Zitat von Llarian im Beitrag #1Ich habe mir ein paar Gedanken zum Thema Betriebsanleitungen und Idioten gemacht.
Bei diesen Gedanken mußte ich an ein Partyzelt denken, daß ich auf einer Feier gesehen habe: Dort war ein großes Etikett befestigt, daß davor warnte, im Zelt Feuer zu machen. Darunter stand die Zeile "Oder benutzen Sie einfach Ihren gesunden Menschenverstand."
Das paradoxe ist, daß die ellenlangen Sicherheitshinweise, die man sich eigentlich mit einem Minimum an technischen Verständnis denken kann, Hinweise untergehen lassen, die wirklich wichtig zum Verständnis und zum Gebrauch sind. Beispiel: Bei elektrischen Geräten, die mit fest eingebauten Akkus betrieben werden, steht, daß man sie nicht ins Feuer werfen soll. Aber es steht nicht immer drauf welcher Typ von Akku es ist. Daraus würde sich aber ergeben, bei welchem Ladezustand man das Gerät am besten lagert.
Zwei Aspekte möchte ich noch ansprechen: Zum einen geht es oftmals um Hanftungsfragen. Würden die Hinterbliebenen eines Menschen, der in der Badewanne getoastet hat, gegen den Hersteller erfolgreich eine Zivilklage anstrengen können (wobei natürlich die Frage ist: Gegen den Badewannen- oder Toasterhersteller? :D)? Wenn ja, wie kann die Justiz derartigen Mangel an gesundem Menschenverstand für sachgerecht erachten? Kann es sein, daß mit immer mehr Gewöhnung Technik die Bereitschaft zu ihrem Verständnis immer mehr abnimmt? D.h. waren die Menschen in der industriellen Revolution von sich aus sicherheitsbewußter, weil die Dampfmaschinen neu, etwas besonderes und erkennbar gefährlich waren (laut und rußend)?
Warnung: Dieser Beitrag Spuren von Nüssen und anderen Schalenfrüchten enthalten.
Das Problem ist wirklich, dass man den ganzen Sicherheitsklimbim im Consumer-Bereich gar nicht mehr ernst nimmt. Es ist zuviel und zu allumfassend; es langweilt, aber der Hersteller hat seine Pflicht getan und sich rechtlich abgesichert. Im industriellen Bereich genauso. Da werden ganze Türen und Wände mit Sicherheitsdatenblättern beklebt, weil dahinter irgendwas Chemisches lagert. Selbst wenn es in einer Konzentration vorliegt, die Mutti durchaus im Wischeimer angerührt haben könnte. Das liest sich kein Mensch mehr als einmal durch und im wirklichen Falle eines Medienaustritts muss man erstmal die ganze "Plakatwand" durchsuchen. Arbeitssicherheit wird groß geschrieben, zu Recht! Aber bei genauester Auslegung dürfte man kaum noch einen Handschlag tun. Schon Stehen und Gehen sind gefährlich, Sitzen auch.
Statt alles immer mehr aufzublasen um auch noch die kleinste Unfallmöglichkeit mit einzuschließen, sollte die Maßgabe sein, dass eine Unfallverhütungsmaxime so gestaltet sein sollte, dass man nichts mehr weglassen kann. Gerade im Konsumentenbereich sollte sowas doch recht schmal ausfallen können, weil der Kram doch hoffentlich ausreichend idiotensicher aufgebaut sein sollte.
Tja, und hierzu:
Zitat von ZRMan muss sich klar machen, dass Dinge wie Eisenbahnen oder Straßenbahnen unter modernen Produktsicherheitsgesetzen nie hätten in den Verkehr gebracht werden dürfen. Nahezu die gesamte industrielle Revolution ist nach heutigen Gesetzen kaum durchführbar.
kann man nur sagen, dass wir heutzutage nichtmal mehr das Feuer entdecken würden. Geschweige denn, dass wir Individualverkehr dulden würden oder Stromanschlüsse in privaten Haushalten. Der Wunschtraum aller Riskikovermeider ist das tolkiensche Auenland ... nur eben vegetarisch, auf Wasser- und Kräuterteebasis und ohne Feuerwerk und Pfeifenkraut.
Beste Grüße, Calimero
------------------------------------------------------- Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel
ich denke ähnlich wie Emulgator, dass die Inflation der Sicherheitshinweise etwas mit dem bei uns so gerne als "amerikanisch" (10 Fantastilliarden Dollar Schmerzensgeld für einen lauwarmen Kaffee auf der Hose im Restaurant zu den goldenen Bögen) verunglimpften Thema Produkthaftung zu tun hat. Und dass die Hersteller Angst haben, dass sie sich Haftungsklagen ausgesetzt sehen bzw. dass ihre Versicherung nicht zahlt, wenn sie nicht jede denkbare Unfallmöglichkeit im Handbuch abdecken.
Ähnliches beobachte ich bei Arzneimitteln, ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, in der ein Beipackzettel tatsächlich nur DIN A5 groß war.
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
All diese Warnhinweise dienen ja nicht der Erleuchtung des DAU ("Vorsicht: Pudel nicht in der Mikrowelle trocknen"), sondern der Abwehr der PDR, der Perfidesten Denkbaren Rechtsverdreherei. Bekanntlich sind Fakten, Logik & Lebenserfahrung immaterielle Güter, die in der 2. Halbzeit eines jeden Rechtsstreits unter den Rädern der aktennotorischen Positionen der Streitparteien zu Staub werden.
Ansonsten müßte nicht nur die Industrielle Revolution, wie erwähnt, rückwirkend für unzulässig erklärt werden, sondern jeder prospektive Benutzer einen Test auf fortgeschrittenes Leseverständnis & Dekodierung sinnbefreiter Schriften ablegen.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #4dem bei uns so gerne als "amerikanisch" (10 Fantastilliarden Dollar Schmerzensgeld für einen lauwarmen Kaffee auf der Hose im Restaurant zu den goldenen Bögen) verunglimpften Thema Produkthaftung zu tun hat.
Unsere Medien setzen i.a.R. auf diesen Schelm noch einen halben, indem sie den normalen Ausgang solcher Verfahren unterschlagen: Dergleichen im 1. Verfahren verhängte Summen werden ja nie gezahlt. Statt dessen wird hier die Hintertür einer "außergerichtlichen Einigung" geöffnet: Die geklagte Firma zahlt im Zweifelsfall mehr, als sie beim Durchfechten im Fall eines Freispruchs berappen würde; dafür wird dem Kläger eine mehr oder weniger wasserdichte Schweigepflicht abgetrotzt (das Verfahren ist ja abgeschlossen; weiteres Bestehen seitens des Klägers kann leicht unter Rufschädigung/üble Nachrede fallen); der Kläger erspart sich ein womöglich jahrzehntelanges Verfahren, bei dem er/sie/es mgw. am Ende als unzurechnungsfähig darsteht, weil es als Kind mal Äpfel gemopst hat.
Tjo. Ein Nachteil ist vielleicht auch, das nicht mehr genügend viele dumme Menschen früh genug an ihrer eigenen Dummheit sterben. Und so entweder andere gefährden oder einen Haufen Geld kosten.
Kein Experte wird ernsthaft abstreiten, dass Sicherheitshinweise keine Sicherheit schaffen. DAUs und Normalos lesen die nicht. Technische Experten für dieses Produkt kennen die sowieso schon und beachten sie trotzdem nicht. Die Sicherheitshinweise stehen nur und ausschließlich zur Verhinderung von Schadenersatzklagen da. Und das wiederum wurde nur möglich, weil die Gerichte immer absurder geurteilt haben - und damit auf eine allgemeine Entwicklung in der westlichen Gesellschaft reagiert haben.
Ich selbst schreibe mehr Bedienungsanleitungen für Software und nicht für Hardware; aber das Problem mit den zur Abwehr von Klagen eingeflochtenen Passagen kenne ich auch. Und so richtig absurd wird es, wenn man folgendes weiß:
Zur Abwehr von Klagen wird grundsätzlich immer nur ein spezifischer Weg der Produktnutzung dokumentiert. Dieser "bestimmungsgemäße Gebrauch" ist in den meisten Fällen aber völlig praxisfern und wird auch von den Vertrieblern so nicht beworben. Interessiert sich ein Kunde für ein Produkt, dann wird im Verkaufsgespräch sinngemäß gesagt "Sie können sich an diesen Ablauf halten, aber viel sinnvoller geht es wie folgt..."
Als technischer Redakteur ist es mir aber von meinem Arbeitgeber untersagt, die "typische Nutzung" zu dokumentieren oder auch nur eine "alternative Nutzung". Dokumentiert wird allein der "bestimmungsgemäße Gebrauch". Und jetzt passiert folgendes: als technischer Redakteur kenne ich das Produkt ganz gut. Ich weiß dann zum Beispiel auch, dass bei manchen alternativen Nutzungen echte Fallstricke entstehen. Aber die darf ich SCHON GAR NICHT dokumentieren, weil "unsere Firma grundsätzliche keine vermeidbaren Produktfehler dokumentiert". Konntet ihr folgen? Ich KÖNNTE also dem Kunden TATSÄCHLICH nützliche Sicherheitshinweise geben, darf das aber nicht - und schreibe statt dessen Sicherheitshinweise in die Doku, die dem Kunden gar nichts nützen - weil er das Produkt so nicht nutzt.
Dieser Wahn, dass man gesunden Menschenverstand durch Gerichtsverfahren ersetzt führt also letztlich sogar zu einer SINKENDEN Produktsicherheit.
Das ist natürlich verallgemeinert. Es gibt sicher Sicherheitshinweise, die sehr sinnvoll sind. Ein gutes Beispiel für sinnvolle Hinweise ist eine vollständige Inhaltsübersicht. Welche Bestandteile enthält das Produkt? Sehr sinnvoll. Überhaupt sind technische Angaben sinnvoll. Aber Nutzungshinweise...
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xanopos
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22.09.2014 07:30
#8 RE: Vor der Benutzung ist das Gehirn einzuschalten
Zitat von ZRMan muss sich klar machen, dass Dinge wie Eisenbahnen oder Straßenbahnen unter modernen Produktsicherheitsgesetzen nie hätten in den Verkehr gebracht werden dürfen. Nahezu die gesamte industrielle Revolution ist nach heutigen Gesetzen kaum durchführbar.
kann man nur sagen, dass wir heutzutage nichtmal mehr das Feuer entdecken würden. Geschweige denn, dass wir Individualverkehr dulden würden oder Stromanschlüsse in privaten Haushalten. Der Wunschtraum aller Riskikovermeider ist das tolkiensche Auenland ... nur eben vegetarisch, auf Wasser- und Kräuterteebasis und ohne Feuerwerk und Pfeifenkraut.
Wohl eher der motorisierte Individualverkehr (~ weltweit 10^6 Tote pro Jahr). Im Eisenbahnbereich passiert relativ wenig, auch dank der übertriebenen Sicherheitsbemühungen. Im Eisenbahnbereich stört mehr, das nach x Jahren europäische Einigkeit, zwischen den Staaten erhebliche Unterschiede bestehen, nicht das etwas im Land A besser als im Land B wäre, nein, nur anders gelöst. Elektrizität im Haushalt ist ein Positivbeispiel der Produktsicherheit. Ohne irgendwelche Sicherheitshinweise oder besonderen Schulungen lebt der Super-DAU inmitten von 230/400V sehr sicher.
xanopos
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22.09.2014 07:54
#9 RE: Vor der Benutzung ist das Gehirn einzuschalten
Zitat von Emulgator im Beitrag #2Das paradoxe ist, daß die ellenlangen Sicherheitshinweise, die man sich eigentlich mit einem Minimum an technischen Verständnis denken kann, Hinweise untergehen lassen, die wirklich wichtig zum Verständnis und zum Gebrauch sind. Beispiel: Bei elektrischen Geräten, die mit fest eingebauten Akkus betrieben werden, steht, daß man sie nicht ins Feuer werfen soll. Aber es steht nicht immer drauf welcher Typ von Akku es ist. Daraus würde sich aber ergeben, bei welchem Ladezustand man das Gerät am besten lagert.
Consumer-Elektronik wird nicht nur für Leute mit einem Minimum an technischen Verständnis gebaut. Im Elektropathologischen Museum in Wien ist ein Arm von einem Mann, der um eine Kiste Bier mehrere Kilovolt angegriffen hat, er hats zwar überlebt.
Zitat Zwei Aspekte möchte ich noch ansprechen: Zum einen geht es oftmals um Hanftungsfragen. Würden die Hinterbliebenen eines Menschen, der in der Badewanne getoastet hat, gegen den Hersteller erfolgreich eine Zivilklage anstrengen können (wobei natürlich die Frage ist: Gegen den Badewannen- oder Toasterhersteller?
Den FI-Hersteller natürlich bzw. den Elektriker falls der gepfuscht hat.
xanopos
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22.09.2014 08:50
#10 RE: Vor der Benutzung ist das Gehirn einzuschalten
Zitat Teilweise schon in absurder Art und Weise, wenn uns beispielsweise in der Anleitung zum Aufbau eines Möbelstückes geraten wird, dies doch von einem Fachmann (Tischler?) durchführen zu lassen.
Vergleichen mit dem Kaufpreis eines ganzen Schlafzimmers, ist das Aufstellen im niedrigen einstelligen %-Bereich. Und sparrt eine Menge Nerven.
Zitat Eine Lampe beispielsweise soll in dieser Welt selbst nicht von einem kundigen Erwachsenen angeschlossen werden, sondern es soll ein Elektriker bestellt werden.
Für den SUperdau, der auf dem Schreibtischsessel balanziert, und leider vergessen hat die Sicherung abzuschalten. Wer die 5-Sicherheitsregeln nicht kennt, sollte den Fachmann holen.
Zitat Ist das Gerät zu Boden gefallen, ist es nicht etwa auf Funktion zu prüfen, sondern an den Hersteller zur Funktionsprüfung zu übersenden.
Weil die Selbstdiagnose des Gerätes nicht sagen kann, ob eventuell eine gefährliche mechanische Beschädigung entstanden ist.
Zitat Und natürlich ist die Erkenntnis, das man ein Messer nicht zum Bohren in der Nase verwenden sollte, zumindest für die Leute recht hilfreich, die das für eine gute Idee halten.
Auch Autoren von Manuals können manchmal witzig sein.
Zitat Wenn ich heute einen Zaun auslege, um eine Maschine zu schützen, dann hat dieser Zaun nicht mehr als 180 mm vom Boden weg zu sein. Warum ?
Was ist der Sinn von einem Sicherheits-Zaun, wo DAU unten durchklettern kann. Vielleicht rollt mal eine Schraube in den Sicherheitsbereich, und irgendwer käme auf die Idee, unten durchzuklettern.
edit: Und so unrealistisch ist der DAU in der Nähe eines Industrieroboter auch nicht. Die stehen nicht nur in tollen Fertigungsstraßen bei BMW und Co., sondern auch in relativ kleinen Firma, wo z.B. irgendwelche stupiden Verpackungstätigkeiten ausgeführt werden.
Zitat von xanopos im Beitrag #8Wohl eher der motorisierte Individualverkehr (~ weltweit 10^6 Tote pro Jahr).
Genau den meinte ich.
Zitat von xanopos im Beitrag #8Elektrizität im Haushalt ist ein Positivbeispiel der Produktsicherheit. Ohne irgendwelche Sicherheitshinweise oder besonderen Schulungen lebt der Super-DAU inmitten von 230/400V sehr sicher.
Das stimmt, aber die Risikoaversen vertrauen ja heutzutage nicht mehr darauf, dass man Risiken mit technischen Lösungen quasi ausschalten kann. Die gehen ja davon aus, dass nichts wirklich hundertprozentig sicher ist und man nur mit vollkommener Sicherheit leben kann. Technische Vermeidungslösungen sind denen ein Graus, denn von Technik haben sie keine Ahnung und nur gar nichts tun ist komplett risikolos.
Beste Grüße, Calimero
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xanopos
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22.09.2014 14:04
#12 RE: Vor der Benutzung ist das Gehirn einzuschalten
Zitat von xanopos im Beitrag #8Elektrizität im Haushalt ist ein Positivbeispiel der Produktsicherheit. Ohne irgendwelche Sicherheitshinweise oder besonderen Schulungen lebt der Super-DAU inmitten von 230/400V sehr sicher.
Das stimmt, aber die Risikoaversen vertrauen ja heutzutage nicht mehr darauf, dass man Risiken mit technischen Lösungen quasi ausschalten kann. Die gehen ja davon aus, dass nichts wirklich hundertprozentig sicher ist und man nur mit vollkommener Sicherheit leben kann. Technische Vermeidungslösungen sind denen ein Graus, denn von Technik haben sie keine Ahnung und nur gar nichts tun ist komplett risikolos.
Ich habe eine Statistik zu den tödlichen Elektrounfällen in Deutschland 2008 gefunden: http://www.vde.com/de/Ausschuesse/suf/Ar...eiten/2008.aspx Die Ungleichheit der Geschlechter finde ich bemerkenswert. Aber wahrscheinlich halten sich Männer eher für "Experten" und reparieren selbst.
Zitat Allen Auswertungen ist gemeinsam, dass in jüngster Zeit die Ursachen für elektrische Unfälle vor allem in Verhaltensfehlern zu sehen sind. Hierzu zählen Fehler beim Handhaben und Bedienen elektrisch betriebener Geräte und Anlagen, unsachgemäße Reparaturen und unterlassene Wartung vorwiegend von beweglichen Leitungen.
Ich verstehe Llarian besser als mir lieb ist. Beruflich habe ich oft mit Sicherheitstechnik der mechanischen Art zu tun: Panikschlösser. Denen liegt beim Erwerb neuerdings jeweils ein ganzes Pamphlet zu korrektem Einbau und bestimmungsgemäßer Nutzung bei. Trotz des überbordenden Papier- und Schriften-Ersteller-Verschleißes scheint sich qualitativ keine gute Entwicklung zu vollziehen: es gibt ganze Serien dieser Teile, die im Ernstfall mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren besonderen Dienst - panisch flüchten Wollenden die Flucht durch eine eigentlich verschlossene Türe zu ermöglichen - versagen würden. Nicht wegen des DAUs, der sich durch drücken der Klinke retten will, sondern weil das Dienst-nach-Vorschrift-machen auf allen beteiligten Ebenen des Herstellungs- und in-Verkehr-bringungs-Prozesses und mehr noch das Nichtbenutzen des Denkapparates und die Verantwortungsverweigerungshaltung letztlich solche Ergebnisse zeitigen. Jeder sichert sich haftungstechnisch unter Zuhilfenahme von Papier, Paragraphen, DIN- u.a. Normen bis zum Erbrechen ab. Das eigentliche Produkt erhält von der gesamten dafür aufgewendeten menschlichen Denkenergie den geringsten Anteil. Und so dient dann eben z.B. in den selbstverriegelnden Panikschlössern eines Herstellers der halbe (!) Kopf einer M3 (!) Schraube zur Kraftübertragung zwischen Klinke und Falle. Im Panikfall rennt vielleicht jemand zuerst gegen die Tür und versucht erst danach, die Klinke zu drücken - absehbar, was dann passiert: Schraube schert weg, Tür bleibt zu. Oder es werden serienweise Schlösser verbaut, deren Innenleben sich verklemmt, wenn zunächst über den Klinkendruck ein Akustikwarner (so ein grüner Kasten) ausgelöst wird. Das heißt, wenn die Kindergärtnerin den Kasten wegstellt und die Tür normal nutzt, funktioniert alles - nur im wirklichen Ernstfall, wenn die Tür eigentlich zu und der Akustikwarner aktiviert ist und plötzlich ein Panikfall eintritt - eben nicht. Der ganze Krampf ist mehrfach zertifiziert und abgenommen, der Hersteller verweist auf die erfolgreiche Zertifizierung, das Zert-Institut verweist auf die korrekt durchgeführte Prüfung mit 10000 Zyklen unter bestimmungsgemäßen Bedingungen, der Händler verweist auf den Hersteller des Schlosses, der Türhersteller auf den Händler, usw.usf.
Die soziokulturelle Normierung ist die tiefere Ursache der übertriebenen Sicherheitsansprüche.
Die Neigung von Gerichten, Anwälten und vor allem den Medien, die Verantwortung an den Produkthersteller zu adressieren, anstatt mindestens zu gleichen Teilen auch an den Konsumenten/Anwender, entspricht a ) einem Fortschritts- und unternehmerfeindlichen Zeitgeist b ) einem autoritäts- und staatsgläubigen Menschenbild mit dummen, unwissenden Untertanen c ) der Ablehnung des Prinzips der Eigenverantwortung und dem zugehörigen Bildungsstreben um diese wahrzunehmen
Im Sinne dieser Normierung wurden institutionalisierte Profitmöglichkeiten geschaffen in Form von Honoraren für Anwälte, Journalisten, sowie Prestigegewinn für Richter. Deren Interessen führen zu einem spezifischen Menschenbild, das im Sinne dieser Profiteure wirkt: Der unfähige, unmündige, nicht oder kaum zur Eigenverantwortung fähige Mensch, der ständig staatliche Beschützer und Führer benötigt.
Unterlegt durch die Ideologie des Gutmenschentums, die eigenen Interessen hinter angeblichem Gemeinwohl verbergend, ergehen sich Bürokraten, Journalisten, Anwälte, Richter und Politiker in Maßnahmen, die im harmlosen Fall absurd wirken, jedoch enorme Kosten verursachen und bisweilen fortschrittsfeindlich wirken. Für sie selbst jedoch hohe Einkommen und höchsten sozialen Status sichern.
Denn der Aufwand auch noch das allerletzte, allerunwahrscheinlichste Szenario in Sicherheitsvorkehrungen, nimmt eine Exponentialfunktion im Kosten-Nutzen-Verhältnis an.
Dieser Trend geht so lange weiter, wie a ) sich mit dieser quasi-Sabotage an Wohlstand und Fortschritt Geld verdienen lässt durch entsprechende, extra geschaffene Institutionen b ) die normsetzenden Medien das linke Ideal des einerseits verantwortungsunfähigen Menschen, und als Gegenpol den verantwortungslosen Verantwortungsträger, propagieren c ) der Kostendruck durch Profilierung und Profitmaximierung scheinbarer Verbraucher- und Anwenderschützer derart angewachsen ist, daß sowohl Innovation als auch Produktion zum erliegen kommen, weil Produkte zu unpraktisch oder teuer werden.
Dem ökolinken Zeitgeist folgend wird nahezu jede Form von Technologie und Chemie als potentiell bösartig, immer irgendwie schädlich wahrgenommen. Ebenso gelten Unternehmer pauschal als der Skrupellosigkeit und Profitgier verdächtig, mit Ausnahme der EEG-Unternehmer natürlich.
Angstmache ist ein zentrales Herrschafts-, Lenkungs- und Unterdürckungselement, denn ängstliche Untertanen lassen sich gut dressieren und ausbeuten.
Es gab im Staats-TV einmal eine unglaublich gute Doku zu den Machenschaften der Angstindustrie. Immerhin wurde diese Doku überhaupt gesendet, allerdings unter der Woche um 23:30 vor einigen Jahren. Quasi als Vielfaltsbeleg, aber zu einer Sendezeit, die sicher stellt, daß sie kaum gesehen wird.
Diese negativen Folgen der gut gemeinten "Normierung der Sicherheitsansprüche" gibt es übrigens nicht nur im Bereich technischer Produkte und Produktion. Sondern genauso auch bei Dienstleistungen.
Nehmen wir einmal den Bereich "Finanzdienstleistungen".
Viele Finanzprodukte, die man noch vor 10 Jahren problemlos kaufen konnte, sind dem "normalen" Privatanleger heute faktisch kaum noch zugänglich. Sie werden von den Banken nicht mehr angeboten, weil sich die Haftungsrisiken erhöht haben und weil sih der Dokumentationsaufwand für die Beratung gewaltig erhöht hat. Das ist übrigens auch kein rein deutsches sondern ein internationales Phänomen.
Natürlich erfolgt die zugrundeliegende Gesetzgebung in guter Absicht. Man will den Privatanleger vor Risiken bewahren. Aber bei Finanzanlage gilt nun einmal: einen höheren Rendite-Erwartungswert erkauft man sich mit höherem Risiko. Wenn ein Gesetz verhindert, dass Privatanleger Risiken eingehen können, dann verhindert es zugleich auch den Zugang zu höheren Renditen.
Und ich rede hier noch gar nicht von irgendwelchen superkomplexen Finanzprodukten. Sondern schon von relativ bodenständigen Dingen wie geschlossenen Immobilienfonds.
Oder nehmen wir das Thema Börsengang:
Microsoft ist 1986 als relativ kleines Unternehmen an die Börse gegangen (anfänglich Marktkapitalisierung rund 600 Mio.). Privatanleger, die damals eingestiegen sind, konnten - bei entsprechendem Risiko - unglaubliche Erträge machen. Der Kurs hat sich in den ersten Jahren um den Faktor 150 (!) erhöht.
Heutzutage wäre ein solcher Börsengang gar nicht mehr möglich. Die notwendigen juristischen Hürden sind so hoch, dass ein junges Start-Up damit i.d.R. überfordert ist bzw. der Aufwand in keinem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen steht. Also wartet man mit dem Börsengang etwas länger. Als z.B. Facebook an die Börse ging, wurde es mit über 100 Mrd. bewertet. Das hohe frühe Risiko (und damit verbunden die hohen frühen Wertsteigerungsmöglichkeiten) wurde von Hedgefonds, Private Equity Fonds oder sonstigen Großanlegern getragen. Eine Wertsteigerung wie bei Microsoft ist dem Privatanleger damit schlicht nicht mehr möglich.
Zitat von Florian im Beitrag #15Diese negativen Folgen der gut gemeinten "Normierung der Sicherheitsansprüche" gibt es übrigens nicht nur im Bereich technischer Produkte und Produktion. Sondern genauso auch bei Dienstleistungen.
Wichtiger Hinweis. In Deutschland geht man der Existenz eines Menschenrechts aus, das da heißt: "Jeder hat das Recht auf große Chancen, ohne dass diesen ein Risiko gegenübersteht." Sollten Risiken sich wundersamerweise doch einstellen, sind diverse Institutionen dafür verantwortlich zu machen, aber auf keinen Fall derjenige, der das jeweilige Risiko eingegangen ist. Es ist ja nicht seine Schuld. Aber es war sein Recht.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat von Emulgator im Beitrag #2 Das paradoxe ist, daß die ellenlangen Sicherheitshinweise, die man sich eigentlich mit einem Minimum an technischen Verständnis denken kann, Hinweise untergehen lassen, die wirklich wichtig zum Verständnis und zum Gebrauch sind.
Damn! Als ich den Artikel erdacht habe, war mir genau dieser Zusammenhang bewusst, ich habe ihn beim Aufschreiben des Artikels dann vergessen. Denn das ist tatsächlich ein zentraler Punkt: Dinge, die wirklich wichtig sind, werden automatisch überlesen, wenn sie in lauter sinnlosen Hinweisen untergebracht sind. Mir war dafür folgendes Beispiel eingefallen: Wenn Sie heute eine Stromleiste kaufen, dann sind da jede Menge Hinweise, dass sie diese nur mit 230 V betreiben sollen, dass sie nicht ins Wasser darf, etc. pp. Alles Dinge, die einem Menschen mit besagtem Menschenverstand, sofort klar sind, weswegen er irgendwann aufhört zu lesen. Irgendwo in dem Dokument findet sich dann ein Hinweis auf den Schleifenwiderstand (wörtlich steht dort "nicht mehrere Leisten hintereinander betreiben"). Da hat der normale Leser aber längst aufgehört zu lesen. Schleifenwiderstand ? Was ist ist das ? Nun, das ist der Grund dafür warum man keine Steckdosenleisten hintereinander betreiben sollte, denn mit einem ausreichend hohen Schleifenwiderstand (oder auch nur Widerstand) geht irgendwann die Wirkung der Sicherung perdu. Und das ist wirklich gefährlich, allerdings den meisten Leuten nicht klar. Ich kann gar nicht zählen wie oft ich etliche Steckdosenleisten hintereinander gesehen habe und nahezu niemandem war bewusst, dass das im Falle eines Kurzschlusses tödlich gefährlich ist.
Zitat Wenn ja, wie kann die Justiz derartigen Mangel an gesundem Menschenverstand für sachgerecht erachten?
Es ist nicht die Justiz alleine, es ist genauso die Politik, die Medien, ja die Gesellschaft. Unfälle passieren aber nach moderner Leseart dürfen sie nicht passieren. Das jemand "zufällig" zu Schaden kommst, ist in unserer Gesellschaft nicht mehr vorgesehen. Es muss immer jemand schuld sein: Sei es der Hersteller, weil das Gerät keinen Warnhinweis enthielt oder sei es der Betreiber weil er seinen Mitarbeiter nicht vom dummen Handeln abhielt. Es wird ja auch niemand zufällig krank. Es muss irgendjemanden geben der Schuld ist, sei es der Hersteller der Zigarette oder der Autofahrer mit seinen Schadstoffen. Es muss immer eine Ursache geben. Was es nie sein darf ist eines: Dumm gelaufen.
Zitat von xanopos im Beitrag #9 Im Elektropathologischen Museum in Wien ist ein Arm von einem Mann, der um eine Kiste Bier mehrere Kilovolt angegriffen hat, er hats zwar überlebt.
Mehrere Kilovolt, lieber xanopos, überleben Sie schon wenn Sie einen Wollpullover anziehen. :)
Zitat von xanopos im Beitrag #10 Vergleichen mit dem Kaufpreis eines ganzen Schlafzimmers, ist das Aufstellen im niedrigen einstelligen %-Bereich. Und sparrt eine Menge Nerven.
Letzteres ist sicher richtig, ersteres ist mit Sicherheit falsch. Wenn Sie heute beim großen Möbelschweden eine Kommode (sagen wir "Malm") einkaufen, dann kostet die so um die 100 Euronen. Als Bausatz. Wollten Sie jetzt einen Tischler bestellen, der das Ding zusammenschraubt, dann kostet der Aufbau locker 30 Euro (ohne An- und Abfahrt). Denn auch wenn das hirnverbrannt einfach ist, so braucht auch der seine 20 Minuten dafür, vor allem, wenn er sie noch an die Wand schrauben soll (was ja auch in der Anleitung "empfohlen" wird). Die Idiotie liegt vor allem darin begründet, dass es sich explizit um einen Bausatz handelt der nie für einen Fachmann bestimmt war. Würde man auf Bausätze die Preise für Tischler aufrechnen wäre Ikea nicht mehr konkurrenzfähig.
Zitat Wer die 5-Sicherheitsregeln nicht kennt, sollte den Fachmann holen.
Das ändert nix daran, dass derjenige, der die beherscht und auch eine Leiter verwendet, dass trotzdem nicht darf. Formalrechtlich.
Zitat Was ist der Sinn von einem Sicherheits-Zaun, wo DAU unten durchklettern kann.
Das ist genau der Punkt. Der dümmste anzunehmende User. Die meisten Menschen sind aber nicht dumm, bzw. werden nicht gerne als dumm behandelt. Es geht genau darum das Gehirn einzuschalten und eben nicht darunter durchzuklettern. Und nebenbei, ein DAU findet durchaus Mittel und Wege trotzdem über den Zaun zu kommen. Der Sinn eines Sicherheitszaunes besteht darin, dass jemand schnell erkennt wo sich ein Gefahrenbereich befindet und man auch nicht hineinstolpern kann. Es ist eben nicht der Sinn jemanden von etwas dummem abzuhalten. Das geht ohnehin nicht.
Zitat Die stehen nicht nur in tollen Fertigungsstraßen bei BMW und Co., sondern auch in relativ kleinen Firma, wo z.B. irgendwelche stupiden Verpackungstätigkeiten ausgeführt werden.
Auch in kleinen Firmen ist der Verstand nicht ausgestorben.
Zitat von saxe im Beitrag #13 Im Panikfall rennt vielleicht jemand zuerst gegen die Tür und versucht erst danach, die Klinke zu drücken - absehbar, was dann passiert: Schraube schert weg, Tür bleibt zu.
Das ist, auch wenn es nicht beruhigend ist, gut zu wissen, lieber saxe, wenn man mal eine Panikentriegelung benötigt. Ich hoffe in dem Moment an diesen Mechanismus zurückzudenken.
Zitat von Llarian im Beitrag #20Und nebenbei, ein DAU findet durchaus Mittel und Wege trotzdem über den Zaun zu kommen.
Wie der weise Douglas Adams das formuliert hat: “A common mistake that people make when trying to design something completely foolproof is to underestimate the ingenuity of complete fools.” (Mostly Harmless)
Bei der Bundeswehr gab es dafür mal die Kategorie "soldatensicher".
Mein Kollege Alexander Neubacher gehört zu der Gruppe von Menschen, die es nicht als Fortschritt empfinden, wenn einem das Auto sagt, wann man Pause machen soll. ... Viele Vorschriften, die ihn vor sich selber beziehungsweise seiner Unvernunft schützen sollen, empfindet Neubacher nicht als hilfreichen Rat, sondern als unzulässige Einmischung in sein Leben.
Nach dem "Ökofimmel", in dem er den grünen Sittenwächtern heimleuchtete, erscheint dieser Tage seine Anklage gegen den "präventiv-bürokratischen Komplex", wie er den Staat nennt, der seine Bürger wie Kinder behandelt. "Total beschränkt" heißt das Buch. Ich habe es über das Wochenende gelesen. Jetzt weiß ich, dass ich auf einem Elektrofahrrad, das nur meinen Pedaltritt unterstützt, 1,6 Promille im Blut haben darf, ohne den Führerschein zu verlieren, auf einem Elektrorad, das auch im Leerlauf arbeitet, aber nur 0,5 Promille. Damit hat sich die Lektüre für mich schon mal gelohnt. ... Wer den Leuten misstraut, dass sie selber die richtigen Entscheidungen treffen können, muss sie mit Warnhinweisen umstellen. Das ist wie auf dem Kinderspielplatz. ,,, Irgendwann ist man beim Trottelbürger. "Zu viel Bürokratie verblödet", schreibt Neubacher zu Recht. "Eine überfürsorgliche Politik erzeugt erst die Hilfsbedürftigkeit, die sie den Bürgern fälschlicherweise unterstellt. Die Verbote siegen über den Verstand: Je mehr Beschränkungen, desto mehr Beschränkte."
PS: Hmm: http://de.wikipedia.org/w/index.php?titl...eit&redirect=no Der Begriff der Totalbeschränktheit (oder Präkompaktheit) benennt eine bestimmte Beschränktheitseigenschaft eines metrischen Raums. Man kann zeigen, dass ein metrischer Raum genau dann kompakt ist, wenn er vollständig und totalbeschränkt ist.
Das haben wir ja schon immer gewußt: Mathe ist doof.
xanopos
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24.09.2014 07:15
#25 RE: Vor der Benutzung ist das Gehirn einzuschalten
Zitat von xanopos im Beitrag #9 Im Elektropathologischen Museum in Wien ist ein Arm von einem Mann, der um eine Kiste Bier mehrere Kilovolt angegriffen hat, er hats zwar überlebt.
Mehrere Kilovolt, lieber xanopos, überleben Sie schon wenn Sie einen Wollpullover anziehen. :)
Ja, so einfach hätte der Depp damals eine Kiste Bier haben können.
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