In dieser neuen Serie möchte ich mir ein paar Gedanken zu "deutschen" Eigenschaften machen. Heute zum Thema Neid.
Hinweis aufgrund der aktuellen Lage: Ja, auch in diesem Beitrag kommen Flüchtlinge am Rande vor. Sie sind aber nicht das Thema diesen Threads (ausser im Kontext des Neides). Das hier ist nicht der Platz für generelle Kommentare zur Flüchtlingskrise.
Inhaltlich frage ich mich jedoch, ob Deutschland hier wirklich so weit vorne ist bzw. ob der Neid, in der von Dir beschriebenen Form, hier so besonders verbreitet ist. Es gibt Länder, wie etwa unser Nachbarland Frankreich, die meiner (sicher nur oberflächlichen) Beobachtung nach traditionell viel stärker sozialistisch und etatistisch orientiert sind. In Portugal regiert sozusagen die Linkspartei; in Griechenland Sozialisten von links und rechts. Sicher stecken diese Länder kurzfristig auch viel tiefer im Schlamassel als Deutschland (langfristig ist anderes Thema), aber dennoch dürfte die Wähler dieser Parteien die Hoffnung motiviert haben, daß man ihren nach der Wahl etwas geben würde, das man vorher irgendjemand anderem weggenommen hat (idealerweise vermutlich den Bürgern eines bestimmten, nordeuropäischen Landes)
Herzliche Grüße, Andreas
"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)
Zitat von Doeding im Beitrag #2Schöne Reflektionen zum Thema.
Inhaltlich frage ich mich jedoch, ob Deutschland hier wirklich so weit vorne ist bzw. ob der Neid, in der von Dir beschriebenen Form, hier so besonders verbreitet ist. ... Herzliche Grüße, Andreas
Danke für diesen trefflichen Artikel. - Ich finde, dass man nicht (sofort) durch den Blick auf andere Staaten und Gesellschaften das Thema wieder relativieren oder gar beiseite schieben sollte. - Allein der von Llarian herausgestellte Gedanke, dass der Ärmste Deutsche im Vergleich zu anderen Armen - auch schon in vielen Nachbarländern - relativ reich ist und trotzdem dem Neid erliegt, muss doch einfach mal ausgehalten und ertragen werden.
Zitat von Doeding im Beitrag #2Schöne Reflektionen zum Thema.
Inhaltlich frage ich mich jedoch, ob Deutschland hier wirklich so weit vorne ist bzw. ob der Neid, in der von Dir beschriebenen Form, hier so besonders verbreitet ist. ... Herzliche Grüße, Andreas
Danke für diesen trefflichen Artikel. - Ich finde, dass man nicht (sofort) durch den Blick auf andere Staaten und Gesellschaften das Thema wieder relativieren oder gar beiseite schieben sollte. - Allein der von Llarian herausgestellte Gedanke, dass der Ärmste Deutsche im Vergleich zu anderen Armen - auch schon in vielen Nachbarländern - relativ reich ist und trotzdem dem Neid erliegt, muss doch einfach mal ausgehalten und ertragen werden.
Grüße von Simon
Aushalten und Ertragen ist wirklich nicht mein Thema, lieber Simon, aber wir wollen den Artikel in diesem Diskussionsforum schon auch diskutieren, oder?
Mein Gedanke, den ich damit ja gleichfalls zur Diskussion stelle, war, daß die Trennlinie weniger zwischen Deutschland und dem Ausland verläuft, sondern zwischen (Kontinental)europa und den angelsächsischen Wirtschaftsräumen mit ihren doch sehr unterschiedlichen Wirtschaftstraditionen (und wie es sich in den zitierten englisch- vs- deutschsprachigen Wikipedia-Artikeln auch abbildet). Der Hauptpunkt, scheint mir, ist ein Zusammenhang zwischen Neidgefühlen (und für wie legitim sie erachtet werden) und der Virulenz sozialistischer Ideen, wie Llarian auch schreibt. Und da scheint mir Deutschland in gewisser Hinsicht ein Sonderfall zu sein, jedoch etwas anders als Llarian, glaube ich, meint. Nach der Katastrophe des Nationalssozialismus, der exzessiv mit Neid- und Haßgefühlen auf ganze Bevölkerungsgruppen operiert hat, hat der Osten nochmal 40 jahre "klassischen" Sozialismus, mit der zugehörigen Sozialisation, draufbekommen. In Westdeutschland wurde dagegen, schon aufgrund der Zusammensetzung der Westmächte, zunächst ein eher angelsächsisch geprägtes Wirtschaftssystem installiert, erweitert um den speziellen Aspekt der sozialen Marktwirtschaft sensu Erhard. Spätestens seit der Regierung Brandt sehe ich aber einen zunehmenden rollback, insbesondere nochmal seit 1990, und nochmal beschleunigt in den letzten Jahren, hin zu wieder vermehrt sozialistischen Ideen, Ergebnisgereichtigkeit/gleichheit etc. und dafür braucht man das Schüren von Neid, gleichsam als Vehikel; was dabei Henne und was Ei ist, weiß ich allerdings nicht. Ich glaube, marktirtschaftliche Überzeugungen waren hier nicht lange genug aktiv/im Vordergrund, um in der "kollektiven DNA" nachhaltig Fuß fassen zu können. Wir bewegen uns sozusagen wieder "Heim zu Mutti". Was an dem Gedanken leichter auszuhalten sein soll, muß ich allerdings nochmal überlegen, lieber Simon
Herzliche Grüße, Andreas
"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)
Da oben steht im ersten Beitrag ein glasklarer Hinweis. Auch zum Thema Links abkippen ist hier inzwischen alles gesagt worden. Wenn Sie nichts zum Thema (!) beitragen wollen oder können, dann tun Sie es schlicht nicht. Aber weiteres Thread-Hijacking wirds hier nicht geben.
Zitat von Doeding im Beitrag #2 Inhaltlich frage ich mich jedoch, ob Deutschland hier wirklich so weit vorne ist bzw. ob der Neid, in der von Dir beschriebenen Form, hier so besonders verbreitet ist. Es gibt Länder, wie etwa unser Nachbarland Frankreich, die meiner (sicher nur oberflächlichen) Beobachtung nach traditionell viel stärker sozialistisch und etatistisch orientiert sind.
Dem würde ich zwei Dinge entgegenhalten, lieber Andreas:
Zum einen, ich habe ganz simpel von Frankreich nicht all zuviel Ahnung, von Deutschland dagegen glaube ich ein bischen was zu wissen. Ich würde auch generell nicht sagen, dass jede sozialistische Idee oder jeder Kommunist vom Neid beseelt sein muss. Man kann ja auch von einem Ideal erfüllt sein und die Maßstäbe an sich selber anlegen (das ist nur eben -in Deutschland- vergleichsweise selten). Wie das in Frankreich ist, weiss ich schlicht nicht. Genausowenig wie in Griechenland oder gar Portugal.
Zum anderen, die Serie ist mir in den Sinn gekommen, um über das zu reflektieren was ich von Deutschland denke. Wenn ich ganz kurz ein bischen ausholen darf, es geht mir darum auch mir selber klar zu sein, warum ich das Land verlassen will und warum ich das nicht will (zu positiven Dingen werde ich ja auch noch kommen). Das heisst nicht, dass ich exklusiv Dinge ansprechen möchte, die eben "typisch deutsch" sind, sondern Dinge, die ich eben für prägend halte. Die können durchaus auch wo anders vorliegen. Ich will nicht vorgreifen, aber eine positive deutsche Eigenschaft sehe ich in der Bereitschaft in kleinen Dingen Ordnung zu halten (warum diskutieren wir dann an anderer Stelle). Das tun die Japaner auch. Dennoch ist es eben auch eine deutsche Eigenschaft.
Gefühlt würde ich jederzeit bestätigen, daß "Neid" in Deutschland sehr viel verbreiteter ist als in anderen Ländern. Belegen könnte ich das aber nicht - alleine schon, weil man das wohl kaum messen kann.
Es ist auf jeden Fall eine Eigenschaft, bei der ich kaum eine positive Kehrseite erkennen kann.
Die ebenfalls typisch deutsche Neigung zum ständigen Meckern und Unzufrieden-sein hat deutlich die positive Kehrseite, daß man sich hierzulande viel Mühe gibt, etwas zu verbessern.
Neid könnte eine positive Kehrseite haben (oder hat sie in anderen Ländern), wenn er Quelle für Motivation wäre: Ich neide anderen ihr Einkommen, ihr Auto, ihren Sporterfolg - also arbeite ich hart, um das auch zu kriegen. Aber in Deutschland scheint das immer nur destruktiv zu wirken. In erster Linie ist wichtig, daß dem Anderen sein Einkommen, sein Auto, seinen Erfolg weggenommen wird.
Doedings Gedanke, dass der Neid im Wechselspiel mit den sozialistischen Gesellschaftsmodellen steht, fand ich zunächst einleuchtend. Mittlerweile bin ich wieder eher bei Llarian, dass Neid an sich davon losgelöst ist und speziell in Deutschland eine hohe Kultivierung erfährt.
Zitat von R.A. im Beitrag #7Ich neide anderen ihr Einkommen, ihr Auto, ihren Sporterfolg - also arbeite ich hart, um das auch zu kriegen.
Aber gerade das wäre ja in meinen Augen eben nicht Neid, sondern Bewunderung. Für mich fußt Neid auf der Annahme, der andere haben etwas ungerechtfertig bekommen. Gerade darauf spielt ja auch Llarians schönes Beispiel an, dass man sowohl den Reichen, wie auch den Armen (Flüchtlingen) durchaus etwas neiden kann.
Insofern könnte man vielleich konstatieren, dass dem Neid eine Art Narzissmus innewohnt, welcher sich selbst zum Maßstab erhebt, an dem sich andere Messen lasses müssen und der sich notorisch selbst überschätzt, bzw. andere unterschäzt.
Also Neid nichts anderes als Nazissmus, den man ja den Deutschen auch gerne im Kollektiv nachsagt?
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von R.A. im Beitrag #7Ich neide anderen ihr Einkommen, ihr Auto, ihren Sporterfolg - also arbeite ich hart, um das auch zu kriegen.
Aber gerade das wäre ja in meinen Augen eben nicht Neid, sondern Bewunderung. Für mich fußt Neid auf der Annahme, der andere haben etwas ungerechtfertig bekommen.
Beides ist vermutlich nicht vollständig, lieber n_s_n. Prinzipiell gibt es (meiner Meinung nach) zwei verschiedene Arten des Neides. Zum einen der Neid im Sinne von "das will ich auch". Das ist Neid, der in Ehrgeiz resultiert, und bei dem es weniger um die Situation des anderen als um einen selbst geht. Das kann ganz positiv sein, wenn es einen Menschen zu höheren Leistungen motiviert. Es kann allerdings auch durchaus negativ sein, denn auch ein solcher Neid kann an einem Menschen fressen. Nämlich wenn er versagt. Davon zu unterschieden ist allerdings der Neid, bei dem es darum geht, dass der andere etwas hat, was man ihm nicht gönnt. Anstelle des Ehrgeizes tritt hier die Missgunst. Und dieser Neid ist nie positiv, denn er ist agressiv. Es geht weniger darum das eigene Verhalten zu modifizieren, als darum den anderen etwas nicht zu gönnen. Und das kann durchaus auch jemand sein, der deutlich weniger hat als man selber.
Leider ist diese zweite Art die deutlich verbreitetere und populärere. Schon alleine weil das erste etwas ist, was sich nur schwer instrumentalisieren lässt.
Zitat von R.A. im Beitrag #7Es ist auf jeden Fall eine Eigenschaft, bei der ich kaum eine positive Kehrseite erkennen kann.
Für die Neider selbst hat der (missgünstige) Neid keine positive Kehrseite. Wohl aber für die Beneideten, da sich der Neid der anderen schön genießen läßt. Dazu freilich muß man ihn erst auf sich ziehen. Das Gegenstück zum Neid ist somit die Angeberei. Eine Neidgesellschaft ist zugleich eine Angebergesellschaft. Und die Angeberei hat die positive Kehrseite, dass man meistens etwas leisten muss, um etwas zu haben, womit man prunken kann.
"Das will ich auch" kann ich aber nicht als wirklichen Neid erkennen. Ist es nicht einfach nur ein Ansporn und deshalb etwas sehr positives?
Ich selbst habe ca. ein Jahr in den USA gelebt und bin auch seit den späten 70igern jedes Jahr immer wieder für mehrere Wochen dort. Neid wie ich ihn in Deutachland erlebe, kenne ich von dort in dieser Form nicht. Vielleicht liegt es daran, daß die Amerikaner die ich kenne nicht auf sozial Schwächere herunterschauen. Das bedeutet nicht, daß sie immer akzeptiert werden sondern auch oft einfach ignoriert werden. Das ist aber etwas anderes.
Ich habe immer wieder Grillfeste mitgefeiert wo sehr unterschiedliche Menschen zusammen waren. Dabei war es nicht ungewöhnlich, daß ein Sozialhilfeempfänger zusammen mit einem Millionär die Steaks gegrillt hat. Nein, die haben nicht nur zusammen gegrillt sondern sich auch dabei glänzend unterhalten. Da war kein Neid, jedenfalls habe ich es nie so empfunden. "Das will ich auch" spielt aber immer eine große Rolle. Missgunst konnte ich nicht erkennen.
Als Deutscher verfolgt mich das seit 30 Jahren und ich frage mich immer, wieso sind die Amerikaner in diesem Punkt so anders?
Zitat von Llarian im Beitrag #9Davon zu unterschieden ist allerdings der Neid, bei dem es darum geht, dass der andere etwas hat, was man ihm nicht gönnt. Anstelle des Ehrgeizes tritt hier die Missgunst. Und dieser Neid ist nie positiv, denn er ist agressiv. Es geht weniger darum das eigene Verhalten zu modifizieren, als darum den anderen etwas nicht zu gönnen.
Lieber Llarian.
Ich finde die Einführung des Wortes Mißgunst an dieser Stelle der Diskussion persönlich sehr erhellend, da es mir etwas klar macht:
"Neid" ist für mich sehr viel mehr mit "Missgunst" konnotiert, als mit irgendetwas anderem. Vielleicht kann ich für mich sogar feststellen, dass ich Neid und Missgunst durchaus als Synonyme verwende. Nur in diesem Sinn macht Neid, nach meinem Empfinden, auch als eine der "Todsünden" eine Sinn.
Nun ist das mit der intrinsischen Bedeutung von Wörtern immer so eine Sache, zumal wenn sie Emotionen beschreiben, aber für mich ist dieses "deutsche Gefühl", welches sie in Ihrem Artikel beschreiben, in der Tat eher mit Mißgunst, denn mit Neid zu benennen. Das Wort "Mißgunst" ist dabei etwas schonungsloser, gar brachialer in der Zuordnung, wie das Wort "Neid", aber auch treffender. Treffender deswegen, weil so diese positive Komponente, die hier auch thematisiert wurde und welche man als Ausflucht hat, wegfällt. Es bleibt das negative Gefühl als diejenige Zuschreibung, welche Sie (meiner Ermessens zu Recht) vornehmen - ohne Ausflucht. Und dies trifft den Sachverhalt. Mißgunst nehme ich in Deutschland sehr viel wahr. Im öffentlichen Raum, wie im persönlichen Umfeld.
Auch kann man die Mißgunst sehr viel besser als Narzissmus verstehen, welchen man als Treiber dieser Emotion (der Deutschen), nicht unterschätzen sollte. Der Deutsche weiß wovon er spricht. Er belehrt die Welt, im Zweifel auch gegen ihren Willen. Und wer gegen seine Lehre Erfolg hat, gegen die Überlegenheit seiner Anschauung, dem kann nur Mißgunst beschieden sein. Da gibt es nichts, dem nachzueifern wäre.
Die Mißgunst der Deutschen und ihr Wesen, an dem die Welt so gerne genesen soll, mögen zwei Früchte des gleichen Ackers sein, den die Volksseele bestellt. Diese Befindlichkeit (und da kann ich Doeding gut folgen) macht die Deutschen vielleicht auch wirklich so anfällig für die Totalitarismen, weil deren Abgrenzung und Selbstverständnis durch Mißgunst funktioniert.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Ich vermute, es gibt mehr Spielarten von Neid, als ein einzelner Artikel abarbeiten kann. Ich zum Beispiel spüre manchmal Neid auf leistungsloses Vermögen - einen großen Lottogewinn zum Beispiel. Dabei bin ich mir rational durchaus bewusst, dass ich aus Sicht von 90% der Menschheit meinen Wohlstand auch dem Glück verdanke: dem Glück in Deutschland geboren zu sein, die richtigen Eltern zu haben, gesund und intelligent zu sein. Trotzdem merke ich manchmal, wie mich ein Stich durchfährt wenn ich höre: der/die hat mehrere hunderttausend Euro von den Eltern geerbt...
Die allermeiste Zeit ist es mir aber herzlich egal. Warum? Weil ich das, was ich mir am innigsten wünsche, im Überfluss habe: eine interessante, liebevolle Frau und wohlerzogene, lebenslustige Kinder. Kann es sein, dass Neid mit unerfüllten Wünschen zu tun hat? Nach meiner Erfahrung sind Menschen mittleren Alters am neiderfülltesten. Junge und sehr alte Menschen haben eher weniger Neid. Meiner Meinung nach.Woran könnte das liegen, falls ich Recht habe? Vielleicht daran, dass Menschen mittleren Alters sich am stärksten mit ihrem vermeintlich sinnlosen Leben herumschlagen?
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Also Neid nichts anderes als Nazissmus, den man ja den Deutschen auch gerne im Kollektiv nachsagt?
Hmm, scheint mir irgendwie nicht ganz schlüssig, lieber n_s_n .
Epikur (keine so schlechte Adresse, wenn es um Lebenskunst geht) wird so zitiert:
Wem das Seine nicht das Herrlichste dünkt, der wäre - besässe er auch die ganze Welt - unglücklich.
In diese Sinne hab' ich nie richtig verstanden, warum der gute Narziss mit dem, was seitdem der nach ihm benannte Ismus wurde, eigentlich "bestraft" ist, der Mythos ist eigentlich etwas schräg, m.E.
Man tut doch keinem was, wenn man sich fortwährend selbst bespiegelt und sich irgendwie so richtig gut und gelungen findet. Narzisstisch heißt doch wesentlich: Welchen Grund sollte ich denn haben, jemanden zu beneiden? Okay, Die Liebe anderer bzw. diesbezügliche "Anträge" werden zurückgewiesen. Der Schaden hält sich vergleichsweise in Grenzen. Sollen die Antragsteller einfach auch Narzissten werden, und alles wird gut. Oder so gesagt: Durch die Mauer, die der Narziss um sich baut, kommt ja auch der Neid nicht durch.
Zitat von Kallias im Beitrag #10Für die Neider selbst hat der (missgünstige) Neid keine positive Kehrseite. Wohl aber für die Beneideten, da sich der Neid der anderen schön genießen läßt.
Während ich dem ersten Teil der Aussage zustimme, bin ich mir beim zweiten nicht so sicher. Wobei man da wahrscheinlich unterscheiden muß, ob es persönliche (bilaterale) Mißgunst ist oder eben institutionalisierte, in Form von Stereotypen. Ersteres kann in der Tat eine "spaßige Komponente" für das Objekt der Mißgunst haben, letzteres eher nicht.
Als angehöriger einer Bevölkerungsgruppe, welche aufgrund einer bestimmten Attributtierung oftmals Ziel von Mißgunst wird, konnte ich bisher (obschon ich diese Mißgunst selbst oft erlebt habe) niemals etwas positives daraus ziehen. Es fühlt sich durch und durch "bescheiden" an. Unfair und entindividualisierend.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #14Narzisstisch heißt doch wesentlich: Welchen Grund sollte ich denn haben, jemanden zu beneiden?
Wenn man Narzismuss so liest, wie Sie es beschreiben, haben Sie sicherlich nicht Unrecht mit Ihrer Kritik an meinem Gedanken.
Aber wie es so ist mit der Bedeutung von Begriffen, bin ich mir nicht sicher, ob es immer nur eine zulässige Lesart gibt. Gerade auch "Narzissmus" scheint mir da nicht so eindeutig festgelegt, wie sie es beschreiben. Für mich beinhaltet der Begriff zum Beispiel, neben Selbstverliebtheit, auch die Sucht nach der Bewunderung durch andere und damit ebenfalls ein Überlegenheitsgefühl, welches sich eben nicht nur selbst genügt.
Aber möglicherweise ist mein Verständnis des Begriffes "narzisstisch" auch nicht ganz korrekt.
Herzlich
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Zitat Aber in Deutschland scheint das immer nur destruktiv zu wirken. In erster Linie ist wichtig, daß dem Anderen sein Einkommen, sein Auto, seinen Erfolg weggenommen wird.
Hallo R.A.,
das stimmt zwar, aber östlich von hier scheint es ähnlich zuzugehen, wie der folgende Witz "belegt":
Einem Tschechen erscheint eine gute Fee und sie sagt zu ihm: Du darfst dir etwas wünschen, und Du bekommst es auch. Aber: was immer es ist, dein Nachbar bekommt das Doppelte.
Der Tscheche denkt kurz nach und antwortet: Reiße mir ein Auge aus!
Tatsächlich bin ich mir nicht sicher, ob es sich um einen Tschechen handelt, dem die Fee erscheint, oder ob das nicht ein Russe war. Möglich ist beides. ... Ich frage mich, ob die Missgunst eine Eigenschaft ist, die nach Osten hin zu- & nach Westen hin abnimmt. (?)
Es geht um das Thema Neid in Deutschland. - Da gibt es viel zu diskutieren.
Hier ein subtiles Beispiel von Neid unter Deutschen in Deutschland. Aktuell um Neid von Bürgern innerhalb des Dorfes Zorneding im Landkreis Ebersberg gegenüber einem 65-jährigen promovierten Priester aus dem Kongo, der schon jahrelang in Pfarreien der Diözese München, auch in einer Münchner Pfarrei, zuletzt 4 Jahre in der Dorfpfarrei mit 9000 Einwohnern tätig war:
Der Neid - die Presse spricht von "Hass", ich bleibe bei "Neid", aus dem Hass werden kann - gegenüber dem dunkelhäutigen Pfarrer, der wegen seiner "mitreißenden Predigten" objektiv bei den Gläubigen beliebt war, entzündete sich an der Tatsache, dass dieser Fremdling, dieser so untypisch Deutsche, Un-Bayrische, "Zugereiste"... in einer seiner Sonntagspredigten es wagen konnte, gegen massive fremdenfeindliche Äußerungen alteingesessener und parteipolitisch tätiger Bürger im Rahmen des Flüchtlingszustroms seine Stimme zu erheben. - Der Pfarrer erhielt daraufhin Morddrohungen, mündlich und schriftlich. In Briefen hieß es: "ab mit dir nach Auschwitz" - "Nach der Vorabendmesse bist du fällig." - Die Kriminalpolizei ermittelt. Der Pfarrer ließ sich von Kardinal Marx beurlauben. Am vergangenen Sonntag hielt er seine letzte Messe. (Münchner Merkur Nr. 56, Dienstag, 8. März 2016)
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #16 Aber möglicherweise ist mein Verständnis des Begriffes "narzisstisch" auch nicht ganz korrekt.
Es gibt da Lesarten noch und nöcher, kein Wunder bei einem über 2.000 Jahre alten Mythos, mit gewissen Varianten überliefert, von daher ist natürlich auch die Ihre korrekt; was Sie beschreiben wäre so 'ne Art Meta-Neid, mag es ja geben, das Ding ist ja vielschichtig und eben leider sehr, sehr wirkmächtig, von daher seit Jahrtausenden in allen möglichen Kulturen als Laster konnotiert (jedenfalls der schwarze, missgünstige Neid).
Die Leut gewöhnen sich wahrscheinlich eher den Sex ab, bevor der Neid drankommt. Epikureismus ist m.E., wie gesagt, nicht die schlechteste Methode, um diesbezüglich an sich zu arbeiten - obschon das christlicherseits eher verpönt ist .
Gerade fällt mir ein ergänzender Begriff zum Neid (v.a. im Sinne von Missgunst) ein: Schadenfreude. ... Oder finden Sie (bzw. die anderen hier) es als an Haaren herbeygezógn?
Zitat von Hajo23 im Beitrag #11"Das will ich auch" kann ich aber nicht als wirklichen Neid erkennen. Ist es nicht einfach nur ein Ansporn und deshalb etwas sehr positives?
Nun, das ist wohl sehr von der Definition des Wortes abhängig, lieber Hajo. Es haben ja inzwischen einige davon geschrieben, dass der Begriff mehrdeutig sein kann. Was diesen speziellen "Neid" angeht, so ist dieser in Deutschland zumindest in meiner Erfahrung nicht der vorherschende. Und wie ich schon schrieb, es kann positiv sein, aber er kann auch durchaus schaden: Zum Beispiel wenn er mich frustriert oder zu Entscheidungen bringt, die ich rational vielleicht nicht getroffen hätte. Wenn ich die Million stehle, "weil ich sie auch haben wollte", dann ist das sicher nicht so positiv.
Zitat Neid wie ich ihn in Deutachland erlebe, kenne ich von dort in dieser Form nicht.
Ich habe nicht so viel USA Erfahrung wie Sie, aber genau das ist mir auch aufgefallen. Und es ist ziemlich faszinierend, besonders im Hinblick darauf, dass die USA auch eine deutlich ungleichere Gesellschaft sind als wir. Ich würde daher auch vermuten, dass sich Neid nicht unbedingt auf tatsächliche Ungleichheit reduzieren lässt, sondern das er eher kulturell und traditionell begründet ist. Simpel gesagt denke ich, dass Neid zu einem guten Teil anerzogen wird.
Zitat Als Deutscher verfolgt mich das seit 30 Jahren und ich frage mich immer, wieso sind die Amerikaner in diesem Punkt so anders?
Ich glaube nicht unbedingt das Amerikaner sich ad hoc von den Deutschen so unterscheiden. Wir werden alle mit der Fähigkeit und dem Potential zum Neid geboren. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied ob man diese Eigenschaft als etwas Schädliches definiert, dass man überwinden muss, oder als es etwss wünschenswertes, dass man durch einen angeblichen Gerechtigkeitssinn verbrämt.
Zitat von jana im Beitrag #21 Gerade fällt mir ein ergänzender Begriff zum Neid (v.a. im Sinne von Missgunst) ein: Schadenfreude. ... Oder finden Sie (bzw. die anderen hier) es als an Haaren herbeygezógn?
An den Haaren herbeigezogen ist das nicht, liebe jana. Die englische Wikipedia widmet unter dem Thema Neid dem Wort Schadenfreude einen Unterpunkt (interessant übrigens wie bezeichnend, dass im englischen kein eigenes Wort existiert, sondern man explizit das deutsche Wort verwendet). Schadenfreude wird dort als Auswuchs des Neides verstanden, was eine Definition ist, der ich durchaus folgen kann. Es ist meiner Meinung nach nicht das selbe sondern durchaus ein ähnlicher Kontext.
Zitat von Hajo23 im Beitrag #11...wieso sind die Amerikaner in diesem Punkt so anders?
Die gängige Herleitung in soziologischer Hinsicht, sowohl diesseits wie auch jenseits des Großen Teichs, führt das in der Regel auf die Self-made Gesellschaft, das "jeder ist seines Glückes Schmied" zurück, was für viele Beobachter das gar nicht klandestine Zentrum des "American Dream" bildet - Scheitern eingeschlossen. Kulturgeschichtler greifen weiter zurück ins puritanische (oder calvinistische) Erbe, das einen gehörigen Teil von Prädestination aufweist & wo der Erfolg im Leben zum einen Indikator höheren Wohlwollens ist, andererseits aber alles vom individuellen Einsatz, auf die diversen christlichen Tugenden verteilt, anhängt. (Die letzten beiden Aspekte beißen sich, aber aus solch einer Widersprüchlichkeit ergeben fruchtbar zu nutzende Freiräume. Schließlich ist es die Aufgabe solcher überwölbender Lebenshaltugen(d)en, sich eigentlich ausschließende Ziele: wie irdisch/transzendent, Individuum/Gemeinschaft, religiös/streng säkular, lebbar unter einen Hut zu bringen). Das bestimmende Thema der amerikanischen Literatur ist ja nicht der "amerikanische Traum" (höchstens bei Horatio Alger), sondern dessen Unerreichbarkeit & wie man sich damit einrichtet. Mit hineinspielen tut wohl auch die allgemeinere Entspanntheit um Umgang miteinander und die allgemeine Höflichkeit (für Altweltgermanen ist das ja immer wieder ein herber Kulturschock). Ob das nun auf diese obigen Faktoren zurückgeht oder verstärkend hinzukommt, weiß wie bei solch unquantifizierbaren küchenpsychologischen Themen letztlich wohl niemand genau. My 2 cents: es könnte sein, daß sich der hier als bekannt erwiesene hiesige Sozialneid drüben in der Form des "Keeping up with the Joneses" zeigt - das sich allerdings wohl recht genau auf Suburbia beschränkt.
Zitat keep up with the Joneses Fig. to try to match the lifestyle of one's neighbors. I am tired of trying to keep up with the Joneses. Let's just move if we can't afford to live here. We never try to keep up with the Joneses.
to have all the same things as other people to avoid looking poor or old-fashioned In this neighborhood, keeping up with the Joneses has become an art form.
Und da sich dieses Phänomen haargenau auch in Holland findet (oder bis vor 40/50 Jahren fand) - in genau jenem p'tit bourgeoisen Milieu, mit dem legendären "Holzschinken" auf der Sonntagstafel, schließt sich dann der Kreis zum Kalbvinismus.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Hajo23 im Beitrag #11Zitat: Als Deutscher verfolgt mich das seit 30 Jahren und ich frage mich immer, wieso sind die Amerikaner in diesem Punkt so anders?
Ich glaube nicht unbedingt das Amerikaner sich ad hoc von den Deutschen so unterscheiden. Wir werden alle mit der Fähigkeit und dem Potential zum Neid geboren. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied ob man diese Eigenschaft als etwas Schädliches definiert, dass man überwinden muss, oder als es etwss wünschenswertes, dass man durch einen angeblichen Gerechtigkeitssinn verbrämt.
Das ist ja sicherlich alles richtig. Aber dennoch nochmal zwei Beobachtungen dazu. Wenn der mißgünstige Neid, so wie im Artikel beschrieben, in Deutschland ein vorherrschendes Gefühl ist, warum hat dann die Linkspartei nicht viel höhere Zustimmungsraten? Zusammen mit der NPD bedient keine andere Partei im Spektrum Neidgefühle derart offen und idealtypisch wie diese. Der Verweis, daß auch Grüne und Sozis linke Parteien sind, scheint mir hier nicht ausreichend. Es gibt viele andere Gründe, SPD oder Grüne zu wählen als Neid, aber es gibt kaum andere Gründe, die SED zu wählen. Die Frage ist ja nicht, ob irgendwelche Ideologen in den Redaktionsstuben Neid verbreiten (das tun sie unbedingt, aber solche Multiplikatoren sind ja nicht unbedingt repräsentativ und schließlich werden Medien auch immer weniger gelesen/gekauft), sondern ob dies auch für den Durchschnittsdeutschen in besonderer Weise (im Vergleich zu anderen) zutrifft. Ich finde die Frage, je länger ich darüber nachdenke, zunehmend offen.
Eine zweite Beobachtung. Die Klientel mit der ich beruflich zu tun habe, ist sicher (schon aufgrund diverser Varianzeinschränkungen) hinsichtlich aller möglichen Merkmale nicht repräsentativ (es handelt sich um psychisch kranke Menschen), aber was die meisten eint, ist natürlich ein erhöhtes Maß destruktiver kognitiv-affektiver Bedingungen wie Unzufriedenheit und Unglücklichsein. Hier würde ich Neid gehäuft als "verwendete" Emotion erwarten, um sich z. B. für eigenes Unvermögen nicht verantwortlich fühlen zu müssen. Das ist bei einigen auch zweifellos zu beobachten. Ich erlebe hier jedoch alles in allem überhaupt keinen erhöhten "Neidfaktor"; diese eigentlich sehr verführerische Variante, die Schuld bei anderen zu suchen wird von Menschen meiner Beobachtung nach kaum "gewählt". Andere Varianten, die "Schuld" außen zu suchen dagegen durchaus.
Wenn ich so etwas wie eine Zuordnung einer Emotion zur deutschen "Volksseele" vornehmen sollte, dann ist es die der Angst. Angst, etwas zu verlieren/weggenommen zu bekommen; Angst, gegenüber anderen in Nachteil zu geraten, Angst zu versagen. Das kann entlang von Wortäußerungen zunächst einmal aussehen wie Neid, ist aber natürlich etwas völlig anderes. Das deckt sich im übrigen auch mit der überwiegenden Mehrzahl meiner Erfahrungen im privaten Bereich (auch nicht repräsentativ, schon klar, aber vermutlich repräsentativer als Artikel und Kommentare auf SpOn oder Zeit online). Ich bin nicht sicher, ob man bei der Neidzuschreibung an die Deutschen nicht bestimmte mediale Effekte überinterpretiert, und dann womöglich einer anderen "deutschen" Neigung auf den Leim geht: die Neigung der Deutschen zur Selbstbezichtigung.
Optimistische Grüße, Andreas
"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)
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