Eigentlich wollte ich auch einen echten Nachruf auf Guido Westerwelle schreiben. Weil er das verdient hat. Aber andere haben das schon in guter Qualität gemacht, daher möchte ich einen Nebenaspekt ansprechen.
Zitat Kein Mensch würde zu einem musikalisch begabten Menschen sagen: "Berufsmusiker zu werden, das geht ja grundsätzlich nicht. Such' Dir einen ordentlichen Büroberuf, dann kannst Du in der Freizeit ein bißchen fiedeln. Und wenn Du 10 Jahre lang Versicherungen verkauft hast, dann vielleicht darst Du mal vier Jahre zu den Philharmonikern. Oder maximal acht, dann aber zurück an den normalen Arbeitsplatz, denn von der Musik beruflich abhängig zu sein, das geht gar nicht".
Außer 90% aller Eltern musikalisch begabter Menschen .
Zum Thema: Wie kann man Politik "lernen"? Ein Studium der Politischen Wissenschaften scheidet aus, das produziert genau die Nahles-Vertreter, die zu Recht mit Kritik überschüttet werden. Die Ochsentour in der Partei ist auch kein Garant. Ich glaube, es hat schon seine Berechtigung, dass man von politischen "Begabungen" spricht.
Vielleicht muss man sogar noch früher ansetzen: Was macht gute Politik aus?
Zitat von Meister Petz im Beitrag #2Wie kann man Politik "lernen"? Ein Studium der Politischen Wissenschaften scheidet aus, ...
Durchaus nicht. Richtig ist, daß dieses Fach leider sehr oft von Leuten studiert wird, denen andere Talente fehlen. Aber grundsätzlich bietet das schon eine gute Grundlage. Die zweite Möglichkeit ist Jura (das hat ja auch Westerwelle gemacht), das ist geradezu die klassische Basis für einen "Gesetzemacher", sehr viele gute Politiker sind von Haus aus Juristen. Allgemein ist jedes Studium geeignet, das viel mit Texten und mit klarem Denken zu tun hat (ich weiß, daß das eine Einladung ist, diverse Studiengänge niederzumachen ...).
Zitat Die Ochsentour in der Partei ist auch kein Garant.
Ein Garant überhaupt nicht, aber in der Regel sehr nützlich. In den Jugendorganisationen und den Ortsvereinen lernt man viel, was bei einer politischen Karriere notwendig ist. Quereinsteiger lernen das oft nur über die harte Tour oder sie scheitern an eigentlich trivialen Fehlern.
Zitat Ich glaube, es hat schon seine Berechtigung, dass man von politischen "Begabungen" spricht.
Auf jeden Fall. In jedem Beruf ist Begabung nützlich, aber bei vielen kann man auch ohne solche eine halbwegs vernünftige Arbeit abliefern. Andere dagegen brauchen unbedingt eine hohe Begabung, wenn man es gut machen will. Musik und Politik sind da in erster Reihe zu nennen.
Zitat Vielleicht muss man sogar noch früher ansetzen: Was macht gute Politik aus?
Ja. Und dabei geht es wohl nur teilweise darum, "gute" Entscheidungen oder Maßnahmen zu finden. Sondern es geht fast noch mehr darum, diese auch zu kommunizieren.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #2Wie kann man Politik "lernen"? Ein Studium der Politischen Wissenschaften scheidet aus, ...
Durchaus nicht. Richtig ist, daß dieses Fach leider sehr oft von Leuten studiert wird, denen andere Talente fehlen.
Ich glaube, das Hauptproblem ist ein anderes: Die Politikabsolventen, die ich kennen gelernt habe, haben eher ein abschreckendes Bild von der politischen Arbeit mitgenommen, und sind dann je nach Charakter entweder Journalisten oder Lobbyisten geworden (das liegt aber auch daran, dass ich mit diesen beiden Gruppen sehr viel zu tun habe). Aber die Bruchlinie stimmt ziemlich.
Zitat Die zweite Möglichkeit ist Jura (das hat ja auch Westerwelle gemacht), das ist geradezu die klassische Basis für einen "Gesetzemacher", sehr viele gute Politiker sind von Haus aus Juristen.
Aber auch viele Karrieristen. Ich habe auch den Eindruck, dass der Verwaltungsbeamten-Anteil größer wird (Seehofer z.B.).
Zitat In jedem Beruf ist Begabung nützlich, aber bei vielen kann man auch ohne solche eine halbwegs vernünftige Arbeit abliefern. Andere dagegen brauchen unbedingt eine hohe Begabung, wenn man es gut machen will. Musik und Politik sind da in erster Reihe zu nennen.
Was würdest Du denn aus der Erfahrung sagen: Wie hoch muss der Anteil an politischen Ausnahmetalenten sein, damit die Balance zwischen Effizienz und Weiterentwicklung gewährt ist? Ich denke, dass ein gewisser Wasserträgeranteil schon auch dazugehört...
Zitat von R.A.Vielleicht wäre es sogar umgekehrt besser - wenn in Parlamenten und Regierungen mehr Leute sitzen würden, die Politik wirklich können. Die das von der Pike auf gelernt haben und die politische Karriere nicht nur einschlagen, weil sie auf dem regulären Arbeitsmarkt wenig Chancen haben.
So wie in Frankreich, wo die Präsidenten und Minister gleich welcher Partei zum Großteil von der École normale d'administration kommen? Vielleicht sollte man sich vor Augen führen, daß es für eine ganze Reihe verantwortungsvoller und wichtiger Berufe keine grundständige Ausbildung gibt; allenfalls Zertifizierungen für die qualifizierenden Kenntnisse; beispielsweise Sprengmeister, Gefahrguttransporteur, Projektmanager, eine Reihe anderer Berufe in der pharmazeutischen Industrie. Und vor allem: Vorgesetzter sein (lernt man allenfalls bei der Fahne).
Sinnvoll wäre es allenfalls, wenn die Parteien ihre Kandidaten ein bißchen coachen würden in Rhetorik, Bewältigung von Kränkungen (aus denen stammen oftmals Rivalitäten, die eine ganze Partei ruinieren), Umgang mit Beratung, Juristensprache, Statistiken, staatsrechtliche Rahmenbedingungen (die meisten Abgeordneten kennen gar nicht das Wahlrecht, dem sie ihren Job verdanken) und der eigenen Parteiphilosophie. Bei der letzten Regierungserklärung hatte ich beispielsweise wegen des Tonfalls das Gefühl, sie würde von einer Grundschülerin vorgelesen. (Oder die Vorlesende will kawaii sein.)
Das ist zugleich meine Antwort an:
Zitat von Meister Petz im Beitrag #2Was macht gute Politik aus?
Zitat von Meister Petz im Beitrag #2Wie kann man Politik "lernen"? Ein Studium der Politischen Wissenschaften scheidet aus, ...
Durchaus nicht. Richtig ist, daß dieses Fach leider sehr oft von Leuten studiert wird, denen andere Talente fehlen. Aber grundsätzlich bietet das schon eine gute Grundlage. Die zweite Möglichkeit ist Jura (das hat ja auch Westerwelle gemacht), das ist geradezu die klassische Basis für einen "Gesetzemacher", sehr viele gute Politiker sind von Haus aus Juristen. Allgemein ist jedes Studium geeignet, das viel mit Texten und mit klarem Denken zu tun hat (ich weiß, daß das eine Einladung ist, diverse Studiengänge niederzumachen ...).
Mein Eindruck von Westerwelle ist im Gegenteil der, daß soziologische oder politologische Flausen ihm (und uns) alles kaputtgemacht haben. Von den wichtigsten Fähigkeiten (Eloquenz, Schlagfertigkeit, Bildung, Orientierung in der eigenen Überzeugung) war Westerwelle ein brillianter Politiker. Unvergessen die Entgegnung an einen CDU-Mensch, der das schlechte Ergebnis seiner Partei mit Leihstimmen an die FDP kleinreden wollte: "Die Wähler gehören doch nicht der CDU."
Sich selbst und die FDP hat er aber immer ungeeignet präsentiert. Die FDP war und ist nie geeignet für einen Persönlichkeitswahlkampf. Ebenso liegt der Wert einer liberalen Politik nicht darin, daß sie eine bestimmte Klientel bevorzuge, sondern darin, daß sie es eben nicht tut. Auch hat er bei der Emotionalisierung mitgemacht. Man kann (und Westerwelle konnte auch!) überzeugend sein, ohne zu emotionalisieren.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #2 Ich glaube, es hat schon seine Berechtigung, dass man von politischen "Begabungen" spricht.
Vielleicht muss man sogar noch früher ansetzen: Was macht gute Politik aus?
Nu ja, liberalerseits auf jeden Fall die Erkenntnis, dass man zufrieden sein muss, von der Seitenlinie aus mitzuspielen und dabei dies und jenes lückenhaft zu erreichen, da an Mehrheiten bei allgemeinen Wahlen überhaupt nicht zu denken ist.
Die Ergebnisse sind lauwarm, die Anfeindungen intensiver als sonst im Politikbetrieb üblich. In diesem Sinne also nie wirklich "gute" Politik - aus Sicht der "eigenen" Leute. Trost: So richtig rund läuft's für niemanden, denn dazu müsste es die Volonté générale (ein Hirngespinst aus der Studierstube) tatsächlich geben.
An dieser Stelle an Enoch Powell zu denken ist auch nicht schlecht, den exzentrischen typisch britischen (gibt's ja auch nicht mehr) Paläo-Konservativen von der alten Schule, der keine Lust hatte sich einer politischen Maschine zu unterwerfen, mit allerlei schrägen Ansichten, hier aber sehr trefflich:
All political lives, unless they are cut off in midstream at a happy juncture, end in failure, because that is the nature of politics and of human affairs.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #4Aber auch viele Karrieristen.
Das ist erst einmal kein echter Kritikpunkt. In der Wirtschaft wird ja auch keinem ehrgeizigen Mitarbeiter vorgeworfen, daß er mal in den Vorstand will.
Zitat Ich habe auch den Eindruck, dass der Verwaltungsbeamten-Anteil größer wird (Seehofer z.B.).
Das liegt wohl daran, daß es inzwischen Verwaltungshochschulen gibt, deren Abschlüsse denen einer Uni äquivalent sind. Früher war eigentlich das Jura-Studium die einzige Qualifikation für den höheren Verwaltungsdienst.
Zitat Was würdest Du denn aus der Erfahrung sagen: Wie hoch muss der Anteil an politischen Ausnahmetalenten sein, damit die Balance zwischen Effizienz und Weiterentwicklung gewährt ist? Ich denke, dass ein gewisser Wasserträgeranteil schon auch dazugehört...
Für den "normalen" Politiker sehe ich nur politische Begabung als notwendig, nicht das Ausnahmetalent. Denn ich stimme Dir völlig zu, daß auch viele "Wasserträger" gebraucht werden. Die aber auch ein gewisses politisches Talent brauchen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #5So wie in Frankreich, wo die Präsidenten und Minister gleich welcher Partei zum Großteil von der École normale d'administration kommen?
Das wäre das andere Extrem. Wobei es eben in Frankreich so ist, daß diese Spitzenpolitiker eben nur die akademische Verwaltungsausbildung haben - aber bei der politischen Erfahrung (sprich Basisarbeit) eher schwächeln.
Zitat Vielleicht sollte man sich vor Augen führen, daß es für eine ganze Reihe verantwortungsvoller und wichtiger Berufe keine grundständige Ausbildung gibt; allenfalls Zertifizierungen für die qualifizierenden Kenntnisse
Das ist ein ziemlich guter Vergleich. Denn auch bei Politikern ist es eben so, daß es keine komplette Ausbildung gibt. Mit einem "Diplom-Politiker" als Abschluß, und anschließend geht es in ein Parlament. Sondern man hat (wie die Sprengmeister etc.) in der Regel eine für die Tätigkeit nützliche Ausbildung, und die wird durch praktische Erfahrung ergänzt.
Zitat Sinnvoll wäre es allenfalls, wenn die Parteien ihre Kandidaten ein bißchen coachen würden ...
Das geschieht ja auch, durch die politischen Stiftungen. Nur ist deren Potential deutlich zu klein angesichts des Schulungsbedarfs für viele zehntausend Leute.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #4Aber auch viele Karrieristen.
Das ist erst einmal kein echter Kritikpunkt. In der Wirtschaft wird ja auch keinem ehrgeizigen Mitarbeiter vorgeworfen, daß er mal in den Vorstand will.
Wenn man Deine Voraussetzungen anschaut, schon:
Zitat Und dabei geht es wohl nur teilweise darum, "gute" Entscheidungen oder Maßnahmen zu finden. Sondern es geht fast noch mehr darum, diese auch zu kommunizieren.
Es hat auch in der Wirtschaft schon seine Berechtigung, dass Vorstände und Pressesprecher nicht die gleichen Begabungen brauchen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #6Sich selbst und die FDP hat er aber immer ungeeignet präsentiert.
Das halte ich für eine recht gewagte These. Die vielen Menschen, die er als Mitglieder oder Wähler gewinnen konnte sprechen eher für das Gegenteil.
Zitat Die FDP war und ist nie geeignet für einen Persönlichkeitswahlkampf.
Warum nicht? Die Liberalen haben schon immer starke Persönlichkeiten gehabt, mit denen sie auch Wahlkämpfe gewonnen haben. Richter, Stresemann, Heuss, Genscher. Und ähnliche Beispiele gibt es auch im Ausland. Ich würde sogar umgekehrt sagen: Gerade eine auf Individualismus setzende Partei wie die FDP bietet sich viel eher an für Persönlichkeitswahlkampf als Parteien, bei denen der einzelne Funktionär eigentlich nur sagen darf, was das Kollektiv beschlossen hat.
Zitat Ebenso liegt der Wert einer liberalen Politik nicht darin, daß sie eine bestimmte Klientel bevorzuge, sondern darin, daß sie es eben nicht tut.
Richtig. Aber genau das war ja bei Westerwelle essentiell. Die Rückwendung zu stärkerer Klientelansprache kam nach seinem Abgang und wurde erst durch Lindner wieder abgestellt.
Zitat Auch hat er bei der Emotionalisierung mitgemacht.
Selbstverständlich. Das ist für mich aber legitimer Bestandteil guter Politik.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #12Es hat auch in der Wirtschaft schon seine Berechtigung, dass Vorstände und Pressesprecher nicht die gleichen Begabungen brauchen.
Auch ein Vorstand muß kommunizieren können (wenn auch nicht so stark wie ein Pressesprecher). Wenn ein Vorstand seine eigene Mannschaft nicht überzeugen kann (und das kann er nie delegieren!), dann wird er große Schwierigkeiten haben, das Unternehmen erfolgreich zu machen. Und auch in der Außenkommunikation braucht er ein gewisses Kommunikationstalent. Legendäre Kommunikationsfehler à la "Peanuts" können einem Unternehmen schwer schaden.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #12Es hat auch in der Wirtschaft schon seine Berechtigung, dass Vorstände und Pressesprecher nicht die gleichen Begabungen brauchen.
Auch ein Vorstand muß kommunizieren können (wenn auch nicht so stark wie ein Pressesprecher). Wenn ein Vorstand seine eigene Mannschaft nicht überzeugen kann (und das kann er nie delegieren!), dann wird er große Schwierigkeiten haben, das Unternehmen erfolgreich zu machen. Und auch in der Außenkommunikation braucht er ein gewisses Kommunikationstalent. Legendäre Kommunikationsfehler à la "Peanuts" können einem Unternehmen schwer schaden.
Das beschränkt sich aber in der Regel auf den CEO. Finanz-, Personal- oder "Operations"-Vorstände haben meistens kaum eine Außenwirkung. Und was das Innenverhältnis angeht - ab einer bestimmten Unternehmensgröße delegiert der Vorstand selbstverständlich die interne Kommunikation. In einer Firma >1000 Mitarbeiter kriegen die meisten Mitarbeiter ihre Oberbosse selten bis nie zu sehen.
Soweit ich es überblicken kann, gibt es unter Top-Managern ebenfalls nur wenige richtig gute Kommunikatoren.
Zitat von Emulgator im Beitrag #6Sich selbst und die FDP hat er aber immer ungeeignet präsentiert.
Das halte ich für eine recht gewagte These. Die vielen Menschen, die er als Mitglieder oder Wähler gewinnen konnte sprechen eher für das Gegenteil.
Sind die seinetwegen Liberale? Ich glaube, manchmal ist die Zeit einfach reif für bestimmte politische Anliegen. Es muß dann nur noch ein geeigneter Agent dieser Idee geben, der sie klar ausspricht und konsequent umsetzt, ohne sich in anderen Nebensächlichkeiten zu verlieren. Die klare Aussprache der Idee war Westerwelle gelungen, da sind wir uns sicher einig. Westerwelle hat dann die konsequente Umsetzung verpaßt und sich in Nebensächlichkeiten verloren. Insbesondere eben seine Selbstdarstellung ("Guidomobil", "Hier steht die Freiheitsstatue..." und damit meinte er sich selber!). Klar, daß diese Selbstdarstellung im prestigeträchtigsten, aber für das eigene Anliegen nutzlosesten Ministerium mündete.
Zitat von R.A. im Beitrag #13Die Liberalen haben schon immer starke Persönlichkeiten gehabt, mit denen sie auch Wahlkämpfe gewonnen haben. Richter, Stresemann, Heuss, Genscher. Und ähnliche Beispiele gibt es auch im Ausland. Ich würde sogar umgekehrt sagen: Gerade eine auf Individualismus setzende Partei wie die FDP bietet sich viel eher an für Persönlichkeitswahlkampf als Parteien, bei denen der einzelne Funktionär eigentlich nur sagen darf, was das Kollektiv beschlossen hat.
Natürlich kommt es auf die Persönlichkeiten an, sie stehen immerhin auf dem Wahlzettel. Aber eben nur als Agent einer Idee, nicht als Guru oder ParteiFührer, der das Kollektiv so lenkt, daß es seinen eigenen Willen abnickt. Hat man Westerwelle gewählt, weil er gut das aussprach, was die Deligierten/Wähler schon selber gedacht haben? Oder hat man ihn gewählt, weil das, was er gesagt hat, zu dem wurde, was die Deligierten/Wähler dachten? Das ist nämlich der Unterschied zu einer liberalen Partei und den übrigen Parteien, die keiner alten, umfassenden politischen Philosophie mehr anhängen. Dort sind die Parteimitglieder im wesentlichen tabula rasa, ausgenommen ein paar schwammige Motive, warum sie der jeweiligen Partei beigetreten sind (Nostalgie, Angst vor Technik, Neid, Karriere, Vereinsmeierei, Xenophobie, Germanophobie, Urheberrecht, usw.). Diese schwammigen Motive bestimmen nur ganz wenige Ziele für politische Maßnahmen. Alles andere kann beliebig gewählt werden, ohne daß die Parteimitglieder sich daran stören würden. Hier kommt die Politführungspersönlichkeit ins Spiel, die nicht Agent einer Idee ist, sondern selber die Idee schafft und ihrer Partei aufschwatzt. Merkel, J. Fischer oder G. Schröder sind solche Persönlichkeiten, mit denen man Wahlkampf machen mußte, weil man sonst --und ohne sie-- kein Thema hätte.
Zitat Auch hat er bei der Emotionalisierung mitgemacht.
Selbstverständlich. Das ist für mich aber legitimer Bestandteil guter Politik.
Aber wo doch Emotionen und Vernunft so oft in Widerstreit treten!?
Ich würde Politik zweigeteilt sehen. Einerseits gibt es so etwas wie "Think Tanks", die Konzepte ausarbeiten, andereseit die "Mehrheitsbeschaffer" für solche Konzepte. Erstere dürfen / sollten sich ausschließlich an der Vernuft orientieren, letztere müssen sich auch der Emotion bedienen, da viele Wähler anders wohl gar nicht erreichbar bzw. für ein Konzept zu begeistern sind.
Das was der Bürger dabei als Politik(er) wahr nimmt, sind wohl in den meisten Fällen die Mehrheitsbeschaffer.
Das Problem dabei ist wohl das, was auch Sie beschreiben: Dass in der aktuellen Politik immer mehr die Arbeit dieser "Think Tanks" einfach "übersprungen" und durch emotionale Ideen charismatischer Mehrheitsbeschaffer ersetzt wird. Auf diese Weise wird in der Tat die Vernuft durch die Emotion an eine noralgischen Stelle verdrängt, was aber nicht unbedingt heisst, dass Emotion grundsätzlich in der Politik nichts verloren hat.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Emulgator im Beitrag #16Ich glaube, manchmal ist die Zeit einfach reif für bestimmte politische Anliegen. Es muß dann nur noch ein geeigneter Agent dieser Idee geben, ...
Ich stimme schon zu, daß manchmal Ideen "reif" werden. Aber das "nur noch" bei der Etablierung dieser Ideen ist eine Riesenaufgabe! Die sehr häufig auch scheitert, und dann bleibt die Idee in der Luft und verschwindet wieder, wenn die Zeit sich weiter ändert.
Zitat Insbesondere eben seine Selbstdarstellung ("Guidomobil", "Hier steht die Freiheitsstatue..." und damit meinte er sich selber!).
Das sind Geschmacksfragen. Die auch sehr stark mit dem Lebensalter zusammenhängen. Ich weiß noch gut, wie damals die Diskussionen zum "Projekt 18" parteiintern liefen - fast alle Parteimitglieder über 40 fanden Guidos Stil ziemlich daneben, und ziemlich alle Mitglieder unter 40 waren davon begeistert.
Zitat Klar, daß diese Selbstdarstellung im prestigeträchtigsten, aber für das eigene Anliegen nutzlosesten Ministerium mündete./quote] Das war überhaupt nicht klar, sondern diese (Fehl-)Entscheidung fiel erst relativ spät im Wahlkampf (unter dem verhängnisvollen Einfluß Genschers).
Zitat:Hat man Westerwelle gewählt, weil er gut das aussprach, was die Deligierten/Wähler schon selber gedacht haben? Oder hat man ihn gewählt, weil das, was er gesagt hat, zu dem wurde, was die Deligierten/Wähler dachten?
Beides. Aber die zweite Komponente war schon unüblich stark. Sehr viele Punkte der aktuellen FDP-Agenda sind erst durch Westerwelle aufgebracht und durchgesetzt worden. Und einige davon sind inzwischen Allgemeingut auch bei anderen Parteien, insbesondere das Verbot der Neuverschuldung.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #15Soweit ich es überblicken kann, gibt es unter Top-Managern ebenfalls nur wenige richtig gute Kommunikatoren.
Es gibt ja auch unter Spitzenpolitiker richtig schlechte Kommunikatoren (mit viel Nachdenken würde mir ein sehr aktuelles Beispiel einfallen). Grundsätzlich ist gute Kommunikation in beiden Bereichen wichtig. Und ich gestehe Dir gerne zu, daß sie in der Politik noch wichtiger ist als im Geschäftsleben.
Ich finde es übrigens interessant, daß die ganze Diskussion sich nur noch um Details dreht, d.h. welche konkrete Qualifikation ein Berufspolitiker haben sollte. Aber niemand hat bisher in Frage gestellt, daß es durchaus sinnvoll und legitim ist, wenn Leute die Politik zu ihrem Beruf machen. Das kontrastiert deutlich zu sehr verbreiteten Meinungen in Bevölkerung und Medien ...
Zitat Aber niemand hat bisher in Frage gestellt, daß es durchaus sinnvoll und legitim ist, wenn Leute die Politik zu ihrem Beruf machen.
Ich glaube einfach, dass der Politikbetrieb, wie er heute funktioniert, nicht anders zu bewältigen ist. Ob das besser oder schlechter ist, ist da eher eine müßige Frage...
Der Vergleich mit dem Musiker hinkt aber doch reichlich: Ein Musiker muss kaum darüber entscheiden was aus dem ganzen Orchester wird, oder wie sich die Stadt, in der er demnächst spielt, ihr neues Baurecht auslegen soll.
Und auch der Vergleich Westerwelle hinkt ein wenig: Ich erlaube mir die These, dass Westerwelles Talent zur Politik weniger aus seiner Eigenschaft als Berufspolitiker entstammt, sondern trotz (!) dieser Eigenschaft zum Vorschein kam.
Nehmen wir mal einen wirtschaftlichen Vergleich daher: Um eine Firma zu leiten muss man nicht unbedingt studiert haben. Man muss auch nicht unbedingt eine Lehre haben. Genaugenommen muss man vor allem Führungstalent und matkwirtschaftliche Weitsicht besitzen. Das sind prinzipiell Dinge, die bei jedem Menschen vorhanden sein können, ziemlich unabhängig von seiner Ausbildung. ABER: Dennoch haben die allermeisten Geschäftsführer und Vorstände einen Studienabschluss. Warum ? Weil man jemandem mit einem abgeschlossenen Studium mehr zutraut als jemandem ohne. Und das hat auch einen ganz simplen Grund: Mit dem Studium beweist man eben nicht nur Fachkenntnis sondern auch Disziplin, Intelligenz und Durchhaltevermögen. Man beweist, dass man die Fähigkeiten hat ein Studium zu bewältigen. In einer mir gut bekannten Firma werden regelmäßig Inbetriebnehmer eingestellt (das sind die "armen" Schweine, die dann in Übersee Anlagen zusammenklöppeln dürfen). Das ist eine ausgesprochen bunte Truppe. Da gibts Maschinenbauer, Bauingenieure, Mathematiker, Informatiker, Techniker, ja selbst einen Theologen hat man wohl schon gesehen (Politilogen oder Sozialpädagogen sind mir allerdings nicht bekannt). Allen ist eins mehr oder minder gemeinsam: Sie haben Bildungsabschlüsse. Und nicht unbedingt triviale. Die brauchen sie je nachdem gar nicht unbedingt, aber sie haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie das Zeug zu einem Studium (oder vergleichbaren Abschluss) gehabt haben. Und dieses Zeug ist das was wichtig ist. Ich würde behaupten, dass mehr als die Hälfte meiner früheren Kommolitionen nicht dafür eingestellt wurde, was sie konkret konnten, sondern für das Denken, dass sie mit ihrem Abschluss unter Beweis gestellt haben.
Natürlich gibt es Talente wie Westerwelle. Aber auf jedes solche Talent kommen zehn .... wenig Begabte, vom Schlage Nahles oder Roth. Leute, deren einzige Chance eigentlich die Politik ist, weil sie ansonsten das Zeug zu gar nichts haben. Ich würde mir wünschen, dass wir viel weniger Berufspolitiker haben, nicht weil ich nicht glaube, dass es keine guten Berufspolitiker geben kann, sondern weil sie selten sind. Wer in seinem Leben schon einmal etwas geleistet hat, hat damit zumindest bewiesen, dass er eben jenes Zeug hat, was Nahles & Co. eben fehlt und auch immer fehlen wird.
Zitat Aber niemand hat bisher in Frage gestellt, daß es durchaus sinnvoll und legitim ist, wenn Leute die Politik zu ihrem Beruf machen.
Ich glaube einfach, dass der Politikbetrieb, wie er heute funktioniert, nicht anders zu bewältigen ist. Ob das besser oder schlechter ist, ist da eher eine müßige Frage...
Grünens haben das ja durchgespielt. Partizipation von "unten" möge das Berufspolitikertum ersetzen. "Rotieren" in den Parlamenten und so, auf Wahlplakaten keine Personen abbilden pp. Das wurde dann nach einigem Gewürge bekanntlich alsbald aufgegeben. Bei den Pirarten dasselbe Spielchen, nur modernisiert, also alles irgendwie "mit Computer" - war auch eher 'ne Pleite.
Wenn man Politik gaaanz puristisch partizipatorsch auffasst - was man ja eigentlich sollte, weil das dem modernen Demokratieverständnis entspricht - sind dergleichen "Versuche" ja auch sympathisch und erscheinen als - ich sach mal - intuitiv so, wie es "eigentlich" laufen müsste.
Allein: mit dem partizipatorischen Interesse "da unten" isses halt nicht so weit her und beschränkt sich nicht selten aufs Stänkern und Rummosern - eigentlich ein narzisstische Kränkung aller, die demokratisch denken. Aber so ist halt das Leben.
Und von wegen "wie er heute funktioniert". Die klassischen Berufspolitiker waren doch weiland die adeligen Herrschaften, oder? Die hatten diesbezüglich das Monopol und haben nix anderes gemacht, als das (von der nicht unerheblichen Freizeit mal abgesehen). Diese durch und durch berufsmäßige Autorität sollte eigentlich verschwinden - hält sich aber zäh.
Zitat von R.A. im Beitrag #19Aber niemand hat bisher in Frage gestellt, daß es durchaus sinnvoll und legitim ist, wenn Leute die Politik zu ihrem Beruf machen.
Ich möchte ja nicht bestreiten, dass es vorteilhaft sein könnte, wenn Leute z.B. in der Regierung oder im Bundestag sitzen, die das Politikhandwerk schon früh erlernt, es also zu ihrem Beruf gemacht haben. Ihre Erfahrungen, die sie gesammelt haben (z.B. Verhandlungsgeschick), könnte für das Land eine Bereicherung sein.
Jedoch besteht auch auf der anderen Seite bei solchen Politikern, gerade weil sie die Politik zu ihrem Beruf gemacht haben, die Gefahr, dass sie auf ihre eigene Karriere mehr schauen, als auf das allgemeine Wohl des Landes. Hinzu kommt noch, dass wir in Deutschland eine Parteiendemokratie haben, es also fast unmöglich sein dürfte, die politische Karriereleiter hinaufzuklettern, ohne von der Partei, in der man Mitglied ist, befördert zu werden. Und wird man nicht eher befördert, wenn man sich der Parteilinie anpasst, anstatt, sage ich mal, seinen unabhängigen Geist bewahrt?
Zitat von Meister Petz im Beitrag #20Ich glaube einfach, dass der Politikbetrieb, wie er heute funktioniert, nicht anders zu bewältigen ist. Ob das besser oder schlechter ist, ist da eher eine müßige Frage...
Grünens haben das ja durchgespielt.
Schon richtig, diese ganzen naiven Alternativen haben nicht funktioniert. Was aber nicht heißt, daß damit das Spektrum an Alternativen schon ausgeschöpft wäre.
Eine Möglichkeit wäre z. B. das englische Kommunalmodell: Gelernte Hauptamtliche machen die eigentliche Arbeit, die ehrenamtlichen stimmen über die Ziele ab und übernehmen Repräsentation. In NRW gab es das lange Zeit mit der Doppelspitze gewählter Oberbürgermeister und dem Stadtdirektor (hauptamtlicher Verwaltungschef).
Das hat auch seine Nachteile, deswegen ist es in NRW auch wieder abgeschafft worden. Aber solche Modelle sind grundsätzlich möglich und viel realitätsnäher als die Ideen von Grünen/Piraten.
Zitat Die klassischen Berufspolitiker waren doch weiland die adeligen Herrschaften, oder?
Richtig. Aber das gibt nächste Woche einen eigenen Artikel ;-)
Zitat von Llarian im Beitrag #21Der Vergleich mit dem Musiker hinkt aber doch reichlich: Ein Musiker muss kaum darüber entscheiden was aus dem ganzen Orchester wird, oder wie sich die Stadt, in der er demnächst spielt, ihr neues Baurecht auslegen soll.
Endlich einmal der qualifizierte Widerspruch, den ich erwartet hatte!
Wobei natürlich jeder Vergleich nur begrenzt trägt. Selbstverständlich ist der Berufsinhalt von Musiker und Politiker unterschiedlich. Aber gemeinsam bleibt die Feststellung, daß Gelernte meist eine bessere Arbeit abliefern als Unqualifizierte, und gemeinsam die Frage ob es denn kritikwürdig sein kann, wenn jemand seine Begabung zum Beruf macht.
Zitat Ich erlaube mir die These, dass Westerwelles Talent zur Politik weniger aus seiner Eigenschaft als Berufspolitiker entstammt, sondern trotz (!) dieser Eigenschaft zum Vorschein kam.
Selbstverständlich. Ich habe ja auch nicht behauptet, daß Westerwelle Talent hatte, weil er Berufspolitiker war. Sondern es war umgekehrt: Weil er das entsprechende Talent hatte, hat er diesen Beruf gewählt. Und das war wohl besser, als wäre er Anwalt geworden.
Zitat Mit dem Studium beweist man eben nicht nur Fachkenntnis sondern auch Disziplin, Intelligenz und Durchhaltevermögen.
Selbstverständlich. Und in manchen Berufen (insbesondere in Beispielen wie Deinem, in denen es keine zielgerichtete Ausbildung gibt) sind diese Eigenschaften der einzige Grund für ein Studium. Aber in vielen anderen ist schon die Fachkenntnis nötig. Ich würde ungern zu einem Arzt geben, der ausschließlich Disziplin, Intelligenz und Durchhaltevermögen vorweisen kann ...
Zitat Natürlich gibt es Talente wie Westerwelle. Aber auf jedes solche Talent kommen zehn .... wenig Begabte
Richtig. Nun würde ich mal sagen: Die weniger Begabten kommen dann zum Zuge, wenn zu wenige Talentierte da sind. Und sehr viele politisch Begabte (die meist auch anderswo gut sind) entscheiden sich gegen die politische Laufbahn, eben weil "Politik als Beruf" von vielen Leuten nicht gewünscht wird und deswegen eher unattraktiv ist bzw. gemacht wird.
Meine Vermutung wäre: Wenn man "Berufspolitiker" als legitime Karriere akzeptieren würde, und die entsprechenden Ämter dann auch entsprechend interessant für gute Leute würden - dann müßte man sich nicht mehr über Leute vom Nahles-Format ärgern.
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