Danke für den Artikel. Wir hatten ja andernorts schon kurz über Schottland diskutiert. Aber das Thema verdient durchaus einen eigenen Beitrag und Diskussions-Strang.
Im wesentlichen stimme ich allem zu.
Einige Anmerkungen:
1. In Deutschland gibt es anscheinend ein weitverbreitetes falsches Schottland-Bild. Man stellt sich da den knorrigen, unabhängigen Highlander vor. Ein ähnliches Stereotyp wie der Oberbayer. In Wirklichkeit ist Schottland deutlich staats-affiner und linker als England. Und auch deutlich EU-freundlicher. Es ist also gerade NICHT der Wunsch nach Freiheit vor staatlicher Bevormundung, der die schottische Unabhängigkeit befeuert - sondern das glatte Gegenteil.
2. Zitat R.A.:
Zitat Und die englischen Wahlen werden für einige Zeit etwas langweiliger, weil ohne die schottischen Stimmen kaum noch eine Labour-Mehrheit denkbar ist.
Das mag man plausibel so annehmen. Aber solche Prognosen verkennen zweierlei: Erstens sind politische Positionen nie fix. Wenn eine Partei mit ihren Positionen keine Mehrheiten bekommen kann, wird sie irgendwann ihre Positionen überdenken. Labour wird also nach rechts rücken. (Und umgekehrt: weil der britische Median-Wähler nach rechts gerückt ist, werden auch die Tories etwas nach rechts rücken und dadurch Labour gewisse gemäßigte Positionen überlassen). Zweitens: In Großbritannien herrscht Mehrheitswahlrecht. Es gibt daher oft recht klare Sitzverteilungen, bei denen es auf die wenigen schottischen Sitze in Westminster auch in der Vergangenheit oft gar nicht angekommen ist: Schottland hatte zuletzt 59 Abgeordnete. Tony Blair hatte bei seinen 3 Wahlsiegen einen Sitzvorsprung von 179, 167 bzw. 66 Sitzen. D.h. ein Labour-Sieg wäre in jedem dieser Fälle auch ohne die mehrheitlich linken schottischen Stimmen möglich gewesen.
3. Zum Thema Währung hatten wir uns ja schon mal ausgetauscht. Zwei interessante Links dazu habe ich auf marginalrevolution.com gefunden: a) Paul Krugman über die Folgen schottischer Unabhängigkeit (insbesondere die Währungsfragen): http://www.nytimes.com/2014/09/08/opinio...-heck.html?_r=1 Ich bin kein großer Krugman-Fan. Aber hier hat er m.E. recht. Ein Zitat:
Zitat In short, everything that has happened in Europe since 2009 or so has demonstrated that sharing a currency without sharing a government is very dangerous. In economics jargon, fiscal and banking integration are essential elements of an optimum currency area. And an independent Scotland using Britain’s pound would be in even worse shape than euro countries, which at least have some say in how the European Central Bank is run. I find it mind-boggling that Scotland would consider going down this path after all that has happened in the last few years. If Scottish voters really believe that it’s safe to become a country without a currency, they have been badly misled.
b) http://pileusblog.wordpress.com/2014/09/...ets/#more-15092 Hier wird untersucht, wie der Aktienmarkt auf die neuesten Umfragewerte reagiert hat. D.h. wie die Märkte die nun gestiegene Wahrscheinlichkeit einer schottischen Unabhängigkeit bewerten. Grundsätzlich: es gibt spürbare Effekte, aber auch nicht allzu dramatisch. Aber je nach Branche gibt es ziemliche Unterschiede. (Zum Beispiel scheinen die Märkte im Falle der Unabhängigkeit mit einer stärkeren Besteuerung der Ölförderer zu rechnen. Deren Kurse sind daher ziemlich deutlich abgerutscht). Zitat:
Zitat So far capital markets seem to be telling us that the economic costs of independence to Scotland would be significant but not catastrophic, and that they would be virtually nil to the rest of Britain
Es gibt kein "Schottisches Pfund", sorry to say. Ist etwas kleinkariert, aber es ist so: In Schottland bezahlt man mit dem Pfund Sterling der Bank of England. Lediglich 3 Geschäftsbanken haben die Lizenz eigene "Bildchen" auf Papier zu drucken und herauszugeben. In Einklang mit der Währungspolitik der BoE (imho muss der Gegenwert dieser Papiernoten in Sterling bei der BoE hinterlegt sein, zumindest an 3 oder 4 aus 7 Tagen).
Das Problem mit dem Pfund rührt daher, dass der Euro seit der Finanzkrise einen schlechten Ruf hat und die beiden grossen Banken mit Sitz in Edinburgh quasi verstaatlicht und vor dem Konkurs gerettet wurden. Schottland alleine wäre dazu nie in der Lage. Um jetzt das Schicksal Islands zu vermeiden - welches bis 2008 noch als leuchtendes Beispiel für "Klein aber Glücklich" herhalten musste, spielt die SNP va bance. Pfund (gemeint ist das englische Pfund mit all seinen Vorteilen) behalten, aber dennoch eigenständig sein. Das ist natürlich quatsch. Aber das ist der SNP egal. Der geht es um die späte Abrechnung an Maggie Thatcher und ihrer Politik.
Naja, etwas ausführlicher dazu demnächst beim A-Team
Zitat von R.A.Im Gegenteil ist die Unabhängigkeitsbewegung stark getrieben vom Bestreben, mehr Staat zu bekommen. Die Thatcher'schen Reformen waren nördlich des Tweed immer recht unpopulär, die Schotten sind in presbyterianischer Tradition durchaus für den Leviathan. Solange der nicht in London sitzt.
Stimmt genau, das ist sogar noch ein understatement. Nach Maßgabe dessen, was die Pro-Unabhängigkeits-Seite bei den Fernsehdebatten von sich gegeben hat, scharren Salmond & Co. ungeduldig mit den Hufen, endlich die pazifistisch-sozialistische schottische Republik (:-!-?? hmm, nicht einmal das ist vor der Abstimmung geklärt, ob die Monarchie gleich mit abgeschafft werden soll oder nicht: hier soll man sich für einen Sack entscheiden und weiß nicht einmal, ob eine Katze darin ist) einzuführen, was nur die schottisch-demokratisch nicht legitimierte Conservative/LibDem-Regierung boshafterweise bisher verhindert hat ... was streng genommen auch wieder nicht stimmt, denn beim Geldausgeben hat Schottland dank Devolution schon längst sehr weitgehende Freiheiten: aber bekanntlich funktioniert der Sozialismus ja nur dann, wenn er total und universal ist.
Zitat von R.A.Aber [die EU-Bürokratie] wird überhaupt kein Problem damit haben, einen weiteren Mitgliedsstaat zu verwalten.
Die wird wahrscheinlich sogar begeistert sein, sich wieder ein Stückchen weiter aufblähen zu können (oder ggf. bei Verlust Englands nicht zu sehr schrumpfen zu müssen). Die Begeisterung bei anderen EU-Ländern wird sich aber vielleicht in Grenzen halten. Spanien wird mit Blick auf Katalonien gewiß nicht gern sehen, wenn ein sich unabhängig erklärender Teil eines EU-Lands völlig selbstverständlich und reibungslos mit eigenen EU-Credentials versorgt und damit ein unbequemer Präzedenzfall geschaffen wird. Auch würde die Wahrscheinlichkeit eines EU-Austritts des Restkönigreichs deutlich erhöht: sollte es zum EU-Referendum kommen, das Cameron verspricht (da die Schotten selbst dann, wenn sie jetzt für Unabhängigkeit entscheiden, bei den general elections 2015 wohl trotzdem noch mitwählen dürfen (?? auch wieder so eine Ungereimtheit), ist eine Tory-Regierung allerdings noch nicht sicher), dann wird es ohne die Schotten viel schwerer werden, ein Votum gegen den Austritt zu erreichen.
... Vor allem, wenn die Nein-Partei so geschickt vorgeht wie jetzt beim schottischen Referendum. Nachdem vor ein paar Tagen in den Umfragen die Separatisten plötzlich die Nase vorn hatten, hageln die Schildbürgerstreiche dicht an dicht: *
Da verspricht "Better Together" auf einmal maximale Devolution, also quasi Unabhängigkeit innerhalb eines fortbestehenden Vereinigten Königreichs, und schüttet damit das Kind mit dem Bade aus. Wen wollen sie denn nun damit ansprechen und gewinnen? Für diejenigen, die sich schon entschlossen haben, für die Unabhängigkeit zu stimmen, wäre das nur ein Surrogat, eine Unabhängigkeit zweiter Klasse und von Londons Gnaden, also nicht wirkliche eine attraktive Alternative. Für diejenigen, die der Union zuneigen, ist mehr Devolution aber gerade der falsche Weg, sie werden also durch diese Ankündigungen, was die Nein-Stimme praktisch bedeutet, auch nicht gerade motiviert.
Und dann, als wäre die Lage nicht schon desperat genug, fährt man in letzter Stunde das große Rohrkrepierer-Geschütz auf: ausgerechnet Gordon Brown, der, welche anderen Qualitäten er auch immer besitzen mag, als Publikumsmagnet nur abstoßende Pole hat.
Zitat von R.A.Für sich genommen wird die Entscheidung der Schotten weitgehend völlig langweilige Folgen haben.
Wenn Sie damit nur recht hätten. Ich fürchte aber, daß Sie die Komplikationen, die die Aufteilung des Staates mich sich brächte, etwas heruntergespielt haben. Für die anderen Länder wird sich nicht viel ändern, da haben Sie wohl recht. Aber für die Briten könnte der pseudo-Bramahsche Fluch may you live in interesting times sehr plötzlich unangenehme Realität werden.
* NACHTRAG: Das hier macht hingegen schon mehr Sinn.
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Zitat von Dagny im Beitrag #3Lediglich 3 Geschäftsbanken haben die Lizenz eigene "Bildchen" auf Papier zu drucken und herauszugeben.
... und eine davon wird im Falle der Unabhängigkeit Schottlands keine schottische Bank im engeren Sinne mehr sein, nur noch im Namen: die Royal Bank of Scotland hat angekündigt, in diesem Fall nach England umzuziehen.
Zitat von Royal Bank of ScotlandIn response to press speculation in relation to re-domicile, The Royal Bank of Scotland Group plc ("RBS") confirms that, as set out in the risk disclosures in RBS’s Annual Report, there are a number of material uncertainties arising from the Scottish referendum vote which could have a bearing on the Bank’s credit ratings, and the fiscal, monetary, legal and regulatory landscape to which it is subject. For this reason, RBS has undertaken contingency planning for the possible business implications of a ‘Yes’ vote. RBS believes that this is the responsible and prudent thing to do and something that its customers, staff and shareholders would expect it to do.
As part of such contingency planning, RBS believes that it would be necessary to re-domicile the Bank’s holding company and its primary rated operating entity (The Royal Bank of Scotland plc) to England. In the event of a 'Yes' vote, the decision to re-domicile should have no impact on everyday banking services used by our customers throughout the British Isles. However, RBS believes that it would be the most effective way to provide clarity to all our stakeholders and mitigate the risks previously identified in our Annual Report.
Die normalen Bankgeschäfte der RBS in Schottland gingen natürlich weiter, aber als eigene Notenbank für ein "schottisches Pfund" fällt sie auf jeden Fall aus.
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Zitat von Florian im Beitrag #2Erstens sind politische Positionen nie fix. Wenn eine Partei mit ihren Positionen keine Mehrheiten bekommen kann, wird sie irgendwann ihre Positionen überdenken.
Das ist richtig - deswegen habe ich auch nur "für einige Zeit" geschrieben. Denn so eine Neustrukturierung der Wählerlandschaft braucht einige Zeit.
Aber richtig ist, daß Labour bei seinen Wahlsiegen oft nicht auf die schottischen Stimmen angewiesen war - insofern war meine Prognose falsch.
Krugmann dagegen irrt wie üblich ;-)
Zitat In short, everything that has happened in Europe since 2009 or so has demonstrated that sharing a currency without sharing a government is very dangerous.
Überhaupt nicht. Die Ereignisse seit 2009 haben nur gezeigt, daß eine Rettung von Gläubigerbanken vor einem drohenden Staatsbankrott sehr viel teurer wird, wenn man aus Camouflage-Gründen den Bankrott selber verschleppt. Mit der Währung hatte das ja gar nichts zu tun, die "Euro-Rettung" war nur eine politische Propagandalüge.
Zitat And an independent Scotland using Britain’s pound would be in even worse shape than euro countries, which at least have some say in how the European Central Bank is run.
Schottland hätte nicht die Möglichkeit, unverantwortliches Schuldenmachen von der Zentralbank subventionieren zu lassen. Es wäre aber ohnehin besser für Schottland, wenn es diese Notwendigkeit gar nicht erst aufkommen lassen würde.
Zitat If Scottish voters really believe that it’s safe to become a country without a currency, they have been badly misled.
Richtig ist, daß ein "unabhängiges" Schottland bei gleichzeitiger Unterwerfung unter die Bank of England ziemlich absurd wäre (das hatte ich ja auch im Artikel geschrieben). Aber ansonsten ist das Risiko überschaubar, weil Schottland ja umgekehrt auch nicht für die Bank of England haften wird. Bis auf organisatorische Detailprobleme ist es grundsätzlich nicht schlimm für einen Staat, eine fremde Währung als Zahlungsmittel zu verwenden. Bei langfristigen größeren Verträgen sollte man natürlich das Währungsrisiko einkalkulieren.
Zitat So far capital markets seem to be telling us that the economic costs of independence to Scotland would be significant but not catastrophic, and that they would be virtually nil to the rest of Britain
Zitat von Dagny im Beitrag #3Es gibt kein "Schottisches Pfund"
Doch, gibt es. Die Scheine habe ich selber in der Hand gehabt, vollgültige Banknoten, wurden anstandslos akzeptiert - es gibt sogar einen ISO-Code dafür (SCO).
Aber natürlich sind wir uns einig, daß es bisher keine "echte" Währung ist, sondern nur ein Derivat des englischen Pfunds. Die Schotten müßten nach Unabhängigkeit eine Zentralbank gründen. Nicht nur, um die Banknoten (ohne die bisherigen Hinterlegungsregeln) oder überhaupt die Geldschöpfung mit einer Basis zu versehen, sondern auch für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs.
Zitat von Fluminist im Beitrag #4Nach Maßgabe dessen, was die Pro-Unabhängigkeits-Seite bei den Fernsehdebatten von sich gegeben hat, scharren Salmond & Co. ungeduldig mit den Hufen, endlich die pazifistisch-sozialistische schottische ... einzuführen
... und werden dafür massive Unterstützung von völlig konservativen Wählern bekommen, denen die Tories auf die Nerven gehen, weil sie als "englisch" gelten.
Zitat Die Begeisterung bei anderen EU-Ländern wird sich aber vielleicht in Grenzen halten.
Richtig. Wobei ich icht weiß, ob diese Länder gegen eine Schottland-Aufnahme ein Vetorecht hätten.
Grundsätzlich sind die übrigen Abspaltungswünsche innerhalb EU-Europas viel schwieriger zu handhaben. Einerseits wollen sonst fast nur Regionen selbständig werden, die im alten Staat Nettozahler waren und damit echte Wirtschaftsprobleme zurücklassen würden. Und andererseits gibt es bei keiner dieser Regionen eine wirklich unumstrittene Grenzziehung - d.h. Folgeprobleme sind programmiert.
Es ist m. E. gar nicht zu überschätzen, wie wichtig es im Falle England-Schottland ist, daß die Grenzziehung selber seit Jahrhunderten im Prinzip unumstritten ist (und der Einzelfall Berwick ist lösbar).
Zitat Ich fürchte aber, daß Sie die Komplikationen, die die Aufteilung des Staates mich sich brächte, etwas heruntergespielt haben.
Am schwierigsten sind ja immer die Prognosen für die Zukunft ;-) Aber wenn ich daran zurückdenke, daß sogar die Jugoslawen WÄHREND des laufenden Bürgerkriegs es geschafft haben, ihre finanziellen und organisatorischen Abgrenzungsfragen in Verhandlungen zu klären - dann sollte das in GB auch leicht möglich sein.
Nun,ich glaube,dass die EU-Gewaltigen sich durchaus zu Recht vor der Sezession Schottlands fürchten.Falls erfolgreich würden die schottischen Stimmen bei der Abstimmung des Rest-UK über den Verbleib in der EU fehlen.Wie es im Moment aussieht,werden diese Stimmen dringend gebraucht. Gruß patzer
Zitat von R.A. im Beitrag #1Am 18. September wird ein hochemotionales Thema entschieden. Obwohl die Folgen wohl nicht besonders aufregend sein werden.
Spannend sind die Folgen im Moment hauptsächlich wegen der erheblichen Unsicherheiten. Das kommt in der ziemlich klaren und umfassenden Analyse des Scotsman recht deutlich zum Ausdruck.
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Zitat von Fluminist im Beitrag #10Das kommt in der ziemlich klaren und umfassenden Analyse des Scotsman recht deutlich zum Ausdruck.
Vielen Dank für den Link, ein ganz hervorragender Artikel. Ich gehe davon aus, daß diese Stellungnahme auch erheblichen Einfluß auf das Abstimmungsergebnis haben wird.
Zitat von R.A. im Beitrag #11Ich gehe davon aus, daß diese Stellungnahme auch erheblichen Einfluß auf das Abstimmungsergebnis haben wird.
Wäre zu hoffen, jedenfalls bei den Lesern des Scotsman. Inzwischen motiviert die Scottish Sun die "Yes"-Wähler damit, daß sie für ihre Entscheidung die volle Rückendeckung Kim Jong-Uns haben...
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Zitat von Fluminist im Beitrag #10Das kommt in der ziemlich klaren und umfassenden Analyse des Scotsman recht deutlich zum Ausdruck.
Vielen Dank für den Link, ein ganz hervorragender Artikel. Ich gehe davon aus, daß diese Stellungnahme auch erheblichen Einfluß auf das Abstimmungsergebnis haben wird.
Hätte man in der BRD eine derart motivierte Überlegung 1989/90 geführt, hätte es keine Deutsche Einheit gegeben.
Gruß Stefan
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Zitat von Meister Petz im Beitrag #13Hätte man in der BRD eine derart motivierte Überlegung 1989/90 geführt, hätte es keine Deutsche Einheit gegeben.
Über die Mehrheiten bei einer Volksabstimmung damals kann man nur spekulieren. Aber die Argumentation à la Scotsman hätte m. E. nicht zu einer Ablehnung der Einheit geführt.
Denn es ist ja nicht so, daß der Autor Risiken und Ungewißheit per se ausschlaggebend für eine Ablehnung hält. Sondern entscheidend für ihn ist, daß diesen Risiken kein besonderer Nutzen gegenübersteht.
Das wäre bei einer Abstimmung 1989 deutlich anders gewesen - die Beibehaltung der Spaltung hätte auch eine Reihe gravierender Nachteile gehabt, und die wären auch diskutiert worden.
Zitat von Dagny im Beitrag #14Mich erstaunt der Rueckzieher im verlinkten Artikel, ich habe den Scotsman in den letzten ~6 Jahren als Pro Independence erlebt.
Richtig. Ich hatte erwartet, daß die Empfehlung des Scotsmans eindeutig für die Unabhängigkeit wäre. Das werden wohl auch fast alle seiner Leser so erwartet haben.
Wenn die Redaktion nun nach Abwägung aller Argumente zum gegenteiligen Schluß kommt, ist das absolut beachtlich. Das ist wie eine Ver.di-Stellungnahme gegen den Mindestlohn oder ein CSU-Plädoyer für niedrigere Strafen und Abbau der Polizei.
Und deswegen glaube ich, daß eine so ungewöhnliche Empfehlung deutlich mehr Wirkung hat als viele andere Äußerungen, die nur den üblichen Erwartungen entsprechen.
Durch den Scotsman-Artikel ist mir ein Detail-Problem erst bewusst geworden. Nämlich: Was passiert eigentlich mit den britischen Staatsschulden nach einer Sezession Schottlands?
Das ist natürlich zu verhandeln. Und im Falle Schottlands sieht es so aus, als wäre eine Einigung auch möglich. (Und selbst wenn nicht: Schottland ist im Vergleich zu England wirtschaftlich so unbedeutend, dass "rUK" (also das verbleibenden UK) die UK-Staatsschulden notfalls auch alleine tragen könnte. Ein solches Szenario würde auf jeden Fall die Kreditwürdigkeit von rUK nicht ernsthaft gefährden.
Aber das muss nicht immer so sein. Was im Falle Schottlands brandgefährlich ist, ist der mögliche Präzendenzfall, der hier geschaffen wird.
Folgendes Szenario: Schottland scheidet aus dem UK aus und übernimmt KEINEN Anteil der UK-Staatschulden. Ein Jahr später tritt Katalanien aus Spanien aus und weigert sich - unter Berufung auf diesen Präzendzfall - ebenfalls, einen Anteil an den spanischen Staatsschulden zu übernehmen. Dies dürfte die Kreditwürdigkeit von r-Spanien schon deutlich verschlechtern.
Und nun das erweiterte Horrorszenario: Noch ein Jahr später scheidet Flandern aus Belgien aus und weigert sich - unter Berufung auf die Präzedenzfälle - ebenfalls, einen Anteil an den belgischen Staatsschulden zu übernehmen. Damit wäre auf einen Schlag allerdings r-Belgien pleite. Die Staatsschulden in % des BIP hätten sich über Nacht mehr als verdoppelt - und müssten nun zudem vom wirtschaftlich schwächeren Landesteil alleine getragen werden.
Das alles muss nicht so kommen. Aber durch einen schottischen Präzedenzfall erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario. Die Kreditmärkte werden dieses Szenario auf jeden Fall einpreisen. Und schon eine angenommene 10% Wahrscheinlichkeit, dass Flandern die Schottland-Karte spielt, würde Belgiens Kreditfähigkeit schon jetzt faktisch zerstören.
Fazit: Sollte sich Schottland nach einer Sezession nicht an den gemeinsamen Staatsschulden beteiligen, dann hätte dies massive Auswirkungen auf die Kreditfähigkeit Spaniens und vor allem Belgiens. Und damit verbunden eine weitere massive Belastung für den Euro. Dies dürfte aus Brüsseler Sicht das eigentliche Horror-Szenario sein.
Zitat von R.A. im Beitrag #6Mit der Währung hatte das ja gar nichts zu tun
Nur insoweit, als die Problematik vor allem aufgrund der gemeinsamen Währung entstand...
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat von R.A. im Beitrag #6Mit der Währung hatte das ja gar nichts zu tun
Nur insoweit, als die Problematik vor allem aufgrund der gemeinsamen Währung entstand...
Dieses Thema habe ich mit R.A. schon einige Male diskutiert. Dass ich mit meinen Argumenten da nicht recht durchdringe habe ich mittlerweile erkannt. "Agree to disagreee" würde ich vorschlagen.
(Es war mir auch klar, dass R.A. Krugmans Argument nicht plausibel finden würde. Aber nachdem ich Krugmans Argumentation selbst ganz schlüssig fand, wollte ich sie dennoch hier posten. Es lohnt sich aber glaube ich nicht, noch einmal eine Grundsatzdiskussion zum Euro zu führen. Die Argumente sind wahrlich ausgetauscht).
16,8 Milliarden Pfund in einem Monat sind schon beachtlich. Wenn mal nicht die Sorgen mancher doch mehr Berechtigung haben, als auch ich vermute.
Was passiert eigentlich mit dem Union Jack bei einer Unabhängigkeit Schottlands? Müsste dann "Groß"britannien nicht eine neue Flagge bekommen? http://de.m.wikipedia.org/wiki/Union_Jack
1. Schottland ist ein vergleichsweise unbedeutender Teil des UK. (Man überschätzt dessen Bedeutung vielleicht auch durch seine große Fläche. Schottland macht über 30% der Fläche des UK aus. Zum Vergleich Katalonien nur 6% der Fläche Spaniens). Für den Rest-Staat wäre eine Sezession Kataloniens oder (v.a.) Flanderns viel dramatischer als im Falle Schottlands.
2. Es gibt nur 5 Mio. Schotten. Also ein wirklich kleines Land mit weniger Einwohnern als Schleswig-Holstein plus Mecklenburg-Vorpommern. Ich finde das sehr bemerkenswert. Denn das kleine Schottland hat einen weltweiten kulturellen Einfluss und viele bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht. Kulturell schlägt sich Schottland weit über seiner Gewichtsklasse.
Man muss einfach nur mal für sich selbst den Vergleich anstellen: Wieviele Wissenschaftler, Schriftsteller, Philosophen aus Schottland kennt man? Wie viele Filme hat man gesehen, die in Schottland spielen oder die schottische Charaktere haben (die man auch bewusst Schottland zuordnen kann). Von Adam Smith, David Hume bis James Watt. Von Braveheart über James Bond bis Hausmeister Willy (http://de.wikipedia.org/wiki/Figuren_aus...smeister_Willie). Und wie viele aus McPomm oder Schleswig-Holstein? (Oder aus Bulgarien, das ebenfalls mehr Einwohner hat als Schottland?)
Zitat von Florian im Beitrag #21Kulturell schlägt sich Schottland weit über seiner Gewichtsklasse.
Eigentlich nur vergleichbar mit dem Schwabenland. [Disclaimer: Dreiviertel meiner Vorfahren kommen von dort.] Interessant, dass es gegen beide Völker dasselbe Vorurteil gibt, was hat das wohl zu bedeuten?
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #20Was passiert eigentlich mit dem Union Jack bei einer Unabhängigkeit Schottlands? Müsste dann "Groß"britannien nicht eine neue Flagge bekommen?
Mit dieser Frage kann man sich so nebenbei amüsieren. Dabei ist sie gar nicht nebensächlich, denn die Union Flag ist ein lang eingewurzeltes, weltweit erkanntes Symbol für das, was britishness ausmacht, ein Warenzeichen oder Logo gewissermaßen.
Die einfachste und wahrscheinlichste Lösung wäre, die Flagge einfach beizubehalten, wie ja der nach Abspaltung Schottlands verbleibende Rest generell als vollständiger Rechtsnachfolger des derzeitigen Vereinigten Königreichs gelten soll. Das Andreaskreuz ist dann allerdings völlig unmotiviert; schlimmer noch, die blaue Farbe hat auf der Flagge eigentlich nichts mehr zu suchen, und Wales und Nordirland könnten sich übergangen fühlen. Eine nur wenig abweichende Variante wäre, einfach das Blau in der Union Flag durch Grün zu ersetzen. Dann wären Wales (Farben weiß-grün-rot) und Nordirland (grün) symbolisch repräsentiert und bräuchten sich nicht zu beklagen. Nachteil bei dieser Lösung wäre, daß die Farbenkombination blau-weiß-rot allein schon zum britischen Symbol geworden ist und an sehr vielen Stellen auftaucht (z.B. British Airways, bei den RAF-Markierungen etc.). Wenn man es ganz richtig machen und die Flagge neu aufbauen will, dann wäre mein Vorschlag das rote Georgskreuz für England und, diagonal in den vier entstehenden Feldern, zweimal der walisische rote Drache auf weiß-grünem Feld und zweimal etwas Geeignetes für Nordirland (die derzeitige Flagge Nordirlands ist meines Wissens das rote Georgskreuz auf weißem Grund mit einem schwarzen martialischen Symbol in der Mitte).
Auch über den Namen des Restlandes kann man sich den Kopf zerbrechen. Am pragmatischsten und wahrscheinlichsten scheint "Vereinigtes Königreich von England, Wales und Nordirland". Den Pedanten stört daran, daß Wales und Nordirland im Gegensatz zu Schottland keine Königreiche sind; Wales ist immerhin ein Fürstentum (principality). Aber "Königreich" steht ja im Singular, und so wäre eben das Königreich England mit den beiden anderen Ländern vereint. Das Wort "vereinigt" würde also passend uminterpretiert.
(Großbritannien braucht man nicht umzubenennen; meines Wissens ist das der Name der Insel. Nur die vereinfachende Bezeichnung des Staats durch den Namen der Insel, auf der er liegt, wird man sich abgewöhnen müssen.)
Who is General Failure and why is he Reading my Disk?
Zitat von Florian im Beitrag #19Es lohnt sich aber glaube ich nicht, noch einmal eine Grundsatzdiskussion zum Euro zu führen. Die Argumente sind wahrlich ausgetauscht
Ja. Ich wollte auch nur den Dissens zu Protokoll geben
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat Zitat von Florian im Beitrag #19Es lohnt sich aber glaube ich nicht, noch einmal eine Grundsatzdiskussion zum Euro zu führen. Die Argumente sind wahrlich ausgetauscht
Ja. Ich wollte auch nur den Dissens zu Protokoll geben
So wie ich die Diskussionen mitbekommen habe, ist der Dissenz aber gar nicht so groß; will sagen es liegt an der Perspektive. Vernünftiges Handeln bei Politikern vorausgesetzt (Einhaltung der Maastricht-Kriterien, solide Finanzen und den Willen ggfs schmerzhafte Entscheidungen zu treffen (e.g. direkter Konkurs statt schleichender ) ) wuerde es die Krise nicht geben - Euro hin oder her. Sicher, "vernünftiges Handeln" bei Politikern ist eine gewagte Voraussetzung, die oftmals schon aufgrund verfehlter Anreize, nicht gegeben ist. Deswegen macht es durchaus Sinn, wie Rayson zu sagen "Unter realistischen Annahmen an politischen Handeln ist der Euro hauptverantwortlich für die Krise". Ein Politiker - aber - sollte und muss die andere Perspektive einnehmen. Und in dieser ist es - wie RA sagt - nicht korrekt zu behaupten die Krise sei durch den Euro verursacht worden oder gar man "rette" den Euro.
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