Frohes Ostern kann ich Ihnen nicht mehr wünschen, da bin ich zwei Wochen zu spät. Aber ich schäme mich etwas, Ihnen nicht geantwortet zu haben.
Wir erleben eine kulturelle Entwicklung weg vom Christentum, schreiben Sie. Und dieses definieren Sie seinem Kern nach als „Nächstenliebe“. Es existieren verschiedene christliche Kirchen, genau besehen tausende konfessionelle Varianten. Sehen wir einmal davon ab und suchen das Wesen des Christentums zu treffen. Da müssen wir feststellen. Quer durch die Konfessionen gibt es zwei hauptsächliche Deutungen : die ethische (die auch Sie zu vertreten scheinen) und die religiöse (in der Bandbreite volkskirchlich bis evangelikal-spirituell).
Dann gibt es noch eine ganz andere Sicht: das ‚religionslose Christentum‘ (Dietrich Bonhoeffer). Sechzig Jahre nach dessen Hinrichtung ist eine Reihe von Bibelwissenschaftlern und systematischen Theologen in der Erkenntnis des Wesens des Christentums weiter vorangeschritten.
„Ich will meine christlichen Wurzeln nicht ablegen“, sagen Sie. Das hieße angesichts dieser Forschungsergebnisse: Unsere Wurzel ist nicht das Christentum, sondern das Judentum; wir befinden uns als Ast auf einem jüdischen Ölbaum (Römerbrief des Paulus, 9-11). Jesus war Jude und kein Christ; er wollte Israel neu sammeln mit den Zwölfen. Dafür starb er. „Ich brauche niemanden, der für meine Sünden stirbt“, sagen Sie, „ich brauche keine Kirche“, nur mit gewissem Recht. Jesus starb, weil der Tempel und die Führer seine Reform in Richtung ‚religionsloses‘ Judentum ablehnten, da sie ihren Kompromiss bedroht sahen. Ohne diesen Tod gäbe es gar kein Christentum. Denn es ist die Antwort auf diesen theologischen Justizirrtum. Zwischen 30 und 400 nach Chr. (zuletzt im syrischen Raum) entfremdete sich das Christentum von der Synagoge; im Jahr 70 n.Chr. ließ sich ein kluger Rabbi in Abstimmung mit den Römern in einem Sarg (aus Vorsicht wegen der Patrioten) aus dem belagerten Jerusalem schmuggeln und gründete im Norden (Jabne) das neue Gelehrtenjudentum ohne Tempel und ohne Land. Beide, die messianischen Christen und das moderne Judentum, fußen auf dem gleichen alten Israel und der jüdischen Bibel („Altes Testament“); das Israel des AT gibt es nicht mehr.
Wir brauchen eine neue nichtreligiöse Sprache, das lese ich aus Ihren Worten. „Ich brauche keine Erlösung“, sagen Sie und fordern eine Gesellschaft der Nächstenliebe. Alle religiös verdorbenen Begriffe müssen ersetzt werden, zunächst mit einer richtigen Praxis. Dann werden uns die neuen Vokabeln schon einfallen. Wie schön wäre der Religionsfriede in einer Welt mit religionslosen wirklichen Christen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #25Genau das meinte ich auch.
Dann habe ich das wohl falsch verstanden und hätte mir meinen Kommentar sparen können.
Zitat von Emulgator im Beitrag #25Die luth. Rechtfertigungslehre wurde vom Vatikan keinesfalls anerkannt. Man hat lediglich in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre die Unterstellungen und Mißverständnisse, was denn die Lehre des anderen sei, ausgeräumt. Man ist dann übereingekommen, daß diese Lehren tatsächlich unterschiedlich sind.
Ich schrieb "faktisch". Die übrigen Differenzen sind was für Theologen, aber nicht für einen gemeinen Gläubigen wie mich.
Zitat von Emulgator im Beitrag #25Im Übrigen besteht die gesamte Christenheit nicht nur aus der römischen Kirche und ihren reformierten Abspaltungen.
Leider nicht (oder zum Glück nicht?). Aber wenn man sich ansieht, worüber sich da so alles gestritten wird, dann kann man sich es Eindrucks nicht erwehren, dass Theologen andere Prioritäten haben als normale Menschen... Da wird über tausend Dinge gestritten, die spekulativ aus den Texten abgeleitet werden, und die eigentliche Botschaft Jesu selbst rückt eher in den Hintergrund. Dabei ist sie doch so einfach. Vielleicht zu einfach für Menschen, die sich die Beschäftigung damit zum Beruf gemacht haben.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #27Ich schrieb "faktisch". Die übrigen Differenzen sind was für Theologen, aber nicht für einen gemeinen Gläubigen wie mich.
Mit dem zweiten Satz geben Sie ja zu, daß Sie die "faktische Anerkennung" gar nicht nachweisen können. Man kann doch auch nicht sagen, daß Wal und Hai "faktisch dasselbe" seien, weil man ja kein Zoologe sei, um sich mit dem Unterschied zwischen Säugetier und Fisch zu befassen. Der Fakt der dogmatischen Unterschiedlichkeit ist jedenfalls noch groß genug, daß sich die Kirchen nicht wieder vereinigt haben.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #27Aber wenn man sich ansieht, worüber sich da so alles gestritten wird, dann kann man sich es Eindrucks nicht erwehren, dass Theologen andere Prioritäten haben als normale Menschen... Da wird über tausend Dinge gestritten, die spekulativ aus den Texten abgeleitet werden, und die eigentliche Botschaft Jesu selbst rückt eher in den Hintergrund.
Das trifft ausgerechnet auf die westliche Theologie zu, nicht so sehr auf die orthodoxe. Ich habe Ihnen ja angedeutet, daß das Fegefeuer in der Orthodoxie unbekannt ist. Genauso auch die Erbsündenlehre. Daher braucht der Orthodoxe sich auch keine Gedanken zu machen, ob Maria so empfangen wurde, daß sie die Erbsünde nicht mehr an ihren laut Bibel ohne Sünde gestorbenen Sohn weitergeben konnte ("unbefleckte Empfängnis"). Für den Katholiken spielt das eigentlich auch keine Rolle im praktischen Leben, es sei denn, man wollte sich darüber streiten. Im Kontrast dazu stehen die christologischen Dogmen der Antike. Auch darüber wurde ja mächtig gestritten. Aber sie haben ihre Bedeutung im praktischen Leben. Beispielsweise liefert die Dreifaltigkeitslehre für Herrscher, die sich --wie immer-- zu ihrer Legitimation metaphysischer Konzepte bedienen, keine so "pyramidale" Legitimation wie der Arianismus, in der der Sohn im Grunde bloß als ausführendes Organ des Vaters gesehen wird. Das Göttlicht ist eben in allen Religionen ein Spiegelbild dessen, was man sich auf zwischenmenschlicher Ebene vorstellt.
Sicherlich muß nicht jeder Christ sich detailliert damit auskennen. Allerdings ist es auch nicht so gut, wenn man diese Dinge, auf denen doch unser ganzes heutiges Denken aufbaut, als irrelevante Arkandisziplin geringschätzt und in der breiten Bevölkerung in Vergessenheit geraten läßt. Da hatte Ayn Rand schon recht, daß eine Philosophie zu haben, ein ganz wichtiges Mittel ist, sich gegen die Ausbeutung von Demagogen zu wehren. Sonst wird man von Leuten hinters Licht geführt, die je nach Lage mal konservativ, mal liberal und mal christlich-sozial sind und sich unverhohlen über den Tod anderer Menschen freuen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #28Man kann doch auch nicht sagen, daß Wal und Hai "faktisch dasselbe" seien, weil man ja kein Zoologe sei, um sich mit dem Unterschied zwischen Säugetier und Fisch zu befassen. Der Fakt der dogmatischen Unterschiedlichkeit ist jedenfalls noch groß genug, daß sich die Kirchen nicht wieder vereinigt haben.
Wenn ein langer Streit vor allem darum ging, ob das Tier nun im Wasser oder auf dem Land lebt, dann interessiert es wenig, ob es sich konkret um einen Wal oder einen Hai handelt. Dass bisher noch nicht mal eine gegenseitige Einladung zum Abendmahl möglich ist, dürfte vor allem mit dem Amtsverständnis zusammenhängen - und wie wir wissen, hat sich Jesus um dieses ja ganz besonders gekümmert.
Zitat von Emulgator im Beitrag #28Sonst wird man von Leuten hinters Licht geführt, die je nach Lage mal konservativ, mal liberal und mal christlich-sozial sind und sich unverhohlen über den Tod anderer Menschen freuen.
Das hängt mit diesem Thema konkret wie zusammen?
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #29Dass bisher noch nicht mal eine gegenseitige Einladung zum Abendmahl möglich ist, dürfte vor allem mit dem Amtsverständnis zusammenhängen -
Das sagen sehr stark verkürzend bestimmte Theologen. Weniger verkürzend führen die fundamentalen Unterschiede in der Sakramentenlehre dazu, daß neben vielem anderen auch das Amtsverständnis verschieden ist. Das ist der Reihe nach leicht erkennbar:
Sie schreiben ja "Abendmahl". Die katholische Kirche kann aber niemanden zum Abendmahl einladen, weil es das bei ihr nicht gibt. Das Abendmahl bezieht sich nämlich auf den Gründonnerstag. Alle Christen sagen, daß am Gründonnerstag Jesus etwas "eingesetzt" habe. Nur ist es bei Protestanten eine Art Gedächtnismahl, ein Zeichen, das den protestantischen Glauben stärken und trösten soll. Dieser protestantische Glauben besteht übrigens darin, daß man allein durch eben diesen Glauben selig würde. Nichts andere. Paul Hacker nennt es deswegen einen "reflexiven Glauben". Man glaubt sozusagen gar nicht wirklich an einen personalen Gott, sondern an seinen eigenen Glauben. Dadurch ist für das Luthertum die Hauptsache der psychologischen Funktion aller Sakramente (Trost, Selbstbestätigung als Glaubender und sozusagen "damit der Glaube etwas zum Anfassen hat").
Traditionell wird der Gründonnerstag aber so verstanden, daß Christus am Vorabend lediglich die Form eines Mahles eingesetzt hat, um so Sein Opfer am Karfreitag zu zelebrieren/vergegenwärtigen. Was Christen in der Eucharistie begehen, ist also nicht der Gründonnerstag sondern der Karfreitag. Deswegen kann es nicht Abendmahl genannt werden. Das Abendmahl war gewissermaßen bloß eine technische Sache, weil Jesus Christus am Kreuz genagelt keine Hände mehr frei hatte, das Brot zu brechen (außerdem hatten sich die meisten Jünger an dem Tag sowieso schon verkrümelt). Folglich konnten die Jünger beim Abendmahl am Gründonnerstag noch gar nicht verstehen, was Jesus ihnen gerade beibrachte (Joh. 13,7). Das konnten sie sich erst nach dessen Vollendung durch das Karfreitagsereignis erklären (Lk. 24,30-32).
So, und nun wird das mit dem "Amtsverständnis" deutlich: Weil das psychologisch wirkende Zeichen bloß durch die Worte und die Gestalten "zum Anfassen" erreicht wird, reicht dieses für ein evangelisches Abendmahl breits aus. Weil die Eucharistie aber von Alters her das Opfer Christi für die Menschen ist, braucht man einen Repräsentanten Christi, der sich gegenüber den Menschen opfert. Das macht der Priester in der stellvertretenden Form, die Jesus Christus am Gründonnerstag eingesetzt hat.
Bei "Amtsverständnis" ist also nicht an einen Verwaltungsapparat zu denken, sondern an die Frage, ob man im Gottesdienst ein personales Gegenüber braucht, das sich opfert, oder nicht. Die Reformatoren haben explizit verworfen, daß die Heilige Messe ein Opfer sei (Art. 24 CA). Für sie gibt es deswegen so ein Gegenüber nicht. Katholisch-orthodox ist aber, daß die Heilige Messe genau das eine Opfer Christi ist. Sozusagen Sonntag früh in die Messe gehen, um wie durch ein Wurmloch bei der Kreuzigung auf Golgatha vor zwei Jahrtausenden live dabei zu sein.
Edit: Es gibt übrigens sogar zwischen der Selbständig evangelisch-lutherischen Kirche keine Abendmahlsgemeinschaft mit den Landeskirchen der EKD. Da man hier sogar dieselben Bekenntnisschriften hat, kann man sehen, daß die Abendmahlsgemeinschaft nicht bloß am Amtsverständnis liegen kann.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #29Das hängt mit diesem Thema konkret wie zusammen?
Ich habe ja geschrieben, daß man zur Legitimation metaphysische Konzepte benutzt. Dazu gehören auch die "gedachten Dinge" wie Freiheit, Reich Gottes oder auch das kommunistische Arbeiterparadies. Wer munter zwischen den Konzepten wechseln kann, weil seine philosophisch orientierungslosen Bürger oder Parteigänger das gar nicht merken, hat einfach eine neue unheimliche Art von Macht.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #26Es existieren verschiedene christliche Kirchen, genau besehen tausende konfessionelle Varianten. Sehen wir einmal davon ab und suchen das Wesen des Christentums zu treffen. Da müssen wir feststellen. Quer durch die Konfessionen gibt es zwei hauptsächliche Deutungen : die ethische (die auch Sie zu vertreten scheinen) und die religiöse (in der Bandbreite volkskirchlich bis evangelikal-spirituell).
Bei der christlichen Deutung muss ich an Wittgensteins Ausspruch denken, dass das Christentum keine Theorie über den Verbleib der menschlichen Seele sei, sondern eine Lehre über Richtig und Falsch. In den skandinavischen Ländern soll, das habe ich gelesen, diese Deutung sehr weit verbreitet sein. Dort versteht man unter einen Christen nicht jemand besonders Gläubigen, sondern einen guten, sittlichen Menschen. Es fragt sich allerdings, ob man für so ein Christentum eine Kirche, eine Konfession usw. braucht oder sich nicht allein genügt. In den USA soll wohl ein Mittelding bestehen: In der öffentlichen Wahrnehmung gehört Religiösität zum "Gutsein" eben dazu. Der Glaube ist sozusagen selbst eine Tugend und gleichzeitig eine Unterstützung für gute Taten.
Allerdings frage ich mich, ob diese ethische Deutung nicht doch eher etwas für Philosophen und philosophisch ausgerichtete Menschen ist und weniger für die Mehrheit der Gläubien, die darin weniger Halt und Trost findet. Zumal es ja genug "sekulare" Ethiken gibt, die man nicht glauben muss (bzw. nicht im diesem Sinne glauben muss, eine Diskussion über moderne Ethik wäre ein anderer Thread). Was solls, vielleicht irre ich mich in diesem Punkt auch einfach.
Zitat Dann gibt es noch eine ganz andere Sicht: das ‚religionslose Christentum‘ (Dietrich Bonhoeffer).
Können Sie bitte die Knackpunkte dieser Richtung kurz zusammenfassen? Wenn ich das richtig verstanden habe, dann wendet sich Bonhoeffer gegen den Religionsbegriff?
P.S.: Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der "Gott-ist-tot-Theologie"?
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #26Es existieren verschiedene christliche Kirchen, genau besehen tausende konfessionelle Varianten. Sehen wir einmal davon ab und suchen das Wesen des Christentums zu treffen. Da müssen wir feststellen. Quer durch die Konfessionen gibt es zwei hauptsächliche Deutungen : die ethische (die auch Sie zu vertreten scheinen) und die religiöse (in der Bandbreite volkskirchlich bis evangelikal-spirituell).
Bei der christlichen Deutung muss ich an Wittgensteins Ausspruch denken, dass das Christentum keine Theorie über den Verbleib der menschlichen Seele sei, sondern eine Lehre über Richtig und Falsch. In den skandinavischen Ländern soll, das habe ich gelesen, diese Deutung sehr weit verbreitet sein. Dort versteht man unter einen Christen nicht jemand besonders Gläubigen, sondern einen guten, sittlichen Menschen. Es fragt sich allerdings, ob man für so ein Christentum eine Kirche, eine Konfession usw. braucht oder sich nicht allein genügt. In den USA soll wohl ein Mittelding bestehen: In der öffentlichen Wahrnehmung gehört Religiösität zum "Gutsein" eben dazu. Der Glaube ist sozusagen selbst eine Tugend und gleichzeitig eine Unterstützung für gute Taten.
Diese Wahrnehmungen in diesen Ländern existieren sicher, doch sind sie gesamtkirchlich gerechtfertigt? Sind diese Wahrnehmungen und die zwei Deutungen "religiös vs. ethisch" nicht womöglich ein Symptom einer Auseinanderentwicklung des römischen Traditionsstranges (wozu auch die Kirchen der Reformation gehören) von der Orthodoxie?
Ich meine damit folgendes: Basierend auf Mt. 5,24 erklären Johannes Chrysostomos und Cassian, daß schon jedes Gebet ungültig sei, sofern es in einem Zustand des Zerwürfnisses mit anderen erfolgt. Orthodoxe Theologen bekräftigen deswegen bis heute, daß man tatsächlich sich erst real mit seinem Nächsten versöhnen muß, den man gekränkt hat oder gegen den man Groll hegt, bevor man Gottesdienst feiern will. Auf diese Weise sind Ethik und Nächstenliebe eng verbunden mit religiös-spiritueller Praxis (daß aus der Geltung der Norm nicht auf ihre Einhaltung geschlossen werden kann, sei einmal dahingestellt). Daraus folgt ein Unterschied zur römisch-katholischen Kirche, wo es kirchenrechtlich eine unbedingte Sonntagspflicht gibt, und kein Ausnahmetatbestand für den Fall vorgesehen ist, daß man keine Zeit für den Gottesdienst hat, weil man sich erst mit jemanden versöhnen muß (siehe Can. 1247). Dadurch fehlt eine enge Verbindung zwischen religiös-spiritueller und ethischer Praxis. In der Reformation wurde diese Entkopplung noch weiter ausgebaut, kommt es doch nun explizit nur noch auf den Glauben an, um das Abendmahl zu empfangen.
Es ist in diesem Umfeld nur folgerichtig, Spiritualität und Ethik getrennt zu sehen.
Vielleicht können Sie, Herr Weimer, genaueres dazu sagen. Bei den letzten Päpsten ist mir die orthodoxe Auslegung von Mt. 5,24 nirgends begegnet. Wenn ich direkt nachfrage, wird ihr von fast allen westlichen Geistlichen sogar widersprochen. Lediglich bei Kardinal Ratzinger findet sich in Communionis Notio die Bemerkung, "die neue Beziehung zwischen Mensch und Gott, die in Christus grundgelegt ist und in den Sakramenten mitgeteilt wird, weitet sich dann auch aus in eine neue Beziehung der Menschen zueinander." Soweit ich gehört habe, wird entsprechend in der Integrierten Gemeinde auch mehr Wert auf Begegnung und Gemeinschaft gelegt, als in der volkskirchlichen Praxis, wo man sich nach dem Gottesdienst wieder zerstreut.
zwischen Bonhoeffers Gedanken zu einem "religionslosen Christentum" und der "Gott-ist-tot-Theologie" gibt es mehr Differenzen als Verbindungen. Also:
Die Ideen, die Bonhoeffer im Gefängnis in Briefen vor seiner Hinrichtung entwickelte, beginnen am 30.04.1944 (also erst nach der zweiten Hälfte der Sammlung zum Buch "Widerstand und Ergebung"). Er reagierte auf das Angekommensein der Aufklärung, Religion sei nur ein Opium, ein Trostpflaster, bei den Zeitgenossen und meinte zu erkennen, dass das bisherige Christentum keine Zukunft mehr habe, weil es nur auf diese Form von Religion gebaut habe, was früher auch genügte. Was aber, wenn die Kirche dieses Gewand ablegen würde und ein neues anzöge, nämlich in weltlicher Sprache von einer wirklichen Verwandlung von Welt sprechen könnte? "Christus ist dann nicht mehr Gegenstand der Religion, sondern etwas ganz anderes, wirklich Herr der Welt". Bisher habe die Verkündigung der Kirche bei der Schwäche des Menschen angesetzt, was, wenn sie nun bei den Stärken ansetzte, nicht bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten "mitten in unserem Leben"? (30.4.44) "Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden. (...) Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen" (zum Tauftag eines Kindes aus der Verwandtschaft im Mai 1944).
Die in den USA der 60er Jahre entstandene Gott-ist-tot-Theologie sieht das gleiche Problem, löst es aber mit Veränderungen am Inhalt des christlichen Glaubens. "Death of God" bei G. Vahanian, Paul van Buren und im Gefolge dann z. B. bei D. Sölle hierzulande bezieht sich aber noch nicht auf das tatsächliche Nichexistieren Gottes, sondern wie bei Nietzsche auf den Tod des Glaubens an den transzendenten Gott im Denken und Leben der modernen Menschen. 'Gott' steht dabei für die alte Sprache (das Sakrale und die Vorsehung, Allmacht über die Geschichte). Dafür brauche es einen glaubwürdigen Ersatz. Die genannten Autoren sahen ihn in dem Glauben an den ethisch guten Menschen Jesus, den man als Vorbild wählen könne. Anders, nämlich radikal verstand es Th. Altizer: Gott ist wirklich tot, (so las er Hegel:) Er war nur im Bewusstsein des Menschen, in unserem Geist existierend, Theologie ist nur Poesie gewesen; heute erkennt der Mensch das und zieht die Konsequenzen. Auch der jüdische Autor R. Rubenstein gesellte sich zu dieser Richtung: Vielleicht sei Gott schon bei der Schöpfung gestorben, gewiss aber in Auschwitz.
Was alle Genannten bewegt, ist das ungeklärte Verhältnis des jenseitigen Gottes zum diesseitigen Leid der Menschen. Die richtige Antwort wäre meiner Meinung nach gewesen: Gott hat sein Geschöpf begabt, in der materiellen Welt zu wirken, und er lässt ihm alle Freiheit. Die Glaubenden erkennen dies als Auftrag und sind so gleichsam die Hände Gottes in der Welt. In Auschwitz fehlte nicht Gott, sondern das Tun der Christen fehlte. - Das christologische Ärgernis, der "Sohn" Gottes, hat damit auch eine Lösung. Jesus war "der Mensch für Gott" (K. Barth) und zugleich damit das Wort Gottes in Person. Bonhoeffer und auch die frühe Sölle kamen dieser Sicht ganz nahe.
Braucht eine Ethik auch eine Kultreligion und eine Kirche und warum?
Eine gelebte Sittlichkeit muss es geben können auch ohne Kirche, aufgrund des Gewissens des Menschen, sonst wären biblischer Glaube und Kirchenmitgliedschaft nicht frei, sondern zwingend. Eine andere Frage ist, ob sich nicht die Ethik außerhalb und innerhalb der Kirche unterscheiden muss.
Die biblische Ethik hat eine Begründung im Auszug aus Ägypten und im Bund am Sinai, d.h. die Erfahrung eines Gottesvolkes in der Geschichte mit Gott ist der tragende Ermöglichungsgrund. Die Gebote sind Verheißungen: Du brauchst nicht morden, stehlen, die Ehe brechen… Dafür ist der Maßstab auch höher als der des Allgemeinmenschlichen, nämlich: Du sollst die Barmherzigkeit , Treue und Liebe Gottes, die Du erfahren hast in dieser Geschichte, widerspiegeln, weitergeben. Die Kraft dazu erhält man in der Teilnahme an dem Leben der Kirche und an den Festen.
Man kann also fragen, wie der Mensch dazu befreit wird, seinen Egoismus und die Angsterfülltheit überwinden zu können ohne dieses Getragensein im Volk Gottes (das verlangt Demut). Die Antwort wird wohl sein: Es gelingt ohne Gottesvolk nur wenigen und selten in der Welt, durch die Kirche sollte es vielen gelingen (Daher die erstaunlichen Formulierungen Jesu: Sünder zu rufen und nicht die Gerechten; die Dirnen kommen ins Gottesreich vor euch).
Ohne Nächstenliebe und Versöhnungsbereitschaft (Sie nennen Mt 5,24; auch Mk 11,25 spricht davon) ist ein Kult, ein Gottesdienst sinnlos. Das ist ein Kernpunkt der Religionskritik der jüdischen Propheten und Jesu. Der Gegensatz Glaube oder Werke ist nur ein Scheinproblem.
Eine wirkliche Frage ist: Wieviel Gemeinschaft braucht der Mensch, um erlöst und frei zu sein? Die Katholiken sagen zum Minimum: „Ein Christ ist kein Christ“. Die Praxis reicht von der Teilnehme am Sonntagsgottesdienst bis zur Tischgemeinschaft im Kloster. Schon bei den Aposteln gab es eine große Vielfalt (grob: Apostel – Jünger - Volk). Diese Frage aus der größeren Perspektive gestellt lautet aber: Wieviel Gemeinschaft braucht Gott, damit er ein Werkzeug in der Kirche hat, das taugt? Ein weltweites Netz aus Gemeinden war die Antwort. Und je mehr Miteinander statt Einzelkämpferei, desto schöner und reicher werden das Leben für die einzelnen und der Erfolg für Gott sein.
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