Nachdem Fluminist den Text des Referendums in der Ostukraine übersetzt und hier im kleinen Zimmer veröffentlicht hatte, habe ich ihn um einen Gastbeitrag gebeten. Und ich freue mich sehr, dass Fluminist seine so hervorragend formulierte Position zeitnah geschrieben hat. Vielen Dank, lieber Fluminist.
Viel mehr noch als das Referendum auf der Krim ist das in der Ostukraine die Geburtsstunde einer Bewegung die nicht einfach nur prorussisch ist. Sie ist vor allem prosowjetisch. Und sie schockt mit ihrer Vereinfachung, wie Jörg Eigendorf von der "Welt" schreibt:
Zitat von http://www.welt.de/debatte/kommentare/ar...uer-Europa.htmlDie russische Regierung zieht eine Bewegung heran, die imstande ist, Europa zu spalten. Es ist eine Bewegung, die in jedem Andersdenkenden einen Faschisten sieht – sei es aus fehlender Toleranz und Chauvinismus oder aus dem tiefen Minderwertigkeitsgefühl heraus, den Zweiten Weltkrieg gewonnen, den Kalten Krieg aber verloren zu haben.
Meine Hervorhebung kommt einem jeden Euroskeptiker bekannt vor, nicht wahr?
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #2Viel mehr noch als das Referendum auf der Krim ist das in der Ostukraine die Geburtsstunde einer Bewegung die nicht einfach nur prorussisch ist. Sie ist vor allem prosowjetisch.
Wobei noch die Frage ist, ob hier die Sowjetunion - und insbesondere das sozialistische Wirtschaftsmodell - als absolut und für sich vorbildhaft und erstrebenswert angesehen wird, oder ob es nicht doch nur ein aus Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation motivierter Rückgriff auf die "last stable configuration" ist. Die Nostalgie und Paranoia sind jedenfalls klar vorhanden.
Meine Hervorhebung kommt einem jeden Euroskeptiker bekannt vor, nicht wahr?
Leider wahr. Allerdings ist "Faschist" (im Sinne von "Nazi" - das wird nicht so genau unterschieden, wie auch, jedenfalls in der Sowjetunion, "Nazi" und "Deutscher" ziemlich synonym waren) für die Russen ein ziemlich generisches Schimpfwort im politischen Kontext. Außerdem wird es auch einem unvoreingenommenen Beobachter nicht schwer fallen, in Politikern von "Swoboda" und Aktivisten des "rechten Sektors" Neonazi-Affinitäten zu entdecken. Das erleichtert es der russischen Seite, die ganze ukrainische Übergangsregierung pauschal als faschistische Junta abzustempeln.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #2Viel mehr noch als das Referendum auf der Krim ist das in der Ostukraine die Geburtsstunde einer Bewegung die nicht einfach nur prorussisch ist. Sie ist vor allem prosowjetisch. Und sie schockt mit ihrer Vereinfachung, wie Jörg Eigendorf von der "Welt" schreibt:
Zitat von http://www.welt.de/debatte/kommentare/ar...uer-Europa.htmlDie russische Regierung zieht eine Bewegung heran, die imstande ist, Europa zu spalten. Es ist eine Bewegung, die in jedem Andersdenkenden einen Faschisten sieht – sei es aus fehlender Toleranz und Chauvinismus oder aus dem tiefen Minderwertigkeitsgefühl heraus, den Zweiten Weltkrieg gewonnen, den Kalten Krieg aber verloren zu haben.
Meine Hervorhebung kommt einem jeden Euroskeptiker bekannt vor, nicht wahr?
"Faschismus" als Kampfbegriff ist ja eine ganz interessante Sache: Er wurde von den Kommunisten (ich glaube sogar Trotzki) verwendet, weil man erkannte, wie ähnlich die Mussolinis und Hitlers einem selber waren. Die Erfindung des Kampfbegriffes hat dann bei der propagandistischen Abgrenzung geholfen. Die Hitlers und Mussolinis waren demnach nicht nur deswegen schlimm, weil sie andere Parteiorganisationen waren, sonst aber identisch, nein, sie waren sogar ganz verschieden, nämlich Faschisten. Trotzki hat Faschismus aber lediglich so definiert, daß man genau wie alle Sozialisten ist, nur eben seine Utopie nicht Kommunismus nennt und deswegen auch nicht zu den "wahren" kommunistischen Parteien gehört. Mit dem Untergang des Sozialismus sollte eigentlich der Faschismusbegriff obsolet geworden sein.
Diese Wiederkehr beunruhigt mich denn auch am meisten, zeigt aber auch massive Fehler der 90er Jahre auf. Zum einen ist es historisch falsch, daß Rußland mit der Sowjetunion den Kalten Krieg verloren habe. Es hat nämlich umgekehrt Rußland 1991 die Sowjetunion besiegt, indem sich Rußland gegen den Augustputsch der übriggebliebenen Sowjetkader durchgesetzt hat. Der Westen hat sich aber gerne als Sieger über "Sowjetrußland" gefühlt und so verhalten. Diese falsche Deutung ist dann in die Köpfe der Russen diffundiert. Doch auch Russen haben den menschlichen Hang, die Vergangenheit zu glorifizieren, weil man das Übel lieber vergißt als das Schöne. Da der Sieg über die Sowjetunion mittlerweile dem Westen zugeschrieben wird, fehlt den Russen aber die Erinnerung an den eigenen Sieg über die Sowjetunion als etwas schönes, als Erfolg. So sehnt man sich heute nach der unterdrückerischen und mißwirtschaftenden Sowjetunion zurück.
Dazu beigetragen hat auch die Wirtschaftskrise der 90er und die "Hilfe" des Westens. Die ist nämlich so abgelaufen, daß man zwar Kredite und Transfers gegeben hat, im Lande aber vor allem die schmerzlichen Reformen gespürt wurden, die Auflage des Westens für die Kredite und Transfers waren. So ist man als Diktator von außen aufgetreten und hat die Russen verbittert, wie man auch jetzt die Griechen, Italiener usw. verbittert.
vielen Dank für diesen Gastbeitrag, der in vielerlei Hinsicht zu kommentieren wäre. Ich will es auf einen Punkt beschränken:
Zitat von Fluminist im ZR-BeitragAuf der großen internationalen Bühne ist das Referendum eine Farce, aber die Leute, die daran teilnehmen, nehmen es ernst, und wir sollten ihnen die Achtung erweisen, sie auch ernstzunehmen. Sie sind der Beweis dafür, daß das Pflänzlein der Demokratie am Leben ist.
Bei Abstimmungen, welche die Autonomie/Sezession etc. eines Gebiets zum Gegenstand haben, wird es in aller Regel eine hohe Beteiligung geben, weil dieses Thema einerseits emotional aufgeladen ist und zum anderen von den Wählern in seiner Bedeutung verstanden wird. Darin kann ich nicht unbedingt ein Zeichen für eine lebendige demokratische Kultur sehen.
Und zum Punkt des Ernstnehmens: Ich denke, dass doch ein großer Unterschied zwischen einem Referendum besteht, dessen Ergebnis dann auch mit Sicherheit Rechtswirkungen zeitigt, und einem Stimmungsbild, das in den Rang eines verbindlichen Ausdrucks des Volkswillens zu heben keine der maßgeblichen Mächte bereit ist (so jedenfalls die offiziellen Erklärungen). Im letzten Fall gibt es m.E. zahlreiche Proteststimmen, die - wenn sie wüssten, dass der Urnengang wirklich ernst ist - sich ihr Votum vielleicht doch zweimal überlegen würden.
vielen Dank für diesen Gastbeitrag, der in vielerlei Hinsicht zu kommentieren wäre. Ich will es auf einen Punkt beschränken:
Zitat von Fluminist im ZR-BeitragAuf der großen internationalen Bühne ist das Referendum eine Farce, aber die Leute, die daran teilnehmen, nehmen es ernst, und wir sollten ihnen die Achtung erweisen, sie auch ernstzunehmen. Sie sind der Beweis dafür, daß das Pflänzlein der Demokratie am Leben ist.
Bei Abstimmungen, welche die Autonomie/Sezession etc. eines Gebiets zum Gegenstand haben, wird es in aller Regel eine hohe Beteiligung geben, weil dieses Thema einerseits emotional aufgeladen ist und zum anderen von den Wählern in seiner Bedeutung verstanden wird. Darin kann ich nicht unbedingt ein Zeichen für eine lebendige demokratische Kultur sehen.
Eine lebendige, blühende demokratische Kultur stelle ich mir auch anders vor. Doch wer, möglicherweise unter Lebensgefahr, sich in ein improvisiertes und offiziell illegales Wahllokal begibt, der tut das nicht als Sonntagsausflug oder lästige Pflicht, sondern will gehört werden. Selbst wenn dieser Wunsch auf einer Illusion und demagogischen Suggestion beruht: der Akt der Stimmabgabe durch den einzelnen ist nun einmal die Keimzelle der Demokratie.
Sollten die Separatisten ihren Willen bekommen, dann kann es mit diesem Lebensfünkchen der Demokratie auch schnell vorbei sein. Die folgende BBC-Meldung ist etwas beunruhigend:
Zitat Second round on joining Russia planned for 18 May - After the first round of voting in which voters were asked whether they supported self-rule, a second round of voting is planned in a week's time, asking whether people support joining Russia.
Ein solcher Schritt ist mit einem Referendum der gestrigen Bauart natürlich nicht zu rechtfertigen.
Zitat Und zum Punkt des Ernstnehmens: Ich denke, dass doch ein großer Unterschied zwischen einem Referendum besteht, dessen Ergebnis dann auch mit Sicherheit Rechtswirkungen zeitigt, und einem Stimmungsbild, das in den Rang eines verbindlichen Ausdrucks des Volkswillens zu heben keine der maßgeblichen Mächte bereit ist (so jedenfalls die offiziellen Erklärungen). Im letzten Fall gibt es m.E. zahlreiche Proteststimmen, die - wenn sie wüssten, dass der Urnengang wirklich ernst ist - sich ihr Votum vielleicht doch zweimal überlegen würden.
Da stimme ich Ihnen zu. Das Ergebnis des Referendums ist auf keinen Fall ernstzunehmen. Aber den einzelnen Wähler muß man respektieren, selbst wenn er eine Proteststimme abgibt.
Lieber Fluminist, Ihr Artikel hat sehr deutlich gemacht wie facettenreich das Volksempfinden in der Ukraine ist. Es zeigt auch sehr deutlich, daß es eben nicht immer schwarz oder weiß ist sondern vielerlei Grautöne beinhaltet. Das hat im Vorfeld die diplomatische Arbeit aller Beteiligten sicher auch erschwert. Aber genau das war mein Anliegen, als ich darüber schrieb, daß eine äußerst sorgfältige Diplomatie aller Beteiligten m. E. nicht stattgefunden hat. Ein oberflächliches Agieren, Hinhaltetaktik, Versprechungen, die man wohl auch gar nicht halten kann oder will, all das hat nun ein Desaster ingang gesetzt, das man sich hätte ersparen können. Die zauderliche Politik des Westens mit unausgegorenen Ansätzen gepaart mit Unkenntnis oder Ignoranz der Verhältnisse in der Ukraine haben ein weiteres Chaos dem vorhandenen hinzugefügt.
Ich vermute das Spiegel-Gleichnis wird so in dem Zeitrahmen bestätigt werden.
Danke für diese Einblicke und den überaus lesenswerten Artikel.
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Vielen Dank auf jeden Fall für die Übersetzung dieses obskuren Gründungsakts. Den man inhaltlich natürlich nicht ernst nehmen kann, der aber gut zeigt, welche Propagandavorstellungen da unters Volk gebracht (und auch geglaubt wurden). Bemerkenswert finde ich ein Detail:
Zitat Das Territorium der VOLKSREPUBLIK DONEZK in den anerkannten Verwaltungsgrenzen ist unteilbar und unantastbar.
Mit anderen Worten: Die selbsternannten Donezk-Führer nehmen für ihr Herrschaftsgebiet genau das in Anspruch, was sie der Ukraine absprechen. Wenn jetzt also einzelne Gemeinden oder Gebiete im Donezk (natürlich nach Abstimmung) sich wiederum abspalten würden (um sich vielleicht wieder Ukraine anzuschließen ...), dann wäre das nach Verständnis der Separatisten bestimmt illegal und Grund für Repressalien.
Zitat von R.A. im Beitrag #8Die selbsternannten Donezk-Führer nehmen für ihr Herrschaftsgebiet genau das in Anspruch, was sie der Ukraine absprechen. Wenn jetzt also einzelne Gemeinden oder Gebiete im Donezk (natürlich nach Abstimmung) sich wiederum abspalten würden (um sich vielleicht wieder Ukraine anzuschließen ...), dann wäre das nach Verständnis der Separatisten bestimmt illegal und Grund für Repressalien.
Ganz genau. Das ist wie bei einem selbstähnlichen Fraktal, Escher-Bild oder (hier vielleicht passender) einer Matrjoschka-Puppe.
Wenn es um Separatismus oder gar Anschluß an Rußland geht, ergibt sich tatsächlich so ein fraktales Bild, das nur mit Gewalt vereinheitlicht werden kann. Aber Devolution als Vorstufe zu Föderalismus (wenn sie eben nicht nur ein Etikettenschwindel ist, um dem Nachbarn leichter schluckbare Happen vorzulegen) ist im Grunde ein vernünftiger Gedanke. Wenn das Vertrauen in die Zentralmacht erschüttert ist, dann muß die politische Struktur von den Regionen her wiederaufgebaut werden. Das setzt natürlich voraus, daß ein Konsens über die allgemeine nationale Zugehörigkeit besteht und daß die Zentralmacht tatsächlich ausfällt - und dieser letztere Punkt ist wohl noch nicht wirklich erfüllt.
Zunächst mal vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel, lieber Fluminist. Ich stehe ja von Beginn an relativ ratlos vor diesem Konflikt, weil mir da das sonst hilfreiche interne schwarz-weiß-Schema fehlt, welches so viele Meinungsmacher in dieser Causa anscheinend haben. Wenigstens über dieses Referendum fühle ich mich jetzt informiert. Aber einen Nebenaspekt habe ich noch. Sie schreiben im Artikel:
Zitat von FluministTrotz sehr realer Gefahr, in die Schußlinie von Regierungstruppen zu kommen, (z.B. in Krasnoarmejsk) drängten die Leute in Scharen zu den (nach ukrainischem Standard durchsichtigen) Wahlurnen.
und nehmen damit auch einen Fakt auf, der die gestrige, ganztägige Radiobericherstattung durchzog. Durchsichtige Wahlurnen! Was ist daran eigentlich so bemerkens- und berichtenswert? Irgendein Reporter faselte da gestern was von zwar uneinsehbaren Wahlkabinen (gut), aber den dann eben durchsichtigen Urnen. Und da fragte ich mich, ob undursichtige Urnen nicht viel intransparenter wären (vorgefertigte Stimmzettel!) und von ebenjenen Journalisten nicht genauso kritisiert worden wären. Warum muss unsere Berichterstattung derart offensichtlich auf selbstgebastelte Pappkameraden eindreschen, dass meine interne Kompassnadel sich instinktiv sofort von ihr wegbewegen möchte?
Beste Grüße, Calimero
------------------------------------------------------- Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel
Zitat von Calimero im Beitrag #11Zunächst mal vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel, lieber Fluminist. Ich stehe ja von Beginn an relativ ratlos vor diesem Konflikt, weil mir da das sonst hilfreiche interne schwarz-weiß-Schema fehlt, welches so viele Meinungsmacher in dieser Causa anscheinend haben. Wenigstens über dieses Referendum fühle ich mich jetzt informiert. Aber einen Nebenaspekt habe ich noch. Sie schreiben im Artikel:
Zitat von FluministTrotz sehr realer Gefahr, in die Schußlinie von Regierungstruppen zu kommen, (z.B. in Krasnoarmejsk) drängten die Leute in Scharen zu den (nach ukrainischem Standard durchsichtigen) Wahlurnen.
und nehmen damit auch einen Fakt auf, der die gestrige, ganztägige Radiobericherstattung durchzog. Durchsichtige Wahlurnen! Was ist daran eigentlich so bemerkens- und berichtenswert? Irgendein Reporter faselte da gestern was von zwar uneinsehbaren Wahlkabinen (gut), aber den dann eben durchsichtigen Urnen. Und da fragte ich mich, ob undursichtige Urnen nicht viel intransparenter wären (vorgefertigte Stimmzettel!) und von ebenjenen Journalisten nicht genauso kritisiert worden wären. Warum muss unsere Berichterstattung derart offensichtlich auf selbstgebastelte Pappkameraden eindreschen, dass meine interne Kompassnadel sich instinktiv sofort von ihr wegbewegen möchte?
Beste Grüße, Calimero
Lieber Calimero, ich bin vollkommen Ihrer Meinung. Ich habe das deswegen erwähnt, um nebenbei anzudeuten, daß durchsichtige Wahlurnen in der Ukraine Standard sind und auch bei den vergangenen Präsidenten- und Parlamentswahlen verwendet wurden. In die Wahl der Urnen eine finstere Absicht hineinzukonstruieren, ist daher völlig abwegig. Dieses Thema hatte ich kürzlich mit Llarian und Emulgator in einem anderen Thread diskutiert, etwa von hier bis hier.
Zitat von Calimero im Beitrag #11Durchsichtige Wahlurnen! Was ist daran eigentlich so bemerkens- und berichtenswert?
Es ist halt erst einmal anders als bei uns üblich und damit verdächtig ;-)
Kritisch sind diese durchsichtigen Urnen eigentlich nur, wenn auf Wahlumschläge verzichtet wird und genügend Wähler demonstrativ aufs Falten verzichten und den "korrekt" ausgefüllten Wahlzettel für alle sichtbar einwerfen. So ist das wohl teilweise auf der Krim gewesen, vielleicht auch jetzt in Donezk.
Das kombiniert mit der Präsenz von Bewaffneten (von denen ein Teil zur russischen Armee gehört) macht natürlich das Prinzip der geheimen Abstimmung zur Farce. Wobei die Truppenpräsenz auch die Wahlbeteiligung relativiert - man kann eben nicht ausschließen, daß die Teilnahme in erster Linie erfolgt, weil man sonst Repressionen fürchtet.
Auch ich danke für den Gastbeitrag. Ich stimme fast an keiner Stelle überein, aber Zettels Raum soll eben auch ein Ort der Pluralität sein, indem auch andere Meinungen Gehör finden, so sie innerhalb des demokratischen Spektrums zu finden sind.
Was ich an der ganzen Diskussion, denn es ist ja schon eine, nicht verstehe, ist, warum dieses vorgebliche Referendum selbst überhaupt diskutiert wird. Es ist nutzloser als ein Wahlergebnis in der DDR und ungefähr genauso glaubwürdig. Da liegt ein Landstrich halb im Bürgerkrieg, es gibt immernoch eine offizielle Regierung, die diesem Referendum entgegensteht, und da soll es zu 80% Wahlbeteiligung kommen ? Also 80% die sich gegen die offizielle Regierung stellen und auch nur daran teilnehmen. Ebenso gegen die angebliche (!) Ablehnung durch Putin ? Das ist ein Witz. Und nicht mal ein guter. Und von diesen 80% sollen sich dann eine extreme Mehrheit für ein ebenso extremes Dekret ausgesprochen haben ? Genau. Wie gesagt, die SED hatte auch regelmäßig 99% und war ungefähr genauso glaubwürdig. Die hätten auch 200% Wahlbeteiligung mit 300% Zustimmung berichten können und wären nicht ein bischen unglaubwürdiger. In der Krim gab es auch 90% Wahlbeteiligung, auch wenn schon eine größere Mehrheit beschlossen hatte die Wahl zu boykottieren. Wer glaubt dem Müll ? Und vor allem, wenn es Müll ist, dann stimmt daran auch kein Funken. Es ist eben nicht so, dass man aus einer Farce mit 90% ableiten könnte, dass dann wenigstens 50% zustimmen. Das ist Unsinn. Ein Fälschergebnis ist vollkommen unabhängig von irgendetwas realem. Und wer hat die Wahl veranstaltet ? Eine Wahlkommission ? Nein, genau die Leute, die ein entsprechendes Ergebnis haben wollten. Wie gesagt, daraus kann man schlicht gar nichts ableiten.
Was es allerdings werden wird ist die Begründung für den russischen Einmarsch, der jetzt bald folgen wird. Putin hat nicht die Prügel kassiert um sich jetzt davonzuschleichen. Und im Unterschied zur Krim ist die Ostukraine eine lohnenswerte Beute.
Zitat von Llarian im Beitrag #14Und im Unterschied zur Krim ist die Ostukraine eine lohnenswerte Beute.
Jein. Die komplette "Ostukraine" wäre eine (wobei dieses Gebiet eigentlich überhaupt nicht definiert ist. Die beiden Gebiete, in denen die Separatisten abgestimmt haben, sind allerdings überhaupt nicht lohnenswert, sondern wirtschaftliche Notgebiete.
Die eigentlichen Wirtschaftszentren, insbesondere Dnipropetrowsk, sind immer noch unter Kontrolle der Kiewer Regierung und haben sich am "Referendum" nicht beteiligt.
Wenn Putin also schon diese Farce zum Anlaß nehmen würde, um die halbe Ukraine zu besetzen, dann wäre das etwa so, als würde eine Abstimmung in Vorpommern die Eroberung Deutschlands rechtfertigen ...
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #1Nachdem Fluminist den Text des Referendums in der Ostukraine übersetzt und hier im kleinen Zimmer veröffentlicht hatte, habe ich ihn um einen Gastbeitrag gebeten. Und ich freue mich sehr, dass Fluminist seine so hervorragend formulierte Position zeitnah geschrieben hat. Vielen Dank, lieber Fluminist.
Lieber Fluminist,
auch von mir vielen Dank für diesen kenntnisreichen und informativen Artikel. Mir geht es ähnlich wie Calimero. Ich habe schon den parallelen Russland-Strang vor allem rezipierend und lernend genossen. Aber das zumindest wollte ich Ihnen schreiben und der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass dies nicht Ihr letzter Gastbeitrag in Zettels Raum gewesen ist.
Zitat von R.A. im Beitrag #13Kritisch sind diese durchsichtigen Urnen eigentlich nur, wenn auf Wahlumschläge verzichtet wird und genügend Wähler demonstrativ aufs Falten verzichten und den "korrekt" ausgefüllten Wahlzettel für alle sichtbar einwerfen. So ist das wohl teilweise auf der Krim gewesen, vielleicht auch jetzt in Donezk.
Ja, auch hier (mal angenommen, es waren tatsächlich aktuelle Aufnahmen und kein Archivmaterial) wurde gezeigt, wie ungefaltete Zettel eingeworfen wurden. Ob die "korrekt" ausgefüllt waren, konnte man zwar nicht erkennen, aber davon können wir angesichts des phänomenalen Abstimmungsergebnisses von offiziell 89,07% Jastimmen (10,79% Nein, 0.74% ungültig) aller Wahrscheinlichkeit nach ausgehen.
Zitat von R.A. im Beitrag #13Das kombiniert mit der Präsenz von Bewaffneten (von denen ein Teil zur russischen Armee gehört) macht natürlich das Prinzip der geheimen Abstimmung zur Farce. Wobei die Truppenpräsenz auch die Wahlbeteiligung relativiert - man kann eben nicht ausschließen, daß die Teilnahme in erster Linie erfolgt, weil man sonst Repressionen fürchtet.
Das betrifft jetzt aber nur das Krimreferendum, nicht wahr? Von Anwesenheit von Teilen der russischen Armee in den Regionen Donezk und Lugansk oder von Druck auf die Bevölkerung an der Abstimmung teilzunehmen, war keine Rede in dem im übrigen recht kritischen BBC-Bericht.
Zitat von Llarian im Beitrag #14Zettels Raum soll eben auch ein Ort der Pluralität sein, indem auch andere Meinungen Gehör finden, so sie innerhalb des demokratischen Spektrums zu finden sind.
Eigentlich hätte ich gehofft, daß wir nicht auf die unterste Stufe des Minimalkonsensus zurückgreifen müssen, aber immerhin.
Zitat von Llarian im Beitrag #14Was ich an der ganzen Diskussion, denn es ist ja schon eine, nicht verstehe, ist, warum dieses vorgebliche Referendum selbst überhaupt diskutiert wird. Es ist nutzloser als ein Wahlergebnis in der DDR und ungefähr genauso glaubwürdig.
Man muß es ja nicht interessant finden. Aber es ist doch ein singulärer Akt, und in der Geschichte sind ja nicht immer die Momente die interessantesten, in denen alles nach Recht und Ordnung zugeht.
Zitat von Llarian im Beitrag #14Da liegt ein Landstrich halb im Bürgerkrieg, es gibt immernoch eine offizielle Regierung, die diesem Referendum entgegensteht, und da soll es zu 80% Wahlbeteiligung kommen ? Also 80% die sich gegen die offizielle Regierung stellen und auch nur daran teilnehmen. Ebenso gegen die angebliche (!) Ablehnung durch Putin ? Das ist ein Witz. Und nicht mal ein guter. Und von diesen 80% sollen sich dann eine extreme Mehrheit für ein ebenso extremes Dekret ausgesprochen haben ? Genau. Wie gesagt, die SED hatte auch regelmäßig 99% und war ungefähr genauso glaubwürdig. Die hätten auch 200% Wahlbeteiligung mit 300% Zustimmung berichten können und wären nicht ein bischen unglaubwürdiger. In der Krim gab es auch 90% Wahlbeteiligung, auch wenn schon eine größere Mehrheit beschlossen hatte die Wahl zu boykottieren. Wer glaubt dem Müll ? Und vor allem, wenn es Müll ist, dann stimmt daran auch kein Funken. Es ist eben nicht so, dass man aus einer Farce mit 90% ableiten könnte, dass dann wenigstens 50% zustimmen. Das ist Unsinn. Ein Fälschergebnis ist vollkommen unabhängig von irgendetwas realem. Und wer hat die Wahl veranstaltet ? Eine Wahlkommission ? Nein, genau die Leute, die ein entsprechendes Ergebnis haben wollten. Wie gesagt, daraus kann man schlicht gar nichts ableiten.
Daß ich das genauso sehe, habe ich hoffentlich deutlich genug geschrieben. Ablehnung durch Putin: das steht im Artikel wohl etwas zu sehr verkürzt. Genauer gesagt hat Putin am 7. Mai die "Unterstützer der Föderalisierung" der Ukraine dazu aufgerufen, das Referendum zu verschieben, "um die notwendigen Voraussetzungen für einen Dialog zu schaffen". Mit anderen Worten, er fand es nicht hilfreich; man kann das wohl schon als eine Ablehnungsformel auffassen, die sich bemüht, sowohl den Eindruck, er lehne ein solches Referendum generell ab, als auch den, er hätte Befugnis es abzusagen und wäre somit dafür verantwortlich, zu vermeiden. Das war natürlich nur der geäußerte Wortlaut. In diesem Lichte können wir die nun folgende Reaktion Moskaus betrachten. Der bisherige offizielle Ton legt sich noch nicht fest - außer der Implikation, daß das Ergebnis der Referenden irgendwie den Volkswillen abbilde - und ist völlig kompatibel mit dem Aspekt einer bloßen Devolution, jedenfalls einer inneren Angelegenheit der Ukraine:
Zitat Moscow hopes the results of the referendums in eastern Ukraine will instigate dialogue between Kiev and the regions that voted in favor of self-rule, according to the Kremlin’s press-service.
“Moscow respects the will of the people in Donetsk and Lugansk and hopes that the practical realization of the outcome of the referendums will be carried out in a civilized manner, without resorting to violence, through dialogue between representatives of Kiev, Donetsk and Lugansk,” the statement reads.
The Kremlin says it welcomes all mediation efforts, including those by the OSCE.
Jedenfalls klingt es noch anders als die Ideen der Organisatoren der Referenden, die etwas uneinig von verschiedenen Konsequenzen (Austritt aus der Ukraine, Unabhängigkeit, "engere Beziehungen zu Rußland") schwärmen, die nicht direkt durch den Wortlaut des Referendums gedeckt sind. Wir werden sehen, ob und wann die russische Reaktion auf Anschluß umschwenkt.
Zitat von Emulgator im Beitrag #4Trotzki hat Faschismus aber lediglich so definiert, daß man genau wie alle Sozialisten ist, nur eben seine Utopie nicht Kommunismus nennt und deswegen auch nicht zu den "wahren" kommunistischen Parteien gehört.
Könnten Sie mir bitte eine Quelle dafür geben? Das ist mir bisher nicht bekannt gewesen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #4Diese Wiederkehr beunruhigt mich denn auch am meisten, zeigt aber auch massive Fehler der 90er Jahre auf. Zum einen ist es historisch falsch, daß Rußland mit der Sowjetunion den Kalten Krieg verloren habe. Es hat nämlich umgekehrt Rußland 1991 die Sowjetunion besiegt, indem sich Rußland gegen den Augustputsch der übriggebliebenen Sowjetkader durchgesetzt hat. Der Westen hat sich aber gerne als Sieger über "Sowjetrußland" gefühlt und so verhalten. Diese falsche Deutung ist dann in die Köpfe der Russen diffundiert. Doch auch Russen haben den menschlichen Hang, die Vergangenheit zu glorifizieren, weil man das Übel lieber vergißt als das Schöne. Da der Sieg über die Sowjetunion mittlerweile dem Westen zugeschrieben wird, fehlt den Russen aber die Erinnerung an den eigenen Sieg über die Sowjetunion als etwas schönes, als Erfolg. So sehnt man sich heute nach der unterdrückerischen und mißwirtschaftenden Sowjetunion zurück.
Das sehe ich zwar nicht so, aber mal gesetzt Ihre Prämisse, lieber Emulgator, wäre zutreffend, dann lief es in der DDR aber genau anders herum. Und trotzdem fehlt die Erinnerung an den eigenen Sieg. Nicht bei allen, aber bei vielen. Im Grunde bei all jenen, die die Linke wählen.
Zitat von Fluminist im Beitrag #18 Eigentlich hätte ich gehofft, daß wir nicht auf die unterste Stufe des Minimalkonsensus zurückgreifen müssen, aber immerhin.
Seien Sie versichert, lieber Fluminist, wir sind deutlich darüber. Sonst hätte ich mich auch sicher nicht für den Beitrag bedankt. Es gibt Beiträge, die sind so falsch, das nicht einmal das Gegenteil richtig ist, und da sind Sie weit von entfernt (klingt jetzt nach einem sehr vergifteten Kompliment. Ist aber so gar nicht gemeint, will sagen: Man kann auch anderer Meinung sein, ohne das das schlimm ist.)
Zitat von Llarian im Beitrag #14 Aber es ist doch ein singulärer Akt, und in der Geschichte sind ja nicht immer die Momente die interessantesten, in denen alles nach Recht und Ordnung zugeht.
Was ist singulär an einem simplen Akt der Propaganda? Hier wurde ja kein tatsächliches Stimmungsbild aufgezeichnet sondern nur eine Propagandaaktion für die einfachen Leute in Russland und die fünfte Kolonne im Ausland durchgeführt. Was singuläres sehe ich da nicht, auch nix spannendes. Damit das Sie es so betonen, räumen Sie der Farce einen Stellenwert ein, den diese nicht verdient.
Zitat Daß ich das genauso sehe, habe ich hoffentlich deutlich genug geschrieben.
Ehrlich gesagt: Nein. Mir ist das nicht bewusst. Und ich finde es auch ein bischen gegensätzlich zu dem, was ich schrieb. Das das ganze eine Farce ist, okay, darüber sind wir wohl einig. Aber ihre Schlussfolgerungen widersprechen diesem Inhalt diamteral. Ich darf Sie zitieren:
Zitat Auf der großen internationalen Bühne ist das Referendum eine Farce, aber die Leute, die daran teilnehmen, nehmen es ernst, und wir sollten ihnen die Achtung erweisen, sie auch ernstzunehmen. Sie sind der Beweis dafür, daß das Pflänzlein der Demokratie am Leben ist.
Und genau das ist ja exakt falsch, so es sich um die Farce handelt, über die wir Einigkeit haben. Mit der selben Berechtigung hätte man auch das Pflänzlein in der DDR sehen müssen. Und da war nichts was man hätte ernstnehmen sollen, es war eine eiskalte Diktatur, die mit demokratischen Prinzipien nichts zu tun hatte, ausser, dass die größten Antidemokraten sich genau das Etikett gerne aufpappen (Deutsche demokratische Republik). Und nein, wir sollten es nicht ernstnehmen, sondern als das nehmen was es ist: Die Propaganda einer Maschinerie, die sich anschickt ein souveränes Land zu überfallen und einen Teil davon zu annektieren.
Zitat Mit anderen Worten, er fand es nicht hilfreich;
Ganz im Gegenteil, ich bin sogar sicher, er hat es selber befördert, wenn nicht sogar den Text vorgeben lassen. So kann er sich als scheinbar unabhängige Partei hinstellen ("ich habe damit ja gar nichts zu tun") und dennoch das Ergebnis als Rechtfertigung für seinen Einmarsch verwenden. Das ist sehr praktisch: Er übernimmt keine Verantwortung und nimmt sich aus der Schusslinie, fährt aber gleichzeitig die volle Ernte ein. Das ist, so meine ich, recht durchschaubar. Dem russischen Volk wirds genügen und auch unsere fünfte Kolonne (man braucht ja nur die Kommentarspalten der deutsche Onlinepresse zu lesen) löffelt die Suppe begierig auf.
Zitat Wir werden sehen, ob und wann die russische Reaktion auf Anschluß umschwenkt.
Das passiert schon, keine Sorge. Kiew wird versuchen sich durchzusetzen, es wird noch ein paar Tote geben, und dann kann Putin ja gar nicht anders als die bösen Faschisten davon abhalten die arme Ostukraine und ihren erklärten Willen zu unterdrücken.
Zitat von Llarian im Beitrag #20Was ist singulär an einem simplen Akt der Propaganda? Hier wurde ja kein tatsächliches Stimmungsbild aufgezeichnet sondern nur eine Propagandaaktion für die einfachen Leute in Russland und die fünfte Kolonne im Ausland durchgeführt. Was singuläres sehe ich da nicht, auch nix spannendes. Damit das Sie es so betonen, räumen Sie der Farce einen Stellenwert ein, den diese nicht verdient.
Nun ja, daß sich ein Teil eines Landes für unabhängig erklärt, und noch dazu unter so dubiosen Umständen und gegen so großen Widerstand, das passiert ja nicht jeden Tag. Klar, das Ereignis des Jahrhunderts wird es nicht gewesen sein: hoffentlich! - wenn sich der Zankapfel Donezk nicht zum Sarajevo auswächst. Allzu sehr betonen wollte ich es eigentlich gar nicht, es schien mir nur eine interessante Marginalie und ein Beispiel dafür, wie eine komplizierte Situation durch kräftige, unbeirrte Schwarzweißmalerei beider Seiten zu einer unmöglichen wird. Sie sehen hier ein Drama mit rein in Moskau geschriebenem Skript, inklusive retardierendem Moment, in dem Moskau zögert den Preis des allein von ihm eingefädelten Spiels anzunehmen; also Putin in der Rolle von Shakespeares Richard III oder, vielleicht passender, in der John Malkovichs in Johnny English. Vielleicht haben Sie recht; dann nehmen Sie eben den gestrigen Tag als den Tag, an dem das Volk von Donezk und Lugansk seine Freiheit dem Diktator überschrieben hat.
Zitat von Fluminist im Beitrag #18Daß ich das genauso sehe, habe ich hoffentlich deutlich genug geschrieben.
Ehrlich gesagt: Nein. Mir ist das nicht bewusst. Und ich finde es auch ein bischen gegensätzlich zu dem, was ich schrieb. Das das ganze eine Farce ist, okay, darüber sind wir wohl einig. Aber ihre Schlussfolgerungen widersprechen diesem Inhalt diamteral. Ich darf Sie zitieren:
Zitat Auf der großen internationalen Bühne ist das Referendum eine Farce, aber die Leute, die daran teilnehmen, nehmen es ernst, und wir sollten ihnen die Achtung erweisen, sie auch ernstzunehmen. Sie sind der Beweis dafür, daß das Pflänzlein der Demokratie am Leben ist.
Und genau das ist ja exakt falsch, so es sich um die Farce handelt, über die wir Einigkeit haben. Mit der selben Berechtigung hätte man auch das Pflänzlein in der DDR sehen müssen. Und da war nichts was man hätte ernstnehmen sollen, es war eine eiskalte Diktatur, die mit demokratischen Prinzipien nichts zu tun hatte, ausser, dass die größten Antidemokraten sich genau das Etikett gerne aufpappen (Deutsche demokratische Republik). Und nein, wir sollten es nicht ernstnehmen, sondern als das nehmen was es ist: Die Propaganda einer Maschinerie, die sich anschickt ein souveränes Land zu überfallen und einen Teil davon zu annektieren.
OK, daß das Referendum in der durchgeführten Form eine Farce, allenfalls ein Schülertheater war, und das Ergebnis keine Aussagekraft besitzt, da sind wir uns einig. Das Ergebnis kann man nicht ernstnehmen, und daß der stellvertretende Vorsitzende der "Volksrepublik Donezk" jetzt schließt
Zitat “We, the people of Donetsk, based on results of the May 11 referendum and the declaration of sovereignty of the Donetsk People’s Republic, declare that from now on DPR is now a sovereign state,” Republic Co-Chairman Denis Pushilin said,
das hat mit Demokratie nicht viel zu tun. Vor allem, wenn er anschließt
Zitat “Given the will of the people of the Donetsk People's Republic, and in order to restore historical justice, we ask Russia to consider the issue of our republic’s accession into the Russian Federation,” he added,
was - im Gegensatz zum Krimreferendum - gar nicht Gegenstand der Abstimmung war.
Mit dem Pflänzlein der Demokratie (das Bild war vielleicht keine gute Idee ) hatte ich eigentlich nur das gemeint, was der einzelne bona fide Wähler ins Wahllokal mitgebracht hat: den Willen der politischen Meinungsbekundung auf friedlichem Wege. Es ist gut, wenn es das noch gibt, während die Gewehrkugeln und Molotowcocktails fliegen. Und solche bona fide Wähler hat es gegeben, wenn wir nicht davon ausgehen wollen, daß alle die Menschen, die von Medienkorrespondenten (nicht nur aus Rußland, sondern z.B. auch der BBC) beobachtet und gefilmt wurden, ausschließlich von Rußland engagierte Statisten waren. Mag sein, daß ihre politischen Führer ihr Vertrauen mißbrauchen, es ist sogar wahrscheinlich, und sie werden sehen, was sie davon haben. Aber wer hingeht, sein Kreuz seiner Überzeugung nach auf den Zettel schmiert und ihn in den Glaskasten wirft, der hat meinen Respekt.
Zitat Mit anderen Worten, er fand es nicht hilfreich;
Ganz im Gegenteil, ich bin sogar sicher, er hat es selber befördert, wenn nicht sogar den Text vorgeben lassen. So kann er sich als scheinbar unabhängige Partei hinstellen ("ich habe damit ja gar nichts zu tun") und dennoch das Ergebnis als Rechtfertigung für seinen Einmarsch verwenden. Das ist sehr praktisch: Er übernimmt keine Verantwortung und nimmt sich aus der Schusslinie, fährt aber gleichzeitig die volle Ernte ein. Das ist, so meine ich, recht durchschaubar. Dem russischen Volk wirds genügen und auch unsere fünfte Kolonne (man braucht ja nur die Kommentarspalten der deutsche Onlinepresse zu lesen) löffelt die Suppe begierig auf.
Zitat Wir werden sehen, ob und wann die russische Reaktion auf Anschluß umschwenkt.
Das passiert schon, keine Sorge. Kiew wird versuchen sich durchzusetzen, es wird noch ein paar Tote geben, und dann kann Putin ja gar nicht anders als die bösen Faschisten davon abhalten die arme Ostukraine und ihren erklärten Willen zu unterdrücken.
Nun ja. Pushilin hat damit, daß er um Aufnahme bettelt, Putin vor eine Wahl gestellt, die diesem im Moment vielleicht wirklich nicht ganz perfekt in den Kram paßt. Ich könnte mir gut vorstellen, daß das Kreml-Gerede von Dialog zwischen Kiew, Donezk und Lugansk auf Basis des Referendums nicht nur Staffage ist. Wenn Rußland die beiden abtrünnigen Regionen mit ebenso offenen Armen und forciertem Tempo aufnimmt wie die Krim, dann hat Putin zwar etwas Territorium gewonnen und die Ukraine gedemütigt, aber auch den schwarzen Peter in der Hand, mit Pech angeklebt: dann bleibt nur die vollständige Konfrontation mit dem Westen. Viel praktischer und angenehmer wäre für ihn eine Ukraine, die sich im inneren Konflikt aufreibt, mit einer durch endlose Verhandlungen mit unzufriedenen Teilstaaten paralysierten Regierung. Mittelfristig wäre eine föderalisierte, schwache Ukraine, die zu keinem außenpolitischen Bündnis fähig ist, sehr viel günstiger für Rußlands Perspektive als ein rascher Gewinn von ein paar Regionen, der eine politisch und national geeinte Ukraine, die dann mit großer Wahrscheinlichkeit mit EU und NATO assoziiert sein wird, direkt vor der Haustür übrigläßt.
Insofern finde ich doch spannend, was nun passieren wird.
Wer war wahlberechtigt? Männer, Frauen, Kinder? Ab welchem Alter? Gab es Wählerlisten? Wo kamen die her - von der Regierung mit Sicherheit nicht? Und die größte Wirkung wird diese Veranstaltung nicht in Russland oder der Ukraine entfalten, sondern in Mitteleuropa. Die deutschen Kommunisten und willigen Helfershelfer des autokratischen Regimes GIEREN nach solchen "Argumenten" - ob die das jetzt selbst glauben oder nicht, spielt keine Rolle.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #23Wer war wahlberechtigt? Männer, Frauen, Kinder? Ab welchem Alter? Gab es Wählerlisten? Wo kamen die her - von der Regierung mit Sicherheit nicht?
Allerdings nicht. Da mußte mit lokal vorhandenen Listen gearbeitet werden; offenbar wurden Listen auch einfach erst im Wahllokal geschrieben: wer wählte, schrieb sich auf die Liste. Damit man im Prinzip hinterher mit den Listen aus anderen Wahllokalen vergleichen kann, ob der Betreffende auch nicht woanders gewählt hat: so hat es der Wahlleiter laut BBC-Bericht erläutert. Na dann ist ja alles klar, nur nicht, welchen Stimmzettel man wegwirft, wenn man jemanden beim mehrfachen Abstimmen erwischt. Aber in dem Chaos und der Eile hat der Abgleich ohnehin mit Sicherheit nicht stattgefunden. Kurz gesagt:
Zitat No international observers were present and there were many irregularities: not enough polling stations, no up-to-date voter lists and no proper checks on identity.
Wobei die Abwesenheit internationaler Beobachter allerdings wohl nicht darauf zurückzuführen ist, daß diese nicht willkommen gewesen wären, sondern daß niemand die Veranstaltung durch die Entsendung von Beobachtern beehren und so implizit anerkennen wollte.
Zitat von Fluminist im Beitrag #21 Nun ja, daß sich ein Teil eines Landes für unabhängig erklärt, und noch dazu unter so dubiosen Umständen und gegen so großen Widerstand, das passiert ja nicht jeden Tag.
Das ist nur nicht passiert und das ist der Witz dabei: Damit sich ein Teil eines Landes für unabhängig erklären könnte, müsste es ein sauberes Referendum geben, eine politische Diskussion, Positionen, einen vielleicht etwas ungewöhnlichen, aber doch demokratischen Prozess. Das ist hier aber nicht passiert, deswegen hat sich auch niemand für unabhängig erklärt. Es ist einfach eine Propagandanummer ohne Stellenwert. Und Propganada ist nix besonderes. Wenn ich morgen nach Castrop Rauxel gehe und dort eine Urne aufstelle und (wenn mich die Polizei nicht vorher in eine Zwangsjacke steckt) behaupte, eine Mehrheit von Castrop Rauxel habe die Unabhängikeit erklärt hat das den selben Stellenwert. Und es wird nicht dadurch aufgewertet das ich Bilder von Leuten habe, die tatsächlich Zettelchen in meine Urne werfen.
Zitat Und solche bona fide Wähler hat es gegeben, wenn wir nicht davon ausgehen wollen, daß alle die Menschen, die von Medienkorrespondenten (nicht nur aus Rußland, sondern z.B. auch der BBC) beobachtet und gefilmt wurden, ausschließlich von Rußland engagierte Statisten waren.
Kollaborateure gibts sicher genug. Wenn in einem Landstrich hunderttausend Leute leben, dann werde ich auch ein paar tausend Versprengte finden, die sich in die Kamera stellen. Realität ist das deswegen nicht. Demokratie ist ein bischen mehr als ein Bild von einer Urne. Es ist ein Prozess wie es dazu kommt, eine Diskussion, eine Debatte. Die aufgeführte Farce hat damit nix gemein.
Zitat Mag sein, daß ihre politischen Führer ihr Vertrauen mißbrauchen, es ist sogar wahrscheinlich, und sie werden sehen, was sie davon haben. Aber wer hingeht, sein Kreuz seiner Überzeugung nach auf den Zettel schmiert und ihn in den Glaskasten wirft, der hat meinen Respekt.
Respekt dafür den Begriff der Demokratie mit Füssen zu treten und einer fremden Macht zu genügen ? Meinen nicht. Es mag sein, dass sich sogar Mehrheiten im Osten befinden, die eine Sezession durchführen wollen. Aber das ist nicht der Weg dorthin. Demokratie kann (!) nicht sein, dass ich meine Stimme abgebe, während mein Nachbar Angst vor einem Gewehrlauf haben muss. Und wer sich daran beteiligt kann nicht meinen Respekt haben. Ich beteilige mich nicht an Wahlen, von denen ich weiss, dass sie einen Betrug darstellen.
Zitat Nun ja. Pushilin hat damit, daß er um Aufnahme bettelt, Putin vor eine Wahl gestellt, die diesem im Moment vielleicht wirklich nicht ganz perfekt in den Kram paßt.
Die passt dem sogar super in den Kram (deswegen dürfte er sie angewiesen haben). Er braucht nur auf die Reaktion aus Kiew zu warten, bis dahin hält er halt die Füsse still. Und wie gesagt, noch ein paar Tote (und das kriegt man schon hin) und dann wird er sich halt bitten lassen. "Er wollte es ja nicht", aber wenn er nicht anders kann und die armen Menschen retten muss, dann muss er halt. .... Für den unwahrscheinlichen Fall dass Kiew besonnen reagiert kann er sich immernoch auf die Farce selber berufen. Was auch immer Kiew jetzt tut, Putin kann einmarschieren. Und das wird passieren, da habe ich nur noch wenig Zweifel dran.
Zitat dann bleibt nur die vollständige Konfrontation mit dem Westen.
So ist es. Aber er geht davon aus, dass er diese gewinnen wird. Und wenn China ihm nicht gerade in den Rücken fällt, sind seine Chancen so schlecht nicht. Der Westen kann (unter Schmerzen) ohne Russland. Aber er kann nicht ohne China. Und China geht die Ukraine vermutlich am Allerwertesten vorbei und Russland liegt direkt vor der Tür. Die Europäer knicken ja schon ein und die Amerikaner haben den schwächsten Präsidenten seit vielleicht 100 Jahren. Ob die Rechnung aufgeht wird man sehen, aber die Zeit war günstig. Mit ein paar Sanktiönchen wird er jedenfalls nicht beeindruckt.
Zitat dann nehmen Sie eben den gestrigen Tag als den Tag, an dem das Volk von Donezk und Lugansk seine Freiheit dem Diktator überschrieben hat.
Nur hat es das eben nicht. Es ist nicht gefragt worden. Genausowenig wie das Volk der Krim.
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