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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 27 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

05.03.2016 00:07
#26 RE: Reformations-Jubiläum für gespaltene Christen Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #17
Die nach der Tötung Jesu entstandene messianische Gruppe, die Heidenchristen im Sinn der 'Völkerwanderung zum Sion' ohne Beschneidung usw. aufnahm, weil eben der Messias schon dageween war, ist Jahrzehnte älter als das um 70 entstandene Gelehrtenjudentum ohne Tempel, Staat und Land. Nach gegenwärtiger Forschungslage kam die wirkliche Trennung zwischen Synagoge und Kirche erst im 3. und 4. Jh, am spätesten in Syrien, wo Christen noch im 5. Jh Synagogen besuchten. Die spätere gegenseitige Polemik hat also vieles verzerrt.
Vielleicht kann man sogar sagen, daß die ganzen Unterschiede zwischen den "abrahamitischen Religionen" wesentlich die Wahl des jeweiligen Anachronismus' ist. Man beruft sich auf die wahre, ursprüngliche Religion (vgl. Mt 19,8: "Am Anfang war das nicht so."), aber in Wahrheit ist diese Religion der vergebliche Versuch einer Rekonstruktion dessen, was die Zeit längst verschüttet hat:

Das Gelehrtenjudentum in seiner nachchristlichen Form ist verschieden von dem Judentum zur Zeit Jesu; genau wie die gebrauchten Texte des AT (heute das, was die Masoreten im Mittelalter daraus gemacht haben, früher eher LXX). Trotzdem sieht sich das Judentum als eine Fortführung.
Die Reformatoren beriefen sich auf Bibel und Kirchenväter, nahmen aber nur die mittelalterliche hebräische Bibel (und halten deswegen die Fürbitte für Verstorbene aus dem Makkabäerbuch für nicht biblisch) und postulierten eine "Klarheit der Schrift", wonach die Bibel eigentlich gar nicht interpretationsbedürftig sei und folglich auch keine Auslegungstradition nötig sei. Man habe damit den Glauben der Urgemeinde oder der Kirchenväter wieder, nachdem er jahrhundertelang von der papistischen Lehre restlos verdrängt gewesen sei. Wie soll das gehen?
Den konsequentesten Anachronismus wählte Mohammed: Seine Lehre sei das, was schon die Erzväter, Propheten und der Messias geglaubt haben, aber Juden und Christen verfälscht hätten.

Mit Diskussionen, was in längst verschütteten Jahrhunderten der Glaube gewesen sei, kommt man also nicht weiter. Ich glaube deswegen, als gemeinsame Quelle sollte man nicht das betrachten, was im Zeitablauf sprachlichen, inhaltlichen, kanonischen und interpretatorischen Änderungen ausgesetzt war, sondern das, was die Quelle dieser Änderungen gewesen sei. Hier meine ich den Heiligen Geist. Wir glauben, daß Er die Kirche leitet, ihr neue Einsichten schenkt und insbesondere die Bibel selber inspirierte. Ich glaube, man schließt damit auch an die jüdische Bibel selber an: Ganz grob erzählt sie selber von der Entwicklung ihrer eigenen Religion, einem langsamen Crescendo der Offenbarungen Gottes und der religiösen Handlungen der Menschen. Das Wirken des Heiligen Geistes, in einem Gottesvolk, das sich aus eigener freier Entscheidung gefunden hat, ist damit der vorläufige Höhepunkt dieser anhaltenden Entwicklung.

Aber vermutlich ist auch dies nicht etwas, dem gläubige Juden so einfach zustimmen würden. Dann wäre mein Kompromißangebot, daß der Heilige Geist sich selber an eine Gemeinde gebunden hat, ihrerseits nicht durch sturen Konformismus gebunden ist, sondern ihre Gemeinsamkeit in der Suche nach der Wahrheit und dem Diskurs sieht. Hier kommen Vernunft und Wissenschaft zum Tragen.

Für moderne Muslime, die nicht mehr das glaube, was der vernunftoptimistische Islam der mittelalterlichen Anfangszeit gewesen ist, ist dieser Vorschlag natürlich erst recht nichts. Aber sie glauben ihren Glauben eben nicht mehr auf die ursprüngliche Art.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

05.03.2016 11:53
#27 RE: Reformations-Jubiläum für gespaltene Christen Antworten

Das zeigt eine erstaunliche Nähe zu dem Axiom meiner Kirche, der Prozess, der die Bibel hervorbrachte, also das Alte und das Neue Testament sowie das Erkennen der gemeinsamen Achse, sei bedeutsamer als der Text als solcher, wobei der Begriff Prozess eben das bedeutet, was bei Ihnen, lieber Emulgator, die Bindung des Heiligen Geistes an eine Gemeinde meint. Das Gottesvolk ist Ort und Träger und seine lange Geschichte bürgt für die Produktion und die Reinigung von Erkenntnissen (vielleicht weniger über Gott selbst als über dessen Wollen und Vorschlag, wie dem Menschen – der seine Freiheit missbraucht - zu helfen ist).

Das Stichwort Hl. Geist kann von emotionalen, enthusiastischen Gläubigen gepachtet werden. Es sollte aber der rechte Begriff sein für den Atem der Freiheit, Weite, Weisheit und auch für die Unterscheidungsgabe. Das Christentum hat ihn deutlicher als das Judentum betont, ihn als „dritte“ ‚göttliche Person‘ definiert. Das war 381 n.Chr. Heute muss ich eine neue Sprache finden, die Sache zu erklären. Ich sage: Der hl. Geist zeigt die Kommunikationsfähigkeit zwischen Himmel und Erde; der Mensch hat die Befähigung, Gott zu suchen und zu finden, Gott gab sie ihm (dieses Zweiseitige ist der Grund für die im Westen gebrauchte Formel „filioque“, wäre Kallias‘ Frage zu beantworten, während in der östlichen Kirche die Linie nur von oben nach unten betont ist und der Geist „durch“ den Sohn zur Erde gelangt).
Im Dogma von 680/81 über die Willenseinheit in der Person Jesu (zwei Willen und Energien, der/die menschliche ist mit der göttlichen dadurch eins, dass der menschliche Wille dem göttlichen gehorcht) ist der Hl. Geist mit dem Willen zusammengebracht. – Das Wollen ist vielleicht wirklich entscheidender als das Erkennen, wie Schopenhauer unermüdlich durchdacht hat.

Und zeigt sich nun der Heilige Geist in der Kirchengeschichte? Die wissenschaftliche Disziplin kann dazu nichts sagen; ihre beschränkte Methode verbietet es. Man müsste Anderes hinzuziehen, z, B. die Missionsgeschichte, die Ordensgeschichte, die ja neben Papstgeschichte und Streit um Häresien stiefmütterlich behandelt werden. Umso auffallender war es, dass Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. sein Werk über Jesus von Nazareth schloss (also Band II) mit einer längeren Passage über den sogenannten „adventus medius“, das Wiederkommen Christi (neben Weihnachten und Parusie am Weltende) in einer dritten Form schon in großen spirituellen Reformen während der Geschichte der Kirche. Er nennt eine Reihe von wichtigen Heiligen und Reformen. Der Begriff stammt schon aus dem Mittelalter (Bernhard von C.).
Das könnte eine wirkungsgeschichtliche Wucht haben, wenn viele Christen begreifen, dass damit neben der so verborgenen Weise „Jede Eucharistie ist Parusie“ (ebenfalls von Ratzinger) eine indirekte, aber geschichtsmächtige Weise, wie der Heilige Geist Jesu durch die Zeit nach dem Entschwinden Jesu erscheint und handelt, sichtbar zu erleben ist, hie und da zumindest. Diese Kategorie, dass die Heilsgeschichte nach dem Abschluss des biblischen Kanons (volkstümlich: nach dem Tod des letzten Apostels) weitergeht, dass es also eine auch reflektierte aktuelle Geschichte der Kirche mit Gott geben kann, ist mir ebenso ein Anliegen wie die Aufgaben Dialog mit dem Judentum und Unterscheidung zwischen Religion und biblischem Glauben.

Ludwig Weimer

schu Offline



Beiträge: 4

02.04.2016 17:18
#28 RE: Reformations-Jubiläum für gespaltene Christen Antworten

Lieber Ludwig Weimer,
vielen Dank für Ihren erhellenden Beitrag zum Lutherjahr; es ist eine Entwicklung in dem Artikel nachvollziehbar bis hin - wenn man die Line weiter auszieht - zur folgerichtigen Konsequenz: Konversion aus einer anderen (abgespaltenen) zur eigentlichen (katholischen) Kirche. Ein Konvertit wie ich kann diese aufbauenden und bestätigenden Argumente nicht hoch genug einschätzen.
Herzlichen Gruß
Bernhard Schumacher

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