Zitat von R.A. im Beitrag #24Wesentlich finde ich, daß sich bei der bayrischen Tracht eine alltagstaugliche Variante entwickelt hat, die insbesondere die Mädels gerne tragen, weil sie darin gut aussehen. Diese Variante gibt es ganz normal im Geschäft zu kaufen und hat nur ganz wenig mit dem zu tun, was offiziell bei den Brauchtumspflegern als "Miesbacher" oder "Innwinkler" Tracht gilt. Im Grunde sind die "echten" bayrischen Trachten genauso tot wie die schwäbischen oder hessischen - praktisch verwendet werden nur Dirndl und Lederhose etc. der Volksfest-Variante.
Nochmal zur Klarstellung: Die heutige bayerische "Tracht" ist nie eine gewesen, und sie ist eben keine Variante der historischen Gewänder (der genuinen Tracht), sondern ein Arbeits- und Alltagsgewand, das den konkreten Anwendungsbereich eingebüßt hat. So wie die Jeans, die man dann mit gleichem Recht als "amerikanische Tracht" bezeichnen könnte.
Auch die vom Emulgator beschriebene Funktion der regionalen Zuordnung erfüllt sie nicht, denn Dirndl und Lederhose ähneln sich im gesamten bairischen Sprachraum von der nördlichen Oberpfalz bis Südtirol und in die Steiermark. Lediglich an Details wie den Stickereien kann man eine regionale Zuordnung vornehmen (dass auf einer 100 Jahre alten oberpfälzischen Lederhose kein Edelweiß drauf ist, kann nicht verwundern, schließlich hat kein Schneider dort jemals eins gesehen), aber die sind ohnehin schon so ein Zwischenstadium im Übergang. Die Sonntagstracht dagegen kann schon auf eine Entfernung von 50 km deutlich abweichen, man nehme Dachau und Miesbach wiederum als Beispiel.
Letztendlich läuft das ganze auf eine Volkskundliche Diskussion aus, was eine "echte" Tracht ist.
Ist es lediglich ein historisches Gewand, so geht die Lederhose ganz klar als solche durch, weil sie sich seit 200 Jahren kaum verändert hat. Das Dirndlgwand mit Einschränkungen auch, allerdings hat da die Modernisierung mehr zugeschlagen. Aber, wie im letzten Post geschrieben, nicht durch die Bank.
Definiert man Tracht aber eben im Sinne der Volkskunde über ihre Funktionen, sind sie nie eine gewesen.
Gruß Petz
PS: Wer sich über den "Vaterlandsverrat" aufregt, dem sei gesagt: Es gibt auch "swedise Lederhosen"
Zitat von Krischan im Beitrag #25Und eine Lederhose ist nunmal übel praktisch bei der Feldarbeit, ebenso wie Haferlschuhe und dicke Wollsocken. Kann jeder gerne ausprobieren.
Der Haferlschuh ist überhaupt eine phänomenale Erfindung, weil er gleichzeitig belastbar, nicht zu schwer und geradezu unverschämt bequem ist!
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26Nochmal zur Klarstellung: Die heutige bayerische "Tracht" ist nie eine gewesen, und sie ist eben keine Variante der historischen Gewänder (der genuinen Tracht), sondern ein Arbeits- und Alltagsgewand, das den konkreten Anwendungsbereich eingebüßt hat. So wie die Jeans, die man dann mit gleichem Recht als "amerikanische Tracht" bezeichnen könnte.
Ich weiß ja nicht wie seinerzeit die regionale Verteilung war, ich weiß aber, dass ich hier im Südwesten als Kind in den 50er Jahren als einzige kurze Hose eine Lederhose hatte, die ich verschleißarm den ganzen Sommer getragen habe. So war es dann auch möglich, dass wir als vielköpfige Familie einige Jahre später in einem Ford Capri mit fast nicht existierendem Kofferraum in den Urlaub fahren konnten. Mehr Klamotten gab es nicht. Lederhosen waren praktisch, wenn etwas kaputt ging war es die Haut am Knie.
Zitat von Martin im Beitrag #28 Ich weiß ja nicht wie seinerzeit die regionale Verteilung war, ich weiß aber, dass ich hier im Südwesten als Kind in den 50er Jahren als einzige kurze Hose eine Lederhose hatte, die ich verschleißarm den ganzen Sommer getragen habe. So war es dann auch möglich, dass wir als vielköpfige Familie einige Jahre später in einem Ford Capri mit fast nicht existierendem Kofferraum in den Urlaub fahren konnten. Mehr Klamotten gab es nicht. Lederhosen waren praktisch, wenn etwas kaputt ging war es die Haut am Knie.
Dito. Auch ich hatte als Kind (allerdings in den 80ern) eine Leder- oder Sepplhose, so hieß das bei uns. Und das war Westsibirien, vulgo "die Soffjetzone".
Und ja, Lederhose, Haferlschuh, Dirndlgwand ist Arbeitskleidung, deswegen hat es ja auch die Zeitläufte überlebt und wird noch eine Weile weiterleben. Tracht vergeht - ich bin da auch nicht böse drum. Ist halt enorm unpraktisch, sich am Sonntag so aufzubrezeln, da hat sich die Lebenswirklichkeit gewandelt.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26Nochmal zur Klarstellung: Die heutige bayerische "Tracht" ist nie eine gewesen, und sie ist eben keine Variante der historischen Gewänder (der genuinen Tracht), sondern ein Arbeits- und Alltagsgewand, das den konkreten Anwendungsbereich eingebüßt hat.
Ich will jetzt nicht nutzlos über Begriffe streiten, aber historische Arbeits- und Alltagsgewänder gehören m. E. auch zur Tracht, nicht nur der Sonntagsstaat. Was heute im normalen Klamottengeschäft als Dirndl etc. verkauft wird, ist eine modernisierte Variante, die sowohl Elemente der alten Arbeitsgewänder wie der Festgewänder enthält.
Zitat ... denn Dirndl und Lederhose ähneln sich im gesamten bairischen Sprachraum von der nördlichen Oberpfalz bis Südtirol und in die Steiermark.
Richtig. Aber die traditionellen Gewänder (ob Arbeit oder Fest) aus anderen deutschen Regionen sahen eben anders aus, und von denen gibt es keine moderne Variante.
Zitat Letztendlich läuft das ganze auf eine Volkskundliche Diskussion aus, was eine "echte" Tracht ist.
Genau die will ich gar nicht (alleine schon, weil ich da viel weniger Ahnung habe als Du ;-) Mir geht es um den aktuellen Gebrauch gerade durch Leute, die mit Volkskunde überhaupt nichts anfangen können.
Zitat Pesendorfer kreierte die geschnürte und geknöpfte Taille, die bis heute stilbildend für zeitgenössische Dirndlformen ist.
Jessas, da schau her! (S.7, um 1830). Jetzt haben die Nazis schon weder die Fanta noch die Autobahn erfunden, nicht mal das geschnürte Mieder vom Dirndl können sie als Erfolg verbuchen...
Zitat von Meister Petz im Beitrag #7Petz: Du kommst aus Münster, oder?
K: Ja.
P: Und gibt es da einen Fußballverein?
K: Ja.
P: Und wie heißt der?
K. (Stille).
Ein arger Fauxpas, der nur Schweigen gebietet. Wirkliche Mönsteraner erkennt man daran, daß man sie a) mit Plattdeutsch in einen Kulturschock versetzt & b) daß ihnen Preußen Münster Hekuba ist. Von denen weiß keiner, ob das in der 5. oder 6. Liga kickt. Die Fanbasis rekrutiert sich aus dem Umfeld der im Zuge der Gemeindereform '72 eingesackten Samtgemeinden oder Vororten wie Kotenbeis (vulgo Kinderhaus), wo man seit 40 Jahren in den Schluchten des Balkans wohnt. Apropos "Kotenbeis": eine der ca. 20-30 Ausdrücke des Masematte, die genuin sind (i.a.R. ist das versacktes Rotwelsch). Beim Rest handelt es sich bei diesem Kunstidiom um eine Erfindung von Prof. Klaus Siewert (kein Münsteraner, seit 1 Dezennium wieder nach Warburg vergrault); bei "Geheimsprachen" ist das praktisch, wenn es keiner nachprüfen kann. Siewert war übrigens, sehr zur Kenntlichkeit entstellt, das Mordopfer im 7. Wilsberg-Fall von Jürgen Kehrer (W. und der tote Professor, von 2002), der juristisch gegen JK zu Felde gezogen ist & für den kürzesten Prozess in der Geschichte des Landgerichts (15 Minuten bis zum Aktenzuklappen) sorgte. Das war, bevor das TV über die Location die Erfindung des "Schmunzelkrimis" lancierte & das Genre mit teutonischer Gründlichkeit abwrackte.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Gleiches Gespräch könnte man übrigens auch mit Fans von "Borussia" Dortmund oder "Borussia" Mönchengladbach führen.
Im übrigen: die Wurzel für die bayerische Antipathie gegen Preußen dürfte auf den Deutschen Krieg zurück gehen (richtig: "Preußisch-Deutscher Krieg", denn formal rebellierte damals ja Preußen et al. gegen den Deutschen Bund). Vor diesem Krieg gab es ja kaum jemals ernsthafte Konflikte zwischen Preußen und Bayern. Eher im Gegenteil: Aus bayerischer Sicht war ein Gegengewicht zum dominanten Österreich ja durchaus willkommen.
Aber so ein Krieg (der von preußischer Seite angezettelt wurde, ohne ein zwingendes moralisches Argument auf seiner Seite zu haben), kann schon zu Verbitterung führen. Mein Ur-Ur-Großvater hat die preußische Kugel die ihn verwundete zeitlebens zur Erinnerung an seiner Uhrkette getragen. Und allein die Tatsache, dass diese Geschichte in meiner Familie seit Generationen weiter erzählt wird (und die Gewehrkugel immer noch in meinem Besitz ist) zeigt schon, dass sich da Verbitterung angestaut hat.
Und im Preußisch-Deutschen Krieg hatte Preußen ja nördlich des Mains viele Verbündete: Oldenburg, Braunschweig, Hamburg, Anhalt, drei sächsische Herzogtümer, die zwei Mecklenburgs, etc. Da sei es den Bayern vielleicht schon verziehen, dass sie diese verbündeten Rebellenstaaten gedanklich mit zu "Preußen" gezählt haben.
ad 2: Hier bin ich tatsächlich etwas überrascht (und auch nicht recht überzeugt). Ich als Oberlandler bin bisher davon ausgegangen, dass die wirklichen bairischen Trachtenhochburgen im Oberland (und östlich davon) liegen. In München und allem nördlich davon hätte ich die Diaspora verortet. "Ampertaler Tracht" kannte ich bis jetzt auch nicht (und das, obwohl ich sogar am Oberlauf der Amper wohne). Auch die - hier sicher nicht 100% vertrauenswürdige - Wikipedia scheint eher auf meiner Linie zu sein: Unter https://de.wikipedia.org/wiki/Bayerische_Tracht werden verschiedene Trachtenregionen genannt. Genau diese Regionen hätte ich auch als die bayerischen Trachtenhochburgen identifiziert. Von Ampertaler Tracht steht auf Wikipedia nichts.
Zitat von Florian im Beitrag #34[Ludwig Thoma ein Dachauer?? Und Dachau eine Trachten-Hochburg??? ... Hier bin ich tatsächlich etwas überrascht (und auch nicht recht überzeugt).
Hm, hab mal ein wenig recherchiert. Die Dachauer Tracht ist (abgesehen von den Ampertalern) offensichtlich nicht so richtig in der Trachtenvereinsbewegung angekommen, weil sie recht sperrig und teuer ist. Ihre Bedeutung habe ich ihr wohl deswegen zugeschrieben, weil sie in der Münchner Kunst und Literatur um die Jahrhundertwende ziemlich beliebt war. Hier zwei Quellen dazu: http://www.zeitschrift-amperland.de/download_pdf.php?id=658 http://www.zeitschrift-amperland.de/download_pdf.php?id=654
Den Verfasser kenne ich witzigerweise persönlich, aber aus anderem Zusammenhang. Jedenfalls ist er, was Heimatforschung angeht, vertrauenswürdig
Bollywood dreht Alpenszenen in der Schweiz; alldiewo man zum Volksfest das Hirthemd trägt.
Zitat von WikipediaThough this was not the first time Yash Chopra shot a film in Switzerland; the extensive scenes shot there made it a popular tourist destination for Indians.
Zitat von Florian im Beitrag #33Und im Preußisch-Deutschen Krieg hatte Preußen ja nördlich des Mains viele Verbündete: Oldenburg, Braunschweig, Hamburg, Anhalt, drei sächsische Herzogtümer, die zwei Mecklenburgs, etc. Da sei es den Bayern vielleicht schon verziehen, dass sie diese verbündeten Rebellenstaaten gedanklich mit zu "Preußen" gezählt haben.
Keineswegs! Auf österreichisch-bayerischer Seite waren nördlich des Mains das Königreich Sachen, Hannover, Hessen-Kassel, Hessen-Nassau und Hessen-Darmstadt. Bei der vernichtenden Niederlage des Hannoverschen Heeres gegen Preußen waren keine einzigen Bayern dabei!
Kein Wunder, daß der Krieg verlorenging, wenn die Bayern ihre eigenen Verbündeten für Feinde halten!
Zitat von Florian im Beitrag #33die Wurzel für die bayerische Antipathie gegen Preußen dürfte auf den Deutschen Krieg zurück gehen (richtig: "Preußisch-Deutscher Krieg", denn formal rebellierte damals ja Preußen et al. gegen den Deutschen Bund).
Da wäre ich erst einmal skeptisch. Wenn man sich so diverse Quellen anschaut, dann scheint das eher ein folkloristisches Sentiment zu sein, mit dem sich die Bayern selber inszenieren. Von echter Antipathie (wie man sie z. B. in Südfrankreich gegenüber Paris oder Norditalien gegenüber Rom erlebt) habe ich persönlich wenig wahrgenommen. Eigentlich haben Bayern und "Preußen" viel zu wenig miteinander zu tun, um echte Antipathie zu nähren.
Zitat Aber so ein Krieg (der von preußischer Seite angezettelt wurde, ohne ein zwingendes moralisches Argument auf seiner Seite zu haben), kann schon zu Verbitterung führen. Mein Ur-Ur-Großvater hat die preußische Kugel die ihn verwundete zeitlebens zur Erinnerung an seiner Uhrkette getragen. Und allein die Tatsache, dass diese Geschichte in meiner Familie seit Generationen weiter erzählt wird (und die Gewehrkugel immer noch in meinem Besitz ist) zeigt schon, dass sich da Verbitterung angestaut hat.
Kann sein. Kann aber auch umgekehrt sein - so ein Stück Familiengeschichte paßt halt anekdotisch wunderschön zum bayrischen Selbstbild und wird daher gerne gepflegt. Ansonsten war Dein geschätzter Ur-Ur-Großvater aber ein recht untypischer Fall. Nur ganz wenige bayrische Soldaten wurden in den Kämpfen verwundet, da der Krieg schon längst entschieden war und die bayrische Armee eigentlich nur noch der Ehre halber eine gewisse Kampfbereitschaft demonstrierte. Die Ehre wurde gewahrt, die Bayern konnten sich mit schneidigen Kavallerie-Aktionen beweisen, und die Kontrahenten gingen mit gegenseitigem Respekt auseinander. Der bayrische Zorn richtete sich weniger gegen den Gegner, als gegen die badischen Verbündeten, denen Feigheit und verweigerte Unterstützung vorgeworfen wurde.
Das spricht alles nicht dafür, daß der deutsche Krieg anti-preußische Ressentiments in Bayern hinterlassen hätten. Die ja im wesentlichen ganz allgemein anti-norddeutsches Gehabe sind - und es wurde ja schon darauf hingewiesen, daß die wesentlichen norddeutschen Staaten Hannover, Sachsen und Kassel Verbündete Bayerns waren.
Zitat von R.A. im Beitrag #40Da wäre ich erst einmal skeptisch. Wenn man sich so diverse Quellen anschaut, dann scheint das eher ein folkloristisches Sentiment zu sein, mit dem sich die Bayern selber inszenieren. Von echter Antipathie (wie man sie z. B. in Südfrankreich gegenüber Paris oder Norditalien gegenüber Rom erlebt) habe ich persönlich wenig wahrgenommen. Eigentlich haben Bayern und "Preußen" viel zu wenig miteinander zu tun, um echte Antipathie zu nähren.
Na ja, vor 30-40 Jahren gab es in München schon noch einen unterschwelligen Kulturkampf zwischen den indigenen Baiern und den "zuagroasten Breissn". Inzwischen haben die "Breissn" gewonnen, und den original bairischen Münchner kann man nur noch als Exponat im Stadtmuseum sehen.
Aber andere Dinge ändern sich nicht so schnell. Liest man Ludwig Thomas "Filserbriefe", so kann man das Sentiment von bayerischem Landtag und Regierung gegen die da in Berlin, die vorschreiben wollen, was zu tun ist, ziemlich 1:1 auf heute abbilden und muß dabei kaum ein mutatis mutandis bemühen.
Zitat von Fluminist im Beitrag #41Liest man Ludwig Thomas "Filserbriefe", so kann man das Sentiment von bayerischem Landtag und Regierung gegen die da in Berlin, die vorschreiben wollen, was zu tun ist, ziemlich 1:1 auf heute abbilden und muß dabei kaum ein mutatis mutandis bemühen.
Finden Sie? Ich habe - zugegeben aus einer innerbayerischen Perspektive - die Filserbriefe immer als Sentiment des Bauernstandes gegen die Zentrums- bzw. BVP-Regierung gelesen. Die "wamperten bfahrer" und vor allem der Landtagspräsident Georg von Orterer kriegen deutlich mehr Fett weg als die Preißn.
Zitat von Fluminist im Beitrag #41Liest man Ludwig Thomas "Filserbriefe", so kann man das Sentiment von bayerischem Landtag und Regierung gegen die da in Berlin, die vorschreiben wollen, was zu tun ist, ziemlich 1:1 auf heute abbilden und muß dabei kaum ein mutatis mutandis bemühen.
Finden Sie? Ich habe - zugegeben aus einer innerbayerischen Perspektive - die Filserbriefe immer als Sentiment des Bauernstandes gegen die Zentrums- bzw. BVP-Regierung gelesen. Die "wamperten bfahrer" und vor allem der Landtagspräsident Georg von Orterer kriegen deutlich mehr Fett weg als die Preißn.
Gruß Petz
Stimmt, es ist in erster Linie eine Satire auf den politischen Klerus, und das Hauptaugenmerk liegt auf dieser innerbayerischen Diskrepanz. Aber es ich denke etwa an diese Stelle hier:
Zitat von Jozef Filsers BriefwexelDas Kenigreich Breißen ist ein ahrmes Land und nehren sich fon Kahrdofeln indem sonzt nichz waxt. Durch disses sind die Leite ser begiehrig und wohlen iemer ein Lahnd, wo Gäld forhanden ist und ein guter Fiehschtand und Getreihde. Disses Lahnd heist bayern und ist inser Faderland. Dadurch wiesen mir, das mir Ohbacht gehben miessen und ist inserne auswertige bolidik, das mir ins nichz nähmen lahsen. Die Breißen sind ser schlauh und kehnen sich gut ferstehlen, haber mir sind auch schlauh und mergen ahles. Inser Erbfeund ist das Kenigreich Breißen, hobwol mier scheinbahr mit einahnder Freind sind seit dem Jare siebsich, wo mir bayern ienen gehohlfen hawen. Schpäter hawen mir leuder die Bickelhaubn eingefiehrt, damid das man ins ferwexeln sohl. Disses had der Bißmarch gemacht, und auch hat er das deutsche Reich gemacht, damit das mir die Schuhlden zallen, wo die Breißen haben. Disses ist leuder ser fiel und schpürt man es schtark, indem die Schteiern waxen. Schpäter haben sie das Waperlgesez gemacht, wodurch mier ahle Wochen fier die Dienztboden Waperln zallen missen. Disses Gäld wahndert auch nach Breißen. Mir selbs haben noch keins dafon gesehgen, und mir sehgen es auch nie mer, indem die Breißen nichz hergehben, was sie krigen. Es kohmen iemer mer Breißen zu ins. Sie kohmen scheinbahr, als wen sie was lehrnen wohlen bei ins oder zum Fergniegen. Haber mier miessen Ohbacht gehben, das sie nichd dableihben.
Zitat von Fluminist im Beitrag #41Liest man Ludwig Thomas "Filserbriefe", so kann man das Sentiment von bayerischem Landtag und Regierung gegen die da in Berlin, die vorschreiben wollen, was zu tun ist, ziemlich 1:1 auf heute abbilden und muß dabei kaum ein mutatis mutandis bemühen.
Finden Sie? Ich habe - zugegeben aus einer innerbayerischen Perspektive - die Filserbriefe immer als Sentiment des Bauernstandes gegen die Zentrums- bzw. BVP-Regierung gelesen. Die "wamperten bfahrer" und vor allem der Landtagspräsident Georg von Orterer kriegen deutlich mehr Fett weg als die Preißn.
Gruß Petz
Ja, sehe ich auch so, dass Filser v.a. die innerbayerischen Konfliktlinien beschreibt.
Aber ich glaube, die liefen etwas anders: Filser selbst war Hinterbänkler der Zentrumspartei.
Er hat ein gewisses Ressentiment gegen die eigene Fraktionsführung, die von den Pfarrern dominiert wird. Also von Leuten, die den Bauern auf den hinteren Bänken intellektuell überlegen sind. Allerdings spüren die Bauern eben recht gut, dass ihre eigenen Interessen im Ernstfall unter die Räder kommen, wenn die hohen Herren beraten.
[Exkurs zur Gegenwart: Im Prinzip ist es heutzutage ähnlich aber schlimmer. Zum Beispiel wird die "Arbeiterpartei" SPD im Parlament fast nur noch von Akademikern vertreten. Die eigentlichen Arbeiter sind in der Fraktion weniger vertreten als zu Filsers Zeiten die Bauern in der BVP].
Aber das ist sozusagen das innerfraktionelle Geplänkel. Der eigentliche Feind war aus Filsers Sicht die ba yerische Regierung. Und das war KEINE Zentrums-Regierung! Dieser Gegensatz ist sehr wichtig und durchzieht die gesamte Geschichte des Königreichs Bayern: Die Abgeordnetenkammer war vom Zentrum (bzw. ihrer diversen Vorläufer und Nachfolger) dominiert. Die Regierung wurde allerdings vom König ernannt. Und war typischerweise politisch deutlich anders gepolt: dort dominierten (für die damalige Zeit) "moderne" Ansichten. Ziele waren Industrialisierung, moderne Verwaltung, Liberalismus, Abschaffung von Zunft- und sonstigen Schranken. Außerdem war die Regierung im Schnitt deutsch-nationaler orientiert als die Abgeordnetenkammer.
Es gab also (etwas vereinfacht gesagt) ein Jahrhundert lang in Bayern eine Regierung, die Bayern in eine gewisse moderne Richtung entwickeln wollte. Und ein Parlament, das dem nur sehr widerwillig folgte.
Es ist das große historische Verdienst der CSU, dass sie diesen lang anhaltenden Gegensatz beendete. Die CSU vereint beide Elemente: einerseits das ländlich-konservative Element. Und andererseits aber auch Fortschrittsglauben und Wirtschaftsorientierung. "Laptop und Lederhosen", wie das Stoiber einmal ausdrückte.
Zitat Disses had der Bißmarch gemacht, und auch hat er das deutsche Reich gemacht, damit das mir die Schuhlden zallen, wo die Breißen haben. Disses ist leuder ser fiel und schpürt man es schtark, indem die Schteiern waxen.
Sehr schönes Zitat, das immer noch gültig ist. Nennt sich heutzutage Länderfinanzausgleich.
Zitat von Florian im Beitrag #45Sehr schönes Zitat, das immer noch gültig ist. Nennt sich heutzutage Länderfinanzausgleich.
Sehr schönes Zitat, das erst heute gültig geworden ist. Denn entgegen der Filser'schen Weltsicht war Preußen damals natürlich wirtschaftlich deutlich überlegen und hat deswegen pro Kopf deutlich mehr von den Reichslasten bezahlt als das eher arme Bayern.
Zitat von Florian im Beitrag #45Sehr schönes Zitat, das immer noch gültig ist. Nennt sich heutzutage Länderfinanzausgleich.
Sehr schönes Zitat, das erst heute gültig geworden ist. Denn entgegen der Filser'schen Weltsicht war Preußen damals natürlich wirtschaftlich deutlich überlegen und hat deswegen pro Kopf deutlich mehr von den Reichslasten bezahlt als das eher arme Bayern.
Moment mal. Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass Bayern nicht schon immer das tollste und beste aller Länder war??
Im Ernst: Ja, was Sie schreiben war mir natürlich schon bewusst. Was ich eigentlich ausdrücken wollte: Es ist die immer gleiche Leier: die Gliedstaaten jammern über die Zentralregierung, die sie angeblich aussaugen würde. Daran hat sich nichts geändert. Und besonders schön natürlich, wenn diese Jammerei von einem Landtagsabgeordneten kommt, der es eigentlich besser wissen müsste. (Aber für den es natürlich auch bequemer ist, die steigende Steuerlast der Zentralregierung anzulasten. Auch da hat sich nichts geändert).
Zitat von Florian im Beitrag #47Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass Bayern nicht schon immer das tollste und beste aller Länder war??
Selbstverständlich war und ist Bayern das tollste und beste aller Länder. Schließlich bin ich Halb-Bayer und eine andere Aussage könnte ich im Andenken an meinen Patenonkel selig gar nicht vertreten. Nur hat sich diese besondere Qualität Bayerns früher nicht an so schnöden Äußerlichkeiten wie den Finanzen festgemacht ...
Zitat Es ist die immer gleiche Leier: die Gliedstaaten jammern über die Zentralregierung, die sie angeblich aussaugen würde. Daran hat sich nichts geändert.
Völlig richtig. Wobei der Anteil des Zentralstaats damals ohnehin recht gering gewesen sein dürfte. Hatte der überhaupt nennenswert eigene Zuständigkeiten?
Zitat von Florian im Beitrag #47Und besonders schön natürlich, wenn diese Jammerei von einem Landtagsabgeordneten kommt, der es eigentlich besser wissen müsste.
Philology to the rescue: Über Thoma ist im kritischem Besteckkasten heute nur noch Tucholskys abfällige Bemerkung von 1920 im Gedächtnis: "Thoma wohnt jetzt in der Nähe von Schweineställen" (nachdem L.T. vehement gegen die Münchner Räterepublik Front bezogen hatte; die Sentenz dürfte in einer kommunistischen Publikation gefallen sein, für die Tucho eben auch schrieb). Aber die Filserbriefe sind zwischen 1907-12 für den Simplicissimus geschrieben worden & haben damit sowohl topische Satireobjekte in Preußen (ganz allgemein wie auch tagespolitisch) & die jeweiligen Landeskabalen. Insofern darf man das nicht ohne nähere Prüfung vom aktuellen Aufreger ins Allgemein-Bedeutende kurzschließen.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von R.A. im Beitrag #48 Völlig richtig. Wobei der Anteil des Zentralstaats damals ohnehin recht gering gewesen sein dürfte. Hatte der überhaupt nennenswert eigene Zuständigkeiten?
Sicher viel weniger als heutzutage.* Wie ja auch insgesamt die Steuerlast viel geringer war. Aber ein Beispiel bringt Filser ja selbst im gleichen Zitat:
Zitat Schpäter haben sie das Waperlgesez gemacht, wodurch mier ahle Wochen fier die Dienztboden Waperln zallen missen. Disses Gäld wahndert auch nach Breißen. Mir selbs haben noch keins dafon gesehgen, und mir sehgen es auch nie mer, indem die Breißen nichz hergehben, was sie krigen.
Das bezieht sich vermutlich auf die Bismarcksche Sozialgesetzgebung. Und ist ein weiteres schönes Beispiel: Selbstverständlich ist von dem Geld auch wieder etwas nach Bayern zurückgeflossen. Was der Abgeordnete Filser aber nicht sah oder sehen wollte.
* Selbst eine nationalstaatliche Kernaufgabe wie die Landesverteidigung war damals ja noch nicht Reichs-Aufgabe. Mindestens Bayern, Württemberg und Sachsen hatten jeweils eigenes Militär (und im o.g. Zitat war es für Filser ja schon eine Ungeheuerlichkeit, als dann irgendwann wenigstens die Uniformen vereinheitlicht wurden). Noch im 1.Weltkrieg wurden ganze Armeen (d.h. Truppenkörper mit deutlich über 100.000 Mann) vom jeweiligen Landesherrn (oder einem nahen Verwandten) zumindest nominell direkt befehligt. Einzige Ausnahme war die Marine, die tatsächlich eine dem Reich direkt unterstellte kaiserliche Marine war. (Was übrigens zumindest zum Teil auch die Flottenbegeisterung des Kaisers und des deutsch-nationalen Bürgertums erklärt: diese Begeisterung war zumindest teilweise auch ein Ergebnis der innenpolitischen Situation, die im militärischen Bereich nur die Flotte als gesamtdeutsches Gefäß für gesamtdeutsche patriotische Begeisterung ließ).
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