Zitat von Emulgator im Beitrag #24 Wenn ich ein bißchen suche, kann ich Ihnen vielleicht sogar eine zitierfähige Quelle nennen, wonach ein Umlageverfahren genau dann durch Mehrheitsbeschluß eingeführt wird, wenn es zum Scheitern verurteilt ist.
Das wäre wirklich eine interessante These (ich bin zu wenig Volkswirtschaftler um das zu beurteilen). Ich würde dem aber entgegenhalten, das zum Zeitpunkt der Einführung in Deutschland (unter Adenauer), die notwendige Pyramide durchaus noch vorhanden war.
Zitat Moralisch ist der Vergleich mit dem zu verwaltenden Darlehen angebracht. Es ist wie mit der Steuer.
Ich würde eher sagen: Es IST eine Steuer. Und Steuer und Darlehen sind natürlich schon ad hoc unterschiedliche Dinge. Die Zweckbindung der Abgabe "Rente" stimmt ja auch an allen Ecken und Enden nicht, sie wird ja bereits heute massiv aus dem Steuertopf gefördert. Und das Geld ist genauso weg wie die Steuer. Nur das man eben ein Anspruchspapier dagegen legt, das könnte man bei der Steuer auch machen. Es gibt ja auch durchaus Länder, wo genau dieser Mechanismus ehrlicher ausgeführt wird: Soweit ich mich erinnere erhält in Neuseeland jeder Bürger, nachdem er eine feste Zahl von "Steuerjahren" hinter sich gebracht hat, den Anspruch auf die staatliche Rente. Sie ist für alle gleich und unabhängig von der weiteren Einzahlung.
Zitat (und damit ist Quatsch, wenn man Steuererhebung damit rechtfertigt, es würden doch dadurch Schulen, Straßen, Polsterei usw. finanziert).
Selbst der Dieb muss sich oftmals vor sich selbst rechtfertigen, was er tut.
Zitat von Emulgator im Beitrag #24 Wenn ich ein bißchen suche, kann ich Ihnen vielleicht sogar eine zitierfähige Quelle nennen, wonach ein Umlageverfahren genau dann durch Mehrheitsbeschluß eingeführt wird, wenn es zum Scheitern verurteilt ist.
Das wäre wirklich eine interessante These (ich bin zu wenig Volkswirtschaftler um das zu beurteilen).
Ich habe kurz recherchiert, es ist sogar schlimmer: Für das optimale Rentenkonzept würde nur der Erwerbseinsteiger stimmen, weil alle anderen, älteren, durch die Umlageverfahren Transfers ohne Gegenleistung empfangen, sie müssen ja nicht nachträglich einzahlen. Die Erwerbseinsteiger sind aber oftmals nicht einmal wahlberechtigt (damals war 21 das Volljährigkeitsalter, aber die meisten hatten da schon längst ihre Lehre).
Zitat von Llarian im Beitrag #26ch würde dem aber entgegenhalten, das zum Zeitpunkt der Einführung in Deutschland (unter Adenauer), die notwendige Pyramide durchaus noch vorhanden war.
Ganz am Anfang war das System ja auch noch näher an dem Schreiber-Plan, auf den Sie hingewiesen haben. Mit der "Verzwiebelung" der Bevölkerungspyramide verdarb auch das Rentensystem. Ein Lichtblick war zwar die Einführung des demographischen Faktors (bzw. Nachhaltigkeitsfaktors), die aber auch erhebliche Widerstände hatte, und von der Schröder-Regierung der junggebliebenen 68er erstmal ausgesetzt wurde. Das System wird erst dann korrigiert, wenn den Alten klar ist, daß es auch bei Rentenbeiträgen eine Lafferkurve mit einem fallenden Ast gibt.
Zitat von Emulgator im Beitrag #27 Mit der "Verzwiebelung" der Bevölkerungspyramide verdarb auch das Rentensystem.
So ist es. Nur wurde die Umlage ja bereits eingeführt als die Zwiebel (ich kenne es als Urne) noch nicht vorgelegen hat. Die These war ja, dass eine Umlage generell zum Scheitern verurteilt ist. Was mit Sicherheit richtig ist, wenn die Zwiebel zwangsnotwendig ist. Aber es gibt ja durchaus Länder, wo das nicht der Fall ist. Da würde eine Umlage schon funktionieren.
Mir gehts eigentlich darum: Ich glaube (nur glauben, nicht wissen) das zwischen einer kapitalbasierten Rente und einer Umlage nur ein mehr theoretischer Unterschied als ein praktischer besteht (zumindest solange wir Transfers aus dem Ausland vernachlässigen). In einem Umlageverfahren definiert die alte Generation einen Anspruch an die junge. Und im Wesentlichen beruft man sich dabei auf moralische Gründe. In einem kapitalbasierten System ist der Anspruch am Ende der selbe, nur das man sich nicht auf Moral sondern auf Besitzverteilung beruft. Denn die Werte einer Gesellschaft gehören ja in der Regel der älteren Generation (weil ja niemand mit Kapital in dem Sinne geboren wird). Und damit sind sich beide Systeme am Ende sehr ähnlich: Die alte Generation gibt ihren Besitz an die Junge ab und bekommt dafür deren Arbeitskraft. Wenn nun aber die junge Generation, aus welchen Gründen auch immer, nur noch halb so gross ist, dann ist die Nachfrage nach ihrer Arbeit auch doppelt so gross. Und damit muss auch in einem kapitalbasierten Rentensystem mehr für die Arbeit der Jugend bezahlt werden, das heisst jeder kann sich auch nur noch die Hälfte leisten. Oder anders gesagt: Die "Krankheit" das keine Kinder mehr da sind, trifft beide Systeme mit der selben Härte.
Ich erlaube es mir mal ganz platt und doof zu sagen: Die deutsche Misere ist nicht die Frage ob Umlage oder Kapital. Die deutsche Misere ist, dass sich die Bevölkerung seit 40 Jahren weigert genügend Kinder zu bekommen. Die deutsche Misere ist, dass es gesellschaftlich völlig akzeptiert ist, das Paare Steuervorteile mitnehmen, die nie Kinder in die Welt setzen wollten und gleichzeitig eine sechsköpfige Familie als asozial gilt. Die Misere der deutschen Gesellschaft ist, dass Sie das Elternsein als Nebensache definiert. Ich, als alter Neoliberaler, glaube nicht das es Staates Sache ist Anreize zu setzen mehr Kinder zu kriegen, insofern rede ich nicht von staatlichen Almosen wie Kinderbaugeld und ähnlichem Hirnriss. Ich rede vom gesellschaftlichen Standing von Familien. Das Problem ist, das das oftmals als Wert aufgefasst wird, der heute schon Autobahn ist.
Zitat Das System wird erst dann korrigiert, wenn den Alten klar ist, daß es auch bei Rentenbeiträgen eine Lafferkurve mit einem fallenden Ast gibt.
Schön wärs. Wenn ich allerdings nach Frankreich sehe, habe ich nicht den Eindruck, dass vielen Leuten die Lafferkurve sehr vertraut ist.
Zitat von R.A. im Beitrag #9 Und in den Folgejahren wurde noch mehr Reichtum aufgebaut. Es geht uns heute deutlich besser als in den 60er Jahren, und der Wohlstand ist für alle gestiegen.
Auf Pump.
Nein. Wir haben noch eine gewisse staatliche Neuverschuldung, die ist aber für unseren Wohlstand nebensächlich. Wir könnten auch locker den Staatshaushalt ins deutlich Positive bringen mit Ausgabenkürzungen, die unseren Wohlstand nicht ankratzen würden.
Zitat
Zitat Richtig ist, daß die Geburtenzahlen abgenommen haben. Aber "instabil" ist unser Bevölkerungsaufbau nicht.
Aber sicher ist er das. Es ist eine gewaltige Urne, die ihren Schwerpunkt derzeit bei 50 Jahren hat.
So what? Es ist mit der modernen Produktivität im Prinzip kein Problem, daß ein Kinder alleine zwei Elternteile finanziert. Natürlich dann nicht auf dem hohen Niveau, daß Rentner derzeit genießen. Und das wäre eine Halbierung pro Generation, also noch deutlich schlimmer als die aktuelle Entwicklung. Ich stimme Dir völlig zu, daß die Demographie ein großes Problem ist. Wahrscheinlich unser mit Abstand größtes Problem (falls Merkel nicht weitermacht mit Problemerzeugen). Aber es ist lösbar, Deutschland wird genauso wenig untergehen wie alle anderen Staaten mit ähnlichen demographischen Problemen. Das demographische Problem bedeutet schlicht, daß man einen guten Teil des Wohlstandszuwachses für die Rentenschieflage aufwenden muß (im Gegenzug spart man natürlich bei der Kinderaufzucht). Fies an der aktuellen Situation ist, daß die Belastungen so ungerecht verteilt sind, insbesondere eben zu Lasten von Eltern, die sich Mühe geben.
Zitat
Zitat Ein guter Gymnasiast heute kann mit dem guten Gymnasiasten von früher mithalten, ist bei einigen Punkten (Englisch ...) eher besser.
Nur konkurriert der Gymnasiast von heute nicht mit dem von früher. Sondern mit den Chinesen & Japanern.
Richtig. Ich bin ja auch der Letzte, der die massiven Probleme in unserem Bildungssystem ableugnen würde. Aber der allgemeine Fortschrittspessimismus von Frank2000 ist eben m. E. falsch und beruht auf einer völlig verschobenen Sicht auf die Zustände früher. Und insgesamt ist das Bildungsniveau heute höher als in den 60er Jahren. Es könnte noch höher sein, und es sollte es wg. der internationalen Konkurrenz. Aber zu wenig Zuwachs ist eine ganz andere Sache als ein Rückgang.
Zitat Vor allem die Kompetenz Wissen vorzutäuschen.
Und Du meinst wirklich, das war früher anders? In einer Zeit, als noch eine oberflächliche humanistisch genannte Bildung das Ideal war, und irgendwelche Praxistauglichkeit des Gelernten für ein Mißstand gehalten wurde?
Zitat Unterhalt Dich mal mit ein paar Ausbildungsbetrieben was die teilweise für Kandidaten bekommen.
Richtig, die größten Probleme hat unser Bildungssystem ganz unten. Nur: Diese Klientel hätte in den 60er Jahren überhaupt keine Ausbildung gemacht. Die wurden als Hilfsarbeiter beschäftigt, da waren jegliche Kulturtechniken unnötig. Unser Problem ist heute, daß es nicht mehr beliebig viele Jobs für Leute ohne kleines Einmaleins gibt. Aber da gilt halt wie oben: Mehr Zuwachs wäre möglich und nötig, aber einen Rückgang gibt es nicht.
Zitat
Zitat Die Infrastruktur ist heute deutlich besser ausgebaut als in den 60er Jahren.
Da halte ich aber massiv gegen. Es sei denn in den 70er Jahren wäre da extrem viel dazu gekommen.
Da ist extrem viel dazu gekommen. Die einzige Infrastruktur, die leicht zurückgegangen ist, ist die Eisenbahn. Aber da sind wenigstens Netzqualität und Gesamtkapazität gestiegen. Straßen und Flugkapazitäten gibt es aber deutlich mehr. Es ist schon richtig, daß viel zu wenig für den Straßenunterhalt getan wird. Aber eine Straße mit Schlaglöchern ist immer noch besser als keine Straße wie in den 60ern. Wir haben heute etwas das Vierfache an Jahreskilometerleistung bei den deutschen PKWs - und 1960 waren die Straßen nicht leer!
Trotz aller aktuellen Probleme: Unsere Lage ist deutlich besser als vor 50 Jahren, und damit auch die Ausgangslage, um in 50 Jahren noch deutlich besser da zu stehen. Man muß dafür natürlich etwas tun.
Zitat von R.A. im Beitrag #29 Nein. Wir haben noch eine gewisse staatliche Neuverschuldung, die ist aber für unseren Wohlstand nebensächlich. Wir könnten auch locker den Staatshaushalt ins deutlich Positive bringen mit Ausgabenkürzungen, die unseren Wohlstand nicht ankratzen würden.
Die anderthalb Billionen sind auch nicht die, die mir Bauchschmerzen machen. Die sind zwar nicht nebensächlich, aber noch zu stemmen. Die Rentenschulden dagegen, die nicht vorhandenen Kinder, die sind nicht nebensächlich und die kann man nicht locker ins Positive bringen. Das ist ein seit 40 Jahren konstant wachsendes Problem.
Zitat So what? Es ist mit der modernen Produktivität im Prinzip kein Problem, daß ein Kinder alleine zwei Elternteile finanziert.
Bitte ? Um zwei Rentner mit gesundheitlicher Versorgung auch nur auf halbwegs normalem Niveau zu versorgen braucht man locker 30.000 Euro (und das ist niedriges Niveau), realistisch eher 50.000. Das soll ein Einzelner "nebenher" erwirschaften ? Das ist unrealistisch.
Zitat Natürlich dann nicht auf dem hohen Niveau, daß Rentner derzeit genießen.
Klar kann man das Niveau so niedrig definieren, das das geht. Nur: Dann haben wir wirklich und keine eingebildete Massenarmut. Dann dürfen Rentner sich Zimmer teilen und 20 mal im Monat Reis mit Bohnen essen. Und krank werden sollte man dann auch nicht.
Zitat Aber es ist lösbar, Deutschland wird genauso wenig untergehen wie alle anderen Staaten mit ähnlichen demographischen Problemen.
Untergehen nicht, aber Lebensverhältnisse können sich massiv verschlechtern. Es gibt etliche Beispiele von Ländern, die mal ganz vorne mitgespielt haben und inzwischen ganz schwer auf dem absteigenden Ast sitzen. Übrigens ist mir nicht ein Beispiel bekannt, von irgendeinem Land, das ein solches demographisches Problem je gelöst hätte.
Zitat Das demographische Problem bedeutet schlicht, daß man einen guten Teil des Wohlstandszuwachses für die Rentenschieflage aufwenden muß (im Gegenzug spart man natürlich bei der Kinderaufzucht).
Eben nicht. Weil sämtlicher Wohlstandzuwachs schon dafür nicht reichen würde. Das ist ja das Problem. Die Wirtschaftsleistung nimmt derzeit so um die anderthalb Prozent im Jahr zu (Tendenz sinkend). Die Mehrbelastung durch mehr Rentner nimmt jedes Jahr deutlich mehr zu (man sehe sich die Urne an). Und da ist die Lebenserwartung, die derzeit jedes Jahr um drei Monate steigt, noch nicht einmal eingerechnet. Und bei der Kinderaufzucht kann der Staat auch nicht mehr viel einsparen, weil das ohnehin im Wesentlichen von privat geleistet wird. Die paar Schulen zuzumachen rettet die Situation nicht. Nichtmal im Ansatz.
Zitat Aber der allgemeine Fortschrittspessimismus von Frank2000 ist eben m. E. falsch und beruht auf einer völlig verschobenen Sicht auf die Zustände früher. Und insgesamt ist das Bildungsniveau heute höher als in den 60er Jahren. Es könnte noch höher sein, und es sollte es wg. der internationalen Konkurrenz. Aber zu wenig Zuwachs ist eine ganz andere Sache als ein Rückgang.
Dem würde ich zustimmen, nur reicht ein bisschen Zuwachs eben nicht. Ein bischen Zuwachs war das was Nokia hatte bis Apfel mit ihrem Hypephone kamen. Wer vorne mitspielen will, muss auch vorne bleiben wollen. Und genau das ist in Deutschland nicht der Fall. Ich teile auch den Pessimissmus nicht in dieser Form (schon gar nicht in der Form "früher war alles besser"). Aber ich sehe wenig Grund zum Optimismus was Deutschland angeht. Ich halte das Land und seine Gesellschaft (und hier spielen auch die fehlenden Kinder eine zentrale Rolle) für extrem wohlstandsdekadent. Wir können es uns als Gesellschaft gar nicht mehr vorstellen, dass es anders sein könnte. Wir können uns Armut nicht vorstellen, weil wir kaum welche kennen. Wir können uns nicht vorstellen, was es bedeutet ein Millionenvolk an unterqualifizierten Arbeitslosen mitzuschleppen, weil wir das nicht kennen. Wir können es uns gar nicht vorstellen, dass mal tagelang der Strom ausfallen könnte, weil wir das nicht kennen. Wir sind uns kaum darüber im klaren, dass all die Werte, auf denen wir uns täglich ausruhen, unser sozialer Frieden, unser Reichtum, unsere Konsensgesellschaft, alles (!) andere als selbstverständlich sind, sondern das dieser hart erarbeitetet wurde. Und auch erhalten werden muss. Oder müsste.
Zitat Trotz aller aktuellen Probleme: Unsere Lage ist deutlich besser als vor 50 Jahren, und damit auch die Ausgangslage, um in 50 Jahren noch deutlich besser da zu stehen. Man muß dafür natürlich etwas tun.
Nein. Das ist sie nicht. Es gibt zwei ganz zentrale Unterschiede zur Lage von heute und der Lage vor 50 Jahren. Der erste ist der Mangel an Nachwuchs. Der zweite ist die gesellschaftliche Mentalität. Eine Firma, sei sie auch noch nicht im Plus, aber doch neu und im Aufbau begriffen, mit dem Willen an die Weltspitze zu kommen (und wenns nur der Wille war wieder Persil in Vorkriegsqualität zu bekommen :) ), ist in deutlich besserer Lage als ein fetter Konzern, der intern verkrustet ist uns gerade so sein eigenes Gewicht tragen kann. In der Wirtschaft gibt es jede Menge Beispiele für diesen Vorgang. Nur kann in der Wirtschaft der Konzern aufgelöst werden und wird dann wieder Teil der neuen Wirtschaft (diese Dynamik macht ja die Marktwirschaft so stark). Ein Land kann das nicht.
Trotz aller aktuellen Probleme: Unsere Lage ist deutlich besser als vor 50 Jahren, und damit auch die Ausgangslage, um in 50 Jahren noch deutlich besser da zu stehen. Man muß dafür natürlich etwas tun.
Nu ja, watt so in 50 Jahren von heute gesehen so alles sein wird - dazu äußere ich mich nur, wenn ich sicher sein kann, dass das nach 50 Jahren keine Sau mehr nachliest, was in meinem Fall mit Sicherheit so wäre, aber nu ja, VOR genau 50 Jahren jedenfalls, lieber R.A., hatten wir eine läppische Konjunkturkrise (heute mit Recht vergessen), die indessen zeitgenössisch allgemein als ultimatives Desaster angesehen wurde, was bereits den durch und durch relativen Charakter der Dinge anzeigt, die hier besprochen werden. Ob Ihre Analyse trifft oder nicht ist also eine Frage der Perspektive: Es kommt auch auf den an, der guckt und von woher der guckt und nicht nur darauf, was beguckt wird; so ähnlich wie bei der Heisenberg'schen Unschärfe - okay, sehr entfernt ähnlich.
CDU- seitig wurde Erhard vor 50 Jahren, dem man noch ein Jahr zuvor bejubelt und die Füße geküsst hat, am Jahresende rausgeschmissen (dergleichen kommt einem verdächtig bekannt vor), denn CDU- und namentlich SPD-seitig favorisierte man die grandiose Idee, die läppischen Produktionsrückgänge mit den Anwerfen der Schuldenmaschine zu kompensieren, also zukünftige Generationen für den aktuellen Konsum bezahlen zu lassen. Toll. Erhard war dagegen, also hoffnungslos veraltet und von vorgestern - weg damit.
Indessen blieb die strukturelle industrielle Palette vollkommen intakt (noch). Leute mit bescheidenen Bildungsniveau fanden auch weiterhin - in der Textilindustrie beispielsweise - ein passables Auskommen. Strukturell würde die Lage heutzutage mitnichten als "Krise" gelten, sondern herrliche Zeiten annoncieren.
Für ein passables Auskommen übrigens waren große Bildungsinvestitionen gar nicht notwendig (noch), der komparative Vorteil von Abitur und mehr war eher bescheiden - er lag eigentlich hauptsächlich im Sozialprestige. An dieser Stelle konnte man also durchaus noch sparen und hatte immer noch einigermaßen genug.
Man könnte da jetzt noch mehr hoch- und runter deklinieren, zum Beispiel anmerken, dass die Leut schon damals den Vergleich mit der nur 20 Jahre zurückliegenden Hungerzeit nicht mehr akzeptabel fanden sondern die Dinge gemäß dem üblichen Vom-Fischer-und-sine-Fru Syndrom* beurteilt haben.
In diesem Wust von komplexen Relationen hat man nur eins nicht: Einen allgemein anerkannten (intersubjektiv und historisch) Standard, so wie das Urmeter in Paris (bzw. das modernere Äquivalent). L. von Mises wußte schon, warum man mit Mathe in der Ökonomie nicht viel anfangen kann. Wir reden von "besser" und "schlechter" und nicht von "größer" und "kleiner", befinden uns also beim BEWERTEN, das wesentlich dadurch gekennzeichnet ist, dass jeder sein eigenes Urmeter unterm Arm hat – und außerdem nicht jeden Tag dasselbe.
*) hör, Mann, de Hütt is ook goor to eng, un de Hof un de Goorn is so kleen: de Butt hadd uns ook wol een grötter Huus schenken kunnt. Ich much woll in enem grooten stenern Slott wanen
Trotz aller aktuellen Probleme: Unsere Lage ist deutlich besser als vor 50 Jahren, und damit auch die Ausgangslage, um in 50 Jahren noch deutlich besser da zu stehen. Man muß dafür natürlich etwas tun.
Nu ja, watt so in 50 Jahren von heute gesehen so alles sein wird - dazu äußere ich mich nur, wenn ich sicher sein kann, dass das nach 50 Jahren keine Sau mehr nachliest, was in meinem Fall mit Sicherheit so wäre, aber nu ja, VOR genau 50 Jahren jedenfalls, lieber R.A., hatten wir eine läppische Konjunkturkrise (heute mit Recht vergessen), die indessen zeitgenössisch allgemein als ultimatives Desaster angesehen wurde, was bereits den durch und durch relativen Charakter der Dinge anzeigt, die hier besprochen werden. Ob Ihre Analyse trifft oder nicht ist also eine Frage der Perspektive: Es kommt auch auf den an, der guckt und von woher der guckt und nicht nur darauf, was beguckt wird; so ähnlich wie bei der Heisenberg'schen Unschärfe - okay, sehr entfernt ähnlich.
Als jemand, der damals noch als "Jugendlicher" bezeichnet wurde (Volljährig und damit erwachsen war man erst mit 21 Jahren) kann ich Ihrer Argumentation zustimmen, lieber Dennis.
Zitat CDU- seitig wurde Erhard vor 50 Jahren, dem man noch ein Jahr zuvor bejubelt und die Füße geküsst hat, am Jahresende rausgeschmissen (dergleichen kommt einem verdächtig bekannt vor), denn CDU- und namentlich SPD-seitig favorisierte man die grandiose Idee, die läppischen Produktionsrückgänge mit den Anwerfen der Schuldenmaschine zu kompensieren, also zukünftige Generationen für den aktuellen Konsum bezahlen zu lassen. Toll. Erhard war dagegen, also hoffnungslos veraltet und von vorgestern - weg damit.
Stimmt, genauso war's. Als Ergebnis hatten wir dann ja die große Koalition von 1966-1969.
Zitat Indessen blieb die strukturelle industrielle Palette vollkommen intakt (noch). Leute mit bescheidenen Bildungsniveau fanden auch weiterhin - in der Textilindustrie beispielsweise - ein passables Auskommen. Strukturell würde die Lage heutzutage mitnichten als "Krise" gelten, sondern herrliche Zeiten annoncieren.
Stimmt auch. Uns stand "gefühlte Temperatur" die Welt offen, immer unter der Prämisse, bereit zu sein für Leistung und Einsatz war ein "bescheidener Wohlstand" sehr gut möglich und schon weit aus mehr, als die Kriegsgeneration unserer Eltern an Möglichkeiten hatte.
Zitat Für ein passables Auskommen übrigens waren große Bildungsinvestitionen gar nicht notwendig (noch), der komparative Vorteil von Abitur und mehr war eher bescheiden - er lag eigentlich hauptsächlich im Sozialprestige. An dieser Stelle konnte man also durchaus noch sparen und hatte immer noch einigermaßen genug.
Stimmt auch. Allerdings, muß man fairerweise dazu nennen, das durch technischen Fortschritt in den Folgejahren einige Arbeitsplätze - insbesondere in der Fertigung großer Konzerne - wegfielen. Das aber war ein schleichender Prozeß damals, der nun nicht zu allgemeiner Armut führte, denn meist konnten Ersatztätigkeiten angeboten werden.
Zitat Man könnte da jetzt noch mehr hoch- und runter deklinieren, zum Beispiel anmerken, dass die Leut schon damals den Vergleich mit der nur 20 Jahre zurückliegenden Hungerzeit nicht mehr akzeptabel fanden sondern die Dinge gemäß dem üblichen Vom-Fischer-und-sine-Fru Syndrom* beurteilt haben.
Wer die richtige zukunftsträchtige Berufswahl traf, der hatte sein persönliches Wirtschaftswunder schon etwas eher erreicht als andere. Erreichen konnten es aber fast alle. Es sei denn "Frau Fischer" wollte eben noch mehr. Die Arbeitsmoral war weniger durch z.T. unsinnige Gesetzeseingriffe gestört und versprach ein relativ gutes Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zusammen mit Betriebsräten.
Zitat Wir reden von "besser" und "schlechter" und nicht von "größer" und "kleiner", befinden uns also beim BEWERTEN, das wesentlich dadurch gekennzeichnet ist, dass jeder sein eigenes Urmeter unterm Arm hat – und außerdem nicht jeden Tag dasselbe.
Besser oder schlechter ist im Vergleich vieler Jahrzehnte auch immer eine Frage der zeitgleichen Ansprüche, die gewiß vor etlichen Jahren noch andere waren.
Besser war in jedem Fall (aus meiner Sicht) das Wohlfühlen innerhalb dessen, was man mit seiner Bereitschaft seinen Job "gut zu machen" erreichen konnte. Damit gestaltete sich auch das Privatleben zufriedener.
Im Vergleich zu heute würde ich eher auf schlechter tendieren. Jedes positive Lebensgefühl steht und fällt (nicht nur, aber zuvorderst) mit den ganz persönlichen Perspektiven im Berufsleben, denn dies gewährleistet die Existenz. Hinzu kommt eine sich auf dem Rückzug befindliche, gesellschaftliche Verbundenheit, welches durch eine vom eigenen Volk abgewandte Politik noch gestärkt wird.
Aus heutiger Sicht empfinde ich die Lebensqualität in vielen Bereichen eingeschränkt und das unabhängig von Einkommen und Wohlstand.
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Zitat von Llarian im Beitrag #30Die Rentenschulden dagegen, die nicht vorhandenen Kinder, die sind nicht nebensächlich und die kann man nicht locker ins Positive bringen. Das ist ein seit 40 Jahren konstant wachsendes Problem.
Da stimme ich durchaus zu. Das ist ein großes Problem, vielleicht sogar unser größtes Problem. Aber es ist kein Desaster, das zum Untergang führen muß.
Zitat Um zwei Rentner mit gesundheitlicher Versorgung auch nur auf halbwegs normalem Niveau zu versorgen braucht man locker 30.000 Euro (und das ist niedriges Niveau), realistisch eher 50.000. Das soll ein Einzelner "nebenher" erwirschaften ?
Halt - Mißverständnis! Ich meine nicht ein Szenario, daß es doppelt so viele Rentner wie Erwerbstätige gäbe. Sondern eines, in dem eine Frau im Schnitt nur ein Kind hätte (also noch deutlich weniger als die heutigen 1,7). Und das wäre deshalb noch beherrschbar (wenn auch deutlich schlechter als mit den echten 1,7), weil ja die Erwerbszeit deutlich länger ist als die Rentenzeit. Ich hielte übrigens 30.000 netto nicht für Massenarmut ...
Klar ist natürlich, daß man nicht alle Rahmenbedingungen gleichzeitig verschlechtern kann. Also noch weiter sinkende Geburtenrate plus Verzicht auf qualifzierte Einwanderung plus längere Ausbildung plus Unqualifizierte per Mindestlohn arbeitslos machen plus Frühverrentung - das führt dann durchaus zu Massenarmut. Wenn man eine niedrige Geburtenrate bei akzeptablen Bedingungen für die Rentner bewältigen will, dann muß man insbesondere die Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung anpassen.
Zitat Und bei der Kinderaufzucht kann der Staat auch nicht mehr viel einsparen, weil das ohnehin im Wesentlichen von privat geleistet wird.
Da ist auch nicht direkt Einsparen beim Staat gemeint (obwohl das auch erheblich ist), sondern wenn schon Frauen keine Kinder kriegen - dann sollen sie wenigstens arbeiten und entsprechend beitragen. Was ja meist auch geschieht - bis zu einem gewissen Grad gibt es da also Selbstregelungseffekte.
Zitat Wer vorne mitspielen will, muss auch vorne bleiben wollen.
Durchaus. Und ich gebe Dir recht, daß es da bei der politischen und medialen "Elite" heftige Defizite gibt. Aber die sind eben nicht Deutschland. Und bei den Unternehmern, Selbständigen und vielen Arbeitnehmern sehe ich nach wie vor großen Ehrgeiz, möglichst gut abzuschneiden. Daß Deutschland heute deutlich besser dasteht als vor 15 Jahren und als die meisten anderen europäischen Länder hat m. E. nichts mit Agenda 2010 oder gar einer erfolgreichen Politik Merkels zu tun - sondern das ist komplett von der Wirtschaft erreicht worden.
Zitat Ich halte das Land und seine Gesellschaft (...) für extrem wohlstandsdekadent.
Das ist ein schwieriger Begriff. Ja, "wir" (im Sinne einer Mehrheit der Bevölkerung) können uns diverse Probleme nicht mehr vorstellen, weil wir sie nicht mehr kennen. Das ist für mich aber nicht Dekadenz, sondern schlicht Erfolg. Es gibt auch genügend historische Beispiele von Gesellschaften, denen es ähnlich ging. Und die trotzdem nicht dekadent wurden oder dem Untergang geweiht waren.
Letztlich sind wir uns bei unserer Problemanalyse wohl weitgehend einig. Nur bei der berühmten "Glas halb voll - Glas halb leer"-Betrachtung haben wir halt eine unterschiedliche Bewertung. Ich gehe halt als Historiker davon aus, daß Deutschland schon sehr oft mit viel schwierigeren Problemen fertig geworden ist. Und sehe deshalb gute Chancen, daß es auch unseren Enkeln deutlich besser gehen wird als uns. Aber eine Garantie bieten diese historischen Erfahrungen natürlich nicht. Es kann immer auch das erste Mal geben, wo etwas schief geht.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #31VOR genau 50 Jahren jedenfalls, lieber R.A., hatten wir eine läppische Konjunkturkrise
Die ist völlig nebensächlich. Viel schlimmer finde ich den Boom vor dieser Krise. Soll heißen: Keiner von uns würde gerne tauschen und so leben wollen, wie es ohne diese kleine Konjunkturdelle üblich war. Halb so viel Wohnraum pro Nase, kaum vernünftige Geräteunterstützung bei der Hausarbeit, längere Arbeitszeiten mit vielen gefährlichen, ungesunden und langweiligen Tätigkeiten, mäßiges Essen mit wenig Abwechslung, sehr beschränkte Freizeitmöglichkeiten, klapprige Autos, weder Computer noch Internet, wenig Urlaubsreisen ...
Klar, damals fanden das alle normal und gut und konnten sich kaum vorstellen, wie stark man dieses Wohlstandsniveau noch steigern könnte. Aber wir finden unser Niveau ja auch normal und können uns noch nicht vorstellen, wie mitleidig unsere Enkel unsere dürftigen Lebensverhältnisse beurteilen werden ...
Zitat Leute mit bescheidenen Bildungsniveau fanden auch weiterhin - ... - ein passables Auskommen.
Nun ja, was damals als "passabel" galt, wäre heute fast eine Menschenrechtsverletzung. "Passabel" (also deutlich unterm Schnitt) waren Miniwohnungen mit Kohleofen und Klo im Hof. "Passabel" war die Eckkneipe mit Bundesliga als wesentlicher Freizeitgestaltung. "Passabel" waren schlecht plombierte Zähne, Massenschlafsääle im Krankenhaus und frühes Sterben an nichtigen Anlässen. "Passabel" waren Waisenhäuser mit schwarzer Pädagogik, brutalen Prügelstrafen und sexuellem Mißbrauch. Wir haben in diesem halben Jahrhundert enorme Fortschritte gemacht. Und eben nicht dadurch, daß wir die unqualifizierten Hilfsarbeitsplätze in der Textilindustrie behalten haben.
Zitat dass die Leut schon damals den Vergleich mit der nur 20 Jahre zurückliegenden Hungerzeit nicht mehr akzeptabel fanden
Der Vergleich mit Kriegs- oder Nachkriegszeit paßt ja auch nicht. Im Vergleich zu den 20er Jahren waren die 60er aber schon deutlich angenehmer.
Zitat von R.A. im Beitrag #33 Aber es ist kein Desaster, das zum Untergang führen muß.
Den Untergang sehe ich auch nicht (wann ist schon wirklich etwas tatsächlich in den letzten Jahrzehnten untergegangen?). Aber ich sehe einen Niedergang sich abzeichnen, wenn das Wort besser passt. Verhungern wird hier so schnell niemand. Aber Deutschland hat es sich in seiner Rolle als "viertgrößte" (ist das überhaupt noch so ?) Volkswirtschaft der Welt bequem gemacht. Und es ist schon etwas anderes auf einer der größten Geigen zu spielen als auf einer kleinen. Man darf nicht vergessen, dass ein Teil des Reichtums auch genau aus dieser Rolle entsteht.
Zitat Sondern eines, in dem eine Frau im Schnitt nur ein Kind hätte (also noch deutlich weniger als die heutigen 1,7). Und das wäre deshalb noch beherrschbar (wenn auch deutlich schlechter als mit den echten 1,7), weil ja die Erwerbszeit deutlich länger ist als die Rentenzeit.
Zum einen, wir sind meines Wissens bei 1,4. Tendenz sinkend. Zum anderen, ob das so viel länger ist, da wäre ich zunehmend vorsichtig. Wir kommen heute irgendwo um die 20 ins Berufsleben (Akademiker deutlich später). Dann haben wir im Schnitt 40 produktive Jahre. Und dann inzwischen um die 20 unproduktive. Und letzteres wächst. Und zwar deutlich, pro Jahr um drei Monate. Ich halte das zwar für "beherschbar", aber nicht unter Haltung des heutigen "Reichtums". Den Sarrazin Effekt, vonwegen der Auswahl welche Frauen Kinder kriegen, spare ich mir hier mal, aber er ist noch verstärkend.
Zitat Ich hielte übrigens 30.000 netto nicht für Massenarmut ...
Ich schon. Weil Du von diesen 30.000 mindestens ein Drittel, wenn nicht die Hälfte für für medizinische und Pflegemaßnahmen brauchst. Zieht man dann noch vielleicht 6000 Euro für eine kleine Wohnung ab, bleiben gerade noch um die 10.000 zum Leben. Das ist sicher mehr als ein Harz-Empfänger hat, aber viel ist es nicht. Und wir reden über Durchschnitte. Bei einer normalen Verteilung werden wir auch Leute dabei haben, die gerade die Hälfte haben.
Zitat Wenn man eine niedrige Geburtenrate bei akzeptablen Bedingungen für die Rentner bewältigen will, dann muß man insbesondere die Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung anpassen.
Wenn das so möglich ist. Unsere Gesellschaft ist darauf weder mental noch wirtschaftlich eingerichtet. Die Amis beweisen, dass das prinzipiell möglich ist, es ist aber ziemlich inkompatibel mit der (heutigen) deutschen Mentalität.
Zitat Aber die sind eben nicht Deutschland. Und bei den Unternehmern, Selbständigen und vielen Arbeitnehmern sehe ich nach wie vor großen Ehrgeiz, möglichst gut abzuschneiden.
Da sind wir beisammen. Nur verlieren da auch zunehmend Leute die Lust. Es gibt heute nur noch sehr wenige Unternehmer, die aus purer Loyalität in Deutschland bleiben. Und die Zeiten werden mobiler.
Zitat Daß Deutschland heute deutlich besser dasteht als vor 15 Jahren und als die meisten anderen europäischen Länder hat m. E. nichts mit Agenda 2010 oder gar einer erfolgreichen Politik Merkels zu tun - sondern das ist komplett von der Wirtschaft erreicht worden.
Jein. Die Agenda hat sicher ihre Anteile daran. So wenig ich Schröder leiden kann, hat er mit diesem einen Manöver vermutlich mehr für die BRD getan als die Merkel Regierung je zustande gebracht hat. Aber ich gebe Dir recht, die Leistung kommt aus der Wirtschaft, nicht aus der Politik. Das ist aber keine Konstante, auf die man ewig bauen kann. Ich kann nur meinen Bereich überblicken, und dafür kann ich sagen, wenn sich die Politik der letzten Jahre linear fortsetzt, haben wir zumindest diese Grundstoffindustrie in 20 Jahren nicht mehr in Deutschland.
Zitat Ja, "wir" (im Sinne einer Mehrheit der Bevölkerung) können uns diverse Probleme nicht mehr vorstellen, weil wir sie nicht mehr kennen. Das ist für mich aber nicht Dekadenz, sondern schlicht Erfolg.
Das nicht mehr kennen, ist nicht die Dekadenz. M.E. besteht die Dekadenz darin nicht mehr daran zu glauben, dass das möglich ist. Unsere ganze Politik, ja man könnte sagen unsere Öffentlichkeit, kreist im Wesentlichen um Pseudo-Gefahren. Wir machen uns Sorgen um das Wetter in hundert Jahren, haben Angst vor Strahlung, die nichtmal mehr gemessen werden kann und sorgen uns um vorgebliche Gifte, die wir im Nanogrammbereich aufnehmen, weil die in Kilodosis schon einmal eine Maus umgebracht haben. Absolut absurd. Aber die tatsächlichen, ganz realen Gefahren vergangener Jahrzehnte, die sehen wir nicht. Wenn nicht 2008 mal ein Vorgeschmack gewesen wäre, könnten wir uns eine Weltwirtschaftskrise gar nicht mehr vorstellen. Stromausfall habe ich schon genannt. Das sind reale Gefahren. Aber sie finden nicht mehr statt, nicht nur weil sie so lange nicht passiert sind, sondern auch weil die Gesellschaft nicht daran glaubt, dass es passieren kann. Vielleicht ein anderes Beispiel: Wir schmeissen unsere Waffen weg (oder lassen sie vergammeln), weil wir uns gar nicht vorstellen können, dass wir vielleicht noch einmal überfallen werden. Da kann nix passiren, weil: "Das darf einfach nicht sein". Aber die Gefahr ist absolut real. Das meine ich mit Dekadenz. Zu glauben (!) etwas könne nicht (mehr) passieren.
Zitat Ich gehe halt als Historiker davon aus, daß Deutschland schon sehr oft mit viel schwierigeren Problemen fertig geworden ist. Und sehe deshalb gute Chancen, daß es auch unseren Enkeln deutlich besser gehen wird als uns.
Wie gesagt, ich glaube nicht daran, dass das Land in dem Sinne "untergeht". Jugoslawien ist auch nicht "untergegangen". Aber es hat einen Bürgerkrieg erlebt. Auch der Iran existiert noch. Aber mit Persien hat er so viel nicht mehr gemein. Ich denke schon, dass auch in 50 oder 150 Jahren noch eine Gesellschaft in Deutschland existiert. Aber was für eine das sein wird? Ich mache mir jedenfalls um meine "Enkel" ganz konkrete Sorgen und überlege, ob ich das soziale Experiment, dass Frau Merkel gerade initiiert, meiner Familie zumuten kann und darf. Und ich gebe zu, die Rentenproblematik, die wir oben diskutiert haben, spielt da durchaus rein.
Zitat von Llarian im Beitrag #28Mir gehts eigentlich darum: Ich glaube (nur glauben, nicht wissen) das zwischen einer kapitalbasierten Rente und einer Umlage nur ein mehr theoretischer Unterschied als ein praktischer besteht (zumindest solange wir Transfers aus dem Ausland vernachlässigen). In einem Umlageverfahren definiert die alte Generation einen Anspruch an die junge. Und im Wesentlichen beruft man sich dabei auf moralische Gründe. In einem kapitalbasierten System ist der Anspruch am Ende der selbe, nur das man sich nicht auf Moral sondern auf Besitzverteilung beruft. Denn die Werte einer Gesellschaft gehören ja in der Regel der älteren Generation (weil ja niemand mit Kapital in dem Sinne geboren wird). Und damit sind sich beide Systeme am Ende sehr ähnlich: Die alte Generation gibt ihren Besitz an die Junge ab und bekommt dafür deren Arbeitskraft. Wenn nun aber die junge Generation, aus welchen Gründen auch immer, nur noch halb so gross ist, dann ist die Nachfrage nach ihrer Arbeit auch doppelt so gross. Und damit muss auch in einem kapitalbasierten Rentensystem mehr für die Arbeit der Jugend bezahlt werden, das heisst jeder kann sich auch nur noch die Hälfte leisten. Oder anders gesagt: Die "Krankheit" das keine Kinder mehr da sind, trifft beide Systeme mit der selben Härte.
Das haben Sie völlig richtig erkannt. Im Volkswirtsdeutsch: Zum Konsum steht immer nur die periodengleiche Produktion bereit. Diese kann immer nur von den Arbeitenden derselben Periode produziert werden, nicht von den Ruheständlern. Daher hat man zwangsläufig die Kapazität Arbeit (also die Zahl der Erwerbsfähigen) als limitierenden Faktor.
Es gibt in der Realität aber noch zwei Unterschiede, die einiges ausmachen, und die Sie eigentlich auch schon berührt haben: Das Kapitaldeckungsverfahren verbrieft die Ansprüche in handelbaren Finanztiteln, beim Umlageverfahren hat man nur Rentenpunkte in einer BfA-Kartei. Die handelbaren Finanztitel ergeben die Möglichkeit, den Effekt von zuwenig Kindern (zuwenig Arbeitenden) zu dämpfen, indem man ausländisches Vermögen auflöst. Die Volatilität des Weltmarkts ist nämlich prinzipiell geringer ist als die eines Binnenmarktes: Irgendwo wird man schon noch genug Arbeitende haben. (Ein Nachteil ist natürlich, daß Märkte von Regierungen manipuliert werden, so wie jetzt Geld- und Kapitalmarkt, und auf diese Weise eine verdeckte Enteignung möglich ist. Die kann der Staat zwar auch bei den Rentenkassen erreichen, aber dafür müßte er sichtbar das SGB ändern.) Das andere ist, daß die Anreizsetzung eine andere ist. Das Kapitaldeckungsverfahren konkurriert nämlich immer mit dem Familienumlageverfahren. Was ist das Familienumlageverfahren? Das ist das Rentensystem, das es schon immer bei Menschen gab, nämlich daß Kinder ihre eigenen Eltern versorgen. Eltern können überlegen, ob sie Geld sparen oder für die Entwicklung ihrer Kinder ausgeben. Im Staatsumlageverfahren gibt es diese Möglichkeit nicht; sie wird allenfalls behelfsweise nach einem zentralen Plan simuliert, wenn es (was in D nicht einmal der Fall ist) großzügige Rabatte für Eltern bei den Rentenbeiträgen oder Rentenkürzungen für kinderlose Ruheständler gibt. Die Aufteilung Sparen-Kinder wird im Kapitaldeckungsverfahren je nach den Fähigkeiten der Eltern und Kinder optimal gewählt. Im Umlageverfahren kann das höchstens für alle gleich --also suboptimal-- erreicht werden.
Es gibt also durchaus Wohlfahrtsverluste durch das Umlageverfahren. Und so wie es aussieht, werden die vor allem in Zukunft gezahlt werden.
Ich bleibe dabei: der Großteil des BIP wird in nicht allzu ferner Zukunft im Wesentlichen durch Maschinen (Roboter) erzeugt. Und die werden wesentlich leistungsfähiger sein als die Computer der Gegenwart. "Industrie 4.0" ist so ein Schlagwort, das von geringer Fehlertoleranz der Produktion ("six Sigma") und automatisierten Abläufen befeuert wird. Überall dort, wo der Mensch noch in den Produktionsprozeß integriert ist, ist six-Sigma (der Anteil der fehlerfreien Produkte ist größer als Mittelwert plus 6* Standardabweichung, also bei "normalverteilter" Produktion ein fehlerhaftes Teil auf weit mehr als typischerweise 1 Million fehlerfreie Teile), das erklärte Qualitätsziel in der Produktion, nicht realisierbar. Erst qualitätsoptimierte Vollautomation macht sowas möglich. Und KI (Künstliche Intelligenz) bringt uns nochmal einen entscheidenden Schritt weiter: Der Güterberg entsteht mit minimaler menschlicher Interaktion weitgehend fehlerfrei.
Wie dann die Verteilungsgrundlage aussieht (Arbeit jedenfalls nicht mehr), ist eine der ungelösten Fragen der Zukunft. Ich könnte mir so etwas ähnliches wie eine Maschinensteuer vorstellen. Die Rente wird jedenfalls zumindest größtenteils aus dem Steueraufkommen zu finanzieren sein.
Zitat von schattenparker im Beitrag #37Und KI (Künstliche Intelligenz) bringt uns nochmal einen entscheidenden Schritt weiter: Der Güterberg entsteht mit minimaler menschlicher Interaktion weitgehend fehlerfrei.
Tiser Saz enthält trei Feler. Hauptsächlich den Kategorienfehler, der uns für "das Jahr 1970" (aus der Sicht von ca.1930), "das Jahr 1984" (aus der Sicht ~1944-ca.1960, etwa ab dem Lancieren von Peter Druckers "The End of Economic Man/Future of Industrial Man"), "das Jahr 2000" (ab 1970, mit dem Aufkommen der EDV in größeren Verwaltungen & Industrierobotern) das Ende der Arbeit - mit maximal 15 Wochenarbeitsstunden als avisiertem Mittel (scheint von 1890-1990 (kommt zum 1. Mal in Bellamys "Looking Backward" vor) so eine Art prophetischer Konstante zu sein, personne ne sait pourquoi) - in Aussicht gestellt hat. Von Taylorismus über Sozialismus bis Kahn+McLuhan der erste Komplettreinfall der "Futurologie". In einer seitdem nicht abreissenden Kette, die das einzige ist, was die Branche auf die Kette gekriegt hat.
Zudem ist die KI immer noch keinen Pfifferling wert, wirds auch nie sein (s.o., "Komplettreinfall", von Perzeptronen über Turingtest bis zu Expertensystemen); das spielt aber in diesem Zusammenhang genau keine Rolle. Für die reine Fertigung & den Transport allein gilt das; das ist aber durch eben jene Industrieroboter & Containerauslieferung bei anfallenden großen Mengen schon jetzt so weit gediehen, daß das das weitere Gedeihen da nicht mehr groß zu Buch schlägt. (In Seefahrt & Landwirtschaft ist dieser Strukturwandel abgeschlossenes Kapitel.) Von Wartung, Instandsetzung, Planung, und vor allem der Orientierung am Humanletztverbraucher, für den der ganze Zauber ja veranstaltet wird & der den Spaß finanziert, wird da nix tangiert. Die Optik auf die Fertigung allein übersieht all das, was da erst installiert werden muss, um dieses i-Tüpfelchen in der industriellen Produktionskette draufsetzen zu können; von Ausheben der Baugrube unseres Roboterwerks über die E-Versorgung & die Rohstoffgewinnung. Sobald die erste Fahrplanänderung anfällt, weil die vernetzte Brücke beim Stahlwerk eine Ladung T-Träger geordert hat, konvertiere ich. Bis dahin setze ich mal ein oder zwei Dutzend Bouteillen Moet & Chandon, daß uns das in diesem Jahrhundert eher nicht tangieren wird.
Zudritt: dieser vernetzte EDV/Cyber/Robotik-Komplex ist genau das, was Susan Blackmore den Bereich/die Ära des "dritten Replikators" genannt hat: ein sich selbst perpetuierendes System, das der Evolution unterliegt, in Interaktion mit seiner Umwelt, die durch die eigenen Aktionen wiederum verändert wird. Replikator No. 1 sind die Gene; die laufen nicht frei, sondern bilden biologische Entitäten, in allen 6 Reichen/2 Domänen, um sich zu replizieren; freilaufende Gene gibts nicht & was als "Parasit" huckepack mitgeschleppt wird, ist inaktiv, wird höchst selten negativ sichtbar & wird deshalb nicht als gravierender Kostenfaktor verbucht. Zweiter Bereich sind die Meme (gibts auch, gewissermaßen in "prokaryotischer Form", im Tierreich, u.a. als divergierende Vogelgesänge, aber, entscheidend: mit Rückwirkung/Veränderung der Umwelt, nur bei Genus Homo, Grundwurzel der conditio humana, der besonderen Stellung, mit der die Evolution ein völlig neues Faß aufmacht). Freilaufende Meme hat es auch nicht: ungelesene Bücher sind absolut harmlos. Erst wenn Meme (bzw. Mem-Komplexe) mit schadhafter Auswirkung genügend Hirne parasitieren & über die ausgelösten Verhaltensweisen massive Schäden hinterlassen, wirds kritisch. Das Arge ist, daß diese Pathologien die Ausschaltung der Immunabwehr eingebaut haben (haben müssen, sonst sterben sie aus, ehe sie bleibenden Schaden anrichten); also hemmende Traditionen, die vor Massenwahn schützen, rationales Kalkül, gesunder Egoismus (alles ausgesprochen ineffiziente Waffen). Religionen sind bekanntlich die giftigsten Varianten, vor allem, wenn der innere Schweinehund per positiver Rückkopplung aufgepumpt wird. Der 3. Replikator ist das, was über Schaltströme in Siliziumleitern gesteuert wird & das davon Gesteuerte. (Blackmore nennt das "Teme", technologische Meme, oder "Treme", tertiäre Meme.) Und so, wie keine Meme ohne Genaktivität in Gang gesetzt werden, werden keine Treme dauerhaft aufs Gleis gesetzt, die nicht sowohl für die Mem- als auch die Gen-Ebene Nutzen bringen. In der Genreliteratur, und auch bei Visionären einer "technologischen Singularität" spukt da in eine dieser "diffusen Ängste" in der Form, daß irgendwann eine "kritische Masse" erreicht sein könnte: wenn da so viele Rechner miteinander funken wie Synapsen im menschlichen Hirn: Skynet erwacht. Dürfte so wenig wahrscheinlich sein, wie ein Ameisenhaufen "erwacht", wenn da mehr als 2 Mio. Emsen wuseln.
Daß Parasitierung, terminologische, kurzfristig Schaden anrichten kann (alle Kids daddeln sinnlos & verschulden dabei ihre ungeborenen Enkel) ist unter "kurzfristige Kinderkrankheit" zu verbuchen; so wie Gasometerexplosionen oder Kohlenmonoxidvergiftungen. Wächst sich schnell aus. Schaden droht freilich massiv, wenn fanatisch infizierte Memkomplexe anderen mit Hilfe der Treme die Genaktivität beenden wollen. Und wenn die dann, weil ihnen das Mem "Wehrlosigkeit = supi" inokuliert worden ist, nur noch den Kollektiven Gandhi geben können.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Emulgator im Beitrag #36 Es gibt also durchaus Wohlfahrtsverluste durch das Umlageverfahren. Und so wie es aussieht, werden die vor allem in Zukunft gezahlt werden.
Dem kann ich durchaus folgen, ich wollte auch ganz sicher kein Umlageverfahren nach heutigem Stile schön reden. Ich würde dem Kapitaldeckungsverfahren sogar noch einen dritten Vorteil zubilligen, dass durch die erhöhte Investition, die durch das angesparte Kapital entsteht, auch die Produktivität des Einzelnen gesteigert werden kann (wenn auch nicht beliebig) und damit auch bei einer kleineren Generation "mehr rausgeholt" werden kann. Worum es mir aber ging war die Erkenntnis, dass beide Systeme an dem Kinderschwund leiden. Und zwar massiv. Es gibt eine Menge Leute (gerade im liberalen Millieu), die sich hinstellen und verkünden: Kapitaldeckungsverfahren und alles ist töfte. Und genau das ist eben falsch. Ein Kapitaldeckungsverfahren würde am Ende besser funktionieren, würde aber ebenso massiv leiden. Oder vielleicht noch anders: Ein Umlageverfahren in einem Land mit einer gesunden Bevölkerungspyramide würde immer noch besser funktionieren als ein Kapitaldeckungsverfahren in einem Land mit Urnenproblem. Wenn die Bevölkerungsverteilung allerdings gesetzt ist, haben Sie zweifelsohne Recht, dass das Kapitaldeckungsverfahren das bessere ist. Bei weitem. Unser Hauptproblem sehe ich dennoch inzwischen in der Urne. Und ich finde es geradezu absurd, dass das Problem seit 40 Jahren bekannt ist und immernoch keine Antwort darauf existiert.
Zitat von schattenparker im Beitrag #37Ich bleibe dabei: der Großteil des BIP wird in nicht allzu ferner Zukunft im Wesentlichen durch Maschinen (Roboter) erzeugt. Und die werden wesentlich leistungsfähiger sein als die Computer der Gegenwart. "Industrie 4.0" ist so ein Schlagwort, das von geringer Fehlertoleranz der Produktion ("six Sigma") und automatisierten Abläufen befeuert wird. Überall dort, wo der Mensch noch in den Produktionsprozeß integriert ist, ist six-Sigma (der Anteil der fehlerfreien Produkte ist größer als Mittelwert plus 6* Standardabweichung, also bei "normalverteilter" Produktion ein fehlerhaftes Teil auf weit mehr als typischerweise 1 Million fehlerfreie Teile), das erklärte Qualitätsziel in der Produktion, nicht realisierbar. Erst qualitätsoptimierte Vollautomation macht sowas möglich. Und KI (Künstliche Intelligenz) bringt uns nochmal einen entscheidenden Schritt weiter: Der Güterberg entsteht mit minimaler menschlicher Interaktion weitgehend fehlerfrei.
Mein lieber Schattenparker, es ist schwierig das noch höflich zu verpacken, aber Sie drängen einem hier den Eindruck auf, dass Sie unbedingt etwas zu einem Thema sagen wollen, von dem Sie nicht viel verstehen. Eben haben Sie den Begriff "Deep learning" fallen lassen, und nachdem das nicht verfangen hat, betreiben Sie Namedropping mit zwei weiteren Begriffen "six-sigma" und "Industrie 4.0". Eigentlich sollte man erst einmal bei einem Begriff bleiben, aber wenn wir nur die beiden nehmen, dann haben Sie ausgerechnet welche erwischt, die jetzt so viel nicht miteinander zu tun haben und auch ansonsten schlechte Beispiele für Roboterproduktion sind (gerade bei Robotern spricht man sogar explizit von Industrie 3.0). Industrie 4.0 hat erstaunlich wenig mit fehlerfreier Produktion zu tun, sondern ist primär die "Erkenntnis" das man Maschinen und Produktionsanlagen auch vernetzen kann (deswegen ist der im englischen Sprachraum verbreitete Begriff des "internet of things" eigentlich besser). Dadurch entsteht ad hoc keine höhere Qualität, das ist auch gar nicht Sinn und Zweck der Übung. Was entsteht sind erhebliche Vorteile bei Wartung & Instandhaltung, Planung und Optimierung von Produktionsanlagen und der Produktion selber (als Randeffekt kann es dadurch selbstredend zu einer höheren Qualität kommen, muss es aber nicht, und ist, wie gesagt, auch nicht das eigentliche Ziel). Vollautomation wird dadurch schonmal gar nicht erreicht (und auch nicht angestrebt). Weder Industrie 4.0, noch "six-sigma", noch das von Ihnen vorher favorisierte "Deep Learning" ersetzt Instandhaltung, Wartung, Programmierung, Neubau oder Revamping (sie werden nur effizienter). Und das ist da, wo heute schon lange die Arbeit steckt. Und das wird auch noch eine lange Weile so bleiben.
Dazu kommt, und das ist noch weit schwerwiegender, dass bereits heute kaum ein Drittel der Arbeiter überhaupt noch in der Produktion arbeiten. Wir sind, das wurde bereits mir auf der Schule näher gebracht, und das ist jetzt mehr als 20 Jahre her, auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Diese Wandlung hat keine KI benötigt. KI ist ein schönes und nützliches Thema (nicht umsonst habe ich meine Diss in dem Bereich geschrieben), aber man sollte seine Bedeutung nicht so überschätzen, wie das seit 50 Jahren mit schöner Regelmäßigkeit geschieht.
Zitat Wie dann die Verteilungsgrundlage aussieht (Arbeit jedenfalls nicht mehr), ist eine der ungelösten Fragen der Zukunft. Ich könnte mir so etwas ähnliches wie eine Maschinensteuer vorstellen. Die Rente wird jedenfalls zumindest größtenteils aus dem Steueraufkommen zu finanzieren sein.
Ich finde es immer so erstaunlich wie viele Leute, die nicht gerade die tiefsten Einblicke in die Produktionswelt haben, es immer unheimlich wichtig finden, wie deren Ergebnisse verteilt werden können. Das für sich ist sicher eine interessante Frage, nur bleibt die etwas dumme Erkenntnis, das man einen Bären erst einmal erlegen muss, bevor man das Fell verteilt. Sie sprechen oben von der grossen Automation der Produktion (die sicher kommt, wenn auch nicht in der Geschwindigkeit, die sie sich vorstellen und auch nicht unbedingt durch die aufgezählten Techniken). Was dabei aber nicht so selbstverständlich ist, ist, dass das ausgerechnet hier passiert. Im Gegenteil, umso weniger Arbeiter gebraucht werden, umso mobiler wird der ganze Spass. Ich finde es immer erstaunlich wie viele Leute von einer "Maschinensteuer" träumen (ist ja nicht so, dass Sie sich den Begriff ausgedacht haben) und dabei überhaupt keinen Gedanken daran verschwenden, ob die Maschine überhaupt in ihrer gesetzlichen Reichweite ist. Die von Ihnen erträumte Verteilung kann durchaus so aussehen, dass sie genau gar nichts davon bekommen.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #38Und wenn die dann, weil ihnen das Mem "Wehrlosigkeit = supi" inokuliert worden ist, nur noch den Kollektiven Gandhi geben können.
Jau. À propos Gandhi: er hat ja nun, Attenborough sei dank, einen sagenhaft guten Ruf, war aber - gelernter Jurist britischer Schule - in 1. Linie ein Meister der moralisierenden Erpressung. Er hat das zunächst beiläufig im familiären Umfeld, insbesondere mit seinem Eheweib, eingeübt und dann nach und nach ins Politische erweitert (kann man alles in Mahatmas eigenen Worten in seiner Autobiographie mit dem Untertitel "The Story of my Experiments with Truth", bei dem einem grundehrlichen Menschen schon Bedenken kommen, nachlesen) und wurde so nicht nur zum Befreier Indiens, sondern allgemein zum Schutzpatron der Öko- und Sozialgerechtigkeitskrieger bis auf den heutigen Tag.
Moralisierende Erpressung setzt aber einen geeigneten Adressaten voraus. Hätte Gandhi nicht mit dem British Raj ("pesky fellow, that Gandhi chappie - got to do the decent thing, what?"), dem fairness & propriety in den Adern floß, zu tun gehabt, sondern beispielsweise mit den Kunden vom IS, dann wäre er mit seinem "passiven Widerstand" genau 0 Fußbreit weit gekommen.
Zitat von Llarian im Beitrag #39Worum es mir aber ging war die Erkenntnis, dass beide Systeme an dem Kinderschwund leiden. Und zwar massiv.
Das stimmt, allerdings ist beim Kapitaldeckungsverfahren der Kinderschwund exogen, beim Umlageverfahren ist der Kinderschwund eine endogene Folge: Kinder werden ja gewissermaßen zum öffentlichen Gut (alle profitieren von künftigen Beitragszahlern, man kann nicht verhindern, daß die eigenen Kinder nicht für Kinderlose Beiträge zahlen und die Opportuniätskosten der Kinder werden nicht abgegolten), und das ist ohne zentral verwaltete Bereitstellung stets zu knapp bemessen. Gerade das öffentliche Gut "Kinder als Beitragszahler" kann nun nicht --wie Polizei oder Autobahnen-- durch staatliche Initiativen bereitgestellt werden (obwohl es mit dem "Lebensborn" durchaus Versuche gegeben hat...).
Zitat von Llarian im Beitrag #39Und ich finde es geradezu absurd, dass das Problem seit 40 Jahren bekannt ist und immernoch keine Antwort darauf existiert.
Für die Alten sind der status quo und Umlageverfahren ja stets optimal. Der Medianwähler ist immer älter als der Erwerbsbeginner, und so kann sich demokratisch gar nichts daran ändern. Vielleicht ist es sogar nur eine Frage der Zeit, wann jede Demokratie sich ein Rentensystem gibt, das im sicheren Rentenbankrott mündet. In Griechenland ist man ja schon sehr weit damit, weiter als bei uns. Ich sehe nur eine Möglichkeit, diese Entwicklung zu verhindern: Indem man als Verfassungsgrundsatz entweder explizit Maßnahmen mit umverteilender Wirkung dem Staat verbietet oder nur bei entsprechenden "Rückverteilungsmaßnahmen" erlaubt. Der Einführung eines Umlageverfahrens wäre dann die Mehrheit entzogen.
wie üblich ist Ihre Kritik scharf bis scharfzüngig, was eine gewisse Tiefschlagskomponente auf der persönlichen Ebene einschließt, und in diesem Fall auch durchaus etwas kleinlich.
Natürlich wird "Industrie 4.0" durch die vielfältige Vernetzung zu höherer Effizienz führen, und wenn auch six-sigma ein Thema ist, das bereits früher relevant war, so ist es auch jetzt immer noch relevant, und ob nun Industrie 3.0 oder 4,0, im Ergebnis werden mehr Produkte individualisierter, fehlerfreier, automatisierter und kostengünstiger produziert - auch vor allem aufgrund eines weiteren Schlagworts, das insbesondere Betriebswirten was sagt: Kostenerfahrungskurve. Bei Interesse werde ich das gern näher erläutern.
Ich gebe zu, meine Diss nicht über KI geschrieben zu haben, ich habe sie über und mit Hilfe der Methoden geschrieben, die zum großen Teil heute unter dem Schlagwort "Big Data" versammelt sind, früher war man bescheidener und hat "Multivariate Analyseverfahren" gesagt. Und das ist ja nun genau der Unterschied zu der Zeit, zu der Sie vermutlich Ihre Diss geschrieben haben: man hat damals nach immer komplexeren Algorithmen gesucht, um dem Computer zu erzählen, was er machen muß, um eine Katze zu erkennen. Dennoch konnte er Hund und Katze häufig nicht einwandfrei unterscheiden. Insbesondere bei nicht-algorithmisierbaren Themen war man klar verloren, weil man z.B. nicht die Witzigkeit eines Witzes messen konnte - allenfalls im Nachhinein über ein "Lachometer". Jedenfalls war dem scheinbar intelligenten Computer nicht klar, wie laut er lachen mußte, wenn ihm ein Witz erzählt wurde.
Das ist mit Deep Learning anders geworden, weil dem Computer ja nicht mehr von der Software genau aufgedröselt wird, bei welchem Ergebnis er zu landen hat. Er kommt von selbst darauf, daß "König" minus das Attribut "männlich" offenbar "Königin" sein muß, weil er es in ganz vielen Kontexten so "gelesen" hat. Und vielleicht kann er inzwischen sogar "Witz"? Er lernt durch furchtbar viele Fallbeispiele aus dem Big-Data-Berg mit Hilfe computerlinguistischer Methoden (z.B. Assoziationen). Und dadurch hat man nicht nur nach meiner Meinung, sondern durchaus der Meinung vieler Experten, einen tatsächlichen Durchbruch geschafft. Und es ist doch schön, daß es mal wieder nicht durch "mehr" vom selben passiert ist, sondern durch einen echten Paradigmenwechsel.
Vom Ergebnis scheinen wir aber gar nicht so weit auseinanderzuliegen. Die Produktion wird eingriffsfreier (und Sie sagen ja auch, daß es bei Wartung und Instandhaltung zu positiven Effekten kommt), es wird also insgesamt billiger und automatisierter. Und damit sind wir dann wieder beim ursprünglichen Thema. Der Verteilungsgrundlage für den Güterberg. Ich habe behauptet, daß es wohl nicht mehr Arbeit sein kann. Was sollte es denn Ihrer Meinung nach sein?
Hinzu kommt, daß auch der Dienstleistungsberg eingriffsfreier werden wird (die berühmten Roboter in der Pflege), vielleicht nicht in den nächsten 20 Jahren, vielleicht aber doch - forecasting is hard, especially for the future. Trotzdem muß man sich jetzt schon mal damit auseinandersetzen, denn die Dienstleistungsarbeit ist nur eine scheinbare mögliche spätere Verteilungsgrundlage. Dem Fabrikbesitzer kann man nur einmal pro Monat die Haare schneiden, mehr Bilder, als die Fläche seiner Wände hergeben, kann er nicht aufhängen etc.; wenn sich zwei Habenichtse gegenseitig dienstleisten, bringt das auch keine Güter ins Spiel - würden Sie die Existenz dieses Dilemma bestreiten? Und wenn nicht, wie würden Sie es lösen?
Gesellschaftspolitisch kann man die Leute nur dazu aufrufen, sich möglichst umfassend Aktien zu kaufen, um später nicht nur auf Steuer und Barmherzigkeit angewiesen zu sein. Damit wird man aber nun trotzdem nicht allzu viele hinterm Ofen hervorlocken, zumal sich viele das ja auch nicht leisten können. Wie vermeiden wir also Massenarmut?
Daß die Produktion Beine kriegt, glaube ich eher nicht. Könnte sie ja heute schon, und sie kommt eher zurück als weiter abzuwandern. Wenn allerdings weiterhin Millionen von Migranten ins Land strömen, könnte es in der Tat attraktiver sein, die Produktion gen Osten zu verlagern.
Zitat von schattenparker im Beitrag #43 wie üblich ist Ihre Kritik scharf bis scharfzüngig, was eine gewisse Tiefschlagskomponente auf der persönlichen Ebene einschließt, und in diesem Fall auch durchaus etwas kleinlich.
Ich bedauere das auch tatsächlich, lieber Schattenparker, denn natürlich bin ich mir der Unhöflichkeit bewusst. Es ist schwer jemandem, auch verklausuliert, zu sagen, dass man seine Meinung in einem Punkt für unreflektiert, respektive unbegründet, hält. Und das tue ich in diesem Fall. Wenn ich etwas positives dazu sagen kann, dann vor allem das ich mich freue, dass man überhaupt noch eine gehaltvolle Unterhaltung hier führen kann, bei der es nicht direkt um Flüchtlinge geht.
Zitat Das ist mit Deep Learning anders geworden, weil dem Computer ja nicht mehr von der Software genau aufgedröselt wird, bei welchem Ergebnis er zu landen hat. Er kommt von selbst darauf, daß "König" minus das Attribut "männlich" offenbar "Königin" sein muß, weil er es in ganz vielen Kontexten so "gelesen" hat. Und vielleicht kann er inzwischen sogar "Witz"? Er lernt durch furchtbar viele Fallbeispiele aus dem Big-Data-Berg mit Hilfe computerlinguistischer Methoden (z.B. Assoziationen). Und dadurch hat man nicht nur nach meiner Meinung, sondern durchaus der Meinung vieler Experten, einen tatsächlichen Durchbruch geschafft. Und es ist doch schön, daß es mal wieder nicht durch "mehr" vom selben passiert ist, sondern durch einen echten Paradigmenwechsel.
Und hier unterscheidet sich eben der Erfahrungshorizont. Das etwas ein Paradigmenwechsel sein soll, erzählen die KI Forscher seit sie sich vor 60 Jahren den Begriff KI ausgedacht haben. Es kam mit den Perzeptronen, es kam mit den Expertensystemen, es kam mit nichtmonotonen Logiken wie auch bei den inzwischen etwas populäreren Support-Vector-Maschinen (um auch mal ein bischen Namedropping zu betreiben). All diesen Paradigmenwechseln ist eins gemein: Es hat die Welt nicht besonders beeindruckt. Und das gilt auch genauso für ihr Deep-Learning, was nix anderes ist als der alte Wein der neuronalen Netze in einem neuen Schlauch. Das man durch Expertensysteme (oder Äquivalente) auch mal zu Erkenntnissen kommt, die man nicht vorgegeben hat, ist auch nix besonderes und führt von sich aus nicht zu einer künstlichen Intelligenz im Sinne dessen, was sich die meisten darunter vorstellen (nicht einmal zu "künstlicher Dummheit" wie mein KI Professor gesagt hätte). Künstliche Intelligenz ist für alle, die nicht von Hause aus Informatiker, Mathematiker oder Neurowissenschaftler sind, ein schwieriges Thema. Vor allem deshalb weil der Begriff immer mit einer denkenden Maschine assoziiert wird, nicht zuletzt mit Bewusstsein und Reflektion. Das ist zum einen deshalb blöd, weil es mit dem, zu dem das Feld in den letzten 60 Jahren geworden ist, nicht so viel zu tun hat, zum anderen deshalb, weil eine falsche Vorstellung von Intelligenz darin versteckt liegt. In der Dissertation einer Kollegin habe ich mal die folgende, wirklich schöne, Analogie gelesen: Jahrhundertelang hat der Mensch vom Fliegen geträumt. Und er ist dabei immer davon ausgegangen, dass Fliegen so aussehen müsste, wie Vögel das machen. Leonardo Da-Vinci hat in der Richtung ja entsprechend geforscht. Tatsächlich hat aber das Fliegen, wie wir es heute kennen, nur sehr wenig mit dem gemein, was Vögel oder Insekten tun. Hätte man jemandem vor 500 Jahren ein Flugzeug gezeigt (oder gar einen Hubschrauber) hätte er vermutlich nichts verstanden. Wir glauben, in unserer heutigen Arroganz, dass künstliche (oder auch jede andere) Intelligenz so denken müsste, wie ein Mensch das tut. Die Kollegin weist darauf hin, dass das natürlich Unsinn ist. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und würde behaupten, dass wir mit einiger Wahrscheinlichkeit in Konfrontation mit einer tatsächlich denkenden Maschine, gar nicht verstehen würden, warum sie denken kann (aber ich will jetzt nicht noch Gödel diskutieren). Nach diesem kleinen Ausflug lassen Sie mich zwei Dinge festhalten: 1. Die KI verkauft seit mehr als einem halben Jahrhundert Revolutionen, die nie stattgefunden haben. 2. Ein grosser Durchbruch ist nicht in Sicht. Deswegen will ich die KI nicht schlecht reden. Es kommen gute Erkenntnisse aus eben dieser. Aber man sollte sie auch nicht überschätzen. Und das passiert alle Nase lang. Und nebenbei: Wenn ich Professor für irgendein Thema wäre, würde ich auch jedem erzählen, was für wichtige Durchbrüche wir gerade erzielen.
Zitat Die Produktion wird eingriffsfreier (und Sie sagen ja auch, daß es bei Wartung und Instandhaltung zu positiven Effekten kommt), es wird also insgesamt billiger und automatisierter. Und damit sind wir dann wieder beim ursprünglichen Thema. Der Verteilungsgrundlage für den Güterberg. Ich habe behauptet, daß es wohl nicht mehr Arbeit sein kann. Was sollte es denn Ihrer Meinung nach sein?
Zunächst mal Arbeit natürlich. Denn Sie haben hier einen massiven logischen Bruch drin. Auch heute ist die "Verteilungsgrundlage für den Güterberg" nicht die Produktion. In der Produktion arbeiten vielleicht noch ein Drittel aller Arbeitnehmer. Wenns hoch kommt. Wir sind bereits mitten in der Dienstleistungsgesellschaft. Denn jemand, der Produkte hat, hat auch eine Nachfrage nach Dienstleistungen. Und im Moment ist die Nachfrage nach Dienstleistungen noch sehr stabil. Das kann sich natürlich mittelfristig ändern (ich habe mir hier mal ein paar Gedanken dazu gemacht. Aber auch dann ist die Verteilung noch kein echtes Problem.
Zitat Trotzdem muß man sich jetzt schon mal damit auseinandersetzen, denn die Dienstleistungsarbeit ist nur eine scheinbare mögliche spätere Verteilungsgrundlage. Dem Fabrikbesitzer kann man nur einmal pro Monat die Haare schneiden, mehr Bilder, als die Fläche seiner Wände hergeben, kann er nicht aufhängen etc.; wenn sich zwei Habenichtse gegenseitig dienstleisten, bringt das auch keine Güter ins Spiel - würden Sie die Existenz dieses Dilemma bestreiten? Und wenn nicht, wie würden Sie es lösen?
Haben Sie sich mal gefragt, wieviel Dienstleistungen Sie abrufen könnten, wenn Ihnen das Geld dafür zur Verfügung stünde ? Haben Sie sich mal gefragt, wieviele Dienstleistungen ein Gates oder ein Page abrufen können ?
Zitat Daß die Produktion Beine kriegt, glaube ich eher nicht. Könnte sie ja heute schon, und sie kommt eher zurück als weiter abzuwandern.
Hier leben wir schon wieder in unterschiedlichen Welten: Die Produktion hat doch längst Beine, oder haben Sie sich mal gefragt wo die Hälfte ihres Kleiderschrankes herkommt ? Es gibt genau einen Grund, warum in Deutschland noch produziert wird, und das ist die hohe Qualifikation des Durchschnitts. Um nicht zu sagen, des deutschen Facharbeiters. Jetzt haben Sie selbst angeführt, dass immer weniger Menschen in eben jener Produktion arbeiten. Nennen Sie mir mal einen Grund, warum eine Firma das dann gerade in Deutschland tun sollte. Wegen der tollen Umweltauflagen (fragen Sie mal die Stahlindustrie, wie die das sieht)? Oder wegen der Energieversorgung (fragen Sie mal die Aluminiumhersteller)? Haben Sie sich mal gefragt, warum die deutsche Wirtschaft nominell so ein gutes Prozent im Jahr wächst, während China im selben Jahr sieben macht? Die Produktion hat schon lange Beine. Fragen Sie sich doch mal selber: Nehmen wie an, Sie könnten irgendwo eine Million in einer Fabrik investieren. Würden Sie das wirklich in einem Land tun, in dem eine Partei fordert sie zu enteignen und eine andere Partei kein Problem damit hat, ihnen per Umweltauflage die Tore zuzumachen ?
Zitat Künstliche Intelligenz ist für alle, die nicht von Hause aus Informatiker, Mathematiker oder Neurowissenschaftler sind, ein schwieriges Thema. Vor allem deshalb weil der Begriff immer mit einer denkenden Maschine assoziiert wird, nicht zuletzt mit Bewusstsein und Reflektion. Das ist zum einen deshalb blöd, weil es mit dem, zu dem das Feld in den letzten 60 Jahren geworden ist, nicht so viel zu tun hat, zum anderen deshalb, weil eine falsche Vorstellung von Intelligenz darin versteckt liegt. In der Dissertation einer Kollegin habe ich mal die folgende, wirklich schöne, Analogie gelesen: Jahrhundertelang hat der Mensch vom Fliegen geträumt. Und er ist dabei immer davon ausgegangen, dass Fliegen so aussehen müsste, wie Vögel das machen. Leonardo Da-Vinci hat in der Richtung ja entsprechend geforscht. Tatsächlich hat aber das Fliegen, wie wir es heute kennen, nur sehr wenig mit dem gemein, was Vögel oder Insekten tun. Hätte man jemandem vor 500 Jahren ein Flugzeug gezeigt (oder gar einen Hubschrauber) hätte er vermutlich nichts verstanden. Wir glauben, in unserer heutigen Arroganz, dass künstliche (oder auch jede andere) Intelligenz so denken müsste, wie ein Mensch das tut. Die Kollegin weist darauf hin, dass das natürlich Unsinn ist. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und würde behaupten, dass wir mit einiger Wahrscheinlichkeit in Konfrontation mit einer tatsächlich denkenden Maschine, gar nicht verstehen würden, warum sie denken kann (aber ich will jetzt nicht noch Gödel diskutieren).
Das ist ein typisches Beispiel für den Dialog zwischen hard und soft sciences. Der meistens unfruchtbar ist - ich glaube, die einzige Ausnahme eines solchen Dialogs war der innere Monolog in Zettels Kopf...
"Schuld" daran - wenn man bei einem solchen Missverständnis überhaupt davon reden kann - waren beide Seiten. Als Turing mit seinem Test anfing, philosophisch zu werden, rief er zwei Sorten von Reaktionen hervor. Die einen folgten ihm freuten sich, weil sie das jahrtausendealte Problem der Reduktion des Bewusstseins auf ein physikalisches Substrat gelöst zu haben glaubten - indem sie das Bewusstsein so umdefinierten, dass es den KI-Kriterien entsprach. Die anderen wehrten sich und hefteten der KI eine Art Teufelswerk-Nimbus an, womit sie zur Überschätzung der Ergebnisse (zumindest derer im Bereich des Bewusstseins) der KI beitrugen. Da sich geisteswissenschaftliche Thesen in der Regel leichter verbreiten als naturwissenschftliche (99% aller Zeitungsredakteure sind Geisteswissenschaftler), festigte sich dieses Bild in der Öffentlichkeit. und viele KIler fühlten sich natürlich mit dem Frankenstein-Status gar nicht unwohl, begannen sogar damit zu kokettieren.
Zitat Und nebenbei: Wenn ich Professor für irgendein Thema wäre, würde ich auch jedem erzählen, was für wichtige Durchbrüche wir gerade erzielen.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #2Mit einem Satz: Deutschland schafft sich ab. Deutschland ist bis ins Mark dekadent und naiv.
Man kann es Dekadenz nennen; etwas genauer und neutraler formuliert, hat die 'westliche' Gesellschaft ein in der Menschheitsgeschichte bisher vermutlich einmaliges Maß an Zivilisation und Zivilisiertheit erreicht, die durch geistige Offenheit und den dadurch möglichen technischen Fortschritt einerseits, durch Besänftigung der wilderen Instinkte andererseits dem Einzelnen höchste Bequemlichkeit, Sicherheit und Individualität bieten. Das ist auch keine Kausalkette, sondern geht alles Hand in Hand in einem filigranen technisch-geistigen System. Die Menschen in dieser Gesellschaft sind entsprechend hochzivilisiert, verbürgerlicht, sozusagen (in einem Lorenzschen Terminus) 'verhausschweint' und in entsprechendem Grade, in dem sie Erzeuger und Träger dieser Zivilisation sind, auch von ihr abhängig geworden.
Diese Gesellschaft und die Menschen darin werden nun mit einer beträchtlichen Zahl von anderen Menschen konfrontiert, die weniger 'verhausschweint' sind, entweder weil sie einer weniger stark verbürgerlichten und individualisierten Kultur entstammen, oder weil sie durch den Zerfall der Gesellschaft, aus der sie kommen, in einem Bürgerkrieg desillusioniert (quasi etwas 'ausgewildert') sind oder (bei den Jüngeren) mit der einstigen Zivilisation kaum in Berührung gekommen sind.
In puncto natürliche Auslese sind diese, da ihre Instinkte noch besser funktionieren und sie jedenfalls schon besser an eine konfrontative Situation angepaßt sind, jenen überlegen. Die Hochzivilisierten reagieren aber, ihrem domestizierten Verhalten entsprechend, mit dem Wunsch zu helfen. Das wird in den meisten Fällen nicht einmal eine Charade sein, sondern ein echter Wunsch, aus der Hoffnung fließend, es mögen doch alle gleich (verhausschweint) sein. Mit dem Drang anderen zu helfen täuschen sie sich darüber hinweg, daß sie sich selbst nicht mehr helfen können.
Quantitäten sind hierbei wichtig; da größere Gruppen stärkeren Zusammenhalt (sprachlich, kulturell, taktisch) haben als kleine oder Einzelpersonen, hängt ihr Einfluß nichtlinear von der Zahl ab. Das Ergebnis, das auf dem einen oder anderen Wege erreicht werden wird ('blowback', wie es Llarian nannte, oder nicht), wird sein, daß die deutsche Gesellschaft weniger zivilisiert sein wird als sie es noch vor einem Jahr war. Zumindest bei der politischen Debattenkultur ist der Prozeß schon längst im Gange, und das Alltagsleben im öffentlichen Raum folgt.
Mit Pessimismus oder Optimismus hat das übrigens nichts zu tun; diese enthalten zentral eine Wertung (gut/schlecht). Eine solche Wertung ist von Belang, wenn es um politische Gestaltung und Entscheidungsfindung geht; in der gegenwärtigen Situation gewollter Alternativlosigkeit sehe ich keine solche Gestaltungsmöglichkeit.
(...) sozusagen (in einem Lorenzschen Terminus) *'verhausschweint'* und in entsprechendem Grade (...)
Dieses o.g. Gleichnis (*'verhausschweint'*) ist aber schon sehr Autobahn gelle? Auch dieserart Terminus unterliegt leider einer gewissen Mißachtung und wird nicht ungeahndet bleiben in Zukunft.
Na ja, wenigstens bis jetzt dürfen wir noch die vierbeinigen Ringelschwänze in unseren hauseigenen Töpfen zubereiten. In den derzeitigen Gemeinschaftsküchen führt das schon zu argen bisweilen gewalttätigen Problemen.
Wer sich jetzt aber um das Sparschwein sorgen macht, dem sei ein Dukatenesel ans Herz gelegt.
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Zitat von Meister Petz im Beitrag #46 Als Turing mit seinem Test anfing, philosophisch zu werden, rief er zwei Sorten von Reaktionen hervor. [...]
Ich würde sagen der Turing Test ist ein ziemlich gutes Beispiel für das aufgezeigte Problem. In der KI beschäftigt man sich nur am Rande damit, zum einen weil er extrem willkürlich ist (siehe die ersten Erfolge mit ELIZA-Klonen) und zum anderen weil intelligentes Handeln keinesfalls Sprache vorraussetzt. Tiere können sich sehr intelligent verhalten, auch wenn sie keiner Sprache mächtig sind. Und ein einsamer Mensche am Nordpol, der nicht in der Lage ist mit irgend jemandem zu kommunizieren, wäre deswegen nicht ohne Intelligenz. Für Nicht-Informatiker, bzw. Nicht-KI-ler ist der Turing Test aber fester Bestandteil, wenn nicht sogar die Definition von KI. Die Bedeutung wird weit überschätzt, das eigentliche Themenfeld dagegen verbleibt im Dunkeln.
Zitat
Zitat Und nebenbei: Wenn ich Professor für irgendein Thema wäre, würde ich auch jedem erzählen, was für wichtige Durchbrüche wir gerade erzielen.
Wie z. B. selbstfahrende Autos?
Nice try. :) Aber selbstfahrende Autos sind Realität. Es war im Übrigen auch kein "Paradigmenwechsel" der selbstfahrende Autos ermöglichte, es ware eine kontinuierliche Entwicklung die mehrere Jahrzehnte gedauert hat. Am Rande sei vermerkt: Ich habe heute (leider) mit selbstfahrenden, respektive autonomen Systemen, beruflich nichts mehr zu tun. Ich muss da also nix schön reden.
Zitat von Nola im Beitrag #14Zitat adder In der Konsequenz beider Kräfte wird ein Land wie Deutschland zerrieben. Unsere Leistungsträger wandern aus, und wir ersetzen sie nicht mit Leistungsträgern aus anderen Ländern, sondern mit den Armen der Welt.
Diese Aussage birgt Sprengstoff ohne Ende und ist doch die einzig richtige Aussage.
Daran krankt unsere komplette Politik und unsere Medien. Da die grünlinkskarierte Kopfschere quer durchs ganze Land geht, und Leistungsträger = mit "die da oben" verortet werden, sowie die Armen = "wir da unten" suggeriert wird, wird sich das Bewußtsein der Bürger nicht ändern. Diese "moralische Verpflichtung" auch über einen damit verbundenen staatlichen Selbstmord hinaus, stirbt als letztes. Sonderbar hierbei ist, daß der konfessionslose Bürger parallel dazu sich in einer großen Gemeinschaft wieder findet, obwohl alle Moral die wir kennen im Christentum seinen Ursprung hatte. Wenn unsere Moral heute ohne Christentum auskommt, ist das von mir aus in Ordnung, aber eine Konfession in diese "Lücke zu pressen" die nun so gar nicht unserer "Moral" entspricht, ist staatlich gewollter Selbstmord einer freien aufgeklärten Gesellschaft.
Es ist diese Moral über die wir reden müssen. Dazu diese grünkommunistische Weltanschauungsmoral, die sich nur gut anhört, niemals praktikabel und produktiv war. Im Grunde hat die gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Kommunismus eher zugenommen, wobei dem Kommunismus die Hilfe einer totalitären "Rechtgläubigen" Konfession absolut recht und willkommen ist. Sobald ein Land (und hier insbesondere Deutschland) durch seine Bürger und deren wertvolle Schaffenskraft "reich" geworden ist entsteht der Anspruch auf ein partizipieren an dem geschaffenen Wohlstand für alle. Auch da wäre nichts gegen einzuwenden, wenn zumindest ein Bemühen um den Erhalt des Geschaffenen von allen Bürgern getragen wäre. Die Hand aufhalten ohne eigenes Zutun - das ist keine moralische Basis und erst recht nicht die Moral, der wir unseren Wohlstand zu verdanken haben.
Man mag mich dafür ausschimpfen, aber kein Land kann das ganze Elend dieser Welt auf seinem Rücken schultern und darf es auch nicht, wenn dabei die Aussicht sich selbst zu zerstören einzig durch Scheinmoral ersetzt wird. Die Länder deren Reichtum durch Bodenschätze wie die gebratenen Tauben in den Rachen geflogen kommen, diese Länder verwenden ihren Reichtum nicht um Brüdern oder Schwestern auf der Welt zu helfen, sie machen wenn, allenfalls eine Frage der Religionspolitik daraus. Die These der konfessionsunabhängigen Weltbürger (am besten überhaupt keine eigene Überzeugung) gibt es nicht, wird es auch nicht geben, es sei denn der liebe Gott hat gewürfelt und ließ es Urknallen.
Sehr geehrte Frau "Nola"! Mit größtem Interesse habe ich Ihren (unterstützenden) Beitrag zu einer kurzen Feststellung von "adder" gelesen und stimme ihm voll und ganz zu.
Kann es sein, dass Ihre Stimme nicht weiter verfolgt oder garnicht gehört wurde? Ich habe als Späteinsteiger nicht den Überblick.
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