Vielen Dank für die Erläuterung des Begriffs Kulturpessimismus, der mich hier in letzter Zeit überrascht hat und unter dem ich mir wenig vorstellen konnte (hauptsächlich eine Assoziation von "Kulturpessimisten" mit "Kulturchampignons": künstlich herangezüchtete Pessimisten).
Zitat Wir erleben heute, wie auch durch die letzten Jahre, eine kulturelle Entwicklung weg vom Christentum. Teilweise ganz offen vorgetragen durch hunderttausende von Austritten aus der Kirche, teilweise versteckter, beispielsweise in den Urteilen der BVerfG mit seinen Kruzifixen und Kopftüchern. Das Idealbild ist dabei eine laizistische Gesellschaft, in der das Christentum eigentlich nur noch hinter verschlossenen Türen stattfinden soll, wenn denn überhaupt, denn die Idee, die Kirchen komplett zu verdammen ist, wenn auch als Außenseiter, durchaus im öffentlichen Meinungskanon zu finden.
Versteckt sich dahinter nicht auch ein gewisser Kalkül auf Basis der Abwägung, welcher Staat leichter von muslimischen Gottesgesetzgebern gekapert werden kann, ein fest auf christlicher Grundlage stehender oder ein ostentativ säkularisierter? Wir hatten ja hier im kleinen Zimmer erst kürzlich die Diskussion um den Karfreitag: die besondere gesetzliche Behandlung, die diesem zuteil wird, könnte im Zuge einer durchgesetzten Gleichberechtigung (oder dann auch wieder Ungleichberechtigung) als Vorlage für eine Einschränkung allgemeiner Rechte zugunsten z.B. islamischer Feiertage oder religiöser Vorstellungen dienen. Da, könnte man meinen, wäre es doch besser, die Religion ganz aus dem Staatsbetrieb zu verbannen und zur allein durch das Grundrecht zur persönlichen Religionsausübung geschützten Privatangelegenheit zu machen. Andererseits sieht man in der Türkei, wie auch ein dezidiert säkularer Staat in den Händen eines religiösen Straßenbahnfahrers schnell wieder in ein klerikales Fahrwasser gesteuert werden kann. Die Entwicklung in Großbritannien, das (noch) offiziell ein christlicher Staat ist, aber auch die Multikultiidee ziemlich weitgehend umgesetzt hat, wird auch ein Licht auf diese Frage werfen, allerdings wohl ohne viel zur letztlichen Klärung beizutragen.
Zitat Man muss die Kirche nicht mögen, aber der Kern des Christentums ist von der Theorie her die Nächstenliebe. Mit dem Zurückdrängen der Kirche wird natürlich auch entsprechend diese Idee zurückgedrängt.
Das erscheint mir nun weder natürlich noch zwingend. Das Christentum hat kein Monopol auf die Nächstenliebe, und man kann diese auch auf einer ganz unreligiösen oder jedenfalls vom Brimborium der organisierten Religionen abgekoppelten Grundlage entwickeln. Es könnte freilich durchaus der Fall sein, daß in unserer Gesellschaft der Schwund an aktiven Christen mit einem wachsenden Egoismus parallel stattfindet, aber das bedeutet noch keinen kausalen Zusammenhang, und wenn, dann könnte dieser plausibel auch in der anderen Richtung wirken: in der individualisierten, von virtuellen Realitäten durchttränkten Spaß- und Konsumgesellschaft ist das altmodische Auferstehungstheater eben nicht mehr so attraktiv wie ehedem, als der einfache Mann sich sonst wenig Unterhaltung leisten konnte.
Zitat von Fluminist im Beitrag #2 Versteckt sich dahinter nicht auch ein gewisser Kalkül auf Basis der Abwägung, welcher Staat leichter von muslimischen Gottesgesetzgebern gekapert werden kann, ein fest auf christlicher Grundlage stehender oder ein ostentativ säkularisierter? Wir hatten ja hier im kleinen Zimmer erst kürzlich die Diskussion um den Karfreitag: die besondere gesetzliche Behandlung, die diesem zuteil wird, könnte im Zuge einer durchgesetzten Gleichberechtigung (oder dann auch wieder Ungleichberechtigung) als Vorlage für eine Einschränkung allgemeiner Rechte zugunsten z.B. islamischer Feiertage oder religiöser Vorstellungen dienen. Da, könnte man meinen, wäre es doch besser, die Religion ganz aus dem Staatsbetrieb zu verbannen und zur allein durch das Grundrecht zur persönlichen Religionsausübung geschützten Privatangelegenheit zu machen.
Das Kalkül wird gerne bemüht, aber es ist im Kern fehlerhaft, es unterstellt nämlich das sich andere Religionen genauso friedlich verhalten wie das Christentum. Das ist gerade beim Islam nicht der Fall. In einem Land mit 60 oder 80 Prozent Christen, können Sie den "Staatsglauben" einschränken, Religionsfreiheit funktioniert und die Christen lassen sich im Zweifelsfall auch den Karfreitag wegnehmen. Da wird am Ende nix passieren. In einer Gesellschaft mit 60 oder 80 Prozent Muslimen wäre es eine ganz dumme Idee auch nur darüber nachzudenken, deren Glaubsdoktrin in Frage zu stellen. Ich bin ziemlich sicher, und fühle mich damit auch mehr und mehr bestätigt, dass gerade die extrem säkularisierten Gesellschaften einem agressiven Islam wenig entgegenzusetzen haben. Sowas wie eine aufgeklärte Reconquista hat es bis heute nicht gegeben.
Zitat Das erscheint mir nun weder natürlich noch zwingend. Das Christentum hat kein Monopol auf die Nächstenliebe, und man kann diese auch auf einer ganz unreligiösen oder jedenfalls vom Brimborium der organisierten Religionen abgekoppelten Grundlage entwickeln.
Das kann man sicher. Genauso wie man auch beim Würfeln dreimal hintereinander eine sechs werfen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist nur nicht allzu hoch. Wenn man sich Gesellschaften weltweit ansieht, dann haben nicht viele einen Staat aufgebaut, der auf dem Konzept Nächstenliebe aufgebaut ist. Das Christentum hat nicht das Monopol, aber es hat Vorteile. Man muss ja auch sehen, dass die christliche Nächstenliebe an ein Heilsversprechen gekoppelt ist. Altruismus ist nicht erforderlich. Ohne Heilsversprechen ist das deutlich schwieriger.
Zitat in der individualisierten, von virtuellen Realitäten durchttränkten Spaß- und Konsumgesellschaft ist das altmodische Auferstehungstheater eben nicht mehr so attraktiv wie ehedem, als der einfache Mann sich sonst wenig Unterhaltung leisten konnte.
Durchaus möglich. Sogar wahrscheinlich. Ich habe mich mehr mit der Wirkung als der Ursache beschäftigt. Mag sein, dass die Ursache am Ende nicht umkehrbar ist und das Christentum irgendwann zum Scheitern verurteilt. Das heisst nicht, dass man es unbedingt schneller zu Grabe tragen muss, als nötig.
Zitat von Fluminist im Beitrag #2Das Christentum hat kein Monopol auf die Nächstenliebe, und man kann diese auch auf einer ganz unreligiösen oder jedenfalls vom Brimborium der organisierten Religionen abgekoppelten Grundlage entwickeln.
Das kann man sicher. Genauso wie man auch beim Würfeln dreimal hintereinander eine sechs werfen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist nur nicht allzu hoch. Wenn man sich Gesellschaften weltweit ansieht, dann haben nicht viele einen Staat aufgebaut, der auf dem Konzept Nächstenliebe aufgebaut ist.
Buddhistische Länder haben das ohne Christentum geschafft, aber zugegeben ist ja Buddhismus auch eine Religion. Daß man es ohne Religion und ohne transzendentes Heilsversprechen, sondern stattdessen aus der Einsicht in die Schicksalsgemeinschaft der Menschen und darin, daß das Leben nach dem eigenen Tod das Leben der Anderen ist, noch nicht geschafft, ja noch nicht ernsthaft versucht hat, heißt ja nicht, daß es nicht geht und nicht sogar am Ende besser sein kann als das, was Religion bisher leisten konnte (die Nächstenliebe zwischen republikanischen und unionistischen Christen in Nordirland hält sich ja beispielsweise auch sehr in Grenzen). Das rundweg abzuweisen: das nenne ich nun Kulturpessimismus!
Zitat von Llarian im Beitrag #3Das Christentum hat nicht das Monopol, aber es hat Vorteile. Man muss ja auch sehen, dass die christliche Nächstenliebe an ein Heilsversprechen gekoppelt ist. Altruismus ist nicht erforderlich. Ohne Heilsversprechen ist das deutlich schwieriger.
Ob die deutsche Gesellschaft in puncto Menschenfreundlichkeit und Gemeinsinn z.B. im stark durch das Christentum bestimmten späten 15. Jahrhundert wirklich besser und lebenswerter war als im deutlich säkularisierten späten 20. Jahrhundert?
Zitat von Fluminist im Beitrag #2Versteckt sich dahinter nicht auch ein gewisser Kalkül auf Basis der Abwägung, welcher Staat leichter von muslimischen Gottesgesetzgebern gekapert werden kann, ein fest auf christlicher Grundlage stehender oder ein ostentativ säkularisierter?
Auf jeden Fall, das erklärt die Intensität der Außeinandersetzung ziemlich gut. Und die Antwort liegt meiner Ansicht nach in der Mitte:
Theater- und Kinos zu zensieren ist kontraproduktiv. Es liefert Islamisten eine argumentative Steilvorlage - für welchen Nutzen? Das wir damit unsere freiheitliche Kultur verteidigen? Wohl kaum, nicht nur wird sie so nicht verteidigt, vielmehr wird sie untergraben und ausgehöhlt. Und für was? Tradition? Ist Tradition Selbstzweck? Weil diese Tradition die Freiheit schützt? Nun, diese offensichtlich nicht. Die Gesamtheit an Tradition und Kultur ist kein unveränderliches Gesamtpaket. Man kann - und muss - sich das gute Rauspicken und das Schlechte verwerfen. Sonst gibt es keinen Fortschritt.
Auf der anderen Seite halte ich es für sinnvoll, Weihnachten auch Weihnachten und Ostern auch Ostern zu nennen. Das ist durchaus sinnvoll, auch um zu zeigen, dass man seine eigene Kultur nicht verleugnet - eine Kultur, die zwar aus eine christlichen Gesellschaft hervorgegangen ist, aber eine starke Transformation durchgemacht hat, um zur aufgeklärten, modernen, liberalen Wohlstandsgesellschaft zu werden, die weniger Gewalt erzeugt, als jede Gesellschaft zuvor. Jeder "Anstieg der Gewalt" ist eine kurzfristige, statistische Schwankung. Nicht mittelalterliche Tradition, sondern ein Gewaltmonopolist, der sein Gewaltmonopol konsequent durchsetzt, Verstöße ahndet und Gewalttätern mit Strafen Grenzen aufzeigt, aber auch - wo notwendig und sinnvoll - den Gewalttätern versucht aufzuzeigen und beizubringen, wie sie ein gesetzestreues Leben führen könnten, reduziert die Gewalt.
Am Ende läuft der Konflikt darauf hinaus, das eine Seite - die Konservative - unterschiedliche Aspekte als ein untrennbares Gesamtpaket verkauft: Traditionelle Feste mit ihren nicht mit der Aufklärung in Konflikt stehenden Traditionen zu feiern (Weihnachtsbaum Ostereier, etc.), sei nur im Paket mit vorliberalen, voraufgeklärten Beschränkungen zu haben. Eine wirkliche Begründung dafür gibt es nicht. Nur das (teilweise rabiat und harten Worten vorgetragene) Postulat, es sei so. Und Angst. Angst, das eine Veränderung an der einen Stelle ein Zeichen dafür wäre, das alle Gewissheiten zur Disposition stehen.
Übrigens wäre der ewige Landfrieden bei einem statischen Verharren auf Tradition auch undenkbar gewesen. Er bedeutete, die positive Tradition der bereits bekannten Institution des (ursprünglich zeitlich befristeten) Landfriedens aufzugreifen und konsequent zur Dauerinstitution zu machen, während die problematische Tradition der Fehde verworfen wurde. Der ewige Landfriede hat zur Entwicklung des modernen Staates und Rechtssystem dabei sicherlich mehr beigetragen, als Vorzensur seitens der Regierung. Die konservative Argumentation zum ewigen Landfrieden wäre aber wohl gewesen, dass die traditionelle Institution des Landfriedens nur im Gesamtpaket mit dem Fehderecht zu haben sei. Wer das eine in Frage stelle, stelle auch das andere in Frage. Welches Wertesystem solle denn den ewigen Landfrieden ermöglichen? Das Konzept des Landfriedens sei nur durch beharren auf einem traditionellen Wertesystem gesellschaftlich stabil zu verankern, welches nun einmal auch das Fehderecht beinhalte und Landfrieden nur zeitlich befristet ermöglicht. Und selbst wenn man den ewigen Landfrieden zum allgemein anerkannten Wert hätte machen können, ob der Landfriede ohne die Fehde überlebensfähig wäre? Besser keine Experimente. Oder doch?
Zitat von Fluminist im Beitrag #4Ob die deutsche Gesellschaft in puncto Menschenfreundlichkeit und Gemeinsinn z.B. im stark durch das Christentum bestimmten späten 15. Jahrhundert wirklich besser und lebenswerter war als im deutlich säkularisierten späten 20. Jahrhundert?
Ich glaube, hier gehen zwei Sachen durcheinander. Unbestritten kommt man im deutlich säkularisierten 20. Jahrhundert in der Regel unbehelligter an Körper und Seele durchs Leben(das zeigt gerade diese Diskussion, man muss sich seine Behelligungen schon mit der Lupe suchen ), und der Sozialstaat füttert einen auch deutlich besser durch als das christliche Almosenwesen im späten 15. Jahrhundert. Aber ist das ein Zeichen der Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit, des Gemeinsinns?
Das, was Sie Menschenfreundlichkeit und Gemeinsinn nennen, ist ja nicht die Ursache, sondern das Ergebnis einer durch und durch prozedural organisierten Gesellschaft. Ihnen geschieht kein Leid und sie erhalten Sozialleistungen, weil akzeptierte Gesetze es so vorschreiben. Ob die Motivation dafür ein allgemein höherer Grad an Nächstenliebe ist, sollte man genauer untersuchen. Apriori leuchtet mir das erst einmal nicht ein.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #6Ob die Motivation dafür ein allgemein höherer Grad an Nächstenliebe ist, sollte man genauer untersuchen. Apriori leuchtet mir das erst einmal nicht ein.
Mir auch nicht - die Frage war auch nur zum Teil als rhetorische Frage gemeint!
Übrigens gilt, zumindest bei seinen Apologeten, auch der Islam als Religion der Nächstenliebe. Ist der springende Punkt am Christentum nicht die Feindesliebe?
Zitat von Fluminist im Beitrag #4 Buddhistische Länder haben das ohne Christentum geschafft, aber zugegeben ist ja Buddhismus auch eine Religion.
Was haben die denn genau geschafft und welche Länder meinen Sie ? Mit Buddhismus würde ich am ehesten China assoziieren, vielleicht noch Tibet. Über Tibet weiss ich zu wenig zu sagen, aber China scheint mir im Sinne von Gesellschaft nicht unbedingt ein Vorbild zu sein. Wo würden Sie denn diese buddhistische Gesellschaft vernorden und welches Land ist damit gemeint ? (Ich will mich dem Argument nicht verweigern, ich möchte nur wissen, worüber wir reden.)
Zitat Daß man es ohne Religion und ohne transzendentes Heilsversprechen, sondern stattdessen aus der Einsicht in die Schicksalsgemeinschaft der Menschen und darin, daß das Leben nach dem eigenen Tod das Leben der Anderen ist, noch nicht geschafft, ja noch nicht ernsthaft versucht hat, heißt ja nicht, daß es nicht geht
Nein, heisst es nicht, aber das es kein Beispiel gibt, und das in mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte, sagt eben schon einiges aus. Einen Beweis, dass eine solche Gemeinschaft nicht möglich ist, kann man nicht führen, das ist etwa ein Level mit dem negativen Gottesbeweis. Dennoch habe ich die begründete Vermutung, dass eine solche Gesellschaft nicht wirklich existieren kann, denn sie setzt etwas vorraus, das relativ selten ist: Altruismus. Man müsste es lange abhandeln, aber aus meinem bescheidenen Wissen über die Funktionsweise des menschlichen Gehirnes, neige ich dazu zu vermuten, dass Altruismus eher eine Störung als eine tatsächliche Form des Denkens ist. Religionen haben den bescheidenen Vorteil, dass sie altruistisches Verhalten egoistisch begründen können.
Zitat Das rundweg abzuweisen: das nenne ich nun Kulturpessimismus!
Etwas für unwahrscheinlich zu halten ist kaum das selbe wie es rundweg abzulehnen. Zudem kommt hier dazu, dass ich ja nicht der Meinung bin, dass eine solche, säkularisierte Gesellschaft, unbedingt besser sein muss.
Zitat Ob die deutsche Gesellschaft in puncto Menschenfreundlichkeit und Gemeinsinn z.B. im stark durch das Christentum bestimmten späten 15. Jahrhundert wirklich besser und lebenswerter war als im deutlich säkularisierten späten 20. Jahrhundert?
Das ist eine sehr interessante Frage, die sich ad hoc gar nicht so simpel beantworten lässt, vor allem deshalb weil unser Bild vom Mittelalter in aller Regel extrem verzerrt ist. Zumal ich auch einwenden würde, dass das christlich Dogma der Nächstenliebe im Mittelalter wenig mit dem zu tun hatte, was das Christentum der Frühzeit ausgemacht hat und was es heute ausmacht. Das und die Tatsache, dass wir heute selbstredend in einer deutlich reicheren Gesellschaft leben, macht solche Vergleiche ausgesprochen schwierig. Wäre es nicht bedeutend sinnvoller und zielführender, Vergleiche zwischen heutigen, vielleicht vergleichbar reichen, Gesellschaften zu treffen, die auf unterschiedlichen Wurzeln basieren ?
Zitat von Fluminist im Beitrag #4 Buddhistische Länder haben das ohne Christentum geschafft, aber zugegeben ist ja Buddhismus auch eine Religion.
Was haben die denn genau geschafft und welche Länder meinen Sie ? Mit Buddhismus würde ich am ehesten China assoziieren, vielleicht noch Tibet.
China ist viel mehr vom Konfuzianismus geprägt - mehrheitlich buddhistische Länder sind Thailand, Nepal, Kambodscha, Sri Lanka und natürlich Bhutan. Ich habe auch etwas gestutzt, als ich die These gelesen habe.
Zitat von Fluminist im Beitrag #4 Buddhistische Länder haben das ohne Christentum geschafft, aber zugegeben ist ja Buddhismus auch eine Religion.
Was haben die denn genau geschafft und welche Länder meinen Sie ? Mit Buddhismus würde ich am ehesten China assoziieren, vielleicht noch Tibet.
China ist viel mehr vom Konfuzianismus geprägt - mehrheitlich buddhistische Länder sind Thailand, Nepal, Kambodscha, Sri Lanka und natürlich Bhutan. Ich habe auch etwas gestutzt, als ich die These gelesen habe.
Gruß Petz
Zur Länderliste kommt noch die Mongolei hinzu. Außerdem Japan, wo der Buddhismus überall verbreitet, aber mit dem andersgesinnten Shinto vermischt ist. Tibet ist im Prinzip vollkommen buddhistisch, nur sehen das die chinesischen Verwalter etwas anders. Sowohl China als auch Indien hatten geschichtliche Perioden, in denen der Herrscher bewußt buddhistische Prinzipien umsetzen wollte, und ich bilde mir ein, daß das relativ friedliche Perioden waren. Aber es stimmt natürlich, daß wir uns von Gesellschaften der Vergangenheit nur schwer ein realistisches Bild machen können.
Zugegeben habe ich selbst etwas gezögert, als ich den Satz geschrieben habe, denn zwischen der Theorie und der praktischen Umsetzung liegen ja immer Welten. Auch beim Christentum. Oder gibt es ein Beispiel für einen christlichen Staat, der die (angenommenen) Prinzipien eines ursprünglichen Christentums im Sinne von Bergpredigt und den anderen Verhaltensregeln des Herrn verwirklicht?
Zitat von Fluminist im Beitrag #7Ist der springende Punkt am Christentum nicht die Feindesliebe?
Nein, sondern die Liebe an sich. Das Gebot der Feindesliebe ist vor allem eine Mahnung für alle, die denken, mit ein wenig Nächstenliebe hier und da sei es schon getan. Da sagt Jesus: Nein, wenn ihr Gott so liebt wie er euch, dann kann eure Liebe nirgendwo Halt machen.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Fluminist im Beitrag #10Oder gibt es ein Beispiel für einen christlichen Staat, der die (angenommenen) Prinzipien eines ursprünglichen Christentums im Sinne von Bergpredigt und den anderen Verhaltensregeln des Herrn verwirklicht?
Gegenfrage: Kann es so einen Staat überhaupt geben? Jesu Botschaft richtet sich ja radikal an jeden Einzelnen - eine allumfassende Durchsetzung durch einen Staat wäre da eher kontraproduktiv.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Fluminist im Beitrag #10Oder gibt es ein Beispiel für einen christlichen Staat, der die (angenommenen) Prinzipien eines ursprünglichen Christentums im Sinne von Bergpredigt und den anderen Verhaltensregeln des Herrn verwirklicht?
Gegenfrage: Kann es so einen Staat überhaupt geben? Jesu Botschaft richtet sich ja radikal an jeden Einzelnen - eine allumfassende Durchsetzung durch einen Staat wäre da eher kontraproduktiv.
Genau das ist es ja eben. Daher erscheint mir das mit dem "christlichen Staat" mehr eine Sache der geschichtlichen Herkunft und der überlieferten Kultur zu sein (wobei ich damit nicht sagen will, daß diese Kultur überflüssig oder abzuschaffen wäre) als ein den tatsächlichen Umgang mit den Mitmenschen definierendes Qualitätsmerkmal. In einem organisierten Staatswesen ist es wohl unvermeidlich, daß sich die führenden Personen überdurchschnittlich aus dem Bevölkerungsanteil der funktionalen Psychopathen rekrutieren, denen Nächstenliebe nur ein leeres Wort und eine Scharade ist.
Zitat von Fluminist im Beitrag #4Daß man es ohne Religion und ohne transzendentes Heilsversprechen, sondern stattdessen aus der Einsicht in die Schicksalsgemeinschaft der Menschen und darin, daß das Leben nach dem eigenen Tod das Leben der Anderen ist, noch nicht geschafft, ja noch nicht ernsthaft versucht hat, heißt ja nicht, daß es nicht geht
Nein, heisst es nicht, aber das es kein Beispiel gibt, und das in mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte, sagt eben schon einiges aus.
Nicht so furchtbar viel. Es hat ja auch mehrere tausend Jahre Menschheitsgeschichte ohne Christentum gegeben. Und ohne Elektrotechnik.
Zitat von Llarian im Beitrag #8Dennoch habe ich die begründete Vermutung, dass eine solche Gesellschaft nicht wirklich existieren kann, denn sie setzt etwas vorraus, das relativ selten ist: Altruismus. Man müsste es lange abhandeln, aber aus meinem bescheidenen Wissen über die Funktionsweise des menschlichen Gehirnes, neige ich dazu zu vermuten, dass Altruismus eher eine Störung als eine tatsächliche Form des Denkens ist. Religionen haben den bescheidenen Vorteil, dass sie altruistisches Verhalten egoistisch begründen können.
Pathologisieren, was einem nicht ins Konzept paßt? Ich halte umgekehrt Egoismus für einen Mangel an Einsicht (s. obiges Zitat), bzw. in manchen Fällen um angeborene Unfähigkeit zu Empathie. Und damit wir uns recht verstehen, das schreibe ich als zeitlebens eingefleischter Individualist.
Die egoistische Begründung altruistischen Verhaltens durch Religion steht und fällt mit der restlosen Überzeugung von der künftigen transzendenten Belohnung und steht damit auf sehr schwachen Füßen. Um diese Art von Altruismus am Leben zu halten, muß man jede Skepsis und kritische geistige Regung aufs Schärfste bekämpfen - und das hat das europäische Christentum ja mit im wesentlichen dieser "ethischen" Begründung jahrhundertelang getan, und weniger aufgeklärte bzw. noch politisch stärkere Religionen tun es noch heute. Für eine offene, der wissenschaftlichen Denkweise nahestehende Gesellschaft ist dieser Ansatz auf die Dauer ungeeignet. Aber ich bin mir gar nicht sicher, daß Ihre Erklärung der Wirklichkeit in der heutigen westlichen Gesellschaft entspricht. Leute spenden reichlich an (auch religionsferne) karitative Einrichtungen oder sind auch selbst aktiv dabei, ihren Mitmenschen zu helfen, und ich denke, nur wenige sind so naiv, daß sie das tun, um beim lieben Gott Pluspunkte zu sammeln. Die angestrebte Belohnung wird hier in den meisten Fällen viel unmittelbarer sein: Zufriedenheit mit dem Gefühl, eine gute Tat getan zu haben; Abbau allgemeiner Schuldgefühle; bestätigendes Zugehörigkeitsgefühl zum Bekanntenkreis, in dem das Spenden als Selbstverständlichkeit gilt u. dgl.
Zitat von Llarian im Beitrag #8Wäre es nicht bedeutend sinnvoller und zielführender, Vergleiche zwischen heutigen, vielleicht vergleichbar reichen, Gesellschaften zu treffen, die auf unterschiedlichen Wurzeln basieren ?
Glaube, Kultur und Tradition halten eine Gemeinschaft nicht zusammen. Sie schotten höchstens Teile einer Gemeinschaft ab, die diese nicht teilen. Das gilt in einer globalisierten Welt mehr denn je. Glaube, Kultur und Tradition sind für mich das Korsett über welches, da möchte ich dann den Begriff nochmals strapazieren, die Kulturpessimisten ihre Kleider hängen. Orientierung an einem solchen Korsett macht für mich den Kulturpessimismus im Wesen aus.
Das was eine Gesellschaft zusammenhält sind gemeinsame „positive“ Werte, und es wäre ein Mißverständnis in diesem Sinne Glaube, Kultur oder Tradition für „positive“ Werte zu halten: Das ist in meinen Augen das typische Mißverständnis der Kulturpessimisten. Es sind „negative „Werte“. Negativ in dem Sinne zu verstehen, dass sie abgrenzend wirken, nicht gemeinschaftsbildend, bzw. nur über Abgrenzung eine Gemeinschaft definieren.
Der positive Wert, welcher aus meiner Sicht den „westlichen Wert an sich“ darstellt, ist das „eigenverantwortliche Individuum“, welches die Gemeinschaft „organisiert“. Das ist der Wert, der uns eint. Das ist der Wert, an den ich persönlich glauben will (was mir oft genug schwer fällt). Das ist der Wert, der in meinen Augen, durch die Aufklärung hervorgebracht, der Kern einer jeder freien Gesellschaft ist. Das ist der Wert, der auch dem Verständnis von Glaube, Kultur und Tradition als Werten entgegensteht, sondern sie nur als persönliche Entscheidung der Individuen akzeptiert.
Betrachtet man Glaube, Kultur und Tradition als Werte, können sich daraus zwangsläufig nur zwei Dinge ergeben: Kollektivismus oder Abschottung. Und genau deswegen, sind für mich schon die Deklaration von Glaube, Kultur und Tradition als Werte das Wesen des Kulturpessimus. Ganz einfach weil daraus nichts Gutes entstehen kann, wenn man sie zum höchsten, unverhandelbaren Prinzip macht. Die Geschichte hat das vielfach gezeigt.
Ich persönlich habe meine Kultur. Ich habe meinen Glauben und meine Tradition. Ich fühle mich darin wohl und sie sind mir wichtig. Genauso, gilt das wohl für alle Menschen. Nur (und darüber haben mir u. a. Erling Plaethes Denkanstöße in einem langen Prozess schmerzlich die Augen geöffnet) ist es falsch, das worin ich mich wohl fühle für absolute Werte zu halten. Vielmehr sollte ich das für einen absoluten Wert halten, welches mir mein eigenes „Sein“ läßt, genauso wie es auch (und das ist der springende Punkt!) jedem anderen Menschen sein eigenes „Sein“ läßt.
Dieser Wert ist das „eigenverantwortliche Individuum“ und diesen Wert gilt es zu verteidigen. Gegen Feinde von innen wie außen. Auch, ja sogar gerade gegen Glaube, Kultur und Tradition. Ob mir persönlich das gefällt oder nicht.
Hayek stellte übrigens in seinem Buch „Der Weg in die Knechtschaft“ sehr treffend fest, dass der große gemeinsame Feind der Kommunisten und Nationalsozialisten, den es zu bekämpfen galt, der Liberalismus mit dem störenden „eigenverantwortliche Individuum“ war und ist und nicht etwa die "diametrale Weltanschauung". Gegensätzliche Weltanschauungen haben immer auch viel gemeinsam und zwar genau das, was sie vom Liberalismus trennt.
Die wesentliche, ja die einzige Trennlinie verläuft nicht zwischen Glaubensrichtungen, Essgewohnheiten oder Feiertagen. Die wesentliche, einzige Trennlinie läuft zwischen Kollektivismus und Individuum und ich habe das Gefühl, dass vielen Menschen das nicht klar ist. Das ist, was ich persönlich Kulturpessimismus nenne: Denn Gutes kann daraus, in meinen Augen, nicht erwachsen.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Llarian im Blog Ich bin kein Kulturpessimist, denn ich weiß nicht was die Zukunft bringt und denke auch, dass die Zukunft von vielen Faktoren beeinflusst wird, die nicht alle kultureller Natur sind. Ich bin aber auch kein Kulturoptimist, der glaubt nur weil etwas anders wird, wird es besser. Was ich vielleicht inzwischen bin ist ein „Konservativer“, der zumindest die Gefahren der Veränderung nicht ignorieren möchte. Wenn dieses Land, Deutschland, seine christliche Kultur zurückdrängt und bekämpft, dann wird es ein anderes Land werden. Ob besser oder schlechter wird man dann am Ende sehen. Aber es wird ein anderes sein. Der Preis wird immer am Ende bezahlt. Als 68 die Weltverbesserer auf ihren Marsch durch die Institutionen aufbrachen, waren sie voller Ideale und der Absicht alles besser zu machen. Sie machten einiges besser. Und vieles schlechter.
Daraus ableitend erlaube ich mir den Wunsch zu artikulieren, dass ich das nicht will. Ich brauche keine Kirche, aber ich will meine christlichen Wurzeln nicht ablegen.
Aber, lieber Llarian, wie sollten wir überhaupt "christliche Wurzeln" haben, wenn man die Kirche "nicht braucht"? Wir hätten keinerlei Ahnung, was Christentum überhaupt ist, hätte es die Überlieferung nicht gegeben und diese geschah qua Kirche und nicht anders. Die Kirche (neuzeitlich im Plural) war es, die die christliche Kultur implantiert (und auf der Zeitschiene stetig transplantiert) hat.
Zitat von Llarian im BlogIch brauche niemanden, der für meine Sünden stirbt, aber ich möchte in einer christlich-jüdisch geprägten Kultur leben. Ich brauche keine Erlösung....
Das, also "der für meine Sünden stirbt" nebst Erlösung, ist jedoch m.E. der Nukleus des Christentums, also auch der christlichen Kultur, und nicht etwa ein peripheres Beiwerk. Indem man das entsorgt legt man durchaus seine christlichen Wurzeln ab - darf man ja auch. Indessen ist es schwierig, den Kuchen gleichzeitig zu essen und aufzubewahren. "Jüdisch" passt zum ersten Halbsatz natürlich eh nicht und gegen diesen immer mehr in Mode kommenden Bindestrichbegriff habe ich auch gewisse Vorbehalte, mindestens müsste die Reihenfolge umgekehrt sein. Es klingt pädagogisch, nach gut gemeint, ähnlich wie "der Islam gehört zu Deutschland". Indessen haben die Juden über Jahrhunderte vom Bindestrich nicht viel gemerkt, insbesondere im 20. Jahrhundert arg wenig. Das eine ist aus der Abgrenzung zum anderen entstanden. Es gibt selbstverständlich gravierende Unterschiede und es gibt m.E. keinen Grund, das zu verrühren. Pluralismus heißt nicht Zusammenrühren.
Zitat von Llarian im Blog....aber ich möchte in einer Gesellschaft leben, deren Ideal das der Nächstenliebe ist und nicht die Liebe zu einer esoterischen Naturvorstellung.
Ja, das sehe ich genau so - indessen könnte man die biblische Konnotation, die "Nächstenliebe" mit sich führt, auch weglassen (was ich vorschlagen würde) und klar ist m.E. auch, dass aus Naturvorstellungen (=dem Sein) eh keine Sollenaussagen folgen können.
Kantianisch könnte man so argumentieren (Vorrede zu "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft"):
Zitat von Immanuel KantDie Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen, als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens, gegründet ist, bedarf weder der Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten......
......Sie* bedarf also zum Behuf ihrer selbst (sowohl objektiv, was das Wollen, als subjektiv, was das Können betrifft) keinesweges der Religion, sondern, vermöge der reinen praktischen Vernunft, ist sie sich selbst genug.
* Die Moral
Andererseits könnte man aber erstmal fragen:
Nächstenliebe, was heißt datt eigentlich:
a) Die Förderung fremden Wohls, auch unter Inkaufnahme einer Selbstschädigung?
b) Die Förderung fremden Wohls insofern das eigene nicht beschädigt wird?
c) Die Förderung fremden Wohls, in Verbindung mit dem Mitnahmeeffekt, dass auch das eigene gefördert wird?
d) Die Förderung fremden Wohls als Mitnahmeeffekt. Hauptsächlich wird an das eigene gedacht?
e) Die Vermeidung von fremden Unwohl, weil dieses in Form von Vergeltung auf mich zurückschlagen könnte?
In Wahrheit gibt's nur d) und e). a) bis c) sind Illusionen. Es spricht auch nichts dagegen, dass das so ist. Wenn alle d) und e) denken, ergibt sich in der Summe eine konstruktive Situation. Oder auch: Moral folgt aus der Eudämonie, also aus dem Lustprinzip, und ist kein eigenständiges System.
Das wäre dann der Anti-Kant. Man möge es sich aussuchen . Ich würde eher zu Kant tendieren.
Aber wie dem auch sei. Eigentlich ging's ja um Kulturpessimismus versus -optimismus.
Ich würde sagen: Das Kultur-Ding bleibt weiter gefährlich und gefährdet sowieso, wie immer. Kultur war noch nie was anderes als ein fragiles Kartenhaus. Alles Weitere wären induktive Wahrscheinlichkeitsberechnungen, also Glasperlenspiele. Dran arbeiten kann man dennoch. Aufklärerisch-kantianisch wäre natürlich Optimismus angesagt, aber in diesem Punkt muss sich Kant wohl gewisse posthume Falsifizierungen gefallen lassen.
Zitat von Llarian im BlogUnd deshalb wünsche ich frohe Weihnachten. Und frohe Ostern. Und deshalb halte ich Karfreitag die Füße still und beschwere mich nicht, dass es freitags kein Fleisch gibt. Und meine Kinder gehen zum Martinszug. Ich hoffe ihre auch, lieber Leser. Denn damit alleine haben wir schon eine Menge gemeinsam.
Sind diese Gemeinsamkeiten denn wirklich so wesentlich und wertvoll, lieber Llarian? En famille, unter Freunden und Bekannten und so, also "in kleinen Kreisen" mag das sein. Aber in Staat und Gesellschaft?
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #16Nächstenliebe, was heißt datt eigentlich:.....
Ich würde folgende Definition anbieten:
- Das Beurteilen und Behandeln des Nächsten nach dem gleichen Maßstab nach dem man sich auch selbst beurteilt und behandelt.
Der Maßstab könnte dabei die Vernunft sein. In meinen Augen sollte er das zumindest. Damit wären wir wieder bei Kant und Nächstenliebe wäre obendrein ein Synonym für Liberalismus. Oder Liberalismus ein Synonym für Nächstenliebe? Möglichweise war Christus der erste Aufklärer. Diese Möglichkeit gilt es durchaus in Betracht zu ziehen.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Llarian im Blog Sie machten einiges besser.
Hab ich auch mal geglaubt. Nur was? Stimmungsaufhellung, weg-mit-dem Adenauer-Muff. Jimi Hendrix. D'accord mit demokratischen Regeln. Endlich den Blick auf die braune Vergangenheit richten. Irgendsowas.
Als 1993 zum Silberjubiläum auf allen Kanälen das große Gegacker losging, hab ich mich mal hingesetzt & eine Strichliste gemacht: Was genau kann man denen überhaupt mit Dank anrechnen? Es war eine lehrreiche Erfahrung, diese Ansprüche mal massiert & flächendeckend & ohne Rückstand in der Tonne versenken zu können: .
es freut mich für die Klarheit der Diskussion, daß Sie den Begriff der Nächstenliebe erst klären wollen. Doch muß ich hier einhaken:
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #16Andererseits könnte man aber erstmal fragen:
Nächstenliebe, was heißt datt eigentlich:
a) Die Förderung fremden Wohls, auch unter Inkaufnahme einer Selbstschädigung?
b) Die Förderung fremden Wohls insofern das eigene nicht beschädigt wird?
c) Die Förderung fremden Wohls, in Verbindung mit dem Mitnahmeeffekt, dass auch das eigene gefördert wird?
d) Die Förderung fremden Wohls als Mitnahmeeffekt. Hauptsächlich wird an das eigene gedacht?
e) Die Vermeidung von fremden Unwohl, weil dieses in Form von Vergeltung auf mich zurückschlagen könnte?
In Wahrheit gibt's nur d) und e). a) bis c) sind Illusionen. Es spricht auch nichts dagegen, dass das so ist. Wenn alle d) und e) denken, ergibt sich in der Summe eine konstruktive Situation. Oder auch: Moral folgt aus der Eudämonie, also aus dem Lustprinzip, und ist kein eigenständiges System.
Diese Abwägungen von fremden und eigenen Wohl sind alle nicht die christliche Nächstenliebe. Auf das praktische Handeln bezogen bedeutet Nächstenliebe :"Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch." (Mt. 7,12) Die Balance zwischen fremden/eigenen Wohl wird dadurch gefunden, erfordert aber, daß man sich im Klaren darüber ist, was man selber und an der Stelle eines anderen von seinen Mitmenschen erwartet. Nächstenliebe setzt also viel Selbstreflexion und Einfühlungsvermögen voraus, und damit kommen wir in die Gefilde des Wörtchens "lieben". In der Hinsicht ist Nächstenliebe nämlich etwas anderes als Kants kategorischer Imperativ, weil letzterer lediglich in der Welt allgemeiner Normen bleibt, die Liebe hingegen die individuelle Persönlichkeit des anderen mit ihren individuellen Belangen betrachtet. Insbesondere ist Nächstenliebe nicht, seine eigenen Belange zu ignorieren, weil Nächstenliebe ohne Eigenliebe der Definition widerspricht. Nächstenliebe ist vielmehr, die Voreingenommenheit für die eigenen Belange mit denen seiner Mitmenschen in Einklang zu bringen.
Aus alledem folgt aber, daß Nächstenliebe ohne das Drumherum mit Sühnetod am Kreuz und Ewigem Leben und Jüngstem Gericht nicht vernünftig ist: Zur Nächstenliebe gehört nämlich auch die Vergebung, insofern jeder es wünscht, wegen Fehltritten nicht vernichtet zu werden. Vergebung als allgemeines Prinzip der Gesetzgebung ist aber nicht vernünftig. Ist nämlich bekannt, daß Vergebung die Norm ist und deswegen erwartet werden kann, dann ist es vernünftig, eben nicht die Belange des anderen zu achten. Entsprechend wird in bestimmten Kulturkreisen der christliche Verzicht auf Vergeltung als Schwäche ausgelegt. Man kann sich in dem Rahmen Nächstenliebe also nur leisten, wenn man wirklich glaubt, daß Gott in Ewigkeit den Seinen Recht verschafft.
Zitat von Llarian im Blog Sie machten einiges besser.
Hab ich auch mal geglaubt. Nur was? Stimmungsaufhellung, weg-mit-dem Adenauer-Muff. Jimi Hendrix. D'accord mit demokratischen Regeln. Endlich den Blick auf die braune Vergangenheit richten. Irgendsowas.
Als 1993 zum Silberjubiläum auf allen Kanälen das große Gegacker losging, hab ich mich mal hingesetzt & eine Strichliste gemacht: Was genau kann man denen überhaupt mit Dank anrechnen? Es war eine lehrreiche Erfahrung, diese Ansprüche mal massiert & flächendeckend & ohne Rückstand in der Tonne versenken zu können: .
Möglicherweise empfiehlt es sich an dieser Stelle die Begriffe
a) "kulturelle Evolution der 60er mit politischen Implikationen"
und
b) "68-er"
auseinander zu halten.
Alles was vor "irgendsowas" steht ist ein akkurates Stenogramm von a). b) nannte man zeitgenössisch die APO, i.e. das entsprechende studentische/universitäre Publikum, namentlich in Berlin und Frankfurt (Abi und Hochschulbesuch waren damals noch exzeptionell, anders als heute). Die Leute um Dutschke, Rabehl (der tanzt heute im NPD-Umfeld rum), Mahler (desgleichen) gehören In die b)-Kiste; u.a. auch Thomas Schmid (heute Chefradakteur der Welt).
Die b)-Leute unterlagen einem profunden Irrtum. Sie dachten, der offensichtliche Reformismus repräsentiere eine revolutionäre, umstürzlerische Tendenz; so In Richtung Saint-Just wurde da gedacht, mit viiiel Marx et al. natürlich. An die revolutionäre Situation glaubten auf ihre Weise auch gewisse konservative Kreise, die dementsprechend für Draufschlagen plädierten.
Mit Bildung der sozial-liberalen Koalition '69 war das Ding entschieden. DAS wollten die Leute, jedenfalls die jüngeren tendenziell. Der berühmte Brandt'sche Begriff "innere Reformen" traf den Kern. Die sozial-liberale Koalition war sozusagen die politische Essenz der 60er. Die Apo brach auseinander, aus lauter Verzweiflung kamen dann die RAF und die K-Gruppen.
Dass Leute wie Zettel zeitweilig in der SPD waren seinerzeit, war nicht untypisch, nachvollziehbar und angesichts des zeitgeschichtlichen Hintergrundes durchaus logisch (man handelt aktuell AKTUELL und nicht aus der Zukunft retrospektiv).
"Wir schaffen das moderne Deutschland" war der SPD-Slogan - attraktiv, damals.
Die Abbuchung der zeitgeschichtlichen Entwicklungen jener Jahre unter "68" - = b) - ist eine Verengung, beliebt bei gewissen Leuten, die damals "revolutionär" orientiert waren. Sie wollen die Entwicklungen der 60er insgesamt auf ihr Konto buchen. Gewisse altbacken-konservative Kreise plädieren witzigerweise auch für diese Verbuchung. Natürlich gibt's auch noch die retrospektiv-kritischen Leute wie der schon erwähnte Thomas Schmid.
Alles n 'bissle kompliziert. Die 60er waren jedenfalls wichtig und schön außerdem. Die Jungs und Mädels heutzutage wären froh, wenn sie so 'ne Pop-Musik hätten wir wir damals .
lich
Dennis
edit: "Chefredakteur der Welt" bzw. Herausgeber ist Thomas Schmid nicht mehr. "Ehemals" muss es korrekterweise heißen. Heute nurmehr Kolumnist. Jedenfalls besser als Kommunist, was er mal war - jedenfalls so 'ne Art Kommunist; so in diese Richtung tendierend, seinerzeit - wie auch immer.
Zitat von Emulgator im Beitrag #19Diese Abwägungen von fremden und eigenen Wohl sind alle nicht die christliche Nächstenliebe. Auf das praktische Handeln bezogen bedeutet Nächstenliebe :"Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch." (Mt. 7,12) Die Balance zwischen fremden/eigenen Wohl wird dadurch gefunden, erfordert aber, daß man sich im Klaren darüber ist, was man selber und an der Stelle eines anderen von seinen Mitmenschen erwartet. Nächstenliebe setzt also viel Selbstreflexion und Einfühlungsvermögen voraus, und damit kommen wir in die Gefilde des Wörtchens "lieben". In der Hinsicht ist Nächstenliebe nämlich etwas anderes als Kants kategorischer Imperativ, weil letzterer lediglich in der Welt allgemeiner Normen bleibt, die Liebe hingegen die individuelle Persönlichkeit des anderen mit ihren individuellen Belangen betrachtet. Insbesondere ist Nächstenliebe nicht, seine eigenen Belange zu ignorieren, weil Nächstenliebe ohne Eigenliebe der Definition widerspricht. Nächstenliebe ist vielmehr, die Voreingenommenheit für die eigenen Belange mit denen seiner Mitmenschen in Einklang zu bringen.
Aus alledem folgt aber, daß Nächstenliebe ohne das Drumherum mit Sühnetod am Kreuz und Ewigem Leben und Jüngstem Gericht nicht vernünftig ist: Zur Nächstenliebe gehört nämlich auch die Vergebung, insofern jeder es wünscht, wegen Fehltritten nicht vernichtet zu werden. Vergebung als allgemeines Prinzip der Gesetzgebung ist aber nicht vernünftig. Ist nämlich bekannt, daß Vergebung die Norm ist und deswegen erwartet werden kann, dann ist es vernünftig, eben nicht die Belange des anderen zu achten. Entsprechend wird in bestimmten Kulturkreisen der christliche Verzicht auf Vergeltung als Schwäche ausgelegt. Man kann sich in dem Rahmen Nächstenliebe also nur leisten, wenn man wirklich glaubt, daß Gott in Ewigkeit den Seinen Recht verschafft.
Tut mir leid, lieber Emulgator, aber ich sehe überhaupt nicht, wie das, was Sie im 2. Absatz schreiben, aus dem 1. Absatz folgt. Was im ersten Absatz steht, könnte z.B. auch ein Buddhist oder Taoist sagen, und die haben mit Sühnetod am Kreuz und Jüngstem Gericht nun wirklich nicht das geringste am Hut. Für den Buddhisten ergibt sich das Bestreben, "die Voreingenommenheit für die eigenen Belange mit denen seiner Mitmenschen in Einklang zu bringen", aus dem Mitleiden, und dieses wiederum aus der Einsicht, daß ich und der andere nur zwei gleichwertige Teilaspekte des großen kosmischen Prozesses sind. Dazu ist keine Vergeltung, keine Vergebung und kein ewig gerechter Gott nötig.
Zitat von Fluminist im Beitrag #21Tut mir leid, lieber Emulgator, aber ich sehe überhaupt nicht, wie das, was Sie im 2. Absatz schreiben, aus dem 1. Absatz folgt.
Ja, da habe ich einen wesentlichen Schritt übersprungen. Die moralische Frage, wie man sich gegenüber seinem Nächsten verhält, spielt ja nur eine Rolle, wenn im weitesten Sinne Konflikte vorliegen (vgl. Mt. 5,46-47). Ansonsten handelt man ja sowieso in beiderseitigem Einvernehmen. Da braucht man keine Nächstenliebe. Beispielsweise wird in einer beiderseitig nachhaltig profitablen Geschäftsbeziehung keiner versuchen, den anderen zu betrügen, und so das Geschäft zu riskieren. Da reicht ihm die Selbstliebe. Vernünftiges, selbsterhaltendes Handeln für Konflikte würde deshalb darauf hinauslaufen, eine solche "stabile" Situation herbeizuführen. Dazu gehört auch, glaubhaft zu machen, daß der andere für schädliches Verhalten sühnen muß, entweder durch Gerichtsbarkeit oder durch Vergeltung. Im Beispiel würde ein Geschäftspartner den anderen durchaus betrügen, wenn er sich sicher sein kann, daß die Geschäftsbeziehung trotzdem wie gehabt aufrechterhalten bleibt. Er darf dann nur so viel betrügen, wie der andere nicht bankrott geht. Um nicht an den Rand seiner Existenzfähigkeit gebracht zu werden, muß dieser also glaubhaft machen, daß er seinem betrügerischen Partner selbst auf Kosten seines eigenen Profits keinen mehr gönne. Formal wird das übrigens durch Varianten des bekannten Ultimatumspiels abgebildet. Optimale Strategien kann man objektiv berechnen.
Der Nutzen von der vergebenden Nächstenliebe ist es nun, beiden Seiten eine Brücke zu bauen, die von der schlechten Situation mit Vergeltung nach einer Übertretung und dem Risiko beiderseitigen Schadens hinüberführt zur kooperativen Situation. Der Knackpunkt ist nun, daß man diese Brücke nicht nach objektiven Kriterien beschreiten kann, denn jedes objektive Kalkül kann antizipiert werden. Hier kommt die Personalität des Nächsten ins Spiel. Das christliche Verhalten gegenüber dem Nächsten speist sich eben nicht aus dessen Teilhaftigkeit an demelben "großen kosmischen Prozeß", sondern aus dessen Personalität mit einem eigenen Willen, eigener Schuld und eigenen --auch wandelbaren und dialogal beeinflußbaren-- Wünschen. Das kann man so nicht vermitteln, wenn man bloß an ein "Naturprinzip" glaubt und nicht an einen personalen Gott, der wie ein Mensch auftreten kann, wie ein Mensch vergeben kann, wie ein Mensch sühnen kann, sich wie ein Mensch überzeugen lassen kann und das Wagnis der pesönlichen Begegnung eingehen kann. Ohne diese Personalität, diese Subjektivität, bleibt man nämlich auf die objektive spieltheoretische Lösung angewiesen.
Zitat von Business InsiderVienna (AFP) - Climate change is predicted to intrude into almost every area of life -- from where we live, to what we eat and whom we war with. Now music can be added to the list. That's the unusual idea put forward by British researchers Tuesday, who say the weather has powerfully but discreetly influenced the soundtrack to our lives. ... "These assumptions we have about certain weather being good and certain weather being bad, like sun being good -- that might change," researcher Karen Aplin of the University of Oxford told AFP at a European Geosciences Union meeting in Vienna. In Europe, "people are like: 'Oh, yes!' when it's summer," she said. "But if it's going to be 40 degrees (Celsius, 104 degrees Fahrenheit) every summer for 10 years... that might change how people feel about the weather and the emotions they link to it." Aplin and five other scientists combed through databases of more than 15,000 pop songs, finding statistical backing for the assumption that our moods are strongly swayed by the weather. ... The researchers were intrigued to find that in the 1950s, an active decade for hurricanes, more music was written about wind and storms. This highlights the potential for a shift in musical themes if climate change brings ever-more frequent extreme weather events, as predicted. Chirpy songs about sunshine and gentle summer breezes could get elbowed in favour of darker, more dramatic fare. Based on present carbon emission trends, say climate scientists, worsening droughts, floods and storms as well as rising seas are waiting for us a few decades from now. "Under climate change, the type of weather people are influenced by to write might change," said Aplin. "You might find more songs about severe weather because that is more part of people's live, or a backdrop to their lives, than the weather we have now."
"at a European Geosciences Union meeting in Vienna": jetzt wissen wir endlich, welch unglaublich wichtigen Themen auf diesen komischen Konferenzen behandelt werden.
Zitat von Emulgator im Beitrag #19Man kann sich in dem Rahmen Nächstenliebe also nur leisten, wenn man wirklich glaubt, daß Gott in Ewigkeit den Seinen Recht verschafft.
So würden es viele wohl sehen. Aber das übersieht eins, nämlich die Gnade Gottes selbst. Was also, wenn Gott auch denen vergibt, die keine Nächstenliebe üben? Warum sich dann selbst so betätigen?
Deswegen hat Jesus die Chose umgedreht. Gott ist denen gnädig, die an Jesus Christus glauben und ihm zu folgen versuchen. Sie können dabei hier und da scheitern, aber dann ist nur wichtig, dass sie anderes gewollt haben und ihr Scheitern wirklich bereuen. Man kann es also verkürzend auch so darstellen: Gott verschafft jenen Recht, die lieben (weil sie an Christus glauben). Anders funktioniert m.E. auch das in Mt 7,12 zitierte Gebot nicht in der Praxis - ich kann dessen Voraussetzung nur erfüllen, wenn ich mich so weit in den Nächsten hineinversetze, dass es liebendem Verstehen gleich kommt.
Es gibt also keine simple Ursachen-Wirkungs-Kette "auf praktizierte irdische Nächstenliebe folgt himmlische Belohnung" - spätestens mit der faktischen Anerkenntnis der lutherischen Rechtfertigungslehre durch den Vatikan sollte sich das für die gesamte Christenheit erledigt haben.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #24Deswegen hat Jesus die Chose umgedreht. Gott ist denen gnädig, die an Jesus Christus glauben und ihm zu folgen versuchen.
Korinthenkackerei: Gnade ist definitionsgemäß immer voraussetzungslos. Gott ist wirklich allen gnädig. Aber manche wollen seine Gnade nicht und bekräftigen das mit ihren sündigen Taten. Diese werden dann natürlich nicht gezwungen. Da geht Gott ganz auf die Personalität und den Willen des Gläubigen wie des Ungläubigen ein. Man sieht hier, wie wichtig die persönliche Begegnung zwischen Gott und Mensch ist; stellvertretend (Menschwerdung) findet sie sogar zwischen Mensch und Mensch statt. Auch dadurch kann man die Gnade Gottes ablehnen, vgl. den ungerechten Knecht in Mt. 18. Glaube allein macht eben nicht selig. Wer zwar an Gott und die Vergebung glaubt, aber doch nicht die entsprechenden Taten entfaltet, hat einen sogenannten Dämonenglauben: Jak. 2,19-20. (Wobei Luther ja den Jakobusbrief aus dem Kanon werfen wollte, weil er ihm nicht gepaßt hat.)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #24Man kann es also verkürzend auch so darstellen: Gott verschafft jenen Recht, die lieben (weil sie an Christus glauben). Anders funktioniert m.E. auch das in Mt 7,12 zitierte Gebot nicht in der Praxis - ich kann dessen Voraussetzung nur erfüllen, wenn ich mich so weit in den Nächsten hineinversetze, dass es liebendem Verstehen gleich kommt.
Genau das meinte ich auch.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #24Es gibt also keine simple Ursachen-Wirkungs-Kette "auf praktizierte irdische Nächstenliebe folgt himmlische Belohnung"
Wenn ich die Nächstenliebe nur mit Aussicht auf Belohung übe, ist es ja keine Nächstenliebe mehr. Wohl aber folgt auf irdische Nächstenliebe ihre himmlische Fortsetzung, und das sogar ohne Jesus namentlich zu kennen: Röm 2,14-16.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #24spätestens mit der faktischen Anerkenntnis der lutherischen Rechtfertigungslehre durch den Vatikan sollte sich das für die gesamte Christenheit erledigt haben.
Die luth. Rechtfertigungslehre wurde vom Vatikan keinesfalls anerkannt. Man hat lediglich in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre die Unterstellungen und Mißverständnisse, was denn die Lehre des anderen sei, ausgeräumt. Man ist dann übereingekommen, daß diese Lehren tatsächlich unterschiedlich sind.
Im Übrigen besteht die gesamte Christenheit nicht nur aus der römischen Kirche und ihren reformierten Abspaltungen. In Bezug auf die Rechtfertigungslehre ist sogar festzuhalten, daß dieser Konflikt überhaupt nur in Rom entstehen konnte und sonst nirgends in der Welt der Rede wert war. In der Orthodoxie gibt es nämlich keine Lehre vom Fegefeuer, so daß es auch keine Ablässe geben kann (und gibt), mit denen die Verweildauer der Seele ebenda verkürzt werden könne. Das Fegefeuer ist ja lediglich eine Erklärung für bestimmte Bibelstellen, keine zwingende Folgerung. Daher zieht die Orthodoxie daraus keine tiefergreifenden Konsequenzen; genauso wie aus der Erbsündenlehre oder dem Filioque, an das die Lutheraner wiederum glauben, obwohl es nach strengen "sola scriptura"-Kriterien auch nicht zwingend wäre.
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