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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 88 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

13.04.2015 17:57
Günter Grass (1927-2015) Antworten

Ursprünglich lautete der Nekrolog vollständig so:

"Günter Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren.
Später erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Grass starb am 13. April 2015 in Lübeck."

Nach eingehender Überlegung habe ich mich entschlossen, Sätze, die dem Geist des ehrenden Totengedenkens widersprechen, zu streichen.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

13.04.2015 18:08
#2 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Man hätte noch erwähnen können, dass er ein begnadeter Zeichner war!

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

13.04.2015 18:11
#3 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Das Stilmittel des absichtlich aus Leerzeilen bestehenden Kapitels (zumeist mit einzelnen Wörtern oder den Namen von Personen durchschossen) ist übrigens ein klassisches Stilmittel der satirischen Burleske des 18. und 19. Jahrhunderts. Es findet sich als Kapitel 12 von Xavier de Maistres "Voyage autour de ma chambre" (1794), im Portugiesischen als "Dialog zwischen Adam und Eva" (Kap. LV) in Machado de Assis' "Memórias Póstumas de Brás Cubas" (1880), im Deutschen als 12. Kapitel in Heines "Ideen. Das Buch Le Grand" (1827), das sich den "deutschen Censoren" widmet. Als Anregung hat allen Autoren hier die Lektüre des "Tristram Shandy" (1759-68) gedient, u.a. Kapitel LXXXI des 3. Bandes.

(Im Gegensatz zu Herrn G., bei dem mit guten Gründen vermutet werden darf, daß er in seinem Leben kein Buch gelesen hat (außer vielleicht seinen eigenen), verfügt der Verfasser dieser Zeilen über die schütteren Rudimente einer literarischen Vorbestraftheit.)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

13.04.2015 18:19
#4 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Vielen Dank für diese sehr konsequente Umsetzung des "de mortui ..." - das ja meist als Aufforderung zum Lügen mißverstanden wird.

Ich hätte die ursprüngliche Fassung bevorzugt, die Lebensdaten eines Nobelpreisträgers gehören zum öffentlichen Interesse.
Und in meiner privaten Fassung hätte noch die "Blechtrommel" hinzugehört. Ist natürlich alles Geschmackssache, aber dieses Buch habe ich mit Amüsement gelesen. Die übrigen nicht.

Was veranlaßt Dich übrigens zur Vermutung, Grass hätte ansonsten keine Bücher gelesen? Mal abgesehen von der satirischen Übertreibung - gibt es konkrete Belege dafür, daß er literarisch ungebildet war?

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

13.04.2015 18:24
#5 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Angesichts des hierzulande angesagten Großen Gedenkbahnhofs ist es ganz erfrischend, auf die etwas nassforscheren Reaktionen jenseits des Großen Teichs zu hören.

Die New York Times setzt Prioritäten:

Zitat
Günter Grass, the German novelist, social critic and Nobel Prize winner whom many called his country’s moral conscience but who stunned Europe when he revealed in 2006 that he had been a member of the Waffen-SS during World War II, died on Monday. He was 87.


http://www.nytimes.com/2015/04/14/world/...v=top-news&_r=0

Die Washington Post übt sich in herzhafter Respektlosigkeit:
http://www.washingtonpost.com/local/obit...ry.html?hpid=z4

Zitat
With his novels, plays, articles and speeches, Mr. Grass became one of Germany’s foremost intellectuals and gadflies. The themes that consumed his literature — guilt, atonement and hypocrisy — were also central to his political commentary. He could be shrill and polarizing, a self-professed “troublemaker” who cultivated what he described as a “tendency to bring out into the open what had too long been swept under the carpet.”

For decades, Mr. Grass pursued a career, parallel to his literary work, as a political activist and liberal provocateur. He advocated for environmental conservation, debt relief for poor countries and generous policies regarding political asylum. The United States, and what he regarded as its militarism, was a frequent target.

“How impoverished must a country be before it is not a threat to the U.S. government?” he wrote after visiting strife-torn Nicaragua in 1982 as a supporter of the left-wing Sandinista movement.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

13.04.2015 18:29
#6 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #5
Angesichts des hierzulande angesagten Großen Gedenkbahnhofs ist es ganz erfrischend, auf die etwas naschforscheren Reaktionen jensiets des Großen Teichs zu hören.

Mir graut schon vor dem Medienzirkus in den nächsten Tagen.
Das schreit alles nach pietätloser Reaktion.

Schöne Texte, die Amis haben auch wenig Anlaß, ihn zu lieben.
"Gadfly" mußte ich nachschlagen. Sehr passende Vokabel.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

13.04.2015 18:38
#7 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #4
Was veranlaßt Dich übrigens zur Vermutung, Grass hätte ansonsten keine Bücher gelesen? Mal abgesehen von der satirischen Übertreibung - gibt es konkrete Belege dafür, daß er literarisch ungebildet war?


Ich bin mal vor ein paar Jahren, als ich zufällig in unserer Stadtbibliothek über die, nie ausgeliehenen, Bände der Werkausgabe von Steidl gestolpert bin, die 3 Bände mit Reden & Kapuzinerpredigten 1978ff., durchgegangen. Ein solch geballter Berg von Ahnungslosigkeit, Arroganz & Phrasendreschen dürfte sonst wohl schwer zu finden sein. Das einzige Buch, dem er sich irgendwie gedenkend widmet, ist Niklas Borns "Die erdabgewandte Seite der Geschichte": aber GG war mit Born ziemlich dicke & hat sich das erzählen lassen. Als er für das "Treffen in Telgte" doch mal was über Barockdichtung in Erfahrung bringen mußte, hat er hauptsächlich Hans Werner Richter von der Gruppe 47 ausgequetscht; als er sich nach dem Verriss der "Rättin" nach Indien abseilte, haben die dortigen Kollegen ziemlich Bauklötze über seine völlige Unkenntnis & sein Desinteresse an den indischen Verhältnissen gestaunt.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

13.04.2015 19:07
#8 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #6
Das schreit alles nach pietätloser Reaktion.

Das Allerallerallerbeste, was jemals zum Thema Grass geschrieben wurde, ist ein Artikel von Klaus Bittermann. Und wenn es einen Nobelpreis für Headlines gäbe, müsste er ihm verliehen und dann nie wieder vergeben werden:

BEIM LUTSCHEN DES BRÜHWÜRFELS
http://jungle-world.com/artikel/2007/37/20348.html

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

13.04.2015 19:39
#9 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Manchmal möchte man nur noch in die Tischkante beißen.
Eine kluge, aufgeweckte und in jeder Hinsicht unverdächtige Kollegin, die ich heute Mittag auf den Kommentar der Washington Post hinwies, meinte spontan: "Vielleicht hat das ein Israeli geschrieben? Bei den amerikanischen Medien soll es ja viele Israelis geben..."

schattenparker Offline



Beiträge: 150

14.04.2015 00:24
#10 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Bei den wenigen Versuchen, Grass zu lesen, bin ich stets steckengeblieben.

Scheinbar kann ich nicht lesen.

Tiefseetaucher Offline




Beiträge: 353

14.04.2015 00:56
#11 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #6
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #5
Angesichts des hierzulande angesagten Großen Gedenkbahnhofs ist es ganz erfrischend, auf die etwas naschforscheren Reaktionen jensiets des Großen Teichs zu hören.

Mir graut schon vor dem Medienzirkus in den nächsten Tagen.
Das schreit alles nach pietätloser Reaktion.

Glücklicherweise dauert der Medienzirkus aber nur ein paar Tage. Danach ist endlich Ruhe, keine antisemitischen Äußerungen mehr von Günter G.

War das jetzt zu pietätlos?

Political Correctness ist nichts anderes als betreutes Denken.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.04.2015 02:26
#12 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat
Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat betroffen auf die Todesnachricht reagiert. „Günter Grass war ein Weltliterat. Sein literarisches Vermächtnis wird neben dem von Goethe stehen“, erklärte die CDU-Politikerin in Berlin.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bu...rue#pageIndex_2

Da hat sie Recht. Sofern die Vermächtnisse in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet sind.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.04.2015 02:29
#13 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Tiefseetaucher im Beitrag #11
Glücklicherweise dauert der Medienzirkus aber nur ein paar Tage. Danach ist endlich Ruhe, keine antisemitischen Äußerungen mehr von Günter G.

War das jetzt zu pietätlos?

Zu pietätlos nicht, aber falsch. Allein der Spross von Grassens Langweilerkollegen Walser wird die Fackel schon am Brennen halten und ständig zitieren, was zitiert werden muss...

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

AldiOn Offline




Beiträge: 983

14.04.2015 05:48
#14 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #5
Angesichts des hierzulande angesagten Großen Gedenkbahnhofs ist es ganz erfrischend, auf die etwas nassforscheren Reaktionen jenseits des Großen Teichs zu hören.

Da hätte ich auch was anzubieten - was aber ganz "naßforsches".

Zitat
Gunter Grass was more of a moderate than Dieter Kunzelmann. Rather than tackling the Judenknacks head on by bombing a synagogue on Kristallnacht or shooting Simon Wiesenthal in the head, he took the hack's route by treading the well worn ground of spinning the wheel of history until the Jews became the new Nazis. They have uniforms don't they, and an army and bombs.

Grass volunteered to serve during the war to escape his bourgeois middle-class home like a Peter Pan flying away to a Nazi Neverland. The left's anti-American andanti-Semitic hiccups have little to do with the red, white and blue or the blue and white, but with how impressive all the speakers are in taking on the Great Satan and the Little Satan. Down with General Electric, down with the A-Bomb, down with the Synagogue. Up with whoever is shouting through a megaphone about boycotting Israeli walnuts or American rockets.

It's not about the left being Anti-Semitic, it's about it being socially acceptable for the left to be Anti-Semitic. And it's about the "courage" of leftists who dare to take on the bourgeois post-Holocaust hangups and switch them around so that the Jews become the Nazis, the Nazis become the Jews and the Mullahs become the Uberjews. The Jews are irrelevant except as a means for the left to rid itself of all rules and morals on the path to total revolutionary commitment.



aus: Gunter Grass and the Left's Red Flags

__________________________________________
Wegen der aktuellen Krise werde ich fortan Krimsekt, russischen Kaviar, russische Puppen, russische Eier und Boeuf Stroganoff boykottieren

Paul Offline




Beiträge: 1.285

14.04.2015 10:12
#15 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Als ich Karasek, von dem ich sehr viel halte (bis dahin gehalten habe), im Fernsehen hörte, wie er Grass als den größten Romanschreiber (kann auch sein, dass er Romancier sagte) des 20. Jahrhunderts bezeichnete, hatte ich das Gefühl, dass mir "die Ohren abfallen".
Ich dachte mir: Hat dieser Mann nichts von Thomas Mann oder Heinrich Mann gehört? Selbst Fallada halte ich noch für bedeutender.

Na ja, auf meine Meinung als nur Liebhaber der Literatur kommt es nicht so wirklich an. Um so mehr habe ich mich gefreut, dass ich hier die Bestätigung meiner Meinung erfahre.
Das tut mir richtig gut. Auch in Bezug auf Walser.

LG, Paul

___________________________
JE SUIS JUIF

Paul Offline




Beiträge: 1.285

14.04.2015 10:16
#16 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Ach so, verehrter Ulrich Elkmann:
Gratulation für diesen wirklich gelungenen Nachruf. Auch zu Ihrer Ehrlichkeit, dass Sie diese Form nicht erfunden haben. Ich fand, finde, diese Idee genial. Warum viele Worte machen, wenn es auch anders geht?

LG, Paul

___________________________
JE SUIS JUIF

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.04.2015 11:06
#17 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #15
Als ich Karasek, von dem ich sehr viel halte (bis dahin gehalten habe), im Fernsehen hörte, wie er Grass als den größten Romanschreiber (kann auch sein, dass er Romancier sagte) des 20. Jahrhunderts bezeichnete, hatte ich das Gefühl, dass mir "die Ohren abfallen".
Ich dachte mir: Hat dieser Mann nichts von Thomas Mann oder Heinrich Mann gehört? Selbst Fallada halte ich noch für bedeutender.

Na ja, auf meine Meinung als nur Liebhaber der Literatur kommt es nicht so wirklich an. Um so mehr habe ich mich gefreut, dass ich hier die Bestätigung meiner Meinung erfahre.
Das tut mir richtig gut. Auch in Bezug auf Walser.

Ich habe bei Grass immer das Gefühl, dass (zumindest in der Prä-Waffen-SS-Ära) sein literarisches Werk immer als selbstverständlich unantastbar galt. Auch schlechte Kritiken von MRR und Karasek konnten daran nichts ändern. Und ich vermute, das lag daran, dass er daneben auch als politische Stimme (Praeceptor Germaniae) geschätzt wurde. Letztendlich hat sich dann eine Wechselwirkung ergeben - die, die mit seinen politischen Aussagen nichts anfangen konnten, verwiesen auf sein literarisches Werk; die, die seine Bücher zu prätentiös und sperrig fanden, lobten ihn als politische Stimme.

Der Nobelpreis ist da gar nicht das Thema, den haben aus meiner Sicht auch fragwürdigere Gestalten bekommen (Pearl S. Buck, Hermann Hesse, Dario Fo) und großartigere nicht bekommen (Doderer, Flann O'Brien, Max Frisch). Sondern die Tatsache, dass Grass für das 20. Jahrhundert eine Kanonizität wie Goethe, Schiller oder Heine zugesprochen wird. Sicher ist die Blechtrommel ein gutes Buch. Aber es wird eine Bedeutung drumrum konstruiert, die es nicht hat. Ungefähr in dem Sinne, dass dieses Werk allein den Nazi/Adenauer/Wirtschaftswundermief aus der deutschen Literatur hinweggeblasen hätte. Das belletristische Wunder von Bern.

Was völlig untergeht, ist - wie schon erwähnt - dass Grass ein wirklich außergewöhnlich guter Zeichner und Grafiker war, mit einer Bildgewalt, die seine von vielen hochgelobte Sprache deutlich in den Schatten stellt.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

14.04.2015 11:23
#18 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #17
Der Nobelpreis ist da gar nicht das Thema, den haben aus meiner Sicht auch fragwürdigere Gestalten bekommen (Pearl S. Buck, Hermann Hesse, Dario Fo) ...

Du meinst mit "fragwürdig" aber nur die literarische Qualität?

Wobei ich bei Hesse natürlich mit Vehemenz widerspreche ;-)

Zitat
und großartigere nicht bekommen (Doderer, Flann O'Brien, Max Frisch).


Da könnte man noch viel mehr Beispiele bringen. Der Literaturnobelpreis ist wahrscheinlich noch obskurer als der Friedensnobelpreis, aber da es in der Literatur ja immer reichlich preiswürdige Kandidaten gibt, sind die vielen Fehlentscheidungen noch schwerer zu verstehen.

Zitat
Sondern die Tatsache, dass Grass für das 20. Jahrhundert eine Kanonizität wie Goethe, Schiller oder Heine zugesprochen wird.


Das wird sich wieder geben. Viele Autoren werden von ihren Zeitgenossen "gehypt", Kanonizität beweist sich erst Jahrzehnte nach ihrem Tod.

Zitat
Sicher ist die Blechtrommel ein gutes Buch.


Aber den wesentlichen Durchbruch hat sie vielleicht nur durch die Verfilmung erreicht.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

14.04.2015 12:38
#19 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Um so ein bißchen fies zu sein zitiere ich den gerade aufgeschnappten Spruch:

"Alle tanzen auf dem Grass, nur nicht Gunther, der liegt drunter."

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

14.04.2015 12:47
#20 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #19
"Alle tanzen auf dem Grass"


Alexander Kluge war auch nach Kalauer:

Zitat
Günter Grass ist ein Findlingsblock. Wo er hingerollt ist, wird es nichts Zweites geben.


http://www.nzz.ch/feuilleton/reaktionen-...rass-1.18521444

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.04.2015 13:09
#21 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #18
Zitat von Meister Petz im Beitrag #17
Der Nobelpreis ist da gar nicht das Thema, den haben aus meiner Sicht auch fragwürdigere Gestalten bekommen (Pearl S. Buck, Hermann Hesse, Dario Fo) ...
Du meinst mit "fragwürdig" aber nur die literarische Qualität?

Wobei ich bei Hesse natürlich mit Vehemenz widerspreche ;-)

Frag mich nicht warum, aber das habe ich irgendwie kommen sehen. Ich finde, dass der auch nur ein gutes Buch geschrieben hat, den Steppenwolf. Der Rest ist Prosa für pubertierende Mädchen.

Zitat

Zitat
Sondern die Tatsache, dass Grass für das 20. Jahrhundert eine Kanonizität wie Goethe, Schiller oder Heine zugesprochen wird.


Das wird sich wieder geben. Viele Autoren werden von ihren Zeitgenossen "gehypt", Kanonizität beweist sich erst Jahrzehnte nach ihrem Tod.



Nicht zwingend, da sich der Literaturbetrieb im Vergleich zu Goethes Zeiten geändert hat. Kanonizität umfasst z.B. auch sowas wie verpflichtende Schullektüre.

Zitat

Zitat
Sicher ist die Blechtrommel ein gutes Buch.


Aber den wesentlichen Durchbruch hat sie vielleicht nur durch die Verfilmung erreicht.



Unwahrscheinlich, da die Verfilmung erst 20 Jahre nach dem Buch entstanden ist. Ein Klassiker war sie schon zuvor.

Edit: Nach 3 Jahren 130.000 in Deutschland verkauft und in 9 Sprachen übersetzt
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45124094.html

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Nola Offline



Beiträge: 1.719

14.04.2015 13:46
#22 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #15
Als ich Karasek, von dem ich sehr viel halte (bis dahin gehalten habe), im Fernsehen hörte, wie er Grass als den größten Romanschreiber (kann auch sein, dass er Romancier sagte) des 20. Jahrhunderts bezeichnete, hatte ich das Gefühl, dass mir "die Ohren abfallen".
Ich dachte mir: Hat dieser Mann nichts von Thomas Mann oder Heinrich Mann gehört?



Doch, lieber Paul, hat er. Im literarischen Quartett mit Reich-Ranicki gab es dazu reichlich und regelmäßig "Männerschlachten".

Was Günther Grass zu einem Jahrhundertschriftsteller macht oder gar Goethe gleichgestellt wird, erschließt sich mir nicht. Ein bißchen derben Sex und Politik m. E. als Mischung verkauft sich immer gut, nicht mehr und nicht weniger hat Grass abgeliefert, das war nur möglich mit seiner damals noch "weißen" Weste.
Ein bißchen was von seinen Zeitgenossen J.M. Simmel und W. Heinrich, das gepaart mit einem moralischen Zeigefinger und schon wurde er zum großen Dichter und Denker. Na ja, für unsere heute vermittelten Werte und Bildung (siehe Monika Grütters) reicht es allemal.

♥lich Nola

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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

14.04.2015 13:54
#23 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #21
Ich finde, dass der auch nur ein gutes Buch geschrieben hat, den Steppenwolf.

Das reicht. Mehr habe ich gar nicht gelesen ;-)

Zitat
Der Rest ist Prosa für pubertierende Mädchen.


Auch diese Zielgruppe hat ein Anrecht auf Lesestoff. Viele Literaturnobelpreisträger schaffen ja nicht einmal das.

Zitat
Nicht zwingend, da sich der Literaturbetrieb im Vergleich zu Goethes Zeiten geändert hat. Kanonizität umfasst z.B. auch sowas wie verpflichtende Schullektüre.


OK. Aber die wird sich hoffentlich auch ebenso schnell wieder ändern. Wenn die Grass-Jünger in den Kultusministerien pensioniert sind.

Zitat
Nach 3 Jahren 130.000 in Deutschland verkauft und in 9 Sprachen übersetzt


Wie sagte Arno Schmidt so schön: "Was sich gut übersetzen läßt, kriegt'n Preis!“

Das ist natürlich ein inhärentes Problem für einen internationalen Literaturpreis. Wenn die Qualität eines Werks zu sehr an die Originalsprache gebunden ist, kann sie außerhalb dieser Sprache nur eingeschränkt wertgeschätzt werden.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

14.04.2015 14:01
#24 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #21
Kanonizität umfasst z.B. auch sowas wie verpflichtende Schullektüre.


Nnnnn...jein. Seit sich sowas wie enie literarische Moderne herausgebildet hat (im Alten Europa im Lauf des XVIII. Jhdt.s, in Russland 1850-70; in Amerika seit Poe, in Japan ab 1900): also mit Zugang zu einer Unmenge Lektürestoff, ausländischem Kram in Übersetzungen & eigenen Hervorbringungen, die zu mehr als zum Poesiealbum taugten, ist die Kanonbildung immer auf 3 Schienen gelaufen: zum einen die Schul- & offizielle Lektüre (die alle damit Traktierten eher abschreckt), der, na, "Kanon einer Generation", den jede Generation von Lesern für sich entdeckt & die so etwas wie ein verbindendes Band darstellt; & die "Privatalterthümer" des einzelnen Lesers. Das kann man an Wertherns Lesestoff sehen: für den & Zeitgenossen ist das Ossian (), für die nachfolgende Generation (in ganz Europa übrigens) Sterne. Die Surrealisten haben sich ihren eigenen Kanon zusammengesucht; die Beatniks auch. Das sind dann oft Sachen, die unter "Kultbuch" einsortiert werden; schlimm wird's, wenn die als Anleitung für einen "alternativen Lebensstil" rüberkommen & "das Lebensgefühl einer ganzen Generation bündeln". (da gibt's eigentlich 3 Hauptverdächtige: zum einen der Werther, der immer, wenn er übersetzt worden ist, zu einer Art prä-James-Dean-Figur wurde: in Frankreich 1820, 20 Jahre später in Spanien, 1890 in Japan; dann Henry Murgers "Scènes de la vie de bohème", 1851: solche "cenacles" wie in Roman beschrieben hats mehrere zwischen 1870-90 geben, Huysmans beschreibt in seinem 1. Roman "Marthe" aus eigener Erfahrung; in Norwergen Hans Jaegers Kristiana-Boheme; in Berlin Stanisław Przybyszewski - ist immer bös & mit Engelmacherei ausgegangen - die Oper hat den Topos dann entgiftet - Tenöre, die beim Sterben an Tbc 40 min. im Diskant singen, taugen nicht als Rockerideal; fürs 20. Jahrhundert Kerouac & "On the Road"). Für die zündende Privatlektüre (jedenfalls bei späteren Bücherschreibern) sind im späten 19. Jdt. entweder die Entdeckung von Poe ausschlaggebend (die schreiben dann Phantastisches) oder wahlweise Balzac/Flaubert oder Dostojewski. Ab den 1930 steht Kafka für "ach, das kann man also in der Literatur?" für die 2. Hälfte des 20. Jdt.s wird der von Borges abgelöst. Und seit Harry Potter herrscht tabula rasa.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

14.04.2015 14:54
#25 RE: Günter Grass (1927-2015) Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #24
Und seit Harry Potter herrscht tabula rasa.

Holla. Ist die Nennung in einem Atemzug mit Kafka und Borges nicht viel zu viel der Ehre für Frau Rowlings infantil-hilfloses Geschmier? Nachdem sich nun alle auch noch an den Filmen restlos sattgesehen haben, perlt das ab und auch die Jugend wird wieder etwas Besseres lesen, sobald es daherkommt.

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