, dass jemand, der im Westen eine Existenz aufgebaut hat, in den Osten geht, um auf dem Grundstück seiner Eltern eine marode Kleinfabrik zu sanieren ? Man muss hier zwei Dinge unterscheiden: Das Unrecht der Enteignung auf der einen Seite. Und die wirtschaftliche Wirkung der Rückgaben auf der anderen Seite. Ersteres ist eine Frage des Rechtsstaates (und da hat die BRD 1990 großflächig versagt). Das andere ist eine Frage von wirtschaftlicher Bedeutung, und da sind die Enteignungen und Rückgaben herzlich unwichtig. Die Flächen, Anlagen und Fabriken standen ja seit 1990 zum Verkauf. Wenn etwas wirklich wirtschaftlich attraktiv ist, dann wird es auch gekauft. Ist aber vielfach nicht passiert, was eben damit zusammenhängt, dass es wertlos war. Daran hätte auch eine Rückgabe nichts geändert.

Zitat
Verstehen Sie: Man hat die Enteignungen nicht rückgängig gemacht, damit die törichten Kreditgeber, die die DDR viel zu lange über Wasser gehalten haben, ihre Forderungen nicht abschreiben mußten. Diese Forderungen wollte man aus dem Eigentum der sozialistisch Enteigneten begleichen. Hat nicht geklappt, weil das Eigentum von der Streuhand nicht teuer genug verkauft werden konnte (warum auch immer).


Das warum auch immer ist ganz simpel: Weils nix wert war. Weil es sogar negativen Wert gehabt hat. Die Treuhand musste für die Gehälter der Firmen jahrelang aufkommen und das waren Firmen die nahezu alle extrem defizitär gewesen sind. Daran hätte auch eine Rückgabe an etwaige Alteigentümer (die ja bei DDR gegründeten Betrieben auch nicht existiert haben) wenig geändert.

Zitat
Die DDR war im ganzen RGW pro Kopf am wirtschaftsstärksten, aber dank der tollen Westtransferpolitik ist dieser Vorsprung dahingeschmolzen.


Soso. Bruttosozialprodukt war 1989 ungefähr ein Drittel Viertel vom Westniveau. Ein Drittel. Und heute ?

Zitat
Sie wissen, daß Lebensqualität keine metrische Größe ist, oder?


Und Sie wissen, dass man auch Dinge in Relation setzen kann, ohne eine exakte Metrik zu definieren ? Wenn ich sage mir geht es heute doppelt so gut wie gestern ist auch jedem klar, was ich meine. Auch wenn die Wohlfühlmetrik nicht offiziell definiert ist.

Aber was jetzt irgendwie untergegangen ist: Wer hat die DDR Bürger ausgebeutet ? Ich meine vor 1989. Und seitdem ? Die Fragen sind jetzt irgendwie offen geblieben.

Llarian Offline



Beiträge: 7.126

15.05.2014 00:29
#62 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #59
... und mich beschämt es, wenn Du Dich zu Dank genötigt fühlen solltest. Dafür gibt es keinen Grund. Du bist in Umstände hineingeboren worden, die weder zum aussuchen waren, noch zum selbstbestimmen.

Jeder von uns wird in seine Lebensumstände hineingeboren. Das sollte nicht dazu führen, dass man nicht dankbar dafür ist, wenn einem andere helfen. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, für das, was sie für mich alles getan haben. Auch wenn ich da hineingeboren worden bin. Ich bin auch für das dankbar, was dieser Staat in meiner Jugend für mich getan hat. Auch wenn ich hier geboren bin. Und ich bin der evangelischen Kirche bis heute so dankbar, dass ich immer noch brav Kirchensteuer bezahle (und nicht zu knapp), weil sie die zwei Male, wo ich sie gebraucht habe, für mich da war. Auch wenn ich in die Kirche hineingeboren wurde. Ich bin auch den Amerikanern sehr dankbar, dass sie die Franzosen nicht in ihrem Morgentau-Plänen unterstützt haben. Auch wenn Ihnen das selber genutzt hat. Dankbarkeit ist angebracht, wo einem jemand anders hilft. Insbesondere wenn der das nicht muss.

Es kann keiner was dafür ob er im Westen oder Osten geboren worden ist. Aber das der Westen sich 1989 entschlossen hat den Osten aufzubauen, das ist etwas, was Dankbarkeit und Anerkennung verdient. Deswegen muss keiner auf Knien rumrutschen. Aber wenn ich morgen früh in meinem Haus verschüttet werde (wofür ich sicher genauso wenig was kann wie fürs Geboren werden), dann werde ich demjenigen, der mich aus der Grube zieht auch dankbar sein.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

15.05.2014 12:35
#63 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Vielleicht hilft aber folgendes Bild: Wenn ich einem gesunden Boxer gegenüberstehe, dann habe ich einen ernst zu nehmenden Gegener, den ich besiegen kann. Wenn der selbe Boxer aber unter fortgeschrittener multipler Sklerose leidet, sich die Arme gebrochen hat und ausserdem blind ist, dann kann ich den zwar niederstrecken, aber so richtig besiegen eigentlich nicht.
Das Bild hilft mir.
Wenn Sie nämlich die Gegebenheit seiner Schwäche nicht ausnutzen, sondern trotzdem verängstigt aufgeben, werden sie auch nicht siegen. Gewiß, der Sieg ist glänzender, wenn der Gegner stark ist, aber der verpaßte Sieg um so schmählicher, wenn er schwach war. Deswegen ist so oder so wichtig, ob man gesiegt oder versagt hat. Das sage ich über die Deutschen in der DDR, die ihrem Regime gegenüberstanden. Es gibt nämlich auch Beispiele in der Geschichte, wo das Regime sogar noch schwächer war, und das Volk sich dessen trotzdem nicht entledigt hat. Das war dann eine schmähliche Niederlage. Z.B. 1945.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Die Diktion juckt mich nicht, im Unterschied zur Sichtweise der SED stimmt die Aussage. Der Sozialismus ist gescheitert.
Nein, die Sozialisten sind gescheitert. Bei Ihnen handeln Abstrakta ohne Willen, allenfalls mit einer eigenen Dialektik, bei mir handeln Menschen. Das ist ein großer Unterschied im Menschenbild. Sie argumentieren mit dem Menschenbild des Sozialismus.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Ich meine, dass sie wesentlich besser funktionieren, wenn die Bilanzen gesund sind und Polizei und Militär gut bezahlt sind.
Polizei und Militär ist immer das allerletzte, was unterfinanziert wird, weil es das einzige ist, was auch in sozialistischen Staaten von genau denen verwaltet wird, die ein Interesse an seinem Funktionieren haben. Militärisch hätte der Warschauer Pakt noch Jahrzehnte weitermachen können. Man sieht ja auch jetzt an der Ukraine, daß die NATO dem Erben der SU nichts entgegensetzen kann.
Mir tut es ja leid, daß ich mit so harten Fakten den weichen Schnuller eines abstrakten Auf-der-Siegerseite-Stehens wegnehme, aber es ist einfach die historische Tatsache.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Ob diese Landflächen so viel wert waren und sind, ich habe meine Zweifel, jedenfalls stehen sie in keinem irgendwie sinnvollen Verhältnis zu den Kosten der Einheit.
Die Kosten der Einheit waren zum einen die Schulden bei den Kreditgebern aus dem Westen und zum anderen die Transfers, man nötig gemacht hat, weil Kohl genau wie die Sozialisten zuvor den Menschen nicht sagen wollte, daß man nur Geld zum Kaufen haben kann, wenn man etwas nützliches zum Verkaufen hat.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Ob diese Landflächen so viel wert waren und sind, ich habe meine Zweifel,
Da ist vor allem die Magdeburger Börde. Der Lößboden dort gilt in der Agrarwissenschaft traditionell als Referenz für höchste Fruchtbarkeit, d.h. alles andere in Deutschland ist z.T. deutlich schlechter. Auf dem DDR-Gebiet richtig schlecht sind nur die brandenburger Böden. Der Rest ist konkurrenzfähig zu dem im Westen. Vor allem, wenn Sie schauen, wo in Deutschland die Milchviehhaltung ihre Zentren hat (nämlich im Westen): Mit Weidewirtschaft nutzt man Böden, die für Ackerbau unrentabel wären, und auch dies ist im Westen nur durch die hohen Agrarsubventionen der EG möglich gewesen.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Letzteres nennt man Sozialismus. Und genau das ist der Punkt. Die Enteignungen haben damit allerdings wenig zu tun. Dem Kapital ist am Ende herzliche egal wem es gehört, so lange es produktiv eingesetzt ist.
Sagt die Modellökonomik. Ich habe schon geschrieben, warum das nicht so ist, suchen Sie bitte den Begriff "home bias". Es sind diese Dinge, die man schwer quantifizieren kann, die aber doch ihren wirtschaftlichen Niederschlag haben.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Glauben Sie ernsthaft, dass jemand, der im Westen eine Existenz aufgebaut hat, in den Osten geht, um auf dem Grundstück seiner Eltern eine marode Kleinfabrik zu sanieren ?
Klar, ich kann auch Namen nennen. Aber die kennt ohnehin keiner, haben sich ja auch nicht durchgesetzt.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Wenn etwas wirklich wirtschaftlich attraktiv ist, dann wird es auch gekauft. Ist aber vielfach nicht passiert, was eben damit zusammenhängt, dass es wertlos war. Daran hätte auch eine Rückgabe nichts geändert.
Na doch. Eine Modernisierung allein kostet weniger als Kauf+Modernisierung. Außerdem würde man nicht etwas kaufen, solange noch gewisse Hoffnungen bestehen, das Eigentum anders zu erwerben. Diese Hoffnungen haben sich erst ziemlich spät zerschlagen, ich glaube, da war Schröder schon Bundekanzler.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
die ja bei DDR gegründeten Betrieben auch nicht existiert haben
Diese Betriebe haben ihr Kapital meistens auch nur durch Umnutzung von enteignetem Kapital erworben. Woher hätte die DDR es sonst nehmen können? Sie sagen ja selber daß die DDR kein Geld verdient hat.

Zitat von Llarian im Beitrag #61

Zitat
Die DDR war im ganzen RGW pro Kopf am wirtschaftsstärksten, aber dank der tollen Westtransferpolitik ist dieser Vorsprung dahingeschmolzen.

Soso. Bruttosozialprodukt war 1989 ungefähr ein Drittel Viertel vom Westniveau. Ein Drittel. Und heute ?

Was hat das damit zu tun? RGW steht für "Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe", es war sozusagen der wirtschaftliche Zusammenschluß der sozialistischen Länder. Ich vergleiche also die DDR mit den anderen sozialistischen Ländern, die keinen "Aufbau Ost" bekommen haben: Früher war die DDR deutlich besser, jetzt nur noch etwa gleich gut. Damit stütze ich die Aussage von R.A., daß mit "kaltem Entzug" ohne das Methadonprogramm "Aufbau Ost" der Weg zur wirtschaftlichen Selbständigkeit schneller gegangen wäre. Freilich hätten die Kreditgeber an die DDR ebenfalls ihren Schuldenschnitt hinnehmen müssen. Das hätte auch eine Botschaft bedeutet, die der Euroschuldenkrise vorgebeugt hätte.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Und Sie wissen, dass man auch Dinge in Relation setzen kann, ohne eine exakte Metrik zu definieren ?
Nein, kann man nicht. Das ist zwar rhetorisch toll, weil Zahlengeklingel so objektiv und wissenschaftlich aussieht, aber letztendlich ist es unredlich. Sie haben dadurch nämlich unterschlagen, daß es auch für die Lebensqualität nicht egal ist, wem das Vermögen gehört.

Rayson Offline




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15.05.2014 20:43
#64 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #60
Wenn es wirklich nichts wert war, warum hat man dann nicht einfach die Alteigentümer restituiert?
Es war "stand-alone" nichts wert. Grund und Boden, ein Markenname und vielleicht noch andere Faktoren konnten aber als Teil eines Portfolios eines bestehenden West-Unternehmens neuen Wert entfalten. Den versuchte die Treuhand eben abzuschöpfen.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Llarian Offline



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15.05.2014 23:46
#65 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #63
Wenn Sie nämlich die Gegebenheit seiner Schwäche nicht ausnutzen, sondern trotzdem verängstigt aufgeben, werden sie auch nicht siegen.

Korrekt. Nur darum geht es nicht wirklich: Der Mut der Demonstranten war sicher beachtlich. Nur ist es eben eine Legende zu glauben daran wäre die DDR gescheitert oder das System besiegt worden.
Zitat von Llarian im Beitrag #61
Nein, die Sozialisten sind gescheitert. Bei Ihnen handeln Abstrakta ohne Willen, allenfalls mit einer eigenen Dialektik, bei mir handeln Menschen.

Die Argumentation ist am Thema vorbei: Es ist trivial das nur Menschen handeln können und nicht abstrakte Begriffe. Was nichts daran ändert, dass es die Ideen sind, die scheitern. Der von Ihnen postulierte Unterschied ist rein dialektischer Natur und in der Realität nicht vorhanden. Es sind immer Menschen die etwas tun. Und Menschen mit einer sehr dummen Idee scheitern aufgrund dessen und damit scheitert auch die Idee.

Zitat
Sie argumentieren mit dem Menschenbild des Sozialismus.


Das ist absurd, ich argumentiere mit gar keinem Menschenbild.

Zitat
Man sieht ja auch jetzt an der Ukraine, daß die NATO dem Erben der SU nichts entgegensetzen kann.
Mir tut es ja leid, daß ich mit so harten Fakten den weichen Schnuller eines abstrakten Auf-der-Siegerseite-Stehens wegnehme, aber es ist einfach die historische Tatsache.


Der Kasus macht eher Lachen als Schmerzen (wenn das dahinterliegende Thema nicht so traurig wäre): Da ist nicht ein harter Fakt drin. Der einzige Grund, warum die NATO der SU nix wirklich entgegensetzt ist, dass sie davon nix hat. Was will die NATO von der Ukraine ? Nix. Ich finde eher das umgekehrte interessant: Da macht der Westen ein paar lächerliche Sanktiönchen und die russische Wirtschaft kriegt Probleme.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Die Kosten der Einheit waren zum einen die Schulden bei den Kreditgebern aus dem Westen und zum anderen die Transfers, man nötig gemacht hat, weil Kohl genau wie die Sozialisten zuvor den Menschen nicht sagen wollte, daß man nur Geld zum Kaufen haben kann, wenn man etwas nützliches zum Verkaufen hat.

Die Schulden der Kreditgeber waren und sind im Vergleich zum Osttransfer seit 1990 lächerlich und nichtmal in einer sinnvoll zu vergleichenden Größenordnung, sprich, das war Portokasse. Die wesentlichen Kosten leiten sich daraus her, dass die DDR eine vernünftige Infrastruktur benötigte, das hat nix mit Helmut Kohl zu tun. Er hat die Kosten der Einheit weit unterschätzt, aber er kann nichts für die Misswirtschaft der letzten 40 Jahre DDR. Und es hat auch nix damit zu tun, was er den Leuten gesagt hat, die Kosten leiten sich zu allererst aus der Situation 1990 her.
Zitat von Llarian im Beitrag #61
Sagt die Modellökonomik. Ich habe schon geschrieben, warum das nicht so ist, suchen Sie bitte den Begriff "home bias".

Um einen Home Bias zu haben, müssten die betreffenden Personen überhaupt erst einmal einen Bezug zu dieser vorgeblichen Heimat haben, was man nach 30+ Jahren wohl getrost vergessen kann. Im Gegenteil, man müsste hier sogar eine Schädlichkeit der Rückgabe annehmen, da der Betrieb ja auch von einer Person aus dem Osten selbst gekauft werden könnte, die sicher eine stärkere Heimatverbundenheit an den Tag legen würde als jemand, der die DDR vor Jahrzehnten verlassen hat.
Zitat von Llarian im Beitrag #61
Na doch. Eine Modernisierung allein kostet weniger als Kauf+Modernisierung.

Klar, aber der Vergleich ist unstimmig. Für denjenigen, der eine solche marode Fabrik kaufen muss, liegen die Kosten für die Gesamtinvestition bei Kauf+Modernisierung, da sind wir ja einig. Für denjenigen, der diesen Kauf nicht leisten muss (weil das Eigentum zurückgegeben wurde), sind die Kosten aber eben nicht nur die Modernisierung, sondern die Opportunitätskosten für den Besitz zuzüglich der Modernisierung. Und diese Opportunitätskosten sind genau das Geld, dass er erhalten würde, wenn er den Besitz verkaufen würde. Und als Summe bleibt dann exakt das selbe übrig, oder anders gesagt: Die Frage ob es Sinn macht einen Betrieb zu kaufen und zu modernisieren ist genau die selbe wie die Frage ob man einen eigenen Betrieb nicht verkauft und modernisiert. Und das führt auch zu exakt dem selben Ergebnis. Und entsprechend kann man ebenso simpel folgern: Wenn ein Betrieb geschlossen wird, weil sich kein Käufer findet, der einen solchen kauft und modernisiert, dann würde es für einen Besitzer auch keinen Sinn machen diesen Betrieb aufzuhalten. Und entsprechend hätte eine Rückgabe des Eigentums zwar das Unrecht der DDR ein Stück verkleinert, aber an der wirtschaftlichen Lage genau null geändert.
(Aus genau diesen Überlegungen heraus ist es eben, wie vorher ausgeführt, egal wem das Kapital am Ende gehört, so lange es produktiv eingesetzt wird. )
Zitat von Llarian im Beitrag #61
Ich vergleiche also die DDR mit den anderen sozialistischen Ländern, die keinen "Aufbau Ost" bekommen haben: Früher war die DDR deutlich besser, jetzt nur noch etwa gleich gut.

Dann gehen Sie davon aus, dass das Pro-Kopf-Einkommen (oder meinetwegen auch BIP pro Person) in den neuen Ländern heute bei ungefähr dem selben liegt wie im Schnitt des ehemaligen Ostblocks ? Habe ich das richtig verstanden ?

Zitat
Das ist zwar rhetorisch toll, weil Zahlengeklingel so objektiv und wissenschaftlich aussieht, aber letztendlich ist es unredlich. Sie haben dadurch nämlich unterschlagen, daß es auch für die Lebensqualität nicht egal ist, wem das Vermögen gehört.


Vokabeln wie unterschlagen sind (TM Mutti) "wenig hilfreich", denn auch diese Argumentation kann ich nicht nachvollziehen: Zum Zeitpunkt der DDR hat (fast) keinem DDR Bürger mehr gehört als heute. Im Gegenteil, heute besitzt der durchschnittliche Bewohner der neuen Länder ein vielfaches an materiellen Dingen. Was soll ich denn da unterschlagen haben ?

Und da Sie die Frage jetzt das zweite Mal ignoriert haben, gehe ich davon aus, dass Sie selbst nicht so genau wissen, wer jetzt eigentlich die DDR Bürger bis 1989 ausgebeutet hat und wer sie heute ausbeuten soll. Schade.

Frank2000 Offline




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16.05.2014 00:48
#66 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Diese ganzen Ideen von der "Ausbeutung der DDR-Bürger" sind so fern der Realität, das ich nicht wei0, wo ich anfangen soll. Vielleicht hilft ein Blick in die Praxis. Meine Großeltern sind ´54 über die damals noch grüne Grenze geflohen und haben ihren Bauernhof zurückgelassen. Nach dem Rechtsverständnis der DDR wurde das Eigentum von "Republikflüchtlingen" Staatseigentum. Nach der Wiedervereinigung haben deren Kinder (darunter auch meine Eltern) über einen Rückerstattungsantrag nachgedacht.

- Der eigentliche Hof existierte aber nicht mehr; war abgerissen worden und durch ein Gebäude in Staatsbesitz ersetzt worden. An diesem neuen Gebäude hat unsere Familie kein Eigentum und für das alte Gebäude gibt es auch keine Entschädigung. Die gesetzliche Lage war ja, dass vorhandenes Eigentum rückgegeben wird, nicht, dass Unrecht der DDR entschädigt wird. Da nach deutschem Recht aber Gebäude und Boden regelmäßig einen gemeinsamen Besitzer haben müssen, hätten wir das Gebäude sgar noch KAUFEN müssen, um den Boden zurückzubekommen. Hätte sich nicht gelohnt - statt dessen haben wir den Boden für Appel und Ei VERKAUFT
- Die Felder und Wälder waren in einem erbarmungswürdigen Zustand. So hätte man weder Landwirtschaft noch Holzwirtschaft betreiben können. Im Gegenteil: die Gesetze schreiben vor, dass sowohl landwirtschaftliche Fläche als auch holzwirtschaftliche Fläche einen gewissen Bewirtschaftgungsgrad haben müssen; die dürfen nicht einfach verwildern. Wir hätten also Geld reinstecken müssen - das hätte sich im Erzgebirge nicht gelohnt. Also auch hier: Rückerstattung teilweise ausschlagen, teilweise für ein Appel und Ei verkaufen.

Ich glaube, werter Emulgator, sie machen sich einfach keine Vorstellung, in welch desaströsem Zustand die DDR ihre Produktivgüter hinterlassen hat. Das war alles SCHROTT - samt und sonders. Am liebsten abfackeln, aber selbst das ging aus Umweltschutzgründen nicht. Das ganze DDDR-Zeug war nicht nur nichts wert, sondern auch noch eine Kostenfalle, weil das ganze Land, alle Fabriken und was sonst noch so existierte, flächendeckend verseucht war. Der "menschenfreundliche und friedliebende Sozialismus" hat das Land so gründlich verseucht, dass Seen abgesperrt wurden, weil die eingeleiteten Chemikalien das Wasser in Giftbrühe verwandelten. Radioaktive Materialien wurden unter offenem Himmel auf Halde gekippt.

Es hätte nur exakt EINE Möglichkeit gegeben, diese Produktivgüter weiterzubetreiben: die Umwelt-, Arbeitsschutz- und Gesundheitsvorschriften so weit abzusenken, dass ein komparativer Kostenvorteil entstanden wäre. Und DAS Geschrei hätte ich mal hören wollen: "Arbeiter in den neuen Bundesländer werden vergiftet - westdeutsche Politiker sehen tatenlos zu".

adder Offline




Beiträge: 1.073

16.05.2014 07:08
#67 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #66
Ich glaube, werter Emulgator, sie machen sich einfach keine Vorstellung, in welch desaströsem Zustand die DDR ihre Produktivgüter hinterlassen hat. Das war alles SCHROTT - samt und sonders. Am liebsten abfackeln, aber selbst das ging aus Umweltschutzgründen nicht. Das ganze DDDR-Zeug war nicht nur nichts wert, sondern auch noch eine Kostenfalle, weil das ganze Land, alle Fabriken und was sonst noch so existierte, flächendeckend verseucht war. Der "menschenfreundliche und friedliebende Sozialismus" hat das Land so gründlich verseucht, dass Seen abgesperrt wurden, weil die eingeleiteten Chemikalien das Wasser in Giftbrühe verwandelten. Radioaktive Materialien wurden unter offenem Himmel auf Halde gekippt.

Es hätte nur exakt EINE Möglichkeit gegeben, diese Produktivgüter weiterzubetreiben: die Umwelt-, Arbeitsschutz- und Gesundheitsvorschriften so weit abzusenken, dass ein komparativer Kostenvorteil entstanden wäre. Und DAS Geschrei hätte ich mal hören wollen: "Arbeiter in den neuen Bundesländer werden vergiftet - westdeutsche Politiker sehen tatenlos zu".


Ich bin 1995 zum Studium "rüber" und nach dem Abschluss habe ich in einem tatsächlichen Vorzeigebetrieb (der Pharmaindustrie) angefangen. Dieser ehemalige Volkseigene Betrieb war von der Treuhand an einen westdeutschen Mittelständler verkauft worden, der massiv investiert hat, aber auch Tausende Mitarbeiter entlassen musste - ganz einfach weil die ansonsten nur rumgesessen hätten - man macht sich keine Vorstellung davon, welch' sinnlose Jobs da teilweise mit dutzenden Mitarbeitern besetzt waren! Es gab sogar eine Gewerkschaftsbibliothek, in der Bücher zur geistigen Erbauung und natürlich Sozialismuslehre standen - und in der die Mitarbeiter ihr Mittagsschläfchen abhielten. Needless to say, aber der Mittelständler war eine ganze Weile lang bei Teilen der Belegschaft verhaßt. Auch weil er die ehemals auf dem Gelände stattfindende Produktion von Arzneimitteln an einen 30 km entfernten, nicht mit Chemikalien verseuchten Standort verlagert hatte, und westdeutsche Geschäftsführer und Controller installierte. Das (die Unbeliebtheit) änderte sich erst, als der Mittelständler (ein Pharmagroßhandel) die Mehrheit der Gesellschaftsanteile an einen Berliner Pharmakonzern verkaufte, der nochmal Entlassungen durchführte, da die Produktivität natürlich noch gesteigert werden konnte und ein Teil des Produktportfolios nicht passte und verkauft wurde - da wurde der Mittelständler nicht mehr beschimpft, sondern der große Konzern, der "einen dichtmachen wollte". Übrigens gibt es die Firma immer noch - sie ist nur mittlerweile komplett in den Konzern integriert worden (was nicht ohne Reibereien und Entlassungen vonstandeging - vieles von den Problemen hätte aber durch mehr Kooperation bei der Integration verhindert werden können, aber das Gefühl der 'Ausbeutung' bzw. die Angst vor dem Verlust der Eigenständigkeit und damit der Macht der Abteilungsleiter war eben stärker).
Aber ich schweife ab: die Verseuchung des ursprünglichen Standortes (der immer noch als Verwaltungsgebäude dient) war so schlimm, dass sogar noch gegen Ende meiner Zeit dort in 2011 eine Luftqualitätsüberwachung des Bodens durchgeführt werden musste. Die Bilder, die ich von DDR-Zeiten gesehen habe, waren grausig. Dass dort Arzneimittel produziert wurden, ist eine absolut schreckliche Vorstellung - vor allem, da auch "sterile" Injektionslösungen darunter waren. Die Qualität der Mitarbeiter war durchwachsen - es waren sehr viele gut geeignete und leistungswillige Mitarbeiter vorhanden, aber auch ein gefühlt sehr hoher Anteil von faulen und unfähigen Mitarbeitern - die auch leider sehr tonangebend waren. Das Alter der Mitarbeiter war nach den Massenentlassungen (die ja alle sozialverträglich durchgeführt werden mussten) leider auch sehr hoch, mit allen bekannten Problemen.

Nola Offline



Beiträge: 1.719

16.05.2014 11:08
#68 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von adder im Beitrag #67
Zitat von Frank2000 im Beitrag #66
Ich glaube, werter Emulgator, sie machen sich einfach keine Vorstellung, in welch desaströsem Zustand die DDR ihre Produktivgüter hinterlassen hat. Das war alles SCHROTT - samt und sonders. Am liebsten abfackeln, aber selbst das ging aus Umweltschutzgründen nicht. Das ganze DDDR-Zeug war nicht nur nichts wert, sondern auch noch eine Kostenfalle, weil das ganze Land, alle Fabriken und was sonst noch so existierte, flächendeckend verseucht war. Der "menschenfreundliche und friedliebende Sozialismus" hat das Land so gründlich verseucht, dass Seen abgesperrt wurden, weil die eingeleiteten Chemikalien das Wasser in Giftbrühe verwandelten. Radioaktive Materialien wurden unter offenem Himmel auf Halde gekippt.

Es hätte nur exakt EINE Möglichkeit gegeben, diese Produktivgüter weiterzubetreiben: die Umwelt-, Arbeitsschutz- und Gesundheitsvorschriften so weit abzusenken, dass ein komparativer Kostenvorteil entstanden wäre. Und DAS Geschrei hätte ich mal hören wollen: "Arbeiter in den neuen Bundesländer werden vergiftet - westdeutsche Politiker sehen tatenlos zu".


Ich bin 1995 zum Studium "rüber" und nach dem Abschluss habe ich in einem tatsächlichen Vorzeigebetrieb (der Pharmaindustrie) angefangen. Dieser ehemalige Volkseigene Betrieb war von der Treuhand an einen westdeutschen Mittelständler verkauft worden, der massiv investiert hat, aber auch Tausende Mitarbeiter entlassen musste - ganz einfach weil die ansonsten nur rumgesessen hätten - man macht sich keine Vorstellung davon, welch' sinnlose Jobs da teilweise mit dutzenden Mitarbeitern besetzt waren! Es gab sogar eine Gewerkschaftsbibliothek, in der Bücher zur geistigen Erbauung und natürlich Sozialismuslehre standen - und in der die Mitarbeiter ihr Mittagsschläfchen abhielten. Needless to say, aber der Mittelständler war eine ganze Weile lang bei Teilen der Belegschaft verhaßt. Auch weil er die ehemals auf dem Gelände stattfindende Produktion von Arzneimitteln an einen 30 km entfernten, nicht mit Chemikalien verseuchten Standort verlagert hatte, und westdeutsche Geschäftsführer und Controller installierte. Das (die Unbeliebtheit) änderte sich erst, als der Mittelständler (ein Pharmagroßhandel) die Mehrheit der Gesellschaftsanteile an einen Berliner Pharmakonzern verkaufte, der nochmal Entlassungen durchführte, da die Produktivität natürlich noch gesteigert werden konnte und ein Teil des Produktportfolios nicht passte und verkauft wurde - da wurde der Mittelständler nicht mehr beschimpft, sondern der große Konzern, der "einen dichtmachen wollte". Übrigens gibt es die Firma immer noch - sie ist nur mittlerweile komplett in den Konzern integriert worden (was nicht ohne Reibereien und Entlassungen vonstandeging - vieles von den Problemen hätte aber durch mehr Kooperation bei der Integration verhindert werden können, aber das Gefühl der 'Ausbeutung' bzw. die Angst vor dem Verlust der Eigenständigkeit und damit der Macht der Abteilungsleiter war eben stärker).
Aber ich schweife ab: die Verseuchung des ursprünglichen Standortes (der immer noch als Verwaltungsgebäude dient) war so schlimm, dass sogar noch gegen Ende meiner Zeit dort in 2011 eine Luftqualitätsüberwachung des Bodens durchgeführt werden musste. Die Bilder, die ich von DDR-Zeiten gesehen habe, waren grausig. Dass dort Arzneimittel produziert wurden, ist eine absolut schreckliche Vorstellung - vor allem, da auch "sterile" Injektionslösungen darunter waren. Die Qualität der Mitarbeiter war durchwachsen - es waren sehr viele gut geeignete und leistungswillige Mitarbeiter vorhanden, aber auch ein gefühlt sehr hoher Anteil von faulen und unfähigen Mitarbeitern - die auch leider sehr tonangebend waren. Das Alter der Mitarbeiter war nach den Massenentlassungen (die ja alle sozialverträglich durchgeführt werden mussten) leider auch sehr hoch, mit allen bekannten Problemen.



Vielen Dank an Adder und Frank, für diese Ausführlichkeit. Ich denke das an diesen Beispielen der eigentliche Zustand sehr gut beschrieben ist. Man kann theoretisch anhand von Fakten, die man vermeintlich hat, diskutieren und das große Ganze erklären, aber am Beispiel von tatsächlichen Begebenheiten "Zeitzeugen" stellt sich heraus, das eben nicht alle Fakten immer so sind wie sie scheinen.

Ein Beispiel wie heruntergekommen die Immobilien waren, (unerheblich ob wegen Mangel an Arbeitsmaterial, Unlust oder andere Gründe) hatte ich mit der Benennung einer von vielen Straßen weiter oben gegeben. So oder ähnlich habe ich mehrere Straßenzüge gesehen. Nicht irgendwo in der Pampa sondern in den Innenstädten.

Jahre später habe ich die wirklich wunderbar renovierten Häuser in der Innenstadt Dresdens und Leipzig bewundert. Und zwar deshalb, weil in ganzen Straßenzügen die zum Teil sehr alten Häuser-Fassaden wieder aufs allerfeinste restauriert wurden. Ich erinnere mich, daß in meiner Jugend "im Westen" solche Häuser entweder abgerissen oder bewohnfähig wieder aufbereitet wurden, keinesfalls aber war Geld für edle Restauration da. Denkmalmalschutz mußte der Not weichen. Noch 10 Jahre nach dem Krieg haben meine Eltern (weil ausgebomt) bis 1956 mit zwei Kindern im 4.Stockwerk eines Altbaus gewohnt, mit Toiletten im Keller und zwei Zimmern (Küche und Schlafzimmer). Diese Zwei Zimmer waren Teil einer großen Altbauwohnung, deren Mieter die Zimmer an weitere Familien abgeben mußte. Es gab dramatischen Wohnungsnotstand. Als ich zur Schule kam, bezogen wir dann einen Neubau mit einem eigenen Bad in der Wohnung.

Soviel nur zum goldenen Westen, der es erst durch viel Fleiß unserer Eltern und durch viele Entbehrungen geschafft hat, einen eigentlich bescheidenen Wohlstand zu erarbeiten (was die Kriegsgeneration unserer Eltern eben damals so als Wohlstand definierten, eigene Wohnung Arbeit, Essen, Kleidung. Nicht vergleichbar mit Luxus von heute, das ging erst ab ca. 1975 los. Vielleicht hätten unsere Eltern auch mehr jammern sollen, das Schicksal beklagen, die Kinder an der Vergangenheit teilhaben lassen, vielleicht hätten dann auch die 68ziger ihre verbretterte Weltanschauung nicht so rigoros vorangetrieben.Heute wissen wir, daß zum größten Teil die ehemalige DDR einen Anteil an diesem Auswuchs der Ideologien hatte und sehr gezielt die Studenten unterwanderte.

Da schließt sich der Kreis, denn wieder sind es linke kommunistische Ideen, die unsere Demokratie aushöhlen und ideologisch zerstörend Einfluß nehmen, der noch in vielen Jahren Ergebnisse zeigen wird, die nicht korrigiert werden können. Und wieder hat der normale Bürger mit Berufsleben, Arbeitssuche, Familie versorgen zu tun, statt sich eingehend um seine Kinder zu kümmern, daß diese nicht den falschen Propheten hinterherlaufen. Geschichte wiederholt sich, doch die Regeneration wird wohl diesmal etwas länger dauern.



Aber ich schweife auch ab und komme wieder zum Anlagevermögen der DDR * und gebe zurück ans Funkhaus.

edit * eingefügt.

♥lich Nola

---------------------------

Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

17.05.2014 12:16
#69 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Es sind immer Menschen die etwas tun. Und Menschen mit einer sehr dummen Idee scheitern aufgrund dessen und damit scheitert auch die Idee.
So, jetzt kommen wir wieder zurück zum Thema. Es waren also die Menschen mit der dummen Idee, die gescheitert sind. Diese Menschen waren fraglos die sturen Parteigänger. Nicht gescheitert sind die Menschen in der DDR, die von Sozialismus und Einparteiensystem nichts hielten. Und da hätte man besser anknüpfen müssen, daß die Menschen ihrer Entscheidung treu bleiben und nicht in Nostalgie verfallen.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Was will die NATO von der Ukraine ? Nix.
Im Prinzip ja. Aber früher hat man die Ukraine als Mitglied umworben, bevor Putin die Grenzsteine der Ukraine versetzen ließ. Jetzt will die NATO tatsächlich nichts mehr von der Ukraine, weil es ihr zu heiß geworden ist.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Ich finde eher das umgekehrte interessant: Da macht der Westen ein paar lächerliche Sanktiönchen und die russische Wirtschaft kriegt Probleme.
Ja, ungefähr die Probleme, die auch die RGW-Staaten hatten. Und die viele andere hatten, die doch siegreich blieben:

Zitat von Machiavelli, 'Discorsi'

Dieses Wort ["Geld ist der Nerv des Krieges"] wird jeden Tag von Fürsten, die nicht so klug sind, als sie sein sollten, befolgt. [...] Sie bedenken nicht, daß, wenn Schätze zu Siegen hinreichten, Darius Alexander den Großen, die Griechen die Römer und in unserer Zeit Karl der Kühne die Schweizer besiegt haben würden, und daß es vor wenigen Tagen [1517] dem Papste und den Florentinern miteinander nicht schwer gewesen wäre, Francesco Maria, den Neffen des Papstes Julius II., im urbinischen Kriege zu überwinden. Alle hingegen wurden sie von denen besiegt, die nicht Geld, sondern gute Soldaten für den Nerv des Krieges hielten.


Das werden Obama, Cameron, Hollande und Merkel auch noch lernen. Die lächerlichen Sanktiönchen machen deswegen Probleme, weil sie diplomatisch nicht helfen und die Marktteilnehmer deswegen in Erwartung schwererer Sanktionen ihr Geld abziehen. Die freie Wirtschaft in RU mag vor die Hunde gehen. Dumm für viele Russen, aber das kommt Putin gerade recht, weil es mehr Menschen abhängig vom Staat macht. Die staatsnahe Wirtschaft, Rohstoffe und Waffen, wird hingegen bleiben. Damit wird man sich auseinandersetzen müssen, aber ohne selber verteidigungsfähiges Militär zu haben, wird das nicht gelingen.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Und es hat auch nix damit zu tun, was er den Leuten gesagt hat, die Kosten leiten sich zu allererst aus der Situation 1990 her.
Kohls Stern war Ende der 80er schon am Sinken. Er hätte bei der Wahl keine Chance mehr gegen Lafontaine gehabt, wenn er nicht "D-Mark für alle" versprochen hätte. Das hat ihm weitere 8 Jahre gebracht, aber der Preis war eine fiskalische Entscheidung, deren Risiken er und die maßgeblichen Ministerialbeamten im Finanzministerium (Thilo Sarrazin und Horst Köhler, also keine Dummköpfe) kannten. Man wußte ja, daß die DDR permanent frisches Kapital gebraucht hat. Honecker hat dafür sogar politische Zugeständnisse gemacht. Wenn noch Werte dagewesen wären, mit deren Ertrag dieser Kapitalbedarf hätte gedeckt werden können, dann hätte die DDR das genutzt. Hat sie nicht, folglich war das Anlagevermögen längst als wertlos bekannt.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Um einen Home Bias zu haben, müssten die betreffenden Personen überhaupt erst einmal einen Bezug zu dieser vorgeblichen Heimat haben, was man nach 30+ Jahren wohl getrost vergessen kann.
Das können Sie ja Herrn Erdogan sagen, wenn er demnächst hierher kommt. Hatten wir nicht in diesem Zimmer schon eine Diskussion über die landsmannschaftlichen Unterschiede unter den deutschen Völkern diskutiert?

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Für denjenigen, der diesen Kauf nicht leisten muss (weil das Eigentum zurückgegeben wurde), sind die Kosten aber eben nicht nur die Modernisierung, sondern die Opportunitätskosten für den Besitz zuzüglich der Modernisierung. Und diese Opportunitätskosten sind genau das Geld, dass er erhalten würde, wenn er den Besitz verkaufen würde.
So entscheidet der homo oeconomicus. Für den ist die willingness to pay immer gleich der willingness to accept. In der Ökonomie weiß man aber, daß bei echten Menschen beides auseinanderfällt. Deswegen werden in der Praxis auch hohe Opportunitätskosten noch ausgehalten. Das ist nicht ineffizient oder wirtschaftlich unvernünftig. Vielmehr zeigt es, daß die Menschen nicht bilanziellen Dingen einen Wert zugestehen. So etwas tritt hauptsächlich dann auf, wenn es sich um Dinge handelt, die nicht so homogen sind, wie es für einen vollkommenen Markt nötig ist. Erbstücke z.B.

Zitat von Llarian im Beitrag #61
Dann gehen Sie davon aus, dass das Pro-Kopf-Einkommen (oder meinetwegen auch BIP pro Person) in den neuen Ländern heute bei ungefähr dem selben liegt wie im Schnitt des ehemaligen Ostblocks ? Habe ich das richtig verstanden ?
Nein. Wenn Y(DDR) das Pro-Kopf-Einkommen der DDR ist, dann geht es mir um Q := (Y(DDR)/Y(VRPolen)) / (Y(5 neue Länder)/Y(Polen)). Statt Polen können Sie auch ein anderes RGW-Land nehmen. Ich vergleiche also Verhältnisse im Zeitablauf, nicht Absolutwerte. Absolutwerte im Zeitablauf zu vergleichen ist in der VGR selten erhellend, weil sich Warenkörbe ändern (mal sind Äpfel drin, mal Birnen) und evtl. Abdiskontierungen vorzunehmen sind.
Die Aussage ist: Q>1.
Können Sie erraten, was das für die Bewertung der "Aufbau Ost" Transfers bedeutet, die andere ex-RGW-Volkswirtschaften so ja nicht bekommen haben? In der VGR sind sie ja behelfsweise mit den Anschaffungskosten bilanziert, die Sie anführen, weil öffentliche Ausgaben keinen Marktpreis haben, den man eigentlich nehmen müßte.

Zitat von Llarian im Beitrag #65
Und da Sie die Frage jetzt das zweite Mal ignoriert haben, gehe ich davon aus, dass Sie selbst nicht so genau wissen, wer jetzt eigentlich die DDR Bürger bis 1989 ausgebeutet hat und wer sie heute ausbeuten soll. Schade.
Schade, daß Sie --und leider einige andere in diesem kleinen Zimmer-- meine Texte so oberflächlich lesen. Ich habe nie geschrieben, daß die DDR-Bürger heute ausgebeutet würden. Das hat Frank2000 gemacht, und Sie verbrennen jetzt seinen Strohmann. Ich habe geschrieben, daß bei dem Einigungsprozeß Besitzstände (an Alteigentum und an Transfers) unrechtmäßig und mit ineffizienten Folgen und im Verstoß gegen marktwirtschaftliche Prinzipien (Eigentum) verteilt wurden. Das war ein einmaliger Fehler.
Frank2000 hat mir dann untergejubelt, ich würde meinen, die "DDR-Bürger" würden durch die Marktwirtschaft ausgebeutet. Habe ich nirgends geschrieben noch gemeint. Ausbeutung ist im üblichen Sprachgebrauch ein Zeitprozeß. Man sagt, der Betrüger beutet sein Opfer aus, aber man sagt nicht, der Räuber beutet sein Opfer aus. Der Betrüger beutet aus, solange der Irrtum des Betrogenen trägt. Der Räuber nimmt seine Beute ("Beute" habe ich geschrieben), ein einmaliger Vorgang wie 1990. Der Unterschied ist deutlich. Nirgends stelle ich in Abrede, daß Marktwirtschaft hilfreich für alle Menschen ist. Sogar noch mehr als Sie, da Sie ja die Staatswirtschaft im Aufbau Ost so toll finden, die marktwirtschaftliche Tätigkeit verdrängt hat.

Lesen Sie bitte gründlich:
Zitat von Emulgator im Beitrag #63
Ich vergleiche also die DDR mit den anderen sozialistischen Ländern, die keinen "Aufbau Ost" bekommen haben: Früher war die DDR deutlich besser, jetzt nur noch etwa gleich gut.
Schon hier ist deutlich, daß ich Q>1 meinte. Sie haben durch die "Ausbeutungsbrille" völlig an der Semantik vorbei verstanden, ich würde die DDR-Wirtschaft mit der Marktwirtschaft vergleichen und nicht mit den anderen Ländern.

Deswegen an alle, die hier gerne über die Ausbeutungsthese diskutieren wollen: Ich bin nicht Sarah Wagenknecht. Ich bin dafür nicht zuständig.

Florian Offline



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17.05.2014 13:15
#70 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #69

Zitat von Machiavelli, 'Discorsi'

Dieses Wort ["Geld ist der Nerv des Krieges"] wird jeden Tag von Fürsten, die nicht so klug sind, als sie sein sollten, befolgt. [...] Sie bedenken nicht, daß, wenn Schätze zu Siegen hinreichten, Darius Alexander den Großen, die Griechen die Römer und in unserer Zeit Karl der Kühne die Schweizer besiegt haben würden, und daß es vor wenigen Tagen [1517] dem Papste und den Florentinern miteinander nicht schwer gewesen wäre, Francesco Maria, den Neffen des Papstes Julius II., im urbinischen Kriege zu überwinden. Alle hingegen wurden sie von denen besiegt, die nicht Geld, sondern gute Soldaten für den Nerv des Krieges hielten.



Sehr schönes Zitat, das Sie da gefunden haben. Vielen Dank.
Aber hat Machiavelli da recht?
Was er sagt ist ja: "ein leistungsfähiges Militär ist wichtiger als viel Geld".
Kurzfristig stimmt das sicher.
Aber langfristig ist die wirtschaftliche Basis das Fundament, um sich ein leistungsfähiges Militär leisten zu können.
"Soldaten gewinnen Schlachten, Geld gewinnt Kriege" könnte man sagen.
Sehr schön herausgearbeitet an dutzenden von Beispielen hat das übrigens Paul Kennedy in "Rise an Fall of the Great Powers".
(Zum Beispiel war lt. Kennedy der Untergang des Dritten Reichs im Moment des Kriegseintritts der USA besiegelt. Und dies, obwohl Deutschland im Moment des Kriegseintritts den USA an Kriegsmaterial und mobilisierten Soldaten deutlich überlegen waren. Aber es war eben nur eine Frage der Zeit, bis das ungleich größere wirtschaftliche Potenzial der USA sich in militärischer Hardware ausdrücken würde).

Dies als Antwort auf Machiavelli.
Das bedeutet allerdings NICHT, dass die Mini-Sanktionen des Westens Russland militärisch groß stören würden.
Entscheidend ist halt eben auch die "willingness to fight". Solange diese im Westen nicht vorhanden ist, nutzt alle wirtschaftliche Überlegenheit nichts, weil der politische Wille fehlt, diese in militärische Überlegenheit umzumünzen.


Zitat
Nein. Wenn Y(DDR) das Pro-Kopf-Einkommen der DDR ist, dann geht es mir um Q := (Y(DDR)/Y(VRPolen)) / (Y(5 neue Länder)/Y(Polen)). Statt Polen können Sie auch ein anderes RGW-Land nehmen. Ich vergleiche also Verhältnisse im Zeitablauf, nicht Absolutwerte. Absolutwerte im Zeitablauf zu vergleichen ist in der VGR selten erhellend, weil sich Warenkörbe ändern (mal sind Äpfel drin, mal Birnen) und evtl. Abdiskontierungen vorzunehmen sind.
Die Aussage ist: Q>1.
Können Sie erraten, was das für die Bewertung der "Aufbau Ost" Transfers bedeutet, die andere ex-RGW-Volkswirtschaften so ja nicht bekommen haben?



Ich kann erraten, worauf Sie hinauswollen.

Es wäre dies ein Indiz dafür, dass der Nutzen dieser Transfers äußerst gering war.
Was allerdings nichts daran ändert, DASS es die Transfers gab. Der Westen hat durchaus für den Osten geblutet, von "Ausbeutung des Ostens" (die ja dem Ausbeuter irgendeinen Nutzen bringen sollte) kann keine Rede sein.
Es würde nur bedeuten, dass der Nutzen der Transfers gering war und ein deutlich effizienterer Weg zum wirtschaftlichen Aufholen in freien Wechselkursen gelegen hätte, wie sie ja Polen et al zur Verfügung standen.
Für unser derzeitiges Euro-Problem hielte diese Erkenntnis durchaus eine interessante Lehre bereit, wenn man sie nur hören wollte.

(Dass freie Wechselkurse für die DDR aus politischen Gründen keine gangbare Option waren, steht auf einem anderen Blatt.
Genauso wie es politische Gründe sind - aber ganz sicher keine wirtschaftlichen - die die Euro-Einführung und die Euro-Beibehaltung rechtfertigen).


Aber bevor diese Analyse wirklich funktioniert ist, stellt sich die Frage, ob Ihre Ausgangsthese richtig ist.
Ist wirklich Q>1 ?
Haben Sie Daten zu Y(DDR), Y(VRPolen), Y(5 neue Länder) und Y(Polen) ?

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.432

18.05.2014 01:10
#71 RE: Zerbrochene Spiegel. Ein Gastbeitrag von Fluminist. Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #69

Ich habe geschrieben, daß bei dem Einigungsprozeß Besitzstände (an Alteigentum und an Transfers) unrechtmäßig und mit ineffizienten Folgen und im Verstoß gegen marktwirtschaftliche Prinzipien (Eigentum) verteilt wurden. Das war ein einmaliger Fehler.



Werter Emulgator
Ich habe jetz6t ehrlich gesagt weder Zeit noch Geduld, die alten Beiträge durchzugraben. Deswegen nehmen wir die Abkürzung und ich verwerte obiges aktuelles Zitat. Was Sie mit "unrechtmäßiger Verteilung von Besitzständen" meinen, ist mir klar. Genau so wie mir klar ist, dass ich aus mehrfachen Gründen nicht zustimme. Was Sie aber mit "unrechtmäßiger Verteilung der Besitzstände an Transfers" meinen, verstehe ich nicht. Bitte erläutern.

Und dann bräuchte ich noch eine etwas ausführliche Erklärung, welche "Verstöße gegen marktwirtschaftliche Prinzipien" sie sehen. Ich sehe da in der Tat auch massive Verstöße gegen eben diese; glaube aber, dass ich da etwas anderes darunter verstehe als Sie...

MfG Felsen

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