Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #25[...]「このぼんやりと白い銀河を大きないい望遠鏡で見ますと、もうたくさんの小さな星に見えるのです。 "Nun, wenn wir diese neblige Milchstraße durch ein großes Teleskop betrachten, erscheint sie als eine Ansammlung unzähliger kleiner Sterne."
*Ächz* Was mach' ich mir eigentlich die Mühe...
Zitat von Die Nacht in der transgalaktischen Eisenbahn. 1. Der Nachmittagsunterricht„Meine Lieben, wisst Ihr eigentlich, woraus dieses weißlich-trübe Etwas besteht, das von manchen ein Fluss genannt wird, von anderen ein Fleck von verschütteter Milch?“ Von der Tafel hing eine große schwarze Sternenkarte herab, und der Lehrer hielt seinen Finger auf die Milchstraße gerichtet, die als nebeliger Streifen von oben nach unten verlief. [...] "„wenn Ihr diese weiße, neblige Milchstraße mit dem Fernrohr betrachtet, werdet Ihr viele kleine Sterne sehen." [...] "So sieht unsere Milchstraße aus. Stellt Euch vor, jedes dieser leuchtenden Körner wäre ein eigener Stern, genauso wie unsere Sonne. Und jetzt lasst uns annehmen, dass sich auch die Sonne ungefähr in der Mitte dieser Linse befindet, und unsere Erde gleich nebenan. Wenn ihr nachts nach draußen schaut, werdet ihr wenig Sterne sehen, wo die Linse dünn ist. Schaut ihr aber in die Richtung, wo die Linse dick ist, so seht ihr viele leuchtende Körner, das heißt Sterne, und deshalb erscheint die Milchstraße dort weiss. Das ist die moderne Theorie unserer Galaxie."
Kommt davon, wenn man prinzipiell auf Englisch unterwegs ist. Die englischen Seiten zum Buch führen zum japanischen Text (mittlerweile gemeinfrei); die dt. Wikipedia hat als einzige einen eigenen Eintrag für die Anime-Umsetzung von Gisaburō Sugii von 1985, wo sich dieser Link versteckt.
Zitat "Dichter hören das Gras wachsen, sagt man. Was ist heute unsere Wirklichkeit? ... Die Wirklichkeit der Gesellschaft offenbart etwas Krankes. ... Eine Menge von Schriftstellern schreibt; manche glänzen rhetorisch. Sie dürfen andere, die mit ihrem Mühen etwas erleben und schaffen, sozusagen berauben, sie müssen schreiben, ohne sich um die Verwirklichung der Werte kümmern zu müssen. Das ist ihre Freiheit, es ist auch schwere Arbeit. Sie beschreiben es so schön, dass wir es goutieren, und vielleicht sind wir als Leser noch viel passiver als die Schreiber in Sachen Verwirklichung eines zum guten korrigierten Lebens."
Der hochgeschätzte Schreiber, der nicht nur "prinzipiell auf Englisch unterwegs ist", sondern, wie er einräumt, sich dabei auf ("gemeinfreie") "neblige Milchstraßen" locken lässt, möge mir nebst "Blogpolizei" wenigstens einmal verzeihen, wenn ich mich unterfange, so etwas wie eine "Erinnerungs-Collage" aus ZR vor uns aufzustellen, um uns nicht im Nebel immer neu entdeckter Milchstraßen - auf englisch, japanisch oder sonstwie - verlaufen zu sollen.
Zitat von Kallias im Beitrag #1Ob es heute wieder eine Ideologie-Sehnsucht gibt, zumindest in der schönen Literatur, die des Dekonstruierens müde wird? Ludwig Weimer wurde auf der Suche nach einer Zeitdiagnose, die sich etwa mit der Hellsichtigkeit jener Ödön von Horváths vergleichen läßt, nicht recht fündig. https://zettelsraum.blogspot.com/2016/05...rt-und-tat.html
Ludwig Weimer zitiert in seinem Blogbeitrag den Autor des Debüt-Romans "Der Fuchs", Nis-Momme Stockmann, mit seiner Antwort auf eine Frage, die ihm in einem Interview mit der "Zeit" am 3. April gestellt worden ist. Die Frage lautete, ob er mit dem Roman eine Erlösungs-Erzählung anbiete. Darauf der Autor: es gäbe heute wieder so etwas wie eine Ideologie-Sehnsucht. Und er präzisiert diese Aussage in einem bestimmten Zusammenhang: „Der Roman ist in letzter Konsequenz feige, weil er den Schritt hinaus nur andeutet, aber nicht formuliert. Das ist das Dilemma der Postmoderne, dass sie immer nur weiter dekonstruiert, wir müssen aber etwas Neues bauen … Mein Gefühl ist, dass es jetzt wieder eine Ideologie-Sehnsucht gibt.“ - Insofern fehlt es Stockmann - ähnlich wie Ödön von Horvát - nicht an "zeitdiagnostischer" Hellsichtigkeit. Das Manko beider aber sei, so verstehe ich L. Weimer, die "Feigheit", eine Lösung zu nennen. Und es wird konstatiert: Es gebe "den Scheideweg für Feigheit oder Tat, - aber nur für den, der weiß, was er zu tun hat". Letzteres klingt etwas sybillinisch. Aber dazu passt, was Ijoma Mangold am Ende seines Artikels in "Die Zeit" anmerkt, dass man in Stockmanns Roman so etwas wie "die Gnade des Lebens" inmitten eines "unvollkommenen Seins" ausmachen könne . - In unsere Wirklichkeit übertragen hieße das: ob diese "Gnade ..." nur quasi als ein Zufallsprodukt im Lebenslauf eines Menschen inmitten eines chaotischen Zeitablaufs gesehen wird oder ob sie als solche: dass das Leben ein Geschenk darstellt!, erkannt, bewusst ergriffen und gepflegt werden könne. - Ich habe Stockmanns Roman nicht (noch nicht) gelesen. Die 700 Seiten schrecken mich ab. - In dem Zusammenhang fiel mir aber wieder ein, dass ich voriges Jahr das schmale Bändchen "Faserland" von Christian Kracht, etwa vor einem Jahrzehnt geschrieben, gelesen habe. Es beginnt auf der Insel Sylt, dem Strandleben dort mit allen Banalitäten, geht weiter durch Deutschland von Nord nach Süd und zeigt mit viel Witz - in einer eigenartigen Sprache, in der der Ich-Erzähler sein eigenartiges Reden und Tun und das der Personen, die er beobachtet und die ihm begegnen, ständig reflektiert - das Elend und die Verlorenheit einer reichen jungen Generation auf. Es endet, sozusagen beruhigt und literarisch-moralische Maßstäbe setzend, in Zürich, intuitiv auf einem nächtlichen Gang zum Grab von Thomas Mann am Rande des Züricher Sees. - In einem ähnlichen Lebensgefühl - soviel konnte ich erkunden - schreibt Nis-Momme Stockmann; und doch ist sein Schreiben von ganz anderer Art: Stockmann ist - ganz in der Nähe von Sylt - auf der Insel Föhr geboren. Dort kennt er die Leute und ihr Treiben. Die enge Inselstadt mit seinen Bewohnern wird ihm zur sagenhaften versunkenen Stadt Thule. Sie ist eben erst durch eine Springflut im Untergang begriffen. Drei junge Menschen können sich vor ihr auf ein Hausdach retten. Und an ihnen vollzieht sich - in der Vergangenheit, im Hintergrund und in der Gegenwart - ein Drama, das die großen Fragen des Lebens unserer Zeit durchspielt.
Eine positive Konstruktion müsste so etwas wie ein heutiger Bildungsroman sein; warum kann es ihn nicht geben? Selbstverständlich erwarte ich nicht, unsere Schriftsteller sollten im Sinn der Bitte 'Herr Kästner, wo bleibt das Positive?' schreiben, sondern schaue aus nach dem modernen Gegenstück zur Entlarvung des banalen, verbreiteten Bürgerlich-Bösen.
Den einen Grund in unserem naturwissenschaftlichem Welt- und Menschenbild finde ich gut bei Botho Strauß beschrieben:"Wir haben zu wissen, dass sich die Evolution der Arten nicht nach einem vorausbestiimmten Plan erfüllt, an dessen Ende das Wesen Mensch erschien, sondern dass vielmehr jede Entwicklung in der Biosphäre aus Tippfehlern der genetischen Übertragung entstanden ist, aus puren Zufällen, Missgriffen, Kopierstörungen... Ein solches Weltbild ist nichts für Kinder und nichts für Christen." Er fragt sich, wie ein junger Autor mit dieser Selbstbegegnung und Gefährdung des Geistes umgehen kann: "Müsste es ihn nicht in ebenso tiefe Unruhe versetzen wie einst den Dichter Kleist die Lektüre Kants? Muss nicht ein erkenntnisakritischer Zusammenbruch, ein Weltbildsturz gleichsam als Initiation der glaubwürdigen schöpferischen Tat vorausgehen?" (Botho Strauß, Allein mit allen. Gedankenbuch, hrsg. von S. Kleinschmidt, München: Hanser 2014, 204 und 209).
Den zweiten Grund sehe ich darin, dass für die Kunst ebenso wie für die Medien die schlechten Nachrichten über den Menschen interessanter sind als die guten Taten, die täglich doch auch massenhaft vollbracht werden. Das Ausloten unserer dunklen Seite ist nicht nur unterhaltsamer, sondern auch als Grenzüberschreitung zum Verbotenen intellektuell faszinierender. Vielleicht kann ich einen nächsten Beitrag dieser Frage nach dem Grund der Lust am Bösen widmen.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #29Eine positive Konstruktion müsste so etwas wie ein heutiger Bildungsroman sein; warum kann es ihn nicht geben? Selbstverständlich erwarte ich nicht, unsere Schriftsteller sollten im Sinn der Bitte 'Herr Kästner, wo bleibt das Positive?' schreiben, sondern schaue aus nach dem modernen Gegenstück zur Entlarvung des banalen, verbreiteten Bürgerlich-Bösen.
Ist es nicht paradox, dass Sie etwas Literarisches wünschen, von dem Sie gleichzeitig - in zwei Anläufen - behaupten, dass es das garnicht geben kann?
Klar, dass Goethe nicht gemeint sein kann. Auch nicht seine romantischen Nachfolger: Wackenroder, Tieck, Möricke. Auch nicht Gottfried Keller mit seinem "Grünen Heinrich" mit seinem idyllischen Ende (je nach Fassung), obwohl in der Auseinandersetzung mit Ludwig Feuerbachs Geist in Anwendung auf das bürgerliche Milieu etwas in die gewünschte Richtung geht. - Weil Sie Kleist nennen: E r hat gar keine Romane geschrieben. Aber er entlarvt in neuer, das Prinzip der griechischen Tragödie nutzenden, Form im "Zerbrochenen Krug" das bürgerlich-banale, von der Obrigkeit gestützte Böse, kämpft in seinem "Kohlhaas" gegen die Willkür des Kleinfürstentums und glaubt an das Wunder im "Käthchen". Freilich zerbrach in ihm etwas nach der Lektüre Kants. Heine kannte nur noch die Ironie. - Und weil Sie Kästner nebenbei erwähnten, da fiel mir - auch nur so nebenbei - das mit Heines Lyrik verwandte Gedichtchen "Sachliche Romanze" ein. -
Auch klar, dass das Ausloten der Dunklen Seite im Menschen (a la Dostojewskij) seine unschlagbare Faszination ausübt.
Zitat "Wir haben zu wissen, dass sich die Evolution der Arten nicht nach einem vorausbestiimmten Plan erfüllt, an dessen Ende das Wesen Mensch erschien, sondern dass vielmehr jede Entwicklung in der Biosphäre aus Tippfehlern der genetischen Übertragung entstanden ist, aus puren Zufällen, Missgriffen, Kopierstörungen... Ein solches Weltbild ist nichts für Kinder und nichts für Christen."
Was Sie mit dem Strauß-Zitat andeuten, scheint in Stockmanns Roman, Der Fuchs, in einem Strang anzuklingen oder durchgespielt worden zu sein (soweit ich aus der Sekundärliteratur entnahm).
Zitat von Simon im Beitrag #18 Und: Wäre nicht der Wortgottesdienst eines jeden Sonntags der Ort, wo wichtige Bibeltexte gehört und ausgelegt werden?
Wie jetzt? Empfinden Sie es als richtig oder falsch, dass Schriftauslegung und Kirche zusammengehören?
Zitat von Simon im Beitrag #18So stellte es sich jedenfalls das 2. Vatikanische Konzil vor.
Welchen Stellenwert hat dann in ihren Augen die wissenschaftliche Exegese?
Liebe Daska, nur kurz etwas zu Ihren Anfragen, die ich bis jetzt übersehen habe. Selbstverständlich ist* die neue Leseordnung in einem Dreijahreszyklus der geschaffene Ort, wo wichtige Bibeltexte sowohl aus dem AT, als aus dem NT (Evangelien, Apostelgeschichte, Apokalypse, Briefe) gemeinsam gehört und - von der Intention her - aktuell (auf das gelebte Gemeindeleben hin!) ausgelegt werden können und sollen. Der geweihte Priester (katholisch gesprochen) hätte die (strikte) Aufgabe innerhalb der sonntäglichen und festtäglichen Eucharistiefeier eine HOMILIE zu halten, d. h. wie es der gr. Wortsinn meint: eine Auslegung im vertrauten Kreis, quasi unter Gleichinformierten, auch grundsätzlich Gleichgesinnten - so wie man es aus dem Synagogalgottesdienst (auch) im neuen Weg der Kirche des auferstandenen jüdischen Messias übernommen und geübt hatte. - Von da aus beantwortet sich dann auch die Frage nach der wissenschaftlichen Exegese. Sie kann (!) sozusagen ´überflüssig´ werden, wenn es wirklich den "Ort" der "Versammlung" unter Gläubigen gibt, die auf Augenhöhe nachvollziehen können, was die biblischen Texte meinen. Allerdings sollte man nicht unterschätzen, was die historisch-kritische Exegese bis in unsere Zeit gerade für den Glauben geleistet hat und leistet. Sie überbrückt Zeiträume von 2000 bis 3000 Jahre ursprünglich gelebten Glaubens und Lebens in schriftlicher Überlieferung und fördert u. a. ja neben dem, was zu glauben ist, auch zu Tage, was nicht zu glauben ist. Und das ist (gerade auch nach der Aufklärung) nicht unwichtig. Man denke nur an das Evangelium vom sog. ungläubigen Thomas. - Nur mal so kurz und unvollkommen angedeutet.
Edit: *die Sonntags- und Festtagsliturgie mit der neuen Leseordnung .. Simon
Lieber Simon, bevor ich auf Ihre schöne Erwiderung eingehe, erlaube ich mir, Ihnen eine Frage zu stellen:
Wer sind Sie, und wenn ja, wie wie viele?
Ich erwarte keine umfassende Antwort, begründe aber meine Äußerung, in der Hoffnung, Ihnen nicht zu nahe zu treten: Ich erlebe Ihre Beiträge als disparat und vielfältig, bisweilen sogar widersprüchlich. Manchen eignet beispielsweise ein protestantischer, ja fast freikirchlich-revolutzerischer Duktus, andere vertreten stockkatholische Standpunkte, die mir dann doch wieder aufgeweicht, verändert, (verwässert? verbessert?) vorkommen. Zwischen manchen Zeilen blitzt jugendlicher Eifer hervor, dann wieder scheint eine Art Altersweisheit durchzuschimmern. Habe ich es also bei Simon mit mehreren zu tun, die sich hinter der selben Blog-Identität verbergen, oder mit einem einzigen, der verspielt Schreibstile auslotet, vielleicht nicht einmal absichtlich, und halt mal so und mal so argumentiert, was ja irgendwie auch legitim wäre?
Ich frage, weil ich feststelle, dass nicht nur meine Möglichkeit, Ihre Äußerungen adäquat zu verstehen, sondern auch die Schlüssigkeit (m)einer Argumente unter anderem von dem/ den Adressaten abhängt. Sie schreiben ja selber, dass es einen Unterschied macht, ob man es mit
Zitat Gleichinformierten, auch grundsätzlich Gleichgesinnten
Ich möchte noch einmal zwei Zitate aus dem Gedankenbuch von Botho Strauß "Allein mit allen" zum Problem der aktuellen Schriftstellerei zur Kenntnis bringen.
"So wie das >Weltbild< der Ameise gesichert ist durch die Verkettung des Sichbetrillerns, der ständigen chemotaktischen Verbindung, ist im Gegenteil das unsere verunsichert durch die laufende Produktion von falschen Weltbildern. (...) Die Natur des Menschen ist eine bildnerische, wie die Natur der sich betrillernden Ameisen eine chemotaktische ist. Und dieser zuverlässige Apparat der permanenten Täuschung ist das Höchste, was die Natur hervorgebracht hat!" (Hanser 2014,215).
"Und wären auch alle Geheimnisse erschlossen, so bliebe uns noch immer die unergründliche Trauer." (223)
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #35 Wer sind Sie, und wenn ja, wie wie viele?
Ich möchte noch einmal zwei Zitate aus dem Gedankenbuch von Botho Strauß "Allein mit allen" zum Problem der aktuellen Schriftstellerei zur Kenntnis bringen.
"So wie das >Weltbild< der Ameise gesichert ist durch die Verkettung des Sichbetrillerns, der ständigen chemotaktischen Verbindung, ist im Gegenteil das unsere verunsichert durch die laufende Produktion von falschen Weltbildern. (...) Die Natur des Menschen ist eine bildnerische, wie die Natur der sich betrillernden Ameisen eine chemotaktische ist. Und dieser zuverlässige Apparat der permanenten Täuschung ist das Höchste, was die Natur hervorgebracht hat!" (Hanser 2014,215).
"Und wären auch alle Geheimnisse erschlossen, so bliebe uns noch immer die unergründliche Trauer." (223)
Grüße Ludwig Weimer
Wo ist das Problem? Könnten Sie es, bitte, etwas verständlicher entschlüsseln? "... dieser zuverlässige Apparat der permanenten Täuschung ist das Höchste, ..." Das als Aussage über "eine bildnerische Natur des Menschen"? ? ?
Botho Strauß meint mit "bildnerische Natur': Wir Menschen können mit unserem Willen kraft unseres Geistes die Wirklichkeit verfälschen, indem wir uns Bilder, Weltbilder, Selbsttäuschungen, Verdrängungen, poetische Verklärungen, Verhunzungen usw. schaffen. Wir können Dinge anbeten, die es nicht verdienen, reden, ohne zu denken, etwas 'andenken' - wie der Redner sagt - und die Weiterführung zu Konsequenzen damit bewusst vermeiden.
B. Strauß wirkt vielleicht etwas pessimistisch, aber Propheten wirken auch so. Er trauert um eine versunkene, verlorene geformte und moralische Welt. Das Zitat "Und wären auch alle Geheimnisse erschlossen, so bliebe uns noch immer die unergründliche Trauer" gehört in diese Perspektive. Das meint ja doch letztlich: Wissenschaft und Technik befriedigen uns nicht voll (Sie können auch nie perfekt abgeschlossen sein). Uns blieb eine Sehnsucht. Es ist nicht alles verloren, solange wir offenbar etwas Entscheidendes vermissen. Dass dieses nicht deutlich benannt wird, hängt wohl daran, dass es für verschiedene Gruppen und Gesellschaften etwas Unterschiedliches ist, je nach ihrer Kultur und Religion.
In diesem Sinn lese ich auch seinen Satz über die Verdrängung des Schmerzes: "Diese brutale Verdrängung des Schmerzes wird einmal üblere Folgen haben als vorzeiten die Verdrängung von Sexualität!" Er karikiert diesen medizinisch zukünftigen Menschen als "zynische Hybride".(Aus: Das Partikular, Hanser, 176). Dieses Buch war nicht der zeit-treffende lesbare Roman von heute, sondern eine poetisch-intellektuelle Sammlung z.T. komplizierter kleiner Stücke, verdichteter Beschreibungen und Predigten, Zeitbeobachtung und Autobiographie in einem.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #37Botho Strauß meint mit "bildnerische Natur': Wir Menschen können mit unserem Willen kraft unseres Geistes die Wirklichkeit verfälschen, indem wir uns Bilder, Weltbilder, Selbsttäuschungen, Verdrängungen, poetische Verklärungen, Verhunzungen usw. schaffen. Wir können Dinge anbeten, die es nicht verdienen, reden, ohne zu denken, etwas 'andenken' - wie der Redner sagt - und die Weiterführung zu Konsequenzen damit bewusst vermeiden.
B. Strauß wirkt vielleicht etwas pessimistisch, aber Propheten wirken auch so. Er trauert um eine versunkene, verlorene geformte und moralische Welt.
Botho Strauß gilt manchen als Buch-Autor oder/und als Theater-Dichter als sperrig. Nicht zuletzt durch seine nicht-alltägliche, bisweilen überhöhte Symbol-Sprache. Deshalb wurde - geradezu erleichtert - sein schmales 100-Seitiges Bändchen "Herkunft" aufgenommen, das er 2014, vor 2 Jahren zu seinem siebzigsten Geburtstag erscheinen ließ. Es bildet vordergründig eine Reminiszenz an seinen Vater. In Wirklichkeit erlaubt Strauß dem Leser damit einen Einblick in seine Herkunft und sein Denken, ähnlich wie es vor ihm sein etwas älterer Dichter-Zeitgenosse Peter Handke mit "Langsame Heimkehr" etwas breiter gemacht hat. Dabei fällt mir ein, dass es bei Handke der Selbstmord seiner Mutter war, dem wir die "Erzählung" aus dem Jahre 1972, "Wunschloses Unglück", verdanken, in der sich - aus der Mischung aus tiefer Betroffenheit und zugleich Stolz über die entschlossene Tat - ein Fenster auftat, durch das hindurch das Netz seines Dichtens erblickt werden kann: das Empfinden und Erleiden der häuslichen Enge, des Drucks kleinbürgerlich-dörflicher Moral einerseits, andererseits des christliche Glaubensverlusts bis in die abgelegenen Täler Österreichs hinein und zugleich die Sehnsucht nach Wahrem. Das Zurück- oder Voraus-Schauen lief hier über die Mutter: mit ihr zusammen las z.B. der junge Handke - nachdem sie in armen Verhältnissen eine große Kinderschar großgezogen und trotz des bäuerlichen Haushalts ein wenig Zeit fand - die großen Romane der Weltliteratur! -
Strauß lernt von seinem Vater die Disziplin, die für ein anspruchsvolles Schreiben notwendig ist. Obwohl er sich auch von seinem Vater absetzen musste, empfindet er nachträglich das Glück, dass er sich mit seinem Vater über alle möglichen Themen austauschen konnte - auch fernsehen durfte und auf diese Weise im damaligen Kulturprogramm, die klassischen Theaterstücke kennenlernte, ein Grundstein für seinen Studiengang Theaterwissenschaft. Vor allem - vielleicht mehr unterschwellig - wirkte sich für sein Denken und Dichten aus, dass der Vater für ihn, den einzigen Sohn, mit 60 Jahren seine berufliche Existenz aufs Spiel setzend die damalige DDR verließ und in den Westen zog, um ihn in Freiheit aufwachsen zu sehen. - Insofern, auf diesem Hintergrund, meine ich, dass Strauß nicht einfach um eine "versunkene, verlorene geformte und moralische Welt trauert". - Vielmehr wird man vielleicht objektiver feststellen können: Durch seine frühe häusliche (grundsätzlich positive) Sozialisation im Elternhaus sind seine Sinne geschärft worden für die Wahrnehmung und Beurteilung allerhand wissenschaftlichen und technischen Fortschritts (der Vater war Apotheker und promovierter Chemiker), der verschiedenartigen menschlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten und Antinomien ..., hat sich eine Sprache eingestellt, die den Gegebenheiten der modernen Welt, aber auch ihrer geschichtlichen Herkunft und Prägung gerecht zu werden trachtet. "Trauer" über Verluste - vielleicht. Eher: Unermüdliches Aufspüren und Benennen von Begebenheiten: geglückter und (meist) nicht geglückter Beziehungen; von Vorstellungen (Bildern) und Trug-Bildern; von Stilrichtungen; von geglückter und missglückter Kommunikation ... Im Hinblick auf "Trauer" über Vergangenes... oder gar über den Vorwurf "Gegenwartsverachtung" fand ich in einem Aufsatz in "Die Welt" vom 01.10.2006 die treffende Bemerkung: Verachtung treffe nur die "Grobiane" und Zeitgenossen, die "über alle ferneren Strömungen, die unter Menschen möglich sind, hinweggehen". (Ob die Bemerkung von Strauß ist, geht aus dem Artikel nicht deutlich hervor.)
Der eben genannte Artikel, in dem das Buch "Mikado" besprochen wird, ist noch in mehrerer Hinsicht interessant: Er weist hin auf das Formprinzip des Strauß´schen Erzählens und dramatischen Gestaltens: 1. Der Erzählband "Mikado" enthält es beispielhaft in 41 Geschichten entsprechend den 41 Stäben, die das Spiel "Mikado" (= Titelgeschichte) bilden, 2. Es gibt Berührungspunkte zwischen den einzelnen Geschichten analog den Berührungspunkten zwischen den einzelnen Stäben,
3. Inhaltlich gesehen entdeckt (offenbart) und beschreibt der Autor in diesen Geschichten und allgemein in seinem Werk eben auch die meist nur flüchtigen Berührungspunkte - selbst unter sich "nahestehenden" Personen, 4. Strauß nutzt Requisiten aus der Märchenwelt: z.B. die von der Tür, von der niemand wusste, dass sie existierte, oder die 7 Türen, die man durchschreiten muss, Rätsel, die man lösen muss; die von der Schönheit, von der man sich nicht blenden; von der Dummheit, durch die man sich nicht entmutigen lassen muss .. 5. Strauß bleibt bei allem Spiel mit Formen und Redeweisen aus der fiktiven Welt in unserer Realität, indem er in seinen Werken selbstverständlich oder gelegentlich auch (verwirrend) sehr pointiert mit den Ergebnissen der modernen Wissenschaften und technischen Errungenschaften umgeht. 6. Raum und Zeit in ihrer Bezogenheit aufeinander stellen ein besonderes Thema in seinem Theaterschaffen dar: z. B. in "Die Zeit und das Zimmer" wird die Relativität der beiden Komponenten auf der Ebene personalen Empfindens sichtbar und hörbar durchgespielt. 7. Immer wieder geht es um die menschliche Identität: die vielen Täuschungen gegenüber der eigenen Person und anderen Personen ("Angelas Kleider"), oder die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit einer beständigen Partnerwahl.
So könnte man - systematischer als eben - fortfahren. Das Schaffen von Botho Strauß ist äußerst vielschichtig und m. E. - außer vielleicht in der einen oder anderen theoretischen Schrift - nicht von Trauer oder Weltpessimismus befallen. Was den vielzitierten "anschwellenden Bocksgesang" in seiner Vielschichtigkeit betrifft, darüber traue ich mir kein Urteil zu.
Einen kleinen Nachtrag habe ich noch: Strauß nennt seine Mikado-Geschichten "Kalendergeschichten" wie einst zu seiner Zeit sein Kollege Johann Peter Hebel - nicht etwa demütig, sondern selbstbewusst und absichtsvoll - seine form- und inhaltlich vollendeten Fortsetzungsgeschichten im "Rheinischen Hausfreund" nannte! (Zu einer Auswahl von 24 Kalendergeschichten von J.P. Hebel gibt es das lesenswerte Büchlein: Stolleis, Michael, Der menschenfreundliche Ton, Insel 2003)
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